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Vi«i
i
Philosophische IMonatshefte.
VS r^ -^-(f- •
Unter Mitwirkung
von
Dr. F. A-scherson,
Gustos an der UniversiUtsbibliothek zu Berlin,
sowie mehrerer namhaften Fachgelehrten
redigirt und herausgegeben
von
C. Schaarschmidt.
XVII. Band.
LEIPZIG,
Verlag von Erich Koschny (L. Heiniann's Verlag).
1881.
InhaltsTerzelclmlss*
L Abhandlimgen nnd Anfiiätse.
'Seit«
lieber Plato's Parmenides. Von Präs. v. Kirchmann .... 1—27
Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie und die Wundt'sche Logik.
Von Th. Lipps. H. ÜI. IV . . . . 28—58. 198—226. 427—445
Ueber die logischen Schwierigkeiten in der einfachsten Form
der Begriffsbildung. Von J. Volkelt 129—150
Lessing und Kant. Ein kleines Gedenkblatt. Von dem Red. . 193—198
Ueber das VerhSltniss der logischen zur mathematisch - natur-
wissenschaftlichen Reflexion. Von A. Stadler 321—342
Ueber den Satz des Widerspruchs und die Bedeutung der Ne-
gation. Von J. J. Borelius 385--427
Die Aufgabe und die Fundamentalschwierigkeit der Erkenntniss-
theorie als einer voraussetzungslosen Wissenschaft. Von
J. Volkelt 513-541
Was ist Begriff? Von 6. Knauer 542-558
Wundl^s Lehre vom Willen und sein animistischer Monismus.
Von J. Baumann 558—602
Die Vermittlung der principiellen Gegensätze durch Kantus Kritik
der reinen Vernunft und der virtuelle Aphorismus der
letzteren. Von J. Witte 602—613
n. Recensionen, Referate und Anseigen.
Bilharz, S. A., Der heliocentrische Standpunkt der Weltbetrach-
tung (von L. Weis) 59—71
Drossbach, M., Ueber Kraft und Bewegung (v. d. Red.) . . . 71—75
Naville, E., La logique de Thypothöse (v. d. Red.) 76—78
Leclair, A. v.. Der Realismus der modernen Naturwissenschaft
(v. J. Kreyenbühl) . . , 78—82
IV
Seite
Höffding, H., Die Grundlagen der humanen Ethik (v. d. Red.) 82—89
Falckenberg, R„ lieber den intelligiblen Charakter (v. J. Volkelt) 89—94
Roskoff, 6., Das Religionswesen der rohesten Naturvölker (v.
d. Red.) 95-98
Thilo, Gh. A., Kurze pragmatische Geschichte der Philosophie
(v. 0. FlĂĽgel) 99-100
Leibnis, G. W., Die philosophischen Schriften, herausg. v. G. J.
Gerhardt. Bd. IV (v. d. Red.) 102-104
JoSl, M.f Blicke in die Religionsgeschichte zu Anfang des zwei-
ten christlichen Jahrhunderts (v. d. Red.) 104—105
Döring, A., Grundzüge der allgemeinen Logik (v. L. Rabus) . 150—158
K^ftoodt, P., Anton Günther (v. Weber) 158—169
Witte, J., Die Philosophie unserer Dichterheroen (v. L. Weis) . 169—178
Bahnsen, Realdialectik (v. E. v. Hartmann) 227—260
Gantoni, G., Emm. Kant (v. A. Lasson) 260—266
Fouill^, Alf^., La science sociale contemporaine (v. Fr. Jodl) . 266—272
Michelis, F., Katholische Dogmatik 1 v. a7«_aQfi
Schöberlein, L., Das Princip und System der Dogmatik /L. Weis*
Kühl, Jos., Die Descendenzlehre und der neue Glaube (v. L. Weis) 280—287
Hartmann, E. v., Zur Greschichte und BegrĂĽndung des Pessi*
mismus (v. d. Red.) 287—292
Baumann, J., Handbuch der Moral (v. Fr. Kirchner) .... 343—347
Glogau, G., Abriss der philosophischen Grundwissenschaften (v.
L. Rabus) 347-351
Bergmann, J., Sein und Erkennen (v. A. Lasson) 352—360
Steinthal, H., Gesammelte kleine Schriften I. (v. A. Boltz) . . 360—363
Pollock, Fr., Spinoza (v. d. Red.) 363—367
Pfleiderer, Edm., Eudaemonismus und Egoismus (v. J. Bergmann) 445—460
Uphues, K., Das Wesen des Denkens nach Piaton (v. Weber) . 460—474
Wallace, W., Ghiefancient philosophiesEpicureanism(v. d.Red.) 474—476
Hartmann, Ed. v.. Die Krisis des Ghristenthums in der moder-
nen Theologie (v. d. Red.) 477—483
Masaryk, Th. G., Der Selbstmord u. s. w. (v. d. Red.) . . . 484—488
Danzel, Th. W. und Guhrauer, G. E., Gottfried Ephraim Lessing.
2. Aufl. herausg. â–Ľ. W. v. Maltzahn und R. Boxberger (â–Ľ.
d. Red.) 488—489
Fischer, K., G. E. Lessing als Reformator der deutschen Litera-
tur (v. d. Red.) 489-491
Litteraturbericht
L Zur Erinnerung an K.Ghr. Planck; Ueber die aristotelische
Psychologie und Sinnenlehre (Issigonis u. Ritter) (v. H.
Heussler); Neue Schriften ĂĽber Nicolaus vonGues (Uebinger
und Falckenberg) (v. R. Eucken); Vignoli, F., Ueber das
Fundamentalgesetz im Thierreiche (y. d. Red.) , . . . 113—119
Sdf«
n. Talne, H., Der Verstand. Uebenetzt von L. Siegfried; Vo-
gel. H. W., Aus der neuen HexenkĂĽche; Dreher, Eug., Bei-
träge zu einer ezacten Psycho-Physiologie; Richter, C. v.,
Prof. Zöllners Hypothese einer yierten Dimension des
Raumes; Meyer, Rieh., Ueber Bestrebungen und Ziele der
Wissenschaft!. Chemie; Hayr, Rieh., Voltaire -Studien (v.
d. Red.) 178-184
ni. Turbiglio, S., Le antitesi etc. (v. A. Lasson); Neff,L., Ueber
die Abfassungszeit von Leibnizens Unvorgreiflichen Ge-
danken; Erdmann, B., Imm. Kants Kritik derUrtheilskraft;
Kirchmann, J. H. v., Imm. Kant*s Kritik d. r. V. 5. Aufl.
(y. d. Red.); Notiz den Kanttezt betreffend (v. H. Vaihinger);
Hertling, 6. Freiherr Y., Albertus Magnus; Albertus Magnus
in Geschichte und Sage; Kirchmann, J. H. y., Plato's Dia-
log Theaetet; ders., Erläuterungen zu des Aristoteles Po-
litik; Golerus, J., LeYen Yan Spinoza. Nieuwe UitgaYe (y.
d. Red.) 293-302
IV. Kirchner, Fr., Ethik (y. d. Red.), TeichmĂĽller, G., Ueber
das Wesen der Liebe (y. Fr. Hoffmann); Siebenlist, A.,
Schopenhauers PhOosophie der Tragödie (y. G.Neudecker);
Noble, G , die Staatslehre Plato*s 368—375
V. Laban, Fr., DieSchopenhauerlitteratur; Apelt, 0., Der Par-
menides des Plato; Pappenheim, E., Erläuterungen zu des
Seztus Empiricus Pyrrhoneischen Grundzflgen; Preyer, W.,
Naturw. Thatsachen und Probleme (y. d. Red.); Zur Reli-
gionsphilosophie: Wernicke, A., Die Religion des Gewissens
u. s. w.; Jankowski, ÂŁ., Pisticismus und Substantialismus ;
Schmid, U. R., Der Streit wider den unbewussten Atheis-
mus dieser Zeit; ders., Darstellung der christl. Religion;
ders., ein Mahnruf an unsere 2<eit; Arbes, J., meine For-
schungen im Gebiete des Geistes (y. Arth. Jung); Tower, W.,
Das Wesen der Form (y. d. Red.) 492—504
VI. Hoffmann, Fr., Philosophische Schriften. Bd. VIL (y. L.
Rabus); Lehmann, 0., Ueber Kants Principien der Ethik
o. s. w. (y. d. Red.) 623—626
m. Entgegniuigeii.
GontroYerse zwischen Prof. Michelet und Prof. Weis .... 113—119
Entgegnung Yon Dr. A. Bilharz. Nachschrift der RedacUon . 302—303
VI
Sdte
IV. VersoliiedeneB.
Neu bei der Redaction eingegangene Schriften . . 113—119. 184—185
303—304. 375. 604—505. 626—627
Bibliographie von Dr. F. Ascherson . 120—125. 185—188. 304—310
375—379. 505-508. 627—631
Philosophische Vorlesungen an den deutschen Hochschulen im
Sommer-Semester 1880 310—316. 379—380
Recensionen-Verzeichniss . 125—127. 188—191. 317—319. 380—383
508—510. 632—635
Aus Zeitschriften . 127—128. 191. 319. 384. 511—512. 635—636
Nekrolog H. Lotze's 613—623
Miscellen 128. 191—192. 320. 384. 512.
Deber Plato's PamemdeH.
Der Dialog Parmenides gehört zu den merkwürdigsten
Schriften, welche aus dem Alterthum auf ims gekommen
sind. An seiner Aechtheit, als einer Schrift Plato's, ist frĂĽher
nie gezweifelt worden; erst neuerlich haben einige Gelehrte
Bedenken dagegen erhoben, indess wird der Dialog selbst
nach den eingehendsten, in Deutschland und England gefĂĽhrten
Untersuchungen der letzten Jahrzehnte von der grossen Mehr-
heit der Gelehrten als eine ächte Schrift Plato's anerkannt.
Kephalos aus Elazomenä tritt darin auf und berichtet
über ein Gespräch, was in Athen zwischen Parmenides, Zeno
und dem damals noch jungen Sokrates stattgehabt, und des-
sen Inhalt ihm seine Freunde in Athen mitgetheilt hätten.
Parmenides und Zeno, die beiden bedeutendsten Philosophen
der eleatischen Schule, seien danach einst zu den Panathenäen
nach Athen gekommen und Zeno habe da bei seinem Gast-
freund Pythodoros eine Schrift von sich vorgelesen, worin er
bewiesen habe, dass der Seienden nicht viele sein könnten,
weil sie dann ähnUch und auch unähnlich sein tnüssten, was doch
beides zugleich unmöglich sei. Sokrates habe dies bestrit-
ten, weil, wenn es eine Idee der Aehnlichkeit und auch eine
Idee der Unähnlichkeit gebe, die einzelnen Dinge an beiden
Ideen Theil nehmen könnten und ein Widerspruch nur dann
vorhanden wäre, wenn das Aehnliche selbst zugleich das Un-
ähnliche sein soUe; dasselbe gelte auch für das Viele und
das Eines, und anderes mehr. Hierauf habe Parmenides
die mancherlei Bedenken geltend gemacht, welche gegen die
Annahme von Ideen sich herausstellten. Insbesondere habe
Parmenides auf die folgerechte, aber bedenkliche Ausdehnung
Philosoph. Konatshefte 1881. I n. H. 1
2 Y. Eirchmann: Ăśeber Plato*s Pannenides.
der Ideen, selbst auf das Unsittliche und Schmutzige, sowie
auf die Unklarheit des Begriffes vom Theilhaben der einzelnen
Dinge an den Ideen hingewiesen. Sokrates habe nach Mög-
lichkeit die Ideenlehre vertheidigt, aber öiletzt von den Ein-
würfen des Parmenides sich für besiegt erklärt.
Darauf habe Pannenides dem Sokrates wieder Muth ein-
gesprochen und ihn gelehrt, wie er die Philosophie betreiben
mĂĽsse. Insbesondere habe Parmenides ihm gerathen, in der
Dialektik auf die Weise, wie sie von den Eleaten ausgebildet
worden war, sich zu ĂĽben und insbesondere bei jedem Satze
nicht bloss das zu prĂĽfen, was aus seiner Bejahung sich
ergebe, sondern auch das, was aus seiner Yemeinung folge;
und ebenso auch bei den Begriffen zu verfahren, welche die
Gegensätze zu denen der Thesis bildeten. Da Sokrates dies
nicht ganz verstanden, so habe er den Parmenides gebeten,
ihm ein Beispiel solcher Anwendung der dialektischen Me-
thode zu geben, und da auch Zeno sich dem angeschlossen,
so habe Parmenides sich endlich dazu bereit erklärt und den
Hauptsatz seiner Lehre, dass nur Eines sei, zu seinem
Thema gewählt, wobei der mit anwesende jüngere Aristo-
teles, welcher später zu den dreissig Tyrannen gehörte, die
Rolle des Antwortenden ĂĽbernommen habe.
Mit Kap. 10 beginnt nun diese AusfĂĽhrung des Parme-
nides, welche den ganzen ĂĽbrigen Theil des Dialogs ausfĂĽllt und
den Hauptbestandtheil desselben bildet. Die erzählende Form
durch Eephalos wird hier von Plato bei Seite gesetzt und
das Gespräch zwischen Parmenides und Aristoteles direkt
mitgetheilt. Aristoteles spielt dabei eine höchst unbedeutende
Rolle und sagt nur zu Allem Ja oder Nein; von der Sokra-
tischen Hebammenkunst ist in diesem Haupttheil des Dialogs
nichts zu finden.
In Uebereinstimmung mit den dem Sokrates gegebenen
Anweisungen zerfallt die Rede des Parmenides in zwei Haupt-
stĂĽcke; im ersten wird dargelegt, was daraus folge, wenn das
Eines ist (existirt); im zweiten, was daraus folge, wenn das
Eines nicht ist. Das erste HauptstĂĽck zerfallt dann in vier
Abschnitte; im ersten (Kap. 10—12) wird gezeigt, dass das
Eines nicht Vieles sein könne; im zweiten Abschnitt (Kap.
T. Kirchmann: lieber Plato*8 Parmenides. 3
13 — 21) wird das Entgegengesetzte von dem hn ersten Ab-
schnitt Gefeierten bewiesen und all die Prädikate, welche
iiD ersten Abschnitt dem Eines beigelegt worden sind, werden
hier vemrint. Im dritten Abschnitt (Kap. 22) wendet sich Par-
menides in Gemässheit seiner dem Sokrates gegebenen An-
weisungen zu der Frage: Was wird bei den Andern
(t' aXXa) eintreten, wenn das Eines ist? Die Andern
werden hier als der conträre Gegensatz des Eines behandelt
und daraus eine Reihe von Prädikaten abgeleitet, welche den
Anderen in diesem Falle zukommen sollen. Im vierten Ab-
schnitt (Kap. 23) wird dann aus dem Umstände, dass die
Andern als von dem Eines verschieden gesetzt sind, wieder
das Entgegengesetzte von den in Kap. 22 den Andern bei-
gelegten Prädikaten abgeleitet und ihnen zugesprochen.
Das zweite HauptstĂĽck der Rede des Parmenides (Kap. 24
bis zum Schluss) geht dann von der Annahme aus, dass das
Eines nicht ist Die hieraus fĂĽr das Eines und die Andern
hervoi^henden Folgen werden hier in gleicherweise mittelst
der elealischen Dialektik entwickelt. Auch dieses HauptstĂĽck
zerfSDt in vier Abschnitte. Im ersten (Kap. 24) wird dar-
gelegt, dass, wenn auch das Nicht-Eines an dem Sein nicht
Theo nehme, doch viele andere Bestimmungen von ihm aus-
gesagt werden köimten; ja zuletzt wird bewiesen, dass es
auch an (fem Sein Theil nehme. Im zweiten Abschnitt
(Kap. 25) wird dagegen aus dem Nicht -Sein des Eines das
Entgegei^esetzte von dem im ersten Abschnitt Bewiesenen
dargethan. Im dritten Abschnitt (Kap. 26) wird untersucht,
was bei den Andern eintreten mĂĽsse, wenn das Eines nicht
ist Hier werden direkt sich widersprechende Prädikate in
gleich folgerechter Weise daraus abgeleitet, und Parmenides
zur Unterscheidung von wirklichen und nur scheinbaren Prä-
dikaten gendthigt Im vierten Abschnitt (Kap. 27, dem
Schlusskapitel) wird wieder das Gegentheil von dem im drit-
ten Abschnitt bewiesen, und der Dialog schliesst als Resultat
mit dem Satze, dass, möge das Eines sein oder nicht sein,
es selbst und die Andern, sow(^l in Bezug auf sich, wie auf
einander durchaus Alles sind und auch Alles nicht sind, und
äataa sie Alles scheinen und auch nicht scheinen, worauf
4 T. Kirchmann: lieber Plato*s Parmenides.
Aristoteles : „Ganz richtig" sagt, und der Dialog damit schliesst.
Ein historischer Abschluss in Bezug auf die redenden Personen,
wie er in den meisten Dialogen Plato's vorkommt, fehlt hier.
Die Schwierigkeiten, welche dieser Dialog bietet, sind
nun sehr mannigfacher Art. Zunächst ist schon das Yer-
ständniss desselben nicht leicht; selbst der griechischen Sprache
wird darin in Folge der als Eigenschaften behandelten Be-
ziehungsformen mannigfache Gewalt angethan, wie später sich
ergeben wird. Indess muss man anerkennen, dass diese
sprachlichen Schwierigkeiten schon von Schleiermacher zum
grossen Theil glĂĽcklich ĂĽberwunden worden sind, und dass
dies auch von der MĂĽUer'schen Uebersetzung gilt. Ein Um-
stand, welcher das genaue Verständniss dieses Dialogs sehr
erschwert, liegt in der Zweideutigkeit des griechischen iori
und €v. Ersteres bezeichnet, wie auch das deutsche „ist**
im Urtheile bald nur die logische Verbindung (copula) von
Prädikat und Subjekt, bald aber auch die Existenz von bei-
den, also das, was Existenzialsatz genannt zu werden pflegt.
An mehreren Stellen des Dialogs wird der Beweis dadurch
gefĂĽhrt, dass dem ersten Sinn des eatt unvermerkt der zweite
untergeschoben wird.
Noch mehrdeutiger ist das ey^ was eine so grosse Rolle
in diesem Dialoge spielt. Es wird darin in viererlei Sinne ge-
braucht; 1) bezeichnet es die Eins (die Ziffer 1), also das
Element, aus dem die Zahlen sich bilden; 2) bezeichnet es
das Eines im Sinne der Eleaten, also ein Seiendes, ja das
allein Seiende, neben dem nichts Anderes besteht; 3) be-
zeichnet es, wie das ti, das Einzelne im Gegensatz zu dem,
alle Einzelnen befassenden Begriffe, wofĂĽr im Deutschen der
Artikel ein, eine, eines benutzt wird; und 4) bezeichnet es
die Einheit,* welche unterschiedene Bestimmungen voraus-
setzt und diese durch ihr einendes Band zu einem Gegen-
stande verknüpft. So bilden die Blätter, Blüthen und der Stiel
durch das einende Band der räumlichen Berührung eine Blume;
so ist das Weisse, Harte und Kalte mittelst der räumlichen
Durchdringung dieser Eigenschaften zu einem EisstĂĽck ver-
knüpft. Zum sicheren Verständniss jeder Uebersetzung dieses
Dialogs gehört nun, dass diese vier, sehr verschiedenen Be-
â–Ľ. Kirefamanii: Ăśeber Plato's Parmenides. 5
deutungen des ey durch bestimmte Worte im Deutschen un-
terschieden gehalten werden. Glucklicherweise ist dies mög-
lich; eins fĂĽr Nr. 1; Eines (indeklinabel) fĂĽr Nr. 2; ein,
eine, eines fĂĽr Nr. 3 und Einheit fĂĽr Nr. 4. Leider ist
selbst in den beiden genannten Uebersetzungen diese Bedin-
gung nicht immer eingehalten worden und dadurch das Ver-
ständniss des Dialogs bei denselben erschwert. Ebenso ist
es besser, das Tcnrvoy mit dasselbige, statt mit Einerlei
(Schkiermacher) zu ĂĽbersetzen und ra moHa^ und r' aXka
nicht mit das Viele und das Andere, wie Schleiermacher
und MuUer gethan, zu ĂĽbersetzen, sondern mit d i e Vielen,
die Andern, um dadurch den Plural gegen den Singular des
Eines starker hervorzuheben, obgleich allerdings der Singular
der deutschen Sprache mehr entspricht und auch im Grie-
chischen jene Worte nĂĽt dem Singular des Verbums construirt
werden.
Diese sprachlichen Schwierigkeiten sind indess lange nicht
so bedeutend, als jene, welche sich an den philosophischen
bhalt des Dialogs knĂĽpfen; insbesondere an die Fragen,
welche Person und welche Stellen des Dialogs die eigene
Meinung und Ansicht des Plato ausdrĂĽcken, und welche Ab-
sicht ĂĽberhaupt Plato mit diesem Dialog verfolgt habe; ins-
besondere weshalb er die Ideenlehre hier eingemischt hat und
den Sokrates bei deren Widerlegung durch Parmenides sich be-
ruhigen lässt; femer, weshalb Parmenides in dem Haupt-
theile des Dialogs weit ĂĽber seine eigene positive Lehre hin-
ausgeht und dem Sein und dem Eines Prädikate zutheilt, welche
seiner Lehre, wie die auf uns gekommenen Fragmente seines
Gedichtes ergeben, geradezu widersprechen; weshalb femer Par-
menides mit der grössten Unbefangenheit dem einen seiner Be-
weise mit einer gewissen Pedanterie gleich den Beweis des ent-
gegen gesetzten Ausspmchs folgen lässt, ohne nur eine Miene
deshalb zu verziehen, und als wenn dies etwas ganz NatĂĽrliches
wäre; endlich weshalb der Dialog mit einem Resultate abschliesst,
in welchem die Widerspräche in der stärksten Weise für alles
nur Mögliche ausgesprochen werden, ohne dass auch nur die
geringste Andeutung gemacht wird, wie man diesem ver-
niditenden Resultate entgehen könne und in welchem von Plato's
6 y. Kirchm&nn: lieber Plato's Pamienides.
Dialogen ein Aufschluss über diese Räthsel gegeben werden
solle.
Die Lösung dieser Bedenken und Zweifel ist so schwie-
rig, dass daraus sich genĂĽgend die grosse Verschiedenheit der
Urtheile erklärt, welche in Bezug auf diese Fragen und den
Dialog geĂźLllt worden sind. Bereits bei den Neuplatonikern
galt dieser Dialog als ein Schatz der tiefsten Wahrheiten und
Geheimnisse; sie erhoben ihn zu einer heiligen Urkunde voll
göttlicher Offenbarungen. Plotin, Proklos, Syrianus
finden in den Begriffen dieses Dialogs ihre ganze Theosophie
vorgebildet. Als im 15. Jahrhundert das Studium der Philo-
sophie Plato's wieder auflebte, trat der berĂĽhmte ĂĽebersetzer
des Plato, Marsilius Ficinus, den Ansichten des Proklos
bei und memte, Plato habe in diesem Dialoge die ganze
christliche Theologie befasst, und man mĂĽsse durch Fasten
und Beten sich zum Studium desselben vorbereiten.
Tiedemann war der Erste , welcher . diesen Ueber-
schwenglichkeiten entgegen trat. Er konnte in dem Dialog
weder Geheimnisse noch theologische Offenbarungen finden,
sondern erklärte ihn für ein leeres dialektisches Spiel und einen
Haufen von Sophismen. Auch Tennemann, Ast und
So eher traten dem im Wesentlichen bei; Tennemann fand
in dem Dialog eine polemische Tendenz gegen die Lehre der
Eleaten. Der Dialog sollte nach ihm das Muster einer wah-
ren Dialektik abgeben, gegenĂĽber der Dialektik der Eleaten
und Megariker . Socher ging sogar so weit, dass er den Dialog
für unächt und für die Gegenschrift eines Megarikers gegen
Plato erklärte. Auch Schaarschmidt erhebt Zweifel
gegen die Aechtheit des Dialogs. Die ĂĽbrigen Gommentatoren
schwanken^ in ihren Urtheilen zwischen diesen Extremen hin
und her. Schleier mach er meint, der Dialog enthalte
einen speculativen Kern ; dabei macht er aber doch dessen dia-
"^lektische Form zur Hauptsache, indem Plato dabei auf die
Natur gewisser Beziehungsbegriffe habe aufmerksam machen
wollen. Auch Arnold hält den Dialog nur für ein Uebungs-
stĂĽck im Denken, fĂĽr eine Art Vorbereitung zum Studium der
Philosophie. Dagegen findet Schmidt in dem Dialog nicht
eine bloss formale Dialektik, sondern die Lösung der schwie-
T. Kirefamaim: Ueber Plato^s Parmenidcs. 7
rigslen Probleme der Philosophie; Succow stimmt dem in
noch höherem Maasse bei. Götz findet in dem Eines und
den Vielen des Dialogs den Gegensatz von Gott und der
Welt Auch Schwalbe findet darin eine voüständige Dar-
stellung dar Ideenldure Plato's und dessen Philosophie ĂĽber-
haupt; die abstracten Sätze des Dialogs gelten ihm für blosse
Allegorien, hinter denen die tiefsten Wahrheiten verborgen
seien. Nach Stallbaum und Zeller hat Plato den Dialog
zu räier Zeit verfaß, wo er selbst mit seiner Lehre noch
nicht im Klaren war. Herrmann findet in ihm die Ab-
sicht, die eleatische Dialektik mit ihren eigenen Waffen zu
sdilagen und ĂĽber sie hinauszufĂĽhren. Nach Hegel (Ge-
sdiichte der Philosophie, B. II, S. 241) ist im Dialog Parme-
nides die ausgefĂĽhrte eigentliche Dialektik enthalten und dieser
Dialog das berĂĽhmteste Meisterwerk c(,er platonischen Dialektik.
Deren Werth wird von Hegel gerade in den WidersprĂĽchen
gefunden, welche Parmenides bei allem und jedem darlegt.
„Dieser Dialoges sagt Hegel, „ist eigentlich die reine Ideen-
„lehre Pfato's. Er zeigt von dem Einen, dass es ebensowohl
,4st, wie nicht ist, und dass alle Ideen sowohl sind, wie nicht
„sind. Sie zeigen sich dialektisch, sind wesentlich die Iden-
„titat mit ihrem Andern und das ist das Wahrhafte.*^
Dies wird dann an Hegel's bekanntem Beispiele des Wer-
dens erläutert, in welchem Sein und Nichtsein enthalten sei und
welches die untrennbare Einheit beider sein soll. -~ Sehr aus-
fĂĽhrlich hat sich Steinhart in seiner Einleitung zur MĂĽller-
schen Uebersetzung ausgesprochen. Der formalen Bedeutung
nach, sagt er, solle der Dialog kein vollkommenes Muster der
Dialektik abgeben, sondern nur die Schildenmg eines wer-
denden Dialektikers bieten, der die volle Klariieit noch nicht
erreicht habe. Der Dialog solle den Geist des Lesers an ein
strenges Denken gewöhne imd die einfachsten Grundbegriffe
ihm zum Verständniss bringen. Die in dem Dialoge ent-
wickelten Gegensatze seien kein blosses Spiel mit Worten,
sondern passende Werkzeuge für die Mittheilung höherer Er-
kenntniss. Der Dialc^ enthalte keine entwickelte Lehre von
Gott und der Welt, sondern nur die festen Säulen, die den
neuen Bau zu tragen bestimmt seien; er stelle die Grund-
8 V. Kirchmann: Ceber Plato's Pannenides.
lehren der eleatischen Philosophie viel reiner dar, als die Be-
gründer derselben es vermocht hätten ; er enthalte aber auch
eine Widerlegung derselben und die Andeutung neu^ Keime.
Der Gehalt der eleatischen Lehre habe in den beiden Sätzen
gelegen, dass alles wahre Sein ein einiges und ewiges sei, und
dass das Denken seinem Gegenstande entsprechen mässe. Die
Verknüpfung beider Sätze bilde den Grundgedanken des Dia-
logs, wonach die Einheit das Grundprincip alles Seins und
Denkens ist. Deshalb werde darin dieser Begriff der Einheit
als die Wurzel alles Seins und Denkens festgestellt und da-
mit auch fĂĽr die Ideenlehre ein fester Grund gewonnen. In-
dem die Rede des Parmenides im Dialog darlege, dass die
abstracten, von ihm behandelten Begriffe in ihrer Trennung
zu WidersprĂĽchen fĂĽhren, werde die Erkenntniss vorbereitet,
dass diese Gegensätze nur in Verbindung mit einander ge-
dacht werden können, wie sie ja auch in Wirklichkeit stets
verbunden mit einander erscheinen. Die im Dialog fehlende
Auflösung dieser Widersprüche sei nicht mit Ast daraus zu
erklären, dass das Ende des Dialogs verloren gegangen sei,
noch mit Schleiermacher daraus,^ dass Plato durch seine Reise
oder andere Unterbrechimgen an dessen Vollendung verhin-
dert worden, sondern diese Lösung sei, so weit sie bei der ab-
stracten Haltung des Dialogs möglich gewesen, im Laufe des-
selben fĂĽr den denkenden Leser bereits klar angedeutet
Diese Auffassung Steinhart*s ist indess theils schwer ver-
ständlich, theils sachlich bedenklich. Es wird darin den
Sätzen des Dialogs ein Sinn untergelegt, der nur mit sehr
kĂĽnstlichen Mitteln aus ihm herausgebracht werden kann.
Gleichzeitig werden Hege Tsche Gedanken in unklarer Weise
in den Dialog hineingetragen und besonders abstossend wirkt
das ewige Gerede von der Einheit und Vielheit und von der
höheren Stufe, welche durch die Verbindung beider in der
Ideenlehre Plato's erreicht sein soUe. Die Auffassung Stein-
hartes ruht wesentlich auf der von Hegel, wenn er auch den
schroffen Ausspruch Hegel's, dass alles Wahre den Wider-
spruch enthalte, nach Möglichkeit zu mildern sucht. Sicher-
lich kann man auf die Dinge in der Welt sowohl den Be-
griff des Einen, wie den des Vielen anwenden. Schon im
V. Kirchmann: Ueber Plato^s Parmenides. 9
täglichen Verkehr wird diese Verbindung in dem Begriffe jedes
concreten Gegenstandes fortwährend vollzogen. Das Viele
liegt in dessen verschiedenen Eigenschaften, das Eine in deren
Verbindui^ durch BerĂĽhrung oder Durchdringung. Allein eben
deshalb ist mit solchem trockenen Ausspruch der Verbindung
beider gar nichts besonderes geboten; vielmehr hat die Philo-
sophie die Aufgabe, zu prĂĽfen, wie weit diese Verbindung
sich wirklich erreichen lasse und in welcher Weise eventuell
diese Verbindung sich vollziehe; sie hat das einende Band
näher zu untersuchen und festzustellen, ob dieses Band dem
Sein oder nur dem Denken angehört. Sie hat femer die
verschiedenen Arten der Einheit, in welche sie sich sondert,
zu ermitteln. Erst dadurch wird jener abstracte Satz von
der Verbindung des Einen und der Vielen aus einer blossen,
wenn auch unsäglich oft wiederholten Phrase, zu einer Kategorie
von voller Bestimmtheit und grosser praktischen Bedeutung.
Die AusfĂĽhrungen Steinhartes bewegen sich nach der
Weise HegePs vielfach in AussprĂĽchen, welche die Wahrheit
in der Einheit vom Entgegengesetzten, ja vom Widersprechen-
den suchen. Dergleichen nimmt allerdings den Schein des
Geistreichen und einer tiefen Weisheit an, aber leider auf
Kosten der Klarheit und Bestimmtheit. Deshalb dĂĽrfte auch
die von Steinhart gebotene Ansicht schwerlich den Lesern
genĂĽgen, welche vor Allem diese letzten Bedingungen erfĂĽllt
verlangen. Aehnliches gilt von dem Urtheile Hegel's ĂĽber
den Dialog. Das Komische in der Philosophie HegeFs ist,
dass er die Wahrheit gerade in dem Widerspruche der in
einem Begriffe oder Satze enthaltenen Bestimmungen findet,
aber dabei nicht ansteht, seine Gegner lediglich dadurch zu
widerlegen, dass er ihnen WidersprĂĽche in ihren Behauptungen
nachweist, womit denn doch in ziemlich naiver Weise aner-
kannt wird, dass der Widerspruch das Kriterium der Un-
wahrheit und zugleich das einzige Mittel ist, einen Gegner zu
widerlegen. Wenn Hegel das „Werden** als einen Beweis für
seine Ansicht benutzt, so geschieht es nur durch Entstellung
dieses Begriffs. Das Werden enthält als solches weder das Sein
noch das Nichtsein, sondern es liegt zwischen beiden ; es beginnt
nur mit dem Nichts und endet mit dem Sein. Das Werden ist
10 Y. Kirefamann: Ueber Plato's Parmenides.
eine stetige Bestimmung, welche ohne eine Zeitgrösse nicht
möglich ist; in einem Zeitmoment ist das Werden so un-
möglich, wie die Bewegung in einem Raum punkte. Des-
halb steckt in dem Werden innerhalb seines Zeitraums schon
ein Sein, was gleich mit dem Beginn des Werdens ebenfalls
beginnt und nur in Bezug auf das am Ende erreichte Sein
noch nicht als das fertige Sein gilt. Wenn man dies be-
achtet, zeigt sich das IrrthĂĽmliche der Ansicht HegeFs.
lAsst man diese KĂĽnsteleien bei Seite, geht man von einem
natĂĽrlichen imd einfachen Standpunkte aus und macht man
sich frei von der ĂĽberschwenglichen Bewunderung Plato's,
welche die meisten Gommentatoren verleitet hat, viel Höheres
und Geheimnissvolleres hinter diesem Dialog zu suchen, als
dem Plato eingefallen ist, so dĂĽrfte sich eine viel einfachere
Antwort auf die oben gestellten Fragen ergeben. Man mag
in den mystisch gehaltenen Schilderungen Plato's im Timäus,
in einzelnen Stellen der Republik dergleichen Geheimnisse und
eine Wahrheit höheren Grades suchen, aber hier sollte schon
die kalte verständige, streng logische Behandlung der Fragen
davon abhalten, dergleichen wunderbare Leistungen und
Offenbarungen in dem Dialoge zu finden. Wie kann man
z. B. in dem Theile des Dialogs, welcher von den Ideen han-
delt, eine BegrĂĽndung oder Rechtfertigung der Ideenlehre
finden, während doch von Parmenides nur die bekannten,
auch in der Metaphysik des Aristoteles wieder benutzten.
GrĂĽnde gegen sie geltend gemacht werden und der Ver-
theidiger derselben, der junge Sokrates, sich zuletzt fĂĽr be-
siegt erklärt? Wie kann in den ununterbrochen dargeleg-
ten Widersprüchen der spätem Rede des Parmenides über-
haupt eine Beziehung auf die Ideen Plato's gefunden wer-
den ? Wie konnte es dem Plato, wenn er dies gewollt, mög-
lich sein, mit einem Resultate den Dialog abzuschliessen,
welcher alles Sein und Wissen, also auch die Ideen durch streng
logisch richtige SchlĂĽsse vernichtet, ohne eine Widerlegung
dieses Resultates folgen zu lassen und die Ideen, die Sokrates
ganz im Stiche gelassen hatte, wieder in ihr Recht einzusetz^i?
Ebenso wenig kann man aber auch den Erklärungen bei-
treten, welche in dem Dialog nur ein UebungsstĂĽck fĂĽr Plato's
â–Ľ. Kirchmaiin: Ueber Plato*8 Parmenides. 11
SchĂĽler finden wollen. Allerdings erfĂĽllt der Dialog auch*
diesen Zweck in hohem Maasse^ aher dieser formale Zweck
wird auch schon bei allen ĂĽbrigen Dialogen des Plato neben-
bei erreicht und der Dialog hier' ist viel zu tiefsinnig und
bedeutend gedacht imd mit zu viel Aufwand von Scharfsinn
und Kunst ausgeführt, als dass man annehmen könnte, Plato
habe dabei nur ein UebungsstĂĽck fĂĽr die Anfanger in der
Philosophie liefern wollen.
Bei einer unbefangenen Betrachtung des Dialogs und be-
sonders bei einer Festhaltung des Zweckes, weshalb Parme*
nides von Sokrates um Aufstellung eines Beispiels fĂĽr die An-
wendung der dialektischen Methode der Eleaten gebeten wird,
erhellt schon, dass die Darstellung dieser Methode den
Gegenstand fĂĽr diesen Dialog bildet, und dass nicht
irgend ein materielles philosophisches Problem darin gelöst
werden soll. Diese von den Eleaten aufgestellte dialektische
Methode galt zur Zeit Plato's als das ausschliessliche und
unfehlbare Mittel fĂĽr die Gewinnung der Wahrheit innerhalb
der Philosophie. Die eleatische Philosophenscbule selbst stand
damals noch in hohem Ansehen; die Megariker hatten deren
Dialektik in ihre eigene Philosophie ĂĽbernommen; selbst die
Sophisten machten davon fortwährend für ihre Beweise Ge-
brauch. Plato selbst hatte die eleatische Philosophie zur Zeit
seines Aufenthaltes in Megara mit vielem Eifer studirt unci
in manchem seiner Dialoge finden sich selbst Spuren von un-
willkĂĽrlicher Benutzung ihrer Dialektik.
Allein Plato gelangte sehr bald zu der Einsicht, dass
diese eleatische Dialektik ein höchst bedenkliches Mittel für phi-
losophische Untersuchungen sei. Indem die Eleaten die Er-
'fabrung und Beobachtung des Seienden von ihrer Philosophie
ganz ausschlössen, und schon ihre abstracten obersten Sätze
sie nöthigten, nur das Denken als Erkenntnissmittel zuzulassen,
waren sie genöthigt, auch ihre Beweismethode danach einzu-
richten. Die Folge war, dass sie sich nur in contradictorischen
Eintheilungen und Gegensätzen bewegen und nur die Bezie-
hungsbegriffe zum Inhalt ihrer Philosophie benutzen konnten,
wie z. B. das Aehnlich und Unähnlich, das Gleich und Ungleich,
das Dasselbige und Verschiedene, das Grössere und Kleinere, das
12 V. Eirchmann: Ueber Plato's Parmenides.
' Aeltere und JĂĽngere und viele andere der Art, solche lediglich
dem Denken angehören, an sich selbst keinen seienden In-
halt bieten, aber jedwedem solchen Inhalt sich anschmiegen,
vor Allem aber dadurch sich von den seienden Eigenschaften
der Dinge, wie solche z. B. in rund, gerade, krumm, farbig,
tönend u. s. w. gegeben sind, unterscheiden, dass das Gesetz von
der Unmöglichkeit des sich Widersprechenden bei ihnen keine
GĂĽltigkeit hat. So kann z. B. Sokrates zugleich jĂĽnger und
älter sein, jenes in Vergleich zu seinem Vater, dieses in Ver-
gleich zu seinem Sohne. So kann derselbe Gegenstand, z. B.
ein Thaler zugleich ähnlich und unähnlich sein, jenes in Bezug
auf andere Thaler, dieses in Vergleich mit dem Beutel, in
dem er sich befindet
Eine weitere wichtige EigenthĂĽmlichkeit dieser Beziehun-
gen ist die, dass dieselben mindestens zwei Gegenstände er-
fordern und niemals von einem allein ausgesagt werden
können; so kann ein Gegenstand nur grösser genannt wer-
den, wenn auch ein zweiter da ist, in Bezug auf welchen er
der grössere genannt werden kann. So kann das „Nicht"
mit seinen zahlreichen verneinenden grammatikalischen Bil-
dungen nur von einem Gegenstande ausgesagt werden in Be-
zug auf einen andern oder auf eine sonstige Bestimmung, von
welchen jener eben als dessen Verneinung oder Nicht aus-
gesagt werden soll.
Es ist hier nicht möglich, diese überaus wichtige Lehre
der Beziehungsformen, die man auch Relativ-Begriffe nennen
könnte, in ihrer Vollständigkeit und ganzen Bedeutung zu ent-
wickeln; es muss in dieser Hinsicht auf die betreffenden
Schriften des Unterzeichneten verwiesen werden (Bd. I der
philosophischen Bibliothek S. 31 u. f.; Philosophie des Wis-
sens Bd. I S. 149 u. f.). Indess wird schon das hier Gesagte
genĂĽgen, um zu erkennen, dass die eleatische Dialektik, welche
sich auf solche Mittel des Beweisens beschränkt sah, über
einen dĂĽrftigen Inhalt nicht hinauskommen konnte. Vor
Allem musste sie aber dadurch, dass sie diese Beziehungs-
formen wie seiende Eigenschaften den einzelnen Dingen ohne
Angabe eines zweiten, damit bezogenen Gegenstandes beilegte,
in eine endlose Reihe von WidersprĂĽchen gerathen, wie sie
V. Kirchmann: Ueber Plato's Parmenides. 13
auch hier m Folge dieser falschen Behandlung der Beziehungs*
formen in allen TheQen der Rede des Parmenides zum Vor-
schein kommen, ohne dass man doch die formale, logische
Richtigkeit seiner SchlĂĽsse angreifen kann, sobald man diese
Beziehungen als wirklich seiende Eigenschaften gelten lässt.
Es wird genĂĽgen, auf diese Grundfehler der eleatischen
Dialektik, wie sie hier von Parmenides in seiner Rede geĂĽbt
wird, aufmerksam zu machen. Hat man einmal diesen Mangel
erkannt, so fallen alle äusserlich so stringenten Beweise des-
selben in Nichts zusammen. Hier nur einige Beispiele zur
Bestätigung dessen. So bestreitet Parmenides in Kapitel 10,
dass das eleatische Eines Theile habe, oder ein Ganzes sei,
weil auch das Ganze aus Theilen bestehe und mithin das
Eines sowohl als Ganzes, wie als Theil, dami nicht mehr
Eines, sondern Viele sein wĂĽrde. Allein das Ganze und seine
Theile ist nur eine Beziehungsform; es bedarf zur Anwen-
dung derselben auf Seiendes keiner wirklichen Theilung des
Gegenstandes. Der eine Mensch kann als ein Ganzes auf-
gefasst werden und auch als aus Theilen (Gliedern) bestehend,
ohne dass er deshalb erst zu gesonderten Vielen zu werden
braucht. Indem das Ganze und seine Theile nur eine Be-
ziehuDgsform im Denken ist, kann dieselbe auf jeden belie-
bigen Gegenstand angewendet werden, indem es dazu genĂĽgt,
die TheOe sich, wenn auch nur im Gedanken vorzustellen, um
diese Beziehungsform darauf anwenden zu können, und es ganz
gleichgĂĽltig ist, ob eine solche Theilung in Wirklichkeit ausfĂĽhr-
bar ist oder nicht. Deshalb gilt dies auch fĂĽr das eleatische Eines,
zumal dasselbe nach den Eleaten eine räumliche Ausdehnung
hat. Wenn also dieser Beweis falsch ist, so fallen auch die
daraus abgeleiteten Folgen, wonach das Eines keinen Anfang,
kein Ende und keine Mitte haben soll, weil diese schon Theile
des Eines sein wĂĽrden. Anfang, Ende und Mitte sind ĂĽberdem
nur Punkte in der räumlichen Ausdehnung eines Gegen-
standes, also ohne alle eigene Ausdehnung, folglich auch
keine Theile desselben. Damit fällt dann die weitere Fol-
gerung, dass das Eines grenzenlos und ohne Gestalt sei.
Parmenides folgert dann weiter, dass deshalb das Eines
niqfends sei, weil es weder in sich, noch in einem Andern
14 y. Kirchmann: Ueber Plato's Pannenides.
sein könne; denn im letzteren Falle würde es von diesem an
vielen Stellen berĂĽhrt werden, was, da das Eines keine Theile
habe, nicht möglich sei. Indess braucht die Berührung ja
nur pimktuell zu sein, und diese BerĂĽhrungen wĂĽrden dann
keine Theile des Eines ergeben. Auch braucht ja das Eines
nicht schwer zu sein und kann daher auch von einem
Andern ohne alle BerĂĽhrung umgeben sein. Auch das In-
sich-sein des Eines soll nach Parmenides nicht möglich sein,
denn dazu gehöre ein Umgebendes und ein Umgebenes, und
wenn dies statt hätte, so würde das Eines nicht mehr Eins,
sondern Zwei sein. — Auch hier übersieht Parmenides, dass
das In -sich -sein nur eine Beziefaungsform bei demselben ist,
welche nicht körperlich aufgefasst werden darf, wie er es
hier thut -~ Femer sagt Parmenides in Kap. 11, nachdem
er gezeigt, dass das Eines nicht dasselbe {tavrw) mit ^em
Andern sein könne: „aber auch verschieden von dem Andern
wird das E^es nicht sein, so lange es Eines ist, denn dem
Eines kommt es nicht zu, von irgend etwas verschieden zu
sein, sondern dies kommt dem Verschiedenen zu und keinem
Andern und wenn das Eines kein Verschiedenes ist, so kann
es dies auch nicht durch sich selbst sein, und wenn es also
kein Verschiedenes ist, so wird es auch von keinem
Dinge verschieden sein". — Hier tritt der Missbrauch der Be-
ziehungsformen am offenbarsten hervor; die Beziehungs-
form „Verschieden" wird wie eine seiende Eigenschaft be-
handelt, welche zu ihrem Dasein an einem Gegenstande keines
zweiten bedarf, von dem es erst verschieden ist; das „Ver-
schieden" wird hier wie das Runde oder das Rothe behandelt,
die einem Gegenstand anhaften, gleichviel ob auch andere Dinge
da sind oder nicht, während doch das „Verschieden" ohne zwei
Gegenstände nicht gedacht werden kann, durch deren gegen-
seitige Beziehung erst die Verschiedenheit beider fĂĽr das
Denken herauskommt. — Ganz in gleicher Weise behandelt
unmittelbar darauf Parmenides das „Dasselbige**; das Eines
soll nicht das Dasselbige sein, „weil, wenn einem Dinge- das
Dasselbige zukomme, es damit nicht auch Eines werde; und
weil, wenn das Eines das Dasselbige wäre, es nicht mehr
Eines sein würde; daher könne das Eines weder ein Verschie-
â–Ľ. Kircfamann: Ueber Plato*8 Parmenides. 15
denes, noch ein Da^selbiges, weder in Bezug auf Andere,
noch in Bezug auf sich selbst sein.*' — In dieser Weise wird
dann auch bewiesen, dass dem Eines weder das Aehnliche,
noch das Unähnliche zukommen könne. Ueberall werden
diese Beziehungsformen wie seiende und selbstständige Be-
stimmungen behandelt und daraus gefolgert, dass, wenn sie
dem Eines zugelegt wĂĽrden, dasselbe nicht mehr Eins, son-
dern Zwei oder Viele werden würde. Die Gopula „ist** wird so
ausgelebt, als wenn dadurch das Prädikat eines Urtheils das Sub-
jekt desselben als solches ganz aufhöbe und in das Prädikat
▼erwandle. Es gäbe dann allerdings nur tautologische Urtheile.
INese Beispiele werden genĂĽgen, um das obige Urtheil
über die eleatische Dialektik zu erläutern und zu rechtferti-
gen, und es ist schwer zu fassen, wie Hegel solche Dialektik
für das Meisterstuck Platonischer Dialektik hat erklären kön-
nen, obgleich ihr doch nichts Anderes zu Grunde li^, als
eine grobe Verwechselung der Beziehungsformen mit Begriffen
des Seienden. Die ganze Rede des Parmenides bewegt sich
in solchen fehlerhaften Schlüssen. Trotzdem hält äe aber
die Yon den Eleaten fĂĽr ihre Lehre aufgestellte Dialektik ge-
nau ein, und Plato hat sich keine EntsteUung derselben er-
lanbt, wie die Fragmente und die Nachrichten, die wir sonst
über deren Philosophie besitzen, bestätigen, und wie auch
die eigenen, hier von Parmenides dem Sokrates gegebenen
Anweisungen ergeben.
Es liess sich mm schon bei der geistigen Richtung Plato's
erwarten, dass diese Dialektik mit ihren dĂĽrftigen, meist ne-
gativen Resultaten auf die Länge Plato nicht befriedigen
konnte. Auch mochte er wohl schon frĂĽhzeitig bemerkt
haben, dass diese Dialektik bei geschickter Handhabung gleich
gut zum Beweise der entgegengesetzten Behauptungen benutzt
werden könne. So sehr also auch Plato die positiven Gedanken
der eleatischen Lehre hochstellte, so fĂĽhlte er doch, dass mit
deren Dialektik der reiche Inhalt der Welt nicht erfasst wer-
den könne, und er bildete sich allmälig eine andere Erkenntniss-
theorie aus, welche er zwar ebenfalls Dialektik nannte, aber
welche von der eleatischen auf das Erheblichste abweicht,
wie die Dialoge ergeben, in welchen er seine Dialektik dar-
16 V. Kirchmann: lieber Plato's Parmenides. *
gestellt hat. Schon im Phädrus weist er darauf hin; im
Sophisten wird die Dialektik fär die Wissenschaft der Be-
grififsverbindung erklärt; im Philebus wird sie für die höchste
Gabe der Götter und für das wahre Feuer des Prometheus
erklärt, ohne welches die kunstgemässe Behandlung eines
Gegenstandes nicht möglich sei. Am ausführlichsten wird sie
in Buch 5 und 6 der Republik dargestellt. Danach ist ihr
Gegenständ ausschliesslich der Begriff und sie ist das Organ,
mittelst dessen der reine Begriff erreicht wird. Sie zerfallt in
eine doppelte Thätigkeit, in die awoyoiyi; und die duuneaig;
erstere fĂĽhrt das Viele der Einzehien auf einen Begriff
zurĂĽck, letztere lehrt den Begriff in seine Arten zu zerlegen,
ohne eine seiner Gliederungen zu ĂĽbergehen. Wer es ver-
steht, den einen Begriff in den vielen Einzelnen zu erkennen
und umgekehrt denselben durch die ganze Stufenleiter seiner
Arten und Unterarten hindurchzuführen und dadurch die Mög-
lichkeit der VerknĂĽpfung der Begriffe festzustellen, der ist
nach Plato der wahre dialektische KĂĽnstler.
Bei der Begriffsbildung soll die Induktion eingehalten
werden. Der Begriff soll das Wesen der Dinge bieten, und
dieses Wesen besteht in dem, was allen Einzelnen einer Gat-
tung gemeinsam ist; es enthält die entscheidenden Merk-
male desselben. Der Fortgang dieser Erkenntniss soll durch
Beispiele vermittelt werden. Zur mehreren Sicherheit sol-
len dabei auch die negativen histanzen aufgesucht und erwo-
gen werden, und es sollen, wie schon die Eleaten verlangt,
die Folgen nicht bloss bei dem bejahenden, sondern auch bei
dem verneinenden Satze geprĂĽft werden; aber nicht bloss
um, wie die Eleaten wollen, die gewöhnlichen Vorstellungen
aufzuheben, sondern um auch ein positives Resultat zu er-
reichen. Der zweite Theil der Dialektik, die Eintheilung,
bietet umgekehrt die Unterschiede, durch welche die eine
Gattung sich in ihre Arten besondert. Es soll dabei die
natĂĽrliche Gliederung eingehalten, imd die Mittelbegriffe
dĂĽrfen nicht ĂĽbersprungen werden. .
Diese platonische Dialektik trifft, sorgfaltig betrachtet,
genau mit dem induktiven Verfahren zusammen, wie
es schon Aristoteles demnächst eingehalten hat und wie
y. Kirchmann: Ueber Plato's Pannenides. 17
es auch den Fortschritten der modernen Naturwissenschaften
zu Grunde liegt; denn das Einzehie, aus welchem der Begriff
entwickelt wird, kann nur durch Erfahrung kennen gelernt
werden; das Gemeinsame der Vielen kann nur durch genaue
Beobachtung festgestellt werden, und durch dieselben
Mittel kann auch nur erkannt werden, ob eine bestimmte
Verbindung von Begriffen oder ein Gesetz fĂĽr alle Einzelnen
gĂĽltig ist. Die Wichtigkeit der negativen Instanzen fĂĽr die
Induktion ist neuerlich insbesondere von Stuart Mill in sei-
ner Logik ebenfalls dargelegt worden.
Wenn in dem zweiten Theile dieser platonischen Dialektik,
in der Eintheilung, ein Wiederherabsteigen bis zu den unter-
sten Arten verlangt wird, so ist das keineswegs jenes deduk-
tive Verfahren, wie es seit Hegel geltend gemacht worden
ist, wonach aus dem obersten Begriff allein, ohne alle Bei-
hĂĽlfe der Elrfahrung, der weitere Inhalt eines Gebiets, wie er
in den Arten enthalten ist, entwickelt werden soll. Von einem
Umsdilagen des abstrakten Begriffs m sein Gegentheil und von
der dann eintretenden spekulativen Verbindung beider Gegen-
sätze zu einem concreten Begriff ist weder bei Plato, noch
bei Aristoteles eine Spur zu finden, vielmehr erhellt, dass
Plato, wenn er die Einhaltung der natĂĽrlichen Gliederung
verlangt, auch hier die Erfahrung zu Grunde legt und die ge-
naue Beobachtung des Einzelnen verlangt, ohne welche diese
Einhaltung geradezu unmöglich ist Indem bei dem Aufsteigen
zum hdchsten Begriffe die specifischen Unterschiede der nie-
deren und höheren Arten allmälig bei Seite gelegt werden
mĂĽssen, verschwinden sie deshalb fĂĽr den Philosophen nicht,
vielmehr werden sie bei dem Herabsteigen (Eintheilen) aus dem
ihm noch gegenwärtigen Vorrath allmälig wieder aufgenom-
men und dem höchsten Begriffe nach und nach wieder an-
gefĂĽgt. Beispiele sollen dies unterstĂĽtzen, d. h. auch hier
soll das Einzelne, d. h. die Erfahrung und Beobachtung, ĂĽberall
den entscheidenden Anhalt abgeben.
Damit steht denn allerdings die andere Lehre Plato's an-
scheinend im direkten Widerspruch, wonach er die Sinnes-
wahmehmungen fĂĽr kein Mittel zur Wahrheit anerkennt, son-
dern das wahrhaft Seiende (ovreog ov) nur durch das Denken
Pikwoph. Monatsheft« 1861, I u. U. 2
18 y. Kirchmann: Ueber Plato's Pannenides.
erreichen lässt. Indess verschwindet dieser Gegensatz, wenn
man festhält, dass Plato unter dem wahrhaft Seienden nur
das Allgemeine als solches versteht, d.h. die besondere
Form, welche dem mittelst der Erfahrung erlangten bihalte
durch das trennende begrififliche Denken gegeben wird und nur
durch dieses gegeben werden kann. Indem dieses Allgemeine
durch Abtrennung aUes Veränderlichen und Vergänglichen in
den Einzelnen die Natur des Ewigen und Unveränderlichen er-
hält, geräth es bei Plato in einen Gregensatz zu dem Einzelnen,
und Plato ĂĽbersieht, dass trotz diesem Analysiren und Ab-
ti'ennen.der Inhalt, welcher dem Allgemeinen, als einem Ge-
meinsamen und dem Wesen der Einzehien, belassen wird,
doch auch nur aus der Erfahrung stammt; denn er ist der
Rest der in dem Wahrgenommenen enthaltenen Bestimmun-
gen, welcher sonach in allem Einzelnen gemeinsam wahr-
genommen worden ist Indem Plato dies ĂĽbersah, ent-
wickelten sich dadurch bei ihm seine Ideen, die er deshalb
auch in eine andere Welt verlegt, während das irdische Ein-
zelne durch sein Theilhaben an den Ideen (juerex^ey) doch auch
jenes Allgemeine und Ewige in sich enthält.
Wenn so Beides, diese Dialektik Plato's und seine Ide^i-
lehre, richtig verstanden, in keinem Widerspruch stehen, so
erhellt, dass die Erkenntnisstheorie bei Plato genau mit der-
jenigen des neuen philosophischen Realismus ĂĽbereinstimmt;
es war nur eine poetische Zugabe, wenn er das Allgemeine
mit einiem etwas verfeinerten, aber doch sinnlichen Inhalte als
Ideen in eine jenseitige Welt versetzte.
Der grosse Unterschied der platonischen Dialektik gegen
die der Eleaten bedarf sonach keiner weiteren Auseinander-
setzung, und es ist unbegreiflich, wie bei dieser, in der Re-
publik von Plato so ausfĂĽhrlich entwickelten Dialektik Hegel
die Dialektik, welche Parmenides in unserm Dialoge ĂĽbt, fĂĽr
das höchste Meisterstück platonischer Dialektik erklären
kann. Beide unterschieden sich so stark, dass erst mit der
platonischen Dialektik jener grosse Umschwung in der grie-
chischen Philosophie beginnt; erst mit seiner Dialektik wurde
es Plato und später Aristoteles und den übrigen Philosophen-
schulen möglich, ihre Philosophie mit einem reichen Inhalt
T. Kirchmann: lieber Plato's Parmenides. 19
zu erfüllen, während deren doktrinäre Vorgänger, insbeson*
dere HeraUit und die Eleaten, nicht ĂĽber wenige oberste und
abstrakte Sätze hinauskamen und den Uebergang in den Reich-
thum des Concreten zu finden nicht vermochten.
Nachdem Plato seine Dialektik ausgebildet und ihren
hohen Werth in den Ergebnissen seiner philosophischen Un-
tersuchungen erkannt hatte, wird ihm unzweifelhaft auch der
Gedanke gekommen sein^ das Mangelhafte, Gefahrliche und
Schw^mkende der eleatischen Dialektik darzulegen. Es wird
ihm dies um so nothwendiger erschienen sein, als diese Dia-
lektik von den Eleaten, . Me^arikem und Sophisten noch fort-
während benutzt, ja insbesondere von letzteren zu Angriffen
auf seine eigene Ldoure in Anwendung gebracht wurde. Um
diesen seinen Zweck zu erreichen, verfasste Plato
den Dialog Parmenides. Es handelt sich also in ihm durch-
aus nicht um die BegrĂĽndung irgend eines materieUen philoso-
phischen Aussprudis, sondern lediglich um die Methode,
mit welcher von jenen anderen Schulen die Wahrheit ge-
sucht wurde. Die Darl^^ng, dass mit dieser Methode ĂĽber
Tautologien hinaus kein Inhalt 'erlangt, und umgekehrt jede
Behauptung mit ihr bewiesen und auch widerlegt werden
könne, dies war das Ziel, was dem Plato bei diesem Dialoge
vorschwebte. Dieses Ziel war auch fĂĽr seine Zeit bedeutend
genug, um es mit allem Ernste anzustreben, denn ohne Be-
seitigung dieser Methode konnte eine inhaltsvolle Philosophie
nicht geschaffen werden.
Aus diesem Gesichtspunkt aufgefasst, erscheint der Dialog
in allen seinen Theilen zusanunenstimmend ; alles Sonderbare
und Unb^reifliche verschwindet, und zugleich wird dieses
Ziel mit einem Scharfsinn und einer Gewandtheit verfolgt,
welche zeigt, dass Plato diesen Dialog nur erat in seiner
reiferen zweiten schriftstellerischen Periode verfasst haben
kann.
Nichts ist deshalb verkehrter, als in dem Dialog eine
Darstellung der eigenen Philosophie Plato's und zwar in ihrer
tiefsten InnerUchkeit zu suchen; ebenso verkehrt ist es, wenn
gesagt wird, dass die in dem Dialog geĂĽbte eleatische Dia-
lektik als Muster hingestellt sei, oder dass mit ihr die eigene
20 V. Kirchmann: lieber Plato*s Parmenides.
Lehre Plato's eine tiefere BegrĂĽndung habe erhalten sollen,
oder dass ĂĽberhaupt in diesem Dialoge ein materieller Inhalt
habe begrĂĽndet oder habe gezeigt werden sollen, wie die
Lehre derEleaten zu einer höheren Stufe in der platonischen
Philosophie fortgebildet worden sei.
Vielmehr ist der ganze Dialog in einem gewissen ironi-
schen Sinne abgefasst Deshalb hat Plato gerade den Par-
menides zum Hauptredner gewählt; er, als der grösste Phi-
losoph der eleatischen Schule, als der BegrĂĽnder ihrer Dia-
lektik sollte hier gerade durch die consequente AusĂĽbung
dieser seiner Dialektik darthun, dass . dieselbe ein völlig un-
taugliches Mittel zur Gewinnimg der Wahrheit sei. Deshalb
lässt ihn Plato auch äusserlich eine beinahe komische Figur
spielen, welche in einem Athem die stärksten Gegensätze
auf höchst gründliche Weise für gleich wahr darlegt und sich
nicht im Mindesten durch die grellen WidersprĂĽche, welche bei
der Anwendung dieser Dialektik herauskommen, stutzig machen
lässt. Deshalb spielt auch der junge Aristoteles darin eine
höchst traurige Rolle;* er darf nur Ja oder Nein sagen, damit
die Dialektik des Parmenides' keine Unterbrechung in ihrem
Redestrom erleide, und endlich hält es deshalb Plato nicht
der Mühe werth, die unsinnigen Sätze, mit welchen dessen
Rede schliesst, noch einer besonderen Widerlegung zu wĂĽr-
digen, da jener Schluss schon die beste Widerlegung seiner
selbst und der zu diesem Schluss fĂĽhrenden Dialektik ist.
Es bleibt indess noch ĂĽbrig, einige Bedenken, welche
gegen die hier gegebene Ansicht sich vielleicht erheben könn-
ten, zu erledigen. Zunächst könnte man fragen, weshalb,
wenn Plato nur die Widerlegung der eleatischen Dialektik
mit^ diesem Dialog beabsichtigt habe, er diese Widerlegung
nicht direkt so geboten habe, wie es hier in diesem Aufsatze
geschehen ist, und warum er statt dessen nur einen indirek-
ten, gewissermassen Unmöglichkeitsbeweis darin gegeben habe,
der viel umständlicher sei und überdem leicht falsch verstan-
den werden könne, wie die bisherigen Gommentare zeigen.
Dies erklärt sich indess einfach daraus, dass Plato die-
sen direkten Beweis nicht liefern konnte, weil er in Bezug
auf die Beziehungsformen, welche die Hauptmittel der elea-
V. Kirchmann: lieber Plato's Parmenides. 21
tischen Dialektik bildeten, in derselben Unklarheit sich befand,
wie die Eleaten selbst. Die Schwierigkeiten xmd Widerspruche,
zu welchen .diese Beziehungsformen Den, welcher sie fĂĽr sei-
ende Eigenschaften der Dinge hält, führen, hat Plato selbst
in mehreren seiner Dialoge dargelegt; insbesondere im Theätet.
Er gibt da das Beispiel, dass sechs Bohnen, ohne ihre Zahl
zu verändern, gleichzeitig mehr und weniger seien, je nach-
dem man vier oder zwölf Bohnen dagegen hält. Theätet
wSl dem ausweichen; Sokrates stellt deshalb dort fest: 1) dass
niemals etwas mehr oder weniger werden könne, so lange
es sich selbst gleich ist; 2) dass, wenn einem Gegenstände
nichts zugesetzt, noch abgenommen werde, er weder wachse,
noch schwinde; 3) dass das, was vQrher nicht war, unmög-
lich nachher sein könne, ohne geworden zu sein oder zu wer-
den (155 Ä.), welche Sätze Theätet als richtig anerkennt.
Nun gibt Sokrates das Beispiel, dass er selbst jetzt zwar
grösser sei, als Theätet, aber dass er nach Jahresfrist kleiner
als Theätet seui werde, obgleich er selbst in diesem Jahre
weder wachsen noch abnehmen werde; ein Ergebniss,
was offenbar jenen drei Sätzen widerstreite. Und ebenso
werde es sich mit tausend und aber tausend Dingen verhal-
ten. Theätet wundert sich darüber ungemein und erklärt,
dass bisweilen, wenn er dies recht betrachte, ihm ordentUch
schwindlich wĂĽrde. Sokrates lobt ihn deshalb, weil es kei-
nen anderen Eintritt in die Philosophie gebe, als die Ver-
wunderung; anstatt aber nun selbst eine Lösung zu geben,
yerlässt Sokrates diese Frage und geht zur Lehre des Hera-
klit und Protagoras ĂĽber, ohne auf jene Frage zurĂĽckzukom-
men, obgleich in der Lehre jener Männer eine Lösung der-
selben ebenfalls nicht zu finden ist ; denn der Satz des Hera-
klit, dass es nur Bewegung gebe, und der Satz des Protagoras,
dass fĂĽr Jeden das, was er wahrnimmt, auch das Wahre sei,
haben durchaus kerne Beziehung auf jene Frage.
Ganz ebenso verfahrt auch Plato, wenn er in anderen
Dialogen auf diese sonderbaren Ergebnisse der Beziehungsbe-
griffe zu sprechen konunt; msbesondere wbd das Beispiel oft
benutzt, dass Sokrates zugleich älter sei, als sein Schüler,
und auch junger, als sein Vater. Auch da bietet Plato
22 y. Kirchmann: Ueber Plato*s Pannenides.
keine Lösung, sondern verlässt einfach die Frage, wie im
Theätet.
Schon dies deutet an, dass Plato zwar diese Sonderbar-
keit der Beziehungsbegriffe bemerkt, aber selbst keine Lösung
derselben zu bieten vermocht hat. Noch bestimmter erhellt
dies aber daraus, dass Plato von diesen Beziehungsbegriffen
ebenfalls Ideen annimmt, also nach seiner Auffassung ihnen
dieselbe Selbstständigkeit oder seiende Natur beilegt, wie den
seienden Dingen oder deren Eigenschaffen. So behauptet
Sokrates schon in unserem Dialoge, dass es eine Idee von
der Aehnlichkeit und eine andere von der ünähnlichkeit gebe,
und dass die einzelnen irdischen Dinge durch TheUnahme an
diesen Ideen sowohl ähnlich, wie auch unähnlich werden
könnten, ein Ausspruch, der ganz mit der platonischen Ideen-
lehre übereinstimmt. Nun liegt aber darin eine völlige Ver-
kennung der Natur der Beziehungsformen ; denn danach wäre
es möglich, dass eine einzelne Sache für sich allein durch
diese Theilnahme an der Idee der Aehnlichkeit eine ähnliche
werden könnte, ohne dass eine zweite Sache dazu nöthig
wäre, obgleich diese doch nicht entbehrt werden kann, wenn
man von Aehnlichkeit, Verschiedenheit sprechen und ĂĽber-
haupt irgend einen Beziehungsbegriff von einem Gegenstande
aussagen will. Zell er hat in seiner Geschichte der griechi-
schen Philosophie (Bd. II, Erste Abtheilung, S. 585 u. 589,
III. Ausgabe) sehr grĂĽndlich dargelegt, dass Plato in dieser
Weise selbstständige Ideen von den Beziehungsformen (Ver-
hältnissbegriffe nennt sie Zeller) angenommen habe, und viele
Beispiele dazu aus den Dialogen beigebracht. Selbst als Plato
später zweifelhaft wurde, ob er auch Ideen von Dingen, die
der Mensch gemacht, wie Tische, Häuser u. s. w. annehmen
solle, ist er doch nie darauf gekommen, dass selbstständige
seiende Ideen fĂĽr die Beziehungsformen mit der Natur der
letzteren ganz unvereinbar sind.
Dies Alles beweiset vollständig, dass Plato über die Natur
der Beziehungsformen ^ niemals zur Klarheit gelangt ist und
mittelbar ei^bt sich dies auch aus den Schriften seines
SchĂĽlers, des Aristoteles. In seinen Kategorien hat dieser
die Beziehungen, als ra ngog rt, zwar zu einer besonderen
T. Kirchmann: Ueber Plato's Parmenides. 23
Klasse der Kategorien erhoben, und damit schon einen grossen
Fortschritt ĂĽber Plato hinausgethan, allein ĂĽber die Frage,
ob diese Beziehungsformen ein Seiendes oder bloss Vorstel-
lungen sind, die lediglich innerhalb des Denkens auftreten,
ohne dass sie fĂĽr sich ein Seiendes abbilden, ist auch Ari*
stoteles immer schwankend geblieben, wie aus vielen Stellen
seiner Metaphysik und Physik nachgewiesen werden kann.
Hätte also schon Plato darüber Klarheit erlangt, so würde
offenbar auch Aristoteles nicht mehr in ^esem Schwanken sich
bewegt haben.
Wenn also dem Plato diese Klarheit in Bezug auf die
Beziehungsformen abging, so erledigt sich auch damit das an-
geregte Bedenken, weshalb Plato die eleatische Dialektik nicht
direct, statt nur indirect angegriffen habe. Plato konnte
diesen directen Beweis nicht liefern ; aber da er trotzdem von
der Unwahrheit dieser Dialektik ĂĽberzeugt war, so blieb ihm
nur der indirecte Beweis ĂĽbrig und diesen hat er, wie der
Dialog ergibt, auf das GrĂĽndlichste gefĂĽhrt. Wenn er im
ĂĽebrigen den Paimenides gleich im Beginn seiner Rede vie-
lerlei beweisen lässt, was der eleatischen Lehre widerspricht,
z. B. die Grenzenlosigkeit des Eines, während es doch nach dieser
Lehre begrenzt sein und die Kugelgestalt an sich haben soll,
so treffen diese Punkte nicht die Methode, um deren Wider-
legung ihm allein zu thun war. Hier hat er aber mit grosser
Meisterschaft diese Methode genau nach den Vorschriften der
Heaten eingehalten und gerade durch diese consequente Ein-
haltung gezeigt, dass sie schliesslich zu einem Resultate fĂĽhrt,
welches kein vernĂĽnftiger Mensch annehmen kann. Ein solcher
Beweis war fĂĽr jene Zeit der alleinige, welcher ĂĽberdem
auf allgemeines Verstandniss rechnen konnte und welcher
auch wirklich den Erfolg hatte, den Plato bezweckte; denn
diese hohle, täuschende, in Widersprüche verwicketade Dialektik
verschwand sehr bald und die Philosophie nahm von Plato ab
selbst in den einseitigen Schulen der Cyniker, Cyrenaiker, wie
spater in der Lehre des Aristoteles, des Epikur und der
Stoiker eine Richtung, welche immer mehr das Wahrnehmen
zur Geltung brachte und allein es möglich machte, dass die
Pl]ik)sophie sich mm mit einem reichen Inhalt erfĂĽllen konnte.
24 V. Kirchmann: Ueber Plato's Parmenides.
Schwieriger ist ein zweites und letztes Bedenken zu
erledigen, welches sich auf den ersten Theil des Dialogs be-
zieht, wo Sokrates die Ideenlehre Plato's benutzt, um die
dialektischen Beweise des Zeno zu widerlegen. Mit diesen
Bedenken sollen nicht die Verstösse gegen die Chronologie
gemeint sein, welche hier geschehen, denn in dieser Beziehung
hat sich Plato auch in anderen Dialogen manche Freiheit ge-
nommen und sie sind fĂĽr den philosophischen Gedankengang
auch völlig unschädlich. Vielmehr bezieht sich das Bedenken
darauf, dass dieser erste Theil ĂĽberhaupt zu dem dargelegten
Zweck dieses Dialogs gar nicht zu passen scheint, und noch
mehr gilt dies von dem Ausgang dieses Theils, wo Sokrates sich
für überwunden bekennt. Die Erklärungen, welche die Com-
mentatoren bisher hier gegeben, scheinen wenig zu passen. Die
Annahme, dass Plato selbst bei Abfassung des Dialogs mit
seiner Ideenlehre noch nicht im Reinen gewesen, befriedigt
nicht, denn dann lag es doch sehr nahe, diese Benutzung der
Ideenlehre zur Widerlegung der Beweise des Zeno ganz bei
Seite zu lassen. Indess steht dieser Ansicht der noch viel
wichtigere Grund entgegen, dass die EinwĂĽrfe, welche Par-
menides gegen die Ideen macht, genau mit denen ĂĽberein-
stimmen, welche Aristoteles in seiner Metaphysik B. I Kap. 9
dagegen erhebt. Hätte Plato erst nach Abfassung dieses Dia-
logs die GrĂĽnde gefanden, welche diese EinwĂĽrfe beseitigen,
so würde er sie in seinen späteren Dialogen sicherlich geltend
gemacht haben. Dass dies aber niemals geschehen ist, erhellt
eben aus der erst nach Plato's Tod abgefassten Metaphysik
des Aristoteles, da dieser sonst jedenfalls diese späteren Gründe
des Plato erwähnt haben würde.
Noch sonderbarer ist die Meinung, dass die Angriffe des
Parmenides gegen diese Ideenlehre durch den Fortgang des
Dialogs selbst beseitigt und durch die Verbindung von Einheit
und Vielheit ihre Erledigung erhalten haben. Der zweite Theil,
die Rede des Parmenides, zeigt davon nicht die mindeste Spur ;
er erklärf viehnehr die Einheit mit der Vielheit für unverein-
bar, und die Hauptsache, die Darlegung, dass in den Ideen diese
Aufgabe gelöst werde, bleibt völlig aus und konnte auch der
Natur der Sache nach von Parmenides gar nicht geboten
V. Kirchmaim: Ueber Plato^s Parmenides. 25
werden. Hätte Plato diesen ersten Theil, die Ideenlehre zur
Widerlegung der eleatischen Dialektik in dieser Weise benutzen
wollen, so wäre es doch dringend geboten gewesen, entweder am
Ende des ersten oder zweiten Theils dies mit klaren Worten aus-
zufĂĽhren und nicht dem Gegner das letzte Wort zu lassen.
Dazu kommt, dass ja die Ideenlehre an demselben Fehler, wie
die eleatische Dialektik leidet. Die Beziehungsbegriffe werden
in ihr ebenso wie bei den Eleaten zu selbststandigen Seins-
begriffen und zwar jede fĂĽr sich zu einer Idee erhoben und
können dadurch, wie schon dargelegt worden, ihre Aehnlich-
keit, ihre Gleichheit, ihre Grösse u. s. w. schon einer ein-
zelnen Sache durch Theilnahme an ihnen mittheilen, ohne
dass ein zweiter Gegenstand dazu erforderlich ist, durch wel-
chen doch diese Begriffe erst einen Sinn und eine Bedeutung
erlangen. Indem diese Verwechslung der Beziehungen mit
seienden Bestimmungen den wunden Punkt in der elea-
tischen Dialektik bildet, kann offenbar die Ideenlehre, welche
an dem gleichen Fehler leidet, nicht zu deren Widerlegung
benutzt werden. Femer wird in diesem ersten Theile vieles
verhandelt, was auf die eleatische Dialektik keinen Bezug
hat; insbesondere die Unbestimmtheit, wie weit Ideen fĂĽr
die einzelnen Arten der Dinge anzunehmen sind und die
Unklarheit, welche in dem Theilhaben (jievex^tv) der sinn-
lichen Dinge, an den Ideen enthalten ist, und welche Plato
bis an sein Ende nicht hat beseitigen können. Ja zuletzt be-
nutzt Parmenides in diesem ersten Theile einen Grund, bei
welchem er der Wahrheit rĂĽcksichtlich der Natur der Be-
ziehungen viel näher konunt, als es in der Ideenlehre ge-
schieht. Er zeigt, dass die Idee der Herrschaft sich nur auf die
Idee der Knechtschaft in dem Reiche der Ideen beziehen
könne, imd dass beide Ideen sich nicht auf die Herren und
die Knechte der irdischen Welt beziehen können, da die Be-
ziehung, als Idee aufgefasst, nothwendig auch ihr Bezogenes
in ihrer eigenen Welt haben mĂĽsse und nicht in einer ganz
von ihr geschiedenen irdischen Welt, weil jede Beziehung noth-
wendig Gleichartigkeit zwischen Beziehendem und Bezogenem
verlange. Gerade bei diesem Punkte erklärt sich Sokrates
fär besiegt.
26 â–Ľ. Kirchmann: Ueber Plato's Parmenides.
Nach der Ansicht des Unterzeichneten dĂĽrfte sich die
Sache wohl einfach so erklären lassen: Plato war allerdings
mit seiner Ideenlehre schon im Reinen, als er diesen Dialog
abfasste, und sein Zweck dabei war, die Nichtigkeit der elea-
tischen Dialektik darzulegen. Er war damals aber auch schon
von der vollen Wahrheit seiner eignen Lehre ĂĽberzeugt, und da
diese Wahrheit sich mit den Resultaten der eleatischen Dialektik
nicht vertrug, so benutzte er seine eigene Lehre zunächst als
ein Beweismittel gegen diese Dialektik, indem er durch die
von Parmenides geschehende Anwendung dieser Methode zeigte,
dass, wenn man ihr vertraue, auch die Ideenlehre dadurch
zerstört werden könne. Da nun aber die Wahrheit dieser
Ideenlehre für Plato und seine Anhänger unbedingt feststand
und durch eine viel vollkommenere Dialektik nach Plato's
Ueberzeugung erwiesen war, so lag in diesem ersten Theile
des Dialogs ebenfalls ein indirekter Beweis, dass die eleatische
Methode nichts tauge, weil nämlich selbst das Wahre durch
sie in WidersprĂĽche verwickelt und zu Nichte gemacht wer-
den könne. Auch hier ist akb die Rede des Parmenides nur
ironisch im Sinne Plato*s aufzufassen. FĂĽr Plato galt diese
Widerlegung der Ideenlehre durch Parmenides, obgleich dieser
das letzte Wort dabei behält, nicht als eine wirkliche Wider-
legung, vielmehr folgte gerade daraus, dass sie selbst die Ideen
angreifen konnte, obgleich diese fĂĽr Plato und seine Schule die
höchste Wahrheit enthielten, umgekehrt, dass die Dialektik der
Eleaten nichts tauge. Der Beweis ist auch hier nur ein in-
direkter, da Plato, wie erwähnt, den direkten Beweis nicht
fĂĽhren konnte, und deshalb schweigt er auch auf diese Ein-
wĂĽrfe des Parmenides. Gerade das formell logisch Richtige
von dessen Begründungen war für Plato und seine Anhänger
ein Beweis mehr, dass diese Dialektik dennoch eine falsche
sein müsse, weil sie eben selbst die höchste Wahrheit, das
Dasein der Ideen zweifelhaft zu machen vermöge.
Da indess dieser Beweis vielleicht schon bei seinen An-
hängern und noch mehr bei den anderen Schulen nicht für
völlig genügend gelten konnte, so dehnte Plato im zweiten
Theile des Dialogs seine Aufgabe weiter aus und zeigte, dass
mit dieser Dialektik auch die eigene Lehre der Eleaten, sowie
^ â–Ľ. Kirehmann: Ueber Plato's Parmenides. 27
ĂĽberhaupt jedweder positive oder negative Ausspruch ver-
nichtet werden könne. Damit ergibt sich auch der enge Zu-
sammenhang beider Theile; das was der erste begonnen hat,
erhält m dem zweiten seine Vollendung, und um dieses Zieles
willen lässt Plato im ersten Theüe den Parmenides auch Ein-
wiirfe erheben, die nicht gerade mit der eleatischen Dialektik
zusammenhängen. Dergleichen Abschweifungen und Auswei-
chungen von dem Thema sind ĂĽberhaupt in den Dialogen
Plato's keine Seltenheit. Auch das, was Plato in dem mit
dem Parmenides verwandten Dialog Theätet den Sokrates über
seine Hebammenkunst und über das Wesen des ächten Phi-
losophen sagen lässt, sind Beispiele solcher Abschweifungen,
welche daher gegen eine sonst begründete Erklärung und Auf-
fassung unseres Dialogs nicht geltend gemacht werden können.
So kann das schliessHche Ergebniss der hier geschehe-
nen Untersuchung dahin zusammengefasst werden, dass Plato
in diesem Dialog weder seine eigene Lehre, noch ĂĽberhaupt
ein materielles philosophisches Thema hat entwickeln und
begrĂĽnden wollen, sondern er hat lediglich zeigen wollen,
dass die Dialektik der Eleaten eine durchaus schlechte Me-
thode enthalte, welche, anstatt zur Wahrheit hinzufĂĽhren,
in ihrer folgerechten Anwendung vielmehr zur Aufhebung
jeder Wahrheit und jedes philosophischen Systems fĂĽhre.
Diesen Beweis hat aber Plato nur indirekt führen können,
weil er die Natur der Beziehungsformen noch nicht klar er-
kannt hatte und gerade in dem falschen Gebrauch dieser der
Hauptmangel der eleatischen Dialektik enthalten war ; er konnte
deshalb nur jene indirekten Beweise bieten, wie sie sowohl
im ersten, wie im zweiten Theile des Dialogs enthalten sind.
Dies Ergebniss könnte noch weiter im Einzelnen durch
viele Stellen des Dialogs gerechtfertigt werden; indess ist
dazu hier der Raum nicht vorhanden. Leser, welche sich
dafür mteressiren, können diese Benutzung des Einzelnen in
der Uebersetzung und den Erläuterungen dieses Dialogs finden,
welche in einiger Zeit in der philosophischen Bibliothek bei
der Bachhandlung Eoschny in Leipzig erscheinen werden.
Berlin, im Juli 1880. v. Kirchmann,
28 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. i
Die Aefgabe der Brkemtnisstheorie ond die Wudt'sehe LogiL
IL
Indem ich mich nach dem Gesag^n zu dem in der Ueber-
schrift genannten Werke wende, habe ich zunächst nicht nöthig
zu constatiren, dass wir es in demselben mit erkenntniss-
theoretischer, nicht lediglich formaler Logik zu thun haben.
Bezeichnet sich ja der vorliegende erste Band ausdrĂĽcklich
als Erkenntnisslehre. FĂĽr die ZurĂĽckweisung einer bloss for-
malen Logik fĂĽhrt weiterhin die Einleitung den doppelten
Grund an, dass dieselbe die Denkgesetze nur aufstelle, ohne
ihr Entstehen und die GrĂĽnde ihrer GĂĽltigkeit zu zeigen, und
dass sie es unterlässt, die wissenschaftlichen Verfahrungs-
weisen auf ihre logischen Regeln zurĂĽckzufĂĽhren. Freilich
werden nun trotz dieser Erklärung, der zufolge offenbar
Logik in ihrem ersten und grundlegenden Theile nichts anders
wäre, als ein Stück Psychologie, — denn wie anders als auf
dem Wege psycholo^cber Untersuchung sollten die Grund-
lagen des Erkennens gefunden werden können ? — es werden,
sage ich, trotzdem gleich Eingangs Logik und Psychologie der
Art einander gegenĂĽbergestellt, dass der ersteren ausschliess-
lich die Aufgabe zufaUt, festzustellen, wie sich der Verlauf
unseres Gedanken entwickeln solle, während diese zu zeigen
hat, wie sich derselbe wirklich vollzieht. Es erklärt sich aber
dieser scheinbare Widerspruch leicht, wenn man bemerkt,
dass die Aufstellung der Denknormen immerhin als das eigent-
liche Ziel der logischen Wissenschaft erscheint und darum
auch wohl (S. 7) fĂĽr sich und abgesehen von der Erkennt-
nisslehre als Logik bezeichnet wird. Damit soll dann doch
nicht die erkenntnisstheoretische BegrĂĽndung fĂĽr auch ent-
behrlich erklärt, das Sollen seiner nothwendigen Wirklichkeits-
basis beraubt werden.
Sollte an der Richtigkeit dieser Auffassung auf Grund
der Einleitung noch Zweifel bestehen können, so würde der-
selbe völlig gehoben durch den ersten Abschnitt des Werkes
(„von der Entwicklung des Denkens^O» ^^^ ^^ erkenntniss-
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkezmtnisstheorie etc. 29
theoretische Log^ aus der Psychologie durchaus hervorwachsen
lässt, der Art, dass erst im dritten und letzten Kapitel des-
selben das Logische diejenigen Bestimmungen erhält, die es
ihm möglich machen, vom allgemein Psychologischen sich zu
sondern und fernerhin selbstständigere Wege zu wandeln.
Gehen wir auf den genannten Abschnitt etwas näher ein.
Wir haben dann zunächst zu constatiren, dass als die erste
Stufe in der Entwicklung des Denkens die der associativen
Verbindungen (Kap. I) zu gelten hat, dass dieser als zweite
Stufe die der apperceptiven Verbindungen folgt, die bereits
ausdrĂĽcklich als Denkverbindungen bezeichnet werden, dass
endlich hierzu im dritten Kapitel die Dreizahl von Merkmalen
kommt, die den eigenthĂĽmlichen Werth des Denkens vor
sonstigen geistigen Vorgängen allererst vollständig begreiflich
macht
Es fĂĽhren aber den Namen der associativen diejenigen
Verbindungen, „die vermöge irgend welcher Beziehungen der
Vorstellungen zu einander ohne die unmittelbare Mitwirkung
der Apperception hergestellt werden", während als appercep-
tive diejenigen bezeichnet werden, bei deren Zustandekommen
jene den Vorstellungsverlauf begleitende Willensthätigkeit activ
eingreift. Damit ist weder gesagt, dass jene lediglich den
associativen Gesetzen ihr Dasein verdanken, noch dass bei
diesen die Association gar nichts zu thun hätte. Vielmehr
entscheidet ĂĽberall erst der Akt der Apperception, welche
von den vielen auf Grund der Association möglichen Verbindun-
gen wirklich ausgefĂĽhrt wird (S. 25) und mngekehrt muss
ĂĽberaD Association vorhanden sein, wo eine Verbindung ge-
schehen soll. . Es ist aber von der activen Apperception, die
iinter verschiedenen sich darbietenden Verbindungen eine be-
stimmte selbstthätig auswählt, wohl jene andere passive Willens^
thätigkeit zu unterscheiden, die entweder nur die an und für
sich schon herrschenden Empfindungen in den Blickpunkt des
Bewusstseins hebt, oder in ihrer Auswahl durch irgend welche
Dispositionen des Bewusstseins bestimmt ist. Ist bei den asso-
ciativen Verbindungen jene Apperception niemals entbehrlich,
so sind apperceptive Verbindungen solche, bei denen die active
Apperception vorherrscht.
30 Th. lApjpB: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
Man könnte hier schon die Beantwortung zweier Fragen
vermissen, die doch von entscheidender Wichtigkeit scheinen.
^ Die eine geht dahin, ob man denn mit dem Verfasser eine be-
sondere, den Vorstellungsverlauf auf besondere Weise beeinflus-
sende Apperceptionsthätigkeit überhaupt annehmen dürfe ; die
andere lautet, ob nicht, falls sie existirt, auch die active Apper-
ception, wie die passive von irgend welchen nicht dem Wollen
angehörigen Factoren derart beeinflusst zu denken sei, dass ein
thatsächlicher Unterschied der beiden im Grunde nicht bestehe.
In der That denke i c h wenigstens hinsichtUch der ersten Frage
nicht wie der Verf. Wo ein a ein b bestandig oder in vielen
Fällen begleitet, so, dass ein Gausalzusammenhang zwischen
beiden feststeht und doch nicht b fĂĽr die Ursache des a ge-
halten werden kami, da besteht immer noch die doppelte
Möglichkeit, einmal dass a Ursache des b sei, und dann, dass
a nur als ein Nebenerfolg der wahren, vielleicht der immittel-
baren Wahrnehmung sich verbergenden Ursache des b zu
gelten habe. So ist der Blitz, diese Lichterscheinung, nicht
die Ursache des Donners, sondern ein zweites Produkt eben
des Naturvorgangs, der auch den Donner erzeugt So ist das
eigenthĂĽmliche SpannungsgefĂĽhl, das wir haben, wenn wir
Gegenstände heben, nicht die Ursache der Bewegung, sondern
das begleitende Phänomen, in dem sich die Auslösung der
manchfachen, unserm immittelbaren Bewusstsein unzugäng-
lichen mechanischen Vorgänge, deren schliessliches Resultat
die Bewegung ist, unserer Empfindung verräth. Ich meine
nun, dass wir auch in den eigenthĂĽmlichen inneren Spannun-
gen, die vrir bei gewissen Vorstellungsvorgängen empfinden,
nichts ^Anderes zu sehen haben, als die Phänomene, durch
welche gewisse Weisen der Vorstellungen sich gegenseitig
zu beeinflussen und gegeneinander zu arbeiten, von ihrem Vor-
handensein Kunde geben. Sie brauchen dann doch mit diesen
ihrer eigensten EigenthĂĽmlichkeit nach unbekannten Momenten
des psychischen Geschehens nicht mehr Aehnlichkeit zu haben,
als das SpannungsgefĂĽhl im Arme mit den molekularen Vor-
gängen, die der Bewegung des Gliedes voraufgehen.
Ich bin aber auch weiterhin der Meinung, dass, wenn
der vom Verfasser statuirte Willenseinfluss existirte, dennoch
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenn tnisstheorie etc. 31
immer etwas in der Seele existiren mĂĽsste, das den Willen
veranlasste, diesen und nicht jenen Vorstellungen auf diese
und nicht jene Weise zu Gute zu kommen, und dass dies
Etwas in jedem Falle in einer besonderen Beschaffenheit der
Vorstellungen selbst oder in irgend welcher sonstigen „Dis-
position" des Gemäths — der Ausdruck ist allgemein genug
— bestehen müsste, dass demnach allerdings der Vorgang der
actiyen Apperception mit dem der passiven, wie ihn der Ver-
fasser beschreibt, im Wesentlichen zusammenstimmen wurde.
Daraus folgt ein Doppeltes. Haben ĂĽberhaupt die apper-
ceptiven Vorgänge, ich meine diejenigen psychischen Akte,
die nicht ohne begleitende Wollungen zu Stande kommen,
eine besondere erkenntnisstheoretische Bedeutung, dann darf
man, vorausgesetzt dass Erkenntniss wirklich aus ihren letzten
zugänglichen Gründen erklärt werden soll, sich in keinem
Falle damit begnügen, für diese Vorgänge entsprechende
Willensakte einfach verantwortlich zu machen, vielmehr muss
man suchen — sei es auch nur im Allgemeinen — die Fac-
toren aufzuzeigen, die nach der einen Ansicht den Willen ver-
anlassen, diese oder jene Leistung zu voQziehen, nach der
andern die Vorstellungsvorgänge und mit ihnen zugleich das
begleitende Willensphänomen zu Wege bringen. Sind zwei-
tens gewisse „apperceptive" Vorgänge a vor andern b er-
kenntmsstheoretisch bedeutsam, dann kann der Vorzug der
a in keinem Falle auf einem thatsächlichen Unterschied der
Activität und Passivität der Apperception beruhen, da ja die
Apperception, wenn sie ĂĽberhaupt ein Besonderes ist, immer
gleich acĂĽv und passiv heissen muss, viehnehr besteht auch
hier die Forderung, weiter zurĂĽckzugehen auf den Unterschied
derjenigen psychischen Factoren, die die active oder passive
Apperception machen, bezw. das Bewusstsein der Acti-
vität oder Nichtactivität allererst in uns erzeugen.
Dem Verfasser nun sind die activen Apperceptionen von
derart besonderer erkenntnisstheoretischer Bedeutung, dass
sie im Grunde das Denken im Unterschied vom blossen Ver-
knĂĽpfen und Aneinanderreihen von Vorstellungen machen.
Oder vielmehr — es scheint nur, als solle mit dem Gegen-
satz der beiden Apperceptionen eine scharfe Scheidung der
32 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
Denkakte von sonstigen Vorstellungsleistungen gewonnen sein.
In Wirklichkeit tritt im weiteren Verlauf der Untersuchung
jener Gegensatz in den Hintergrund und es bleiben nur ab-
geleitete Bestimmungen, die keineswegs mit ihm zugleich
stehen und faUen.
Ich hebe von diesen Bestimmungen hier schon eine hervor.
Es hat nämlich ohne Zweifel das Denken vor dem gewöhn-
lichen Verlauf des associativen Vorstellens den Vorzug, von be-
stimmten Punkten aus nach bestimmten Zielen hin sich zu be-
wegen, mithin geregelt zu verlaufen, ĂĽeberall aber, wo dies der
FaD ist, wo in unserm Vorstellungsleben derart herrschende
Punkte sich finden, die Anderes nach sich bestimmen, Vorgänge
in Bahnen lenken, die sie sonst nicht eingeschlagen haben wĂĽr-
den, da entsteht in uns ein Bewusstsein der Thätigkeit, Ac-
tivitat, Spontaneität. Folglich wird das Denken von einem
solchen Bewusstsein nothwendig begleitet sein. Dies ist aber
nicht Alles. Nähere Untersuchung zeigt auch, dass in ge-
wissen Phänomenen des WoUens, in gewissen unserem Acti-
vitätsbewusstsein angehörigen Erscheinungen also — denn
auf Willensphänomenen, die unser Vorstellen begleiten, beruht
das Bewusstsein der innem Activität — das specifisch Eigen-
thĂĽmliche besteht, das das Denken von allen sonstigen Be-
wusstseinsvorgängen unterscheidet.
Der Verfasser nun ist es, der die Spontaneität des Den-
kens deutlich in's Licht stellt und das Denken schon in sei-
nen ersten Anfangen ausdrücklich als eine „unmittelbare innere
Willenshandlung*^ bezeichnet Dass und wie er dies thut,
scheint mir im höchsten Maasse werthvoU. Immerhin bleibt,
wie ich meine, zu bedauern, dass er darauf verzichtet, die
besondere Art der Willensphänomene, die das Eigenthümliche
des Denkens ausmachen, vor anderen zu bezeichnen und den
psychologischen Gründen dieses wie des Activitätsbewusst-
seins überhaupt weiter nachzugehen; da nicht nur Activität
überall ist, wo Vorstellen ist, imd insbesondere das „willen-
loseste*^ Phantasiespiel unter Umständen ebenso spontan sein
kann, wie das spontanste Denken, sondern auch das Be-
wusstsein der Spontaneität möglicherweise ebenso stark
imd sogar stärker vorhanden ist, wo wir nicht denken, son-
Th. LippB: Die Aufgabe der Ertcenntnisstheorie etc. 33
dern aus blosser Laune, oder weil ein vom logischen weit
abliegendes Interesse uns treibt, jetzt auf dies dann jenes
Object oder Theilobject unsere Aufmerksamkeit concentriren.
Muss ja doch allgemein zugestanden werden, dass ebenso die
blosse Abgrenzimg eines a von einem nahestehenden b, wie
die Erkenntniss der besonderen Gesetzmässigkeit, die jenes
Yor diesem beherrscht, zu um so grösserer Klarheit gelangen
wird, je weiter die Aufdeckung der letzten Elemente und
Grande der beiden gediehen ist.
Wir sind hier einer eigenthämlich mittleren, die psy-
chologische Erklärung nur bis zu einem gewissen Punkte her-
beiziehenden erkenntnisstheoretischen Stellung des Verfassers
beg^[net Wir werden derselben weiterhin begegnen.
Innerhalb der associativen Verbindungen werden die si-
multanen von den successiven unterschieden und ihnen voran-
gestellt. Wiederum zerfallen jene in associative Synthesen,
Assimilationen und Gomplicationen, derart, dass die Synthese
„durch die Verschmelzung elementarer Empfindungen zusam-
mengesetzte Vorstellungen zu Stande bringt^S die Assimilation
„in der simultanen Verschmelzung einer neu ehitretenden mit
einer bereits befestigten Vorstellung besteht", und endlich
unter Gomplication „die simultane Verbindung zusammenge-
setzter Vorstellungen . verschiedener Sinne" verstanden wird.
Me diese Verbindungen haben das Gemeinsame, dass bei
ihnen die sich verbindenden Vorstellungen immer „mehr oder
minder verändernd auf einander einwirken". Eben dies un-
terscheidet sie von den successiven Associationen, bei denen
„im ADgemeinen jede einzelne Vorstellung diejenige Beschaf-
fenheit behält, die sie auch im isolirten Zustande besitzen
wĂĽrde".
Analc^ den associativen zerfallen auch die apperceptiven
oder Denkverbindungen m simultane und successive; und
zwar sind jene entweder Vorstellungsagglutinationen oder Ver-
schmelzungen (apperceptive Synthesen der Vorstellungen) oder
endlich Begriffsbildui^en, während diese nacheinander den
einfachen und den zusammengesetzten Gedankenverlauf zu
Wege bringen. Alle simultanen Verbindungen der Appercep-
tion erzeugen Gresammtvorstellungen, d. h. „solche Erzeugnisse
PhUoeoph. Monatahefte 1881, I u. U. 3
34 Th. Lipps: Die Aufj^^abe der Erkenntnisstheorie etc.
des Denkens, in denen sich mehrere Vorstellungen zu einer
neuen vereinigen, die von zusammengesetzter Beschaffenheit
ist''. Sie unterscheiden sich aber dadurch von einander, dass
bei der Agglutination die neue durch Verbindung aufeinander
folgender Vorstellungen entstandene Gesammtvorstellung jene
noch als ihre Elemente in sich enthält, während bei Ver-
schmelzung und Begriffsbildung ein solcher Fortbestand der
Elemente nicht mehr stattfindet. Speciell ist der Begriff
„die durch active Apperception vollzogene Verschmelzung einer
herrschenden Einzelvorstellung mit einer Reihe zusammenge-
höriger Vorstellungen". Von allen simultanen Verbindungen
des Denkens sondern sich — freilich ohne scharfe Grenze —
die successiven dadurch, dass bei ihnen „die mit einander
verknüpften Vorstellungen stets ihre Selbstständigkeit bewah-
ren, niemals also in eine einzige Vorstellung verschmelzen
können''.
Im Einzelnen geben die Erörterungen der verschiedenen
Stufen und Unterstufen zxmächst zu zwei Bemerkungen Ver-
anlassung. Die eine ist mehr psychologisch - erkenntnisstheo-
retischer Natur, die andere bezieht sich auf des Verfassers
Stellung zum Sprachlichen.
Unter die associativen Synthesen der Vorstellungen fallen
neben anderen Vorgängen die Verschmelzungen der Grund-
töne mit ihren Obertönen zu einem einzigen Klange. In die-
ser Unterordnung liegt eine Zweideutigkeit.' Verschiedenartige
Erregungen cei as co, die unter gewissen Bedingungen jede
fĂĽr sich eine Tonempfindung ai aa as erzeugen wĂĽrden, er^
zeugen unter anderen Bedingungen thatsächlich nicht diese
Einzelempflndung, sondern eine davon verschiedene Empfin-
dung A, die nur mit einer jener nicht zu Stande kommen-
den ai as dB gleiche Höhe besitzt. Dies ist doch wohl der
thatsächliche Vorgang. Soll derselbe als Verschmelzung be-
zeichnet werden, so kann er höchstens eine Verschmelzung
an sich unbewusster und darum ihrer EigenthĂĽmlichkeit nach
psychologisch völlig unbekannter psychischer oder physiolo-
gischer Erregungen zu einem und demselben Empfindungs-
oder Vorstellungseffect A heissen, niemals aber im eigent-
lichen Sinne eine Verschmelzung von Empfindungen zu einer
Th. Lipps: Die Aufgabe der ErkenntniBstheorie ete. 35
•
davon verschiedenen anderen Empfindung. Ich empfinde nicht
einen Gnmdton und daneben mehrere Obertöne, indem ich
den Trompetenton t höre und ich empfand nichts derglei-
chen, ehe ich zur Wahrnehmung von t ĂĽberging, sondern
was ich empfand, war immer nur der eine so oder so nĂĽan-
cirte Ton t. Freilich kann ich bei angestrengter „Aufmerk-
samkeit" oder Hinzuziehung mechanischer HĂĽlfsmittel dazu
kommen, einen der Töne ai a2, die den einzelnen Erregungen
ci OB entsprechen, fĂĽr sich wahrzunehmen. Dann beweist
dies doch nicht, dass die ai as etc. in A stecken, sondern
nur, dass in der Gesammterregung, deren Resultat A
ist, ein a steckt, und dass es Mittel gibt, dies so zu steigern,
dass es statt weiter mit den anderen o zusammenzuwirken,
fĂĽr sich einen psychischen Erfolg zu Wege bringt.
Wie bei der Synthese, so findet auch bei der Assimi-
lation der Begriff der Verschmelzung Anwendung. Wir sind
„zur Voraussetzung gezwungen, dass mit der Einwirkung des
Sinneneindrucks in einem fĂĽr unser Bewusstsein untrennbaren
Akte die Reproduction der älteren Vorstellung stattfindet,
welche dann sofort mit der neuen in eine einzige Vorstellung
verschmilzt". In der That ist der Vorgang hier im Wesent-
lichen derselbe, nur dass nicht verschiedene, sondern gleiche
Erregungen zu einem Vorstellungsobject zusammen wirken.
Die Vorstellung R = a b c sei aus dem Bewusstsein verschwun-
den. Nun gelange an die Seele ein Reiz, dem die Vorstel-
lung Ri = a d e entspricht. Dann erregt dieser Reiz zugleich
die von R zurückgelassene Spur zur Wiedererzeugung zunächst
des in R enthaltenen a. Statt dass aber das ganze R neben
dem ganzen Ri , also a b c neben ade erzeugt wird, vereinigt
sich das, was in der reproductiven Erregung dem a entspricht,
mit der auf ein gleiches Empfindungsresultat gerichteten Thä-
tigkeit des Reizes zur gemeinsamen Hervorbringung eines ein-
zigen a. Da dem Reiz ausser a ein d e entspricht und die
reproductive EIrregung vermöge einfacher Association sich der
Spur von b und e mittheilt, so ist das Gesammtresultat
A = a b c d e.
Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch wirkliche Vor-
steflongen in eine einzige ĂĽbergehen oder ihr Platz machen
36 Th. Lipps: Die Aufig^abe der Erkenntnisstheorie ete.
könnten; vielmehr findet dergleichen beispielsweise da immer
Sta^, wo Objecte, die erst doppelte Bilder ergaben, nach-
träglich fixirt werden. Sie nähern sich einander, um schliess-
lich in einem einzigen zu verschwinden. Aber auch hier ist
es unrathsam, von Verschmelzung zu sprechen, als steckten
die beiden Vorstellungen in der einen, wenn auch unselbst-
ständig und nicht mehr unterscheidbar, wie zwei Metalle ilii
und ms, die zu dem einen M verschmolzen wurden. Uebri-
gens denkt der Verfasser weder bei der Synthese, noch bei
der Assimilation an ein solches nachträgliches Uebei^ehen zweier
Vorstellungen in eine. Unmittelbar erscheint dort der als
Vorstellung absolut einfache Klang, hier die zusammengesetzte
Vorstellung abcde. Dann meine ich, könne er auch nicht
umhin, alles, was Verschmelzung zu heissen ein Recht hat,
den unbewussten und unbekannten Erregungen zu ĂĽberlassen
und den wirklichen Vorstellungen keine Weise der Verbin-
dung zuzugestehen, als die einfache raumzeitliche Aneinander-
fugung. Die Freiheit, der .KĂĽrze halber und nach Analogie
der latenten Wärme dasjenige, was nicht Vorstellung ist, aber
imter gĂĽnstigen Bedingungen Vorstellungen erzeugt, auch schon
als Vorstellung zu bezeichnen und in dem Sinne auch von
Vorstellungsverschmelzungen zu sprechen, diese Freiheit ist
damit nicht ausgeschlossen, nur dass sie die Verpflichtung in
sich schliesst, darĂĽber zu wachen, dass nicht der Gleichheit
der Namen die Gleichheit der Sachen sich unterschiebe.
Nur in einem Falle scheint mir die Annahme, eine Mehr-
heit von Vorstellungen, gleichgĂĽltig ob verschmolzen oder
nicht, könne da zugegen sein, wo wir nur eine Vorstellung
in uns finden, einen verständlichen Sinn zu geben, dann
nämlich, wenn man allen Ernstes von solchen wirklichen Vor-
steOungen glaubt sprechen zu dĂĽrfen, die trotz ihrer Wirk-
lichkeit nicht Gegenstand unseres Bewusstseins seien; oder
vielmehr die Verständlichkeit hat für mich dann erst recht
ein Ende. Ich unterlasse es aber, meine GrĂĽnde fĂĽr diese
Behauptung auseinanderzusetzen und begnĂĽge mich, zu con-
staĂĽren, dass demselben Urtheil, wie die unbewussten, auch
die halb- oder dunkelbewussten Vorstellungen verfallen, und
dass die Sache um nichts besser wird, wenn man statt des
Th. Lipp0: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 37
Bewusstseins von einer Vorstellung diese selbst dunkler oder
schwächer werden, sich steigern oder verdeutlichen lässt.
Oder vielmehr ich äberlasse auch hier die Frage der Mög-
lichkeit oder Unmöglichkeit sich selbst, um nur darauf zu
dringen, dass die genannten Seelenzustände und Vorgänge
wenigstens nicht Gegenstände unmittelbarer Wahrnehmung
sein, also auch da, wo es sich um unmittelbar bewusste Un-
terschiede zwischen Geistesinhalten handelt, nicht in Betracht
kommen können. Wir nehmen in uns ausser den Vorstel-
lungsinhalten gar nichts wahr, kein Bewusstsein, also auch
kein Verfaaltniss der bihalte zu diesem Bewusstsein, keine
vorstellende Thätigkeit, also auch keine Steigerung oder Min-
denmg dieser Thätigkeit.
Ich leugne damit nicht, dass alle jene AusdrĂĽcke Erfah-
rungsthatsachen bezeichnen, ich leugne nur, dass sie dieselben
auf exacte Weise bezeichnen, hnmerhin brauchte daraus kein
allzu grosser Schade zu erwachsen, wenn es immer dieselben
genau bestimmten Vorgänge wären, die man als Steigerung
oder Herabstimmung des Vorstellens, als Hervor- oder ZurĂĽck-
treten im Bewusstsein etc. bezeichnet. Aber dies ist keines-
wegs der Fall. Zwar haben die Vorgänge, die diese uneigent-
lichen Namen tragen, das Gemeinsame mit einer Verstärkung
oder Abschwächung des Einflusses der Vorstellungsinhalte auf
den sonstigen Verlauf des geistigen Geschehens, einer Erhöhung
bezw. Verminderung ihrer psychischen Bedeutung verbunden
zu sein. Aber diese Verstärkung oder Schwächung, Er-
höhung oder Verminderung kann auf die verschiedenste Weise
zu Stande kommen. Vorstellungen können intensiv oder qua-
litativ sich verändern, hinsichtlich ihrer Dauer oder der Zahl
ihrer Elemente gewinnen bezw. Einbusse erleiden, ihnen selbst
fremdartige Zusätze der mannichfaltigsten Art erlangen resp.
verlieren, immer wird, vorausgesetzt, dass damit jener Erfolg
verknäpil ist, der Sprachgebrauch bereit sein, mit den Uni-
versabiamen der Hebung und Zurückdrängung im Bewusst-
sän, der Beleuchtung oder Verdunkelung, oder wie sonst die
Ausdrücke lauten mögen, dem Benennungsbedfirfnisse ent-
gegen zu kommen. Ja, er vrird die AusdrĂĽcke gelegentlich
selbst da anwenden, wo Vorstellung^i völlig neu entstehen,
38 Tb. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
bezw. als Vorstellungen gänzlich verschwinden, mithin von
Hervor- und Zurücktreten eines in seinem Bestände unver-
änderten Inhaltes sicher gar keine Rede ist.
Dass, wenn dem so ist, das sich BegnĂĽgen mit der un-
eigentlichen Ausdrucksweise . keinen Schutz gewähren kann
gegen die Gefahr der Vermischung des Heterogenen und Son-
derung des Gleichartigen, dies leuchtet ein. Umgekehrt muss,
wo diese Gefahr vermieden werden soll, nothwendig jene Bil-
dersprache in die Sprache der Thatsachen ĂĽbersetzt und da-
mit zugleich das unbestimmt Allgemeine auf seine concreten
Fälle reducirt werden. Es ist aber schon gesagt, worin die
concreten Fälle bestehen, was mit dem Hervor- und Zurück-
treten etc. gemeint sein kann. Vorstellungsinhalte können
kommen, kürzer oder länger beharren, verschwinden und sich
verändern, sie können mit anderen, der objectiven Welt des
Räumlichen, der Töne, Farben etc. oder der subjectiven der
Lust und des WoUens angehörigen Vorstellungen engere oder
weniger enge Verbindungen eingehen, und es kann aus alle dem
eine Erhöhung resp. Verminderung ihrer psychischen Bedeu-
tung resultiren: hierin fasst sich alles zusammen, was Gegen-
stand unserer unmittelbaren inneren Erfahrung sein kann.
Der Rest besteht in unbewussten und ihrer EigenthĂĽmlichkeit
nach unbekannten Vorgängen, die für unser Geistesleben, also
auch fĂĽr die Thatsache der Erkenntniss nur in soweit Be-
deutung haben, als sie in jenen bewussten Vorgängen ihren
Einfluss geltend machen, deren Vorhandensein wir auch nur
aus den Thatsachen des unmittelbaren Bewusstseins er-
schliessen.
Der Verfasser nun verwendet die uneigentlichen und
allzu allgemeinen Bezeichnungen, von denen wir reden, so-
wohl zur Erläuterung der Apperception überhaupt, als ins-
besondere zur Verdeutlichung der durch Apperception zu
Stande kommenden Verschmelzung in ziemlich reichem Maasse;
und er thut es, ohne ihre Uebersetzung in die Sprache auf-
findbarer Thatsachen oder gär die Erklärung dieser That-
sachen, mithin auch ohne eine eigentliche Erklärung der
Apperception und Verschmelzung fĂĽr die Aufjgabe der Er-
kenntnisstheorie zu halten. Ich denke, wenn ich dies be-
Th. Lipps: Die Au^abe der Erkenntnisstheorie etc. 39
daur^, nicht daran, das Verdienst der betreffenden Erörte-
rungen zu bestreiten; ich bedaure es aber um so mehr, da
sich voraussehen lässt, dass die Sonderung von Vorstel-
lungsYorgangen, um die es sich handelt, unter der Allge-
meinheit jener Namen zu leiden haben wird.
Unbewusste, dunklere oder dunkler bewusste Vorstel-
lungen dienen dem Verfasser vor Allem zur Verdeutlichung
des Verschmelzungsprocesses der associativen Synthese. Er
bezeichnet s(^ar, ohne in Widerspruch zu fallen, — da beide
Ausdrucke nicht den Werth einer Erklärung haben können, —
das Verhältniss der den Obertönen entsprechenden Erregun-
gen zu dem aus ihnen und der Grundtonerregung gemeinsam
resultirenden Klange das eine Mal damit, dass er die Ober-
töne dunkler vorbestellt sein (S. 14), das andere Mal damit,
dass er sie in dem Resultat völlig unbewusst vorhanden sein
lässt (S. 31). Weiter geschieht es dem Verfasser zufolge bei
der Gliederung unmittelbar gehörter oder reproducirter Takte
durch Betonung emzelner Schläge — einem Falle der Agglu-
tination -~ lediglich durch die Thätigkeit der activen Apper-
ception, dass wir einzelne Töne „stärker gehoben denken*^
Ueherhaupt ist es eine Erscheinung, die bei jeder Appercep-
tion stattfindet, dass sie einige oder wenige Vorstellungen
„bevorzugtes „während die übrigen im dunkleren Umfang
des Bewusstseins bleiben^' etc.
Vergleicht man die einzelnen Erörterungen, so findet man
in der That die BefĂĽrchtung, des Verfassers Verzichlleistung
werde es zu einer durchgehends sachgemässen Sonderung
nicht kommen lassen, bestätigt. Mir wenigstens scheint sol-
ches gleich bei der associativen Synthese der Fall zu sein.
Es wird nämlich diesem Begriff neben der Verschmelzung der
Tonerregungen zu Klängen auch die Lokalisation der Gesichts-
empfindungen auf Grund der Lokalzeichen und der Bewe-
gungs- oder Innervationsempfindungen untergeordnet, ob-
gleich hier, was wenigstens die Innervation angeht — mit
den Lokalzeichen scheint mir die Sache wiederum eine an-
dtte — der Hergang ein völlig verschiedener ist. Denn wäh-
rend dort die einzelnen Obertonerregungen, anstatt die ihnen
entsprechenden Empfindungen zu erzeugen, mit dem Gnmd**
40 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
ton zur Erzeugung eines eigenthĂĽmlich geĂźlrbten Klanges zu-
sammenwirken und dies nur zu thun vermögen, indem sie
auf selbstständige Hervorbringimg von Obertönen verzichten,
entstehen hier die Innervationsempfindungen thatsächUch, sie
können sogar — man denke nur an das Stereoskopiren
mit blossem Auge — geradezu empfindlich sich bemerkbar
machen, ohne dass dadurch der Erfolg, das Bewusstsein einer
gewissen Entfernung a vom Beschauer etwa, im Mindesten
beeinträchtigt würde. Demnach ist die Lokalisation etwas
neben den Bewegungsempfindungen, nicht ein anstatt ihrer
zu Stande kommendes, und es braucht ihr Verhältniss zu
diesen kein anderes zu sein, als dasjenige, das auch zwischen
ihr und der Perspective besteht, d. h. das Verhältniss der
landläufigen Association. Der ganze Vorgang aber fiele, wenn
man ihn unter eine der Kategorien des Verfassers unter-
bringen wollte, unter die Assimilation. Mit einem Innerva-
tionsgefähl hat sich das Bewusstsein der Entfernung a erfah-
rungsmässig verknüpft. Nun entsteht, indem ich ein Object bi-
nocular fixire, dasselbe InnervationsgefĂĽhl. Dann verschmelzen
die beiden -~ ich gebrauche wissentlich den ungenauen Aus-
druck — und an die resultirende Innervation schliesst sich eben
das Entfernungsbewusstsein, das ehemals damit verbunden war.
Ich unterlasse es, die ausgesprochene BefĂĽrchtung weiter
zu rechtfertigen. Dass bei der Agglutination von gleich star-
ken und in ihrer gleichen Stärke trotz der „Apperception^^
verharrenden Tönen a b c ai bi ci zu Takl^anzen (abc und
aibici) die Bevorzugung einzelner Töne a und ai, soweit
sie zum Bewusstsein kommt, lediglich darin besteht, dass
mit ihnen (den a und ai) auf irgendwie zu erklärende Weise
ein besonderes Interesse, eine Willensempfindung, vielleicht
ausserdem noch ein körperliches Innervationsgefühl sich ver-
bindet, dass also die A^lutination — ich meine den be-
wussten Vorgang — in diesem Falle als ein Beispiel eigen-
thümlicher Association zu gelten hat, — gegen diese Behaup-
tung, meine ich, kann die allgemeine Erfahrung nichts ein-
zuwenden haben. So spielen ĂĽberhaupt die Associationen
mit subjectiven Vorstellungselementen, Wollungen, Lust- und
UnlustgefĂĽhlen, Empfindungen eines so oder so beschaffenen
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. H
Interesses, die dem Verfasser in den Allgemeinnamen der
Apperception, Verschmelzung, Hebung etc. verschwinden, in
der Ei^enntnisstheorie eine hervorragende RoUe.
Man verzeihe die Weitläufigkeit, die ich mir bei Bespre*
diung eines einzelnen Punktes gestattet habe. Ich that es,
wdl es sich dabei nicht um den einzelnen Punkt, sondern
um einen fär die ganze Psychologie und damit auch die Er-
kamtnisstheorie bedeutsamen Gegensatz der Verfahrungswei*
sen handelt. Wir sind, so meine ich, im Begriffe, in diesen
Wissenschaften mehr und mehr der Erklärung durch Abstrac*
ticmen, Anthropomorphismen, Bilder zu entsagen und uns nur
da auf festem Boden zu glauben, wo wir die letzten auffind-
baren Thatsachen in greifbarer Bestimmtheit vor Augen sehen.
Wir haben aber noch nicht völlig mit jenen Eindringlingen
gebrochen, so dass noch gar manche ihr Wesen treiben,
denen eine genauere Prüfung ihres Heimathrechtes zu völli-
gem Verderben ausschlagen musste. Und doch werden und
mĂĽssen wir zu jenem Ziele gelangen, um so sicherer, je deut-
licher uns durch die hervorragenden Erkenntnisstheorien und
Psychcdogien unserer Tage, insbesondere die Werke des Ver-
fassers, der Weg dazu vorgezeichnet ist.
Ebenso principieller Natur ist der Punkt, mit dem es die
zweite der oben angekĂĽndigten Bemerkungen zu thun hat.
Dass die Erkenntnisslehre sich zunächst von der Sprache mög-
lichst unabhängig zu verhalten habe, um dann erst die Frage
nsLch dem Verhältniss der beiden zu erörtern, diese Forde-
nmg meinte ich schon in dem ersten dieser Aufsätze aus-
sprechen zu mĂĽssen. Der Verfasser nun steht auch in dieser
Hiiiacht auf jenem eigenthĂĽmlich mittleren Standpunkt, der
den Unterschied des Sprachlichen und Logischen nicht ver-
kennt und dennoch die beiden enger miteinander verkettet,
als es für Erkenntniss der logischen Vorgänge einerseits und
der Bedeutung der sprachlichen Formen und Gesetze anderer-
seits wĂĽnschenswerth erschemen kann. Dies zeigt sieh, wie
späier, so auch schon in dem Abschnitt der Erkenntnisslehre,
mit dem wir es hier zu thun haben.
f^Ffir die (apperceptive) Verschmelzung bieten sich vor-
zugsweise auf dem Gebiet der Sprache charakteristische Bei-*
4f2 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
spiele dar'^ Diese allgemeine Erklärung muss, so will mir
scheinen, von vornherein befremden. Wie können für rein
psychologische Thatsachen Belege in der Sprache gefunden
werden? Freilich, wir sehen bald, wie Solches gemeint ist
„Während wir in einem Worte wie »Heerfährer« noch deut-
lich die beiden Elemente Heer und Fährer als gesonderte
Vorstellungen auffassen, daher auch das Bewusstsein sich zu-
nächst die Elemente vergegenwärtigen wird, ehe es die aus
ihnen resultirende zusammengesetzte Vorstellung bildet, sind
in Worten wie »Herzog«, »Marschall« und andern, diese
Elemente vollständig unselbstständig geworden. Nur das Wort
als Ganzes hat noch eine Bedeutung, so dass hier in einem
Akte die gesammte Vorstellung vor unser Bewusstsein tritt,
ohne dass wir vorher die Elemente zu appercipiren brauchen,
aus denen sie ursprünglich hervorg^angen ist." — Es han-
delt sich darnach um die Bezeichnung eines vielfaltigen In-
haltes durch ein Wort, um ihre Vereinigung, wenn wir so
wollen, in einem einzigen Akt der Benennung. Es ist aber
auch deutlich, dass man den Vorgang eine Verschmelzung
von Vorstellungen nur dann nennen kann, wenn man
nicht nur den Unterschied zwischen dem Verhältniss der Vor-
stellungsinhalte untereinander und dem Verhältniss derselben
zu dem bezeichnenden Worte gänzlich zur Seite lässt, sondern
auch ausserdem das Wort Verschmelzung in einem noch viel
unbestimmteren Sinne nimmt, als es bei der assodativen Syn-
these vom Verfasser genommen wurde.
Setzen wir mit Beiseitelassung des Herzogs und Marschalls
dem Worte HeerfĂĽhrer das gleichbedeutende General entg^fen,
dann ändert sich das Verhältniss der Vorstellungselemente
ab cd, deren Einheit ich als Heerfährer oder General be-
zeichne, untereinander selbstverständlich in keiner Weise, wenn
ich von der einen Benennung zur anderen öbei^ehe. Dagegen
erleidet allerdings das Verhältniss eben dieser Elemente zu
dem bezeichnenden Worte eine gewisse Modification. Indem
ich mir den Sinn des Wortes HeerfĂĽhrer zum Bewusstsein
brachte, konnte ich wenigstens so verfahren, dass ich zu-
nächst die ürtheile fällte: a und b gehören dem Worte- Heer
an und c und d stehen im selben Verhältniss zum W<^e
Tb. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.. 43
Fährer, um dann erst zum Gesammturtheil überzugehen,
ab und cd geben zusammen den Sinn des Wortes Heer-
führer; wogegen mein Verständniss des Wortes General in
dem unmittelbaren Bewusstsein von der Zusammengehörigkeit
von ab cd zu dem betreffenden Worte besteht, ohne dass
ich Veranlassung hätte, dies eine Urtheil durch irgend welches'
Doppelurtheil vorzubereiten. Nun ist es ohne Zweifel eine
wichtige Frage der Erkenntnisstheorie, wie es zugehe, dass
ein Wort viele Vorstellungselemente, ohne sie in ihrem Be-
stand und gegenseitigen Verhältniss zu beeinträchtigen, also
auch ohne sie zu verschmelzen, dennoch in gewissem Sinne
in eins zusanmienfassen könne; aber dies Problem ist nur
ein specieller Fall des allgemeineren, wie es zugehe, dass
überhaupt ein Prädikat mehrere Vorstellungen zusammen-
fassen, auf sie als Ganzes sich beziehen könne. Denn das
Bewusstsein , dass a b c d zusammen den Sinn des Wortes
General ausmachen, ist hinsichtlich seines erkenntnisstheore-
iischen Werthes von dem Urtheil, dass Sauerstoff und Wasser-
stoff zusammen Wasser geben, nicht verschieden. Will man
dies objective Thatsachenurtheil eine Verschmelzung der
Vorstellungen Sauerstoff und Wasserstoff nennen, so kann
man auch jenem Benennungsurtheile den Namen Verschmel-
zung' der Vorstellungselemente a b c d zugestehen. Scheut
man sich dort den Namen anzuwenden, dann steht es fest,
dass bei den Vorgängen, die der Verfasser als apperceptive
Verschmelzungen bezeichnet, von Verschmelzung in keiner
Weise die Rede sein kann. In jedem Falle aber schehit
mir, was jene „Verschmelzungen^^ besonderes bieten, nicht in
die Lehre von den Vorstellungsverbindungen, die noch nicht
Urtheile sind, zu gehören, sondern mitten in der Urtheilslehre
selbst seine Stelle zu fmden.
Es ist nicht die Absicht dieser Aufsätze, die Leistungen
der Wundt'schen Erkenntnisslehre, die nicht immer mit dem
Standpunkt der Betrachtung zugleich stehen und faUen, im
iänzelnen darzulegen und zu beurtheilen. Worauf es mir im
Wesentlichen ankonmit, ist nur eben jener Standpunkt der
Betrachtung. Ich unterlasse es darum, die weiteren Erörte-
rungen ĂĽber die Bedeutung jener apperceptiven Verschmel-
44 .Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
Zungen aber Verschiebung, Verdichtung und Zerfiiessung der
Vorstellungen, die nicht aufhören* von biteresse zu sein,
mögen sie nun diesem oder jenem Kapitel der flrkenntniss-
lehre angehören, nach Gebühr zu würdigen. Ich unterlasse
es ebenso, den lichtvollen Erörterungen über Entstehung der
Begriffe, insbesondere der Zurückweisung der „verworrenen
Gesammtvorstellungen^^ die nirgends auffindbar, dennoch den
Begriffen zu Grunde li^en sollen, im Einzelnen zu folgen, um
nur zu zeigen, wie auch in der Definition des Begriffs einer-
seits die unbestimmte Allgemeinheit der Verschmelzung von Vor-
stellungsinhalten, andererseits die Neigung, Sprachliches und
Gedankliches innerhalb der Darstellung in eins „verschmel-
zen" zu lassen, sich bemerkbar macht.
Alles was unser Geist von Vorstellungen besitzt, findet
sich in der mannichfachsten ViTeise direct und indirect ver-
knüpft und verflochten, und mögen zwei Vorstellungen a und b
im Uebrigen noch so wenig mit einander gemein haben, so
wird es doch niemals an einem Mittelgliede c fehlen, das sie
verbindet und insofern als zusammengehörig erscheinen lässt.
Die Begriffe nun hsben ohne Zweifel die Bedeutung, in die-
sem Gewebe, da Alles mit Allem zusammenhängt, Grenzen
zu stecken und einheitliche Gebiete zu schaffen; vielmehr, sie
sind selbst solche einheitliche Gebilde, durch deren Zustande-
kommen das sonst Ordungslose geordnet imd gegliedert
wird. Es scheint aber nur einen Weg zu geben, wie solche
Einheiten entstehen können, wenn nämlich Elemente sich
finden, die mit jedem Glied einer Vorstellungsmenge a, b, c,
d etc. in durchgängiger directer Verknüpfung stehen, wäh-
rend sie dem Versuche anderer Vorstellungen ai , bi , ci , di etc.
in ein gleich unmittelbares Verhältniss zu ihnen zu treten,
sich entgegensetzen. Es fragt sich, wo in unserm Geiste
diese einheitlich festen Mittelpunkte gefunden werden können.
Des Verfassers Definition des Begriffs gibt des Verfassers
Antwort. Die festen Punkte finden sich in den zu vereini-
*
genden Vorstellungen selbst, als deren „herrschend" gewor-
dene, gemeinsame Bestandtheile. Der Begriff ist „die durch
active Apperception vollzogene Verschmelzung einer herr-
schenden Einzelvorstellung mit einer Reihe zusammengehöriger
Th. Lippe: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 46
VorsteOuDgen^'. Nicht als ob, wenn ein Begriff, der der
Pflanze etwa, thatsachĂĽch vollzogen, also die herrschende
Vorstellung h — in unserm Beispiel = Ernährung, Fortpflan-
zung, Mangel animalischen Lebens — ins Bewusstsein erhoben
wird, nun auch die ganze Reihe der zusammengehörigen Vor-
stellungan Ă„i, As, As etc. (Rose, Eiche, Flechte etc.) zugleich
mit ins Bewusstsein trete. Viehnehr wird dieser Vorzug immer
nur einer 'einzigen derselben zu Theil. Aber während sonst
die VorsteDung eines einzelnen Gegenstandes jeder willkär-
lichen Veränderung Hindemisse entgegensetzt, ist es bei die-
ser Vorstellung der Apperception gestattet, „beliebig zu einer
andern VorsteUung der Reihe abzuschweifen*\ Eben dies
macht dieselbe zur Stellvertreterin des ganzen, an sich un-
YorsteObaren BegriflEs.
Halten wir uns zunächst an die letzte Bestimmung. Sie
ist offenbar von entscheidender Wichtigkeit. Wir därfen bei
der VorsteDung des Begriffs — so wird die Vollziehung der
repräsentativen Vorstellung geradezu genannt — beliebig zu
einer andern VorsteUung abschweifen. Und wir dĂĽrfen es
nicht bloss, sondern wir sind uns dessen auch bewusst. Sonst
wĂĽrde sich ja der Begriff von jeder beliebigen Einzelvorstel-
lung fĂĽr unser Bewusstsein gar nicht unterscheiden. Dies ge-
steht denn auch der Verfasser ohne Weiteres zu. Dem Wahl-
akte, durch den die repräsentative Vorstellung ins Bewusst-
sein gehoben wird, ist das begleitende Bewusstsein wesentlich,
„dass eine andere Handlung statt der vollzogenen möglich
gewesen wäre". Nun kann dies begleitende Bewusstsein
sicher auf keine andere Weise zu Stande kommen, als da-
durch, dass neben der rep];,äsentativen Vorstellung Ai, wenn
auch nur fĂĽr einen Augenblick, eine beliebige andere Vorstel-
lung As oder As wirklich von mir vollzogen wu*d, und ich
mir zugleich bewusst bin, dass dieser Wechsel fĂĽr das, wor-
auf es mir ankommt, nichts verschlägt. Mithin ist es un-
mö^ch, dass für den Begriff die eine stellvertretende Vor-
stellung vollständig genüge. Oder wie kann ich mir bewusst
srin, ein anderes A thue dieselben Dienste wie Ai, wenn fĂĽr
mein Bewusstsein ein solches anderes A gar nicht existirt?
Zwar scheint der Verfasser dieser Selbstverständlichkeit zu
46 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
widersprechen, wenn er ausdrücklich erklärt, wer sich von
den Eigenschaften eines Dreiecks im Allgemeinen Redienschafl
geben wolle, fixire ein bestinamtes Dreieck durch die Auf-
merksamkeit, und Ton anderen Dreiecken sei „weder deutlich
noch undeutlich die Rede". Es leuchtet aber ein, dass wir
nach dieser Angabe nur verfahren, so lange wir an die all-
gemeinere Bedeutung unserer ĂĽrtheile und SchlĂĽsse nicht den-
ken. Thun wir dies, werden wir uns bewusst, linser Rai-
sonnement gelte auch fĂĽr andere Dreiecke, so heisst dies
nichts anderes, als: wir ersetzen das Dreieck, sei es auch nur
in einem momentanen Akte, durch em beliebiges anderes, und
constatiren zugleich, dass daraus der Richtigkeit unseres logi-
schen Verfahrens kein Schade erwachse. Wodurch sollte sich
denn auch die stellvertretende Vorstellung von jeder andern,
die nur sich selbst repräsentirt, der Nachweis, dass dem Drei-
eck ĂĽberhaupt die Eigenschaften abc zukommen von dem
Nachweis, dass dies bestimmte Dreieck sie besitzt, fĂĽr unser
Bewusstsein unterscheiden, wenn nicht durch diesen beglei-
tenden Bewusstseinsvorgang. Freilich fehlt beim Verfasser
ein Unterschied übei^haupt keineswegs. Er lässt sogar eine
doppelte Möglichkeit offen. Entweder man hat sich die mit
Ai zusammengehörigen Vorstellungen vermöge veränderter
Associationsbedingungen „leichter disponibel" zu denken, als
wenn Ai auf einen einzelnen Gegenstand sich bezieht, oder
man muss annehmen, dass die Apperception „mehr geneigt
ist, auf dieselben ĂĽberzugehen". Aber damit ist doch, wie
es scheint, auch nach des Verfassers Meinung, nur erklärt,
wie das Abschweifen von der repräsentativen Vorstellung zu
einer andern damit zusammenhängenden thatsächlich ge-
schehen könne, nicht aber, wie wir von dem Rechte, die
Abschweifung zu verwirklichen, ein Bewusstsein haben kön-
nen. Die leichtere Disponibilität der Vorstellungen As As und
die besondere Geneigtheit der Apperception zu As oder As
ĂĽberzugehen, sind an sich ĂĽberhaupt nicht Bewusstseins-
inhalte, können also auch an sich nicht bihalte des Bewusst-
seins heissen, das die repräsentative Vorstellung für uns zur
repräsentativen macht. Werden sie aber zu Bewusstseins-
inhalten, dann kann dies nur dadurch geschehen, dass in
Th. Lippe: Die Aufgabe der Eri:emitnlBstheorie ete. 47
meinem Bewusstsein As einem beliebigen Inhalte B wirklich
denVcHTang abläuft oder die Apperception wirklich mit grös-
serer Leichtigkeit auf As äbergeht, als auf ein sonstiges G.
leh meine, den Verfasser täuscht die AUgemeinheit des Aus-
drucksi wir sind uns bewusst, dass auch „eine andere Hand-
lung^' möglich sei. Dann dürfen wir uns doch nicht dadurch
täuschen lassen. Auch der Möglichkeit oder Erlaubtheit einer
Handlung können wir uns nicht bewusst sein, ohne uns eine
Handlung vorzustellen und dann sie als möglich zu denken.
Die Handlung aber, worum es sich hier handelt, ist der Akt
der „Apperception^^ und nicht der Apperception überhaupt,
sondern der Apperception eines As oder As etc.
Dies letztere fĂĽhrt uns aber weiter. Dem Wahlakt, wo-
durch die repräsentative Vorstellung Ai entsteht, ist das Be-
wusstsein wesentlich, dass an die Stelle von Ai eine andere
Vorstellung treten könne. Aber nicht jede beliebige Vorstel-
lung. Vielmehr beschränkt sich die Freiheit auf die mit der
stellvertretenden zusanmfiengehörigen , d. h. diejenigen Vor-
steUungen, die durch das herrschende Element h unter ein-
ander und mit ihr verschmolzen sind. Dann ist, da ich un-
möglich mir bewusst sein kann, unter einer gewissen Bedin-
gung etwas thun zu dĂĽrfen, wenn ich nicht auch die Bedingung
selbst im Bewusstsein trage, dem Wahlakt auch das Bewusst-
sein eben dieser Zusammengehörigkeit oder Verschmelzung
durch h wesentlich, und es erhebt sich, ehe das Wesen des
Begriffs vöDig klar gemacht werden kann, nothwendig die
Frage, worin dies Bewusstsein der Verschmelzung bestehen
könne.
Da »gibt sich nun, dass unter Verschmelzung hier wie-
derum etwas wesentlich anderes verstanden sein muss,
als bei der associativen Synthese und Assimilation. NatĂĽrlich
kann, und damit bestätigt und erweitert sich das oben Ge-
sagte, das Bewusstsein der durch h zu Stande kommenden
Verschmelzung zwischen Ai und As ohne ein Bewusstsein
von Ai, As und h nicht gedacht werden. Es muss also die
aufgeworfene Frage genauer lauten, in welcher gegenseitigen
Begehung stellen wir Ai, As und h vor, wenn wir uns der
repräsentativen Natur von Ai bewusst sind. Darauf könnte
48 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
man sich zunächst versucht fu^en, zu antworten: Mit dem
den Ai und As gemeinsamen, nur einmal vorhandenen h ist
einerseits der Rest von Ai, andererseits der von As in un-
serem Bewusstsein verbunden. Aber dies ist unmöglich, eine
herrschende Vorstellui^ h in diesem Sinne ist eine Illusion.
Nur so kann die Sache gedacht werden, dass mit einem
h = hi das Ai mit einem h==h2 des As verschmolzen er-
scheint. Oder sollte es angehen, zwei Dreiecke von verschie-
dener Gestalt und Grösse so vorzustellen, dass die herr-
schende Vorstellung des Begriffs Dreieck, die Dreizahl der
Winkel, nur einmal in uns zugegen wäre und auf diese Weise
die beiden Exemplare der Gattung verschmölze? Nur in Wor-
ten kann derartiges — und noch viel mehr — möglich er-
scheinen, die psychologische Wirklichkeit widerstrebt. So
scheint es, als wäre mit der ,, herrschenden^^ Vorstellung h
gar nichts ausgerichtet. Denn spaltet sich diese auch wie-
derum in ein hl, hs, As etc., so entsteht die Frage, wie diese
h mit einander verschmolzen oder unter einander verbunden
seien.
In der That wĂĽrden trotz der h die Ai As ewig einan-
der fremd bleiben, wenn es nicht neben dem blossen Vor-
stellen von Objecten ein Denken gäbe, das zwischen Objecten
Beziehungen knüpft, die in ihnen — zwar begründet, aber
keineswegs enthalten sind. Die Gleichheit ist eine dieser Be-
ziehungen, und sie bildet auch in unserm Falle das sonst
nicht vorhandene verbindende Element. Zwar spricht man
auch von Vorstellungen der Gleichheit, behauptet gele-
gentlich, Objecte als einander gleich .vorzustellen, aber
dieser Sprachgebrauch kann uns doch nicht hindern, auf
Grund einfacher Erfahrung dabei zu bleiben, dass ein mit
jenem Namen zu bezeichnender Vorstellungsinhalt, der zwi-
schen die Objecte tretend sie verbände, so wie Raum und
Zeit dies aUerdings vermögen, nirgends in unserm Bewusst-
sein angetroffen werden kann. Das Bewusstsein dieses Ver-
hältnisses entsteht viehnehr immer erst in unserm beziehen-
den Denken, ist, genauer gesprochen, ein Bestandtheil, ein
Prädicat gewisser Urtheile oder Urtheilscombinationen. Wir
setzen die Objecte urtheilend einander gleich, wir, die den-
Th. Lipps: Die Aufgabe der ErkenntniBstheorie ete. 49
kenden Subjecte, sind es auch, die in unserm Falle die Ai
und As urtheilend in die Gleichheitsbeziehting einfĂĽgen,
auf Grund zwar der hi hs, aber ohne dass in hi oder hs
oder zwischen ihnen die Gleichheit als verbindendes Vorstel-
lungselement angetroffen werden könnte. Somit besteht —
und dies ist das Ergebniss, auf das ich hinaus will, — der
Begriff ziun Theo in Urtheilen, ja es sind die Urtheile das-
jenige, was den Begriff von blossen Associationen erst macht,
und es ist unmöglich, aber sein Wesen Klarheit zu erlangen,
ehe jenes bezeichnende Denken, jene besondere Art von
Urtheilscombinationen, in denen das Gleichheitsbewusstsein
als untrennbares Element enthalten ist, — nicht mit Worten
unischrieben, sondern mit greifbarer Bestimmtheit erkannt
worden ist — Dass dem Begriff ausserdem noch Urtheile
vorangehen, ist etwas, das hier nicht in Betracht kommt.
Wie wenig den zum Begriff zu vereinigenden Vorstel-
lungen angehörige Bestandtheile geeignet sind, die Einheit des
Begriffs und damit seinen Bestand zu sichern, dies muss na-
tĂĽrlich um so deutlicher in die Augen fallen, je weniger
Ton gemeinsamen Bestandtheilen der Art die Rede sein
kann. Von verschiedenen Dreiecken kann man am Ende in
gewissem Sinne sagen, es komme ihnen dieselbe Dreiheit von
Winkeln zu, von den verschiedenen gelben Dingen kann man
dagegen sicher nicht mehr behaupten, sie seien durch die
eine Vorstellung „gelb*^ vereinigt, da zu deutlich einleuchtet,
dass es eine solche Vorstellung nicht gibt. Von vornherein
zerfallt hier h (= gelb) in verschiedene hi ha hs (goldgelb,
schwefelgelb etc.), und was die gelben Objecte verknĂĽpft, ist
riehnehr die Beziehung der Aehnlichkeit, als die der Gleich-
hdt. Es gut aber auch von der Aehnlichkeitsbeziehung, dass
sie erst im beziehenden Denken, in Urtheilscombinationen
entstdiL
Idi gehe aber noch einen Schritt weiter. Nicht einmal
die in Rede stehenden Vorstellungseinheiten einschliesslich
der verknĂĽpfenden Gleichheits- oder Aehnlichkeits - Urtheile
scheint mir der Sprachgebrauch als Begriffe zu bezeichnen.
Angenommen, ich habe bei Betrachtung von Objecten R, S, T
jedesmal einen Process der Ernährung und Fortpflanzung, der
PhikMoph. Xonatshefte 18B1. l u. U, 4
60 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenninisstheorie etc.
doch die denThieren eigene Empfindungsfähigkeit ausschloss,
vorgefunden und vermöge irgend welches Interesses zum Gegen-
stande besonderer „Aufmerksamkeit'^ gemacht, habe auch die
R, S, T mit einander verglichen und die Aehnlichkeit hin-
sichtlich jener Vorgänge entdeckt und so eine Reihe von
zusammengehörigen Vorstellungen in mir zu Wege gebracht.
Nun erwache das Interesse an den in Rede stehenden Vor-
gängen gelegentlich von Neuem, ich stelle also eines der Ob-
jecte, ein R (eine Rose) etwa, vor, verbinde aber damit das
Bewusstsein, dass ich eben so gut ein S oder T (eine Eiche
oder Flechte) hätte wählen können, dann scheint es mir, als fehle
damit dem Begriff der Pflanze noch ein wesentliches Ele-
ment, ja die eigentliche Hauptsache. Dies Element ist aber
kein anderes, als — die Pflanze selbst, *der Name also, all-
gemein gesprochen, genauer das Bewusstsein der Zugehörig-
keit aller jener Objecte zu dem Sinne eines bestimmten. Wor-
tes. In der That schreiben wir allgemein dem einen Begriff
von einem P zu, der weiss, was man unter einem Worte
versteht, während wir schwerlich von Begriffen reden wer-
den, wo jede gemeinsame Bezeichnung fehlt.
Man wird sich erinnern, dass ich Eingangs dieser Aus-
lassung ĂĽber den Begriff die Forderung aufstellte, dass ein
Element mit den zum Begriff zu vereinigenden Vorstellungen
in durchgängiger directer Beziehung stehe. Nachher Hess ich
— im Widerspruch mit dem Verfasser — diese Forderung
fallen und begnĂĽgte mich mit den mannichfaltigen zwischen
den Vorstellungen geknĂĽj^ften Beziehungen der Gleichheit und
Aehnlichkeit. Jetzt wiederum scheint es, als mĂĽsse doch ein
solcher fixer Mittelpunkt zugestanden werden und als verlange der
Sprachgebrauch, dass der Name denselben abgebe. Ist dem
so, dann hat der Sprachgebrauch einen Vorzug der Worte
vor sonstigen Vorstellungen richtig erkannt. Es ist nämlich
in der That nichts so wie sie zum festen Mittelpunkt einer
Vielheit von Vorstellungen geeignet. Fälle ich die Bezeich-
nungsurtheile : R, S, T u. s. w., sie alle tragen den Namen P,
dann ist eben damit jedes der Objecte in gleicher Weise mit
P verknĂĽpft, und in Folge davon auch mit jedem andern zu
einem alles Fremde ausschliessenden Ganzen verbunden.
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenninkstheorie etc. 51
Diese Annahme der Nothwendigkeit des Wortes ziun Be-
griff wird noch bestätigt durch ein weiteres Moment. Der
Begriff schliesst das Bewusstsein der Nothwendigkeit einiger,
der blossen Möglichkeit anderer Elemente in sich. Dies Be-
wusstsein entsteht aber erst mit der Bezeichnmig. Nicht ĂĽber-
haupt, nicht weil das Merkmal durch die Vorstellung der Er-
nährung und Fortpflanzung mit gefordert wäre, sondern nur,
weil das, was ich denke, den Namen Pflanze tragen soll,
muss ich mit den genannten. Elementen den Mangel der Em-
pfindung verbinden.
Wenn ich nun aber die beiden Ăśrtheile : R, S, T u. s. w.
tragen den Namen P, und : Zum Sinn des Wortes P gehören
nothwendig die Elemente a, b, c und keine andern^ mit ein-
ander verbinde, was fehlt dton noch zur Vollkommenheit des
Begriffes P?
Wie dem aber sei, jedenfalls bleibt dies bestehen, dass
bei Entstehung unserer Begriffswelt — ich rede nicht von
den Anfangen der Begriffsbildung ĂĽberhaupt, die erst in zwei-
ter Linie in Frage kommen sollten — die Bezeichnung in der
Regel sogar den Ausgangspunkt bildet. Ich hörte erst dies,
dann jenes Object als Pflanze bezeichnen. Dadurch entstand
eine Einheit mannichfaltiger Vorstellungen, in der das Wort
Pflanze den Mittelpunkt bildete. Allmälig lernte ich erkennen,
weldies die letzten und unerlässlichen Bedingungen seien,
unter denen der Sprachgebrauch das Wort anwende. Damjt
gewann ich, was der Verfasser die herrschende Einzelvorstel-
long nennt. Wo diese Bedingungen erfüllt wären, glaubte
ich nun jedesmal von einer Pflanze sprechen zu dĂĽrfen. Da-
mit war ich in den vollen Besitz des Begriffes gelangt. Der
Weg aber, auf dem ich zu dem allgemeinen Benennungsurtheil
und damit zum Begriffe gelangte, ist kein anderer, als der
der Induction. Ins Kapitel von der Induction gehört — we-
nigstens auch — die Lehr^ von der Entstehung der Begriffe.
Der Verfasser nun ist weit davon entfernt, den Namen
als etwas dem Begriffe Irrelevantes zu betrachten. Nur dass
ihm sein Vorhandensein mehr wie eine selbstverständliche!
besondere Untersuchung nicht erfordernde Thatsache zu gel-
ten sdieint. Zwar spricht er die Ueberzeugung aus, dass
52 Th. Lippe: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
den Worten eine „ursprüngliche innere Affinität zu den Vor-
stellungen'^ zugestanden werden mĂĽsse der Art, dass in der
Urzeit der Sprache den Menschen „der Sprachlaut irgendwie
eki acustisches Bild der Vorstellung selbst'^ gewesen sei. Er
gibt aber damit keinen AuÂŁschluss ĂĽber die Frage, wie jetzt
und für uns die „Symbole der Sprache^' psychologisch be-
greiflich seien, und er gibt selbst für die „Urzeit^' keine Ant-
wort auf die Frage, was die Worte zu Symbolen der Gegen-
stände machen könne, sondern sagt nur, welche Voraus-
setzungen erfĂĽllt gewesen sein mĂĽssen, wenn sie zu Symbo-
len sollten werden können. Es macht sie aber zu Symbolen
das Benennungsurtheil, das Bewusstsein der Zusammengehö-
rigkeit also, und dies kann durch kein noch so enges Zusam-
men sein ersetzt werden. Nehmen wir an, mir wäre das
eigenthĂĽmliche Klappern der MĂĽhle so aufgefallen, dass ich
an keine Mühle denken könne, ohne jene Töne vor Allem
mitvorzustellen, so wĂĽrde das Klappern fĂĽr mich doch noch
nicht die Bedeutung einer Bezeichnung des Gegenstandes haben.
Es wird mir aber dazu, so bald irgendjemand, um mich an
die MĂĽhle zu erinnern, den eigenthĂĽmlichen Ton nachahmt
und ich sein Thun verstehe, d. h. mir sage, ich solle nach
der Meinui^ des Jemand an die MĂĽhle denken, es bestehe
also zwischen den beiden Vorstellungen in diesem Falle ein
Verhältniss der Zusammengehörigkeit, statt des schon vorher
stattfindenden gleichgĂĽltigen Zusammenseins.
Wie sehr der Verfasser das Wort mit zum Begriffe rech-
net, dies wird besonders deutlich, wo es sich um die weitere
Entwicklung handelt, der der Begriff fähig sei. Er bezeichnet
nämlich als solche weitere Entwicklung die Verdunklung der
mit den herrschenden Elementen verschmolzenen repräsenta-
tiven Vorstellung und die damit parallel laufende der herr-
schenden Elemente selbst und ihre Ersetzung durch ihr äus-
seres Zeichen, den Sprachlaut. Lassen wir hier die Verdunk-
lung, die, wenn sie stattfindet, doch wohl besser als ein
völliges Verschwinden und zwar selbstverständlich gleich der
ganzen repräsentativen Vorstellung einschliesslich der
herrschenden Elemente zu bezeichnen wäre, zur Seite, dann
bezeichnet allerdings die Ersetzung des Begriffs durchs Wort,
Th. Liipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 53
das Denken in Worten, eines der interessantesten Probleme
der Erkenntnisslehre. Was unterscheidet fĂĽr unser Bewusst-
sein das sinnvolle einzelne Wort auch dann noch voh dem
blossen Klange, wenn von dem, was es bezeichnet, sich gar
nichts mehr in uns findet, was unterscheidet ebenso das sinn-
volle Sprechen auch dann noch von dem blossen Aneinander-
reihen von Klängen, wenn weder die den Worten, noch die
ihrer Zusammenstellung entsprechenden Vorstellungen in uns
thatsächlich gegenwärtig sind; was mit andern Worten heisst
es, wenn wir uns dort bewusst sind, etwas gesagt und nicht
bloss Töne hervorgebracht, hier Wahrheiten ausgesprochen,
wohl gar logisch richtig geschlossen und bewiesen, nicht bloss
Wortvorstellung an Wortvorstellung gefägt zu haben? Dies
sind die Fragen, um die es sich dabei handelt. Und sie wer-
den nicht beantwortet, indem man sich in den dunkeln Raum
des Bewusstseins flächtet oder „unbildliche Gedanken'' zu
HĂĽlfe nimmt ^), denen man zumuthet, mit unglaublicher Ge-
schwindigkeit den Worten zur Seite zu laufen, sondern nur
dadurch, dass man deutlich zeigt, welche Elemente in Begriff
und Urtheil ^ch finden oder damit in Zusammenhang stehen,
die nicht den durch die Worte bezeichneten VorsteDungs-
inhalten angehörig, eben deswegen von ihnen ablösbar und
nach irgend welchen Gesetzen der Association auf blosse
Worte fibertragbar sind.
Der Begriff ist das letzte Erzeugniss der simultanen Apper-
ceptionsverbindung. Es folgen die successiven und damit das-
jenige, was der Verfasser speciell als Gedankenverlauf bezeich-
net Der appöTceptive Vorstellungsverlauf unterscheidet sich
Ton dem lediglich associativen durch das Gesetz der Zwei-
giiederung. Von einer Vorstellung geht die Apperception
immer nur zu einer anderen ĂĽber. Die einfachste Form
eines Gedankens ist im einfachen Urtheil gegeben, worunter
man den Akt der Zerlegung einer Gesammtvorstellung in
zwei mit einander verbundene Theile zu verstehen hat. Das
Verhältniss der beiden Theile ist das prädikative. In diese
prädikative Verbindung gehen aber, wenn man sie isolirt
1) Liebmann «Analysis der Wirklichkeit" in der Abhandlung über
ibstracte Begriffe.
54 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
nimmt, alle apperceptiven Verbindungen, die in zusammen-
gesetzten Denkakten sich finden, die attributive, objective und
adverbiale, ĂĽber, so dass die zwischen ihnen bestehenden
Unterschiede „lediglich durch die Stellen veranlasst werden",
die ihnen innerhalb des Gedankens „angewiesen werden". -
Es folgen auf diese Grundbestimmungen Auseinandersetzungen
ĂĽber Complicationen der apperceptiven Gliederungen mit Asso-
ciationen, ĂĽber die mannichfachen Weisen der Verkettung der
Gedanken, endlich ĂĽber die Wechselwirkung zwischen Be-
griffsbildung und Gedankenverlauf.
Wiederum begnĂĽge ich mich, mit Uebergehung der eben
genannten, wie mir scheint höchst werthvollen Erörterungen,
einen Punkt herauszuheben, ich meine die Bestimmung des
Urtheils. Man nehme folgenden Fall: Ich erinnere mich des
Anfangs, sagen wir der ersten n — 1 Töne eines einmal ge-
hörten, aus n Tönen ti t2 . . . t» bestehenden musikalischen
]^otivs, während das fehlende nte Glied mir nicht einfallen
wUl. Da ich Zeit und an dergleichen Phantasiespiel aus irgend
welchen GrĂĽnden Gefallen habe, so beginne ich das Motiv fflr
mich zu ergänzen. Ich verbinde zu dem Zweck nacheinander alle
möglichen Töne xi, rs, ra mit der Reihe ti ts . . tu-i zu emem
Ganzen und fasse jedesmal erst die n — 1 Töne ins „Auge",
um dann zu dem von mir hinzugefĂĽgten r in Gedanken ĂĽber-
zugehen. Dann vollziehe ich lauter apperceptive Zweigliede-
rungen nach Wundt'scher Vorschrift. Trotzdem wird, so
lange ich keinen anderen Zweck habe als zu Spielen, höch-
stens die GefĂĽhlswirkung, die mein Thun zur Folge hat, zu
beobachten. Niemand die Vorgänge Urtheile nennen. Nun
ändert sich aber die Sache. Ich fange an ein Thatsachen-
interesse an der Tonfolge zu nehmen. Dann wiederholt sich
zunächst, scheinbar wenigstens, das alte Spiel. Ich fahre fort,
bald diese, bald jene Gesammtvorstellung zu bilden, um inner-
halb derselben vermöge activer Apperception jetzt den meiner
Erinnerung präsenten Torso, dann meine Ergänzung, mein n
oder TB oder rs etc. also, hervortreten zu lassen. Plötzlich
aber springe ich auf — wäre es auch nur innerlich — und
erkläre: So und nicht anders lautete der letzte Ton. Dann
gebe ich damit zu erkennen, dass ich ein, gleichgĂĽltig ob
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnissiheorie etc. 56
richtiges oder falsches, Urtheil gefällt habe. Und worin be-
steht dies? In nichts anderem offenbar, als darin, dass ich
nach mannichfachem Sachen zu emem Tn gekommen bin, dessen
VerknĂĽpfung mit b . . . tn-i von dem Bewusstsein begleitet
ist, sie sei nicht so wie ihre Vorgängerinnen bloss Sache der
Willkär, dürfe darum auch nicht ebenso wie sie beliebig wie-
der aufgelöst werden, sie setze, anders ausgedrückt, dem Ver-
sach der Wiederauflösung einen Widerstand entgegen, sei mit
einem Wcfrte eine Zusammengehörigkeit, nicht ein blosses
thatsächliches Zusammensein von Vorstellungen in meinem
Bewusstsein ; denn die Zusammengehörigkeit ist eben die Noth-
wendigkeit des Zusammenseins. Wenigstens steht fest, dass
ich sonst keinen Unterschied zwischen dem ehemaligen Phan-
tasiespiel und dem jetzt gewonnenen Urtheil, der jetzt in
meinen Besitz gelangten wirklichen oder vermeintlichen Er-
kenntniss aufzufinden vermag. Auf völlig gleiche Weise wie
In hatte ich auch die n n etc. mit ti . . . ta~i und den son-
stigen Elementen, die mit dieser Tonreihe verbunden gewesen
sein mögen, der Erinnerung an die zeitlichen, örtlichen und
sonstigen Umstände, die mein Hören des Motivs begleiteten,
Yerknäpfl, und niemals hatte die apperceptive Zweigliederung
gefällt. — Nun nennen wir wirlich, was unserer Freiheit vor-
zusteDen und das Vorgestellte wieder aufzuheben, um es
durch ein anderes zu ersetzen, Schranken auferlegt, sich uns
ehm darum als etwas relativ Selbstständiges, nicht bloss von
uns Gemachtes zu erkennen gibt, anders und bestimmter aus-
gedrĂĽckt, wir nennen so, was wir uns bewusst sind, unter
gewissen Umständen oder an einer gewissen Stelle der Welt
unseres Vorstellens vorstellen zu sollen. Somit kann ich das
Eigenartige jenes Urtheils und des Urtheils ĂĽberhaupt auch
so bezeichnen, dass ich sage, es sei ein Bewusstsein, es nicht
mehr mit einem subjectiven Spiel, sondern mit objectiver
Wirklichkeit zu thun zu haben. Urtheilen heisst dann ĂĽber-
haupt, VerknĂĽpfungen von Vorstellungen fĂĽr wirklich halten,
daran glauben, sie logisch anerkennen, oder welche AusdrĂĽcke
man sonst fĂĽr das Bewusstsein des Gebundenseins an gewisse
VerknĂĽpfungen, des so und nicht anders vorstellen SoDens
wählen mag. Das Bewusstsein des Sollens ist aber eui Willens-
56 Th. Lipps: Die Au^g^abe «ier Erkenntnisstheorie etc.
Phänomen, wenn auch nicht ein Phänomen des frei wahlen-
den, sondern des gebundenen Willens. Mithin bestätigt sich
uns, was wir frĂĽher dem Verfasser zugestanden, dass das
EigenthĂĽmliche des Denkens im Gegensatz zum blossen Vor-
stellungsspiel in begleitenden Willensakten zu suchen sei.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass das hier weniger
beschriebene, als im Allgemeinen gekennzeichnete Bewusstsein,
das in den mannichfaltigsten gleichbedeutenden oder doch nur
zur Bezeichnung verschiedener Stufen und Arten dienenden
Namen, als Wahrheitsgeföhl, Ueberzeugung, Glauben, Wissen,
Meinen u. s. w. auch im täglichen Leben wiederkehrt, für
die Erkenntnisstheorie von grosser Wichtigkeit ist, so wichtig,
dass man sagen kann, die Logik habe gar kein anderes Thema,
als dies Bewusstsein, keine andere Aufgabe, als die Unter-
suchung seines Wesens und seiner Gesetaonässigkeit, seiner
Arten und Modificationen , seiner Bedingungen und schliess-
lichen Leistungen. Um so auffallender muss es erscheinen,
dass in der Erkenntnisslehre unseres Vaterlandes — in der
englischen verhält es sich seit Hume theilweise anders — die
Frage, worin das Glauben, Ueberzeugtsein, worin das Bewusst-
sein der Wirklichkeit imd Wahrheit bestehe, welche genau
bestimmten Thatsachen wir in »uns finden, wenn wir behaup-
ten, ein solches Bewusstsein zu haben, fast keine Rolle spielt,
obgleich man dodi nicht umhin kann, mit jenen Begriffen zu
rechnen und eine bestimmte Bedeutung derselben ĂĽberall vor-
auszusetzen. Es steht aber auch der Verfasser auf dem Stand-
punkt, die Beantwortung der Frage nicht für unumgänglich
zu halten.
Zwar erfahren wir im dritten Kapitel des ersten Ab-
schnitts, der es mit der Entwicklung der logischen Normen
zu thun hat, dass Spontaneität, Evidenz und Allgemeingültig-
keit die Kennzeichen des logischen Denkens . sind. Wir be-
gegnen aber bei Behandlung des zweiten Punktes nirgends
der Frage, welcher Bewusstseinsinhalt denn dieser Evidenz
entspreche, vielmehr begnĂĽgt sich die Auseinandersetzung mit
der Erklärung, jede Art der Evidenz komme zu Stande durch's
beziehende und vergleichende Denken, nur dass bei der
unmittelbaren die unmittelbaren in der Anschauung gegebe-
Tb. Lippe: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 57
neu {demente verknüpft werden, während bei der mittelbaren
die in den unmittelbar entstandenen Verbindungen selbst
wiederum als Elemente weiterer VerknĂĽpfungen dienen. So
werden in einem späteren Kapitel die Arten des Wahr-
heit^fuhles, Meinen, Glauben, Wissen unt^schieden und
Fälle ihres Vorkommens bezeichnet, ,ohne dass doch auch
hier die Frage auftauchte, was denn diese Verhaltungsweisen
des menschlichen Geistes ihrem Wesen nach sein könnten.
Und doch, leuchtet ein, dass diese Fragen gestellt werden
mäss«[i. Die Evidenz ist ja nicht ein einfacher Geistesinhalt
neben dem Roth, Sauer, SĂĽss, der Lust und Strebung u. s. w.,
das Glauben, Wissen etc. nicht eine besondere seelische Thä-
tigkeit neben dem Vorstellen, Fühlen Wollen, — vorausgesetzt,
dass man es für erlaubt hält, diese beiden letzteren jener
ersteren „Thätigkeit^^ zu coordiniren. Dann muss es doch
auch möglich sein, die genannten Inhalte oder Thätig^eiten
ihrer gehehnnissvoUen Natur zu entkleiden, zu sagen, was in
aller Welt man denn mit /den Worten sagen wolle, ĂĽnter-
lässt man die Beantwortung solcher fundamentalen Fragen,
oder beantwortet man sie in AusdrĂĽcken, von denen selbst
wiederum zweifelhaft bleibt, welchen Sinn sie haben, d. h.
welcher bestimmt aufzeigbare Geistesinhalt ihnen zukomme,
dann können sich die sonstigen erkenntnisstheoretischen Un-
tersuchungen, selbst die ĂĽber Principien und allgemeine Rich-
tungen, auf keinem^ festeren Boden bewegen, als etwa die
Ethik es thut, wenn sie über Eudämonismus oder Pflichtbe-
wusstseui streitet und nur darum nicht sieht, dass sie gröss-
tentheils um Worte sich ereifert, weil es ihr nicht in den
Sinn kommt, Worte wie „Sollen", „Pflicht" u. s. w. auf ihre
eigentliche Bedeutung zu prĂĽfen.
Kehren wir aber zurĂĽck zu dem, wovon wir ausgingen.
Es steht uns fest, dass eine blosse apperceptive Zweigliede-
nmg nicht dasjenige ist, was man insgemein als Urtheil be-
zeichnet. Trotzdem muss dem Verfasser unverwehrt bleiben,
den Namen auch in jenem Sinne anzuwenden, vorausgesetzt,
dass er der weiteren Fassung des Begriffs getreu bleibt.
Dies scheint denn auch zunächst der Fall zu sein. W^ir wis-
sen, dass nach ihm die attributive Verbindung innerhalb
58 Th. Lippe: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
eines Urtheils mit der prädicativen an sich übereinstimmt
und sich nur durch die Stelle unterscheidet, die ihr in einem
zusammengesetzten Denkvorgang zukommt. So ist die attri-
butive Verbindung „guter Mann" an sich äquivalent dem Ur-
theil „der Mann ist gut'^ Offenbar aber trifft dies nicht zu,
wenn man das Urtheil im gewöhnlichen Sinne fasst, nämlich
als Behauptung einer wirklichen oder vermeintlichen Wahr-
heit. Denn das Urtheil : absolut gute Menschen können keine
Missgunst empfinden, kann ich fallen, und mir dabei deutlich
bewusst sein, dass Mensch und absolut gut — thatsachlich,
nicht in der blossen Vorstellung — sich ausschliessen. Nun
geht aber der Verfasser an anderer Stelle ebenso deutlich
ĂĽber seine Definition hinaus, so dass es doch scheint, als ver-
stehe er unter dem Urtheil eine ZweigĂĽederung , der das
Bewusstsein der Zusammengehörigkeit der Theile nicht fehle.
So ist ihm in dem Urtheil „Petrus und Paulus predigten"
Petrus mit Paulus nur associativ verknĂĽpft, die Verbindung
ist keinem Urtheil äquivalent, ol^leich bei Fällung dieses Ur-
theils der predigende Petrus und der predigende Paulus eben
so ^ut in eine Gesammtvorstellung vereinigt sein können, als
dies nach des Verfassers Anschauung bei dem UrtheO „der
predigende Petrus stand neben dem predigenden Paulus" d^
Fall sein müsste, und obgleich denmach das „Petrus und
Paulus" in jenem Urtheil ebensowohl eine apperceptive Zwei-
gliederung repräsentiren kann, als das „Petrus stand neben
Paulus" in diesem. Allerdings ist ja ein psychologischer Un-
terschied zwischen beiden Verbindungen. Aber der besteht
nur darin, dass ich dort Petrus und Paulus in irgendwelche
Beziehung setzen kann, auch in die des räumlichen Neben-
einander, während ich hier das Bewusstsein habe, sie als
nebeneinanderstehend vorstellen zu mĂĽssen. Hat demnach
die Verbindung „Petrus und Paulus" in dem ersten Urtheil
nicht selbst den Werth eines Urtheils, so kann dies nur da-
von kommen, dass zum Urtheil noch etwas anderes gehört,
als das blosse Zweigliedern von Gesammtvorstellungen, näm-
lich das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit.
L. Weis: Schelliiig-Ckm redivivus. 59
SeiielliHg-Ok«B redivins.
Der heliocentrische Standpunkt der Wettbetrachtung. Grundlegung
gen zu einer wirklichen Naturphilosophie von S. Alphons
BĂĽharz, Mit 13 Holzschnitten. Stuttgart, Verlag der J. G.
Cotta'schen Buchhandlung. 1879. (XVI u. 326 S.) 8^.
Der Verf. sagt S. VII: „Hiermit übergebe ich dem den-
kenden Publikum eine philosophische Untersuchung — die Frucht
achtzehnjährigen Ringens. Das Resultat ist die der Grund-
bge Dach vollständige Versöhnung von Philosophie und Na-
turwissenschaft — ein Resultat, über dessen Bedeutung, falls
es richtig ist. Niemand im Unklaren sein kann. Dennoch
wird die Lösung des erkenntniss - theoretischen Welträthsels
durdi die Lösung des an Wichtigkeit Alles überragenden Pro-
blems der praktischeil Philosophie oder die Auffbidung des
Fondaments der Moral, wodurch diese ihres transscenden-
ten Gehalts entlastet und zur eigentlichen Wissenschaft
g«nacht wird, bei Weitem überboten.'^ „Die Gefahr, S. IX,
vor dem Materialismus ist in der That dringend gross; ich
hoffe aber von dem Leser das Zeugniss zu erhalten, dass die
Arbeit der Vernichtung dieser gefährlichen Weltanschauung
grĂĽDdlich gethan und nichts mehr zu thun ĂĽbrig gelassen
sei" Wen soDten solche Verheissungen nicht zum Weiter-
lesen locken? „Dem an sich unverwundbaren Materia-
lismus, S. IX, kann nur dadurch die Lebensfähigkeit unter-
bunden werden, dass man seĂĽien siamesischen Zwillingsbruder
Spiritualismus zuerst vernichtet." „Bisher, S. XI, ver-
mochte die Wissenschaft das Dogma nicht völlig von sich
abzuwälzen; sie zerstörte mehr als sie aufbaute. Die einzig
positive Leistung aber, der Schopenhauer'sche Willensbegriff,
glich einem ungeschliffenen Diamanten, fĂĽr eine Busennadel
in Gesellschaf t zu tragen gar nicht geeignet. Aber ich denke,
dass sich die hier aufgerichtete Scheidewand zwischen Dog-
matismus und Wissenschaft als haltbar erweisen wird. Re-
igion ist der Versuch, das metaphysische Räthsel der Welt
60 L. Weis: Scheliiuf-Oken redivivus.
mittelst des theistischen Princips zu lösen; Philosophie
der Versuch, ohne diesPrincip zu demselben Resultat zu ge-
langen ; abseits steht die materialistische Auffassung, welche
brutal die Existenz eines metaphysischen Welträthsels leugnet,
und welche sofort unter der Last ihrer eigenen Ungeheuer-
lichkeit erdrĂĽckt wird, wenn man sich entschliesst, den Gol-
tesbegriflf als einen solchen anzusehen, der nicht der Wissen-
schaft, sondern der Dogmatik angehört." Ob diese Scheide-
wand als haltbar erkannt werden wird ? Ich wenigstens achte
dafür, dass der Gottesbegriff voll zur Wissenschaft gehört
und von je dazu gehörte, denn insofern unter Gott das ewig
Seiende, der Urgrund des Vielen gedacht wird, so lag das
Leben und die Mähe aller Wissenschaft gerade darin, diesen
Gott zu denken; mag er^nun durch die von Bilharz geprie-
senen Eleaten als das Eine, oder durch den von ihm gefeier-
ten Schopenhauer als Wille zu denken versucht worden sän.
Auch die Scheidewand, welche ^Iharz m der Anmeldung
S. 253 aufstellt, ist schwankend; er sa^: „Religion kana für
uns nur eine Abart der Metaphysik sein. Der Begriff Meta-
physik schliesst die zwei Parallelbegriffe Religion und Philo-
sophie ein. Religion aber ist der Mantelbegriff fĂĽr die Got-
tesidee und wird von der letzteren ganz und gar au^geföUt.^^
Bilharz denkt dabei nicht an einen Soldatenmantel oder Re-
genmantel, sondern an den Mantel eines stereometrischen
Kegels. Nun frage ich nicht: Was ist es fĂĽr einGevinn, zu
sagen: Religion ist ein Mantelbegriff? Ich frage: Wenn Re-
ligion und Philosophie Parallelbegriffe sind, warum ist nur
Religion eine Abart und nicht auch Philosophie? Parallele
Linien als gleichstrebende oder gleichgerichtete Linien sind
auch gleichwerthige Dinge. Deshalb aber gibt es so gut
schlechte Philosophien wie es schlechte Religionen gibt, und
es gibt gute Religionen so gut wie gute Philosophien.
Bilharz verspricht noch S. VIII: „Ich führe nun »mit
bedächtiger Schnelle« den Leser vom Himmel durch die Welt
zur HöUe.'^ Er hofft S. XIV: „die Klippe zu umgeben, an
der Kant gescheitert ist*^ und wäre befriedigt S. XV, „wenn
es ihm gelänge, durch das aufgerollte Weltgemälde die Seele
des deutschen Volkes im Tiefsten zu erschĂĽttern.*^
* L. Was: Scbening^ken redivivus. 61
Bilharz betritt nun den „aufsteigenden Weg'\ in dem er
zuerst „Vorbereitendes bringt", und zwar „eine historisch-
kritische Einleitung". „Mit Recht beginnt mit den Griechen
die Geschichte der Philosophie" S. 8, aber nur „die Eleaten,
S.9, fassen den Stier bei den Hörnern. Dass das Veränder-
liche dem reinen Sein nicht angehören könne — dieser Ge-
danke wird von ihnen mit solcher Kraft festgehalten, wie vor
and nach ihnen im ganzen Alterthum nicht wieder." „Die
e^ntliche Leistung der eleatischen Schule, S. 10, war in der
Leugnung derRealit&t der Sinnenwelt enthalten; doch nicht
in der Lösung, in der Aufstellung des Problems liegt ihr Ver-
dienst." „In selbstständiger imd geistreicher Weise wird das
Problem noch einmal von dem berĂĽhmtesten und erfolgreich-
sten Philosophen des Alterthums von Plato in seiner Ideen-
lehre in Angriff genonunen ; aber am Besten ist das WillkĂĽr-
liche, Dogmatische der Lehre aus ihrer späteren Geschichte
ersichtlich: die Theosophie bemächtigt sich ihrer als eines
vollkommenen Deckmantels ihrer unphilosophischen Blosse,^*
S. 12. „Die platonische Idee ein äusserstes Verallgemeine-
rungsproduct der abstrahirenden Vemunftthätigkeit ist zur
Eridärung der Welt ganz werthlos, aber auch voll Anmas-
sung und daher von allen Feinden der Wissenschaft mit Freu-
den aufgegriffen, was denn auch den grossen Einfluss der
platonisdhen Philosophie genügend erklärt," S. 211. iBilharz
sagt auch S. 12: „Die platonische Idee verräth zu sehr ihre
Abstammung aus dem Reich der Gedanken." Darin hat Bil-
harz recht, und ich bekenne freudig meine Bewunderung vor
platonischer Gedankentiefe, obgleich ich mir gefallen lassen
muss, von Bilharz jetzt zu den Feinden der Wissenschaft ge-
zahlt zu werden, die kein Recht haben, seine nicht „aus dem
Reich der Gedanken stammende" Weisheit zu recensiren.
„Nach Plato folgt eine lange Nacht. Der Faden derPhi-
losoi^ewird plötzlich abgebrochen," S. 12. Aristoteles scheint
fär Bilharz nicht gelebt zu haben. Nun aber kam „von Osten
her, wie dn Sturmwind, eine neue fremdartige Lehre, welche
die Selbstbeschränkung, die Ueberwindung des eigenen Wil-
lens zum höchsten, unbedingten Gebot machte," S. 12. „Aber
bald verwandelt sich die Herrschaft der Lehre, wie es in
62 L. Weis: ScheUing-Oken redivivus. *
menschlichen Dingen zu geschehen pflegt, in eine Herrschaft
des Lehrenden, mit beispieDoser Tyrannei. Kein ui^ĂĽnstige-
rer Boden ist denkbar fĂĽr die Philosophie, die freieste Tochter
des Menschengeistes. Alles Philosophiren auf religiös-präpa-
rirter Grundlage kann daher nichts sein als blosse Spiegel-
fechterei," S. 13. Nun, da selbst Plato von Bilbarz so mit
Koth beworfen wird, dann Gnade Gott uns armen Sterb-
lichen, wenn, „wie es menschlich ist", statt Bilharz' Lehre
die Bilharze selbst herrschend werden! Also blosse Spiegel-
fechterei war im philosophirenden Mittelalter? Nun, in der
That, die Wahrheit in Bilharz' Anschauung stammt nur aus
einem Funken dieser sog. Spi^elfechterei.
Die ganze griechische Philosophie, auch die eleatische,
hatte keine Vorstellung davon, dass der Urgrund des Seins
eine Kraft sei; nur Lenkerund Ordner, nicht Schöpfer und
Ursprung der Dinge war Gott. Erst die mittelalterliche Phi-
losophie macht Gott zum Schöpfer, somit zu einer tbatigen
Kraft. Aber die Griechen hielten ihren höchsten B^friff auch
rein von allem Willen und FĂĽhlen, da sie meinten. Beides
mache das ewige Wesen zu einem Unvollkommenen, Unseli-
gen. Deshalb ist es das Verdienst der christlichen Philoso-
phie, dass sie den Urgrund der Dinge nicht bloss wie die
Griechen als reines Sein oder Denken, sondern als ein im
Denken, FĂĽhlen und Wollen einheitliches Kraftwesen auf-
fasste. Kleinkrämer sehen freilich nur, dass dieser Versuch
in der Aufstellung der Trinitätslehre misslang; aber wie Bil-
harz von den Eleaten, so mĂĽssen wir auch von den mittel-
alterlichen Denkern sagen, nicht die Lösung, aber die Auf-
stellung des Problems ist ihr Verdienst; des Problems, Gott
nicht bloss als denkendes Sein, sondern auch als E[raft, als
Wille zu denken. Die Resultate der BemĂĽhungen um dieses
Problem zeigten sich, als das Streben erwachte, dies Problem
von anderen Seiten her, wie die mittelalterliche Philosophie,
aufzugreifen. Denn es war gar keine Rede mehr davon,
dass Gott nur Lenker, nicht Schöpfer sei. Das ewig Seiende
ward sofort als schöpferische Kraft, als treibender, quellender
Urgrund betrachtet, von den einen, wie Giordano Bruno,
ward freilich dieser Urgrund mehr als unbewusst treibende
L. Was: ScheUiiig-Oken rediTivus. 63
Mutter Natur, von Anderen als vernĂĽnftiger Wille, als schaf-
fenda: Gott gedacht. Eant's Verdienst ist, dass er auch den
menschlichen Geist als eine Wahrheit erringende Kraft voll
Vermögen der Sittlichkeit erkannte, und Fichte liess dieses
menschlidie Ich durch seine Thatkraft sogar das ganze Nicht-
Ich erzeugen. Bei Hegel scheint dies Kraftmoment wieder
mehr in den Hintergrund zu treten ; das reine Sein, das reine
Denken ist ihm wie bei Eleaten und Aristoteles das ewig
Seiende. Indess dieses ewig Seiende in seiner vollendetsten
Entwicklung ist ja auch der absolute Geist, und als solcher
ist er eben die Kraft der Dinge und er ist absolut xnur inso-
fern er auch Wille ist, nur dass er diesen Willen seiner Ver-
nunft völlig unterwarf. Mit Unrecht stellt man daher Hegel
ganz in Zusammenhang mit den Eleaten und Aristoteles, auch
bei ihm ist das ewig Seiende eine Kraft, ein vernĂĽnftiger
Wille. Schopenhauer, sich einseitig an den HegeFschen
Ausdruck: reines Sein, reines Denken haltend, stellte nun den
mit der christlichen PhOosophie zu Ehren gekommenen Begriff
des Willens oben hin, während später andere, so z.B. Hart-
mann als anonymer Kritiker seiner eigenen Philosophie des
Unbewussten, und Zöllner in der „Natur der Kometen'* die Em-
pfmdung oben hin stellten. Das mittelalterliche Problem:
den Urgrund der Dmge als eine im Denken, Wollen und FĂĽhlen
einheitliche Kraft zu denken, ist daher heute aufgegeben; man
begnĂĽgt sich, diesen Urgrund einseitig nur als Denken, oder
als Willen, oda: als Empfindung festzuhalten.
Bilharz, der als einzige Leistung der Neuzeit die That
Schopenhauer's den Willen zum Weltprincip zu erheben an-
erkamt, und einseitig im Willen alles Heil sieht, sollte daher
der mittelalterlichen Philosophie, statt sie nur als Spiegelfech-
terd gelten zu lassen, danken, dass sie im Fortschritt, den
Eleaten gegenĂĽber, den Willen der Ehre wĂĽrdig erkannte, am
Unendlichen Theil zu. haben.
Wie Bilharz in seiner einseitigen Werthschätzung des
Willens die Geschichte der Philosophie weiter beschreibt, lässt
sidi vermuthen. Nur noch folgende Sätze: „Vor Kant lag,
S. 254, der Schwerpunkt im Object, Kant verlegt ihn ins
Snbject. Das Gleichgewicht zwischen Idealismus und Realis-
64 L. Wds: Scfaelling-Oken redivivus.
mus ist nicUt hergestellt, sondern das Uebergewicht einfach
verlegt. Die subjective Wagschaale senkt sich, zum Erstau-
nen der Menschheit Der plumpe Fichte aber springt mit
allen Vieren hinein, und — der Wagbalken stellt sich senk-
recht/^ „Die höchste Stufe, S. 32, dieser Art, Hirngespinnste
zu machen, erreicht Hegel, der in diesem Sinne wirklich
»summus philosophus«. Es wäre für unsere Zwecke ganz
überflässig, die Gegensätze aller dieser Pseudophilosophen,
richtiger Theosophen, herauszuheben; denn sie bewegen steh
ganz im Pathologischen. Sie segeln auf fremdem Schiffe und
haben nur die philosophische Flagge aufgezogen. Wenn Kant
die Skeptiker Nomaden nennt, so sind diese Gontrebandiers,
denen das Handwerk ein fĂĽr allemal gelegt werden sollte
durch ZurĂĽckweisen ihrer falschen Waare." Man darf sol-
cher Ausdrucksweise gegenĂĽber es wohl Vagabundenthum
nennen, was in solcher Leichtfert^keit die Geschichte der
Philosophie durchwandelt. RĂĽckblicl^end ragen demselben
„aus einem ungeheuren Nebelmeer als höchste Bergspitze die
Namen der Philosophen hervor, in welchen das eleatische
Grundproblem in originaler Wdse lebendig geworden, und
die wirklich etwas zu seiner endlichen Lösung beigetragen
haben: im Alterthum Parmenides und Zeno, in der neueren
Zeit Kant und Schopenhauer; ihnen zunächst die jenglischen
Kritiker Locke und Hume,^^ S. 63. „Lidess bei Kant werden
die Leser abgeschreckt durch die Unvollkonmienheit der Be-
weisfĂĽhrung in der schwerfalligen Sprache, und so verliert
sich die höchste Leistung des originellsten Denkers aus dem
Bewusstsem des Volkes. Jedermann beruft sich zwar auf
den alten Kant, nicht ohne jedesmal, als Fägenblatt, »den
grossen Denker von Königsberg€ hinzuzufügen ; Niemand kennt
ihnj mehr," S. 257. „Kant ist — man darf wohl sagen —
vergessen. Die Tradition seiner Lehre hat sich nur durch
die Schopenhauer'sche Philosophie erhalten," S. 52, S. XV.
„Die Schopenhauer*sche Philosophie fangt jetzt an aus dem
Dunkel der Unbeachtung herauszutreten," S. 52. „Schopen-
hauer gleicht einem tiefen, krystaUenen Bergsee, in dessen
Tiefe die klaren Kiesel glänzen und die silbernen Fische spie-
len," S. 38. „In Schopenhauer's Satz, dass der Wille das
S. AlphoDs Bilharz: Schellin g-Oken redivivus. 65
Wesen oder den Inhalt des Seins repräsentire, ist nach mei-
ner Ansicht die einzige Bereicherung unserer metaphysischen
Erkenntniss seit Kant gegeben/' S. 41. „Indem aber Scho-
penhauer dem Ding an sich den absoluten Charakter nehmen
will, bezeichnet er selbst deutlich den Urquell aller Schief-
heiten und Verzerrungen seines Systems. Damit verlegt er
thatsächlich den Mittelpunkt der Welt in das Subject und
nimmt thatsächlich den Standpunkt des »theoretischen Egois-
mus€ ein, den er selbst in's Tollhaus verlegt," S. 44. Armer
Schopenhauer! Also auch du klarer Bergsee schwimmst voll
fauler Fische, voll Schiefheiten, wohl auch voll Himge-
spinnste! Und obgleich einzig das Nebelmeer ĂĽberragend,
wohnst du doch eigentlich im Tollhaus! Da ist es denn frei-
lich Zeit, dass „der einsame Philosoph, der auf dem Wacht-
ihurm seinen Sitz aufgeschlagen, Heil verkĂĽndet allen kom-
menden Geschlechtem," S. 62.
Nach Bilharz ist „der Kant und Schopenhauer gemein-
same Mangel, dass sie das Weichbild des Subjects nicht ver-
lassen, dass der Weltmittelpunkt bei ihnen in*s Subject ver-
legt ist," S. 54. Diesen Irrthum zu vermeiden, „muss die
Spaltung der Relation Subject — Object in das Wesen des
Seins selbst hinein verlegt werden : das Sein selbst muss dem
Inhalt nach in Subject und Object zerfallen. Nicht ein Punkt
ist als Weltmittelpunkt besonders ausgezeichnet, sondern jeder
Punkt des All ist Subjectpunkt gegenĂĽber dem All als Ob-
ject, mit ihm untrennbar verbunden (wenn auch als nicht
aufzuhebender Gegensatz) zu einer gemeinschaftlichen Einheit,
dem reinen, gegensatzlosen Sein. Durch diese Abtrennung
des Subjectpunktes, dem Wesen nach, als Eins dem All
gegenĂĽber, bewegt sich aber nothwendig der Objectpunkt aus
dem gemeinschaftlichen Schopenhauer'schen Weltmittelpunkt
heraus. Wir erhalten statt eines einzigen, drei Punkte.
Hiermit wird aus der Schopenhauer'schen Weltkugel ein
Weltellipsoid, mit dem Objectpunkt als Brennpunkt, der
dem Weltmittelpunkt (dem geometrischen Mittelpunkt), da
ausser ersterem nur der Subjectpunkt ĂĽbrig bleibt, freilich
unendlich nahe steht, aber niemals mit ihm zusammen-
fällt Es ist dies mutatis mutandis dieselbe Aenderung,
Philowph. MonaUhefle 1881, I o. H. 5
66 S. Alphons BilLarz: Schelling-Oken redivivus.
welche Kepler einst an den Kopernikanischen Kreisen vorge-
nommen, indem er sie in Ellipsen verwandelte. Und hiermit
ist der von Schopenhauer gesuchte »objective Gesichtspunkte,
der heliocentrische Standpunkt gewonnen."
Mit dieser, die Seiten 72 und 73 nicht einmal ganz fĂĽl-
lenden Auseinandersetzung „scheint die eigentliche Aufgabe
gelöst", S. 74. Wer es glauben mag, mag's glauben. Ich
nicht. Denn da Bilharz selbst S. 76 sagt: „Das Universum
ist als unendlich grosse Kugel zu betrachten, bei deren
Unendlichkeit jeder Punkt als Mittelpunkt zu setzen ist," so
ist es doch einerlei, ob man die Welt kugelig oder ellipsoi-
disch annimmt, denn auf die im Unendlichen liegende Be-
grenzung kommt es nicht an. Ueberhaupt, wozu die Frage,
ob Ellipse oder Kreis? Bilharz ist der Meinung, die seithe-
rige Philosophie, selbst die Schopenhauer'sche, habe dasSub-
ject, den Geist, zu einseitig beachtet; er will auch das Ob-
ject, die Welt, zur Geltung bringen, und deshalb meint er
jedes Ding als Subject und Object gelten lassen zu mĂĽssen.
Ist aber damit xiuch gesagt, dass Subject und Object sich in
einer Kreislinie oder Ellipse um einander bewegen? Bei
Kepler^s Erdumlauf kann man vier Punkte unterscheiden:
den Punkt, wo in jedem Augenblick die Erde steht, den
einen Brennpunkt der Ellipse wo die Sonne steht, den zwei-
ten Brennpunkt, wo die Sonne nicht steht und den geome-
trischen Mittelpunkt der Ellipse. Die Analogie zwischen Kep-
ler und Bilharz fällt daher ganz fort. Bilharz hat nur drei
Punkte, nur die zwei Brennpunkte, die zu den Seiten eines
Mittelpunktes liegen; der Punkt, der die Kreis- oder Ellipsen-
bahn machen soll, fehlt ganz. Nur drei Punkte hat also Bil-
harz, und diese kann man sich durch eine Linie verbunden
denken, wobei man das Bild einer zweiarmigen Wage mit
Hebelarmen erhält. Bilharz selbst entwickelt S. 79 dieses
Bild, und es bleibt in der ganzen Folge sein Lieblingsbild,
weshalb er selbst bei den Nerven von der Nervenwage spricht.
Der zwischen Subjectpunkt und Objectpunkt liegende Punkt,
also der StĂĽtzpunkt oder das Hypomochlion der Wage,
ist ihm der Weltmittelpunkt, das Welthypomochlion, der
Punkt, wo das reine Sein, die Verschmelzung der Gegensätze
S. AIphoDs Bilharz: Schelling-Oken rediviyus. 67
statt hat. Er spricht an derselben Stelle, S. 79, sogar von
„der Trinität der Punkte unter dem Bilde der Wage". Also
auch Bilharz, der alle Mängel der Philosophie vom Dogma-
tismus herleitet, kann nicht umhin, eine Trinität zu erfinden !
Hätte indess Bilharz, statt in den Werken der Trias, Fichte,
Schelling, Hegel nur „Hochmuth, willkürliches Spielen mit
Begriffen, empörende Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit,
eingebildetsten Subjectivismus, hohlen Klang von Töpfen",
S. 33, zu vennuthen, diese Werke studirt, er wĂĽrde gefun-
den haben, dass seine Welthypomochlionslehre schon von
Schelling aufgestellt war. Nur sagt Schelling Indifferenzpunkt
statt Hypomochlion, und statt von Endpunkten von Hebel-
armen spricht er von Polen. Schelling denkt sich die drei
Punkte verbunden unter dem Bild eines Magneten, eines Com-
passcs; Bilharz unter dem Bild einer Wage. Da nun Schel-
ling's Bild als Spiel mit Begriffen erkannt wird, so wird Bil-
harz' Bild kein anderes Schicksal treffen; aber wir werden
noch andere Aehnlichkeit mit Schelling' scher Schulphilosophie
finden.
Das Erste ist nun, dass Bilharz, um die Möglichkeit des
Gleichgewichts um seinen Indifferenz-Mittelpunkt zu erhalten,
Subject und Object gleichsetzt, und dies geschieht, indem er
beide als Wille und Kraft für einerlei erklärt. „Wir nennen
die Kugel des Mondes, von uns aus gesehen, eine Scheibe,
und dieses Verhältniss stellt ganz genau das Verhältniss
der Begriffe von Kraft und Wille dar. Kraft ist der von
aussen gesehene Wille, und Wille die von innen gesehene
Kraft," S. 83, 84. Wer dies glauben mag, mag!s glauben.
Ich selbst als Subject fĂĽhle und weiss mich in meinem Willen
als Kraft, aber ich weiss^ auch das Du, das mir feindlich oder
freundlich entgegenstehende menschliche Object, als ein
Subject, als einen Willen, als eine Kraft. Aber ich halte es
fĂĽr ein Spiel mit Begriffen, die Sonne, die mir als Attractions-
kraft erscheint, nun auch als Willen zu denken. Bilharz
findet freilich in solcher poetischen Spielerei Wissenschaft.
Von Bilharz' Vorgänger Schelling sagt Hegel, dessen
System sei wie aus der Pistole geschossen, und wenn man
das Kunststück dabei einmal gelernt habe« so sei es leicht,
68 S. Alphons Ăźilharz: Schelling-Oken redivivus.
dasselbe ĂĽberall anzuwenden. Dasselbe gilt von Bilharz,
dessen ganze Gedankentiefe darin aufgeht, jedes Ding von
aussen anzusehen und Objectpunkt = Kraft zu nennen , und
dann von innen anzusehen und es Subjectpunkt = Wille zu
nennen. Die Formel der Mechanik, wonach Geschwindigkeit v,
Zeit t und Weg s, in dem Verhältniss v = — stehen, nimmt
denn Bilharz geradezu auf, nur dass er k = Kraft fĂĽr v =
Geschwindigkeit setzt, da die Geschwindigkeit von der Kraft
abhänge. Es ist unwissenschaftlich und willkürlich, v allge-
mein durch k zu ersetzen, denn die Formel gilt nur fĂĽr gleich-
massige Bewegung, aber da Bilharz einmal die Gleichsetzung
vornimmt und da ihm die Kraft ganz abstract nur ein Punkt
ist, so kann er statt in Hebelarmlängen und Schwingungs-
bogen der Hebelarme, die Beziehung von Subjectpunkt und
Objectpunkt auch in Polarcoordinaten ausdrĂĽcken, S. 102,
g
und die Gleichung k = 7- verwandelt sich ihm in tang. a =
^. Natürlich kann er auch Formeln bilden ^g" ° ' *^^*- "
cot. a 2
= ßt ^« Bilharz verwundert sich freilich, dass
seine Resultate mit mechanischen Resultaten stimmen, aber
sie mĂĽssen stimmen, da er nur die mechanischen Resultate
aufnimmt und die mathematischen Begriffe einfach durch
metaphysische Begriffe ersetzt, ohne zu firagen, ob er dazu be-
rechtigt ist oder nicht, und obgleich seit Schopenhauer-Hart-
mann es Mode wurde, jede Kraft als Wille anzusehen, so
werden doch viele sein, die es Phantasterei nennen, die
s s
Formel k = -j- gleichzusetzen der Formel w" = t-, wobei w* ==
Wille = Subjectpunkt sein soll. Die Wunderlichkeiten treten
sofort zu Tage, wenn wir einzelne Sätze citiren, die diesem
Streben, alles als Kraft zu fassen, entspringen. „Wenn wir
in Betracht ziehen, dass unser Subjectpunkt selbst eine cyc-
lische Bewegung von der Wiege (Aphelium) zur Sonnenhöhe
des Daseins und von da bis zum Grab (wieder zum Aphe-
lium zurĂĽck) durchmacht, so dĂĽrfte es uns wirklich schwer
S. Alphons BĂĽharz: Schelling-Oken redivivus. 69
werden, den wesentlichen Unterschied eines erkennenden
Individuums von einem im unendlichen Raum rotirenden Welt-
körper anzugeben. Wir kommen der Sa4ie am nächsten,
wenn wir uns als Weltkörper betrachten, wie die
Erde, oder wie die Sternschnuppen, nur. von innen
gesehen, und das Erkennen ĂĽberhaupt nur als Specialfall
der Willensäusserung auffassen, so gut wie irgend eine Be-
wegung von innen gesehen", S. 131. „Verfolge ich den Gang
des Subjectpunktes , welcher im gegenwärtigen Augenblick
mein Ich vorstellt, nach rückwärts durch alle vorangegan-
genen Generationen hindurch, so ist's als sähe ich in die Höh-
lung eines Kegels, dessen Spitze sich in die nebelgraue Un-
endlichkeit verliert und dessen Mantel aus lauter dichtgedräng-
ten Spiralcycloiden gebildet ist, welche die Lebensläufe von
Ahnen-Individuen, von deren Entstehung (Abschleuderung des
Subjectpunktes) an bis zum Eintritt des letzteren in ein neues
(kindliches) Individuum darstellen. Das Leben des Indivi-
duums ist nur ein Epicykel auf der Curve der Species. Die
Species, Gattung u. s. f. bildet eine elliptische Curve, oder
zeigt ein wellenartiges An- und Abschwellen in der Stufen-
leiter des Lebendigen. Der Typus ist ein Wellenberg zwischen
zwei Thälem, eine Schlinge in der elliptischen Curve", S. 170.
, J>ie Veränderung, die das Subject durch das Object erleidet,
ist gleich der Veränderung, die das Object durch das Sub-
ject erleidet", S. 183. Der Verfasser macht diesen Satz und
erkennt darin das Gesetz der Erhaltung der Kraft wieder;
aber wenn der Dolch als Object einen Menschen als Subject
tödtet, erleidet der Dolch die gleiche Aenderung wie der
Mensch?
Schliessen wir diese Gitate mit semer Charakteristik des
Gemfiths: „Wie ein Torfmoorboden, dessen Substanz
ausschliesslich aus Pflanzentheilen besteht, welche einmal
wirkliche, lebendige Pflanzen gewesen sind und in jedem
Aug^iblick durch eine neue Schicht verstärkt werden: so ist
das Gemuth die Ablagerungsstätte der, so zu sagen com-
primirten, verdichteten, moorartig umgewandelten, d. h. ins
Unbewusste oder in die Organisation ĂĽbergeg^genen Vor-
stellungen, welche aber (genau wie die Torftnoorreste einmal
70 S. Alphons Bilharz: Schelling-Oken redivivus.
lebendige Pflanzen) bewusste Vorstellungen gewesen sind;
oder vielmehr das GemĂĽth besteht aus solchen", S. 190.
Diese Wortttgeben uns das Recht zu sagen, dass die
ganze Bilhai*z'sche "Philosophie auf einem Torfmoorboden er-
wachsen ist; es sind unbewusst gewordene Vorstellungen, die er
wieder aufleben lassen will. Die drei Punkte, welche Schelling im
Bilde der magnetisclien Linie vereinte, verbindet Bilharz durch
die Linie eines zweiarmigen Hebels. Auch Schelling wollte
einseitigem Subjectivismus gegenĂĽber durch seine drei Punkte
das Object zur Geltung bringen. Er hat also dasselbe Streben
wie Bilharz. Aber seit man in der frĂĽheren Naturphilosophie
nur Unsinn sieht, ist es ungewusst und unbewusst geworden,
dass Bestrebungen, die heute neu heissen, schon in der ver-
gessenen Zeit lebendig waren. Dies gilt auch z. B. von dem
Gedanken der Entwicklung, den Bilharz so sehr rĂĽhmt und
von dem er meint, er sei erst durch Darwin entdeckt worden.
Stellen wir daher den Gitaten aus Bilharz einige Gitate aus
dem 1837 erschienenen Handbuch des natĂĽrlichen Pflanzen-
systems von L. Reichenbach, einem SchĂĽler der Schelling-
Okcn'schen Schule entgegen. „Die ganze Natur ist ein sich
veränderndes Lebendiges, sie ist das unveränderliche Princip
in der veränderlichen Erscheinung. Alle Veränderung im
Leben ist ein Entwickeln, ein Zu- und Abnehmen; all dieses
Entwickeln erscheint im Materiellen und Zeitlichen bedungen,
in gewissen Typen und Stadien. Die Typen sind die erstreb-
ten Ruhepunkte der Stadien, die Stadien sind das Streben
selbst." Dieser Satz ist analog der Bilharz'schen Entwick-
lung des ' Ich aus der Spiralcycloiden der Ahnen und dem An-
und Abschwellen in der Stufenleiter der Typen. Nur statt
Streben sagt Bilharz: Wille zum Leben, und die Typen sind
ihm erschienene Hemmungen dieses Willens zum Leben, die
Wellenberge zwischen zwei Thälern in der cyclischen Be-
wegung der Entwicklung. Als Parallele zu Bilharz' Streben
alles in Form von Perpendikeln, Ellipsen, Krämer -Wagen
u. s. w. anzuschauen, citiren wir nachfolgende Definitionen
Reichenbadi's : Die Pflanze ist das Perpendiculär - Lebendige.
Die Halbpflanze ist die organische Kugel in ihren Modifica-
tionen. Der Pilz ist die in der Kugelform und deren Seg-
Maximilian Drossbach: Ueber Kraft und Bewegung etc. 71
menten stabilisirte Pflanze mit innerer Antithese als Kegel.
Die Flechte ist die aus der Kugelform und deren Segmenten
wuchernde Pflanze mit nach Aussen gekehrter Antithese
u. s. w." Bilharz hofft, „das deutsche Volk durch seine Lei-
stung aufs Tiefste zu erschĂĽttern." Das deutsche Volk wird
sagen : Bilharz, obgleich er ausser Schopenhauer nur Pseudo-
philosophen und Contrebandiers (S. 32) kennt, welche „hoch-
muthsvoU willkĂĽrlich mit Begriffen spielen", wird die Welt
nicht erschĂĽttern, da er, im alten Fahrwasser der sogen.
Pseudophilosophen sich bewegend, in Wahrheit selbst nur ist
ein Schelling-Oken redivivus. L. Weis.
Ueber Kraft und Bewegung im Hinblick auf die Lichtwellenlehre
und die mechanische Wärmetheorie von Maximilian Dross-
bach. Halle, C. E. M. Pfeffer. 1879. (VIII, 120 S.) 8^
Diese Schrift, deren Verfasser sich bereits durch eine
Reihe philosophischer Arbeiten bekannt gemacht hat, behan-
delt einige der fundamentalsten Probleme der Erkenntniss-
lehre und Naturphilosophie in eingehender und oft origineller
Weise. Hat auch Herr Drossbach seine Aufstellungen da-
durch beeinträchtigt, dass er mit ihnen hier und da zu weit,
hier und da nicht weit genug gegangen ist, und dass er
neben einigen recht glĂĽcklichen Formulirungen doch wie-
derum auch bei Ungenauigkeiten, selbst WidersprĂĽchen stehen
geblieben ist, so erscheint seine Schrift dennoch näherer Auf-
merksamkeit werth und fordert zum ernsten Studium auf.
Die Besprechung wird sich am Besten an die folgenden vier
Hauptpunkte anschliessen lassen.
Der Verfasser geht in seiner kritisch-metaphysischen Er-
örterung davon aus, die gewöhnliche empiristische Behauptung
zu widerlegen, dass wir die Dinge als solche wahrnehmen.
Diese sog. Dinge sind, wie er es ganz richtig darstellt, nur
Erscheinungen, sie sind subjective Annahmen und Producte
unserer Einbildungskraft, aber, wie er ebenso richtig hinzu-
setzt, nicht willkĂĽrlich von uns gemacht, sondern uns aufge-
Qöthigt, daher wir ihre von ims unabhängigen Ursachen auf-
suchen mĂĽssen. Als solche bezeichnet nun der Verfasser die
7S Maximilian Drossbach: Ueber Kraft und Bewegung etc.
„immateriellen Kräfte", die aber doch, wie er sich ausdrückt,
nichts ĂĽnsinnliches, nichts Metaphysisches sind, sondern wahr-
genommen werden. — Wenn nun schon dieser Satz, dass
die „unsinnlichen" Kräfte „wahrgenommen" werden, auf-
fallen muss, so wohl mehr noch der fernere, dass „die
Kräfte ihrer Natur nach alle gleichartig" seien und „nur ihr
Wirken sich in verschiedenen Formen vollziehe" — wobei
sich der Verfasser auf Grove*s Buch ĂĽber die Verwandtschaft
der Naturkräfte und das sog. Aequivalenzverhältniss beruft.
Allerdings kann er darauf hinweisen, dass die sog. specifi-
sehen Sinnesenergien fĂĽr unsere Empfindung Verschiedenheiten
setzen, die in der Natur an sich nicht vorkommen, indessen
lässt sich die Mannigfaltigkeit der Natur schwerlich auch ,nur
. annäherungsweise aus jenem Umstand herleiten, wie denn
auch da^ oft gebrauchte Wort „alle Thätigkeit ist Bewegung"
die qualitativen Verschiedenheiten der Erscheinungen schlech-
terdings nicht erklären kann.
Mag es sich nun aber mit der Qualität der Kräfte ver-
halten wie es wolle, der Verfasser geht dazu ĂĽber, aus den
gleichzeitigen Wahrnehmungen verschiedener Orte das Dasein
vieler örtlich bestimmter oder individuell verschiedener Kräfte
zu erschliessen. Dadurch werden ihm die Kräfte zu „Kraft-
individuen, Kraftwesen" — mit denen der Verfasser nunmehr
an Stelle des blossen Abstractums „Kraft" oder „Kräfte"
operirt. Er kehrt damit aber nicht etwa zur Anerken-
nung eines Stoffes neben der Kraft zurĂĽck, sondern spricht
von „Krafteinheiten" nur in dem Sinne, dass sie die Aus-
gangs- oder Mittelpunkte ihrer Kraftäusserungen sind. Er
denkt sich die Kräfte, d. h. die Kraftwirkungen der Kraft-
wesen als überall im Räume vorbreitet, gewissermassen all-
gegenwärtig, ihrem Mittelpunkte nach aber als nur an je
einem Punkte des Universums vorhanden. Dadurch erhält
er „viele durch ihre Orte bestimmte unterscheidbare Kraft-
einheiten ohne Grenze und ohne leeren Räum zwischen ihnen".
Er wird dadurch allerdings die kuriose „Wirkung in die Feme"
los und zugleich den leeren Raum, den er mit Recht fĂĽr ein
blosses Gebilde der Abstraction erklärt. Aber indem er diese
beiden Phantome der Femwirkung und des leeren Raumes
Maximilian Drossbach: Ueber Kraft und Bewegung etc. 73
richtig eliminirt, hat er doch nicht — wie er zu glauben
scheint — erklärt, wi^ denn nun die Kräftewirkung eigent-
lich vor sich gehe und warum dieselbe in dem bekannten
Verhältniss mit der Entfernung abnehme. Oder wird etwa
z. B. die Sonnenwirkung des Schneeschmelzens . an sich
begreiflicher, wenn man sie in unmittelbarer Nähe auf
Erden, als wenn man sie aus 25 Millionen Meilen Ent-
fernung vor sich gehen lässt? Auch verträgt sich der be-
kannte Umstand, dass die Kräfte Zeit gebrauchen, um
zur Wirkung zu kommen, nur schlecht mit der Lehre von
ihrer Allgegenwart (ein schon vor der Zeit der Erbauimg des
ägyptischen Thebens ins Glühen gerathener Weltkörper er-
scheint erst jetzt als leuchtender Stern an unserm Him-
mel u. s. w.). Indessen liesse sich vielleicht auch nach der
Theorie des Verfassers dafĂĽr Auskunft finden, nur dass er
sie nicht gibt oder auch nur andeutet.
Der dritte wichtige Pimkt ist die Auffassimg der Gausalität,
welcher der Verfasser im vierten und fĂĽnften Abschnitt eine
ausserordentlich interessante Untersuchung widmet. Er kommt
zu dem Resultate: „Die Ursache aller aufeinanderfolgenden
Vorgänge sind die beharrlichen, zu jeder Zeit gegenwärtigen
Wesen. Die Verursachung besteht zwischen den veränder-
lichen Vorgängen und ihren beharrlichen Ursachen, nicht zwi-
schen den veränderlichen Vorgängen. Es gibt keine solche
Reihe, in welcher das vorhergehende Glied irgendwie die Ur-
sache des nachfolgenden wäre, sondern alle Glieder dieser
Reihe sind bewirkt von den in aller Vergangenheit und zu
jedem Zeitpunkt gegenwärtigen Kraftw;esen; nur mit beharr-
lichen Ursachen ist eme Reihe von Veränderungen möglich,
und zwar gleichviel, ob diese Reihe endlich oder unendlich
ist." Mit anderen Worten: die Gausalität ist eine subjective
und einseitige Vorstellungsform behufs der Zusammenfassung
von Erscheinungen, deren realen Hintergrund die allein wirk-
lichen und allein wirksamen, mit immer sich gleich bleiben-
den Kräften ausgerüsteten, in immerwährender, jedoch ver-
änderlicher Wechselwirktmg zu einander begriffenen Wesen
bflden.
Damit gewinnt der Verfasser viertens ein sicheres Funda-
74 Maximilian Drossbach: lieber Kraft und Bewegung etc.
ment der Freiheitslehre, insofern die angebliche Causalitäts-
kette die Spontanität der Kraftwesen nicht beeinträchtigen
darf. „Die Form der Bethätigung meiner Freiheit ist abhän-
gig von der Form meines Zusammenseins mit den Anderen
— nicht aber meine Freiheit, und wenn ich nur das unter
bestimmten Verhältnissen Mögliche zu thun vermag, so kann
ich dies nicht eine Beschränkung meiner Freiheit . nennen."
Wir sind also selbstständige Wesen, so dass die Triebfeder
alles Wirkens und Handelns in uns selbst liegt: der Grund-
trieb der Wesen ist auf Abänderung der Verbindungsform
gerichtet und kommt „beim Menschen zum Bewusstsein als
eine Macht, welche gebietet, du sollst den aUgemeinen Zu-
sammenhang vervoUkonunnen, und welche verbietet, nur das
einseitige, particuläre Interesse anzustreben. Auf der Stufe
des menschlichen Bewusstseins begriffene Wesen empfinden
ihren Ruf nach Vervollkommnung des allgemeinen Zusammen-
hangs als Sittengesetz." Sie ist aber, fahrt der Verfasser
fort, nicht bloss im Menschen, im bewussten Wesen vorhan-
den, sondern in allen Wesen, wie denn alle Wesen gleichartig
und verwandt, nur auf verschiedenen Stufen der Entwicklung
stehend angesehen werden müssen, „Es gibt nur eine Welt,
die der wirklichen Wesen, nur einen Grund alles Bewegens
und Handelns, alles Lebens — das Sittengesetz — und nur
ein Ziel, — die Ausführung desselben — das Sittengesetz ist
das Weltgesetz." „Während bei den unbewussten Wesen die
klare Unterscheidung und damit die Wahl fehlt", so dass ihr
Thun blinden Kräften folgt, kann der Mensch von seiner
Selbstthätigkeit freien Gebrauch machen, dergestalt, dass was
„in den niedrigeren Bildungen als blindwirkende Naturkrafl
erscheint, sich bei ihm als frei handelnder Geist entfaltet, der
sich als Urheber seiner Handlungen und der Verantwortlich-
keit fĂĽr dieselben bewusst ist." So sehr Ref. hier mit des Ver-
fassers Auffassung darin sympathisirt, dass er in der natĂĽr-
lichen Spontanität die Grundlage auch der sittlichen Freiheit
erblickt und einen Gegensatz von Freiheit und Causalität nicht
zulässt, welcher nur auf einer missverständlichen Auffassung,
sei es der Freiheit, sei es des Causalitätsprincips fussen kann,
so sehr er femer auch die Herrschermacht des Sittengesetzes
Maximilian Drossbach: Ueber Kraft und Bewegung etc. 75
mit dem Verfasser anerkennt, so kann er doch nicht umhin,
in dessen AusfĂĽhrungen eine eigentliche, wissenschaftlich halt-
bare Vermittlung zwischen der blossen Spontanität und dem
Sittengesetz schmerzlich zu vermissen. Wenn es nach des
Verfassers Ausdruck nur einen Grimd alles Bewegens und
Handelns, alles Lebens und Strebens gibt, das Sittengesetz —
wie kann es dann geschehen, dass der Mensch sich doch dem-
selben so oft und entschieden entzieht? Ist nicht gerade mit
der von dem Verfasser so stark betonten Freiheit des Wol-
fens ebensowohl die Möglichkeit der Nichtsittlichkeit als der
Sittlichkeit gegeben? Aber ^ der Verfasser befindet sich ĂĽber-
haupt in dem brrthum, durch seine Aufstellungen den Dua-
lismus besiegt zu haben, indem er Alles auf ein emheitliches
Princip zurĂĽckfuhren will. Der Dualismus wird doch durch
Reduction der Erscheinungen auf blosse Kraftwesen nicht fort-
geschafft, denn es gilt, um zu einer abschliessenden Weltan-
sicht zu gelangen, nicht bloss die Erklärung der mechani-
schen Ordnung der Dinge, sondern auch der organischen
Wesen, ja des Bewusstseins — was mit den von dem Verfasser
aufgestellten Kategorien nicht geleistet werden kann. Den
Kraftwesen ferner Empfindung beizulegen, wie er es thut,
hilft auch zu nichts. Denn abgesehen davon, dass man sich
von Empfindungen ohne Bewusstsein gar keine Vorstellung
machen kann, und bei Wesen, die kein ausgebildetes Nerven-
system besitzen, Empfindungen anzunehmen, rein willkĂĽrlich
ist, so begreift man auch noch nicht, wie die Empfindungen
als solche zu Bewegungen, zur Attraction, Gohäsion u. s. w.
fĂĽhren, man mĂĽsste denn mit der Phantasie, statt mit dem
kritischen Verstände arbeiten. — Trotz der mancherlei Ausstel-
hmgen, welche man der Drossbach'schen Schrift gegenĂĽber
geltaid zu machen nicht umhin kann, und welche im Obigen
nur fluchtig angedeutet werden konnten, muss Referent am
Schluss doch auf das Anfangs ausgesprochene Urtheil zurĂĽck-
kommen, dass dieselbe an mehr als einem Pimkte recht be-
aehtenswerthe Argumentationen ĂĽber Grundfragen der Meta-
physik bietet
C. S.
76 Ernest NaYille: La logique de Thypothte.
La logique de Thypothtee, par Emest NavĂĽle, correspondant
de rinstitut de France. Paris, G. Baillifere et Co. 1880.
(Vm u. 288 S.) 8^
„Die Wissenschaft hat nie anders als mittels der wahren
Methode Fortschritte gemacht, d. h. durch die Anwendung
richtiger Voraussetzungen; aber die Theorie der Wis-
senschaft, wie man sie allgemein gefasst hat, findet sich in
•
diesem Punkte mit dem wirklichen Gange der Wissenschaft
in völligem Widerspruch. In unsern Tagen fangt man an,
die Wahrheit zu erkennen: aber wenn man die gebrauchtesten
Lexiken und die verbreitetsten philosophischen BĂĽcher aber
den Ursprung unserer Erkenntnisse zu Rathe zieht, so wird
man finden, dass die Hypothese entweder mit Stillschwei-
gen ĂĽbergangen (das ist der Fall in fast aflen Lexiken des
17. Jahrhunderts) oder verbannt ist (das ist der Fall in den
meisten Lexiken des 18. Jahrhunderts), oder dass sie als ein
Verfahren bezeichnet wird, zu dem man in gewissen Aus-
nahmefällen und gleichsam in der Verzweiflung an einer Ur-
Sache seine Zuflucht zu nehmen gezwungen ist, wenn die
regelrechten Verfahrungsweisen der Induction und Deduction
nicht ausreichen. So findet sich der wesentliche Factor der
Wissenschaft entweder unterdrĂĽckt oder auf einen unterge-
ordneten Platz verwiesen, und wird fast immer mit einem
Zeichen des Misstrauens begleitet.^' In diesen Worten hat
der Verfasser den Standpunkt bezeichnet, von welchem aus
er seine Untersuchung und Darlegung des Wesens der Hy-
pothese unternimmt. Ein andermal sagt er geradezu: „ Ari-
stoteles hat die Logik der Deduction formulirt; die Logik dei
Induction ist von den Neueren bedeutend vorwärts gebracht
worden; die Logik der Hypothese ist noch zu machen."
Er geht nun damit so zu Werke, dass er im ersten Theile
seines Werkes die historischen Ursachen des Uisscredits auf-
sucht, in welchem die Hypothese steht, und dann ihre Stel-
lung in der mathematischen und der Realwissenschaft ent-
wickelt. In allen wissenschaftlichen Untersuchungen, so lautet
sein Resultat, besteht das methodische Verfahren aus drei
Elementen: der Beobachtung (der Erscheinungen oder That-
Emest NaÂĄĂśle: La logique de Thypoth^se. 77
Sachen), der Voraussetzung (zur Erklärung jener) und der
Verification (der Voraussetzung). Die Hypothese ist von
diesen drei bestimmt zu unterscheidenden, aber doch von
einander nicht zu trennenden Elementen das mittlere, indem
sie an die Beobachtimg anknäpft und durch die Verification
entweder zerstört oder bestätigt wird. — Im zweiten Theile
des Buches wird das Wesen der wissenschaftlichen Hypothese
(conditions des hypoth^ses serieuses) näher erörtert: sie dürfe
weder der Vernunft noch der Erfahrung widerstreiten und
mĂĽsse sich verificiren lassen; sie sei dasProduct einer freien
selbstständigen Geistesthätigkeit, welche der Verfasser als „ge*
male*' im allgemeineren Sinne des Wortes bezeichnet, und
deren Bedingungen er auseinandersetzt Der dritte Theil
handelt von den bei der Bildung von Hypothesen leitenden
Grundsätzen (principes directeurs des hypothtees) und ist
(wie ĂĽbrigens das ganze Werk) reich an feinen und scharfsinnigen
Bemerkungen, wie z.B. dass bei biologischen Hypothesen die
Idee des Zwecks das eigentlich leitende Princip sein mĂĽsse,
in der Psychologie aber die richtig gefasste Idee der Freiheit.
„Bei den, sei es auf das Individuum, sei es auf die mensch-
Gehe Gesellschaft bezĂĽglichen Theorien darf man niemals die
Freiheit und die Schranke der Freiheit vergessen, die Rea-
lität des Individuums und die Solidarität, welche das-
selbe nicht nur mit seinem ganzen Geschlechte, sondern mit
dem gesanmiten Universum verknĂĽpft: das ist hier (in der
Psychologie) das leitende Princip." — Sodass, wie man ersieht,
der Verfasser weder vom Positivismus etwas wissen will, des-
sen Kritik auch ein besonderer Abschnitt gewidmet ist, noch
von der landläufigen Pseudomoral des Utilitarianismus. In
den letzten Kapiteln erhebt sich Naville zu allgemeinen An-
sichten ĂĽber die letzten Principien des wissenschaftlichen Ver-
fahrens imd fügt in einem grösseren Anhange, „Fragen und
Antworten" ĂĽberschrieben, weitere Bemerkungen ĂĽber das
in seinem Buche Vorgetragene hinzu, die ihm, nachdem er
seme Arbeiten ĂĽber die Hypothese in der Revue philoso-
pUque (Juli 1876 bis September 1877) publicirt und in Folge
dessen allerhand Uittheilungen darĂĽber von wissenschaftlichen
Fremiden empfangen hatte, als Entgegnung darauf nöthig er-
78 Anton von Leclair: Der Realismus der modernen Naturwissenschaft.
schienen sind und in der That zur Erläuterung seiner Lehren
wesentlich beitragen.
Der Verfasser hat in seiner Schrift weniger durch An-
schluss an philosophische Vorgänger Stütze gesucht, als er
sich durch das Studium der Geschichte der Naturwissenschaf-
ten, worin er sich ausserordentlich bewandert zeigt, licht-
gebende Exemplificationen und fördersame Begründungen ver-
schafft hat. Damit erhält das Buch allerdings etwas Eigen-
artiges, wodurch es anziehend und anregend wirkt; aber man
vermisst doch ungern darin die nähere Rücksichtnahme auf
die ĂĽber den verhandelten Gegenstand in der philosophischen
Litteratur bereits vorhandenen Theorien, so auf Kant, welcher
bekanntermaassen in der Kritik der reinen Vernunft einge-
hend von der Hypothese gehandelt hat, so, um von den
Zeitgenossen nur zwei zu nennen, auf Lotze und Wigand,
welcher letztere in seinem Werke ĂĽber den Darwinismus
gleichfalls das Wesen der wissenschaftlichen Hypothese unge-
mein eingehend und scharfsinnig beleuchtet. Nichts desto weniger
ist Naville's Buch auch von uns Deutschen als eine wesentliche
Ergänzung der wissenschaftlichen Methodenlehre anzuerkennen,
und man wird nicht unterlassen dĂĽrfen, den von ihm so be-
deutend erweiterten Begriff der Hypothese in nähere Erwägung
zu ziehen, wobei das oft wiederholte Hervorkehren der psy-
chologischen Seite (z. B. p. 261 : la logique de Thypoth^se
met en evidence la valeur de Findividualit^ — — eile est
Foeuvre de genie etc.) von ganz hervorragendem Interesse
ist und unzweifelhaft einen bemerkenswerthen Fortschritt
bezeichnet. G. S.
Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der
von Berkeley und Kant angebahnten Erkenntnisskritik. Kri-
tische StreifzĂĽge von Dr. Anton van Ledair. Prag, 1879.
F. Tempsky. (VH, 282 S.) 8«.
Der Verfasser bekämpft in diesem Buche den von ihm
so geheissenen realismus vulgaris der modemefl Naturwissen-
schaft, hat aber in der Hitze des Gefechtes gänzlich über-
sehen, dass es auch einen Idealismus vulgaris geben kann und
Anton Ton Leclair: Der Realismus der modernen Naturwissenschaft. 79
dass er selbst dieser Denkweise mit unglaublicher Naivetät
sich verschrieben hat. Es ist nämlich noch ein grosser Sprung
von der Bekämpfung der realistischen Theorien der modernen
Naturwissenschaft bis zur Aufstellung des subjectiven Idealis*
mus als der endgültigen Fixirung des Verhältnisses von Denken
und Sein, der in dem Satz gipfelt, das Bewusstsein sei der
Rahmen oder die Form jedes uns erreichbaren Seins (S. 9).
Der subjective Idealismus ist im Rechte, so lange er sich
^en die mannichfachen Abarten jenes naiven Realismus
wendet, der die Realität des Seins nun einmal nicht anders
retten zu können glaubt, als wenn er sie dem Bewusstsein
gleichsam als einen harten undurchsichtigen Stoff gegenĂĽber-
stellt, an welchem das Denken nachträglich seine Leistungs-
fähigkeit zu versuchen hat. Dass das freilich ein sonderbares
Denken ist, welches seinen Inhalt erst suchen muss, noch
dazu ohne die geringste Garantie ihn zu finden, ist bis jetzt
aUerdings noch zu wenig gewĂĽrdigt. Wir stimmen deshalb
dem Verf. bei, wenn er beispielsweise unsere Wahrnehmun-
gen nicht als blosse Symbole, Zeichen jener sonst unbekannten
Dinge betrachten will, denen eine von jedem Acte des )Vahr-
nehmens unabhängige Existenz zuzugestehen sei (S. 31). Auf
diesem Wege kommt man consequent zu der (auch von
Caspari vertretenen) VerflĂĽchtigung des Begriffes zu einem
blossen Symbol der Wirklichkeit und der Nominalismus ist
fertig. Der Verf. scheint jedoch der Ansicht zu sein, als ob
die Wissenschaft mit dem „folgerichtig und furchtlos ausge-
dachten Eant'schen Idealismus^S d. h. mit der Beseitigung
aller und jeder dem Bewusstsein autoritativ und normativ
gegenüberstehenden Realität ihr letztes Wort gesprochen habe.
Und eben diese Ansicht können wir nicht anders denn als
eine merkwürdige Naivetät taxiren, w^elche den Kernpunkt
der erkenntnisstheoretischen Grundfrage völlig ausser Acht
lässt. Gerade an dem Punkte nämlich, wo der Verf. seine
Aufgabe als eine vermeintlich gelöste hat fallen lassen, be-
ginnt die eigentliche Fragestellung nach dem Verhältniss von
Denken und Sein aufs Neue. Aller Kampf gegen die reali-
stischen Anschauungen Icann ja doch nicht den Sinn haben,
die Objectivität und Realität des Daseins schlechterdings ent-
80 Anton von Leclair: Der Realismus der modernen Naturwissenschaft.
fernen zu wollen, denn auf diese Art wĂĽrde allerdings der
Illusionismus unvermeidliche Folge sein, sondern nur darum
handelt es sich, alle Hindernisse zu beseitigen, welche einer
principiellen Fassung und Begründung der Objectivität
und Realität alles Seins und Denkens im Wege stehen. Wir
mĂĽssen ĂĽber alles dogmatisch vom Realismus vorausgesetzte,
vom Bewusstsein absolut unabhängige, in sich selbst quali-
tativ bestimmte Sein hinwegschreiten und kritisch den Ge-
danken des Bewusstseins selber fassen als des alleinigen Aus-
gangspunktes aller Philosophie. Aber eben damit ist lediglich
der Ausgangspunkt der Erkenntnisslehre gegeben und die
richtige, kritische Stellung der Frage ermöglicht, welchen
Sinn und welche Bedeutung denn die Objectivität der Welt
innerhalb unseres Bewusstseins haben könne und müsse.
Der Verfasser hat gänzlich übersehen, dass, wenn dem Be-
wusstsein das Ding an sich vollständig unter den Füssen
weggezogen wird, dann auch seine SteUung im Erkenntniss-
prozesse eine vollständig andere und demnach eine erneute
Untersuchung des Wesens imd Inhaltes des Bewusstseins
nöthig wird. Die Streichung des Dinges an sich, d. h. die
Wegschaffung alles dogmatischen Realismus, ist eine ein-
schneidende Thatsache von so ungeheurer Tragweite, dass
dadurch eben auch das Bewusstsein in der empfindlichsten
Weise mitbetroffen wird, und das Problem seines Verhältnisses
zur objectiven Welt eine durchaus neue Lösung erheischt.
Der subjective Idealismus vollzieht t die Radicalkur nur am
naiven Realismus, am Ding an sich; im Uebrigen aber be*
hält er unkritisch das Bewusstsein des naiven Realismus bei
und ändert nur insoweit, als er demselben einfach dogma-
tisch die ganze vom naiven Realismus nach aussen gesetzte
Realität aufbürdet. Allein die Kritik muss nun auch den
letzten Schritt thun und die Radicalkur an dem durch Strei-
chung des Dinges an sich wesentlichst mitbetroffenen Be-
wusstsein vornehmen, indem sie sich die Frage vorlegt,
durch welchen Begriff der Objectivität und Realität innerhalb
des Bewusstseins das Ding an sich des naiven Realismus er-
setzt werden mĂĽsse, da man sich doch bei der unkritischen
Einseitigkeit des zum Illusionismus fĂĽhrenden subjectiven
Anton Ton Ledair: Der Realismus der modernen Natm'wissenschaft. Sl
Idealismus nicht beruhigen könne. Der Verfasser irrt gar
sehr, wenn er in den Positionen der naiven Realisten nur
Fehler, Irrthünier, Täuschungen aeht, die man um jeden
Preis von der Wurzel an auszurotten habe. Ich behaupte
dem gegenĂĽber, der naive Realismus vertrete ein durchaus
berechtigtes Moment: den unserm Denken angeborenen Drang
sich einer Realität und Objectivität zu versichern, welche die
Denkacte des Einzelnen über die blosse Subjectivität und
Particularität hinaushebt und ihnen den Gharacter der Noth-
wendigkeit und unbestreitbaren Allgemeingultigkeit verleiht.
Die Wissenschaft kann sich allerdbgs bei der Gestalt nicht
beruhigen, welche dieser Drang beim naiven Realismus an-
genommen hat; sie muss aber auch ĂĽber die Halbheit des
subjectiven Idealismus hinausschreiten imd einen kritischen
Idealismus begründen, in welchem jene Objectivität mid Rea-
lität als die Wahrheit und Wirklichkeit des Bewusstseins
selbst und das Bewusstsein mit der Aufgabe betraut erscheint,
jene ihm inmianente Objectivität denkend zu immer höheren
Graden der Klarheit, Nothwendigkeit und AllgemeingĂĽltigkeit
zu erheben. Erst dann, wenn der Philosoph seine Aufgabe
kritisch zu Ende gefĂĽhrt hat, kann er den Naturforscher mit
Recht und GrĂĽnden auffordern, seinen unkritischen Realismus
aufzugeben, während der subjective Idealist dem naiven Rea-
listen nur als Dogmatiker gegenĂĽbersteht, der noch dazu ein
wahres und wirkliches BedĂĽrfniss des Letztem nur abzustrei-
ten, selbst aber dafĂĽr nichts Besseres zu bieten weiss. Es
ist hier natĂĽrlich nicht des Ortes, die Andeutungen eines
kritischen Idealismus weiter zu verfolgen; wenn indess unsere
gegenwärtige philosophische Generation sich einmal von der
unverzeihlichen Selbsttäuschung frei machen wollte, als hätten
wir in den nachkantischen Philosophemen lediglich glänzende
ĂśTthumer zu beklagen, wenn man sich beispielsweise wieder
einmal die MĂĽhe nehmen wollte, die Fichte'sche Wissenschafits-
lehre, Hegel's Phänomenologie des Geistes, Schleiermacher's
Dialektik u. dgl. einer erneuten Revision zu unterziehen und
in diese Heisterwerke einer tiefsinnigen Dialektik nicht mit
der hochnäsigen Blasirtheit des Besserwissens, sondern mit
dem grĂĽndlichen Ernste eines fleissigen SchĂĽlers einzudringen:
Pilowph. MonatBhefta 1881, I u. II. 6
82 Harald Höfiding: Die Grundlage der huEumen Ethik.
dann, meine ich, wĂĽrde unser philosophisches Streben nicht
immer wieder hinter das von jenen Mannern Erreichte zurĂĽck-
sinken, sondern wir wĂĽrden gegrĂĽndete Hoffnung haben, in
ihren Fussstapfen wieder einmal etwas vorwärts zu kommen;
als das endgĂĽltige Ziel unserer Erkenntnisslehre aber wĂĽrde
sich dann immer klarer ein kritischer Idealismus herausstellen,
zu dem jene grossen Systematiker nach Kant die werthvoll-
sten Grundlagen bereits gelegt haben, während die Gegenwart
jene Errungenschaften geflissentlich zu ignoriren scheint.
J. KreyenbĂĽhl.
Die Grundlage der humanen Ethik. Von Dr. Harald Höffding. Aus
dem Dänischen. Bonn, E. Strauss. 1880. (II, 106 S.) 8^
Im Vorwort theilt der als Docent der Philosophie an der
Universität zu Kopenhagen wirkende Verfasser mit, dass die
vorliegende kleine Schrift ein Theil seiner im Jahre 1875 an
der genannten Hochschule gehaltenen Vorlesungen ĂĽber Ethik
sei, den er im Jahre darauf in dänischer Sprache veröffent-
licht habe. Sie versucht in fĂĽnf Kapiteln (Psychologische Be-
merkungen — Individuelle Ausgangspunkte — Die Autorität —
Das ethische Gesetz und der Fortschritt — Die Freiheit des
Willens) eine Grundlegung der Ethik, wobei zunächst zwar
vom subjectiv-psychologischen Standpunkt ausgegangen wird,
im Laufe der Argumentation aber auch anderweitige Gesichts-
punkte hervortreten. Da der Verfasser nämlich ganz richtig
erkannt hat, dass eine BegrĂĽndung der Ethik vom Standpunkt
des Emzelsubjects allein aus nicht möglich ist, zieht er auch die
Wechselwirkung der Individuen mit der Gesellschaft in Be-
tracht, sowie ferner die Idee des menschlichen Geschlechts
ĂĽberhaupt, sowie es historisch wird , und geworden ist und
zur Natur in innigster Beziehung steht. Seine ethische Be-
trachtung fasst demnach den Menschen als Glied einer unend-
lichen Kette von Wesen, wie er einerseits durch die ganze
Vergangenheit seines Geschlechtes, ja der Natur ĂĽberhaupt be-
dingt, andererseits mit einem idealen Vervoilkommnungsstreben
ausgestattet ist. Daraus ergibt sich ihm alsPrincip der „hu-
manen Ethik" die Idee der „harmonischen Vereinigung freier
Harald HMding: Die Grundla^ der humanen EthiL 83
Persönlichkeiten^', oder wie er es ein andermal ausdruckt,
„die Idee des Menschengeschlechtes als eines Reiches von Per-
sönlichkeiten oder als einer lebenden Einheit individueller
Kralle" — welche Idee, so fahrt er fort, nicht die Frucht
willkĂĽrlicher Speculation ist, sondern ein Ideal, das sich im
Laufe der Geschichte fĂĽr das menschliche Bewusstsein gebil-
det hat, indem der Gedanke auf känstlerische Weise die Ele-
mente zum Bilde des Vollkommenen aus der unvollkommenen
Wirklichkeit holte, ein Ideal, dessen unvollständige, aber fort-
schreitende Verwirklichung man nachweisen kann. Mit die-
sem seinem ethischen Principe sucht Dr. Höffding eine mitt-
lere Stelle einzunehmen zwischen denen, welche wieBentham
mid St Mill, das menschliche Handeln ganz materialistisch
auffassen, und denen, welche wie Kant, es von einem ab-
stracten Vemunftgebot oder, wie die theologischen Ethiker,
vom Gehorsam an eine göttliche Offenbarung wollen geleitet
wissen. Er bekämpft Bentham ausdrücklich, welcher für das
central-ethische Verständniss keinen Blick gehabt habe, indem
er „Pflicht", „Sollen" verbannen wollte, und macht geltend,
dass das ethische Verhältniss erst entstehe, wenn der Mensch
sich nicht nur als Zweck, sondern auch als Mittel, nicht bloss
als Herr, sondern auch als Diener — Mittel und Diener um-
fassenderer Zwecke fĂĽhle, als seine eigne Lust und Unlust
ist Aber wie den Individualismus, findet er auch die Sym-
pathiemoral dazu ungenügend : „die Liebe muss sich der Ge-
rechtigkeit (die nach Leibniz Caritas sapientis, die Liebe des
Weisen ist) als dem leitenden, ausgleichenden und Harmonie
schaffenden Princip in der menschlichen Gesellschaft unter-
ordnen." Liegt darin, daĂĽss nicht auf Grund unmittelbarer
Triebe, sondern erst des Bewusstseins von Regel und Gesetz
ethisches Handeln möglich sei, so darf man nach dem Ver-
fasser doch nicht glauben, dass die Vernunft als solche das
Moralprincip ergeben könne. „Denken wir uns, so sagt er
wörtlich, eine klare und allseitig entwickelte Vernunft, in Ueber-
dostimmung mit welcher der Wille unmittelbar wirkt, so wird
eine solche Erscheinung nicht zu dem Ethischen zu rechnen
sein." Umgekehrt muss vielmehr die reine Vernunft ihre Vor-
steDung einer allgemeinen Gesetzgebung durch die Erfahrung
84 Harald Höffding: Die Grundlage der humanen Bthik.
empfangen, deren Elementen sie nur eine „ideale Einfachheit"
gibt. „Denn stets liegt die Erfahrung zu Grunde; nur aus
ihr können die Elemente idealer Gonslructionen geschöpft wer-
den." Insbesondere weist die Ethik auf die Geschichte zu-
rĂĽck, als deren Resultat Individuum wie Gesellschaft betrachtet
werden müssen. Nicht die „individuelle Vernunft" Also kann
nach ihm das ethische Princip sein, sondern die höhere Macht
eines auf geschichtlicher Grundlage ruhenden Gesetzes muss
dazu eintreten, welches das Reich der Humanität zu verwirk-
lichen dient.
Diese höhere Macht darf aber nicht, so fährt er fort,
unter der Form der Autorität gesucht werden. Der Verfasser
erkennt freilich die erziehende Macht der Autorität an, aber
er vermag nicht, sie als das rein Ethische anzuerkennen. „So
lange die Autorität als ein Drittes zwischen dem Handelnden
einerseits und dem Gesetz und Zweck der Handlung anderer^
seits steht, so lange ist das Handehi nur indirect ein ethi-
sches, weil andere Motive herrschen, als eben die Anerken-
nung des Gesetzes und die Ehrfurcht vor demselben."
„Die Autorität ist eine Lebensbedingung für das öffentliche
und dadurch auch fĂĽr das ethische Leben, aber das Leben
erreicht erst seine höhere Entwicklung, wenn die Autorität
sich unterordnet." „Die Gültigkeit und der Werth der ethi-
schen Ideen beruht auf ihnen selbst, auf ihrem innerlichen
Zusammenhange mit dem Wesen und den Grundbedingungen
des menschlichen Lebens, obschon sie sich historisch unter
dem Schutz der Autoritäten entwickeln.'^
Der Gedanke, dass wir das Leben der Menschheit als
Resultat eines langen Entwicklungsprocesses anzusehen haben,
liegt allen Erörterungen des Verfassers zu Grunde. Diesen
Entwicklungsprocess fasst er zunächst als eben rein natür-
lichen, „der nicht erst mit dem Auftreten des Menschen be-
gonnen habe", als einen „organischen und physischen", und
steht damit auf dem Boden der sog. Evolutions- oder Des-
cendenzlebre. Aber zweitens gibt er derselben die Wendung,
dass der Mensch als das höchste Glied der Eutwicklungsreihe
den von ihm errungenen Platz nicht bloss zu behaupten,
sondern auf Grund idealer VorwĂĽrfe mit relativer Freiheit
Harald Höffdmg: Die Grandlage der humanen Ethik. S5
auch zur Weiterbildung zu benutzen habe. „Sein Kampf um
das Dasein wird ein Kampf fĂĽr die Wurde der Menschheit."
Der Mensch hat im Laufe der Zeiten die Anschauung von
Aufgaben und Pflichten gewonnen, die nicht nur aber den
blossen Selbsterhaltungstrieb, sondern auch ĂĽber die Sym-
pathie hinausgehen, welche in der That Vernunft voraussetzen
— Vernunft in dem Sinne, dass sie mehr als ein bloss for-
melles Vermögen ist, vielmehr ihren lebendigen und reichen
Inhalt durch die Anschauung des Lebenslaufs der Mensch-
heit, der Gesetze und Bedingungen empfängt, unter welchen
er sich vollzieht Diese Art der Vernunft schliesst aber fĂĽr
den Menschen zugleich die Einsicht in seine Vergänglichkeit
mit ein, was nicht hindert, dass er, mit Dante zu reden, „als
fröhliches Glied in der Kette der Weltordnung" in „heiterer
Resignation^' lebe; sogar religiöse Stimmung wird er bewah-
ren, insofern sein Abhängigkeitsgefühl in Ehrfurcht übergeht,
da ihm die Weltordnung nicht länger als eine physische, son-
dern als eine ethische erscheint. Denn Ethik und Religion
sind eng verbunden; „auf beiden Gebieten spielt das Gefühl
der Ehrfurcht eine Hauptrolle," „der Unterschied besteht nur
darin, dass in der Ethik, wo der Mensch handelnd auftritt,
dieses Gefühl mit seiner eigenen höchsten Erkenntniss der
Zwecke und Aufgaben verbunden ist, während er in der Re-
ligion weiter zurĂĽckgeht und sieht, dass sowohl seine Hand-
lungen wie sein ganzes Wesen, mit allen seinen WĂĽnschen
und Zwecken, ein Glied des Menschen- und Naturlebens, und
dessen Bedingungen unterworfen ist."
Hiemach lässt sich der Standpunkt des Verfassers fol-
gendennassen charakterisiren. Er sieht die Menschheit als
das Resultat eines natĂĽrlichen Entwicklungsprocesses an, der
Ton unten beginnt, und von der Thierheit zu einem zunächst
rohen menschlichen, dann zum civilisirten menschlichen Leben
ĂĽbergeht. h\ diesem Process ist das Seelische als etwas aus
der körperUcben Organisation Hervorgegangenes urid darum
Vergängliches anzusehen, das sich aber zu der mit dem In-
halt der Erfahrung erfĂĽllten und mit idealem Streben ausge-
wählten Vernunft erhebt. So entspringt die Idee des allge-
meineD Humanitäiszweckes, welcher bei relativer Freiheit die
86 Harald HöfFding: Die Grundlage der humanen Ethik.
Vorstellung und Anerkennung sittlicher Verpflichtung und die
Idee einer sittlichen Weltordnung zur Folge hat, welche trotz
der Elimination eines göttlichen Wesens das religiöse Abhän-
gigkeitsgefühl unterhält.
Dieser Ansicht nun lässt sich die Anerkennung nicht ver-
sagen, dass sie über den falschen Individualismus der Ehidä-
monisten und Utilitarier sich erhoben, sowie die Einseitigkeit
eines abstracten Rationalismus glĂĽcklich vermieden habe. Was
der Verfasser femer über das Autoritätsprincip bemerkt, wird
man im Allgemeinen auch als zutreffend bezeichnen können.
Der Gedanke endlich eines der Menschheit gemeinsamen Zieles,
zu dessen Erreichung Jedweder mitzuwirken verpflichtet ist,
bildet in der That das höchste Ideal der humanen Ethik.
Insofern also hat Dr. Höffding gewiss das Richtige getroffen.
Aber hier erhebt sich nun sogleich die Frage nach dem Inhalt
jener Idee, nach dem Wesen jenes allgemein menschlichen
Zieles — und auf diese Frage sehen wir uns vergebens in seinem
Buche nach einer Antwort um. Er sagt uns nicht, worin die
„harmonische Vereinigung freier Persönlichkeiten" bestehe,
welche er fordert, oder was „die lebende Einheit individueller
Kräfte" soll, von der er redet. Seine Ausdrücke darüber
sind so allgemein gehalten, dass die verschiedensten Ansich-
ten darunter gefasst werden könnten, denen er selbst doch
sicherlich fern steht, z. B. die päpstliche Gesammtmonarchie der
Jesuiten und der Socialdemokraten Zukunftsstaat. Auch die
Berufung auf die Erfahrung und das historische Werden hilft
dabei zum näheren Verständniss nichts, denn jede Partei, also
auch die der Jesuiten und Socialdemokraten, pflegt zu be-
haupten, dass ihre Principien das letzte Resultat des histori-
schen Processes darstellen. Es wird also in Dr. Höffding's
Schrift das Kriterium vermisst, an dem das wahrhaft ethische
Menschheitsziel erkannt werden kann. Was aber noch schlim-
mer ist, er beeinträchtigt sein zunächst unbestimmt gehaltenes
Princip durch die Einmischung eines der Moralphilosophie ge-
genüber feindlichen Dogmatismus. Indem er nämlich die (von
Gh. Darwin aufgefrischte) Entwicklungslehre für die „wahr-
scheinlichste Hypothese" erklärt, hat er auf sie durchweg
sein Raisonnement gestĂĽtzt. Setzen wir nun einmal den Fall,
Harald Höffding: Die Grundlage der humanen Ethik. 87
dass es mit dieser naturalistischen Evolutionstheorie seine Richtig*
keithabe, was wurde daraus folgen? Sicherlich doch zunächst
dies, dass der Mensch ein schlechthin vergängliches Wesen, ein
blosser Durchgangspunkt des allgemeinen Naturlebens sei. Diese
Consequenz hat der Verfasser denn auch wenigstens andeutungs*
weise gezogen. Aber was daraus weiter folgt, hat er nicht
erwogen, nämlich dass damit die innere Verantwortlichkeit,
das sittliche Gewissen, und also auch das Pflichtbewusstsein
des Menschen aufgegeben wird. Allerdings spricht Dr. Hoff*
ding davon, dass das Naturgesetz in der Menschheit zu einem
Sittengesetz, zu einer moralischen Weltordnung, und der Kampf
ums Dasein zu ein^n Kampf fĂĽr die WĂĽrde der Menschheit
werde, aber wie dieser Uebergang denkbar sei, das hat er
Dicht gezeigt. Er kann es nicht zeigen, denn wie soll doch
aus dem abstract gefassten Naturgesetz, welches als aus*
nahmslos und unbewusst wirkend gedacht wird, ein ethisches
Gesetz werden, da dieses Bewusstsein und Freiheit voraus-
setzt; jenes mechanisch, dieses teleologisch ist? Das schlecht-
hin Verbindliche der Pflicht, welches der Verfasser so treff-
lich hervorhebt, erträgt keine Beeinträchtigung durch die dog-
matische Annahme der Vergänglichkeit des menschlichen We-
sens. Es gibt eben keine Vermittlung zwischen dem Evan-
gelium des Fleisches und dem des Geistes; sie sind und
bleiben unversöhnliche Gegensätze. Wer dem ersteren folgt,
fĂĽr den gibt es, wenn er logisch fortdenkt, kein Gewissen
und darum auch keine Pflicht im eigentlichen Sinne des
Wortes; wer dagegen die Pflicht und ein ideales Ziel der
Menschheit anerkennt, wie Dr. Höffding doch thut, der muss
auch daran festhalten, dass das Naturgesetz bloss relative,
werkzeugliche Bedeutung fĂĽr die Menschheit habe. Aber
gehen wir ferner auf den Grund des ganzen Raisonnements
Dr. Hdffding's ein, auf seine Annahme eines allgemeinen bio-^
logischen Entwicklungsprocesses, so muss doch darauf hinge-
wiesen werden, dass dieser von ihm als „wahrscheinlichste^-
bezeichneten Hypothese aus den Thatsachen der Natur selbst
keine Verification geschafft werden kann, sondern sie nur auf
der logisch unberechtigten Ausdehnung vager Analogien fusst.
Das ist doppelt schlimm fĂĽr einen Autor, der immer auf die
88 Harald Höilding: Die Grundlage der humanen Ethik.
Erfahrung als Erkenntnissprincip hinweist. Gibt es aber
keine Erfahrung darĂĽber, dass eine Species lebender Wesen
in eine andere ĂĽbergegangen sei, sprechen vielmehr alle Er-
fahrungen dagegen, so kann auch die — im Sinne eines
Ueberganges der Thierheit zur Menschheit — gefasste Evo-
lutionshypothese nicht als Fundament einer ethischen Theorie
dienen oder zu deren BegrĂĽndung beitragen.
Diejenige Erfahrung, diejenige Thatsache, von welcher
die Ethik ohne Zweifel auszugehen hat, ist die von Dr. H.
so bestimmt anerkannte Thatsache des Pflichtbewusstseiiis.
Diese wirft ihr Licht zugleich vorwärts und zurück, um mit
Homer zu reden: Nach vom fĂĽhrt sie uns zur Idee der sitt-
lichen Weltordnung, welche fĂĽr den logisch Denkenden selbst-
verständlich nicht nur ein ordo ordinatus, sondern ein ordo
ordinans ist, d.h. ein lebendiger Geist, der das Ganze leitet,
da doch die einzehien Glieder (Dr. Höffdings freie Persönlich-
keiten) als solche die Weltordnung nicht vertreten können,
da sie deren Gesetze nicht einmal zu begreifen im Stande
sind. (Die freien Persönlichkeiten sind ja nicht einmal im
Stande, die Gesetze, nach denen die Vorsehung des ordo or-
dinans sie selbst, d. h. jede einzelne von ihnen leitet, zu be-
greifen — oder doch nur zum geringsten Theile und sehr
spät, — viel weniger die des Ganzen.) Rückwärts gewandt
zeigt uns das Pflichtbewusstseiu des Menschen Erhebung ĂĽber
«
und seine Selbstständigkeit gegen die Natur, ein Verhältniss,
welches seinem innersten Wesen zwar sehr räthselhaft sein
mag, aber als thatsächlich nichts destoweniger anerkannt
werden muss und auch von dem Verfasser durch seine Frei-
heitstheorie ganz richtig anerkannt wird. Wenn derselbe, wie
ich ihn zu bitten mir erlauben möchte, die Grundlagen seiner
ethischen Anschauung einer genaueren kritischen Revision
unterzieht, wird er sich am Ende selbst der Einsicht nicht
verschliessen können, dass der von ihm versuchte Compro-
miss der Ethik mit der apsychistischen und atheistischen Elvo-
lutionshypothesc sich nicht aufrecht halten lässt ohne ver-
derbnissdrohende Schädigung der ersteren, und er wird dann
nicht anstehen, den faulen Frieden zwischen jenen beiden
unversöhnlichen Gegensätzen zu Gunsten einer reinen und
Richard FäkkenberiT: Ueber den intelligiblen Gfaarakter. 89
wahrhaft freien MoralitAt aufzulösen, zumal das an sich löb-
liche Streben, den von der Menschheit gewandelten dunkeln
Pfad wissenschaftlich aufzuhellen, mit HĂĽlfe der im Grunde
genommen ganz nebelhaften Evolutionslehre gewiss nicht ge-
fördert wird. Ein so scharfsinniger Denker, wie Dr. Höffding,
der dazu so viel richtiges GefĂĽhl fiir das specifische Wesen
des Sittlichen in seiner Schrift bekundet, kann, denke ich,
sich unmöglich auf die Dauer der Einsicht verschliessen, dass
das ethische Lebensideal eines „Reiches freier Persönlichkei-
ten" sich mit dem puren und consequent durchgefĂĽhrten Na-
turalismus keineswegs verträgt, vielmehr eine ganz andere
Anschauung von der Natur, vom Wesen der Seele und der
Bestimmung der Menschheit fordert, als der empiristische und
relativistische Standpunkt seiner Erkenntnisstheorie zul&sst.
G. Schaarschmidt.
lieber d«i intelligibleii Charakter. Zur Kritik der Eantischen
Freihcitslehre. Von Dr. Richard Faickenberg. Halle, C. E.
M. Pfeffer. 1879. (97 S.) 8^
Diese Erstlingsschrift hat das Verdienst, die Kantische
Lehre von der intelligiblen Freiheit als dem Vermögen, einen
absohlten Anfang zu machen, consequenter durchdacht zu
haben, als dies von ihrem Urheber geschehen ist. Kant will
die ununterbrochen causale VerknĂĽpfung der Erscheinungs-
welt, die ihm nun einmal durch seine theoretische Philoso-
phie feststeht, auch gegenüber der inteUigiblen, absolut schö-
pferischen Freiheit um jeden Preis aufrechterhalten. Er hält
es für möglich, dass in der intelligiblen Welt Akte vollzogen
werden, die absolut von sich selbst aus anfangen, also im streng-
sten Sinne unverursacht sind, und dass trotzdem in den streng
correspondirenden Erscheinungsreihen die causale VerknĂĽpfung
gerade so ununterbrochen weiter laufe, als wenn es in dem
intelligiblen Bereiche zu «olchen absolut freien Akten über-
haupt gar nicht gekommen wäre. Dieser Halbheit gegen-
über hebt Faickenberg nachdrucksvoll hervor, dass „von
ununterbrochenem Gausalzusammenhang nach Naturgesetzen
nor bei Handlungen die Rede sein könne, welche auf subjec-
90 Riehard FUckenberg: Ueber den intelUgiblen Charakter.
tive Triebfedern der Sinnlichkeit erfolgen," dass aber, so-
bald die Idee der Pflicht wirksam sei, „das Naturgesetz
suspendirt werde" (S. 19; 67). Ihm ist die durchgängig cau-
sale VerknĂĽpfung der Naturerscheinungen kein unantastbares
Axiom, er ist so ehrlich und muthig, ^ zu fordern, dass das
Naturgesetz mit Räcksicht auf die moralischen Resultate „be-
richtigt und eingeschränkt werde" (S. 69). — Es bleibe hier
dahingestellt, inwieweit er etwa mit dieser Maxime Recht
habe; soviel indessen ist sicher, dass, wer einmal die Frei^
heit im Eantischen Sinne für ein unerlässliches Postulat an-
sieht, jenen Respect vor der causalen VerknĂĽpfung aufgeben
und die Durchlöcherung des Gausalzusammenhanges der Natur-
erscheinungen als Gonsequenz anerkennen muss.
Diese Anerkennung ist mit noch weiteren, von^Kant ver-
miedenen Consequenzen verknüpft. Bethätigt sich der intel-
ligible Charakter stets dadurch, dass er die causale VerknĂĽp-
fung der Erscheinungen zerreisst, so kann derselbe unmöglich
das dem empirischen Charakter entsprechende Ding an sich
sein (S. 37). „Das empirische Ich ist nicht Erscheinung des
absoluten Ich" (S, 9). In der That, der empirische Charakter
kann nur dann als Erscheinung des intelUgiblen gelten, wenn
dieser — im Gegensatz zur Eantischen Ansicht — als etwas
sich mit innerer Nothwendigkeit in eigenthĂĽm-
licher Weise Auswirkendes gedacht wird. Macht man
dagegen mit Kant das sittliche Wollen, indem man ihm abso-
lute Spontaneität zuschreibt, zu etwas dem naturlichen Re-
geren absolut Heterogenem, so muss man dann auch niit
Falckenberg sagen, dass der empirische Charakter nicht die
Erscheinung des intelUgiblen sei. — Unser Verfasser spricht
nun allerdings diesen Satz nicht, wie es hier geschehen, in
der Form einer ausdrĂĽckUchen Consequenz seiner Auffassung
der intelUgiblen Freiheit aus; er beruft sich fĂĽr ihn vielmehr
auf die Erfahrung, dass das sinnliche Begehren sich so oft
dem sittUchen Wollen kämpfend entgegenstellt
(S. 7; 10). Allein diese „tägUch erlebte Thatsache" beweist
nur dann jenes Nichtentsprechen von SinnUchem und Intelli-
giblem, wenn das sittliche Wollen schon von vornherein
als ein absolut spontanes Wollen, als ein Unterbrechen d?r
Richard Falckenberg: Uöber den inteUigiUen Charakter. 91
natĂĽrlichen Causafareihen und daher als etwas der natĂĽrlichen
Gaosalitat Heterogenes aufgefasst wird. Wenn man dagegen
das sittliche Wollen nicht mit der absoluten Spontaneität im
Eantischen Sinne ausrastet und vielmehr den intelligiblen
Charakter als etwas sich mit innerer Nothwendigkeit dgen-
thämüch Auswirkendes ansieht, so wird dieser ein mehr oder
weniger complicirtes, causal verknĂĽpftes Ineinander von ver-
schiedenen Seiten darstellen, und es kann dann ganz wohl
dem sinnlichen Begehren ein bestimmtes Moment des intel*
ligiblen Charakters und dem in Erscheinung getretenen sitt-
lichen Wollen ein anderes Moment des intelligiblen Charakters
und daher auch dem Kampfe zwischen bösen und
guten Trieben ein Kampf zwischen den verschie-
denen Factoren des intelligiblen Charakters ent-
sprechen. — So ist also bei Falckenberg das Nicht entspre-
chen des empirischen und intelligiblen Charakters, wenn er
dies auch nicht bewusst hervorhebt, dennoch eine Consequenz
seines schroff gefassten Freiheitsbegriffes.
Endlich hängt es mit dem Freiheitsbegriffe des Verfassers
zusammen, dass er den empirischen Charakter wie etwas
schlechtweg Nichtmoralisches behandelt. Es ist klar:
wer das Moralische (sei es nun das Gute oder das Böse)
anzig in das absolute Anfangen des Wollens setzt, fĂĽr den
kann alles der Causalität unbedingt Unterworfene, also auch
der empirische Charakter, in keiner inneren Beziehung zum
Moralischen stehen. So erklärt denn Falckenberg, dass Tem-
perament, Naturtrieb, angeborener Charakter nicht aus dem
Ich als Ding an sich stamme, sondern dass uns das Ansich,
der Ursprung dieser empirischen Seite gänzlich unbekannt
bleibe (S. 8 f.; 70 f.). Wir mĂĽssen uns mit dem Glauben
begnügen, dass wir den empirischen Charakter „aus den
Händen einer unbekannten Macht als ein zu bearbeitendes
Hatmal empfangen*^ (S. 37). So haben also die individuellen
Verschiedenheiten der Menschen zur Moral gar kein inne-
res Verhältniss. „Für die Beschaffenheit des angeborenen
Charakters kann Niemand verantwortlich gemacht werden"
(S. 34; vgl. S. 38). Das Individuelle als solches fällt ganz
ausserhalb der moralischen Sphäre, es ist nicht moralischen
92 Richard Falckenberg: Ueber den intelligiblen Charakter.
Ursprungs, es ist „der Moral völlig gleichgältig^* (S. 43).
Hierin liegt ein fundamentaler Differenzpunkt fĂĽr die Auffas-
sung des Moralischen. Bei Schopenhauer ist der empi-
rische Charakter geradezu Ergebniss des intelligiblen Morali-
schen; auch Hegel gibt dem NatĂĽrlichen, Angeborenen in-
sofern moralische Bedeutung, als er behauptet, der Mensch
sei von Natur böse und sei darum böse, weil er ein Natür-
liches sei; und Beide s^nrechen im Sinne des Ghristenthums,
das in seiner Lehre von der ErbsĂĽnde die Beschaffenheit des
natĂĽrlichen Triehlebens des Menschen als Gonsequenz eines
moralisch bedeutungsvollen Aktes ansieht. Falckenbei^ da-
gegen reisst die natĂĽrlichen Triebe aus allem inneren Ver-
hältniss zum Moralischen; ihnen kommen keine moralischen
Prädikate zu; er weiss darüber nur zu sagen, dass sie von
einer unbekannten Macht niiit unserem intelligiblen Charakter
vereint wurden, und dass es „unbegreiflich^* sei, warum der
intelligible Charakter bei dem Einen mit diesen, bei einem
Anderen mit anderen psychischen Anlagen verknĂĽpft auftrete.
Wegen dieser absoluten Trennung des empirischen und intel-
ligiblen Charakters darf es uns dann auch nicht wundern,
wenn unserem Verfasser als Ziel des moralischen Handelns
die „Vernichtung der Individualität", das Handeln in „völli-
ger Eigenschaftslosigkeit", der Zustand des Ueberindividuellen,
schlechtweg Gattimgsmässigen gilt (S. 41). Die Verschieden-
heit individueller Ausbildung ist also — so müsste Falcken-
berg consequent sagen — kein ursprünglich moralisches Intef-
esse; die' Welt wĂĽrde moralisch genau dieselbe Bedeutung
haben, wenn es lauter „farblose Willenspunkte", keine Indi-
viduen gäbe.
Es ist nicht meine Aufgabe, diese, wie man sieht, con-
sequente Auffassung des Moralischen nach dem, was fĂĽr sie
spricht, und nach den grossen Schwierigkeiten und Undenk-
barkeiten, in die sie uns verwickelt, zu prĂĽfen. Nach meuier
Ueberzeugung ist diese zweite Seite doch so ĂĽberwiegend,
dass es unmöglich ist, unserem Verfasser beizustimmen. Nur
das muss ich hervorheben, dass sich mir bei der LectĂĽre des
Schriftchens sehr oft der Wunsch nahe gelegt hat, dass auf
die BegrĂĽndung dieses Standpunktes und auf die Beseitigung
Riebard Fakkenberg: lieber den intelligiblen Gbarakter. 93
der Schwierigkeiten, die sich sicherlich auch dem Verfasser
ao^edrängt haben, näher eingegangen worden wäre. Freilich
war seine Hauptaufgabe, die Eantische Freiheitslehre zu
prüfen, und diese Aufgabe hat er insofern glücklich gelöst,
als er die Ausfuhrung ihres Fundamentalsatzes von erheb-
lichen Inconsequenzen reinigte. Allein das Eingehen auf die
Sdiwierigkeiten dieses Fundamentalgesetzes und seiner Con*
Sequenzen ist doch zu nahe mit jener Aufgabe verknĂĽpft, als
dass er dies gänzlich hätte bei Seite lassen dürfen. So hätte er
sich z. B. nicht begnĂĽgen sollen, wiederholt darauf hinzu-
weisen, dass mit Leugnung der absoluten Ursächlichkeit des
sittlichen Entschlusses die Moralität geopfert sei (z. B. S. 14;
18; 66); .er hätte doch auf den Einwand Rücksicht nehmen
sollen, dass ein absolut ursachloscs, auch der inneren Noth-
wendigkeit entbehrendes Wollen sich durch nichts vom
absolut gesetzlosen Zufall unterscheide. Und trat
ihm denn femer nicht der Gedanke entg;egen, dass, wenn der
empirische Charakter und alles Individuelle moralisch bedeu-
tungslos sei, sich die geradezu Vernichtung drohende Frage
erhebe, wie es denn in einer Welt, die doch nach seiner
eigenen Ansicht ganz und gar unter dem Gesichtspunkt des
absoluten Sollens zu betrachten und nur um des ethischen
tiandehis willen geschaffen ist, zu einer so umfangreichen
moralisch geradezu werthlosen Sphäre kommen könne. Wie
kommt das moralisch schlechtweg GleichgĂĽltige in die Welt,
wenn doch das Moralische, wie Falckenberg annimmt (z. B.
S. 58), der letzte Grund, Anfang und Ende von Allem sein
soll? Wie geschieht es, dass die absolut gute Gottheit mo-
ralisch Werthloses erschafft? Warum belastet sie jeden
menschlichen intelligiblen Charakter mit einer empirischen
hdividualität, wenn doch diese für moralischen Werth und
Unwerth schlechterdings bedeutungslos ist? Wacum blieb es
mcht bei „farblosen Willenspunkten" ? — Doch ich gehe noch
weiter. Wenn der empirische Charakter nicht Folge eines
intelligiblen moralischen Aktes der Iddividualität ist, so ist es
die nackteste Ungerechtigkeit und muss das mora-
lische Bewusstsein geradezu empören, dass der
intelligible Charakter des Einen mit einem selbstsĂĽchtigen,
94 Richard Falckenberg: Ueber den inteili^len Charakter.
wilden, moralisch schwer zu bändigenden empirischen Cha-
rakter, der eines Anderen mit wohlwollenden, sanften, leicht
lenksamen Naturtrieben verknĂĽpft ist. Um so mehr aber
mĂĽsste dies Falckenberg zu denken geben, als er jeden Wis-
senssatz, der „dem moralischen Bewusstsein widerspricht",
für falsch und verwerflich erklärt (S. 67; 73 f.; 96). Er kommt
auch an einer Stelle (S. 91) auf diese Schwierigkeit zu spre-
chen, allein er hilft sich darĂĽber mit dem angesichts der Er-
fahrung doch sicherlich nicht Stand haltenden Tröste hinw^,
dass eben faktisch fĂĽr alle empirischen Charaktere die mo-
ralische Anstrengung eine gleiche sei, indem jede angeborene
Anlage, welche die moralische Arbeit erleichtert, mit einer
anderen diese Erleichterung gerade aufwiegenden, . moralisch
hemmenden Naturanlage verbunden sei.
Mit dem Angegebenen ist der Inhalt von Falckenberg's
Schrift lange nicht erschöpft. Sie enthält ausserdem viele
andere beachtenswerthe Erörterungen, z. B. über die Motiv-
losigkeit des sittlichen Handelns, über das Verhältniss des
Bösen zum intelligiblen Willen, über den ethischen Werth dei
Gewohnheit u. s. w. Ueberall aber wird man zu seiner
Freude finden, dass Jemand zu uns spricht, der es sich in
einem wohldurchdachten ethischen Standpunkte heimisch ge-
macht hat und sinnreich und geschickt mit den moralischen
B^n^ffen operirL Wir werden uns freuen, wenn wir dem
Verfasser auf diesem in unseren Tagen mit so grossem Un-
recht arg vernachlässigten Gebiete noch öfter begegnen wer-
den. Besonders wohlthuend wirkt ausserdem die Sprache
des Schriftchens ; ĂĽberall zeigt sie ein gewisses freundliches,
stilles und sinniges Heranziehen des Concreten und Anschau-
lichen fĂĽr den Zweck der Verdeutlichung des Abstracten und
Greistigen. Dabei weiss sie auch, wo es der Gegenstand for-
dert, denJSmst und die Energie des moralischen Bewusstseins
in kräftig und tre£Eend zusammenfassenden Worten zum Aus-
druck zu bringen.
Jena. Volkelt.
Gustav Roflkoff: Dm Rd^ionswasen der rohesten Naturyölker. 86
Dal Retigioiitweten der rohesten NaturvBiker von Guskw Boshoff.
Leipzig, F. A. Brockhaus. 1880. (XIV, 179 S.) 8^
Mit der Thesis der Darwinisten, dass die Menschheil aus
anfänglich thierischen Zuständen es zu ihrer gegenv^ärtigen
Höhe eines dvilisirten und vemönftigen Lebens gebracht habe,
verbindet sich gern die andere, dass die sogenannten Wilden
oder, wie der Verf. obigen Werkes sie nennt, rohesten Natur-
völker als Repräsentanten der früheren, mehr ursprunglichen
Stofen menschlichen Daseins anzusehen seien. FĂĽr diese li-
iere Annahme der Evolutionisten bildet nun das Vorhanden-
sein religiöser Vorstellungen bei auch ganz uncivilisirten Völ-
kerschaften, welche ihrer Meinung nach den Uebergang von
der Thierheit zur eigentlichen Menschheit bilden, einen
bedeutenden Stein des Anstosses, denn das religiöse Element,
auch in seiner kununerlichsten, verzerrtesten Gestalt, legt doch
noch immer von dem Vorhandensein einer höheren, über
das unmittelbar Gegebene der Sinnlichkeit hinausgehenden Be-
wusstseinsstufe oder eines geistigen Zuges Zeugniss ab. Die
Evolutionisten sehen sich daher, um Thierheit und Menschheit
in dem von ihnen angenommenen solidarischen Zusammen-
hang zu erhalten, in die Alternative gestellt, entweder dem
Thiere religiöse Neigungen und Vorstellungen zuzuschreiben,
oder den sogenaimten Wilden möglichst alle Religion abzu-
sinrechen. Da nun das Erstere, nachdem es versucht wor-
den, zumal bei der einem Jeden durch die Beobachtung des
Thierlebens möglichen Conlrole alsbald dem Fluche der Lä-
cherlichkeit anheimgefallen war, blieb nur das Letztere ĂĽbrig,
and Sir John Lubbock versuchte denn auch, nach unbedeu-
tenderen Anfangen Anderer, in seinen Prehistoric Times den
Beweis anzutreten, dass allerdings eine ganze Reihe sogen,
wilder oder roher Naturvölker ohne Religion sei. Diese An-
sicht wurde nun unserm Verfasser, welcher in seiner Geschichte
des Teufels die entgegengesetzte geäussert und behauptet
hatte, dass auch „bei den rohesten Völkerstämmen Spuren
von religiösen Vorstellungen wahrzunehmen*^ seien, von einem
Recensenten in den Göttinger gelehrten Anzeigen (Stück 13.
1870. S.März) als die eines „gründlichen Kenners der Natur-
völker" entgegengehalten. Roskoff aber fand sich nicht nur
96 Gustav Roskofi: Das Religionswesen der rohesten NataiT(Vlker.
nicht bewogen, die seinige zurĂĽckzunehmen, sondern wurde
yiehiiehr durch jene Phrase zur neuen Untersuchung und for-
dersamen Begründung der Behauptung, dass bisher keinVöl-
kerstamm ohne Spur von Religion entdeckt worden ist, be-
wogen. Das vorliegende Buch ist die Frucht seiner darauf
bezfiglichen Studien.
Dasselbe zerfällt in drei Abschnitte, von denen der erste
die Frage selbst und ihre verschiedene Beantwortung in's
Auge fasst, der zweite (der eigentliche Antilubbock) von den
angeblich religionslosen Völkerschaften im Einzelnen handelt,
der dritte das Religionswesen der rohesten Völkerstämme
nach seiner Quelle, sdnen Aeusserungen und seinem Ver-
hältniss zur Sittlichkeit m Betracht zieht.
Es versteht sich, dass bei der Untersuchung der vorlie-
genden Frage in erster Linie festgestellt werden muss, was
denn eigentlich Religion sei. Versteht man darunter eine wis-
senschaftlich geläuterte Ansicht vom göttlichen Wesen und
ein dem entsprechendes Verhältniss des Menschen zu Gott,
indem man zugleich alle davon abweichenden Ansichten ĂĽber
höhere, göttliche Wesen und alle zu deren Cultus im Schwange
gehenden GeBräuche unter der Gesammtbezeichnung des „Aber-
glaubens" zusammenfasst, dann freilich gibt es viele religions-
lose Völker und Menschenkinder, aber diese ebenso unpsy-
chologische wie unhistorische Meinung weist Roskoff mit Recht
zurĂĽck; und daran anknĂĽpfend zeigt er, wie Lubbock sich
mit seinem negirenden Urtheil vielfach auf Zeugnisse solcher
Reisenden und Missionare stĂĽtze, welche alles das, was eben in
ihre dogmatisch kirchliche Schablone nicht passte, fĂĽr religions-
losen Aberglauben gehalten und erklärt haben. Aber er weist
auch femer nach, dass sehr viele Zeugnisse von Besuchern frem-
der Länder darum für die vorliegende Frage bedeutui^slos
sind, weil dieselben aus Mangel an Zeit oder an Sprach-
kenntniss oder an Beobachtungsgabe durchaus nicht in der Lage
gewesen waren, über die oft schwer verständlichen, oft schwer
zugänglichen, ja oft geflissentlich versteckt gehaltenen Ceremonien
und Religionsansichten roher Völkerschaften ein richtiges Ur-
theil zu gewinnen. Daher die WidersprĂĽche der PrĂĽfenden
mit einander, daher handgreifliche brrthĂĽmer derselben, die
Gustav Roskoff: Das Religionswesen der rohesten Naturvölker. 97
sich theils selber widerlegen, theils hinterher ihre Widerlegung
empfingen. Im zweiten Abschnitt legt Roskoff im Einzehien
dar, wie kritiklos der „gründliche Kenner der Naturvölker"
in seinem Buche zu Werke gegangen sei. Welcher unglaub-
lichen Leichtfertigkeit (die wohl nur aus einer Art darwini-
stischen Fanatismus zu erklären ist, von der wir auch in
Deutschlapd traurige Beispiele haben) sich Sir John L. schul-
dig gemacht habe, geht unter Anderem aus dem Umstände
hervor, dass er Völkerschaften schlechtweg für religionslos
erklärt, wenn nur irgend ein Reisender behauptet, keine reli-
giösen Gebräuche oder Spuren religiösen Glaubens bei seinem
Besuche ubter ihnen bemerkt zu haben. Roskoff stellt auf
Grand glaubwürdiger Zeugnisse in den allermeisten Fällen
fest, dass auch die verkommensten Völkerstämme mit den
Resten menschlichen Bewusstseins auch noch Reste religiöser
Anschauungen und entsprechender Gebräuche verbinden, wel-
che freilich oft in der groteskesten, wunderUchsten, abstos-
sendsten Form erscheinen, und dass, wo dergleichen nicht
beobachtet worden ist, dies gegen das Vorhandensein von
irgendwelchen Spuren religiösen Wesens noch nichts beweist,
da oft langer Umgang mit den Naturmenschen dazu gehört,
um hinter manche ihrer Sitten und das Geheimniss ihrer
eigentlichen Denkweise zu kommen, welche sie oft geflissent-
lich und sehr schlau zu verbergen verstehen.
Im letzten Abschnitt geht R. dazu ĂĽber, das Religions-
wesen der rohen Völkerstämme feiner näheren Beleuchtung und
Wesensbestimmung zu unterziehen. Er weist nach, dass das
menschliche GemĂĽth selbst die Quelle der Religion sei, und
dass, weil dieses bei den Wilden zwar vorhanden, jedoch roh
ist, auch ihre Religion so ausfalle, darum aber doch nicht des Stu-
dimns unwerth erscheine. Er fasst dann besonders den Glau-
ben an böse Wesen als eine den Wilden eigenthümliche Form
des religiösen Bewusstseins näher in's Auge, mit dem sich
dami das Zauberwesen verbindet — Dinge, deren Analogien
ja auch bei den Gulturvölkem nicht eben fehlen; zuletzt aber
mitersücht er das Verhältniss der Zauberei zur Sittlichkeit,
wobei das eigentliche Wesen des Religionsglaubens der Wil-
den erörtert imd gegen Lubbock der Nachweis geführt wird,
Phikwoph. Monatshefte 1881, I u. U. 7
dS Gustav Roskoff: Das Rellgionsweaen der rohesten Natarrölker.
dass die Sittlichkeit der rohen Naturvölker, die niemals ganz
erlischt, unabhängig von ihren religiösen Vorstellungen gar
nicht gedacht werden könne. Dieser Satz liegt freilich für
Jeden, der die Sache unbefangen nimmt, nahe genug, und es
ist zu dessen Anerkennimg nicht erst nöthig, dass man ein
„gründlicher Kenner der Naturvölker'^ sei, indessen muss man
den vom Verf. im Einzelnen gelieferten Beweis desselben doch
deswegen willkommen heissen, weil er die Falschheit der ent-
gegenstehenden These zur Evidenz bringt.
RoskofTs Buch hat ein doppeltes Verdienst. Cinmal wi-
derlegt es an der Hand kritisch gesichteter und wissenschaft-
lich interpretirter Thatsachen die ethnographischen und an-
thropologischen IrrthĂĽmer Sir John Lubbock's, welche von
einseitigen und theilweise selbst ganz unhaltbaren Voraus-
setzungen ausgehend, jenen, den Thatsachen, Zwang anthun,
aber weil sie dem darwinistischen Zuge des heut zu Tage
weit verbreiteten naturwissenschaftlichen Dilettantismus schmei-
chelnd entgegenkamen, dennoch vielfachen Anklang fanden;
andererseits ist es als ein sehr werthvoUer Beitrag zu dem,
was Lazarus die Völkerpsychologie genannt hat, zu betrach-
ten. Man wird vielleicht nicht mit Allem und Jedem, was Ros-
koff an der Hand seiner Autoritäten über das V^esen der Re-
ligion und :dem, was damit zusammenhängt, vorbringt, einver-
standen sein können, aber er hat doch im Ganzen und Grossen
die vorliegende, sehr schwierige und dunkele Frage von ge-
sunden Anschauungen aus angegriffen und ist auf Grund ein-
gehenden Studiums der Ethnographie zu Resultaten gekom-
men, welche uns in das Religionswesen der Naturvölker klare
Einsichten eröffnen. Das ist um so schätzbarer, als die meisten
der bisherigen Darstellungen sich entweder in pseudo - aprio-
rischen Gesammtconstructionen gefallen oder von untergeord-
neten, oft ganz falschen Gesichtspunkten aus das wohl dĂĽrf-
tige und bizarre, dabei versteckte und schwerverständliche, aber
doch immer interessante und fĂĽr die Wissenschaft vom Men-
schen bedeutsame Geistesleben der sog. Wilden aufzufassen
pflegen. C. S.
A. Thilo: Kurze pragmatische Geschichte der Philosophie. 99
Kurze pragmatische Geschichte der Philosophie. Von Chr, A. Thilo,
Oberkonsistorialraäi. Zweite, verbesserte und vermehrte
Auflage. In zwei Theilen. I. Theil: Geschichte der
griechischen Philosophie. 1880. (XU. 403 S.) ILTheU:
Geschichte der neuern Philosophie. 1881. (XII.
434 S.) Cothen, Schulze.
Von den andern, zum Theil vortrefflichen Bearbeitungen
der Geschichte der Philosophie unterscheidet sich die so eben
in zweiter Auflage erschienene von Thilo hauptsächlich da-
darch, dass sie eine pragmatische ist. Als solche macht sie
schon in der Einleitung auf die eigentlichen Aufgaben der
Philosophie und deren Eintheilung aufmerksam. Sodann lässt
sie Alles bei Seite, was nur literarische oder kulturgeschicht'
liehe Bedeutung hat und hält sich lediglich an diejenigen Phi-
losophen und Philosophien, welche auf irgend eine Weise fĂĽr
die Lösung der philosophischen Probleme von Wichtigkeit
sind, sei es durch Auffindung und Aufstellung der Probleme,
sei es durch Vorbereitung oder auch Behinderung ihrer Lö-
sungen. Darum finden keine oder doch nur sehr wenig Be-
achtung z. B. Xenophon, die Popularphilosophie vor und nach
Kant, Baader, Krause, Schopenhauer, Fries u. a. Aber auch
bei den ausfĂĽhrlich dargestellten Systemen kommt es Thilo
hauptsächlich auf Eindringen in das eigentliche Gedanken-
gefuge und Blosslegung der besondern Gedankenarbeit nach
ihren Anlässen, dem Beweisverfahren, den Zielen und Folgen
an. Es versteht sich von selbst, dass er sich ĂĽberall lediglich an
die unmittelbaren Quellen hält und sich nicht von sonst gang-
baren historischen Auffassungen beeinflussen lässt. Um die
philosophische Bedeutung der dargestellten Lehren noch mehr
hervorzuheben, weist der Verf., sei es in der Darstellung selbst,
sei es, wie namentlich im zweiten Theile, in besondem Be-
merkungen auf den Werth oder ĂĽnwerth und den Einfluss
der betreffenden Philosopheme hin. Dabei zeigt sich, vne sich
gewisse Sätze, die noch heute in verschiedenen Systemen
fortwirken, bis in die allerfrĂĽheste Zeit des Philosophirens
zurĂĽckverfolgen lassen. Um nur einige solcher Theoreme
aus der allerersten Zeit zu neimen, sei angefĂĽhrt der Begriff
100 A. Thilo: Kurze pragmatische Geschichte der Philosophie.
des qualitätslosen Stoffes bei Anaximander, des absoluten
Werdens, der unbewussten Vernunft, sowie der Gleichsetzung
von Leben und Werden bei Heraclit; die Identität von Sein
und Denken, die immanente Zweckmässigkeit, die Beweise
fĂĽr die Einheit des Absoluten bei den Eleaten; die Identi-
ficirung von Ortsveränderung und Denken bei den Atomikem
u. s. w. NatĂĽrlich sind derartige Beziehungen der alten und
neuen Philosophie noch viel häufiger bei Plato und Aristo-
teles. Aber ganz besonders interessant ist in dieser Hinsicht
die Darstellung von Plotin, indem hier fast die gämmtlichen
Begriffe und Sätze, mit denen der neuere absolute Idealismus
operirt, nicht bloss im Keime, sondern oft in sehr ausge-
prägter Gestalt aufgezeigt werden.
In Betreff des Unterschiedes der zweiten Auflage von
der ersten hebt der Verf. selbst hervor, dass seine kritischen
Bemerkungen mehr, als zuvor, mit dem Text selbst verwoben,
und die Darstellungen von Aristoteles, Plotin und Leibniz
völlig umgearbeitet seien. Bei letzterm werden ähnlich wie
bei Kant zwei verschiedene Perioden unterschieden, und auch
sonst weicht hier die Auffassung namentlich der Begriffe von
der Materie und dem Raum von der herkömmlichen Dar-
stellung ab.
Da nach dem Verf. jede Bearbeitung der Geschichte, vor
allem der Philosophie den Zweck hat, nicht allein die Gegen-
wart aus der Vergangenheit zu begreifen, sondern auch eben
dadurch zur HerbeifĂĽhrung einer bessern Zukimft mitzuhelfen,
so schliesst er sein Werk mit Herbart und einigen hieran
geknĂĽpften Andeutungen ab, welche Wege die heutige Spe-
culation zu vermeiden und welche sie einzuschlagen hat, um
zu einem in seinen Principien festen imd unverrĂĽckbaren
Wissen zu gelangen, das in seiner AusfĂĽhrung einer in's Un-
ermessliche gehenden Ausbreitung und Verfeinerung zugäng-
lich ist, ähnlich wie es die Mathematik auf ihrem Felde darbietet
0. FlĂĽgel.
Kano Fischer: Geschichte der neueren Philosophie. 101
GetchieMe der neueren Philosophie. Von Kuno Fischer. Bd. I.
Thl. 2. (Fortbildung der Lehre Descartes'. Spinoza.) Dritte
neu bearbeitete Aufl. MĂĽnchen, Fr. Bassermann. 1880.
(XVI, 556 S.) 8^
Auch in dem • vorliegenden Bande der dritten Auflage
seiner Darstellung der neueren Philosophie hat der Verfasser
eine neue Eintheilung gemacht, die nicht ohne Bedeutung ist.
In der zweiten Auflage wurde noch „Descartes' Schule" mit
Inbegriff Spinoza's in 24 Kapiteln abgehandelt; in dieser
dritten Auflage ist der Stoff in drei BĂĽcher getheilt worden,
von denen das erste die Fortbildung der Lehre Descartes*,
das zweite und dritte aber Spinoza fĂĽr sich behandelt. Die
sieben Kapitel des ersten Buches entsprechen den fĂĽnf ersten
Kapiteln der zweiten Auflage, welche wie äusserlich, so auch
innerlich mancherlei Umbildungen erhalten haben. — Gleich
im ersten Kapitel ist der niederländische von dem französi-
schen Gartesianismus getrennt und erst im zweiten Kapitel
der Anfang der Fortbildung jener Lehre besprochen worden;
auch in der Darstellung der Lehre Malebranche's (Kap. 5 — 7)
ist eine schärfere Gliederung eingetreten. — Unter den Quellen
der Lebensnachrichten über Spinoza hätte der sonstigen Ge-
nauigkeit entsprechend der von Guhrauer in der Schmidt'-
schen Zeitschrift für Geschichte 1847 veröffentlichten Notizen
6. Stolle's Erwähnung geschehen sollen; auch ist die Angabe
(p. 192) über die beiden Handschriften der „Körte Verbände-
ling" (des sog. Tractatus brevis etc.) — dahin zu verbessern,
dass gegenwärtig beide der Kgl. Bibliothek im Haag ange-
hören. In der Auffassung der Genesis der Philosophie Spi-
noza's ist Fischer seinem bisherigen Standpunkt treu geblieben,
den Spmozismus als eine Entwicklung des Gartesianisöius zu
fassen: in diesem Sinne bekämpft er Sigwart und Joel, die
wohl im Einzelnen geirrt haben mögen, im Grossen und Ganzen
aber gewiss darin Recht behalten werden, dass die eigenthĂĽm-
Uche Fassung der Lehre Spinoza's andere Grundlagen, als den
blossen Gartesianismus voraussetzt. Darum kann Ref. auch
der ,JLösung der Frage" durch Fischer (p. 259 folg.), wonach
Spinoza nicht bloss Cartesianer war, sondern nie aufgehört
haben soD, ein solcher — in erweitertem Sinne — zu sein,
103 G. J. Gerhardt: Die philos. Schriften vod Gottfir. Wilh. Leibniz.
nicht beitreten. Er muss sogar bestreiten, dass Spinoza, der
nie Dual ist war, jemals Cartesianer gewesen ist. — Die Dar-
stellung der Lehre selbst ist bei Fischer gleichfalls im Ganzen
dieselbe geblieben, sie zeichnet sich nicht minder durch Voll-
ständigkeit als durch scharfe Charakteristik aus und schliesst
wieder (im 13. Kap. des 3. Buches) mit jener pointirten, viel-
seitigen Charakteristik und Kritik, welche nach Hegel'schem
Rhythmus den Uebergang zu Leibniz zu vermitteln dient.
C. S.
Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz.
Herausg. von C, J. Gerhardt. Bd. IV. Berlin, Weidmann'sche
Buchh. 1880 (VIII, 595 S.) 8^
Mit dem vorliegenden Bande beginnt der Herausgeber
die Publikation der zweiten Abtheilung der philosophischen
Schriften Leibnizens, nachdem die erste, welche die Correspon-
denzen umfassen soll, bis zum zweiten Bande vorgeschritten
war (vgl Philos. Monatshefte BiXV S.399f.). Der jetzt
erschienene Band ist in drei Abtheilungen geschieden. Von
diesen enthält die erste die von Leibniz bis 1671 ausgearbei-
teten philosophischen Schriften: seine Doctordissertation de
principio individui aus dem Jahre 1663, welche schon Guh-
rauer im Jahre 1837 in einem Separatabdruck mit allerlei
Bemerkungen wieder publicirt hatte, die dissertatio de arte
combinatoria vom Jahre 1666, sodann die während seines
Aufenthaltes in Frankfurt a. M. und Mainz (1667—1672) ab-
gefassten, zunächst die ursprünglich als Anhang zu einem
Buche Theo. Spizel's erschienene confessio naturae contra
atheistas, die Leibnizischen Zuthaten zur Schrift des M. Nizo-
lius de Vera ratione philosophandi etc. vom Jahre 1670, end-
lich die Hypothesis physica nova, der als zweiter Theil die
Theoria motus abstracti folgt und als Beilage ein Brief des
Jesuiten Fabri an Leibniz und des Letzteren Antwort, die
sich beide auf die Leibniz'sche Hypothese vom Weltsystem
und dessen Bewegungen beziehen, beigegeben ist. Die zweite
Abtheilung „Leibniz gegen Descartes und den Cartesianismus
1677— -1702** überschrieben, gibt eine Zusammenstellung von
G. J. Gerhardt: Die philo«. Schriften von Gottfr. Wilh. Leibniz. 103
dreizehn Stucken polemischen Inhalts, in welchen Leibniz
sich mit der Gartesischen Philosophie, wie man heut zu Tage
zu sagen pflegt, auseinandersetzt. Darunter sind ein Paar
bisher noch nicht gedruckte; noch mehrere erscheinen in voll-
ständigerem oder correcterem Abdruck. Das Hauptstäck dieser
Abtheilung ist das zehnte, die schon von Guhrauer, jedoch
nicht so vollständig herausgegebenen Animadyersiones in par-
tem gener. Principiorum Cartesianorum, demnächst das neunte,
Reponse aux reflexions etc. nebst Beilage, aber auch einige
andere, wie z. B. die beiden Briefe unter Nr. 3 und 4, die
Remarques sur Tabr^^ de la vie de Ms. des Gartes u. s. w.
sind von grossem Interesse. Die dritte Abtheilung endlich
enthält die acht „Philosophischen Abhandlungen^', welche
Leibniz in den Jahren 1684 — 1703 als Beiträge in Zeitschrif-
ten inserirte. Den Anfang machen die bekannten Meditatio-
nes] de cognitione, veritate et ideis vom Jahre 1684, auf
welche ihr Verfasser nicht geringes Gewicht legte, da er sie
so häulBg citirt, die zweite ist der für A. Arnauld bestimmte
und Anfang 1686 geschriebene Discours de metaphysique, in dem,
wie der Herausgeber mit Recht bemerkt, Leibniz die Sunune
seiner ganzen bis dahin gehenden Speculation niedergelegt hat,
die dritte zwei Schreiben an den Herausgeber des Journal
deg Savants von 1691 u. 1693; die vierte der kurze Aufsatz
de primae philosophiae emendatione et de notione substan-
tiae, die fĂĽnfte die wichtige Abhandlung Systeme nouveau de
la nature, einmal in einem ersten Entwurf, den der Heraus-
geber wegen der „frischen, durchsichtigen Darstellung'^ so be-
merkenswerth fand, dass er ihn hier abdrucken liess und
sodann nach einer Reinschrift, welche mit dem im Journal
des Savants erschienenen Texte stimmt; dazu kommen noch
verschiedene Erläuterungen, die Objections de M. Foucher,
Leibnizens Remarques darĂĽber, das ^aircissement nebst einer
Nachschrift und dem extrait d'une lettre. Das sechste StĂĽck
bildet die in den Acta eruditorum auf Veranlassung des
Streites zwischen J. Chr. Sturm und 6. Chr. Schelhammer
eingerĂĽckte Abhandlung de ipsa natura^ das siebente die
Streitschriften g^en P. Bayle; das achte die Reponse auf
Lami's Objections, von der Leibniz nur einen Auszug im
104 M. Jo6I: Blicke in die Religiousgeschichte etc.
Journal des Savants von 1 709 bekannt gemacht hatte, die aber
jetzt nach der Handschrift zum ersten Male vollständig er-
scheint. Allen drei Abtheilungen hat der Herausgeber orien-
tirende Einleitungen hinzugefĂĽgt, welche sich auf das Lite-
rarische, al?er auch auf den Inhalt der vorgelegten Schriften
beziehen, und insbesondere die Gründe oder Anlässe zur Ent-
stehung derselben erörtern. Der vorliegende Band, der sich
durchaus wĂĽrdig den bereits frĂĽher erschienenen beiden ersten
anschliesst, gibt über die schriftstellerische Thätigkeit Leib-
nizens auf philosophischem Gebiete während der ersten grös-
seren Hälfte seiner litterarischen Laufbahn die fördersamsten
und vollständigsten Aufschlüsse. G. S.
Blicke in die Religionsgeschichte zu Anfang des zweiten christ-
lichen Jahrhunderts. 1. Der Talmud und die griechische
Sprache nebst zwei Excursen : a) Aristobul der sogenannte
Peripatetiker, b) die Gnosis. Von Dr. M. Jo&, Rabbiner
der israel. Gemeinde zu Breslau. Breslau und Leipzig,
S. Schottlaender. 1880. 8^ (VII, 177 S.)
Von den beiden, der Untersuchung ĂĽber den Talmud ange-
hängten umfangreichen Excursen, deren Besprechung in diePhilos.
Monatshefte gehört, handelt der erste von dem vermeintlichen
Aristoteliker Aristobul, der unter einem Ptolemäer, sei es nun
Philometor oder Physkon, gelebt haben soll, und unter dessen
Namen vom zweiten christlichen Jahrhunderte an allerhand
Fragmente in den Stromata des Clemens, besonders aber bei
Eusebius auftreten. Joel weist, an Lobeck und noch ältere
Forscher anknĂĽpfend, nach, dass nicht nur das Pseudoorphicon
bei Justinus auf AristohuPs Namen weiter gefälscht worden ist,
sondern dass auch die prosaischen Aristobulea aller Wahr-
scheinlichkeit nach blosse Fälschungen sind, wobei es z. B.
vorkommt, dass, was Clemens noch in eigenem Namen vor-
trägt, später als Citat aus dem vermeintlichen Aristobul bei
Eusebius zu lesen ist. Joel schlägt daher vor, den Aristobul
aus der Reihe der Autoren zu streichen, von denen Bruch-
stücke auf uns gekommen sind, und dem in Fälschungen so
ĂĽberaus fruchtbaren, zweiten Jahrhundert auch die Erzeugung
Litteraturbericht. 105
der Arislobulea nicht zu nehmen. — In dem zweiten, noch
wichtigeren und sehr zu beachtenden Excurse ĂĽber die Gnosis
bebt Joel deren vorherrschend griechischen, d. h. neupytha-
goreisch-platonischen Charakter hervor und zeigt, dass die
Gnostiker aus Plato, besonders aus dessen Timaeus geschöpft
haben. Auch das weist er nach, dass die palästinischen
Lehrer, die jĂĽdischen Gnostiker, vielfach platonisch-pythagorei-
sche Anschauungen hatten. Demnach ist denn auch der Kab-
halah, der Tochter , oder Schwester der Gnosis , ein stark
neuplatonisch-pytbagorisches Element eigen. G. S.
Litteratnrberielit
Zur SriBnemng an Karl GlirlBtiaii Planek, Dr. der Philos., Ephorus
des E. Evang. Seminars in Maulbronn, geb. d. 17. Jan. 1819, gest. d.
7. Juni 1880. TObingen, H. Laupp. (49 S.) 1880.
Die vorliegende Broschüre enthält ausser den verschiedenen am Grabe
Phmck^s gesprochenen Reden einen von M. Planck verfassten Lebens-
abriss des Verstorbenen, der in schlichter Weise die wichtigsten Momente
aas Planck's äusserer Laufbahn und dessen innerer Entwicklungsgeschichte
beibringt, sowie ein Verzeichniss seiner zahlreichen grösseren und kleine-
ren Schriften. Zur Ergänzung des Lebensabrisses dient der am 21. Octo-
ber in der Beilage znr Allgemeinen Zeitung erschienene mit ebenso viel Geist
and Yerständniss als warmer Theünahme und Freundschaft geschriebene
Aufsatz K. KOstlin's, auf den wir unsere Leser verweisen, indem wir an
dieser Stelle uns begnĂĽgen mĂĽssen, den Verlust eines so wackem Mit-
arbeiters, wie Planck fĂĽr die Philos. Monatshefte war, lebhaft und auf-
richtig zu beklagen. Möge die unermüdliche Thätigkeit dieses tiefschöpfen-
den Mannes, aus dessen Feder noch ein grösseres philosophisches Opus
posthnmum vorhanden ist und demnächst publicirt werden wird, unver-
gessen und un verloren sein!
Ueber die aristotelische Psychologie und Sinnenlehre.
1) Die Theorie des Sehens und der Sinne fiberhanpt bei Aristoteles«
Medidnische Inaugural - Dissertation von M. Ă„, Issigonia aus Smyrna.
Basel, üniversitätsbuchdruckerei. 1880. 61 S. 8.
2) Die Gmndprinoipien 4er aristotelischen Seelenlehre. Ein histo-
risch-kritischer Versuch YonDr. Bernhard Ritter. (Gymnasialprogramm.)
Jena, Neuenhahn. 1880. 32 S. 4.
Wie ĂĽberall, so kann man auch in der gelehrten Aristoteles-Litteratur
dentfich zwei Arten von Schriften unterscheiden. Die einen gehen völlig
io ihrem Stoffe auf; sie sind rein archäologischer Natur, und man kann
106 Litteraturbericht.
m
ihnen oft schlechterdings nicht ansehen, warum der Verfasser gerade auf
dieses, warum er nicht eben so gut auf irgend ein anderes Thema ver-
fallen ist. Ganz anders die zweite Art: in ihnen ist der gelehrte Stoff
einem Zwecke dienstbar gemacht; sie haben — wir gebrauchen das Wort
im guten Sinne — eine Tendenz. Zu dieser zweiten Art gehören offenbar
die beiden vorliegenden Schriften: beide verfechten, die eine mehr in bei-
läufiger, die andere in ausgesprochener Weise, eine persönliche Uebeneu-
gung, mit dem Unterschiede allerdings, dass dieselbe dem einen Verfasser
a priori feststeht und ihm nur nachträglich durch die Studien bestätigt
wird, während der andere uns seine Ueberzeugung als die a posteriori
mühsam errungene Frucht langjähriger Arbeit darbietet.
Es liegt nun natĂĽrlich nicht in den Intentionen dieser Zeitschrift, auf
den Credankengang kleiner Monographien einzugehen, und wir mĂĽssen uns
daher leider im Wesentlichen darauf beschränken, eben diese Grundgedan-
ken beider Schriften, gldchsam ihre geistigen Themata, hervorzuheben,
während das materielle Object mehr im Hintergrunde bleiben mag.
Issigonis, ein geborener Grieche, seines Zeichens Medianer und der
Specialität nach Ophthalmolog, unternimmt es, an der Hand einer Unter-
suchung ĂĽber die aristotelische Optik seinen grossen Landsmann in Schutz
zu nehmen gegen die Angriffe aus alter und neuer Zeit. Obschon er sel-
ber Empiriker ist, kann er doch den Verdaramungsurtheilen eines Arago,
Whewell und Tyndall durchaus nicht beistimmen, sondern glaubt im Gegen-
tbeile, in mehrfacher Hinsicht von einem wissenschaftlichen Prophetenthum
des Aristoteles sprechen zu dĂĽrfen. Ja, einen bekannten Ausspruch Gicero's
gegen die Philosophen ĂĽberhaupt kehrt I. in allerdings etwas ĂĽbertriebener
Weise geradezu um und sagt: „Man kann sich kaum eine Theorie der
alten griechischen Philosophen denken, auch nicht die scheinbar absur-
deste, welche nicht durch die neuesten Forschungen ihre Erklärung und
theilweise Bestätigung gefunden hätte. '^
Das Verdienstvolle d^r Arbeit liegt einmal darm, dass sich ĂĽberhaupt
einMediciner an diese philologisch zumTheil ausserordentlich schwierigen
aristotelischen Schriften gewagt und es dabei zu einer anerkennenswerthen
Herrschaft ĂĽber seinen Stoff gebracht hat; dann aber namentlich darin,
dass der Verfasser, was ja nur ein Naturkundiger kann, die Lehren des
Aristoteles jeweilen zu den Resultaten der modernen Naturwissenschaft in
Beziehung bringt. Freilich dĂĽrfte diese Beziehung zuweilen eine etwas su
nahe geworden sein, so z. B., wenn L an den geeigneten Stellen den A.
gleichsam zum Vorläufer der Lehre von den specifischen Sinnesenergien
oder gar der Darwin*schen Lehre von der VerkĂĽmmerung der Sinnesorgane
bei deren Nichtgebrauch macht.
FĂĽr den aristotelischen Antiquar bringt die Schrift aUerdings nichts
Neues; aber sie wird Demjenigen Freude machen, welcher sich in einem
lebendig geschriebenen Werkchen ĂĽber das so wichtige Object orientiren
möchte.
Von materiellen IrrthĂĽmern, die bei einem so schwierigen Stoffe kaum
zu vermeiden sind, notire ich nur den, dass S. 15 die dritte Art der Far-
Litteratnrbericht. 107
I
benmiscfauDg â–Ľorgeasen ist, die lai^if oAioc Trir^rg nayrtK (De sensu et
sens. 3. 440. b. 3) oder das nayrn /u«/i^/^t (ibid. 11). Etwas allzu
sduroff ist die Behauptung S. 27: ,Dass dieses unterscheidende Princip
(nämlich das Gentralsinnesvermögen) die Vernunft {yovf) sei, ist kaum
nothivendig su bemerken.* Dies ist trotz De anima III, 2 und anderen
Stellen nicht so YöUig ausgemacht. Auch ist nicht wahr, was I. S. 50
sagt, dass nSmlich A. nicht Tiel Werth auf den Parallelismus der vier Ele-
mente mit den fönf Sinnen. gelegt habe.
Was nun die Schrift Ritter's anbelangt, so soll dieselbe einen vor-
UUiilgen Ausschnitt bieten aus einem spfiter zu erwartenden grösseren
Werke Aber die Prindpien der aristotelischen Philosophie Oberhaupt. Der
Yer&sser will sieh im Gegensatze zu der rein historischen WĂĽrdigung des
Phflosophen «auf einen mehr absoluten Standpunkt* stellen, der «das
Kritische über das Historische walten Ifisst*. «Denn die Frage ist doch
gewiss auch der Beantwortung werth, welche Elemente in einem philoso*
idiiscben System nicht nur Durchgangspunkte, sondern bleibender Besitz
seien, ĂĽber den man bis jetzt wenigstens noch nicht hinausgekommen sei.*
Während nun die historische Würdigung «nach verschiedenen Seiten hin
anerkennende Bewunderung* fĂĽr Aristoteles haben muss, gelangt die ab-
scrfote Betrachtungsweise R.*s zu dem Resultate, dass «das aristotelische
Denken empfindliche Mftngel zeigt*, deren schlimmster dem Verfasser «in
der Unf&higkeit der Fassung der letzten Principien zu bestehen scheint*.
Wer sich mit der aristotelischen Psychologie eingehender beschäftigt
hat, der wird allerdings den Eindruck davongetragen haben, dass sich
darin eine grosse Anzahl von WidersprĂĽchen befindet, die man sich nun
vorläufig aus einer verschiedenen Abfassungszeit der einzelnen Abschnitte
oder irgend anderswie erklären mag. Der Verfasser unserer Schrift führt
diese Widersprüche, im Anschluss an mehr beiläufige Andeutungen in der
bisherigen Aristoteles-Litteratur (besonders Freudenthal und Kampe), syste-
matisrh darauf zurĂĽck, dass A. nicht, wie man vielfach stillschweigend
annimmt, von einer durchgearbeiteten, klaren philosophischen Grundan-
scfaanung ausgegangen sei, sondern dass sich bei ihm vielmehr verschie-
dene Principien, die sich der gewöhnlichen Logik nach ausschliessen, un*
vermittdt neben einander fänden. Auch sei das ja insofern dem A. nicht
znm Vorwurf zu machen, als ja «unser Denken nicht mit den letzten
Prineipien beginnt*, sondern diese sich erst im Laufe der wissenschaft-
liebeii Arbeit herausschälen.
R. ^ubt drei Grundanschauungen bei Aristoteles unterscheiden zu
dürfcD. «Die eigentliche Grundanschauung der wissenschaftlichen Praxis
unseres Denkers* ist nach ihm der Materialismus, und diese These,
wdche allerdings heut zu Tage nicht mdir viel AuffaUendes hat, wird
zonädist durch eine gründliche Kritik der berühmten Seelendefinition,
dann aber noch durch eine ganze Reihe von Untersuchungen gestĂĽtzt.
«Hinter dieser Grundanschauung ziemlich bescheiden zurücktretend*, läset
sieh eine relativ - spiritualistische nachweisen; dahin gehört vor
ASem die Auffossung der Seele als der aixia und ovirl« des Körpers. In
108 Litieraturbericht.
einer dritten und letzten Grundanschauung endlich wird der spirituaJi-
stische Dualismus zum absoluten Dualismus, in welchem der Stoff
,zu einer Macht wird gegenĂĽber der Seele, der sie in mehrfacher Hin-
sieht nicht gewachsen erscheint*. Es versteht sich von selbst, dass R.
die modernen AusdrĂĽcke Materialismus und Spiritualismus cum grano salis
will verstanden haben.
R. hat seine Beweise mit anerkennenswerthem Scharfsinn und mit
Entwicklung grosser Gelehrsamkeit gefĂĽhrt; aber es liegt uns ferne, jetzt
schon ĂĽber das Resultat seiner Forschungen ein abschliessendes Urtheil
f&ĂĽen zu wollen, um so mehr, da die vollstAndige BeweisfĂĽhrung erst von
seinem grösseren Werke zu erwarten steht, welches dem Einzelnen auch
«eine andere Beleuchtung ** und grössere „Ueberzeugungskrait* zu verleihen
verspricht. Wenn aber auch die Anschauung R/s zur allgemeinen Ueber-
zeugung werden sollte, so liessen sich die WidersprĂĽche des A. doch viel-
leicht noch aus einem anderen Grunde, als aus der «Unfthigkeit der Fas-
sung der letzten Principien'' erklären; es wäre ja immerhin möglich, da»
in dem Geiste eines A. Verschiedenes neben einander Platz hätte, was
sich in unseren Durchschnittsköpfen gegenseitig ausschliesst. Ueberhaupt
sollte man sich davor hĂĽten, auch in berechtigter Polemik, eitfem A. gegen-
über von , Unfähigkeit der Fassung der letzten Principien* (S. 3), von
«unwissenschaftlichem Wechsel der Methode* (S. 6), von «Mangel an
jeder wissenschaftlichen Schärfe (S. 12), ja von «Mangel an klarem
Denken (ibidem), von «inhaltslosen Phrasen* (S. 24), und dann
wieder, schulmeisterlich lobend, von dem «gesunden Blick unseres Phi-
losophen* (S. 21) zu reden. Der Verfasser sagt es selber am Deutlichsten,
dass es nicht leicht sei, «bei Aristoteles die rechte Höhe zu erreichen*.
Und das hat seinen guten Grund. Ein grosser Schriftsteller sagt von
Lionardo da Vinci: «Die Ungeheuern Umrisse von Lionardo's Wesen wird
man ewig nur von ferne ahnen können*. «Die Ungeheuern Umrisse* des
A., des antiken wissenschaftlichen Antipoden jenes modernen KĂĽnstlers
und Menschen, brauchen wir nicht nur «von ferne zu ahnen*, sondern
wir kennen sie aus seinen Werken; ergo favete linguis.
R. will ausser dem angedeuteten Werke eine Herausgabe der aristo-
telischen Psychologie in der Art von Trendelenburg's Elementa logioes
Aristoteleae veranstalten; «der Stoff ist schon aus den sämmtlichen Wer-
ken ausgezogen und bedarf nur noch der systematisdien Anordnung*.
Im Hinblick auf diese beiden Unternehmungen, zu welchen wir dem Ver-
fasser von Herzen Glück wünschen, sprechen wir die Bitte aus, er möchte
in Zukunft bei seinen Gitaten aus A., wie es Trendelenburg, Kampe,
Eucken u. A. thun, der blossen Seitenzahl jeweilen auch den Titel der
betreffenden aristotelischen Schrift beifĂĽgen, damit der Leser gleich wass,
mit welchem Opus er es zu thun hat.
Basel. Dr. Hans Heusdler.
Litteratnrbericht. 109
Nene Schriften Aber Nieolans Ton Knes.
Der Wunsch, den ich vor etwa zwei Jahren in den philosophischen
Monatsheften (Bd. XIV, S. 460) äusserte, es möge bei eindringender Be-
schäftigung mit Nicolaus von Kues Tomehmlich seine Lehre vom Er-
kennen eine ausfĂĽhrliche Behandlung finden, ist rascher in ErfOllung
gegangen als bei dem Zustande dieses Forschungsgebietes zu erwarten war.
Es liegen uns zwei so eben erschienene Schriften vor, welche jenen Gegen-
stand zum Ausgangspunkt einer Gesammtdarstellung des cusanischen Sy-
stems machen: 1) J.Uebinger: „Philosophie des Nicolaus Gusanus" (Würz-
burger Dissertation). 2) R. Falckenberg: „Grundzüge der Philosophie des
Nicolaos Gusanus, mit besonderer BerĂĽcksichtigung der Lehre vom Er-
kennen*' (ein TheU dieses Werkes ist als Jenenser Habilitationsschrift
erschien^. Uebinger^s Schrift ist kĂĽrzer und verhftlt sich zu ihrem
Objecte lediglich darstellend, Falekenberg's Untersuchung findet bei grösse-
rer Ausdehnung und genauerem Eingehen ihren Schwerpunkt in der
Analyse. Beide Arbeiten bekunden ein grĂĽndliches Studium des Nicolaus
ond sind yon warmem Interesse fĂĽr den Gegenstand getragen.
Uebinger sucht unter Goncentration auf die Erkenntnisslehre den
Kern des Systems in möglichst treuem Anschluss an die eigenen Aufstel-
lungen des Philosophen darzulegen. Den einzelnen Abschnitten liegen
bestimmte Schriften desselben zu Grunde. Der erste handelt vom Werden
des Erkennens, der zweite von seinem Wirken, der dritte von seiner Wir-
kung. Bei diesem letzten Abschnitt unterscheidet der Verfasser drei Ent-
wicklungsstufen des Denkers. Das Ganze ist als eine einleitende Arbeit
zu betrachten und verdient als solche wegen gewissenhafter Behandlung
des Gegenstandes und energischer Zusammenhaltung des schwer Ăśberseh-
baren Stoffes aufrichtige Anerkennung.
Hinsichtlich der Auffassung des Philosophen wird man dem Verfasser
hie und da Einwendungen machen können, wir möchten hier nur einen
Punkt berĂĽhren, der vielleicht ein allgemeineres Interesse hat. Den Aus-
druck docta ignorantia (bekanntlich Titel einer Hauptschrift des Nicolaus)
möchte Uebinger unter Ablehnung der gewöhnlichen Erklärungen („Wissen-
schaft des Nichtwissens**, „gelehrte Unwissenheit") einfach übersetzen als
„Belehrung der Unwissenheit". Abgesehen von sprachlichen Bedenken
steht dem die Erwägung entgegen, dass die ignorantia im specifischen
Sinne den Mystikern nicht als ein aufzuhebendes gilt, sondern jene letzte
Erfassung Gottes kennzeichnet, welche alles vemunftmässige Wissen über-
steige, ja ausschliesse. Dem Inhalt nach geht diese Anschauung auf Dio-
nysius zurĂĽck, namentlich auf seine Schrift de divinis nominibus; dem
Seotus Erigena ist das Schauen Gottes selber zugleich ignorantia und in-
finita sdentia (s. de div. nat. U, 597 b); auch Bonaventura kommt immer
wieder darauf zurück, dass bei der höchsten Weisheit alles erlösche, was
wir sonst Wissen nennen (s. z. B. myst. th. ed. Ven. II 460 b : consurrectio,
qoae per ignorantiam dicitur, nihil aliud est, nisi immediate moveri per
ardorem amoris sine omni creaturae speculo, absque praevia cogitatione.
110 Litteratorbericht.
sine etiam motu intelligentiae concomitante, ut solus affectus iangat et in
ipso actuali ezercitio nihil cognoscat speculativa dogniiio). Es lag nahe,
die hier gemeinte ignorantia auch im Ausdruck abzusondern; weswegen
man sie aber gerade docta nannte, ist nicht so leicht zu ersehen. Ob
hier der von Bonaventura oft ausgefĂĽhrte Gedanke mitwirkt, daas jene
Weisheit nicht von Menschen hervorgebracht, sondern allein von Gott
gelehrt werde (s. myst. th. ed. Yen. II, 463 a: illa scientia quae est per
ignorantiam solius Dei doctrina percipitur), wage ich nicht zu entscheiden.
Docta ignorantia selber kann ich bei Bonaventura nur an einer (ĂĽbrigens
auch schon von Stöckl angeführten) Stelle nachweisen (s. brevisloq. ed.
Yen. 1, 129 a: quo quidem desiderio ferventissimo ad modum ignis spiritns
noster non^solum agilis ad ascensum, verum etiam quadam ignorantia
docta supra se ipsum rapitur in caliginem et excessum). Später ist der
Ausdruck oft anders verwandt, so bedeutet z. B. bei Gassendi exerdt
parad. YI ignorantia doctissima «kritisches Wissen des Nichtwissens', bei
Locke (hum. und. III cp. ]iO) leamed ignorance „durch erkünstelte Gelehr-
samkeit sich verdeckende Unwissenheit*; bei Nicolaus muss docta igno-
rantia jedenfalls aus dem geschichtlichen Zusammenhange verstanden
werden. Doch genug dieser Abschweifung I Wie wir vernehmen, bereitet
Dr. Uebinger weitere Untersuchungen ĂĽber Nicolaus vor, das schon Ge-
leistete berechtigt uns, denselben mit guten Erwartungen entgegenzusehen.
Auch bei Fälckenberg ist die Lehre von der Erkenntniss Hittelpunkt
der Erörterung, aber er verfolgt die Yoraussetzungen und Zusammen-
hänge weiter und nimmt eine erheblich freiere SteUung zu seinem Stoffe
ein. Indem er die wichtigsten Lehren des Nicolaus in selbstständiger An-
ordnung darlegt, geht er vornehmlich darauf aus, die verschiedenen €re-
dankenricbtungen und Interessen nachzuweisen, welche bei dem Philosophen
wirken und sich oft in merkwürdigster Weise verschlingen. Und zwar lässt
er solche Behandlung nicht nur den Ergebnissen zu Gute kommen, son-
dern er ergreift auch die Elemente, die leitenden Begriffe, und zeigt an
ihnen das sich durchkreuzen und sich verweben grosser Gedankenreihen.
So geschieht es z. B. bei den Begriffen des Glaubens, der Entwickelung,
*der docta ignorantia u. s. w. Ein derartiges Unternehmen ist eben bei
einem Hanne, der an der Grenze zweier Welten steht, und bei dem es
gilt, das Neue und Entscheidende präcis festzustellen, wichtig und dankens-
werth, und man wird anerkennen mĂĽssen, dass der Yerfasser in Yerfol-
gung dieser Aufgabe treffliches geleistet hat. Er besitzt die nothwendige
Yoraussetzung einer solchen Untersuchung: Orientirtheit ĂĽber die za-
sammentreffenden Weltbegreifüngen und ihre Gonsequenzen , er bewährt
einen feinen Tact in der Schätzung und Subsumirung des Einzelnen, und
er versteht es, die einmal ergriffenen Fäden sowohl mit liebevoller Hin-
gebung an den Gegenstand zu verfolgen, als sie an richtiger Stelle fallen
zu lassen. Die Darstellung ist eine geschmackvolle, manchmal sich fein
zuspitzende. Was den Inhalt anbelangt, so ist die Arbeit durchaus grĂĽnd-
lich und zuverlässig. Ein Zurückgreifen auf die historischen Yoraus-
setzungen wäre hie und da wünschenswerth gewesen. Ob das Bild des
Litteraturb«rieht. 111
Denke» ein ganz und gar vollständiges sei, und ob es überhaupt bei
einem solchen am Problem des Erkennens gefĂĽhrten Querschnitt yoU-
ständig sein könne, daran wird sich zweifeln lassen. Es vermag z. B.
bei diesem Problem die Lehre von der Bedeutung der Individualität keine
hinreichende Würdigung zu finden. Eher könnte man dem Verfasser
daraus einen Vorwurf machen, dass er die hervorragende Stellung, welche
die Mathematik bei Nicolaus einnimmt, nicht mehr zur Geltung gebracht
bat Und endlich hätten wir zum Schluss eine Zusammenfassung dessen
gewĂĽnscht, was durch die Untersuchung als wesentlich und neu an Nico-
lais herausgestelU ist. Der Verfasser denkt zu bescheiden von seiner
Arbeit, wenn er hinsichtlich einer Gesamratcharakteristik der Art und
Grösse des Nicolaus auf andere verweist. Kommt doch seinem Buche
anbestreitbar das Verdienst zu, den schwierigen Gegenstand zuerst in der
exacten und kritisch eindringenden Weise behandelt zu haben, welche die
gegenwfirtige Wissenschaft fordert.
Jena. B. Eucken.
Ueber das FandamentalgesetB der Intelligeiu im Thierreiolie« Ver-
such einer vergleichenden Psychologie von Tito Vignolu Leipzig, F. A.
Brockhaus. 1879 (Liternationale wissenschaftliche Bibliothek Bd. 36).
(279 S.) 8*.
Im Anschluss an die mancherlei, besonders unter unsem westlichen
Nachbaren neuerdings hervorgetretenen Bestrebungen zur GrĂĽndung einer
vergleichenden Psychologie versucht der Verf. die Grundlinien einer sol-
chen Wissenschaft und zwar aus dem Gresichtspunkte der monistischen
Descendenz- und Fortschrittstheorie zu entwerfen. Dieser Gedanke der
continnirlichen Entwicklung beherrscht die biologische und psychologische
Anschauung l%noli's so, dass er nicht Anstand nimmt, zu erklären, von
den Sternhaufen und Nebelflecken bis zum organischen Pflanzen- und Thier-
reicbe, ja bis zum Menschen gehe eine nicht unterbrochene beständige
Kette von Umformungen, von reflexiven Acten, und in diesen Umformun-
gen durch Raum und Zeit hindurch ein sich bethätigender universeller
Fortschritt Der Verfasser hat, von dem Pflanzenleben anhebend, diese
stufenweise Entwicklung in sehr interessanter Weise dargelegt; er bestinunt
den Unterschied des Pflanzen- und Thierlebens mit grosser Schärfe und
weiss iimerhalb des letzteren die Empfindung, den Willen und die Intelli-
genz wohl zu sondern; was er aber nicht geleistet hat und nach des Ref.
Ansicht auch nicht leisten konnte, ist der Nachweis, ,wie das Thier in-
teSectuell Mensch wird" (Kap. 10). Hier ist nämlich die Meinung des
Verfassers, dass die menschliche Seelenthätigkeit im Grunde nichts wei-
ter, als Verdoppelung der thierischen Seelenthätigkeit, also Empfinden des
Empfindens, Wollen des Wdlens u. s. w. bedeute. Kann denn aber wohl
auf diese Weise die Begriffsbildung, das Selbstbewusstsein, die sittliche
Freihat des Menschen erklärt werden, die der Verf. doch als solche in
ibrer Eägenthflmlichkeit anzuerkennen durchaus bereit ist? Auf welche
112 Litteraturbericht.
Weise fäD|^ die Empfindung es denn an, sich auf sich selbst zu richten,
oder der Wille, sich selbst zu wollen — wie der Verf. sagt? Das sind
dem Ref. ganz unverstfindliche Dinge. Das Wesen, welches im Stande ist,
über sich selbst zu reflectiren und sich Über sich selbst zu erheben, —
mag man es nun (Menschen-) Seele oder Greist oder sonst wie nennen,
indem man es unter die Kategorie der Substanz fasst — dieses Wesen ist
und bleibt doch specifisch verschieden von jenen andern Wesen, welche,
wie das Thier, das Vermögen der freien Reflexion und der Bildung allge-
meiner Begriffe, das Wollen wie Vollbringen uneigennĂĽtziger Handlun-
gen nicht besitzt. Eine solche Kluft kann durch allgemein gehaltene
Behauptungen und durch die Versicherung, dass das Thier durch Ver-
doppelung seiner Fähigkeiten zum Menschen aufsteige, nicht ausgefüllt
werden. Sieht man von diesem Streben des Verf. ab, seine ununter-
brochene Kette der Descendenz theils durch MachtsprĂĽche, theils auch ge-
legentlich durch Paralogismen (z. B. Umdeutung der Conditio sine qua
non zur causa ponens) nachzuweisen, so muss anerkannt werden, dass
sein Werk die vergleichende Psychologie insofern nicht unbeträchtlich for-
dert, als es in die bunte FĂĽlle der einschlagenden Thatsachen durch Zu-
sammenfassung des Zusammengehörigen bessere Ordnung, und durch die
allerdings unentbehrliche Hinzuziehung des Pflanzenlebens, auf der Vignoli
mit Recht besteht, nicht wenig Licht bringt; ausserdem ist die Darstel-
lung leicht und allgemein verständlich gehalten.
Der Uebergang der Philosophie ni den Dentsehen im Tl.— XI. Jahr-
hundert. Von Prof. Dr. A. Bichter, Halle, Buchdr. des Waisenhauses
1880. (Progranun der R.- Schule I. Ordn. im Waisenhause zu Halle
für 1879—80.) (31 S.) 4*.
Die vorliegende Abhandlung will ein Beitrag zu der noch ungelösten
Aufgabe einer vollständigen Geschichte der deutschen Philosophie sein,
fĂĽr deren frĂĽheste Epoche sie reichliches und interessantes, weil urkundliches
Material beibringt Was Richter im ersten Abschnitt seiner Schrift ĂĽber
Boetius sagt, drĂĽckt zwar die allgemeine, durch Prantl in Umlauf gesetzte
Meinung aus, bedarf aber ^nach des Ref. Ueberzeugung einer Gorrectur,
die er jedoch erst bei einer späteren Gelegenheit zu machen gedenkt.
Hier sei nur bemerkt, dass dem Boetius die ihm von Prantl und Richter
zugeschriebenen Uebersetzungen logischer Schriften des Aristoteles bei
Weitem nicht alle zukommen, wie sich dies aus dem Befund der Hand-
schriften und ältesten Editionen nachweisen lässt. Der zweite Abschnitt
ĂĽber die Angelsachsen, Alcuin und Fredegis, sowie ĂĽber die eigentlichen
Anfänge der deutschen Schulphilosophie durch Hraban kann vielleicht durch
Aufsuchen weiterer Spuren philosophischer Thätigkeit im südwestlichen
Deutschland noch erweitert werden. Dec dritte Abschnitt handelt von
St. Gallen und hebt unter dessen Litteratoren mit Recht besonders Notker
hervor, von dessen philosophischen Arbeiten wir hier einen willkommenen
Ueberblick erhalten. Möge der Verf. sein verdienstvolles Unternehmen, die
Litteraturbericht 113
Origines der deatschen Philosophie in der angefangenen Weise auch was
die folgende Zeit betrifft, klar zu stellen, nur unverdrossen weiterfĂĽhren,
und möge es ihm namentlich gelingen, über die philosophischen Studien
in Deutschland während der noch ziemlich unerforschten Uebergangszeit
des Xn. Jahrhunderts Licht zu verbreiten.
Im XV. Bande dieser Zeitschrift (S. 479 ff.) hat Herr Professor Weis
in objectiver und anerkennender Weise eine Anzeige der drei ersten Bände
meines „Systems der Philosophie, als exakte Wissenschaft** geliefert. Von
den Ausstellungen und Einwänden gegen dasselbe beschränke ich mich
hier darauf, Einen Punkt herauszuheben, weil der Referent ihn selbst fĂĽr
einen höchst wichtigen und zur Aufklärung und Förderung der Wissen-
schaft sehr geeigneten hält. Lediglich um der Verständigung willen ant-
worte ich Folgendes, in Erwartung einer gefölligen Erwiderung.
Es handelt sich um den berĂĽhmten Versuch des Physikers Ritter
am Anfang dieses Jahrhunderts ĂĽber die Wirkung des Galvanismus auf
das Wasser. Diesen in der ganzen langen Zeit von den Philosophen
gĂĽnstig aufgenommenen, von den Physikern weder berĂĽcksichtigten, noch
widerlegten Versuch hat Weis nunmehr als falsch nachzuweisen unter-
nommen. Die Frage ist nämlich, ob das Wasser durch den galvanischen
Process in seine zwei „Bestandtheile", wie die Chemiker sich ausdrücken,
zerlegt werde, oder ob der positive Pol aus dem Wasser nur den Sauer-
stoff, der negative nur den Wasserstoff entwickele. Die Philosophie hält
den Sauerstoff und den Wasserstoff nicht für absolut feste, unvergängliche
Substanzen, die mit den 63 andern einfachen Körpern die ewig unver-
änderlichen Principien der Natur sein sollen , sondern sieht sie für blosse
Weisen an, in welche das Wasser wohl aufgelöst, und damit zerstört
werden könne ; das Wasser selbst aber sei, als concreter, individualisirter,
mit substantieller Form und immanenter Kraft ausgestatteter Naturkörper
das Höhere, xard tpvaiv Erste, gegen jene abstracten Elemente. Ist das
Wasser zersetzt, so hat der Chemiker zwar, wie Göthe sagt, „die Theile in
seiner Hand, Fehlt leider nur das geistige Band**.
Ăśeber diese entgegengesetzte Auffassung sollen nun die Thatsacben
entscheiden. Die Thatsache aber ist, dass, wenn man eine gebogene Glas-
röhre mit Wasser füllt, und dann einen galvanischen Apparat daran
bringt, der Zinkpol nur Sauerstoff, der Kupferpol nur Wasserstoff zeigt.
. Um die Zersetzung des Wassers in beide Elemente an jedem Pole zur
i Thalsache zu erheben, wird die Hypothese aufgestellt, dass sich der
• Wasserstoff vom Zinkpol zum Kupferpol, und der Sauerstoff von diesem
i zn jenem sich hinbegebe. Diese Ortsveränderung hat kein Physiker a
f posteriori gesehen, und die Philosophie hat daher das Recht, sie a priori
I ni Terwerfen. Um die Hypothese aber auch thatsächlich zu beseitigen,
hat Ritter Quecksilber in den Scheitel der Glasröhre angebracht, damit
Phiolosph. MonatsheRe 1881. I u. II. 8
114 Litteraturbericht.
jede Möglichkeit einer solchen Wanderung Yon Pol zu Pol abgeschnitten
wflrde; und dennoch blieb die Erscheinung dieselbige. Gegen dieses
Experiment wendet sich nun Weis, indem er sagt, das Quecksilber in der
Glasröhre werde selbst galvanisch: seine dem Zinkpol zugekehrte Wand
werde negativ, die dem Kupferpol zugekehrte positiv electrisch, so dass
in jeder Hälfte der Röhre je ein Zersetzungsprocess stattfindet. Weis will
daher auch Gas-Entwickelungen an allen vier Punkten bemerkt haben.
Ich lasse unentschieden, ob wirklich zwei galvanische Processe ein-
getreten seien, da das Quecksilber sehr wohl den Indifferenzpunkt bilden
könnte, wie bei den vielfach Ober einander gelegten Platten der Voltaischen
Säule. Hätte nun Weis mit seinem doppelten Processe Recht, so w&re
freilich die Ritter'sche Vorrichtung hinfällig. Aber die Hypothese des Hin-
und Herwandems wĂĽrde doch immer das widerlegen, was der Physik auf-
recht zu erhalten vor Allem am Herzen liegen muss, — die entgegen-
gesetzte Thätigkeit der Pole. Denn jeder zöge zuerst auf seiner Seite
sowohl Sauerstoff als Wasserstoff aus dem Wasser heraus. Warum aber
vermöchte er dann hinterher nun das eine Element an sich zu behalten,
um das Andere von sich zu stossen? Entgegnet der Empirismus, jeder
Pol ziehe nur das eine Element aus dem Wasser an sich und stosse das
andere ab: so konnte man geneigt sein anzunehmen, das sei blos ein
Wortunterschied gegen den Satz der Philosophie, dass jeder Pol nur das
eine Element aus dem Wasser entwickele. Indessen können beide Ausdrucks-
weisen als Tautologien nur dann zugegeben werden, wenn die Physiker
das Hin- und Hergehen der Elemente faUen lassen. Thun sie dies nicht,
so bleibt der principielle Unterschied bestehen: Entweder tilgt die quali-
tative Form des Wassers jene Elemente als solche, 4a selbst, wenn es aus
ihnen im Verbältniss von etwa 85 : 15 hergestellt worden wäre , jedes
kleinste Theilchen Wasser immer nur Wasser ist; oder aber die un ver-
tilgbaren Elemente existiren als wirkliche Götter in jedem noch so kleinem
Quantum Wasser, dann wäre das Wasser nicht Wasser, sondern nur ein
Gemisch dieser Elemente.
Im letztern Falle sänke die Chemie wieder zur blossen Mechanik herab,
wie zu den Zeiten des Gartesius, da sie sich doch jetzt bis zur Organik
versteigen will. Alle von mir aufgeworfenen Fragen gipfeln in der wich-
tigsten: Wie verträgt sich der Begriff der Polarität mit der an beiden
Polen in ganz gleicher Weise auftretenden Zersetzung des Wassers. Und
nun fĂĽge ich zum Schluss noch eine Frage hinzu: Wird die feuchte Lult
darum zersetzt, weil das E|sen, wenn es rostet, Sauerstoff aus ihr ent-
nimmt?
Dies sind die Punkte, Ăśber welche ich von meinem Herrn Recensenten
Erklärung und Belehrung erbitte.
Berlin. Michelet.
Lilteraturbericht. 116
Erwiderung.
Mich freat die Anfrage meines verehrten Lehrers, Herrn Professor
Mi che] et, da sie mir Gelegenheit giht, das Bd. XV S. 479 ff. dieser Zeit-
schrift Gesagte zu bestätigen und ins Gedftchtniss zurückzurufen. Die Aus-
fOhrang der Frage ft'eilich zwingt mich, das Thatsächliche noch einmal
ausfĂĽhrlich wiederzugeben.
Taucht man in die beiden OefiTnungen einer mit Wasser gefĂĽllten,
hofeisenfOrmig gebogenen Glasröhre die beiden Pole einer galvanischen
Batterie, so erscheint am negativen Pol WasserstofiT, am positiven Pol
Sauerstoff und zwar vom ersteren die doppelte RaumgrOsse des letzteren.
Chemie und Physik sagen : Jedes WassermolecOl besteht aus zwei Atomen
Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff; die Electricität zersetzt nun die
WassennolecQIe und während je ein Atom Sauerstoff zum positiven Pol
wandert, wandern zwei Atome Wasserstoff zum negativen Pol, daher hier
die doppelte Raummenge von Gas, da die Atome der Elemente in Gas-
zustand gleich gross sind.
Wird nun die Krümmung der Glasröhre mit Quecksilber gefüllt, so
dass jeder Schenkel derselben seine eigene, von der anderen getrennte
Wassersäule besitzt, so soll nach H. Ritter ebenfalls am negativen Pol
Wasserstoff, am positiven Pol aber Sauerstoff auftreten. Wäre dies rich-
tig, wo doch von einer Atomwanderung aus einem Schenkel des Glases
iB den anderen keine Rede sein kann, so wäre die atom istische und mole-
culäre Vorstellung Unsinn; man müsste mit Ritter - Michelet annehmen,
dass jeder Pol das Wasser specifisch verwandle oder modificire.
Mit meinem Gollegen, dem Physiker Professor Dr. Kfllp stellte ich da-
her den entscheidenden Versuch an; ich gestehe gern, dass ich mit etwas
Voreingenommenheit fĂĽr den berĂĽhmten Physiker Ritter an den Versuch
ging, obgleich ich voraussagen konnte, dass ein Irrthum bei seiner An-
gabe sein mĂĽsse. Sofort sahen wir denn, dass beiderseits gleiche Raum-
mengen Gas auftraten und nicht, wie es sein sollte, am negativen Pol
doppelt so viel, wie am positiven. Und als wir die aus jeder Wasser-
maase aufgetretene Gasmasse prüften, so erwies sie sich beim Annähern
eines Lichtes als Knallgas, also als eine Mischung aus Sauerstoff und Was-
serstoff. Das heisst, es zeigte sich, dass in jeder Wassersäule das Wasser
in seine beiden Elemente zerlegt wurde. Wir wiederholten den Ver-
such mehrmals, steckten auch nach Ritter's Angabe einen Draht durch das
Quecksilber; aber jedesmal das gleiche Resultat. Nur dass man von den
spitzen Enden des Drahtes leichter eine Gasentwicklung wahrnimmt, wie
an der Fläche des Quecksilbers. Innerhalb jeder Wassersäule findet daher
eine Wanderung von Atomen Statt und zwar wandern die Wasserstoff-
atome zum negativen, die Sauerstoffatome zum positiven Pol einer jeden
ZersetzoBgszelle. Man sieht daher zwei Gasentwicklungsstellen in jeder
Wassersäule, im Ganzen also vier. Herr Michelet scheint dieser Beobach-
toDg nicht zu trauen, er sagt: Weis will gesehen haben. Ich habe
d^ber aus Anlass der Anfrage die Versuche wiederholt, und darf behaup*
116 Litteraturbericht.
ten: Prof. EĂĽlp, verschiedene Gollegen, ich, die SchQler, denen ich jetzt
zur Belehrung die Sache in den Lehrstunden zeigte, wir Alle haben die Gas-
entwicklung an vier Stellen gesehen, und ich bitte Herrn M., bei einem
Berliner Chemiker oder Physiker prQfen zu lassen, ob wir recht gesehen.
Ritter *s Angabe k'ann nicht richtig sein. Wahrscheinlich hat er sich
begnĂĽgt, zu sehen, dass beiderseits vom Quecksilber Gase auftreten, aber
er hat nicht der Mähe werth gefunden, die Natur der Gase zu prüfen.
Es kann die Angabe- nicht richtig sein; es muss jeder Schenkel der Glas*
röhre eine Zersetzungszelle sein, in welcher der eine Pol von der Batterie
stammt, der andere von einem Ende des Quecksilbers gebildet wird. Es
ist falsch, wenn Herr M. meint, das Quecksilber bilde einen Indifferenz-
punkt. Das Quecksilber ist so wenig indifferent, dass wenn es möglich
wäre, von Berlin nach Darmstadt ein Kabel aus einer Wassersäule zu
legen, dies Kabel die Electricität rascher leiten würde, wenn man Queck-
silber zwischen das Wasser bringen wĂĽrde. So leitet auch das Queck-
silber in der gebogenen Röhre die Electricität der beiderseitigen Wasser-
säulen, und da der Strom von + nach — und von — nach -f geht, so ist
das eine Ende des Quecksilbers \ selbst + und zwar da, wo der negative
Pol der Batterie eintaucht, das andere Ende des Quecksilbers ist — elec-
trisch. Jede Wassersäule bildet somit einen Zersetzungsapparat.
Um die Richtigkeit dieser Erklärung zu zeigen, habe ich etwas ganz
UeberflĂĽssiges gethan, aber ich that es den Zweiflern zu Liebe. Ich schal-
tete an Stelle des Quecksilbers einen wirklichen Indifferenzpunkt ein. Das
heisst, ich fĂĽllte die Biegung mit Schwefel, den ich schmolz und wieder
erstarren liess. Der Schwefel ist ein Nichtleiter der Electricität und nun
wo (vorausgesetzt, dass der krystallinisch erstarrende Schwefel keine Hohl-
räume im Innern bildet, welche das Wasser hindurchlassen) die Wasser-
säulen durch diesen für die Stromleitung indifferenten Stoff getrennt
waren, wo also keine Strömung der Electricität mehr von + nach —
und von — nach + stattfinden konnte, da trat kein electrischer Strom,
somit auch keine Wasserzersetzung auf, während nach Ritter-Michelet auch
jetzt die Gasentwicklung stattfinden könnte, da nach ihnen die Polarität
allein es ist, welche das Wasser modificirt. Diese Zersetzung des Wassers
trat aber sofort ein, wenn ich durch den Schwefel einen den Strom leiten-
den Platindraht hindurchgehen liess. Sofort zeigte sich an seinen beiden
Enden Gasentwicklung, wie an dei) ihnen gegenĂĽberstehenden Polen der
Batterie. Ein Beweis, dass der Draht oder auch das Quecksilber selbst
polar electrisch ist.
FĂĽr die Richtigkeit der chemischen Vorstellung spricht indess noch
etwas, das ich bei der ersten Angabe meines Versuches als etwas zu
speciell Chemisches wegliess. Die eingeschaltete Quecksilbersäule wird, wie
gesagt, durch Leitung selbst polarisch. Das eine Ende, das negative, wo
sich der Wasserstoff in grossen Bläschen ausscheidet, bleibt dabei ganz
blank, das andere Ende aber, das positive, wo sich Sauerstoff abscheidet,
wird trübe, es Überzieht sich mit einem dünnen Häutchen von Queck-
silberoxyd, also einer Verbindung von Quecksilber und Sauerstoff. Dieser
Litteratarbericht. 117
letztere tritt daher Anfangs |ar nicht in Form von Gasblasen auf; elrst
nach einiger Zeit steigen Sauerstoffbläschen auf, die aber viel, viel kleiner
sind wie die Wasserstoffblasen am negativen Ende des Quecksilbers. Diese
das sofortige Auftreten von Sauerstoffgas hindernde Oxydschicht bildet
sich, wie zu beachten, da, wo oben der negative Pol der Batterie eintaucht,,
wo also nach Ritter nur Wasserstoff erzeugt werden soll. Nimmt man
statt der Platindrähte, die keine Neigung zur Oxydation haben, Kupfer-
drähte zu diesen Versuchen, so kann es geschehen, da Kupfer leicht oxy-
dirt, dass unter Bildung von Kupferoxyd aller Sauerstoff zurĂĽckgehalten
wird. In diesem Falle ist alles aufgefangene Gas nur Wasserstoff. Aber
wohl zu merken, sowohl das am positiven, wie das am negativen Pol auf-
gefangene Gas ist Wasserstoff, und nicht wie Ritter angibt am einen
Wasserstoff am andern Sauerstoff. Möglich indess, dass Ritter mit Kupfer-
drähten arbeitend nur Wasserstoff frei werden sah, statt eine Mischung
von Wasserstoff und Sauerstoff. Indess eine Zersetzung im Sinne der
Chemiker findet auch hier Statt, wo nur eine Art von Gas sich zeigt. Nur
wird der Sauerstoff durch die Verwandtschaft des Metalls zu ihm unter
Bildung von Oxyd zurĂĽckgehalten. Deshalb ist Platin das geeignetste Me-
tall zur Stromleitung, weil es bei seiner geringen Verwandtschaft zu
Sauerstoff am wenigsten dessen gasförmiges Aufsteigen hindert.
Uns Nicht - Identitätsphilosophen sind nun freilich die Atome keine
»wirklichen Götter*, da sie keine sittlichen Kräfte sind und nur kraft ab-
soloten Willens Dasein haben. Auch sind uns, die wir die Naturverhält-
nisse nicht aus Begriffen, das ist aus einem Wortinhalt, entwickeln, son-
dern mit Benutzung der Induction aus Thatsachen erforschen wollen,
Wasserstoff und Sauerstoff keine „abstracten* Elemente, sondern sie sind
uns wie das Wasser „concrete und individualisirte, mit substantieller Form
und immanenter Kraft ausgestattete Naturkörper **. Diese Scheidung ,ab-
stracter' und ,concreter* Körper erinnert mich an die Jahre 1856 und 57,
wo ich in Berlin in einem philosophischen Golleg ĂĽber Humboldt's Kosmos
hörte: «Der Chemiker macht relativ, Gott macht absolut Materie.* Ich
hörte dies nicht von Ihnen, Herr Professor, aber noch heute, 1880, ist
mir die Rede, dass Körper in luftigem Aggregatzustande noch nicht
eigentliche, sondern nur „abstracte* Materie seien, dass sie erst im festen
Aggregatzustande „concref* seien, mehr ein Spiel mit einem Wortinhalt
als eine denkende Gonstruction und Erfassung realer Verhältnisse. Ich
gestehe, dass mir solches Wortspielen frĂĽh meine noch heute warme Be-
geisterung für HegePsche Philosophie dämpfte, dass ich aber freilich noch
keine Naturphilosophie fand, die nicht in diesem Spielen mit Worten
verharrt sei. Ich unterscheide nicht «abstracte und concrete* Körper,
sondern, wie schon seit etwa 1810 Avogadro that und seit etwa 1850 all-
gemeiner anerkannt ist, einfache, elementare, durch chemische Kraft
nicht weiter zerlegbare Massen theilchen, die Atome, und zusammen-
gesetzte, verbundene, . durch chemische, aber nicht durch physika-
lische Kräfte zerlegbare Massentheilchen , die Molecüle. Danach ist
nicht von einem Wasseratome zu reden, sondern nur von einem Wasser-
118 Litteraturbericht.
mo]ecĂĽI, das aus zwei Atomen Wasserstofi| und einem Atom Sauerstoff
besteht.
Sie fragen, ob beim Rosten von Eisen die Luft zersetzt werde. Ich
könnte einfach Ja antworten. Als Chemiker muss ich jedoch sagen, dass
Luft keine chemische Verbindung, sondern nur eine mechanische Mischung
von Sauerstoff und Stickstoff ist, aber diese Mischung wird getrennt, in-
dem das Eisen den Sauerstoff anzieht und den Stickstoff zurücklässt Wo-
durch Mischung und Verbindung sich unterscheiden? Das ist schwer, in
KQrze zu nagen. Reiben Sie Eisenfeile und Schwefelpulver so viel Sie
wollen, es bleibt eine Mischung, man kann mit dem Magneten das Eisen
herausziehen, und wenn man V^asser auf 'die Masse giesst, setzt sich das
schwerere Eisen zuerst zu Boden. Wenn man aber die Mischung erhitzt
bis sie glüht, so wird dadurch die wechselseitige Affinität von Eisen und
Schwefel angeregt, die Verbindung beider Körper wird gebildet, diese las-
sen sich nicht mehr so mechanisch wie vorher trennen, und selbst mit
dem stärksten Mikroskope kann man die verschiedenen Bestandtheile nicht
mehr sehen. Man sieht die Atome einer Verbindung nicht, weil sie fĂĽr
unsere Netzhaut zu klein sind. Will man doch berechnen, dass in einem
Gubikcentimeter gasförmigen Körpers 21 Trillionen Molecüle sind; man
schätzt die Entfernung zweier Molecüle bei Normaldruck und -Temperatur
zu 3 bis 4 Milliontel Millimeter ; man schätzt den Durchmesser eines Was-
serstofimolecĂĽls zwischen 1 und 6 Zehnmilliontel Millimeter.
Ich lasse den Werth solcher Berechnungen ganz dahingestellt; jeden-
falls sind aber die Atome zu klein fĂĽr unsere sinnliche Wahrnehmung.
Ist nun bei solcher Kleinheit und Nähe der Atome von Intussusception,
Durchdringung oder von Juxtaposition, Nebeneinanderlagerung zu reden?
Sie fürchten, Herr Professor, wenn Aneinanderlagerung stattfände, so «sinke
die Chemie, welche Organik sein wolle, zur Cartesius'schen Mechanik zu-
rĂĽck*. Da muss ich leider meine Ketzerei bekennen, nicht an die Organik
der Chemie zu glauben. Chemie ist mir nur Mechanik, Lehre von der
Bewegung der Atome. Der chemische Process erzeugt nur MolecĂĽle, nur
Verbindungen, die als unorganische Verbindungen die Mineralien bilden,
als organische Verbindungen Bausteine fĂĽr die Organismen sind. Ich
glaube nicht daran, dass der chemische Process einen Organismus, eine
Zelle bilde.
Aber ist darum solche mechanische Vorstellung von Atomen und ihrer
Bewegung roh und unphilosophisch? Hat Gott, hat das Absolute roh und
unphilosophisch gehandelt, als es die Mechanik der kosmischen Massen,
der Weltatome ins Dasein treten Hess? Sind die Sternbilder nicht auch
juxtaponirte Weltatome? Das heisst: im Raum zusammengelagerte und
fĂĽr uns Menschen wohl im Gedanken, aber nicht in der Wirklichkeit theil-
bare Wirkungseinheiten? Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass wir
Cartesius'sche Mechanik treiben. FĂĽr diesen waren die Welt- Atome gleichsam
Ziegelsteine und brauchten äussere Hülfe, die Aetlierwirbel (die neuerdings
wieder bei gewissen Leuten in Mode zu kommen scheinen) zur Bewegung.
Gartesius stellte seine Mechanik auf in Opposition gegen Newton, welcher
Nea eingegangene Schriften. 119
zeigte, dass jedes Weltatom selbst als Dynamls, als Eraflwirker propor-
tional seiner Masse zu betrachten sei. Die Sterngruppen sind danach jux-
taponirte Weltatome, die durch ihre wechselseitige Anziehung einander
festhalten, tragen und im Räume schweben. Seit Kant ist die dynamische
Ă„ofFassung der Materie philosophisch begrĂĽndet und heutzutage, wogegen
die Philosophie ftreilich immer blind geblieben, will kein Empiriker ein
Atom anders denn als eine Dynamis betrachten. Eine chemische Verbin-
dung ist daher eine Vereinigung ungleichartiger Atome, welche durch ihre
wechselseitige Dynamis oder Affinltfit einander in Gleichgewichtsstellung
festhalten und dabei als juxtaponirt zu betrachten sind. Der Dynamiker
Kant wollte freilich von Atomen nichts wissen; aber ich behaupte immer
noch, was man mir freilich schon als Frevel an der unfehlbaren Autorität
Kants auslegte, dass Kant nur deshalb keine Atome gelten Hess, weil er
im Februar desselben Jahres starb, in welchem Dalton das die Atome
induetiv begründende Gesetz der jrielfachen Verhältnisse entdeckte. Doch
hier muss ich freilich abbrechen, und will fĂĽr das Weitere nur auf meinen
Antimaterialismus Bd. II. oder auf diese Zeitschrift Bd. XII. verweisen,
wo ich meine hierher gehörigen Ansichten entwickelt habe.
Darmstadt. Prof. L. Weis.
Nen eingegrangene Sehrlften.
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120 Bibliographie.
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I. Encyclopildie. Gesammelte Schriften. BIbllegraphie. Zeitschriften. Lotze, U.,
System der Philosophie. 1. Bd. Logik. Drei Bucher vom Denken,
vom Untersuchen und Erkennen. 2. Aufl. 8. Leipzig, Hirzel. n. 9 M.
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c^^e d'une lettre ä Tauteur d' E. Littr6. 8. Paris, Heinald. 12 fr. —
Viseber, F. Tb., Altes und Neues. 1. Heft. 8. Stuttgart, Bonz u. Co.
n. 4 M. — Vierteljahrs- Ca talog aller in Deutschland erschie-
nenen Werke aus dem Gebiete der Theologie und Philosophie.
Jahrg. 1880. Juh bis September. 8. Leipzig, Hinrichs'sche Buchh.,
Verlags -Conto, pro 10 Expl. n. 1 M. 50 Pf. — Zeitschrift für
Philosophie und philosophische Kritik. Redigirt von H. ĂĽlrici. Neue
Folge. 77. Bd. Ergänzungsheft. 8. Halle, Pfeffer, n. 3 M. — Zeit-
schrift für Völkerpsychologie und Slprachwissenscbaft. Herausg. von
M. Lazarus und M. Steinthal. 12. Bd. 3. Heft. 8. Berlin, DĂĽmmler's
Verlagsbuchh. n. 2M. 40 Pf. •— Verhandlungen der philosophi-
schen Gesellschaft zu Berlin. 18. Heft. 8. Leipzig, Koschny. n. 1 M.
[S. ob. Bd. XVI S. 307.] — Zeichen der Zeit. Eine Monatsschrift
fQr Religion, Philosophie und Gesellschaft in ihrer Zusammengehörigkeit.
Red.: Chronik. 3. Jahrg. 1880. Octoberheft. 8. Vierteljährlich n.
1 M. 50 Pf.
II. Zur Geschichte der Philosophie und Wissenschaft. Harms, F., die Phi-
losophie in ihrer Geschichte. 2. Thl. Geschichte der Logik. 8. Berlin,
Tb. Hofmann. n. 4 M. 80 Pf. [S. ob. Bd. XIV S. 118 und Bd. XVI
S. 123.] — üeberweg's, F., Grundriss der Geschichte der Philosophie.
1. Thl. Das Alterthum. 6. Aufl., herausg. von M. Heinze. 8. Berlin,
Mittler u. Sohn. n. 5 M. — Lewes, G. H., the history of philosophy
from Thaies to Comte. 5th edition. 2 vols. 8. 1 1. 12 s. — Lange's,
F. A., history of materialism and criticism of its present importance.
Translated. 3 v. Vol. 2. 8. 10 s. 6 d. — Zeller, E., die Philosophie
der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwickelung dargestellt. 3. Thl.
1. Abth. 3. Aufl. 8. Leipzig, Fues' Verlag, n. 16 M. [S. ob. Bd. XV
S. 109.] — Zeller, E., the Stoics, Epicureans and sceptics. Translated
by 0. J. Reichel. New edition. 8. 15 s. — Ab bot, Evelyn, Helle-
nica, a collection of essays on Greek poetry, philosophy, history and
religion. 8. 16 s. — Piatonis opera quae feruntur omnia. Ad Co-
dices denuo coUatos ed. M. Schanz. Vol. 2. Fase. 2. Theaetetus. 8.
Leipzig, B. Tauchnitz. n. 3 M. [S. ob. Bd XVI S. 307.] Das-
selbe. Schul -Ausg. No. 2. Cratylus. Theaetetus. 8. Ebda. 75 Pf.
[S. ob. Bd. XVI S. 307.] — Plato's Meno. New Iranslation from text
ofBaiter. Introduction, marginal analyses and short explanatory notes.
8. 2 s. — Plato's trial and death of Socrates: the Euthyphron, Apo-
logy, Crito and Phaedo. Translated by F. J. Church. 8. 4 s. 6 d. —
Schmidt, H., exegetischer Commentar zu Plato's Theätet. 8. Leipzig,
Teubner. n. 3 M. 20 Pf. — Bruns, J., Plato's Gesetze vor und nach
ihrer Herausgabe durch Phihppos von Opus. Eine kritische Studie. 8.
Weimar, Böhlau. n. 3 M. — Plotini Enneade.s rec. H. F. Mueller.
Vol. 2. 8. Berlin. Weidmann 'sehe Buchh. 9 M. [S. ob. Bd. XV S. 109.]
— Plotin, die Enneaden. Uebersetzt von H. F. Möller. 2. Bd. 8.
Berlin, Weidmann'sche Buchh. n. 7 M. [S. ob. Bd. XV S. 109.] -
Juliani imperatoris librorum contra Christianos quae supersunt. Ed.
C. J. Neumann. (Scriptorum Graecorum qui christianam impugnave-
Bibliographie. 121
rant religionem quae supersunt fasc. III.) 8. Leipzig, Teubner. n. 6 M.
— Neu mann, K. J., Kaiser Julian's Bucher gegen die Christen. Nach
ihrer Widerherstellung übersetzt. 8. Leipzig, Teubner. n. IM. —
Stählin, A., Justin der Märtyrer und sein neuester Beurtheiler. 8.
Leipzig, Dörffling u. Franke, n. 1 M. — Werner, K., Beda der Ehr-
wĂĽrdige und seine Zeit. Neue [Titel-] Ausgabe. Wien, BraumĂĽller,
n. 3M. — Werner, K, Alcuin und sein Jahrhundert. Neue [Titel-]
Ausgabe. Wien, Braumüller, n. 5 M. — Haur^au, B., histoire de
la Philosophie scolastique. Seconde partie. Tome I. 8. 8 fr. — von
Hertling, G. Frhr., Albertus Magnus. Beitrag zu seiner WĂĽrdigung.
8. Köln, Bachern, n. 2 M. — Albertus Magnus in Geschichte und
Sage. Festschrift. 8. Köln, Bachern, n. 1 M. 50 Pf. — Werner, K.,
Gerbert von Aurillac, die Kirche und Wissenschaft seiner Zeit. Neue
[Titel-] Ausgabe. 8. Wien, Braumuller. n. 4 M. — Bloch, Ph., vom
Glauben und Wissen. Saadiah's Emunoth-we-Deoth. [Einleitung und
Kosmologie.] Aus dem Hebräischen des Jehuda - ihn - Tibbon übersetzt.
8. München, Th. Ackermann, n. 1 M. 60 Pf. — Kaufmann, D., die
Spuren Al-BatlajĂĽsi's in der jĂĽdischen Religions-Philosophie. Nebst einer
Ausgabe der hebräischen Uebersetzungen seiner Bildlichen Kreise. 8.
Leipzig, Brockhaus* Sortiment, n. 5 M. — Falckenberg, R., Grund-
zfige der Philosophie des Nicolaus Gusanus mit besonderer BerĂĽcksich-
tigung der Lehre vom Erkennen. 8. Breslau, Koebner. n. 4 M. —
Dessauer, M., Blüthen und Knospen der Humanität aus der Zeit von
Reuchlin bis auf Lessing. 8. Zürich, Schmidt, n. 1 M. 20 Pf. —
Koch, A., die Psychologie Descartes' systematisch und historisch-kritisch
bearbeitet. 8. München, Kaiser, n. 6 M. — de Spinoza, fethique.
Premiere partie. De Dieu. Traduit et annot6e par J. G. Prat. 8.
4 fr.— Locke*s, John, some thoughts concerning education. With
introducüon and notes by Rev. Evan Daniel. 8. 4 s. — Lockens,
John, sdlie thoughts concerning education. With introduction and notes
by Rev. R. H. Quick. 3 s. 6 d — L o cke's, John, the priiiciples of education.
With inlroductory essay by J. Gill. Is. — Danzel, Th. W., und G. E.
Guhrauer, Gotthold Ephraim Lessing. Sein Leben und seine Werke,
S. Aufl. Herausg. von W. v. Maltzahn und R. Boxberger. Liefg. 11.
12, 13. 8. Beriin, Th. Hofmann, ä n. 1 M. [S. ob. Bd. XVI S. 633.] —
Dickraann, E., Lessing als Theologe. 8. Zürich, Schmidt, n. 50Pf. —
Mendelssohn's, M., Schriften zur Philosophie, Aesthetik und Apo-
logetik. 2 Bde. 8. Leipzig, L. Voss. n. 12 M. — Steck, R.,
Goethe's religiöser Entwicklungsgang. 8. Dresden, v. Zahnes Verlag
in Ck>mm. haar 50 Pf. — Marbach, 0., Goethe's Faust, 1. u. 2.
TW. erklärt. 8. Stuttgart, Göschen'sche Verlagshandl. n. 8 MT —
Wohlrabe, W., Kant's Lehre vom Gewissen historisch- kritisch darge-
stellt. 8. Gotha, Thienemann. n. 80 Pf. — Düntzer, H., Schiller's
Leloen. 8. Leipzig, Fues' Verlag, n. 7 M., geb. 9 M. — Meurer, Gh.,
das Verhältniss der Schi Herrschen zur Kant*schen Ethik. 8. Freiburg i. B.,
Herder'sche Verlagshandl. n. 1 M. — Frantz, C., Schelling's positive
Philosophie nach ihrem Inhalt wie nach ihrer Bedeutung fĂĽr den all-
gemeinen Umschwung der bis jetzt noch herrschenden Denkweise fĂĽr
gebildete Leser dargestellt, 3. abschliessender Theil. 8. Coethen, Schett-
ler's Verlag, n. 6 M. [S. ob. Bd. XVI S. 377.] — Schopenhauer,
pensees, maximes et fragments. Traduit annote et pr4c^^ d'nne vie
j de Schopenhauer par J. Bourdeau. 18. Paris, G. Bailliöre. 2 fr. 50 c.
~ Ferraz, histoire de la philosophie en France au XIX. si^cle. Tra-
ditionalisme et ultramontanisme. 8. 7 fr. 50 c.
IH. Zur philosophischeii Weltanschauung. Corleo, S., il sistema della filo-
aofia universale, owero la filosofia deir identitä. Roma, 1879. 8. 10 1.
— Bonscinescq, J., ^tudes sur divers points de la philosophie des
c
in Bibliographie.
sciences. 4. Paris, Gauthier- Villars. 3 fr. — Lanigan, St M., sdence
and scepticism, a study of some principles which influence modern
thought. 8. 3 s. 6 d. — Robert, L., de la certitude et des formes
röcentes du scepticisme. 8. Paris, Thorin. 5 fr. — Power, M., das
Wesen der Form. Stunden des Nachdenkens ĂĽber die Erscheinungen
des Erdenlebens. 8. Leipzig, Wartig. n. 2 M. — Wipprecbt, R.,
der Spiritualismus vor dem Forum der Wissenschaft. 8. Leipzig, Mutze,
n. 50 Pf. — Maurer. R., Kampf gegen Materialismus oder die Elec-
tricitätslehre. 16. Leipzig, Finde!, n. 1 M. 20 Pf. — Jankowski, E.,
Pisticismus und Substanzialismus. 8. Göthen, Schettler^s Verlag. n.SM.
IV. Zur Logik. Lindner, 6. A., Lehrbuch der formalen Logik. 5. Aufl.
8. Wien, C. Gerold's Sohn. n. 2 M. 60 Pf. — Bertini, la lopca,
opera postuma, ordinata e pubblicata per cura di A. Capello. Torino.
12. 5 1. — Naville. E., la logique et Thypothöse. 8. 5 fr.
V. Zur Metaphysik. Desdonits, Th., la metaphysique et ses rapports
avec les autres sciences. 8. 5 fr.
VI. Zur Naturphilosophie. Darwin's, Gh., gesammelte Werke. Auswahl
in 6 Bänden. 1. bis 4. Liefg. 8. Stuttgart, Schweizerbart'sche Ver-
lagsbuchh. ä n. 1 M. — Pf äff, F., Schöpfungsgeschichte mit beson-
derer Berücksichtigung des biblischen Schöpfungsberichtes. 3. (Titel-)
Ausg. 8. Heidelberg, G. W^inter's Univ.-Buchhandl. n. 12 M. — Jen-
sen, W., ĂĽber die Vivisection, ihre Gegner und Herrn Richard Wagner.
3. Aufl. 8. Stuttgart, Levy u. MĂĽller, n. 75 Pf.
VII. Zur Ethik, Culturgeschlchte und Rechtsphilosophie. Kirchner, F., Ethik.
Katechismus der Sittenlehre. (Weber 's illustrirte Katechismen. Nr. 98.)
8. Leipzig, Weber, geb. n. 2 M. 50 Pf. — Dymond, essays on the
principles of morality. 7th edition. 8. 7 s. 6 d. — Bestmann, H. J.,
Geschichte der christlichen Sitte. 1. Theil. Die sittlichen Stadien. 8.
Nördlingen, Beck'sche Buchh., Verlags-Gonto. n. 8 M. — Ebhardt, F.,
der gute Ton in allen Lebenslagen. 5. Aufl. 8. Berlin« Ebhardt.
n. 8 M., geb. n. 10 M. — Vogler, M., die Verwahrlosung des modernen
Gharakters. 8. Leipzig, Frohberg. n. 1 M. 20 Pf . — Lasker, E.,
Wege und Ziele der Gulturentwickelung. Essays. 8. Leipzig, Brock-
haus, n. 6 M., geb. n. 7 M. 20 Pf. — Gas sei, P., die Juden in der
Weltgeschichte. 8. Berlin, Gerschel. n. 60 Pf. — Du bring, E., die
Judenfrage als Rachen-, Sitten- und Gulturfrage. Mit einer weltgeschicht-
lichen Autwort. 8. Karlsruhe, Reuther. n. 3 M. — Lilla, V., filosofia
del diritto. Parte generale. Napoll. 8. L. 5. — Stahl, F. J., histoire
de la Philosophie du droit. Traduite de Tallemand et pr^cöd^e d'une
introduction par A. Ghauffard. 8, Paris, Thorin. 12 fr. — Spen-
oer's, H,, the study of sociology. 8th ed. 8. 5 s. — Gumplowicz, L.,
Rechtsstaat und Socialismus. 8. Innsbruck, Wagnerische Universitäts-
Buchh. n. 10 M. 80 Pf.
VIII. Zur Anthropologie und Psychologie. He nie, J., anthropologische Vor-
träge. 2. Heft. 8. Braunschweig, Vieweg u. Sohn. n. 2 M. 40 Pf. —
Bain, A., Geist und Körper. Die Theorien über ihre gegenseitigen
Beziehungen. (Internationale wissenschafU. Bibliothek. Bd. 30 2. Aufl.
8. Leipzig, Brockhaus. n. 4 M., geb. n. 5 M. — v. Hellwald, F.,
Naturgeschichte des Menschen. Liefg. 2. 8. Stuttgart, Spemann. n. 50 Pf.
[S. ob. Bd. XVI S. 634.] - Hahn, Th., diätetisches Laienbrevier. Eine
populäre Physiologie und Philosophie der gesunden und kranken Ernäh-
rung. 8. Göthen, Schettler's Verlag, n. 1 M. 60 Pf. — Wundt, W.,
GrundzOge der physiologischen Psychologie. 2. Aufl. 2 Bde. 8. Leip-
zig, Engelmann. n. 18 M. — Schneider, G., Entwurf einer rationalen
Seelenläire. 8. Magdeburg, Greutz'scbe Buchh. n. 3M. -- Sieb eck, H..
Geschichte der Psychologie. 1. Tbl. 1. Abth. Die Psychologie vor
Aristoteles. 8. Crotha, F. A. Perthes, n. 6 M. — Marion, de la soll-
Bibliographie. 123
darit^ morale. Essai de Psychologie appiiqu^e. 8. Paris, 6. Bailli^re.
5 fr. — Macosh, J., the emotions. 8. 9 s.— Av^-Lallemant,
F. Ch. B., der Magnetismus mit seinen mystischen Verirrungen. 8.
Leipzig, Brockhaus. n. 4 M. — Henne - am -Rhyn, 0., das Jenseits.
CulturgeschichUiche Darstellung der Ansichten über Schöpfung und Welt-
untergang, ^lie andere Welt und das Gei.sterreich. 8. Leipzig, 0. Wi-
gand. n. 4 M.
IX. Zur RailgiMsphllosophle. MĂĽller, F. M., Vorlesungen ĂĽber den Ur-
sprung und die Entwickelung der Religion. 2. Aufl. 8. Strassburg,
Trübner. n. 7 M. — Gaird, J., an introduction to the philosophy of
religion. 8. 10 s. 6 d. — Ehren hauss, M., die neuere Philosophie
und der christliche Glaube in ihrem Verhältnisse. 8. Wittenberg,
Wonschmann. n, 2 M. 40 Pf. — 6 laubrecht, C, Bibel und Natur-
wissenschaft in vollständiger Harmonie, nachgewiesen auf Grund einer
neuen empirischen Naturphilosophie. 2. Bd. 8. Leipzig, H. Schnitze,
SortimenU- Conto, n. 6 M. [S. ob. Bd. XIV S. 120.] — Grübnau,
der Lehrbegriff der Kirche aus dem Standpunkte der wissenschaftlichen
Naturerkenniniss betrachtet. 2. Aufl. 8. Berlin, Denicke's Verlag.
D. 3 M. — Bluntschli, J. C, Gespräche über Gott und Natur und
über Unsterblichkeit. 8. Nördlingen, Beck'sche Buchh. n. 1 M. 50 Pf.
— Baur, A., die Weltanschauung des Ghristenthums, 8. Blaubeuren,
Mangold'sche Buchh. n. 4 M. — v. Rougemont, F., Man muss wäh-
len. Vertheidigung des Ghristenthums gegen den Deismus und Mate-
rialismus. 8. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauses, n. 3 M., geb.
D. 4 M. — Raden hausen, G., Christen thum ist Heidenthum, nicht
Jesu Lehre. 8. Hamburg, 0. Meissner. 4 M. 50 Pf. — Grund zu ge,
die, der Gesellschaflswissenschaft, oder physische, geschlechtliche und
naifirlicbe Religion. 6. Aufl. 8. Berlin, Staude, n. 2 M. 50 Pf., geb.
n. 3 M. 50 Pf. — Schober lein, L., das Princip und System derDog-
matik. Einleitung in die christliche Glaubenslehre. 8. Heidelberg,
C. Winter 's Universitäts-Buchh. n. 16 M. — Michelis, F., katholische
Dograatik. 2 Theile in 1 Bd. 8. Freiburg i. B., Wagnerische Buchh.
n. 2 M. 50 Pf.
X Zv PhilMophie der GetcMehte. Diercks, G., Entwicklungsgeschichte
des Geistes der Menschheit. 1. Bd. Das Alterthum. 8. Berlin, Th.
Hoftnann. n. 5 M. — Doisenberg, W., Theismus und Pantheismus.
Eine geschichtsphilosophische Untersuchung. 8. Wien, Faesy u. Frick.
n. 5 M.
XI. Zur SpradipMIosophle. Mahn, A., ĂĽber das Wesen und den Ursprung
der Sprache, sowie auch ĂĽber den Ursprung des Menschengeschlechts.
8. Berlin, DĂĽmmler 's Verlagsbuchhandlung. 60 Pf. -~ Steinthal, H.,
Abriss der Sprachwissenschs^t. 1. Theil. Die Sprache im Allgemeinen.
1. Abtheilung. 8. Berlin, DĂĽmmler's Verlagsbuchhandlung, n. 7 M.
50 Pf. — Paul, H., Principien der Sprachgeschichte. 8. Halle, Nie-
meyer, n. 6 M. — Techmer, F., Phonetik. Zur vergleichenden Phy-
siologie der Stimme und Sprache. 2 Theile. 8. Leipzig, Engelmann,
n. 18 M. Inhalt: 1. Text und Anmerkungen, n. lOM. 2. Atlas. n.8M.
XIL Zir Pldagoglk. Vierteljahrs-Katalog aller in Deutschland erschie-
nenen Werke aus dem Gebiete der Pädagogik. Jahrgang 1880. Juli
bis September. 8. Leipzig, Hinrichs'sche Buchhandlung. Verlags-Gonto.
pro 10 Expl. n. 2 M. 50 Pf. — Encyklopädie des gesammten Erzie-
huogs- und Unterrichtswesens, herausgegeben von E. A. Schmid. 4. Bd.
1. Abth. 2. Aufl. 8. . Gotha, Besser, n. 6 M. [S. ob. Bd. XVI S. 379.]
— Gentralblatt für die gesammte Unterrichts- Verwaltung in Preus-
sen. Registerband zu den acht Jahrgängen 1872 bis 1879. 8. BerUn,
BesBv'sche Buchh. n. 3 M. — Repertorium der Pädagogik. Heraus-
gegeben yon J. B. HeindL Neue Folge. 13. Jahrgang. 1881. (12 Hefte.)
124 Bibliographie.
1. Heft. 8. Ulm, EbnerVhe Buchhndlg. pro cpll. n. 5 M. 40 Pf. —
Rundschau über das Unterrichts wesen aller Länder, herausgegeben
von Konze und H. Klosen. 1. Jahrg. (24 Hefte.) 1. und 2. Heft. 8.
Berlin, Issleib. Vierteljährlich 3 M. — Schule und Haus. Blätter
fĂĽr Erziehung und Unterricht. 2. Jahrg. 1880-81. (24 Nrn.) Nr. 1.
4. Zürich. Orell, FüssH u. Co. Verlag. Halbjähri. n. 50 Pf. — Schulpra-
xis, deutsche. Wochenblatt fĂĽr Praxis, Geschichte und Litteratur der
Erziehung und des Unterrichts. 1. Jahrg. 1881. (52 Nrn.) Nr. 1. 4.
Leipzig, Wunderiich. Vierteljährlich 1 M. 60 Pf. — Studien, pädago-
gische. Neue Folge. Herausgegeben von W. Rein. 4. Heft. 8. Leip-
zig, Pfeil, n. 1 M. [S. ob. Bd. XVI S. 511.] — Sammlung selten ge-
wordener pädagogischer Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts. Her-
ausgegeben von A. Israel. Nr. 7. 8. Zschopau, Raschke. 2 M. 50 Pf.
[S. ob. Bd. XVI S. 565.] Inhalt: Sieben böse Geister, welche heutiges
Tages guten Theils die KĂĽster oder sogenannte Dorfschulmeister regie-
ren. — Di nter's, G., ausgewählte Schriften. Herausgegeben von F.Sei-
del. Lief. 3—6. 8. Langensalza, Beyer und Söhne, ä n. 50 Pf. [S.
ob. Bd. XVI S. 565.] — Pestalozzi, wie Gertrud ihre Kinder lehrt.
Bearbeitet von A. Richter. 4. Aufl. 8. Leipzig, Siegismund und Vol-
kening. n. 2 M., geh n. 80 Pf. — Kellner, L.,^ Erziehungsgeschichte
in Skizzen und Bildern. 3. Aufl. 1. und 2. Bd. 8. Essen^ Bädeker.
ä n. 3 M. — Niedergesäss, R., Leitfaden der Geschichte der Päda-
gogik. 8. Wien, Pichler^s Wittwe und Sohn. n. 2 M. — Debes, H.,
das Ghristenthum Pestalozzi's. Neue Untersuchung einer alten Streit-
frage. 8. Gotha, Thienemann. n. 1 M. — Benfey, R., Erinnerungen
an Friedrich Fröbel. 8. Goethen. Schettler's Veriag. 1 M. 50 Pf. -
Dittes, F., Schule der Pädagogik. 3. Aufl. 8. Leipzig, Klinkhardt.
n. 10 M. — Niedergesäss, R., allgemeine Unterrichtslehre. 2. Aufl.
8. Wien, Pichler's Wittwe und Sohn. n. 1 M. 40 Pf. — Ascher, F.,
allgemeine Grundsätze der vorbeugenden und der correctionellen Erzie-
hung. 8. Leipzig, Klinkhardt. n. 60 Pf. — M eurer, H., über Erzie-
hung und Erziehungsvereine. 8. MĂĽnster, Nasse*sche Verlagshandlung,
n. IM. — Förster, E., der Normal-Lehrplan für die Elementarschulen
in Elsass-Lothringen. 8. Strassburg, Schmidt's Universitäts-Buchhand-
lung, n, 1 M. 60 Pf. — Krause, F. W. D., Methodik des Unterrichtes
in den Lehrgegenständen der Volksschule. l.Thl.: Methodik des Sprach-
unterrichtes. 2. Aufl. 1. Heft: Sprechen und Lesen. 8. Göthen, Schett-
ler's Verlag, n. 1 M. 20 Pf. — Eberhardt, K., die Poesie in der
Volksschule. 8. Langensalza, Beyer und Söhne, n. 1 M. 60 Pf. —
Verhandlungen der Directoren- Versammlungen in den Provinzen des
Königreichs Preussen seit dem Jahre 1879. Bd. 6 u. 7. 8. Berlin.
Weidmännische Buchhandlung, n. 12 M. [S. ob. Bd. XVI S. 565.] -
Inhalt: 6. 1. Directoren-Versammlung in der Provinz Schleswig-Holstein,
n. 7 M. — 7. 3. Directoren-Versammlung in der Provinz Sachsen, n.
3 M. — Hasse, P., die Ueberbürdung unserer Jugend auf den höheren
Lehranstalten mit Arbeit im Zusammenhange mit der Entstehung von
Geistesstörungen. 8. Braunschweig, Vieweg und Sohn. n. 2 M. —
Ueber den Einfluss der UeberbĂĽrdung unserer Jugend auf den Gymna-
sien und höheren Töchterschulen mit Arbeit auf die Entstehung von
Geistesstörungen. 8. Greifswald, Abel. 30 Pf. — Symbolae loachi-
micae. Festschrift des königl. JoachimsthaVschen Gymnasiums. % Thl.
8. Berlin, Weidmann'sche Buchh. n. 8 M. — Pilger, R., über das
Verbindungswesen auf norddeutschen Gymnasien. 2. Aufl. 8. Berlin,
Weidmännische Buchh. n. 2 M. — Jordan, P., pro domo. Erwide-
rung auf die BroschĂĽre des Gymnasial- Directors Dr. Pilger: Ueber das
Verbindungswesen auf norddeutschen Gymnasien. 8. Luckau. (Berlin,
Gaertner.) n. 60 Pf. — Siecke, E., die Judenfrage und der Gymna-
Recensionen-Verzeichniss. 125
siaJlehrer. Ein Beilrag zur Richtigstellung der ö£fentlichen Meinung. 8.
Berlin, Fr. Luckhardt. n. 60 Pf. 2. Aufl. 8. Ebda. n. 60 Pf.
3. Aufl. 8. Ebda. n. 60 Pf. — Wieding, K., zur Rechtsstel-
lung und Verfassung der Christian - Albrechts - Universität in Kiel seit
ihrer Errichtung. 4. Kiel, Universitäts-Buchhandlung, n. 1 M. 20 Pf.
— Chronik der Universität zu Kiel. 1879. 4. Kiel, Universitäts-
Buchhandlung, n. 2 M. — Auzias-Turenne, runiversitä de Paris
au Xllle siecle. Organisation ; ^tudes ; vie des escholiers. Paris. 8. —
Rfihle, H., über die Bedeutung der deutschen Universitäten für das
Gedeihen des Vaterlandes. 8. Bonn, Cohen und Sohn. n. 60 Pf. —
de Lag ar de, P., aus dem deutschen Gelehrtenleben. AktenstĂĽcke und
Glossen. 8. Göttingen. Dieterich'sche Buchh. n. 2 M. 50 Pf.
Becensionen -Yerzeichniss.
Adamson, ĂĽber Kantus Philosophie, ĂĽbers, von Schaarschmidt. (Dtsche.
Literaturztg. 10 v. . Eucken.)
Apulei de deo Socratis ĂĽber. Ed. LĂĽtjohann. (Academy 443 v. R.Ellis.)
Äristotelis Ethica ed Ramsauer. (Philol. Anzeiger 1879 — 80, Nr. 4 ▼.
F. Susemihl.)
Ă„ristotelis ethica Nicomachea recogn. Susemihl. (L. C. 44.)
Aristo tle the fifth book of the Nicomachean Ethics ed Jacobson. (Philol.
Anz. 1879—80, 4 v. Susemihl.)
Aristo tle, the moral philosophy by W. M. Hat eh. (Philo!. Anzeiger
1879—80, Nr. 4 v. F. Susemihl.)
Bahnsen, der Widerspruch im Wissen| u. Wesen der Welt. (Voss. Ztg. 317.)
Bernays, zwei Abhandlungen ĂĽber die Aristotelische Theorie des Drama.
(L. C. 48.)
Bernays, Grottsched und Goethe. (Voss. Ztg., Sonntagsbeil. 46. 47. v.
H. Pröhle.)
Bernstein, Natur und Cultur. (Literar. Mercur 1.)
Bestmann, Geschichte der theologischen Sitte. 1. Thl. (Theol. Litbl. 47.)
Bocke nmĂĽller, Studien zu Lucrez und Epicur. (Jahresbericht d. class.
Allerthumswiss. 1879, 11 v. A. Brieger.)
Bell ig er, Das Princip der Causalität. (Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik,
N. F. 77, Ergänzungsheft.)
BĂĽchner, aus dem Geistesleben der Thiere. (Lit. Mercur 1.)
Carriöre, Kunst im Zusammenhange der Culturentwickelung. Band 5.
Das Weltalter des Geistes im Aufgange. (Gegenwart 49.)
Cook Wilson, Aristotelean studies. I. (Philol. Anz. 1879—80, Nr. 4
V. F. Susemihl.)
Danzel und Guhrauer, Lessing. (Lit. Mercur 1 v. B. A. Wagner.)
Döring, Grundzüge der allgemeinen Logik. (Vierteljahrsschr. für wiss.
Philos. 4, 4.)
Doxographi Graeci rec Diels. (Dtsche. Literaturztg. 7 v. E. Zeller.)
du Prel, die Planetenbewohner und die Nebularhypothese. (L. C. 45.)
Ecker, Lorenz Oken. (Dtsche Literaturztg. 6 v. H. Cohen.)
Eucken, R., ĂĽber Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. (L. C. 48.)
Fröhlich, Grundlehren der Schulorganisation. (Dtsche. Schulztg. 44,
Beilage von Dr. Färber.)
Girard, la philosophie scientifique. (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 4, 4.)
Goebel, K., ĂĽber den Platonischen Parraenides. (L.C.46 v. W[o]hlr[a]b.)
Grant- Allen, der Farbensinn. (Dtsche Literaturztg. 6.)
Grimm, Goethe. 2. Aufl. (L. C. 47.)
GrĂĽn, CiĂĽturgeschichte des 17. Jahrhunderts. (Liter. Mercur 4. 5.)
1 26 Recensionen - Verzeichniss.
Harms, die Philosophie in ihrer Geschichte. (Ztschr. f.Philos. u. philos.
Kritik 77, Ergänzungsheft ▼. Ulrici; Voss. Ztg., Sonntagsheil. 48.)
y. Hartmann, zur Geschichte und BegrĂĽndung des Pessimismus. (Voss.
Ztg. 305.)
V. Hartmann, die Krisis des Ghristenthums. (Voss. Ztg. 307.)
Hill ehr and, six lectures on the history of Grerman thaught from the se-
Yen year*s war to Goethe^s Death. (Academy 443 â–Ľ. M. Greighton.)
Hoff ding, die Grundlage der humanen Ethik. (Dtsche Literaturztg. 9
V. G. V. Gizycki.)
V. Holtzendofff, Wesen und Werth der öflFentlichen Meinung. (Jahrb.
f. Gesetzgeb. u. Volkswirthsch. 4, 3. 4.)
Hoppe, J, J., die persönliche Denkthätigkeit. (Voss. Ztg., Sonntagsbeil. 46.)
Huber, das Gedächtniss. (Ztschr. f. Philos. u. phil. Kritik, N. F. 77, Er-
gänzungsheft.)
V. Humboldt, Ansichten ĂĽber Aesthetik und Literatur. (L. C. 48.)
Jensen, Vivisection. (Dtsch. Frauenanwalt 11 v. A[nna] S[imsou].)
Kaas, die Lehre des Aristoteles von der Lust. (Philol. Anz. 1879—80,
Nr. 4 V. F. Susemihl,)
Kirchmann, dieTheodicee vonLeibniz. (Theol. Quartalschr. 62, 4 v. Ege.)
Knauer, G., Seele und Geist und das Phantom der Ichlichkeit. (Dtsche.
Literaturztg. 6 v. G. Ueberhorst.)
Laban, die Schopenhauer-Literatur (Im neuen Reich 44.)
Lasker, Wege und Ziele der modernen Culturentwickelung. (LitHercur
4. 5 â–Ľ. Dr. L. Hamburger.)
Lehmann, Kant*s Principien der Ethik und Schopenhauer *s BeurtheĂĽung
derselben. (Lit. Hercur 3.)
Lippert, der Seelencult. (Lit. Mercur 3; Voss. Ztg., Sonntagsbeil. 48.)
Lorenz, 0., über Gymnasialwesen, Pädagogik und Fachbildung. (Ztschr.
f. Gymnasialwesen 10 v. Heien.)
Meydenbauer, Kant oder La Place? (L. C. 50.)
'Monrad, Denkrichtungen der neueren Zeit. (Dtsche. 'Literaturztg., Nr. 8
V. J. B. Heyer.)
MĂĽller StrĂĽbing, die attische Schrift vom Staate der Athener. (Philol.
Anz. 10. 6 V. F. KĂĽhl.)
V. Orelli, Rechtsschulen und Rechtsliteratur in der Schweiz vom Ende
des Mittelalters etc. (Jahrb. f. Gesetzgebg. u. Volksw. 4, 3. 4.)
Pf leiderer, Grundriss der christl. Glaubens- und Sittenlehre. ,(Prot.Kir-
chenztg. 43. 44. 45 v. R. A. Lipsius.)
Pöhlmann, hellenische Anschauungen über den Zusammenhang von
Natur und Geschichte. (Philol. Anz. 1879—80, Nr. 4 v. Kühlewein.)
Preyer, naturwissenschaftlidie Thatsachen und Probleme. (Lit. Mercur 3
V. Dr. H. Spatzier.)
Quäbicker, Karl Rosenkranz. (Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik. N. F.
77, Ergänzungsheft v. Richter.)
R^e, der Ursprung der moralischen Empfindungen. (Im neuen Reich 44.)
Rethwisch, der Begriff der Definition und seine Bedeutung fĂĽr die
menschliche Entwicklungslehre. (Voss. Ztg. 331.)
Rethwisch, der Staatsminister Freiherr von Zedlitz. (Dtsche. Schulztg.
44, Beilage.)
Richter, der Uebergang der Philosophie zu den Deutschen im 6. bis 11.
Jahrh. 1. ThI. (Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik 77, Ergänzungs-
heft V. Hoffmann.)
Riehl, der philosophische Kriticismus. Bd. 1. (Viertel jschr. f&r wiss.
Philos. 4, 4 V. Gizycki.)
Rosenthal, die monistische Philosophie. (L. G.46 von C. U[eberhor]st.)
RĂĽlf, der Einheitsgedanke. (Liter. Mercur 2.)
gayce, introduction to the science of language. (L. G. 49.)
Aus Zeitschriften. 127
Schcllwien, der Wille. 1, Thl. (Vierteljschr. f. wiss. Philos. 4, 4).
Schneider, 6. H., der thierische Wille. (Vierteljschr. f. wiss. Philos. 4, 4.)
SchĂĽtze, praktische Katechetik. (Dtsche. Schulztg. 44, Beil.)
Simehowitz, der Positivismus im Hosaismus. (Im neuen Reich 47.)
Sterne, Werden und Vergehen. (Gegenwart 49 v. F. v. Hellwald.)
Strümpell, psychologische Pädagogik. (AUg. Ztschr. f. Lehrerinnen 22
Y. Wendt; L. C. 50.)
Susemi hl, de recognoscendis Ethicis Nicomacheis diss. I. IL (Philol. Anz.
1879-80, Nr. 4.)
TeichmĂĽller, neue Studien zur Geschichte d)Ăźr Begriffe. Heft 3. (Philol.
Anz. 1879—80, Nr. 4 v. F. Susemihl.)
Tobias, Grenzen der Philosophie. (Altpreussische Honatsschr. 17, 5—6
V. Bahnsen.)
Witte, die Philosophie unserer Dichterheroen. Bd. 1. (L. G. 50.)
Wandt, Logik. 1. Bd. (Ztschr. für Philos. u. philos. Kritik 77, Ergän-
zungsfaeft Y. Rabus.)
Aus ZeltBchrlften.
V1«rtdl«lirtt€hrift «r wlttenschaftltche Philosophie. Bd. IV. Heft. 1.
£. Laas, Die Gausalit&t des Ich (I.). — F. Tönnes, Anmerkungen über
die Philosophie des Hobbes (IL). — Schmitz -Dumont, Zur Raum-
frage. — A. Spir, Drei Grundfragen des Idealismus. II. Von dem Unter-
schied zwischen der normalen und der empirischen Natur der Dinge. —
Recensionen: A. Sidgwick, The Methods of Ethics, «Ethics* in Encyclo-
paedia Britannica. — Entgegnungen : A. Horwicz, W. Wundt, Die Prio-
rität des Gefühls; W. Wundt, Bemerkungen zu dem Aufsatz des Herrn
B. Erdmann «zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland. — Selbst-
anieigen. — Heft 2. G. Sem per, Ueber die Anwendbarkeit der monophy-
ktischen und polyphyletischen Abstammungshypothese. — E. Laas, Die
Caosalität des Ich (IL). — J. Bergmann, Idealistische Differenzen etc. —
Eine Entgegnung. — Recensionen. — Selbstanzeigen. — Heft 3. A. Hor-
wicz. Zur Lehre Yon den körperlichen Gemeingefühlen. -~ E. Laas, Die
Gaosalität des Ich. — A. Spir, Drei Grundfragen des Idealismus. IIL
(SehlnsB.) Von der Natur und der Einheit des Ich. — Recensionen. —
Seihstanzeigen. — Heft 4. J. Jacobson, Ueber physische Geometrie. —
P. Tönnies, Anmerkungen über die Philosophie des Hobbes (IIL). —
C Sigwart, Logische Fragen: Ein Versuch zur Verständigung (L). —
Recensionen. — Berichtigung, von W. Schuppe. — Selbstanzeigen.
Verhaftdluiigeii der phllotophitchen Gesellschaft zu Berlin. Heft 18.
l.Discussion ĂĽber: Es gibt kein Leben ohne Bewusstsein. 2. Hau, Jul.,
Ueber Wesen und Bedeutung des Wahrnehmens.
â– hid. A quarterly review etc. London, Williams and Norgate. Nr. XXI.
January 1881. Sully, T., Illusions of Introspection. — Venn, J., Our
Gontrol of Space and Time. — Shadworth H. Hodgson, M. Renouvier^s
Philosophy-Logic. — D. Greenleaf Thompson, The Sumnum Bonum. —
Herb. Spencer, Replies to Griticisms on The Data of Ethics. — Notes
and Discusdons. — Gritical Notices. — New Books. — Miscellaueous.
Revne phllMopMqiio de la France et de Tätranger. Dir. par Th. Ribot.
Paris, S. BaiUiöre et Go. 1880. Nr. 12. L. Liard, La m^thode et la
mathi^atique universelle de Descartes. — G. Gompayrä, La folie chez
Tenfant. — Herbert Spencer, II, De Torganisation politique en g^n^ral.
— Notes et discussions: Sur la fusion des sensations semblables, par J.
Ddboeaf. — Analyses etcomptes rendus: Karl Rosenkranz; Von Hagde*
128 MisceUen.
bürg bis Königsberg. — Notices bibliographiques: Dr. Netter, De l'in-
tuition dans les d^ouvertes etainventions, etc. — A Poley, M. Littr^ et
A. Comte. — Goste, Dieu et Täme; essai d'id^alisme exp^rimental. —
Th. Bernard, Elements de philosophie. — R. Euckeu, Ueber Bilder
und Gleichnisse in der Philosophie. — TeichmQller, Die Reihenfolge
der platonischen Dialoge. — Bloch, Quellen und Parallelen zu Lessing's
Nathan. — Sergi, Le dottrine morali in relazione alla realtä. — E.-J.
Varona, La evolucion psicologica. — Revue des p^riodiques: Brain,
Archives de physiologie. — La critique philosophique. — La philosophie
positive. - Revue de Thistoire des religions, etc. etc.
La ffllosofia delle tcuole Itallane, rivista bimestrale. Roma Vol. XXII.
2a. Fei. Tocco, Filosofia di Kant. — L'Analitica dei principii. — Te-
renzio Mamiani, Sulla Psicologia e la Gristica della Gonoscenza. Quarta
ed ultima lettera al prof. Sebastiano Turbiglio. — - A. Ghi anpell i, Del
vero senso deir airia (causa) nel Filebo platonico. — Bibliografia: 1) F.
Balsano e V. Julia. — 2) A. Valdarnini. — 3) J. T. Hoppe. — 4) Vin-
cenzo di Giovanni. — 5) A. Pozzi. — Periodici di Filosofia.
Miseellen.
Prof. L. Rah US in Erlangen bat sich an der dortigen Universität
als Docent der Philosophie habilitirt. Dr. Neudecker dagegen ist nicht
in Erlangen, wie irrthQmlich gemeldet worden war, sondern in WĂĽrzbuiig
Privatdocent geworden.
Spinoza -Ausgabe.
Das Haupt-Gomit^ fĂĽr die Errichtung eines Denkmals fĂĽr Spinoza
hat bei seiner Auflösung den Beschluss gefasst, die noch übrigen Gelder
zur Unterstützung einer neuen stattlichen Ausgabe der sämmtlichen Werke
Spinoza's zu verwenden, und hat die Herren Dr. J. van Vioten und
Prof. Dr. J. P. N. Land beauftragt, diese Ausgabe vorzubereiten.
Im Interesse der Unternehmung wird jetzt eine freundliche Bitte ge-
richtet an alle Herren Bibliothekare und Besitzer von Autographen um
Mittheilung etwaiger Hss. und Autographen Spinoza's, damit die Ausgabe
so vollständig wie möglich erscheine.
Gef. Mittheilungen aller Art bittet man zu richten an die Verlags-
buchhandlung von Martinus Nijhoff im Haag.
Bvchdnickerei Ton P. Nvusserin Bonn.
DeiMr tie tegisekeR Sckwierigkeiteo ir der eiRfaekstoR Von
der Begriffgbildug.
Bis zu welcher Tiefe und Strenge man auch die Bedeu-
tung des Begriffes im logischen Sinne entwickelt zu sehen
wĂĽnschen mag, so wird man es doch keinesfalls als unrichtig
bezeichnen dĂĽrfen, wenn der Logiker von der einfachen,
weiten und allbekannten Bestimmung den Ausgang nimmt,
dass der Begriff etwas vielem Einzelnen Gemeinsames
zusammenfasse. Freilich wird man bei dieser Bestimmui^
nicht stehen bleiben dĂĽrfen. Denn versteht man unter Begriff
nichts Anderes als das Denken gemeinsamer Merkmale, so
können die Vorstellungen „blaues Glas", „rauchiges Zinuner'\
,4iolpriger Vers" u. dgl., falls ihnen eine Mehrheit entsprechender
Einzelanschauungen zu Grunde liegt, den gleichen Anspruch
auf den Namen Begriff erheben, wie etwa die Vorstellung
mit dem Inhalte „Figur von drei geraden Linien begrenzt"
oder „sinnlich-vernünftiges Wesen" u. dgl. Und doch konunt
unstreitig den zuletzt genannten Vorstellungen ein wesentlich
anderer und ungleich grösserer logischer Werth zu. Es wird
daher Aufgabe der Logik sein, zu untersuchen, welche be-
stimmteren und bedeutungsvolleren logischen Forderungen
sieh an jene ganz allgemeine, allen beliebigen Möglichkeiten
Spiekaum lassende logische Nöthigung, die Einzelvorstellungen
nach ihren gemeinsamen Merkmalen zusammenzufassen, mit
unabweisbarer Nothwendigkeit knĂĽpfen; sie wird die auf das
Gemeinsame im weitesten Sinne sich beziehende Einigung der
Vorstellungen in eine strengere, logisch werthvoUere Bindung
derselben umzuprägen haben, wobei jene laxere Emigung als
erste Stufe des Begriffs bestehen bleibt.
Gegen die Bestimmung des Begriffs als der Zusammen-
iassong des Gemeinsamen hat man viele Bedenken erhoben.
Wird freilich der Begriff, wie dies z. B. bei Drobisch der
Pall ist (Logik, 4. Aufl. § 1 8 ff.), über diese Auffassung nicht
wesentlich hinausgefĂĽhrt, so sind solche Bedenken nur zu
Philosoph. Monatahefte 1881, III. 9
130 J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc.
begrĂĽndet. Dagegen wĂĽsste ich nicht, was sich Erhebliches
gegen jene Bestimmung einwenden Hesse, wenn man ihr
lediglich die Geltmig einer ersten, noch ganz abstracten und
daher zu ĂĽberschreitenden Stufe zuerkennt. Dabei kommt
es nicht darauf an, ob man, wie Ueberweg thut (Logik,
3. Aufl. § 51), das Reflectiren auf die gemeinsamen oder
gleichartigen Merkmale noch nicht als Begriff, sondern erst
als „allgemeine Vorstellung", „Gemeinbild^* u. dgl. bezeichnen
und den Ausdruck „Begri£f^^ für die Vorstellung der wesent-
lichen Gattungsmerkmale aufsparen will. Diese Frage betrifft
nur die sprachliche Benemiung.
Die Logik hat zur unumgänglichen Voraussetzung, dass
man die logische oder denknothwendige VerknĂĽpfung
der Vorstellungen als eine absolute Forderung anerkenne.
Ohne diese Voraussetzung kann die Logik, was ich hier frei-
lich nicht darthun kann, auch nicht den kleinsten Schritt
thun. In der Lehre vom Begriff mm wird sie zu zeigen
haben, dass die logische VerknĂĽpfung der Vorstellungen nur
unter der Bedingung, dass diese den Charakter des Allge-
meinen tragen, möglich sei, und dass daher die logisch
unabweisbare Forderung bestehe, die Vorstellungen auf die
Stufe des Allgemeinen, d. h. der Begriffe zu heben; das
erste Stadium nun in der ErfĂĽllung dieser Forderung sei die
Zusammenfassung der gemeinsamen Merkmale im^weitesten
Sinne des Wortes.
Nur auf einen der neuesten Bekämpfer dieser Bestimmung
des Begriffs will ich hinweisen: auf Sigwart. Er wendet
ein, dass, wenn die Begriffe durch eine Sonderung der gemein-
samen Merkmale der Objecte von den sie unterscheidenden
Merkmalen und durch die Zusammenfassung jener zur Einheit
entstünden, hierzu selbst schon Begriffe nöthig wären; denn
wer ein Object überhaupt in seine Merkmale auflösen wolle,
mĂĽsse doch urt heilen; im Urtheilen aber seien stets Begriffe
enthalten (Logik, I, S. 273 f.). Indessen verschwindet dieser
scharfeinnige Einwand, wenn man das Werden des Begriffs
unbefangen psychologisch betrachtet. Erstlich geschieht es
in der Seele ganz unwillkürlich, dass ähnliche Vor-
stellungen in ihren gemeinsamen Merkmalen in gewisser Welse
J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc. 181
zusammengehen, sich uns als relativ gleich kund thun und
so zu beweglichen, schwankenden Vorstellungsschemata zu-
sammenrinnen. Es ist fĂĽr uns einerlei, aus welchen Functionen
der Seele man diesen Vorgang ableitet; genug, es ist klar,
dass ffir diese schon in der frĂĽhesten Kindheit beginnende
unwillkĂĽrliche Vereinheitlichung der Vorstellungen nach ihren
gemeinsamen Merkmalen kein Operiren mit Begriffen nöthig
ist. Sind nun einmal diese Vorstellungsschemata gebildet,
dami bedarf es nur, wenn hieraus Begriffe entstehen sollen,
einer gewissen geschärften, bewusstenEinheitsfunction der
Seele. Die gemeinsamen Merkmale, die schon in den Vor-
stellungsschemata zu einer ungefähren Einheit zusammen-
gegangen sind, werden uns dadurch als gemeinsame Merk-
male, d. h. in ihrer die entsprechenden Objecte einigenden
Function ausdrĂĽcklich bewusst, wodm'ch es sofort zu
einer schärferen und sichereren Fixirung des Gemeinsamen
kommen muss. - Ohne die Bethätigung einer solchen der Seele
ursprĂĽnglich innewohnenden Function der Einigung wird sich
die Sonderung und Zusammenfassung der gemeinsamen Merk-
male allerdings nicht begreifen lassen; ja selbst bei dem
Entstehen jener Vorstellungsschemata ist die einigende Thätig-
keit der Seele unbewusst betheiligt. Doch ist diese Einheits-
function durchaus noch kein fertiger Begriff, so dass der von
Sigwart gerĂĽgte Cirkel in der Definition des Begriffes keines-
wegs vorhanden ist *).
Nebenbei sei hier bemerkt, dass diejenigen, welche die
1) Sigwart weist in demselben Zusammenhange noch auf einen
anderen Cirkel hin, der in der obigen Definition des Begriffes enthalten
sein soll. Wer den Begriff aus dem Abstractionsprocess entstehen lasse»
setze voraus, dass der Kreis der zu vergleichenden Objecte schon irgend-
wie begrenzt sei; dies aber sei nur möglich, wenn bereits eine allge-
meine Vorstellung vorhanden war, mit deren HĂĽlfe dieser bestimmte
Kree von Objeeten als zusammengehörig herausgehoben wurde (a.a.O.I,
S,974). Dieser vermeintliche Cirkel Ifisst sich ganz ähnlich wie der obige
beseitigen. — Ud^rigens kommt auch Sigwart schliesslich zu der Bestimmung,
dass im Begriff das Gemeinsame, das schon im Einzelnen unbestimmt
QDd^ mit ihm vermischt gedacht werde, sicher fizirt und genau abgegrenzt
worde (a. a. 0. 1, S. 277). Etwas Anderes will ja aber doch wohl die von
SSgwart angegriffene Definition nicht sagen.
132 J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc.
Mitwirkung einer der Seele innewohnenden einigenden Thätig-
keit bei der Bildung des Begriffes leugnen, eine grosse Unbe-
sonnenheit begehen. Der Sensualismus hält es für selbst-
verständlich, dass das Nebeneinanderbestehen oder Aufein-
anderfolgen von Vorstellungen als solches schon zugleich ihr
FĂĽreinandersein, ihr Aufeinander- bezogen -werdefti, ihr
Zusammentreffen in einem ideellen bewussten Einheitspunkte
in sich enthalte oder aus sich erzeugen könne. Und d^ch
wĂĽrden die .Vorstellungen in alle Ewigkeit sozusagen von
einander getrennte ideelle Atome bleiben, wenn nicht eine
ideeUe Einigungsfunction da wäre, die sie für einander
bewusst, sich gegenseitig durchsichtig machte und so in
eine bewusste Einheit zusammengehen Hesse. Sonst wĂĽrden
ja die Vorstellungen nebeneinander hin- und hertaumeln,
ohne dass die eine von der anderen wĂĽsste.
Wundt stellt die Ansicht auf, dass es hauptsächlich die
Constanten Bewegungsempfindungen, und die gleichfalls con-
stanten GemeingefĂĽhle seien, woraus das Selbstbewusstsein
entspiinge (Psychologie, S. 716). Allein es fragt sich, woher
es komme, dass wir dieser Empfindungen in der Form des
Constanten inne werden, und warum nicht vielmehr ein
jedes der Empfindungselemente, aus denen sie sich successive
zusammensetzen, mit discreter Bewusstheit ausgestattet sei.
Und die Berufung auf die einheitliche Verbindung der ver-
schiedenen Nervenorgane (a. a. O. S. 715) ist doch wohl eine
allzuschwache StĂĽtze fĂĽr die Concentration der Empfindungen
auf einen ideellen Punkt, als dass sie einer ernsthaften Wider-
legung bedĂĽrfte.
Ist nun also schon zu diesem Zwecke des einfachen
bewussten Zusammenbringens der Vorstellungen ein ideeller
activer Einheitspunkt nöthig, um wieviel dringender wird
diese Forderung, wenn es sich um das Zustandekommen
einer viel complicirteren und eigenthĂĽmlicheren Einheit, der
Einheit des Begriffes, handelt!
Ich komme nun wieder auf meinen Gegenstand zurĂĽck
und gehe, wie gesagt, davon aus, dass der Begriff zunächst
in der Aussonderung und Zusammenfassung des Gemeinsamen
in den Vorstellungen bestehe. Und ich habe ĂĽberhaupt nicht
J. Volkeli: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc 133
die Absicht, in diesem Aufsatze ĂĽber diese primitive Gestalt
des B^friffes hinauszngehen. Es erheben sich nämlich gleich
auf dieser einfachsten Stufe soviel Schwierigkeiten, und zwar
nicht nur hi psychologischer, sondern auch — und dies wird
uns hier vor Allem beschäftigen — in logischer Beziehung,
dass es wohl lohnt, diese vielfach missachtete Bestimmung
des Begriffs auftnerksam zu betrachten.
Man sa|^ gewöhnlich, dass die Begriffe durch „Abstrac-
tion" gebildet werden, d. h. durch Absonderung, Fortlassung
der nicht gemeinsamen Merkmale. Hiemach wĂĽrde man in
dem Begriffe ausschliesslich die gemeinsamen Merkmale
denken. So stellt z. B. Dro bisch die Sache dar (Logik,
§18 f.); und auch Ueberweg lässt den Begriff, wiewohl er
ihn in anderer Beziehung weit ĂĽber die Bestimmungen der
herkömmlichen Logik hinausfährt, durch „Reflexion auf die
gleichartigen und Abstraction von den ungleichartigen Merk-
malen*' entstehen (Logik, §51). Indessen ist doch leicht ein-
zusehen, dass hiermit etwas nicht etwa bloss Unvollständiges,
sondern logisch Unmögliches gefordert ist.
Soviel freilich ist klar, dass beim Denken eines Begriffes
(z. B. der Bewegung) in ausdräcklicher Bestimmtheit
weder an ein einzelnes, noch an mehrere, noch auch an alle
unterscheidende Merkmale gedacht werden darf. Das Ziel
des Vorstellens darf, wenn dabei ein Begriff herauskommen
soll, nicht in den unterscheidenden Merkmalen liegen. Sobald
ich mär die Bewegung ausdrucklich als einen gewissen
Grad von Geschwindigkeit besitzend oder als geradlinig, oder
als theils geradUnig, theils krummlinig vorstelle, habe ich
jener unumstösslichen Hauptforderung, die Vorstellungen auf
die Stufe des Allgemeinen zu erheben, nicht GenĂĽge geleistet.
Doch wenn auch nicht ausdrucklich an die unterscheidenden
Merkmale gedacht werden darf, so dĂĽrfen sie doch auch nicht
geradezu fortgelassen werden. Die gemeinsamen Merkmale
als solche, d. h. absolut getrennt von aller Beziehung auf
die unterscheidenden Merkmale, sind ein logisches Unding;
sobald man sie ernstlich denken will, lösen sie sich auf in
an undenkbares Nichts. Das Gemehisame erhält Sinn nur durch
die mitgedachten Unterschiede, es hängt untrennbar an ihnen.
134 J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc.
Hierauf wurde man schon öfters au&nerksam. Fortlage
hält den seiner „beweglichen^* Elemente entkleideten Begriff
fĂĽr eine Fiction, fĂĽr etwas, was sich im Processe unseres
wirklichen Denkens niemals vollziehe. Im besten Fall sei
der Begriff eines Baumes, welcher weder Blätter hat, noch
auch keine hat, welcher weder jung noch alt ist, ein „Frage-
zeichen", eine Art HĂĽlfslinie der Logik (Psychologie I, S. 131 ff.).
Und Lotze sagt: zur Bestimmung des Metalls reiche offen-
bar nicht die Verneinung aus, es sei weder roth noch gelb
noch weiss oder grau ; ebenso unentbehrlich sei die Bejahung,
dass es jedenfalls irgend eine Farbe habe; es habe zwar
nicht dieses, nicht jenes specifische Gewicht, aber seine Vor-
stellung wĂĽrde entweder gar nichts bedeuten oder doch sicher
nicht die des Metalles sein, wenn ihr jeder Gedanke an Ge-
wicht ĂĽberhaupt fehlte (Logik 1874; S. 40). Wir mĂĽssen die
Sache nur noch schärfer ausdrücken: es ist geradezu eine
logische Unmöglichkeit, die gemeinsamen Merkn^iale „Figur
von drei Geraden eingeschlossen^^ zu denken und dabei von
Grösse, Verhältniss der Seiten und Winkel zu einander und
dgl. schlechtweg abzusehen. Was soll denn eine dreiseitige
Figur sein, die ausdrĂĽcklich weder gleichseitig noch gleich-
schenklig noch ungleichseitig, weder rechtwinklig noch spitz-
noch stumpfwinklig, weder gross noch klein ist? Diesen Ge-
danken streng zu vollziehen, ist nur dem Gedankenlosen
möglich ; wer bei jenen Worten das ihnen streng Entsprechende
wirklich vorstellen will, muss finden, dass ihm zugemuthet
wird, eine logische Ungeheuerlichkeit vorzustellen. Einerseits
besteht das absolute Verbot, das Verhältniss der drei Seiten
zu einander u. s. w. in den Begriff hereinzuziehen, und
andererseits wird doch gefordert, drei Seiten zu einer Figur
zusammenzufĂĽgen. Soll ich diese Forderung vollziehen, so
habe ich es unmittelbar mit etwas zu thun, von dem das
Bestehen in bestimmter Grösse, in bestimmten Verhältnissen!
mit bestimmten Winkeln unabtrennbar ist, und das abge-
sehen von diesem Verhältniss der Unabtrennbarkeit (und
insofern der Immanenz) ein pures Nichts ist. Volkmann
spricht in seiner Psychologie (H, S. 239 f.) die präeise Forde-
rung aus, dass, während das Gemeinbild in Bezug auf das
J. Volkdt: Ueber die logisehen Schwierigkeiten etc. 135
Anschauliche zwischen einem Entweder-Oder schwanke,
der Begriff ein Weder-Noch darzustellen habe. Gerade
dieses Weder-Noch drückt jedoch die Unmöglichkeit der Ab-
trennung des Begriffs von den Einzelvorstellungen (der Trans*
scendenz des Begriffes) mit besonderer Schärfe aus. Wie
schon Berkeley bemerkte, hört alles Denken auf, w^in wir
z. B. die Vorstellung „Körper ^' fassen und dabei doch nichts
von den Unterschieden des Festen, Fläss^en, Gasförmigen
einmischen sollen. Die Begriffe mĂĽssen vielmehr das So wohl-
Als auch aller ihrer möglichen Besonderheiten in sich schhes-
sen« Der Gedanke des Allgemeinen wird für uns nur in seiner
Unabtrennbarkeit von dem Anschauen des Einzelnen logisch
haltbar. In dieser Weise ist die Hegel'sche Bestinunung von
der Identität des Allgemeinen und Einzelnen umzugestalten.
So liegen demnach im Begriff die beiden logischen Forde-
rui^n : einersats die unterscheidenden, individualisirenden ^)
Merkmale nicht ausdrĂĽcklich, nicht in ihren bestimmten Unter-
schieden vorzustellen, und sie andererseits doch auch nicht
geradezu fortzulassen. Wie lassen sich beide Forderungen
Yereinigen?
Nur so, dass die unterscheidenden Merkmale mit den
gemeinsamen als mögliche mitgedacht, als in diesen im*
plicite enthalten vorgestellt werden. Weder eines, noch
mehrere der unterscheidenden Merkmale dĂĽrfen in ihrer Be-
stimmtheit fixirt, bejaht, ausgezeichnet werden. Der Begriff
muss jedes derselben als mitgedacht, jedoch zugleich als in
seinem Fursichbesteben, in seiner Bestimmtheit verneint, ent-
hatten. Wenn irgend eines der unterscheidenden Merkmale
(z. B. beim Dreiecksbegriff gleichschenklig oder stumpfwinklig)
fehlte, so wĂĽrden damit die ĂĽbrigen in einer gewissen Be^
stimmtheit fixirt werden, und es wurde sonach nicht mehr
das geleistet, was der Begriff vor Allem fordert: dass näm-
Bcfa nicht das Einzelne, sondern das Allgemeine gedacht
1) Ich setze beide AusdrĂĽcke hier gleich, weil es die unterscheiden-
den Merkmale sind, die unaufhaltsam zur Individualisirung hintreiben,
^d einmal die unterscheidenden Merkmale in den Begriff aufgenommen,
so ist eben damit der Begriff in die gleich innige Bezi^ung zu den Einzel*
TonteDimgeQ gesetst.
136 J. Volkelt: Ueber die logischen SchwierigkeĂĽen etc.
werde. Der Gegenstand des Begriffs ist das Gemeinsame als
solches, doch lässt sich dieses nur in und mit der Totalität
der unterscheidenden, individualisirenden Merkmale, jedoch
als bloss möglicher, denken. Natürlich dürfen, wenn
dieser Act vollzogen werden soll, die unterscheidenden Merk-
male nicht in successiver Vorstellung vor dem geistigen
Auge vorĂĽberschreiten. Wenn ich jetzt die Vorstellung des
Spitzwinkligen, dann die des Rechtwinkligen und hierauf die
des Stumpfwinkligen habe, so habe ich drei spedalisirte
Dreiecksvorstellungen, nicht aber den Begriff „Dreieck/^
Werden die unterscheidenden Merkmale successive vorgestellt,
so werden sie der Reihe nach in ihrer Bestimmtheit gesetzt
und äxirt. Der Begriff aber fordert, dass, indem das Denken
sie setzt, es sie zugleich in ihrem Gesetztwerden aufhebe und
sie also nicht explicite vorstelle. Dies lässt sich offenbai* nur
so vollziehen, dass das Denken die Totalität der unter-
scheidenden Merkmale mit einem Schlage durchläuft, mit
einem Blicke ĂĽberschaut. Nur ein intuitiver Verstand
also .kann die im Begriffe liegende logische Forderung erfĂĽllen.
Der Verstand muss, indem er die gemeinsamen, gleichartigen
Merkmale denkt, ungetrennt davon und als implicite darin
enthalten den Inbegriff der ins Besondere und Einzelne hin
fĂĽhrenden Merkmale mit einem Schlage vorstellen. Das
Denken muss zugleich schauend sein, sich sub specie aeter-
nitatis vollziehen.
So erhalten wu- denn das bedeutsame Resultat, dass die
primitivste Form des Begriffes in ihren Gonsequenzen zu der
Forderung eines intuitiven Verstandes fährt. Nur ein solcher
ist im Stande, die gemeinsamen Merkmale zu denken. Es
bedarf keiner BegrĂĽndung, dass wir hiermit zu einem Resul-
tate gekommen sind, das, wiewohl logisch nothwendig, uns
doch nach seiner näheren Wesensbeschaffenheit unbegreiflich
ist. Es ist dies ein Fall, der sehr häufig in der Philosophie
vorkommt, sobald man die Energie hat, die Probleme wirklich
bis zu Ende zu durchdenken. Die Lösung der Probleme
wird in solchen Fällen nur darin bestehen können, dass zwar
die Forderung ausgesjurochen wird, dass zwei oder mehrere
Bestimmungen in Zusammenhang und Einheit nĂĽt einander
J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc. 137
ZU denken seien, dass jedoch ebenso sehr hervorgehoben
wird, wie das Vollziehen dieser Forderung das beschränkte
menschliche Denk^i zu Unbegreiflichkeiten und WidersprĂĽchen
hinfĂĽhrt. So mĂĽssen auch wir in unserem Falle aussprechen,
dass uns einerseits die Nöthigung des Denkens zwingt, den
B^priff als eine untrennbare Einheit der gemdndamen Merk-
male und der implicite und der blossen Möglichkeit nach
darin enthaltenen Totalität der unterscheidenden Merkmale
anzusehen, und dass es uns doch andererseits unbegreiflich
ist, wie sich dieses Ineinsschauen des Allgemeinen und der
darin aufgehobenen unendlichen Totalität des Besonderen voll-
ziehen soll.
Der intuitive Verstand enthält aber für uns nicht nur
eine FĂĽlle von Unbegreiflichkeiten, sondern das menschliche
Denken besitzt auch factisch keine derartige Fähigkeit. Und
dies ist fĂĽr unseren Zweck noch wichtiger. Denn dies heisst
mit anderen Worten: der menschliche Verstand ist ausser
Stande, das, was der Begriff uns zu denken aufgibt, wirklich
zu denken. Der Begriff ist fĂĽr uns ein logisches Ideal, das
wir nur andeutungsweise zu erfüllen vermögen. Es erhebt
sich daher hier die Frage: bis zu welchem Grade ist das
menschliche Denken im Stande, sich jenem Ideale anzunähern ?
In welcher Weise vermag es, wenn es sein Höchstes leistet,
jenen Forderungen nachzukommen? Welche Gestalt nimmt
der absolute Begriff an mit RĂĽcksicht auf die mit Schranken
behaftete logische Nöthigung des menschlichen Denkens? —
Schon hier bemerke ich nachdrĂĽcklich, dass damit keineswegs
gesagt ist, dass sich unser Denken, wenn es Begriffe bildet,
immer in der nun zu erörternden grösstmöglichen Weise
dem BegrüEside^l annähert. Wir werden vielmehr später sehen,
dass dieses Maximum, das unserem Denken in der Begriffs-
bildnng zugemuthet werden kann, bei Weitem nicht inmier
von ihm geleistet wird.
Die aufgeworfene Frage gehört nicht in die Psychologie,
sondern in die Logik. Die Psychologie fragt: durch welche
seelischen Processe entspringen die Begriffe? Hier dagegen
handelt es sich um die Nothwendigkeit des Denkens als solche,
allerdings nicht um die absolute logische Nothwendigkeit,
138 J. Volkeli: Ueber die logischen Schwierigkeiteii etc.
sondern um die annähernde logische Nothwendi|^eit des end-
lichen menschlichen Denkens. Dies ist ein Gesichtspunkt, der
in der Logik nicht ausser Acht zu lassen sem wird.
Wie ich schon bemerkte, hat die gesanmite Logik den
Begriff der Denknothwendigkeit zu ihrer Voraussetzung. In-
dessen darf die Logik schon darum nicht einfach als eine
Entwicklung der denknothwendigen Formen ĂĽberhaupt be-
zeichnet werden, weil die logische Nothwendigkeit des sub-
jectiven menschlichen Denkens nur annähernd der ab-
soluten Denknothwendigkeit entspricht, die ein absolut getreues
Abbild der Nothwendigkeit des Seienden ist Die Logik wird
daher genau auf diejenigen Punkte in den Formen des mensch-
lichen Denkens zu achten haben, wo dasselbe sich dessen
bewusst wird, dass es sich nicht in voller Uebereinstimmung
mit den Formen der absoluten Denknothwendigkeit oder der
Seinsnothwendigkeit befindet. Es wird in der Logik ĂĽberall
darauf einzugehen sein, inwieweit die nothwendigen Formen
unseres Denkens ein Abbild der Verhältnisse des objectiv^i
Seins und inwiefern sie nur subjective Mittel, Veranstaltungen,
AushĂĽlfen sind, um sich der Formen der absoluten Denknoth-
wendigkeit oder des objectiven Seins annähernd zu bemächtigen.
Vor Allem ist nun, wenn wir den subjectiven Reprajsen-
tanten des Begriffsideals zu bestimmen unternehmen, daran
festzuhalten, dass, wie auch immer derselbe aussehen mag,
er doch niemals in dem abstracten, von allen unterscheidenden
Merkmalen oder — was auf dasselbe hinausläuft — von
allen Einzelvorstellungen gesonderten Denken der gemein-
samen Merkmale bestehen kann. Es gibt in unserem Denken
keine abstracten Begriffe in dem Sinne, dass dabei die
Einzelvorstellungen ganz ferne blieben. Jeder Begriff kommt
in uns nur durch beständige Beziehung auf die unterschei-
denden Merkmale, auf die concreten Einzelvorstellungen zu
Stande. Jeder Begriff hat in diesem Sinne eine anschau-
liche Hülle, in der er lä>t und von der gesondert er nicht
bestehen kann. Unter den Ausdruck ««anschaulich'' beJhsse
ich. hier nicht bloss das Räumliche, denn die Einzelvorstel-
lungen haben ja nicht immer ein Räumliches zum Gegen-
stande; sie könnm sich auch, wie beim Gehörssinne, bei
J. Volkeit: lieber die logischen Schwierigkeiten etc. 139
den Zustanden des Fühlens u. s. w., auf Unräumliches be-
ziehen. Unter dem ,;Anschaulichen^^ ist also hier nur das
Charakteristische der Einzelvorstellung ĂĽberhaupt zu verstehen.
Es ist ebenso unmögUch, den Begriff „Ton*' zu bilden ohne
Beziehung auf die dem Phantasie - Hören vorschwebende
Mannichüaltigkeit von einzelnen Tönen, als es unmöglich ist,
den Begriff „Baum** in strenger Absonderung von den unter-
scheidenden, individualisirenden Merkmalen zu denken. Und
zwar ist dies nicht etwa nur eine psychologische, sondern
eine logische Unmöglichkeit. Wer die gemeinsamen Merk-
male ohne die umspielende HĂĽlle des Anschaulichen zu denken
anteniimmt, will etwas setzen und dabei doch zugleich die
unumgängliche Bedingung seines Bestehens negiren. Es gibt
daher auch keinen solchen Gegensatz^ wie ihn z. B. Wundt
zwischen „Allgemeinvorstellungen** und „abstracten Begriffen**
annimmt (Psychologie, S. 673). Jene nennt er mit Recht
„Schemata der Einzelvorstellungen**, dagegen gibt es keine*
),abstracten Begriffe** in seinem Sinne. Denn diese sollen
„kerne Allgemeinvorstellung zur Grundlage haben**, also von
den Einzelvorstellungen ganz losgelöst sein. Selbst Begriffe
wie Werden, Ursache, Zweck u. dgl. gewinnen nur dadurch
Bedeutung fĂĽr uns, dass die betreffenden Einzelvorstellungen
gleichsam den Schooss bilden, aus dem sie entspringen und
zu dem sie sich stets in Beziehung erhalten. Lotze deutet
dies in trefflicher Weise an. Er setzt auseinander, wie z. B.
das Allgemeine der Farbe, des Tones nur so zu fassen sei,
dass man sich anschauend auf die einzelnen Farben, Töne
beziehe. Durch die Allgemeinbegriffe befehlen wur, so sagt
er, unserem Bewusstsein, die betreffenden Einzelvorstellungen
zu bilden und zu vergleichen, in dieser Vergleichung aber
das Gemeinsame zu ergreifen, das nach dem Zeugniss unserer
Empfindung in ihnen enthalten ist, das jedoch durch keine
Anstrengung des Denkens von dem, wodurch sie verschieden
siod, sich wirklich ablösen lässt (Logik, S. 30 f.). Und eme
ähnliehe Richtung haben die Erörterungen Schleiermacher's
in seiner Dialektik § 110 ff. Er hebt hervor, dass die all-
gememen Begriffe, wenn sie wĂĽrklich gedacht werden, die
einzelnen sinnhchen Vorstellungen, welche darunter subsumirt
140 J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc.
sind, in sich enthalten. — Wir werden später auf einen Punkt
stossen, der es in erster Linie begreiflich macht, wodurch
die so verbreitete Täuschung entstehen konnte, als ob der
Begriff ganz abgetrennt von den Einzelvorstellungen gebildet
wĂĽrde.
Diese Gebundenheit unserer Begriffe an die Einzelvor-
stellungen ist kein Mangel; sie findet vielmehr gerade darum
statt, weil das Ideal des Begriffs dieselbe EigenthĂĽmlichkeit
enthält. Der Mangel liegt nur in der Art, wie unser mensch*
liches Denken diese Gebundenheit zu voUziehen im Stande
ist. Allerdings gewinnt fĂĽr unser Denken das Allgemeine,
je mehr es zu den unterscheidenden Merkmalen in Beziehung
gesetzt, je mehr es als Princip des Individuellen torgestellt wird,
an Deutlichkeit und Bestimmtheit. Doch aber sind wu* ausser
Stande, in dem Individuellen das Allgemeine als solches zu
fixiren, in den unterscheidenden Merkmalen das Allgemeine
in seiner Reinheit und Bestimmtheit zu ergreifen. Wir wissen
von frĂĽher her, dass das Allgemeine als solches, abgetrennt
von den Einzelvorstellungen, ein Ungedanke ist. Allein auch
in und mit den Einzelvorstellungen, als ihre Seele, als ihr Prin-
cip, kann das Allgemeine in seiner eigenthĂĽmfichen Bestinunt-
heit nicht von uns erfasst werden. Wäre es denn also über-
haupt für uns unfassbar, und hätten am Ende die extremen
Nominalisten mit der Behauptung Recht, dass es auch in dem
subjectiven Denken nichts Allgemeines gebe ? So sagte H o b b e s,
dass das Allgemeine nicht nur nicht in rerum natura, sondern
auch nicht als idea oder phantasma in uns existire, dass dem
Ausdrucke „Thier" oder „Stein" in unserem Geiste lediglich
die Vorstellungen der einzelnen Thiere oder Steine entsprechen
(De corpore Cap. 2, § 9; Leviathan Gap. 4). Und ähnlich besteht
nach Berkeley das Allgemeine nicht in the absolute, posi-
tive nature or conception of anything, sondern nur in der
Beziehung einer Ein2elvorstellung zu anderen; wir besitzen
ausschliesslich particular ideas (Principles of Human Know-
ledge, Introduction § 15). Sicherlich hat diese Ansicht ihre
Wurzel in dem Factum, dass wir in keiner Weise das All-
gemeine als solches in seiner Bestimmtheit und EigenthĂĽmlich-
keit als Gegenstand unseres Denkens fixiren können; allein
J. Volkelt: ĂĽeber die logischen Schwierigkeiten etc. 141
sie Yergisst, dass, indem wir einen Be{^fiF denken, wir zu-
gleich die Einzelvorstellungen, an die er sich knĂĽpft, in ihrer
Bestimmtheit negiren. Wenn wir z. B. den Begriff „Mensch^*
oder „Dreieck" bilden, so schweben uns freilich, wenn auch
noch so unbestimmt, lauter Einzelvorstellungen vcm Mensch-
lichem, resp. Einzelbilder von Dreiecken vor, allein zugleich
verknĂĽpft sich damit das Bewusstsein, dass wir nicht
diese Einzelvorstellungen und Einzelbilder meinen,
sondern das ihnen gemeinsam Zukommende. Wir haben das
Bewusstsein, nicht diese vorschwebenden Einzelvorstellungen
seien das, worauf es ankomme, sondern der Begriff bestehe
in etwas Anderem, in Etwas, was in ihnen enthalten ist, das
wir jedoch in seiner Reinheit und EigenthĂĽmlichkeit nicht
erfassen können. Wenn ich einen Begriff bilde, muss es mir
feststehen, dass gewisse Merkmale an den Einzelvorstellungen
fĂĽr den B^riff gleichgĂĽltig sind, dagegen andere Merkmale der-
selben den Charakter des Gemeinsamen tragen und daher in
der Fonn des Allgemeinen gedacht werden sollen. Diese
^Aufgabe kann ich nun freilich nicht vollziehen, das Gemeuisame
als solches zerfliesst mir stets, wenn ich es erfassen will, in
eine dunkle Mehrheit von Einzelvorstellungen; allein indem
ich diese Aufgabe nicht vollziehen kann, sage ich mir doch,
dass ich sie vollziehen soll. Ich weiss, dass gewisse an den
Einzelbildern des Menschen oder des Dreiecks vorkommende
Merkmale lediglich individuell, also als gleichgĂĽltig zu betrachten
sind, andere dagegen als das in allen Unterschieden Identische,
als das von ihnen UnberĂĽhrte gesetzt werden mĂĽssen. Ich
weiss also sehr bestimmt, in welcher Richtung mein Denken
vorzugehen, welche Acte es vorzunehmen hat; ich kenne
Ziel und Mittel genau, allein es ist nur geradezu unmöglich,
diese genau gekannte Aufgabe zu vollziehen. Doch habe ich
in dem NichtvoUziehenkönnen das Vollziehensollen als
Ziel, als das, worin der Begriff bestehe, vor Augen.
Wir besitzen daher doch nicht bloss Einzelvorstellungen.
Sonst wĂĽrden wir ja nie ĂĽberhaupt nur den Gedanken des
Gemeinsamen fassen, sondern einfach bei der Wahrnehmung
stdien bleiben, dass sich ein gewisses Merkmal an dieser und
^ jener und an einer dritten Einzelvorstellung findet. Unser
142 J. Volkelt: lieber die logischen Schwierigkeiten etc.
Denken negirt bei jeder Begriffsbildung die Einzelvorstelhingen
als solche, zielt auf das in ihnen Identische hin, fasst es mit
seiner einigenden Kraft zusammen. In unserem Denken funetio-
nirt daher eine ĂĽber die Einzelvorstellungen ĂĽbergreifende,
einigende Kraft, und das, was dabei als Resultat herauskommt,
sind eben die in gewissen Merkmalen geeinigten Einzelvor-
Stellungen. Unsere Seele ist also erfĂĽllt von Producten, die
als universalia bezeichnet werden mĂĽssen ; nur dass wir nicht
im Stande sind, das Geeinigtsein der Einzelvorstellungen als
solches zu fixiren. Unser Denken bildet die Einzelvorstellungen
um, macht aus ihnen etwas qualitativ Anderes; nur dass
sich diese in der Richtung des Allgemeinen vor sich gehende
Umbildung' nicht vollendet, sondern fĂĽr unser Bewusstsein
ins Dunkle verläuft. Unsere Seele besitzt das in den Einzel-
vorstellungen Identische als ein solches Identisches, d. h. als
Gemeinsames; nur vermag es unser Bewusstsein sich nicht
in seiner Reinheit und EigenthĂĽmlichkeit zum Gegenstande zu
machen *). — Nur in dieser vorsichtigen , complicirten, zum
Theil zustimmenden Weise, nicht aber dadurch, dass man
das einfache Gegentheil behauptet, lassen sich die nomi-
nalistischen EinwĂĽrfe Berkeley's widerlegen.
Doch noch ein anderer wesentlicher Mangel haftet der
menschlichen Begriffsbildung an. Er bezieht sich nicht, wie
der frĂĽhere, auf das Fixiren des Gemeinsamen, sondern auf
das Mitdenken der unterscheidenden Merkmale. Wir hab^
gesehen, dass im Begriffe die logische Forderung liegt, sämmt-
liche unterscheidende Merkmale in der Form der Möglichkeit
mitzudenken, in dem Allgemeinen zugleich die Gesammtheit
der Gliederungen und Besonderungen bis zum Individuellen
hin (mit Einem Blicke zu ĂĽberschauen. Und femer sahen
Wff, dass zu solcher Leistung nur ein intuitiver, von den
Formen der Endlichkeit und Zeitlichkeit losgelöster Verstand
befähigt sei; Wir dürfen nun als zugegeben betrachten, dass
unser Vorstellen sich wesentlich in den Formen der zeitlichen
Succession bewegt und an all den weiteren Schranken und
1) Wie man sich den psychologischen Vollzug dieser logischen Lei-
stung zu denken bat, bleibt hier unerflrtert.
J. Volkett: Udier die logisdien Sehwieric^eiten etc. 143
Mängeln der Endlichkeit, so besonders an der sogenannten
Enge des Bewusstseins, leidet. Nur Annäherungen an die
Weise des intuitiven Verstandes gibt es in unseren Seelen-
bethätigungen ; so vor Allem in der Phantasie und dem ver-
nĂĽnfĂĽgenf speculativen Denken. Doch so hochbedeutend auch
diese Seite des Seelenlebens sein mag, hier brauchen wir
sie nicht näher zu verfolgen. Wir müssen hier vielmehr
allen Nachdruck darauf legen, dass unser Denken, eben
wegen des weiten Abstandes von dem Ideal eines intuitiven
Verstandes, auch nicht im Entferntesten fähig ist, mit dem
Vorstellen der gemeinsamen Merkmale zugleich den bibegrifT
aller individualisirenden Zage zu äberblicken. Unsere Leistung
hält sieh in dieser Beziehung in den bescheidensten Grenzen.
Nur andeutungsweise und in ungemein abgekĂĽrzter Form
vermögen wir jenes Mitdenken zu vollziehen. Auch wenn
wir einen Begriff noch so deutlich und bestimmt zu denken
uns bemĂĽhen, so sind es doch immer nur ganz wenige und
ĂĽberaus unbestimmte und wandelbare Einzelbilder, an die
sieh fĂĽr uns die gemeinsamen Merkmale heften. Es tritt uns
Tor Augen ein in unbestimmten, sich wandelnden, flĂĽchtigen
Formen hin- und herschwankendes Bild, ein Schema mit sich
verschiebenden Linien. Dabei aber wird dieses Schema stets
von der selbstverständlichen Voraussetzung begleitet, dass
sich der Begriff nicht bloss auf die eben vorschwebenden
Einzelbilder, sondern auf alle möglichen hierher gehöri-
gen Einzelbilder beziehe. So bestimmt und umfassend ich
z. B. auch den Begriff „Kreis" denken mag, so wird sich mir
doch das Gemeinsame desselben nur in einem oscillirenden
Hin und Her gewisser weniger ui^efährer Kreisbilder dar-
stellen. An SteUe des geforderten Inbegriffs der Einzelbilder
tritt mir niemals mehr als ein innerhalb gewisser nicht
allzuweiter Grenzen sich undeutlich verschiebendes Bild
vor das mnere Auge.
Bei den verschiedenen Menschen ist dies den Begriff
begleitende * BUd begreiflicher Weise sehr verschieden. Be-
sonders wird es dabei auf zweierlei ankommen: erstlich auf
die Beschaffenheit derjenigen Einzelvorstellungen, die fĂĽr das
Individuum von starkem Eindrucke, von weitreichenden Folgen
144 J. Volkelt: lieber die logischen Schwierigkeiten etc.
gewesen sind, und zweitens darauf, in welchen Gestalten sich
ein Begriff dem Individuum am häufigsten darbietet. So setzt
sich das den Begriff „Frau^' begleitende Schema bei dem
Einen aus den Einzelbildern von geputzten, vornehmen, zarten
Damen der Grossstadt, bei dem Anderen aus Merkmalen zu-
sammen, die sich vorwiegend bei einfachen, derben, Feld-
arbeit verrichtenden Bäuerinnen finden. Bei dem Einen
kann die den genannten Begriff umkleidende Anschauui^-
hĂĽlle etwas von dem Bilde seiner alten, ehrwĂĽrdigen, sorgen-
den Mutter, bei dem Anderen etwas von dem Bilde seiner
jungen, anmuthigen, scherzenden Frau besitzen. Dem Afrika-
reisenden wird sich zum Begriffe „Kameel'^ ein ganz anderes
Schema hinzugesellen als demjenigen, der das Kameel nur
aus Abbildungen und zoologischen Gärten kennt; auch ange-
nommen, dass beiden die charakteristischen, wesentlichen
Merkmale dieses Thieres gleich genau bekannt sind. Indessen
wird sich bei aller Verschiedenheit doch im Allgemeinen
sagen lassen, dass sich das Schema vorzugsweise aus den
normalen, von deii Extremen entfernten, durchschnittsmassigen
Repräsentanten des Begriffs zusammensetzt. Beim Begriff
„Dreieck^* werde ich weder an meilengrosse noch an mikros-
kopisch kleine, weder an allzu schlanke noch an allzu flach
gedrĂĽckte Exemplare denken, sondern zumeist an solche, die
etwa in der Mitte zwischen diesen Extremen liegen. Dies
hat schon darin seinen Grund, dass das Mittlere, Durchschnitts-
massige in der Regel auch das fĂĽr jeden am Meisten Vor-
kommende ist.
Wie lässt sich dann aber der Begriff noch von dem un-
bestimmten Vorstellungsschema unterscheiden? Wir geben
dem Begriffe auch in seiner streng logischen Gestalt eine
schwankende, zerfliessende AnschauungshĂĽlle. Welchen Vor-
zug hat er da noch vor den ungefähren Bildern, die sich
etwa im Kinde erzeugen, wenn es das Wort „Mensch^^ oder
„Baum^^ hört ? Die Antwort liegt in dem oben Entwickelten.
Das Vorstellungsschema (Allgememvorstellung, Gemeinbild)
wird dadurch zum Begriffe, dass sich mit den zerfliessenden,
oscillirenden Einzelvorstellungen das bestimmte Bewusstsein
verknĂĽpft, dass das Ziel unseres Vorstellens nicht in diesen
J. Volkelt: Ueber die logiaehen Schwierigkelten ete. 145
EinzelYorsteBuDgen, auch nicht in dem ungefähren Mittieren,
das sich bei diesem .Oscilliren derselben ergibt, sondern in
den darin enthaltenen gemeinsamen Merkmalen bestehe.
Naturlich mĂĽssen, wenn dies geschehen soll, Yerschiedene
Proeesse vorangegangen sein, m denen sich die Masse der
Merkmale der betrelSenden EinzelYorstellungen in sich gnippirt
und geschieden hat und vor Allem in die beiden Arten der
gemeinsamen und unterscheidenden auseinandergetreten ist*
Allerdings verschwindet, wenn diese Arbeit geschehen ist,
das aas Einzelvorstellungen bestehende Schema keinesw^ps,
wohl aber tritt dann zu ihm das Bewusstsein von den festen
Zielpunkten hinzu, nach denen wir das Gemeinsame zu be-
stimmen haben. Dieser Vorzug des Begriffes vor dem Schema
wird dadurdi nicht beeinträchtigt, dass das Ungef&hre, Zer-
fliessende des Schemas bei dieser Entwicklung zum Begriffe
mäst noch bedeutend zunimmt
Wundt hebt sehr richtig hervor, dass der Begriff ein
Postulat ist. Wir köimen uns nach seiner Ansicht die
gemeinsamen Merkmale nur in Form eines sich an das Vor-
stellungsschema knĂĽpfenden Postulates vorstellen (a. a. 0. S. 672).
Auch unsere Erörterung hat uns gezeigt, dass der Begriff —
und zwar rein logisch betrachtet — keine geschlossene Vor-
stellung, sondern die Andeutung und Abbreviatur eines fĂĽr
ODS unvollziehbaren logischen Aktes ist. Wenn wir Alles
zosammenfassai, so gehört zum Begriffe, wie er für unser
Denken, wenn es das Höchste leistet, als logische Nothwendig-
keit besteht, dreierlei: Erstlich liegt in dem Begriffe die
Forderung, dass das Gemeinsame in voller Bestimmtheit und
ESgenthumHchkeit gedacht und ungetrennt davon, als eme
darin enthaltene Möglichkeit, die Gesammtheit der individuali-
sirenden Merkmale mit einem Schlage angeschaut werde.
Das Zweite ist, dass diese Forderung fĂĽr unser Denken
unvollziehbar ist. Es treten demnach in doppelter Beziehung,
sowohl fĂĽr die Seite des Gemonsamen als auch fĂĽr die des
mitgedachten Unterscheidenden, andere abgekĂĽrzte Operatio-
nen ein, wie ich dies ausfĂĽhrlich dargestellt habe. Das Dritte
ist mm, dass diese abgekĂĽrzten Operationen au^efasst werdai
^ Stellvertreter jener unvollziehbaren Forderung,
PUloMph. Vonatsliene 18B^, m. 10
14« h Volkih: Ueber die logischen Schwierigkeiteii eto.
als Stellvertreter von etwas, was man als bestimmtes ZSel
vor Augen hat, aber nie erreicht. Ich will nun keineswegs
behaupten I dass wir bei jedem Begriffe, selbst wenn wir
ihn ausdräcklich und bestimmt denken, jenes Ideal des
Begriffes deutlich im Bewusstsein haben und die Abbreviatur
in unserem Vorstellen auf jenes Ideal bewusst beziehen. Ja
ich gebe zu, dass dies wohl nur sehr selten in deutlich be-
wusster Weise geschieht. Allein dies spricht nicht gegen
meine Auffassung. Denn soviel ist sicher, dass wir jenen
abgekarrten Vorgang bei unserer Begriffisbildung nach der
Richtung jenes Ideals hin ei^^änzen. Jedermann, der
einen deutlichen Begriff bildet, wdss, dass er nicht das Un-
bestimmte, das dabd seinan Bewusstsein gegenwärtig ist,
sondern das Gemeinsame in seiner Bestimmtheit und Rein-
heit meint, und er weiss femer, dass sich die gemeinsamen
Merkmale nicht bloss auf die ihm eben vorschwebenden,
sondern auf alle nur denkbaren hierher gehörigen Einzel-
bilder beziehen. Eben dieses von Jedermann, wenigstens still-
schweigend, vorgenommene Ergänzen fuhrt nun, wenn man
es consequent zu Ende denkt, auf jenes von mir ange-
deutete Ideal, schliesslich also auf den intuitiven Verstand.
Jeder, der in der Begriffsbildung sein eigenes Thim versteht,
mässte jenes Ideal als im Hintergrpnde stehend entdecken.
So offenbart sich auch in der einfachsten Form der Be-
griffsbildung, also in einem so trockenen, primitiven ThĂĽn, die
eigenthĂĽmlich widerspruchsvolle Doppelnatur des menschlichen
Geistes: seine Eingeschlossenheit in das Zeitliche, Endlidie und
seine darĂĽber hinausreichende Kraft des Unendlichen. Blicken
WUT auf das, was unser Bewusstsein der idealen logischen
Forderung des Begriffes gegenĂĽber wirklich zu vollziehen im
Stande ist, so erscheint uns unser Geist in seiner ganzen Enge
und DĂĽrftigkeit, in der Unbestimmtheit und FlĂĽchtigkeit seines
Thuns. Und doch meinen wir mit diesem dĂĽrftigen, unvoll-
ständigen bildlichen Thun das unbildliche, bleibende
Gemeinsame und seine Bezogenheit auf den Inbegriff der
betreffendai Einzelbilder und operiren mit diesem Gemeinten
in durchaus sicherer, präciser, unzweideutiger Weise. So über-
wmden wir das Einzelne durch das Allgemeine, das Successive
J. Volkelt: Ueber die logieehen Schwierigkeiten etc. 147
durch das Bleibende und so letztlich, indem wir zum Ideal
eines intuitiven Verstandes gelangen, das Endliche durch das
Unendliche. Die WidersprĂĽche, die m dieser Doppelheit liegen,
ganz zu lösen, ist f£ir unser Denken unmöglich. Die auf-
fallendste Unbegreiflichkeit besteht darin, dass wir einerseits
das Allgemeine nicht zu fixiren vermögen und insofern immer
im Einzehien stecken bleiben, und dass wir es andererseits doch
als ganz bestimmten Zielpunkt unseres Denkens vor Augen
haben und damit aufs Präciseste operiren, also mit unserem
Geiste doch zugleich im Allgemeinen leben.
Zum SchlĂĽsse will ich noch auf einen Punkt hinweisen,
dessen Erörterung allerdings nicht in die Logik, sondern in
die Psychologie gehört, der jedoch, da er durch manches
FrĂĽhere vorbereitet wurde, hier nicht mit Stillschweigen ĂĽber-
gangen werden darf.' Wir sagten, die oben charakterisirte
Stdlvertretung des Begriffsideales sei das Höchste, was das
menschliehe Denken in dieser Hinsicht zu leisten im Stande
sei; es werde daher die durch sie geforderte logische Ope-
ration vergleichsweise nur selten von uns vollzogen. Wenn
wir efaien Begriff zum ersten Male mit Bewusstsein bilden
oda- wenn es uns auf einen Begriff besonders ankommt, dann
werden wir uns in der charakterisirten Weise dem Begriffs-
ideale annähern. Sonst geht es dagegen, wenn wir in Begriffen
denken, fast immer noch weit einfacher und abgekĂĽrzter zu. So
sahen wir schon vorhm, dass wir die Ergänzung der oben
geschilderten Abbreviatur durch das hinzugedachte Begriffs-
ideal, selbst wenn wir einen Begriff ims deutlich zu denken
bemĂĽhen, durchaus nicht immer in der Weise vornehmen,
wie dies die grösstmögliche Annäherung an das Begriflls-
ideal Cnrdem wurde. Allein auch dabei bleibt es nicht. In
der Regel nämlich erfährt jene Abbreviatur noch eine weitere
beträefatfiche Abkürzung. Und darauf soll hier noch hingedeutet
werden.
Jedermann, der genau auf das achtet, was in seinem
VorsteOen geschieht, wenn er liest oder an einem Gespräche
theilnimmt, wird finden, dass, wiewohl ihm dabei durch eine
Menge oft sehr rasch aufeinanderfolgender Schrift-, resp.
Lautzeichen zugemuthet wird, entsprechende Begriffe zu bilden,
148 J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc.
er doch auf Veranlassung dieser Zeichen durchaus nicht so
verfahrt, wie es jene grösstmögliche Annäherung an den ab-
soluten Begriff erheischt. Wenn mir z. B. Jemand im Gespräche
sagt: „Wie doch die Freude an den Schönheiten der Natur
selbst in Augenblicken, wo die Seele heiter gestimmt ist, etwas
Melancholisches an sich hatl^^ so verstehe ich diesen Satz
augenblicklich, und doch wird uns in den allermeisten Fällen
bei den Ausdrücken: Freude, Schönheiten, Natur, Augen-
blicke, Seele, heiter u. s. w. etwas bei Weitem Unbestimmteres
und Dunkleres vorschweben, als es nach den in jenem Maxi-
mum der Stellvertretung liegenden Forderungen der Fall sein
mässte. Was in unserem Vorstellen auf Veranlassung jener
Worte vorgeht, hat zwei Bestandtheile. Der eine ist sehr
bestimmter Natur: es sind die Gehörsempfindungen, die sprach-
lichen EindrĂĽcke. Damit verknĂĽpft sich nun ein kaum zu
bestimmendes Etwas, ein gewisses Anidingen in GefĂĽhl und
Anschauung. Am Meisten scheint sich mir darin ein eigen-
thĂĽmliches GefĂĽhl des Bekanntseins, ein GefĂĽhl, das uns sagt,
das durch das Wort Bezeichnete habe einen bekannten und
vertrauten' Sinn, bemerkbar zu machen. Offenbar wird hier
der Sprachlaut (resp. das Schriftzeichen) zum Vertreter des
Begriffes. Es scheinen die Laut- und Schriftbilder eine her-
vorragende Kraft des Fixirens zu besitzen; es ist, als ob die
gemeinsamen Merkmale durch Laut und Schrift in unserem
Vorstellen in ganz besonders bestimmter und unverwischbarer
Weise befestigt wĂĽrden. Es erhebt sich daher hier die Frage,
wie es komme, dass den Laut- und Schriftzeichen diese Kraft
des Fixirens eigen ist. Allein eine andere Frage ist dringen-
der und schwieriger. Wie kommt es, dass, wiewohl nichts
in uns vorgeht als die Vorstellung von Laut- oder Schrift-
zeichen und ein sich hieran knĂĽpfendes ganz unbestimmtes
FĂĽhlen und Anschauen, wir doch ganz genau wissen,
um wa]s es sich jedesmal handelt? Wir verstehen
das Gehörte oder Gelesene, wir sind also über die mit den
verschiedenen AusdrĂĽcken bezeichneten gemeinsamen und unter-
scheidenden Merkmale nicht in Zweifel, und doch fhiden wir
in uns trotz der angestrengtesten Aufmerksamkeit nichts
von einem Vorstellen dieser Merkmale. Man sollte meinen,
J. Volkelt: Ueber die logischen Schwierigkeiten etc. 149
es sei der Umstand, dass wir den Sinn eines Satzes ver-
stehen, ein Beweis dafĂĽr, dass wir die Vorstellungen der
den Sinn der einzelnen Worte ausmachenden gemeinsamen
und unterscheidenden Merkmale wirklich in uns vollziehen.
Wie soll denn ein blosses Laut- oder Schriftbild, begleitet
von einem ganz vagen GefĂĽhl, ohne die Vorstellung dessen,
was jenes Bild bedeutet, ein Verstehen, d. h. ein Gewisssein
über die Bedeutung, hervorrufen können? Und doch verhält
es sich so, dass das Verstehen in den meisten Fällen auf
diese so unbegreiflich schemende Weise zu Stande kommt.
Es drängt sich daher die Frage auf, durch welche psycho-
logische Processe dieses so unerwartete Resultat möglich
werde. Hier will ich auf diese Frage Oberhaupt nur nach-
drĂĽcklich hinweisen. Bemerkt sei nur noch, dass man, um
nur einiges Licht in diesem Dunkel zu schaflfen, zu der An-
nahme wird kommen mässen, dass sich in unserer Seele
beim Lesen, Sprechen, Hören unbewusst und so für imsere
Beobachtung unzugänglich etwas unseren obigen Forderun-
gen Aehnllches vollziehe. Die Hauptleistung beim Ver-
stehen einer Rede u. dgl. wird den unbewussten psy-
chischen Processen zugeschrieben werden mässen. Diese Rich-
tmig in der Erklärung des in Frage stehenden psychischen
Phänomens schlägt Liebmann in seinem anregenden Auf-
satze über „die Existenz der abstracten Begriffe'* ein (Zur
Analysis der Wirklichkeit, 2. Aufl. S. 470 ff.). Die meisten
Psychologen freilich gleiten ĂĽber derartige Schwierigkeiten
ohne jedes Bedenken hinweg.
Diese Vertretung des Begriffes durch das Wort ist denn
aach der schon oben von mir angekĂĽndigte Punkt, wo es
zam grossen TheOe begreiflich wird, wie die Ansicht entstehen
komite, dass der Begriff in der abstracten, bildlosen Vorstellung
des Gemeinsamen bestehe. Hat das anschauliche Schema schon
in den FäDen, wo wir den Begriff in voller Ausdrucklichkeit
denken und die oben dargelegten Forderungen erfĂĽllen, eine
unbestimmte, schwankende Gestalt, so wird es da, wo der
Begriff am Worte haftet, vollends undeutlich. Dieses völlige
Fehlen emer bestimmten Anschauung ist es wohl, was am
Meisten zu der Entstehung des Irrthums beitrug, dass der
160 Dr. A. Döring: Grundzüge der allgemeinen Logik.
Begriff in der anschauungslosen Vorstellung der gem^nsamen
Merkmale bestehe. In Wahrheit enthält diese äusserste Abbre-
viatur der Begriffsbildung ebenso wenig eine irgendwie bestinunte
Vorstellung des Gemeinsamen als eine irgendwie deutliche
Vorstellung von Einzelbildern. Neben der Vorstellung des
Laut- oder Schriftbildes ist lediglich eine kaum zu deutende
dunkle Erregung von Fühlen und Anschauen wahrzunehmen. —
Uebrigens hat auf der anderen Seite dieser abgekĂĽrzte Vor-
gang unzweifelhaft auch zur Entstehung der nominalistischen
Täuschung beigetragen. Unstreitig hat die sprachliche Be-
nennung für uns etwas Fixirendes, Erleuchtendes; wir hören
die Worte, fügen zu den gehörten Worten nichts als ein
vages GrefĂĽhl hinzu und verstehen doch unmittelbar den Sinn
derselben. Es ist daher kein Wunder, wenn sich die schwierige
Frage, worin der Begriff bestehe, für solche Eöpfe, die um
jeden Preis nach absolut räthselloser Klarheit streben, dahin
beantwortet, dass es in unserem Vorstellen etwas Allgemeines
ĂĽberhaupt nicht gebe, sondern das, was uns die Allgemein-
begriffe zu leisten seheinen, lediglich eine Leistung der Worte
in Verbindung mit den Einzelvorstellungen sei.
Jena Johannes Volkelt
Grundzttge der allgemeinen Logik als einer allgemeinen Metho-
denlehre des theoretischen Denkens. Von Dr. A. DSring,
Director des Gymnasiums zu Dortmund. I. Theil. Einlei-
tung und Naturlehre des theoretischen Denkens. Dortmund,
Koppen (Otto ühlig). 1880. (Vin u. 168 S.) 8».
In einer frĂĽheren Schrift ĂĽber den Begriff der Philoso-
phie (Dortmund 1878, angezeigt in den Philos. Monatsh. XV,
p. 87 ff.) hatte der Verf. letztere gefasst „als eine Zusanunen-
stellung von Erkenntnissen unter einem Zwecke, der ausser-
halb und jenseits des blossen Erkennens liegend ein Lebeils-
interesse seV\ nämlich als „Wissenschaft von den für das
menschliche Handeln unabänderlichen Bedingungen und Schran-
ken menschlicher GlĂĽckseligkeit' ^ Solche Begriffsbestiumiung
„an einem bestimmten materiellen Gedankenkreise in concreto
zur Anwendung und DurchfĂĽhrung zu bringen und zu ver-
Dr. A. Döring: Grundzüge der allgemeinen Logik. 151
anschaolichai, und hinsichtlich ihrer praktischen Verwendbar-
keit auf die Probe zu steUen", mochte immerhin wĂĽnacbens*
werth sein. Vor Allem aber schien dem Verf. eine „Aus-
einandersetzung mit der aller strengen Wissenschaft gemein-
schaftlichen erkenntnisstheoretischen Grundfrage nach den
GrĂĽnden und Stufen der wissenschaftlichen Gewissheit** nft-
thig. So erwuchs ihm die nach sdner Ansicht „nicht speeiell
philosophische, sondern allgemein wissenschaftliche Aufgabe,
das erkenntnisstheoretische Fundament fĂĽr den beabsichtigten
phOosophischen Aufbau zu legen*' und als ,, Voraussetzung de?
Erkenntnisslehre" die Logik zu bearbeiten, von deren Grund-
zägen der erste Theil hier vorliegt.
Dem herkömmlichen „Uebergreifen auf das Gebiet der
EAenntnisslehre" entgegen will der Verf. die Logik „streng-
stens auf das Gebiet des Denkens im Gegensatze gegen das
Erkennen, naher des theoretischen oder immanenten Denkens
im Unterschiede vom praktischen oder transscendenten Den-
ken einschranken'^ Denn alles Denken hat zum Material die
„Vorstellungen*' in ihren unterschiedlichen Abstufungen, und
besteht in einer „Verknüpfung oder Synthese jener objectiven
Bestandtheile des Bewusstseins'*, und zwar in einer nothwen-
digen, d. h. „durch den Zweck geleiteten" Verknüpfung von
Vorstellungen. Auf der Verschiedenheit des Zweckes beruht
flun der Unterschied zwischen dem theoretischen und prakti-
schen Denk^: beim praktischen Denken ist der Zweck „ein
ausserhalb des Gebietes der VerknĂĽpfung selbst und des ver-
knĂĽpften Materials gelegener", beim theoretischen dagegen ist
„die Nothwendigkeit eine ganz in seinem eigenen Gebiete und
im Gebiete des von ihm verknĂĽpften Materials selbst liegende".
Damm wird von dem Värf. das theoretische Denken auch
als „immanent" bezeichnet, sofern „das Gebiet seiner Thätig-
kdt ganz innerhalb des Bewusstseins liegt". Sein Zweck er-
gibt sich als „Herstellung einer Uebersicht und Beherrschung
des unendlichen Materials der Bewusstseinselemente durch
Gewinnung einer der Natur und Beschaffenheit dieser Ele-
mente entsprechenden Ordnung", aus welcher „eine leichte Re-
produdrbarkeit des inhaltlich Zusammengehörigen entspringt".
Dabei ist jjias theoretische Denken „seiner eigentlichen Grund-
153 Dr. A. Döring: Grundznge der ailgemeinen Logik.
richtung nach^^ synthetisch, d. h. „zusammenfassend, aufbauend,
vereinigend"; erst „in räckläufiger Bewegung vom Allgemei-
nen zum Einzebien wird es analytisch". Wohl eignet ein
theoretisches Verhalten aucti dem Erkennen; aber „der tren-
nende Unterschied vom theoretischen Denken" ist auf Seite
des Erkennens die „Verifidrung der Vorstellung durch das
verglichene Seiende", während das theoretische Denken „sich
mit der Vorstellung allein als solcher befasst". An diesem
theoretischen Denken nun hat die Logik angeblich ihren Ge-
genstand; es ist „ein psychischer Naturprocess, näher die-
jenige Association der im Bewusstsein gegebenen Vorstellungs-
elemente, die nicht nach willkĂĽrlichen oder zufalligen Moti-
ven, sondern nach innerer Verwandtschaft sich vollzieht und
daher dem Zwecke der sachlich geordneten Aufbewahrung
und Reproduction zu dienen geeignet ist". Demgemäss soll
das „natürliche, instinctive Verfahren in einer Naturlehre des
theoretischen Denkens ins Bewusstsein erhoben, descriptiv
dargestellt und auf die. in ihm waltenden Gesetze zurĂĽckge-
führt werden", eine Aufgabe, welche die gegenwärtige Schrift
als „Naturlehre des theoretischen Denkens" zu erfüllen sucht.
Das Fernere wäre nach des Verf. Forderung eine „Kritik"
vom Gesichtspunkte der Zweckmässigkeit, und endlich eine
„Umsetzung der kritisch geläuterten Gesetze in ein System
von Regeln" oder in die „Methodenlehre" des betreffenden
Verfahrens (Logik im engeren Sinne). Die PrĂĽfung des na-
türlichen, instinctiven Verfahrens auf seine Zweckmässigkeit
und die daraus sich erhebende Logik im engeren Sinne ist
einem kĂĽnftigen zweiten und vielleicht dritten Theile vor-
behalten.
Hier dagegen, in der Naturlehre des theoretischen Den-
kens, entwirft der Verf. „eine Art von empirischer Psycho-
logie unter dem vorherrschenden Gesichtspunkte der Vorgänge
des natĂĽrlichen theoretischen Denkens" und, wie er hinzu-
fügt, „vom Standpunkte strenger wissenschaftlicher Voraus-
setzungslosigkeit". Die „Bewusstseinsvorgänge" unterscheidet
er in „zustandbildende" und in „Verknüpfungen"; jene lie-
fern „gewissermassen das Material für die Vorgänge der an-
deren Gattung". Bei ihnen werden von einander« gesondert
1
I
I
I
â–
I
I
I
!
Dr. A. Döring: Grundzüge der allgemeinen Logik. 153
„die reinen Zustandsqualitäten^S z. B. der Grundzustand der
Befriedigung oder Lust, und die „zuständliche Qualität des
VorsteUens, deren Eigenthumlichkeit in dem Empfangen eines
Gegebenen oder vielmehr in dem Entgegennehmen eines sich
Aufdrängenden besteht'^; zufolge der Mannigfaltigkeit der ob-
jeetiven Qualität „entsteht in dem Zustande des VorsteUens
die Mannigfalt^keit der Vorstellungen". Bezüglich der „Ver-
knäpfui^en" hinwieder ,,ergeben sich sieben Gesichtspunkte,
unter denen sie möglicherweise vorkommen können", Inten-
sität, zeitliches Verhältniss, Geffihlsqualität u. s. f., wobei her-
vorgehoben wird, dass eine Art der im Vorstellen unmittelbar
g^benen Verknäpfungen in Urtheilsform auftritt und sich
in den sog. Urtheilen ex datis findet. Zweck aber der „sy-
stematischen Durchmusterung der Verknäpfungsweisen" soll
der Nachweis der eigenthämlichen Natur eben des theoreti-
schen Denkens sein, ein Zweck, den der Verf. in befriedigen-
der Weise erreicht zu haben glaubt, meinend, dass das theo-
retische Denken „sich deutlich absondert von den übrigen
VerknĂĽpfungsweisen, theils durch seine auf der objectiven
Qualität der Vorstellungen beruhenden Universalität, theils
durch die auf dem Zwecke beruhende Nothwendigkeit, vor
allen Dingen aber durch die Unabhängigkeit des Zweckes von
GefĂĽhl und Streben'\ Diesem wesentlichen Merkmal gegen-
ĂĽber soll es von nur untergeordneter Bedeutung sein, ob die
Synthese äusserlich in der Form des Urtheils auftritt oder
als unmittelbare Verschmelzung erscheint: denn „das Urtheil
ist durchaus nicht die charakteristische Form des theoreti-
schen Denkens^S „es sind nur ganz bestimmte Arten von Ur-
theOen, die beim theoretischen Denken in Betracht kommen* ^
hl Beschreibung und Behandlung des theoretischen Den-
kens selbst unterscheidet der Verf. als ;,die ersten Zusammenfas-
sungen der Vorstellungen" einfache und complete Vorstellun-
gen; darüber hinaus ergibt sich sowohl „extensive" Erweite-
rung nach Seite des Umfangs, als auch „intensive" nach Seite
des Inhalts, und zwar durch Urtheile, welche der Verf. „ge-
mäss der allgemeinen Tendenz der Zusammenfassung, der
sie dienstbar sind", synthetische Urtheile nennt, in subsumi-
rende oder Urtheile des Umfangs sie eintheilend, und in de-
154 Dr. A. Döring: Grundzüge der allgemeinen Logik.
terminirende oder Urtheile des Inhalts. Das sonst sog. ne-
gative Urtheil ist „im besten Falle eine kritische Vorstufe der
richtigen Synthese'^ Partikuläre UrtheUe, die nur eine un-
bestimmte Mehrheit betreffen, sind werthlos; „betreffen sie
aber eine bestimmte, durch Zahlen oder sonstige Bezeichnun-
gen abgegrenzte Mehrheit von Fällen, so stellen sie nur rine
der Bequemlichkeit dienende Abkfireung, eine Addition von
singulären Urtheilen dar". Dagegen sollen die universellen
Urtheile „von der höchsten Bedeutung" sein und „nur durch
Induction entstehen" können. Das {Mroblematische Urtheil
soll, wie das negative, vom synthetischen Denken ausgeschlos-
sen, fĂĽr das natĂĽrliche Denken nur das assertorische Ur-
theil in Anspruch genommen v^erden, das apodiktische fĂĽr
„das logisch-methodische Denken" aufbewahrt bleiben« Dazu
hält der Verf. „die Auffiihrung der drei Stufen" der subjec-
tiven Gewissheit als Arten „für einen logischen Fehler", so
wie wenn man „den Wein eintheilen wollte in Reben, Most
und Wein". Die Relation endlich soll gar nicht in die Logik,
sondern, weil sie die Beziehung der Urtheilsverknäpfung zur
Wirklichkeit angeht, in die Erkenntnisslehre gehören. Sonach
macht sich der Verf. zunächst nur mit den Formen bejahend-
singulär-assertorisch zu thun, sowie mit den Formen bejah^id-
universal-assertorisch, indem er 1) die Erweiterungen durch
singulare UrtheĂĽe und 2) die Erweiterungen durch universelle
synthetische Urtheile oder durch hiduction bespricht; hierbei
fordert er strenge Scheidung „zwischen der Induction mit
Erkenntnisscharakter und zwischen der Induction des theo-
retischen Denkens"«
Indessen hat „das natürliche Denken ausser der Ten-
denz der Zusammenfassung auch die der Wiederauflösung
des Zusammengefassten in. die ursprĂĽnglicheren Bestandtheile".
Daher nimmt der Verf. Anlass, 1) von der „extensiven Ana-
lysis", d. h. Verdeutlichung, und zwar sowohl von der „to-
talen", hiermit von Division und Partition, als auch von der
„partialen", und im Ausschluss daran vom Syllogismus zu
handehi, der ihm also „ein analytischer Vorgang" ist, 2) von
der „intensiven Analysis", in deren Bereich er als eine ab-
gekĂĽrzte Form die Definition verweist
Dr. A. Döring: GrundzOge der allgemeinen Logik. 155
In dieser Folge legt der Verf. seine Naturlehre des theo-
retischen Denkens auseinander. Nicht als einen Theil der
Philosophie betrachtet er seine Logik. Denn zwei Gruppen
von Wissenschaften werden zu oberst unterschieden; solche,
„die nicht im Wissen selbst ihren Endzweck haben", und
solche, welche „gleichsam als Vorrathskammer im Wissen die
Erfüllung ihres Zweckes finden"; zu jenen gehören 1) die
„Theorien, in welchen Anleitung ertheilt wird zu einem mensch-
liehen Schaffen oder Handeln behufs Hervorbringung von Ver-
änderungen im Seienden für Zwecke des menschlichen Wohl-
seins", und 2) die Philosophie, welche nach Wissen strebt,
„um die unabänderlichen Bedingungen und Schranken unse-
rer GlĂĽckseligkeit kennen zu lernen", so dass weder Physik
und Metaphysik, noch Ethik und Aesthetik zur Philosophie
gehört Gleichfalls eine „nicht speciell philosophische Auf-
gabe" ist die Erkenntnisstheorie, deren Voraussetzung die
Logik sein soll, während dieser umgekehrt die Erkenntniss-
theorie (S. 24) und letzterer hinwieder die Psychologie zur
Voraussetzung dient: sie alle liegen demnach jenseits der
Philosophie. Solche Ablösung der Logik aus dem Ganzen
der Philosophie ist freilich entgegen der geschichtlichen Ent-
wicklung, welche die Philosophie ĂĽberhaupt und die moderne
Logik selbst genommen hat, erklärt sich aber schon aus der
Unzulänglichkeit einer Begriffsbestimmung, wonach die Phi-
losophie ihre Aufgabe von Aussen her zu empfangen hätte
oder einem nur untergeordneten Zwecke ihrerseits unterworfen
wäre: sonst müsste sie bekennen, dass sie gerade am höch-
sten Prindp das höchste Interesse nehme, von solchem Princip
aus alles Einzelne zu verstehen suche, und daher auch die
Logik als ein Glied des wissenschaftlichen Ganzen, das eben
sie selbst wäre, darzustellen hätte. Es könnte darum schei-
nen, als ob der Verf. den Stand und Gang der heutigen Wis-
senschaft verliesse; aber es ist auch einzusehen, dass solcher
Schein leicht hervorgerufen wird vom Bestreben, selbstständig
ein Gebiet des Wissens zu reformiren. Trotzdem bleibt be-
denklich und ohne Zweifel hinderlieh die so zu nennende
mechanische Weise des Verf., die Herrschaft einer Synthese,
welche „zusammensteUt", auch „zusammenfasst", aber des
156 Dr. A. Döring: Grundsüge der allgemdiien Logik.
schöpferischen Triebes und Vermögens entbehrt, und nur
eine Analysis zulässt, welche nichts Anderes zu thun hat, als
zum Anfang der Synthese zurĂĽckfĂĽhrend deren That oder
vielmehr Schwäche und Abhängigkeit in das Licht zu setzen,
ohne Besseres dafür bieten zu können. Der Wissenschaft
vom Denken thut vor Allem Noth die Anerkennung der
Selbstheit des Denkens, welches aus eigener Kraft sich un-
terscheidet von dem, was es nicht ist, und sich auf sich zu-
rĂĽckbezieht und als die Einheit seiner Akte sich begreift.
Der Verf. will der Logik „die erste SteUe in der Reihen-
folge der menschlichen Erkenntnissgruppen^^ anweisen; allein
es handelt sich, selbst wenn die Reihenfolge klar gestellt
wäre, für die Wissenschaft nicht sowohl um Reihenfolge, als
um ein organisches Ganzes und um die organische Function
der Logik in demselben. Er sieht das „Grundgebrechen der
bisherigen Logik in dem von ihrem Urheber Aristoteles er-
erbten apodiktischen Charakter", strebt jedoch an seinem
Theile nach einem „System von Regeln (Methodenlehre)", auf
Grund der „kritisch geläuterten Gesetze" des Denkens, nach
Regeln, welche ohne apodiktischen Charakter keine Regeln
wären. Gegenüber der „mystischen" Nothwendigkeit einer
unbedingten apriorischen Wahrheit, „vor der uns gleichsam
der Verstand stille steht", rühmt er sich einer „Ableitung der
Nothwendigkeit aus dem Zwecke", während jeder immanente
Zweck jenen „mystischen" Hintergrund bildet, ein transeunter
aber als hypermystisch fĂĽr die Erkenntniss des davon beein-
flussten Gebietes mindestens imzureichend ist. Er glaubt,
dem Begriff des Formalen „eine allgemeinere Bedeutung" ge-
geben zu haben, sofern ,jede allgemeine Regel eines Verfah-
rens, wefl durch Abstraction vom Concreten der SpecialfSIle
gewonnen, formalen Charakter" besitze; aber solche auf Ab-
straction beruhende Formalität ist jedenfalls specifisch ver-
schieden von einer mit dem Wesen erfĂĽllten und daher nur
Nebenart, also nicht von genereller Bedeutung. Als Eigen-
thĂĽmlichkeit seiner Behandlungsweise bezeichnet der Verf.
auch dies, dass er die Logik als „Organon" und als „allge-
meine" fasst; doch kann nicht fĂĽr eine EigenthĂĽmlichkeit
gelten, was dem Verf. mit vielen anderen Logikern gemeinsam
Dr. A. Döring: GnuidsOge der allgemeinen Logik. 167
ist Er rĂĽhmt sich, die Logik auf das theoretische Denken
bezogen zu haben im Gegensatz zmn praktischen Denken
und zmn Erkennen; aUein die Logik als Organon imd als all-
gemeine hat es mit dem Denken ĂĽberhaupt zu thun, und das
Erkennen als ,, Vorstellen eines Seienden wie es ist", ist selbst
immer Denken. Er behauptet, „die Naturlehre als Wissenschaft
von den Gesetzen des natĂĽrlichen theoretischen Denkens unter-
schieden zu haben von der Methodenlehre als dem norma-
tiven hibegriff der Regeln für ein vollkommenes zweckmäs-
siges theoretisches Denken'^; indess bleibt eine auf Abstraction
beruhende, wennschon durch die „Kritik" gestützte Methoden-
lehre des Denkens nur eine auf allgemeine Formen reducirte
Naturlehre desselben.
Wie viele Andere vor ihm und neben ihm wird der Verf.
aufs tiefste bewegt von der Unterscheidung der Logik als
einer Naturlehre und als emer Kunstlehre. In ihr liegt ohne
Zweifel ein wichtiges Problem, das gelöst werden muss. Aber
die Lösung wird nicht durch Abstraction von Regeln auf
Grund gegebener Denkweisen gewonnen, noch durch das Ge-
wicht praktischer BedĂĽrfnisse. Sondern den letzteren wird
erst genügt durch Vertiefung in des Denkens Bethätigung selbst,
welches gemäss seiner Natur auch seine «genen Normen in
sich trägt und um seiner selbst willen aus sich geltend macht
Dergleichen Forschen mĂĽsste den Kern der logischen
Frage treffen. In der That befleissigen sich dermalen Viele
mit nicht geringer Kraft, die Schale zu brechen und den
kamf&higen Inhalt zum Wachsthum zu bringen. Auf Seite
Der^, welche einer sog. psychologischen Grundlage die Logik
abzugewinnen hoffen und sich bemĂĽhen, steht der Verfasser.
Allen was da und was sonst als psychologische Grundlage
bezeichnet wird, ist zumeist ungeschieden theils das erk^int-
oisstheoretische Object des Denkens ĂĽberhaupt, theils eme
Stufe und Art des sich bethätigenden Denkens selbst, welche
anderen Stufen und Arten zum Hervortreten Anlass gibt und
als Denkakt im Verein mit den anderen Denkakten das Ge-
biet der Denkwissenschaft auszumachen hätte. Der Psycho-
logie gilt viebnehr die Frage nach dem Sub ject des Denkens,
während in der Frage nach des Denkens Gegenstand das er*
158 Peter Enoodt: AnUm Gflnther.
keimtnisstheoretische Moment sich bethätigt. Zwischen bei-
den bewegt sich das Denken mit seinen immanenten Unter-
schieden; nach diesen Seiten abgegrenzt, durfte es zum sicheren
Gegenstand dem Logiker sich bieten.
Erlangen. Rabus.
Anton Günther. Eine Biographie von Peter Knoodt. 2 Bände.
Mit dem Bildnisse A. GĂĽnther's. Wien, Wilhehn Brau-
müUer. 1881. (I. XXII u. 414 S.; IL XV u. 566 S.) 8».
Ein treflfliches Buch zur rechten Zeit, dachten wir, als
wir die beiden stattlichen Bände von Enoodt's Biographie
Anton GĂĽnther's sorgfaltig durchgelesen hatten und darauf
die Fälle seines Inhaltes noch einmal im Geiste uns vergegen-
wärtigten! Nicht eine gewöhnliche Biographie und nicht das
Leben eines Gewöhnlichen sondern das eines Heros im Reiche
des Gedankens tritt dem Leser in dem Buche entgegen. Das-
selbe ist mn so anziehender, wir möchten sagen, um so dra-
matischer, je weniger der Verfasser von dem Seinigen hinzu-
getban und je mehr er es sich ziu* Aufgabe gesetzt, GĂĽnther
und seine Zeitgenossen selbst sprechen zu lassen.
Nach dem Vorworte, in welchem die bis auf die Gegen-
wart hinausgeschobene Veröffentlichung der Biographie be-
grĂĽndet, das Quellenmaterial derselben angegeben und auf
die bisher erschienenen objectiven und zuverlässigen Darstel-
lungen der Philosophie GĂĽnther's hingewiesen wird, beginnt
der erste Band mit einer „Selbstbiographie" Günther's, welche
derselbe aber nur bis zum Jahre 1828, der Zeit des Erschei-
nens seines Hauptwerkes, „der Vorschule zur speculativen
Theologie des positiven Gliristenthums", fortgefĂĽhrt hat. Der
Leser erfahrt durch dieselbe von der Biederkeit aber auch
von der Noth in GĂĽnther's elterlichem Hause, von der fast
unsagbaren Bedürftigkeit Günther's während seiner Studien-
zeit, von seiner intellectuellen und ethischen Entwickelung auf
dem Gymnasium und der Universität, seiner Erzieherlauf bahn
in mehreren vornehmen Häusern, seinem Eintritt in die Theo-
logie, das Priesterthum und den Jesuitenorden, sdnen Erleb-
nissen in dem letzteren und endlich seinem Austritt aus dem-
Peter Knoodt: Anton CMnther. 159
selben, nadidem ihm klar geworden, dass „er nicht für die
Jesuiten und die Jesuiten nicht fĂĽr ihn passten^' (1, 157). Auf
die Selbstbiographie folgen zur Vervollständigung derselben
zunächst mehrere vor dem Jahre 1828 verfasste Briefe an
Gänther, und darauf eine Besprechung von Gänther's „litte--
rarischen Arbeiten vor dem Erscheinen der Vorschule". Die-
selben bestehen aus einer Reihe von Recensionen aber da-
mals erschienene Schriften, welche Günther in der „Wiener
AUgemein^i litteraturzeitung" oder in den „Wiener Jahr-
bächern der Utteratur" veröffentlichte. Mit Recht hat Knoodt,
wiewohl er „eine Skizzirung der Philosophie Günther's von
seiner Biographie ausgeschlossen, weil dieselbe dadurch zu
umfangreich geworden wäre" (I, XI), doch aus den erwähn-
ten bisher so gilt wie ganz unbeachtet gebliebenen Recen-
sionen „ausgiebige Auszüge gemacht, um durch dieselben die
ersten Anfänge und das allmälige Werden jener originellen
PhQosophie an's licht treten zu lassen'^ (I, Xu). Der erste
Band, von Seite 251 an, und der ganze zweite Band bringen
die ,J^ortsetzung der Autobiographie'^ GĂĽnther's ; sie umfassen
den Zeitraum vom Jahre 1828 bis zu dem am 24. Februar
1863 erfolgten Tode des Philosophen. Es ist ein gutes StĂĽck
Zeit- und Eirchengeschichte, weiches hier vor den Augen des
Lesers aufgerollt wird, um so wichtiger, da die Verhandlun-
gen nicht so sehr mit äusseren, in die Augen fallenden Er-
eignissen, als viebnehr in erster Linie und hauptsächlich mit
den tief verborgenen, die Geschichte bewegenden Mächten,
nut Ideen und Weltanschauungen, sich befassen. Dieses reiche
Gemälde gruppirt sich naturgemäss um die Persönlichkeit
Gfinther's. Das Erscheinen der „Vorschule^^ machte Günther
in vielen Kreisen bekannt. Nicht Wenige begrĂĽssten das in
ibm au^hende Gestirn am Horizonte der Philosophie mit
hoher Freude, welche in demselben Masse sich steigerte und
wäter verbreitete, als Günther seitdem Jahre 1828 in rascher
fidge dne namhafte Zahl neuer, umfangreicher und tiefsinni-
ger W^ke erschauen Hess, die wesentlich dazu beitrugen,
den Lesern derselben das Verständniss seines Gredankensystems
zu erleichtem und von der grossen Bedeutung und Tragweite
desselben mehr und mehr zu ĂĽberzeugen. Die Folge hiervon
100 Peter Knoodt: Anton GĂĽnther.
war, dass ihrem Verfasser von verschiedenen Regierungen
öfter als vielleicht irgend einem anderen Philosophen des
Jahrhunderts akadeniische Professuren angeboten wurden.
Im Jahre 1831 verhandelten Görres und Bischof Salier, Letz-
terer im Auftrage des Königs, mit Günther wegen Ueber-
nahme einer Professur an der Universität München (1, 272 fg.),
während gleichzeitig das Cultusministerium in Berlin ihn zu
bewegen suchte, die durch Hermes' Tod erledigte Professur
der Dogmatik in Bonn oder auch, falls ihm das erwĂĽnschter
wäre, eine solche in Breslau zu übernehmen (1, 281 fg.). Und
um dieselbe Zeit „wurden auch von der österreichischen Re-
gierung zu diesem Ende wiederholte Anläufe gemacht. So
hatte man insbesondere ihn zum Vice-Director der philoso-
phischen Lehranstalt ernannt, um ihm dann später eme phi-
losophische Professur verleihen zu können^S Aber alle diese
Anerbietungen, sowie eine spätere nochmalige Berufung nach
MĂĽnchen (I, 326) und eine gleiche nach TĂĽbingen (I, 366)
lehnte Günther ab, vorzugsweise in „der Besorgniss, durch
den Eathedervortrag seiner Speculation nicht nur mit seinen
Special-CoUegen in Kampf, sondern auch mit der Hierarchie
in Collision zu gerathen, und dadurch die Zukimft seiner Phi-
losophie, an der ihm unvergleichlich mehr lag, als an der
Verbesserung seiner persönlichen Lage, ernstlich zu gefähr-
den'^ Und ausserdem „bestinunte ihn auch sein ehemaliges
Jesuiten - Noviziat, jeden Antrag einer Lehrkanzel im katholi-
schen und protestantischen Auslande abzulehnen, damit man
ihm nicht hinterher den Jesuiten als PrĂĽgel zwischen die
Füsse werfe" (I, 284 und 285). „Inzwischen gewann aber
GĂĽnther auch ohne Katheder eine von Jahr zu Jahr wach-
sende Schaar von SchĂĽlern und Verehrern;" andere, Wort-
führer in der Wissenschaft oder in der Kirche, „näherten sich
ihm freundschaftlichst", so „die späteren Bischöfe: Amoldi,
Diepenbrock, Förster und vor Allem der Fürst Cardinal Schwar-
zenberg von Prag, der „ihm stets hülfsbereite treue Liebe be-
wahrte"; imter den Protestanten: Harless, Erdmann, Tholuck,
Rosenkranz, Hinrichs, Lange u. A." (1, 286 fg.). Um dieselbe
Zeit fand seine Philosophie ihre Vertretung auch an mancher
bischöflichen Lehranstalt und Universität. So erhielt Mertens,
Peter Knoodt: Anton GĂĽnther. 161
der ,,6ĂĽnther's Schriften grĂĽndlich studirt hatte und auch in
einen Briefwechsel mit GĂĽnther getreten war^^ (I, 324), im
Jahre 1843 die Professur der Philosophie am bischöflichen
Seminar zu Trier (I, 325 u. 326); im Herbste 1845 wurde
Knoodt zunächst ausserordentlicher (I, 346) und bald darauf
ordentlicher Professor der Philosophie zu Bonn. An der Uni-
versität zu Breslau lehrten in Günther's Sinne und Geiste
Baltzer, Elvenich, Reinkeni}, zu Prag Löwe, in Gratz und
später in Prag Ehrlich, zu Tübingen Zukrigl, in Paderborn
Kayser, in Braunsberg Gerkrath, in Bamberg Spörlein und
Mayer u. s. w. Doch in demselben Maasse, als die Gänther'sche
Philosophie an Umfang und Bedeutimg gewann, mehrten sich
auch, ganz vorzugsweise in katholischen oder richtiger in je-
suitisch gesinnten Kreisen, die gegen sie unternommenen An-
griffe und ihre Feinde. Mit einer wissenschaftlichen Be-
kämpfung der Principien und Ausführungen des Günther'schen
Gedankenbaues ist man von dieser Seite niemals hervorge-
treten; um so energischer aber waren die Angriffe von An-
bng an dahin gerichtet, Günther's Orthodoxie zu verdächti-
gen, ihn und seine Anhänger zu verketzern, den öffentlichen
Lehrern seiner Philosophie ihre Wirksamkeit zu zerstören und
ein Verdammungsurtheil Roms ĂĽber die freilich durch und
durch antijesuitische, aber um so mehr acht christliche Wis-
senschaft herbeizufuhren. Schon am 6. Mai 1836 hatten GĂĽn-
ther's Feinde es so weit gebracht, dass der Wiener Nuntius
dem damaligen jungen Erzbischofe von Salzburg (Schwarzen-
berg) zu sageti wagte: „Via Guentheri non est acatholica qui-
dem al est inutilis et periculosa*' (I, 313). Seitdem mehrten
sich die Gegner Günther's fortwährend. Wie dieser über die
Leistungen derselben im Gebiete der Wissenschaft urtheilte, gibt
ein Brief vom 7. Mai 1842 zu erkennen, in welchem es ĂĽber die
Arbeiten eines Herrn von Schätz wörtlich heisst: „Das sind
die sauberen FrĂĽchte der Hermesischen Damnation. Solcher
Wahnwitz hätte sich doch nicht blicken lassen dürfen, wenn
auf katholischer Seite dem soliden Gedankengange nicht aller
und jeder Anspruch auf Existenz confiscirt worden wäre.
Syst^natische Gedankenlosigkeit ist seitdem wie der Pilz aus
fanatischem Glaubenseifer herausgewachsen*' (1,314). Endlich
Plu]oM]kli. Monatohefto l»i, Ul. 1 1
162 Peter Knoodt: Anton GĂĽnther.
erfolgte im Jahre 1851 „die (förmliche) Anklage Günther's in
Rom. Und zwar war der Anklageäct in Bonn -Köln unter
dem Auspicium des Gardinais von Geissei abgefasst.** GĂĽn-
ther hatte „keine Ahnung davon, dass das römische^ Damo-
klesschwert schon über seinem Haupte hing", denn „erst im
Jahre 1852 wurde ihm und seinen Anhängern bekannt, dass
der Process gegen ihn bei der Index-Congregation eingeleitet,
ja schon so gut wie beendet sei" (II, 85). Allein GĂĽnther's
Gegner erreichten einstweilen ihr Ziel, die Damnation seiner
Schriften von Seiten Roms, noch nicht. Es verwendeten sich
nämlich für Günther die beiden Bischöfe und Gardinäle von
Diepenbrock und von SchwarzeAberg in einem nach Rom
eingesandten Promemoria (II, 132 fg.), was zur Folge hatte,
dass der Papst auf kurze Zeit der GĂĽnther'schen Philosophie
sogar gĂĽnstig gestimmt wurde (II, 139). Doch auch hier war
das Aufgeschoben kein Aufgehoben. Das römische Eirchen-
wesen war schon auf dem besten Wege, eine grosse Meta-
morphose an sich zu vollziehen, und die nöthigen Vorberei-
tungen zu treffen, um sich in den reinen, nackten Je-
su itismus aufzulösen und seine Identität mit diesem durch
eine dogmatische Declaration fĂĽr alle Zukunft zu fixiren.
Was Wunder, dass man in dieser Institution GĂĽnther's durch
und durch antijesuitische Wissenschaft nicht brauchen konnte !
Günther's Freunde kämpften für das Unmögliche. Ihre Geg-
ner, an deren Spitze die Gardinäle von Rauscher, Erzbischof
von Wien, von Geissei, Erzbischof von Köln, und von Rei-
•
sach, früher Erzbischof von München, später Gardinal in
Rom standen, sahen im Anfange des Jahres 1857 ihr Werk
gekrönt (11, 313 fg.). In dem VerdammungsurtheQ der Gün-
ther'schen Schriften hiess es: Günther's Lehre „weiche gänz-
lich ab von dem orthodoxen Pfade der Wahrheit, und ihre
weitere Verbreitimg könne der katholischen Kirche und der
theologischen Bildung der jungen Geistlichen nur zum gröss-
ten Schaden gereichen" (H, 317). Richtig ist dieses ĂĽrtheil,
wenn in demselben statt „orthodox" und ,',katholisch" ,je-
suitisch" und statt „Wahrheit" „Erforschung der Wahrheit"
gesetzt wird. Nach der Verurtheilung galt es, GĂĽnther's An-
hänger unschädlich zu machen, und nach den langen authen-
Peter Knoodt: Anton GĂĽnther. 163
tischen AusfĂĽhrungen, die Knoodt auch darĂĽber gibt, wird
man nicht sagen können, dass Günther's Gegner irgend ein
Sfitiel dazu unbenutzt gelassen haben. Die Mittheilungen des
zweiten Bandes, etwa von Seite 144 an, machen einen hoch-
tragischen Eindruck. Das Schwanken zwischen Hoffnung imd
Hoffnungslosigkeit auf Seiten der Anhänger 6änther*s in ilu'em
riesenhaften Kampfe gegen eine unbezwingliche Uebermacht,
ihr endliches Unterliegen, der Sieg des jesuitischen Fanatismus
ĂĽber das helle Licht einer durchaus autonomen, freien and
doch wahrhaft christlichen Wissenschaft, das klare Bewusst-
sein GĂĽnther's und seiner Freunde, momentan zwar unter-
druckt aber nicht getödtet, sondern unterliegend doch sieg-
reich zu sein, — das sind die Momente, deren Schilderung
der zweite Band der Biographie dem Leser vor Augen fĂĽhrt
und die ihm eine so grosse Anziehungskraft und einen ganz
eigenthumlichen Reiz verleihen. Doch nicht bloss anziehend
ist Enoodt's Buch, sondern auch höchst bedeutsam für Alle,
(fie in unserer schwĂĽlen Zeit dem Kampfe fĂĽr die sittlichen
Mächte der Wahrheit, des Rechtes, des Glaubens, aber auch
des Wissens, der Offenbarungen Gottes, aber auch der Ver-
naoflforschung noch ein Interesse bewahrt haben.
Die Biographie ist vor Allem eine glänzende Apologie
A. Günther's selbst Sie zeigt den Mann voll gläubigen Sin-
nes und voll Verehrung fĂĽr das positive Christenthum und
seme hohen Interessen, aber ebenso voll Begeisterung fĂĽr die
Rechte des freien Geistes und der Wissenschaft. „Ich habe
mir während meines ganzen Lebens'^ schreibt er, „nie etwas
Anderes gewĂĽnscht, als ruhig und ungeneckt im Dienste des
christlichen Glaubens mein Tagewerk zu beschliessen" (11,28).
Aber andererseits beklagt er es auch bitter, dass „das ka-
tholische Europa'* nicht einmal „das Nöthigste aus der Re-
formation gelernt habe'\ nämlich : „die Achtung vor der Auc-
torität des creatürlichen Qeistes'* (II, 151). In dem Gegen-
satze der Wissenschaft zum positiven Christenthum erblickte
GĂĽnther vor Allem das Unheil Europas und der modernen
Welt, in der Versöhnung beider, wenn sie gelänge, die
sicherste Garantie einer besseren Zukimft. Und er war von
der Grösse und Bedeutung dieser Aufgabe so sehr durch-
164 Peter Knoodt: Anton GĂĽnther.
dnmgen» dass er auch bereit war, alle irdischen Gäter und
jede Bequemlichkeit des Lebens ihr zum Opfer zu bringen.
Zwar wm'den ihm von den Pflegestätten der Wissenschaft
aus viele Ehrenbezeigungen zu Theil. Die betreffenden Fa-
cultäten der Universität Prag creirten ihn honoris causa zum
Doctor der Theologie und Philosophie (11, 25) ; von der MĂĽn-
chener Academie der Wissenschaften wurde er auf den An-
trag von Lasaulx' zum „auswärtigen Mitgliede der philoso-
phisch-philologischen Klasse*^ ernannt (II, 149), dasselbe ge-
schah von der Wiener Academie (II, 167). Während Gün-
ther diese Auszeichnungen, zum Theil freilich nur auf Bitten
seiner Freunde, annahm, schlug er dagegen, wie schon er-
wähnt, jedes Anerbieten, das seine finanzielle Lage hätte
verbessern können, lediglich seiner Philosophie zu liebe stets
aus. Und so kam es denn, dass einer der ausgezeichnetsten
Denker unserer und aller Zeiten, da er von Hause aus vöHig
mittellos war, nach den grossartigsten und verdienstvollsten
Leistungen im Gebiete der Wissenschaft „alle Aussicht hatte,
in der bittersten Armuth seine Tage zu beschliessen, wie der
Astronom Kepler, der mit Kalenderschreiben sein Leben fri-
sten musste*' (II, 29). Knoodt's Schrift liefert auch den Be-
weis dafĂĽr, dass GĂĽnther wirklich wenigstens theilweise in
der dĂĽrftigsten Lage sich befunden hat. Und er wĂĽrde wohl
auch für immer in derselben geblieben sein, wären ihm seine
vielen Freunde nicht, wie mit den Waffen des Geistes, so
auch mit finanziellen UnterstĂĽtzungen zu HĂĽlfe gekonmien.
Es ist gut, dass Knoodt auch nach dieser Seite hin ĂĽber
GĂĽnther's Leben volles Licht verbreitet hat, denn auch von
ihr gut GĂĽnther's prophetisches Wort aus dem Jahre 1860:
„Wir stehen offenbar an der Schwelle einer neuen
Zeit, der nicht vorenthalten werden darf, wie die
alte mit ihren christlichen Denkern umgegangen
ist" (n, 453).
Knoodt's Biographie ist femer sehr bedeutsam fĂĽr GĂĽn-
ther's Wissenschaft; mit Recht hebt Jener hervor, dass „aus
ihr, insbesondere aus GĂĽnther^s Briefen, die wesentUchen
Punkte seiner Speculation deutlich hervortreten" (I, XII). Und
welches sind diese wesentlichen Punkte? GĂĽnther hebt sie in
^
Peter Knoodt: Anton GĂĽnther. 165
einem Briefe an seinen alten bewährten Freund und Gesin-
nungsgenossen J. Veith aus dem Jahre 1851 ebenso kurz als
schlagend mit den Worten hervor : „ Ausserweltlichkeit Gottes
der Substanz nach und Aussergöttlichkeit der Welt in der-
selben Beziehung, hmerweltlichkeit Gottes und Innergöttlich-
keit der Welt dem Gedanken nach — diese Trilogie in der
Theologie und Philosophie kann uns allein helfen. FĂĽr diese
lass' uns ausschliesslich th&tig sein^^ (ĂĽ, 90). Aber dieser
Kernpunkt der GĂĽnther'schen Wissenschaft in der Behaup-
tung, dass die Welt in all' ihren Factoren als Geist, Natur
und Mensch zwar ein realisirter oder substanziali-
sirter Gedanke Gottes sei, ohne aus Gottes Wesen zu
sein, und dass mithin der Grundirrthum ialler Philosophie in
der wie immer modificirten Identificirung Gottes und der Welt
der Substanz oder dem Wesen nach, d. i. in dem ganz
.oder halb durchgefĂĽhrten Pantheismus erschaut werden
müsse, — dieser Kern des ganzen Systems, sage ich, ist kei-
neswegs das Erzeugniss einer ausschweifenden Phantasie oder
einer transscendenten Speculation, sondern er ruht auf einer
durch und durch empirischen Basis, nämlich auf dem durch
empirische Forschung festzustellenden und von GĂĽnther wirk-
lich festgestellten Wesens-Dualismus von Geist und Natiu* in
der Sphäre des relativen oder creatürlichen Daseins. Auf
diesen Wesens - Dualismus in der Form, wie er denselben
ermittelt, legt daher Günther allenthalben das allergrösste
Gewicht; er ist ihm die alleinige Grundlage, von der aus die
endliche Versöhnung von Glauben und Wissen, Christenthum
und Vemunftforschung mit Sicherheit sich erwarten lässt.
,JEs darf kein Jota", schreibt er, „vom Dualismus gestrichen
werden, etwa um katholische Auetoritaten des Mittelalters
nicht herabzusetzen. Jener hat fĂĽr die That Sachen des
Christenthums, nicht aber fĂĽr die Deutungen derselben
in der Schule einzustehen. Gibt die erste Schöpfung (d.i.
die Welt in ihren Factoren : Geist und Natur) kein Zeugniss
mehr für die zweite Schöpfung (d. i. die Erlösung in und
durch t][hristu6), dann ist es um den Sieg der Kirche ĂĽber
den Antichrist geschehen, geschehen um die HĂĽlfeleistung
Sanct Peters für den Lahmen an der schönen Tempelpforte'*
166 Peter Knoodt: Anton GOnther.
(II, 81). Zwar wollen und können wir nicht behaupten^ we-
der dass die empirische Basis, noch dass die ĂĽbrigen Theile
des grossartigen w)n GĂĽnther errichteten Gedankenbaues schon
nach allen Seiten hin vollkommen entwickelt und ausgebil-
det seien, oder dass die Ausbildung, welche sie unter den
Händen ihres Erbauers erhalten, gar keiner Verbesserung fähig
oder bedürftig wäre. Günther selbst ist von einer solchen
Auffassung seines Werkes weit entfernt (vergl. I, 304 fg.)-
Aber wie dem auch sein mag, so viel ist gewiss, dass GĂĽn-
ther in einem Punkte sich nicht geirrt hat, und das ist
gerade der, auf welchen fĂĽr den endlichen Friedensschluss
zwischen Glauben und Wissen, Vernunft und Offenbarung,
Wissenschaft und Christenthum alles ankommt, nämlich: in
der wissenschaftlichen Feststellung der Wesens- Verschieden-
heit von Gott und Welt oder der wahrhaften CreatĂĽr-
lichkeit der letzteren, d:i. in der Vermeidung alV und jeden
Pantheismus. HierfĂĽr liefert Enoodt's Biographie wieder
neue und schlagende Beweise, weshalb denn auch die von
diesem ausgesprochene Hoffnung nicht vergeblich sein wird,
dass sein Buch „zur Wiederbelebung des Studiums der Schrif-
ten Günther's etwas beitragen möge" (I, XIII). und wie
wäre es, so fragen wir mit Günther, wenn „die Greations-
idee", welche das verjesuitisirte römische Kirchenwesen durch
die Damnation der GĂĽnther'schen Philosophie mitverworfen
hat, von nun an „von der evangelischen Kirche in Schutz
genommen wĂĽrde, um Rom hierĂĽber, wie ĂĽber vieles Andere,
die Augen zu öffnen? Wir können das nur wünschen, denn
es hat die neue gleich der alten Synagoge eine Decke. vor
den Augen, die sie hindert, klar zu sehen, was das Wort
sagen wolle : mein Reich ist nicht von dieser Welt" (II, 443).
Hat ja doch selbst ein WortfĂĽhrer in der evangelischen
Kirche schon vor Jahren sich dahin ausgesprochen, dass „der
Protestantismus den Günther ohne Timidität anhören könne*^
(ĂĽ, 247). Wir aber erweitern diesen Ausspruch, indem wir
hinzusetzen, nicht bloss „anhören", sondern auch „benutzen'^
kann der Protestantismus den GĂĽnther zu dem grossen Kveecke,
um das herrliche Ziel der Reformatoren des 16. Jahrhunderts:
„die Säuberung der Kirche von allem Papismus und Ultra-
Peter Knoodt: Anton GrĂĽnther. 167
montanismus und die Wiederherstellung derselben ohne Ma-
keln und Runzeln nach der Idee ihres Stifters'* besser und
wirksamer als bisher, namentlich auch in den Kreisen der
Gelehrten imd auf dem Boden der Wissenschaft, endlich zu
erreichen.
Noch in einer dritten Beziehung ist die Bedeutung der
Knoodt'schen Arbeit nicht zu unterschätzen; sie ist eine aus-
serordentlich reiche Quellenschrift für die Geschichte der rö-
mischen Kirche seit den letzten 50 Jahren» Das Ueberhand-
nehmen, ja die bis zur Alleinherrschaft sich steigernde Macht
des Jesuitismus, die von Jahr zu Jahr wachsende Intoleranz
gegen alle anderen Kirchen und religiösen Gülte, die Knech-
tung der Bischöfe unter die Herrschaft der von den Jesuiten
regierten römischen Curie, die Indolenz des weitaus grössten
Theiles der Bischöfe und die Ohnmacht einiger wenigen unter
ihnen gegenĂĽber dem alles beherrschenden Treiben, das Sin-
ken des religiösen Geistes und das Ueberwuchern eines blin-
den Fanatismus und Köhlerglaubens, die Verachtung der Wis-
senschaft und das alleinige Pochen auf Kirchlichkeit, die plan-
massig und systematisch betriebene Heraufbeschwörung des
Hittelalters, die von langer Hand mit Schlangenklugheit vor-
bereitete und endlich auch durchgesetzte Dogmatisu*ung der
Unfehlbarkeit des römischen Papstes, — dieses und vieles
andere die unheilvollen und Gefahr drohenden Zustände des
römischen oder vatikanischen Kirchenwesens Charakterisirende
zieht sich durch Knoodt's Schrift von Anfang bis zu Ende
wie em rother Faden hindurch und legt uns den WĂĽnsch
auf die Zunge, dass dieselbe ebensowohl von den deutschen
Staatsmännern als von den Wüi'denträgern der evangelischen
Kirche nicht ungelesen bleiben möge. Wir wollen nur Eines
aus dem vielen hierher Gehörigen mittheilen. Im November
des Jahres 1857 berichtet GĂĽnther seinem Freunde Ehrlich
ĂĽber ein in Paris erschienenes Buch, dessen Verfasser zu
2000 Francs Geldbusse verurtheilt worden war. In demsel-
ben heisst es: „Die religiöse Toleranz ist eine Frucht des
A^eismus und der Gleichberechtigung der Gonfessionen. Die
katholische Kirche darf nicht dulden, dass neben ihr feind-
liche Culte ihre Altäre errichten. Sie hat die Aufgabe, Gö-
168 Peter Knoodt: Anton GĂĽnther.
tzendienst und Eetzerthum auszurotten; sie braucht nur das
Beispiel frĂĽherer Jahrhunderte zu befolgen, in denen ganze
Bevölkerungen niedergemetzelt wurden, um den göttlichen
Zorn zu besänftigen. In den Zeiten der Inquisition und der
Autodafö's ist der Glaube festgestanden. Der Staat, der den
Protestantismus duldet, verdient den göttlichen Zorn. In
Frankreich hat der Papst das Recht, sich in die weltliche
Regierung zu mischen. Die gallikanische Kirche ist ein Schisma,
d. i. Ketzerei." Und nun fragt Günther seinen Freund: „Was
sagen Sie zu dieser Bescheerung?" Aber er selber gibt die
Antwort auf seine Frage mit den Worten: „Die Wieder-
geburt Europas wird nicht dadurch gefeiert, dass
es in den Schooss der Scholastik (mit ihrer Ansicht
vom Verhältnisse der Kirche zum Staate) zurückkehrt"
(II, 391 u. 392). Da nun aber das römische Kirchenwesen
diese RĂĽckkehr mit Fahne und klingendem Spiel, freilich erst
nach GĂĽnther's Tode, auf dem sogenannten vatikanischen
Concil des Jahres 1870 ein- fĂĽr allemal bereits vollzogen hat,
so muss GĂĽnther unter der Kirche, welcher er nicht weniger
als der Wissenschaft noch einen Triumph in Aussicht stellt,
auch etwas ganz anderes als jenes mit religiösen Lappen ver-
brämte römische Weltreich verstanden haben. Am Schlüsse
des Jahres 1856 schreibt er an Knoodt: „Was uns das neue
Jahr bringen wird, weiss der ĂĽber den Sternen und zur Rech-
ten des Vaters und nicht minder sein heiliger Geist, der Ad-
vokat seiner Braut sine rugis et maculis. Dieser wird seine
Kirche in alle Wahrheit zu fĂĽhren nie ermĂĽden, in alle Wahr-
heit, die in der zweiten Offenbarung (d. i. der Erlösung) auf
dem Gründe der ersten (d. i. der Schöpfung) liegt. Er ist
zugleich der BeschĂĽtzer der Wissenschaft, die es mit der
ersten Offenbarung zu thun hat, denn unter seinen sieben
Gaben kommt auch die des Verstandes und der Wissenschaft
vor.^ Und wie die Kirche vor dem AbschlĂĽsse der Welt-
geschichte noch einen Triumph erleben wird, so auch die
Wissenschaft, die bisher nur als ancilla theologiae anstatt als
ancilla Domini behandelt wurde" (H, 312). Sollen diese pro-
phetischen Worte des weitblickenden und ausserordentlichen
Mannes noch einmal in ErfĂĽllung gehen, so wird seine Wis-
Dr. Joh. H. Witte :^e Philosophie unserer Dichterheroen. 169
senschaft dazu einen grossen Beitrag zu liefern haben. Und
eben deswegen sei sowohl das Studium dieser als dieLectäre
der Enoodt'schen Biographie AUen, denen der Lärm des Tages
das hiteresse für die religiöse Gesittung und den wissenschaft-
lichen Ruhm des deutschen Volkes noch nicht genommen hat«
angelegentlichst empfohlen.
Breslau. Weber.
Mi PhlMophie unterer DicMerheroen. Ein Beitrag zur Geschichte
des deutschen Idealismus. Von Dr. Joh. H. WĂĽte. I. Band:
Lessing und Herder. Bonn« Eduard Weber's Verlag (Julius
FKttner). 1880. (XÜ, 355 S.) 8«.
Freudig begrĂĽssen wir die oben genannte Schrift, welche
sich zur Aufgabe macht, „in einer Zeit, in welcher durch
eine übertriebene, oft lächerlich minutiöse Detailforschung
unsere grossen Dichter ganz zerstĂĽckelt werden, uns aufs
Neue die Bedeutsamkeit ihres Wirkens als eines Ganzen, ihr
Dichten und Denken aus einem Gusse vor Augen zu stellen.^^
Sie zeigt dieses ^iDichten und Denken aus einem Gusse" als
geschehen aus dem wissenschaftlichen und philosophischen
Geist, der die Dichter beseelte. Und um so mehr freut
uns, auf diese Schrift hinweisen zu können, als die Treue
zur Wahrheit und der ideale Geist, der sie beseelt, wohl
angethan scheinen^ Dichtung und Philosophie wieder mehr
einander zu nähern und miteinander zu versöhnen. Frei-
lich ist nicht zii leugnen, dass die Macht der Dichter auf
das Volksleben gerade in der Darstellung einer von volks-
thmnlichen Anschauungen und religiösen VorsteDungen beleb-
ten GefĂĽhlswelt wurzelt. Nicht zu leugnen wird femer sem,
dass Lessing's Bedeutung gerade deshalb so gross ist, weil
seine Philosophie, wie Witte, ein Wort DanzeFs wiederholend,
sagt: „nur eine Steigerung seiner virtuosesten Thätigkeit —
nämlich der literarisch-kritischen — im Interesse der Religion
ist** Dies muss aber gerade auch als der Grundzug der
deutschen, idealistischen Philosophie angesehen werden. Harms,
den Witte öfters anfuhrt, sagt daher treffend in seiner Rede
auf flehte : „Das Ziel der deutschen Philosophie ist die Ver-
170 Dr. Joh. H. Witte: Die Fbiloeophie luiserer Dichterheroen,
söhüung und die Verbindung der Wahrheiten der weltliehen
Wissenschaften mit denen der Theologie. Nicht in derLeog-
nung des lebendigen Gottes, sondern in dem Streben, ihn zu
erkennen, und mit dieser Erkenntniss zugleich die der welt-
lichen Wissenschaften zu verbinden, besteht der Wille der
Philosophie seit Kant." Dass aber dieses Ziel vor Allem auch
die grossen Dichter sich gesteckt hatten, das hat Witte vor-
erst an Lessing und Herder klar gemacht.
Nach einer Einleitung „Ueber Philosophie und Poesie
und das allgemeine Verhältniss unserer ersten Dichtcir zu den
grossen Denkern" handelt der Verfasser zuerst von Lessing's
^philosophischer Anschauung, indem er ĂĽber dessen littera-
rische Stellung und Lebensgeschichte das Wichtigste voraus-
schickt. Lessmg's Philosophie ist, wie Witte auseinandersetzt,
wesentlich vom Standpunkte der Religion aus entworfen,
wobei seinel speculative Gruudanschauung sich sowohl von
einer mystischen Metaphysik, als auch von der sogen. Auf-
klärungsphüosophie und dem gesammten freidenkerischen Ra-
tionalismus unterscheidet. Vier ^auptgesichtspunkte hebt der
Verfasser bei Lessing hervor: 1) Hält dieser solche Anwen-
dung des Verstandes auf Gegenstande des Glaubens, wie sie
damals ĂĽblich war, fĂĽr eine Halbheit und nimmt eine ent-
schieden abweisende Stellung gegen die Naturalisten inner-
halb imd ausserhalb des Ghristenthums ein. 2) Statt mit
dem Verstände Erfahrungsobjecte abstrahjrend in ein Allge-
meines zu vereinigen, erhebt er sich zur wahrhaften Specu-
lation von einem umfassenden, das Ganze ĂĽberschauenden
Gesichtspunkt aus. 3) Aus seinem eigenen Drange hatte er
sich dies Ziel gesetzt, aber genährt ward dieser Drang durch
seine Eenntniss von Spinoza und Leibniz. 4) Er steht Leib-
niz näher wie Spinoza, aber dabei selbstständig über Beiden.
Menschliches Vorurtheil ist es fĂĽr Lessing, dass wir den Ge-
danken als das Erste und Vomehn^ste betrachten; Ausdeh-
nung, Bewegung, Gedanken sind nach ihm offenbar in einer
höheren Kraft gegründet. Er findet ein der Gesammtheit
des besonderen Daseins ĂĽbergeordnetes Wesen, nicht extra-
mundan, nicht praeter- oder supramundan, auch nicht intra-
mundan im Sinne des Spinozismus, sondern so intr^mundan,
Dr. Joh. H. Witte: Die Philosophie unserer Dichterhoroen. 171
dass es nicht in dem Mannigfaltigen der Welt, sondern dies
in ihm ist Nach Lessing ist Gott Schöpfer der Welt, und
da seine Schöpfmig immerwährend sein mid bestehen soll, ist
er ewiger Schöpfer und Erhalter derselben, ein lebendiger
Gott, der die ganze Welt erhält und durchdringt, freilich in
einer fär unsere an Zeit und Raum gebundene Vorstellung
unfassbären Weise. Auch der Mensch ist göttlichen Ursprifngs
und repräsentirt eine göttliche Vollkommenheit in sich, häm-
fich darin, dass Gott auch ein Bewusstsein seiner Vollkom-
menheiten im Einzelnen besitzt und eine ihm entsprechende
Fähigkeit zu handeln. Denkt Gott seine Vollkommenheiten
gleichzeitig, so ist und denkt er sich selbst, denkt er sie ab-
gesondert nach Graden, so entsteht eine Vielheit von Wesen,
in unendlicher Reihe, in welcher der Mensch ausgezeichnet
ist durch seine Begabung mit fĂĽnf Sinnen, deren andere
Wesen vielleicht noch mehrere haben. Aber da Gott nach unend-
lichen Graden seine Vollkommenheiten zertUeilt, und das
letzte Glied enthält was die unteren enthalten, so folgt, dass
die ganze materielle Welt bis in ihre kleinsten Theile beseelt
ist; jedes Stäubcfaen der Materie kann einer Seele zu einem
Sinn dienen. Auf der untersten Stufe haben die Seelen
zwar Sinn ĂĽberhaupt, d. h. Grenzen ihrer Vorstellung oder
Materie, aber keine Differenzirung oder Vielheit der Sinne.
Die unorganischen Wesen sind einfach, haben nur einen Smn,
sobald aber ein Wesen auch niu* zwei Sinne hat, tritt es in
die höhere Ordnung, in die der Wesen mit organischen Kör-
pern. Je höher die Zahl der Sinne, um so höher das Wesen.
Lessing hat somit eine Entwicklung, aber als Folge der
Schöpfung, nicht wie die moderne Descendenzlehre als Reihe
mechanischer und organischer Wirksamkeit. Mit diesem Ge-
danken continuirlicher Entwicklung geht Lessing wesentlich
über Spinoza hinaus und zwar noch ehe er Leibniz näher
liannte.
In der Reihe der Individuen nehmen die Menschen die
Stelle von moralischen Wesen ein; sie können sich ihrer
eigenen Natur und damit ihres eigenen Selbstes bewusst
werden. Als soldie Wesen können sie ihrem eigenen Ge-
setze folgen, und insofern dies Gesetz, dem gemäss sie han-
173 Dr. Joh. H. Witte: Die Philosophie unserer Dichterheroen.
dein, eine ihnen selbst innewohnende Nonn ist, ihrer Natur
entnommen ist, sind sie jeder anderen Individualität gegen-
• über frei, jedoch ihrem eigenen Gesetz verpflichtet nach
dem Gebot : Handle deinen individualischen Vollkommenheiten
gemäss. Kein Mensch muss müssen; aber indem für den
Menschen das innewohnende Gesetz, das er erkeimt, zu sei-
nem unverbrĂĽchlichen eigenen Willen wird, ist er diesem Ge-
setz verpflichtet; er muss das Beste. Dieses „Müssen des
Besten** ist kein Widerspruch jenes Satzes : kein Mensch muss
mĂĽssen. Es ist dieses Thun des Besten eine That freier Ein-
sicht, freien Willens. Lessing verwirft damit nur die Will-
kĂĽrfreiheit und preist die Nothwendigkeit des Besten oder des
Guten. Auch ist dieses „Müssen des Besten** nach Witte
kein Determinismus, vielmehr eine Vorahnung von Eant's
Autonomie der reinen Vernunft, bei welchem Letzteren aber
auch noch mehr als bei Lessing die Beziehung zur mensch-
lichen Gesellschaft zur Geltung kommt. Durch Lessing's Satz :
„Alle Wesen sind gleichsam eingeschränkte Götter**, wird das
Individuum zu sehr als abgeschlossenes Glied der Entwicklung
und auch nur als Glied der Entwicklung betrachtet; daher
kommt es auch, dass Lessing in politischer Hinsicht nur zu
emem übertriebenen Eosmopolitismus neigt Er unterschätzt
die ethische Bedeutung des Staates, verkennt, dass die natio-
nale Gliederung und Trennung der Völker mehr ist als racen-
hafte EigenthĂĽmlichkeit, und dass der Mensch durch seine
sittliche Seite als Persönlichkeit in die Geschichte eintritt
und ĂĽber das Individuelle sich erhebt. Lessing erkennt daher
mehr das Naturrecht als die ethische Bedeutung des Volkes
und Staates an, und diese tritt ihm zurĂĽck hinter der Hoheit
eines kosmopolitischen Ideals, das dem Streben nach Huma-
nität als Ziel vorschweben soll.
Entsprechend der pofitischen ist die geschichtsphiloso-
phische Auffassung Lessing's, in seiner „Erziehung des Men-
schengeschlechtes**, durch die er neben Herder Urheber der
Philosophie der Geschichte wurde. Wie die Schöpfung von
Gott abhängt, so auch die Geschichte, sie ist für Lessing eine
Erziehung des Menschengeschlechtes durch göttliche Offen-
barung. Ihm ist jede Offenbarung etwas relativ VernĂĽnftiges,
Dr. Joh. H. Witte: Die Philosophie unserer Dichterheroen. 173
weshalb er das Vernünftige thatsächlich zu begreifen sucht,
und damit steht Lessing höher als der Rationalismus seiner
Zeit, welcher aUes nach abstracten Begriffen meisterte und
als der von David Strauss, welcher verkennt, dass die That-
sachen der Geschichte so gut wie die der Natur vernĂĽnftig
begriffen sein wollen. Er ist aufgeklärter wie Luther, der
im N. T. eine in jeder Hinsicht absolute Wahrheit erblickt.
Anerkennend, dass das Ganze frĂĽher als die Theile, dass die
Reli^on ursprĂĽnglicher und inhaltsvoller als ihr Abbild, unter-
scheidet er die Religion Christi und die christliche Religion,
welche er die positive Religion nennt. Bei seinem Gedanken
der Nothwendigkeit eines allmäligen vernünftigen Fortschrittes
in der Geschichte verkennt Lessing, dass dabei ein Moment
oda* Glied der Entwicklung schon ein ewig GĂĽltiges sein
kann, z. B. das Ideal ästhetischer Formvollendung in der
griechischen Kunst, der Monotheismus als solcher in der jĂĽdi-
schen Religion, der in Bezug auf das Verhältniss Gottes zu
den Menschen gereinigte Begriff des Monotheismus im Christen-
thum sowie des letzteren Humanitätsideal. Für Lessing ist
das Historische stets nur relativ vernĂĽnftig. Indess da die
Thaien^ der Geschichte freie Entwicklung selbstbewusster ver-
antwortlicher Persönlichkeiten darstellen und keine Kette blos
mechanischen Causalzusammenhangs, so gibt es hier Ereig«
nisse, welche ein absolut VernĂĽnftiges zum Ausdruck bringen.
Lessing aber verkennt daher auch das, was ewiges Ferment
im Ghristenthum ist und erwartet die Periode einer Vernunft^
reĂĽgion als Epoche eines neuen ewigen Evangeliums.
So Lessing's philosophische Grundanschauung nach Witte.
Wir vermissen die Angabe, wie Lessing das Böse erklärt.
Zu den Vollkommenheiten, welche Gott denkt, gehört auch
der Mensch. Wie wird nun der vollkommen gedachte Mensch
unvollkommen und böse? Lessing muss bei Erklärung des
Bösen, wie. bei dem „Müssen des Besten'' nach Witte auf
Kant's Boden stehen, aber Citate wären für diese Behaup-
tung erwĂĽnscht gewesen. Witte geht nun dazu ĂĽber, Les-
sing's Anschauung mit der Spinoza's, Kant's und neuerer
Denker zu vergleichen, wovon nur als Hauptpunkt hervor-
gäioben werden m^, dass Spinoza gegenüber Lessing an
174 Dr. Joh. H. Witte: Die Philosophie unserer Dichterheromi.
Stelle des mechanischen & yual tiop ein dynamisches & yucd
Tvav gemäss der Einheit eines schöpferischen und willens-
kräftigen göttlichen Gedankens setzt. Das Einzehie erscheint
in Folge dessen nicht mehr als blosse Modification, sondern
als etwas fĂĽr sich Seiendes, Individuelles.
Mit Recht sieht der Verf. in dieser Lessing'schen Gottes-
idee das Princip der Individualität wurzeln, aber wir hätten
gewĂĽnscht, dass er, welcher bedauert, dass Lessing den Men-
schen blos als Individuum und nicht als Persönlichkeit auf-
fasst, der geradezu die von heutiger Philosophie noch vielfach
als ketzerisch verschriene Behauptung ausspricht: „Gott kann
nicht etwas Beschränktes sein, er muss Person sein, und
Lessing's Idee war eine Vorstufe fĂĽr den reinen Begriff der
reinen Persönlichkeit"; wir hätten gewünscht, dass Witte bei
Gelegenheit dieser Lessing'schen Gottesidee ihr Verhältniss
zum Begriff der Peraönlichkeit näher dargelegt hätte. W^ir
vermissen den Hinweis auf Sengler, der vor Allem diesen
Begriff zu entwickebi suchte (Idee Gottes, 11. Theil 4 — 140.
Vergl. Fichte, Ulrici's Zeilschrift; Bd. 45.) Wir vermissen
Sengler's Namen, da wir mit Verwunderung Virchdw da^ wo
von Lessing's Gottesidee die Rede ist, citirt finden. Was
Virchow eine Einheit von Theilen nennt, nennt Sengler Col-
lectiveinheit, und dieser Name macht anschaulich, dass die
Einheit eines Individuums, mit Lessing zu reden, „offenbar
in einer höheren Kraft gründet", als in einer darwinistisch
gewordenen Gomplicirung von Theilen. Und wenn Virchow
das Atom eine Theileinheit nennt, so ist dies werthlos, inso-
fern das Atom als reales Wesen, mit Lessing zu reden, die
niederste Stufe der Individualität ist.
Der Verf. geht nun dazu ĂĽber, zu zeigen, dass Lessing's
speculative Grundanschauung seine ganze ästhetisch- und re-
ligiös-kritische Thätigkeit durchgeistet; aber nirgends gewan-
nen wir dabei den Eindruck, dass Witte seiner von Lesi»ng
gewonnenen Anschauung wegen etwas in Lessing hineinge-
kĂĽnstelt habe.
Mit eingehender AusfĂĽhrlichkeit wird femer Lessing's
Thätigkeit auf dem Felde der Religionsphilosophie behandelt.
Auch hier können wir nur Einzelnes hervorheben. Mit Recht
Dr. Job. H. Witte: Die Philosophie unserer Diditerfaeroen. 175
beginnt W. damit, das frĂĽhzeitige und andauernde Interesse
Lessing's fĂĽr Religion, wie dessen frĂĽhreife Anschauung zu
zeigen, mit Recht bekämpft er zuerst Hettner, welcher Les-
sing's Ghristenthum der Vernunft „ein sophistisches Fechter-
StĂĽckchen der speculativen Theologie^^ nennt. Witte hat
Recht, wenn er diese Schrift in Uebereinstimmung findet mit
der Erziehung des Menschengeschlechtes. Dabei aber be-
kämpft W. Lessing's Begriff der Offenbarung als einer Erzie-
hung, dies setze eine Schwäche der menschlichen Vernunft
voraus, welcher die göttliche Vernunft zu Hülfe kommen
mĂĽsse. Aber ist Lessing's Ansicht nicht in seiner Vorstellung
von einer Welt im schaffenden Gott begrĂĽndet? Darf Gott
keine Thätigkeit in der Welt behalten? Namentlich nicht in
der Menschenwelt? Wozu denn ein Gott, der in keine thä-
tige Beziehung zu seiner Welt treten dĂĽrfte? Witte scheint
die Selbstthätigkeit des Menschen gefährdet zu seh^, wenn
Gott durch Offenbarung erziehe. Indess, wenn man die M^-
lichkeit solcher Erziehung leugnet, so behauptet man damit,
dass der Mensch durch seine Thätigkeit allein alle Wahrheit
erwerben, aUes Gute verwurklichen mĂĽsse. Dadurch wird
der Entwicklungsgang der Menschheit ein Naturprocess und
hört auf zu sein, was Witte will, ein Geschehen durch die
Thaten freier Persönlichkeiten. Denn da der Mensch keine
absolute Sittlichkeit ist, so muss zugegeben werden, dass,
weil im Menschenleben sittliche Freiheit waltet, auch die
Möglichkeit des Sinkens und Verharr^ds im -Schlechten stets
vorhanden ist. Und bleibt denn andererseits neben der Offen-
barung nicht die Freiheit des Menschen bestehen? Gesetzt,
es sei buchstäblich so gewesen, wie der buchstabenklaubendste
orthodoxeste Engsinn es behauptet, blieb nicht trotzdem die
durch Christus offenbarte Wahrheit nur ein Angebot, das
Jeder annehmen oder verwerfen kann? Es bleibt immer die
That der freien Persönlichkeit, das Angebotene sich zum gei-
stigen Eigenthum zu machei. So , finde ich Lessing's Begriff
der Offenbarung gerade vom Boden sittlicher Freiheit aus ge-
rechtfertigt und finde in diesem Boden auch seine Unterscheid*
dang einer Religion Christi und einer christlichen Religion
gegrOndet. ;
176 ]>; Joh« H. l?ntter Die üiflosophie unserer Dichterberooi.
Noch Ems möchte ich berühren. Witte scheint es zu
missbiiligeu, dass Lessing sich auch mit Dogmatischem abgab,
und auch ich billige nicht die Art, wie er die Dreieinigkeit
erklaxt. A.ber darf sich die Philosophie nicht um Dogmatik,
die «doch nur ein Erzeugmss philosophierender Logik ist, be-
kĂĽmmern? Namentlich die Vorstellung von der Dreieinigkeit
steht der Philosophie nicht fem. Die Bedeutung dieser Drei-
einigkeitsl ehre fĂĽr dte Philosophie wird stets die bleiben, dass
dabei zunr. ersten Male versucht ward, Gott, wie Lessing will,
als etwas mehr wie als ein blosses Denken, als einen blossen
vovg zu denken; er soll lebendige Persönlichkeit sein. Und
da jetzt i) n 19. Jahrhundert die Dreiheit des Denkens, FĂĽh-
lens und Wollens in abstracten Einseitigkeiten auseinander
gel^ urid zu Principien der Welterklärui^ erhoben wurde,
so haben, wir dem Dichter Lessing zu danken, dass er im
lebhafter i Interesse für die geschichtlich gewordenen religiösen
Volksvo rstellungen sie als Probleme der Philosophie lebendig
erhielt Auf solche Schriften aber, wie die von Witte, grĂĽn-
den wijr die Hofbung, dass die Philosq)hie bald wieder Ton
ihren abstracten Gottheiten fortschreiten werde zu dem im
Denkea, FĂĽhlen und Wollen dreieinigen Urgrund einer con-
creten WirLUchkeit.
In Betre*ff der einzelnen Beweise Witte's, dass Lessing
religiös, Theib^ ein Christ, dass er, der so oft zum Schild
des Unglaubens gemacht wird, kein Freigeist war, verweisen
wir auf die*6ch\rift selbst; heben jedoch noch besonders her-
vor den Excurs ĂĽber das ewige Ferment im Christenlhum,
seine Erklärung von Lessing's Gespräch mit Jacobi unt^ der
Festhaltung von Xessing's Theismus, ferner seine Erklärung
von Nathan dem Weisen. Wir geben ihm Recht, wenn er
Werth darauf legt, JiasiS es heisst, der Ring mache angenehm,
falls man ihn in dieser Gesinnung trage. Nicht der Besitz,
sondern die Gesinnung i'st danach fĂĽr Lessing das Werth-
schaffende, und in prote&^tantischem Geiste betont er damit
die Nothwendigkeit innerer Tugend gegenüber äusserer Werk-
thätigkeit
Witte's Darstellung, von welcher das Obige nur einige
wesentliche ZĂĽge zu geben bestimmt ist, zeigt uns, wie voll
Dr. Joh. H. Witte: Die Philosophie unserer Dichterheroen. 177
«
Lessing auf dem Boden jenes deutschen Idealismus steht,
der nach Harms' oben erwähntem Ausspruch die Erkenntniss
des GröttHchen mit der der Welt zu verknüpfen berufen ist.
Man muss, wenn Lessing auch das Ghristenthum in den Be-
reich seiner Philosophie zu ziehen sich nicht scheute, Witte
beistimmen, wenn er sagt, „dass Lessing, wenn hinter Kant
zurĂĽckbleibend in der Kenntniss und Bestinunung der Schran-
ken des Erfahrungswissens, doch Kant voransteht im Fest-
halten des Zieles einer ĂĽber die Erfahrung hinausgehenden
theoretischen Erkenntniss. So dass Fr. Schlegel das Rechte
geahnt haben dürfte durch jenes Wort: „es würde sich die
deutsche Philosophie vielleicht glĂĽcklicher entwickelt haben,
wenn Lessing's freier und kühner Geist dazu mitgewirkt hätte,
als es nachher durch Kant allein geschah.*^
Auch in der Darstellung Herder's als Philosophen be-
währt sich der umfessende Blick, mit welchem Witte seine
Aufgabe ergreift. Es liegt aber in der Natur der Sache-, dass
die Herder betreffende Darstellung viel kĂĽrzer ausgefallen ist
als die Lessing's, denn Herder hat, wie Harms sagt, im Grunde
nur einen erhabenen Gedanken. Dieser aber umspannt dafĂĽr
auch eine ganze Welt und ist enthalten in seinen „Ideen zur
Geschichte der Philosophie der Menschheit/^ Wenn aber
Hanns femer behauptet, dass Herder die Philosophie der
Geschichte zu einer Philosophie der Geschichte der Natur ge-
macht habe, so streitet dag^en Witte, und mit Recht, inso-
fern Herder „die Erziehung durch Gott nicht bloss auf die
menschliche Gattung, wie Lessing, sondern auch auf die Gat-
tungen alles Lebendigen ausdehnt^^ Indess faktisch hat
Harms Recht, wenn man auf den Erfolg von Herder's An-
schauung achtet, welche, was Witte zugibt, die Naturphilo-
sophie und ausserdem gerade Männer einer universellen und
kosmischen Naturbetrachtung anregte, wie A. von Humboldt,
K. Ritter, Cuvier. Dieser Erfolg rĂĽhrt von der Sprachweise
Herder's her, der stets von Natur, statt von Gott spricht.
In seiner Vorrede zu den Ideen der Philosophie der Gesch.
der Menschheit sagt er: „Niemand stosse sich daran, dass ich
zuweilen den Namen der Natur personiflcirt gebrauche. Die
Natur ist kein selbstständiges Wesen, sondern Gott ist Alles
Philosoph. MonaUhefte 1881, III. 12
178 Litteraturbericht.
in seinen Werken; indess, ich wollte diesen hochheiligen Namen
nicht durch öfteren Gebrauch missbrauchen.^^ Im directen
Gegentheil sagt Darwin in seiner natural Selection: ,,Wenn
ich den Namen der Natur personificirt gebrauche, so verstehe
ich darunter keine Gottheit, sondern bloss die vereinte Thä-
tigkeit und Leistung der mancherlei Naturgesetze/' Dieser
Unterschied in der Auffassung der Natur zwischen Herder
und Darwin zeigt, wie weit Herder's Vorstellung einer Schö-
pfung und Fortentwicklung der Welt durch Gott entfernt ist
von der neueren Descendenzlehre. Wir brauchen auf diesen
Unterschied nicht näher einzugehen, da wir bereits (Bd. XIV
dieser Zeitschrift) „Herder und die moderne Naturphilosophie'^
besprachen. Witte untersucht in unserem Sinne mit Sorgfalt
die gleiche Frage und ist entrĂĽstet, dass man Herder einen
Vorgänger der modernen Lehre nenne. Indess, mich freut
die Täuschung, kraft welcher die modernen Herren ältere
philosophirende Geister als ihre Vorgänger studiren, kann
doch dabei nicht ausbleiben, dass ältere ideale Kraft befruch-
tend die moderne NĂĽchternheit beseelt.
Bei Einzelnheiten der Herder'schen Philosophie, seiner
ästhetischen und wissenschaftlichen Kritik müssen wir auf
Witte's Buch selbst verweisen. Zumal der Verf. selbst, wie
er sich ausdrückt, „ein abgeschlossenes und von einem und
demselben Gesichtspunkte aus aufgefasstes Bild der Gesammt-
leistung unserer ersten Dichter zu bringen wĂĽnscht", was ihm
bis jetzt gelungen ist. Es ist ein einheitliches umfassendes
Bild, das er von Lessing und Herder gibt. Hoffen wir, dass
dem Verf. die Fortsetzung, das Bild von Schiller und Goethe,
gleichfalls gelinge. Prof. L. Weis.
LittentorlMrielit
Der Tentand von Hlppolit Taine. Ă„utorisirte deutsche Ausgabe, ĂĽber-
setzt von L. Siegfried, Dr. med. Bd. I. II. (390 u. 372 S.) Bonn,
E. Strauss. 1880. 8*.
In dieser Schrift, die wir als eine auf psychologischer Analyse begrĂĽn-
dete Erkenntnisslehre bezeichnen können, bespricht der bekannte franzö-
sische Academiker die Elemente der Erkenntniss, ihre physiologische Ver-
mittlung und ihre verschiedenen Arten. Wenn es sich hier um eine eigent-
liche Besprechung des Buches handelte — während wir nur eben diesen
*
Litteraturbericht. 179
Avis an die Leser beabsichtigen — so würden wir in gar manchen Punkten
bei aller Anerkennong der Sorgfalt und wissenschaftlichen Akribie des
Yerfiiasers ansehen G^ensatz geltend zu machen, wir wĂĽrden ĂĽberhaupt die
Ansicht zu vertreten haben, dass das vorliegende vom Verfasser gesam-
melte und gesichtete Material noch lange keine abschliessende Erkenntniss-
lehre sein kann, wie wir uns in Deutschland Aufgabe und Inhalt einer
solchen vorzustellen gewohnt sind. So aber können wir die deutschen
Leser nur einladen, sich die inhaltvolle Schrift in der vorliegenden Ueber-
setzung des Dr. Siegfried zugänglich zu machen, welche zwar dem fran-
zösischen Original nicht in allen Fällen gerecht geworden ist, indessen
dodi als klar und fliessend bezeichnet werden kann.
Ais der neaen Hexenküche« Skizze des Spiritistentreibens von Prof.
Dr. Hermaim W, Vogd, Lehrer der Photochemie u. s. w. Berlin, Roh.
Oppenheim. 1880. (IV, 88 S.) 8^
Der als Reiseschriftsteller wohlbekannte Prof. Vogel tritt in dieser
BroschĂĽre als Gegner des Spiritistentreibens auf, dem er schon durch
einen öffentlichen Vortrag in Berlin, welcher später durch die Presse ver-
breitet wurde, den Krieg erklärt hatte. Er verfolgt in dem vorliegenden,
mit bekanntem Humor und Greschick auf Grund eingehender Bekanntschaft
der betrefEenden Vorgänge und der darauf bezüglichen Litteratur geschrie-
benen BĂĽchlein zuerst die Geschichte des Spiritismus, der sich aus dem Tisch-
rĂĽcken und Tischklopfen in dem Vaterlande alles Humbugs entwickelt hat.
Er beleuchtet sodann die Art und Weise der sogenannten spiritistischen
Sitzungen, als deren Resultat er die höchst charakteristischen Aeusserungen
Fechner*s, welcher doch an den Spiritismus glaubt, citirt: , Auch
Terkehrt sich*s im Allgemeinen recht harmlos mit den Spirits. Sie ver-
rathen keinen Unmuth darüber, aus dem Jenseits aufgestört zu werden;
meist scheint es ihnen eher Unterhaltung und Vergnügen zu gewähren,
den Anwesenden etwas vorzumachen (sie) oder sich mit ihnen dui'ch die
spiritistisch hergebrachten Verkehrsmittel auf Unterhaltung einzulassen;
and sie wieder weg, so ist man freilich danach so klug oder dĂĽmmer
wie vorher.' In einem dritten Abschnitt schildert V. noch verschiedene
siüritistische Phänomene, wobei er die Entstehung der sog. Geisterphoto-
^q)hien in sachkundiger Weise erklärt: «Für Fachmänner, ** so sagt er,
•baben diese Photographien wenig Uebematürliches. Photographen wissen,
wie sie die Person, welche im Bilde als Geist erscheinen soll, kĂĽnstlich
auf der Platte erzeugen können, ohne dass der Uneingeweihte etwas davon
loerkt.* In diesem Abschnitt beschreibt er dann die von den Spiritisten
niit höchstem Enthusiasmus aufgenommenen Erscheinungen im Hause des
englischen Physikers Grookes, welche durch die schöne Florence Cook
^hervorgerufen und die Ursache wurden, dass Grookes, später auch Zöllner,
sich zum Spiritismus bekehrten. VogePs Buch erschien eher, als dieEnt-
luTung des betreffenden Mediums Flor.. Gook in London erfolgte, von der
^vor einigen Monaten alle Zeitungen voll waren, sonst hätte er gleich bei
180 Litteraturbericht.
«
dieser Gelegenheit die Nutzanwendung ziehen können, die freilich für jeden
Unbefangenen ohnehin nahe genug liegt, dass auch Gelehrsamkeit und Scharf-
sinn, welche weder dem englischen Crookes noch dem deutschen Zöllner
abgesprochen werden können, vor Weiberlist nicht immer schützen, zumal
wenn diese mit dem Reize der Schönheit bewaffiiet auftritt, wie bei be-
sagter Florence Cook in hohem Maasse der Fall sein soll. Aber auch
die Nutzanwendung dörfen wir hier anknüpfen, dass das Argument der
Spiritisten, die von ihnen angenommenen Wunder mĂĽssten von Jedermann
geglaubt werden, weil so gelehrte Leute und ,ezacte Forscher* wie Croo-
kes und Zöllner daran glauben, nach der Entlarvung der Florence Cook
vollständig hinfällig geworden ist. Vielmehr darf die Spitze des Arguments
umgekehrt und gesagt werden: Wenn selbst so kluge, «exacte" und in den
Tiefen der Naturwissenschaft versirende Leute wie Crookes und Zöllner
sich von der List und Gewandtheit spiritistischer Medien haben täuschen
lassen, wie viel weniger sind wir anderen armen Sterblichen, die keine
neuen Metalle, keine LichtmĂĽhle, keine astrophysischen Gesetze u. s. w.
entdeckt haben, vor solcher Bethörung geschützt! Wir müssen also dem
Spiritismus um so mehr fem bleiben! Einen ähnlichen Standpunkt nimmt
denn auch Vogel im vierten Abschnitt seines BĂĽchleins ein. Er will ver-
nünftigerweise keineswegs das Thatsächliche aller spiritistischer Phänomene
rundweg ableugnen, da manche derselben von zuverlässigen Beobachtern
so bezeugt wqrden sind, dass man an der Richtigkeit der Wahrnehmang
nicht zweifeln kann. Aber er erhofft (und darin stimmt ihm Ref. durch-
aus bei) eine einstige anderweitige Erklärung dieser Erscheinungen, als
die Spiritisten sie geben, indem sie auf die Geisterwelt verweisen, von der
sie sich zu diesem Zweck die allercuriosesten, um nicht zu sagen albern-
sten und unwĂĽrdigsten Vorstellungen zu bilden pflegei); er macht ganz
passend darauf aufinerksam, was auch Ref. schon bei anderer Gelegenheit
gethan hat, dass der Spiritismus, soweit man sehen kann, schwer-
lich jemals eine wohlverbürgte neue Wahrheit zu Tage geför-
dert habe, was nach so unendlich vielem angeblichem Verkehr mit
Geistern geradezu vernichtend fĂĽr die spiritistische Theorie ist. Und dies
bestätigt Fechner selbst, indem er erklärt, dass „alle Manifestationen der
aus dem Jenseits beschworenen Spirits nur wirre Vorstellungen von diesem
Jenseits lieferui die aller Erbaulichkeit, Klarheit und Festigkeit ermangeln.*^
Und ganz elend erscheint hier die Ausflucht der Spiritisten, dass sie es
in der Regel mit sehr niedem und ungebildeten, wohl auch lĂĽgnerischen
Geistern zu thun haben. Ist dies der Fall, so wäre es ja schlimmer als
Thorheit, sich mit solchen Wesen abzugeben! Vogel ist vollständig be-
rechtigt, am Schluss seiner BroschĂĽre insbesondere phantastische Naturen
vor der Beschäftigung mit dem Spiritismus zu warnen, die im besten Falle
eine hiebt unbedenkliche zwecklose Spielerei ist, aber fĂĽr Manche gewiss
mehr oder weniger Gefahren in sich birgt, wie denn in den spiritistischen
Kreisen Geistesstörungen viel häufiger auftreten sollen, als anderswo. Man
ĂĽberlasse, so ruft er warnend aus, das Studium dieser Zeitkrankheit den
Aerzten, Physiologen und Physikern, ^ie sich dazu berufen fĂĽhlen. E^ ist
Litteratarbericht. 181
ein schlimmes Zeichen, wenn junge Studenten, die sich erst in der drei-
dimensionalen Welt zurechtzufinden lernen sollen, ihre Zeit mit spiritistischen
Studien yergeuden und sogar in BroschĂĽren ihre Gommilitonen dazu ver-
fOhren woDen.
Beiträge m einer exaeten Psydio-Physiologie von Dr. Eugen Dreher,
Priyatdocent an der K. Univers. Halle. Halle, C. ÂŁ. M. Pfefifer. 1880.
(91 S.) S\
Diese Beiträge, welche aus einer , Probevorlesung "* über das Wesen
der Sinneswahmehmungen, einer .Einladungsschrift* ĂĽber die vierte Di-
mension des Raumes, einer „Antrittsvorlesung* über , Nervenfunction und
psychische Thätigkeit, einer Notiz betitelt , Studien am Lebensrad u. s. w.*,
endlich aus .Beiträgen zur Theorie der Farbenwahmehmung — Resum^
aus gehaltenen Vorträgen* bestehen, legen davon Zeugniss'*' ab, dass der
Verfasser mit Eifer, Einsicht und Erfolg auf dem von ihm als Psycho-
Phjsiologie bezeichneten Gebiete thfttig gewesen ist. Freilich wäre es nach
des Refer. Ansicht besser gewesen, wenn Dr. Dreher das Resultat seiner
bisherigen Studien in anderer Form dem wissenschaftlichen Publikum
vorgelegt h&tte, als hier geschehen ist, denn man muss in diesen
Vorlesungen und Beiträgen gar Manches mit in den Kauf nehmen, was
bekannt, und wiederum Manches, was nichts weniger als «exact* gedacht
ist. Sehen wir jedoch davon in dem Vertrauen ab, dass der Verfasser
im Fortgang seiner Arbeiten sich der falschen Autoritäten, die ihn zur
Zeit noch gefesselt halten, entschlagen und damit von gewissen Hypothe-
sen, welche wenigstens in dem von ihm angenommenen Umfang unhalt-
bar sein dĂĽrften, sich losmachen werde. Auch den weitgehenden Gebrauch
des ,ünbewussten* in der inneren Thätigkeit wird er einschränken und
vor aUen Dingen näher bestimmen müssen. Im Leben der Seele spielt
das Unbewusste ja unzweifelhaft eine wichtige und leider zur Zeit noch
wenig aufgeklärte Rolle, aber es darf doch nicht (vielleicht im Hinblick
auf die Hartmann'sche Ansicht) als eine Macht, ein Vermögen für sich
betrachtet werden, wie wenn der Verfasser einmal sagt: «das Unbewusste
in der Seele vollzieht die der Realität entsprechende Scheidung zwischen
imierer und äusserer Welt*. Der bei dieser Gelegenheit von dem Verfasser
gemachte Unterschied zwischen dem, was dem Bewusstsein entspringt,
und dem, was, ursprĂĽnglich unbewusst, nur seinen Resultaten nach ins
Bewusstsein gelangt, ist dem Referenten auch nicht klar geworden. Denn
was .ins Bewusstsein gelangt*, kai^n doch nicht als unbewusste Seelen-
thäügkeit gefasst werden; was aber den Process des Zustandekommens
der Empfindungen und Vorstellungen angeht, so ist derselbe allerwege
und in jedem Falle dem Bewusstein entzogen.
Die Phantasie die «mächtigste von allen unbewussten Gestaltungs-
kräften* zu nennen, geht doch auch zu weit, denn die Phantasie ist weit
davon entfernt, bloss unbewusst zu wirken, und die relative Bewusstlosig-
kdl, mit der manche ihrer Bildungen oder vielmehr Manches bei ihren
Bildungen vor sich geht, ist wohl zu unterscheiden von der absoluten Be-
l
182 Litteraturbericht.
wusstlosigkeit anderer psychischer Vorgänge. — Die Widerlegung der
Hypothese von einer vierten Raumdimension ist Dr. Dreher zwar im All-
gemeinen gelungen, hätte aber noch einfacher geschehen können, wenn
er auf den Begriff selbst der Dimension zurückgegangen wäre. Für den,
welcher an dem alten Satze festhält, dass sich in jedem Punkte des Raumes
nur drei Linien rechtwinklich schneiden, kann es nur drei Dimen-
sionen geben; lässt man freilich das , rechtwinklich* weg, so können sieh
unzählige Linien in demselben Punkte schneiden und somit unendlich
viele Dimensionen entstehen, aber Dimensionen, die doch alle in die
drei alten Dimensionen hineinfallen und den Slade*schen Spirits keine
Intermundien bieten. Es bleibt also dabei, dass die vierte Dimension
unter allen Umständen ein vollkommener Widerspruch ist, gleich geheim-
nissvoll fĂĽr Weise wie fĂĽr Thoren. Ein richtiger Geist darf als Ding an
sich oder als Einheit von Sein und Können ohnehin gar keine Dimension
haben, am allerwenigsten vier.
Prof. Zöllners Hypothese einer vierten Dimension des Baumes durch
VemunftgrĂĽnde und Thatsachen widerlegt von C. von Ru^Uer, beei-
digtem Rechtsanwälte zu Moskau. Leipzig, Fr. Wagner. 1880. (30 S.) 8*.
Zöllner hat in seinen , wissenschaftlichen Abhandlungen' bekanntlich
die Annahme einer vierten Dimension des Raumes als nothwendig hinge-
stellt, um zu einer geforderten Erweiterung unserer Raumes -Vorstellung
zu gelangen; er hat die Möglichkeit jener Annahme einer vierten Dimen-
sion aus Thatsachen nachzuweisen versucht, und drittens aus seiner
Hypothese gewisse Thatsachen des sogenannten Spiritismus zu erklären
unternommen. Dem entgegen weist uns der Verf. der oben angefĂĽhrten
BroschĂĽre nach, dass wir durch richtiges Urtheilen und Schliessen nicht
die Nothwendigkeit, sondern vielmehr die Unmöglichkeit der vierten Di-
mension im Sinne der von Zöllner aufgestellten Protections - Hypothese
erkennen. Soll .diese Hypothese der vierten Dimenson eine richtige sein,
so muss sie ferner nicht nur die von Zöllner angenommenen spiritis-
tischen Thatsachen erklären, sondern darf sich auch nicht in Widersprüche
mit anderen Thatsachen der Erfahrung verwickeln. Hier zeigt nun der
Verf., dass die Projections-Hypothese die angeblichen Geistererscheinungen
statt sie zu erklären, vielmehr ganz unerklärlich macht und uns ausser-
dem mit den Thatsachen der Erfahrung in Widerspruch setzt. Der Verf.
sohliesst folgendermassen : „Ist Alles in der Welt Protection , so fehlt ja
der an eine Projection gebundenen Seele jedes Kriterium, um Wahrheit
von Trug zu unterscheiden. — Dass unsere Raum Vorstellung an gewisse
Schranken gebunden ist, können wir nicht leugnen; das ist schon daraus
zu ersehen, dass es uns ebenso unmöglich ist, uns das Universum als
begrenzt, sowie auch als unbegrenzt vorzustellen, während es eines von
beiden doch realiter sein muss. Die Mangelhaftigkeit aber unserer Raum-
vorstellung berechtigt uns noch gar nicht dazu, dem empirisch uns gege-
benen dreidimensionalen Raum sammt den darin befindlichen Objecten
Liitteraturbericht. 183
jede selbständige Realität abzosprecb^. — Ob es uns je gelingen wird,
uns von dem so eben erwähnten wirklichen Widerspruche zwischen dem
begriJĂĽichen Denken und dem Vorstellen zu befreien und unsere Raum-
vorsteUung zu erweitern? Die - Möglichkeit dürfen wir a priori nicht
teognen. JedenfaDs könnte eine solche Erweiterung nicht im Sinne der
(ZöUner*schen) Projections-Hypothese stattfinden/
Ueber Bestrebuiiron und Ziele der wissenscluiftllclien Chemie. Von
Dr. Bi€h. Meyer in Gbur. (Sammlung gemeinverst. wissensch. Vorträge,
herausg. von R. Virchow und Fr. y. Holtzendorff. XV. Ser. Heft 343.)
Berlin, G. Habe). 1880. 8*. (52 S.)
Dieser Vortrag legt von einem höheren, wahrhaft philosophischen Stand-
punkt ans das Wesen der chemischen Forschung in kurzer gemeinverständ-
licher Weise dar, indem er zugleich die Grenze bezeichnet, zu der das wirk-
liche Wissen hinsichtlich der Constitution der Körperwelt bisher gelangt ist.
Was die Grundlage der heutigen Chemie anbetrifft, die Atomentheorie, so
drOckt sich der Verfasser hinsichtlich derselben mit grosser Vorsicht aus, in-
dem er nichts weiter behauptet, als dass wir 'nach dem augenblicklichen
Stande der Wissenschaft der Atome als einer unentbehrlichen H3^othese
bedfirfen; er entwickelt aber vom Standpunkt dieser Theorie aus die der che-
mischen Forschung vorliegenden näheren und entfernteren Fragen, so z. B. die
nach dem Wesen der chemischen Verwandtschaft, deren Beantwortung viel-
leicht die Ermittelung deriGestalt und räumlichen Gruppirung der Atome zur
Voraussetzung hat; femer die nach der Natur der Elemente und nach der
Ursache ihrer Verschiedenheit, wobei es sich wieder firagt, ob die
Atome wirklich untheilbar und einfach sind, wie die bisherige Annahme
ist, oder ob sie vielleicht aus noch einfacheren Grundstoffen, am Ende gar
aus sehr feinep Theilen einer einzigen Urmaterie bestehen, worauf merk-
wĂĽrdige Beziehungen zwischen den physikalischen und chemischen Eigen-
schaften der Elemente und ihrer Atomgewichte hinweisen. Der Vortrag,
dem eine Reihe höchst instructiver Anmerkungen beigefOgt ist, erscheint,
da sein Inhalt aus gründlicher Kenntniss und eingehender Beschäftigung
mit der Sache geschöpft ist, im hohen Grade geeignet,^ auch dem mit
chemischen Dingen weniger Vertrauten ein klares, lebendigesIBild von
dem innem Leben dieser Wissenschaft zu geben, über deren so häufig
rein handwerksmässigen Betrieb man nicht die tieferen, eigentlichen Auf-
gaben, denen sie obliegt, ĂĽbersehen darf.
Teltaire-Stsdien* Von Dr. Bkhard Mayr. Wien, G. Gerold*s Sohn.
1879. (190 S.) 8^ (Aus dem Julihefte des Jahrg. 1879 der Sitzungs-
berichte der phU.-hist. Klasse der k. Acad. d. W. besonders abgedruckt.)
Diese Studie kann als Ergänzung der berühmten Strauss'schen Vor-
lesungen betrachtet werden, insofern sie Voltaire als Historiker und Ge-
sänchtspbilosophen näher schildert. Wir erhalten darin ein mit Elar-
Ittit, Lebendigkeit und Geist ausgefĂĽhrtes, durch eine ^grosse Menge Gitate
184 Neu eingegangene Schriften.
aus Voltaire's Schriften verdeutlicUes Bild des Vaters der , Philosophie
der Greschichte", das der Verfasser mit viel Liebe, vielleicht nur mit all-
zuviel Vorliebe gezeichnet hat. Denn so wenig Ref. in die meistens von
ultramontaner Seite ausgehenden heftigen Schmähungen auf Voltaire, die
seit den Tagen der Romantik sich mit ungeschwftchter Zähigkeit immer
wieder erneuern, einstimmen mag, so wenig kann er doch dem fast un-
bedingten Panegyrlkus sich anschliessen, den Mayr, von Strauss* kritischerer
Webe abweichend, seinem Helden hält und gegen den er doch selbst ein
hinlängliches Gegengewicht schafft durch Beibringung zahlreicher wört-
licher AnfQhrungen aus Voltaire, aus welchen dessen oft irrthĂĽmliche, ein-
seitige und oberflächliche Auffassung, ja starke Uebertreibungen und Bos-
heiten erhellen. Voltaire's Verdienst als Historiker, als Geschichts- und
Religionsphilosoph ist es, dem officiellen Schein einer optimistisch geĂźiib-
ten Weltanschauung gegenĂĽber einen nĂĽchternen Ton angeschlagen und
von einer gesunderen Psychologie aus, durch Witz und Geist unterstĂĽtzt,
eine unbefangenere Ansicht der menschlichen Dinge geltend gemacht zu
haben. Er hat immer Vernunft und Toleranz gepredigt, immer gegen
Verfinsterung und Tyrannei gekämpft. Dies Lob soll ihm ungeschmälert
bleiben. Aber mit der Aufklärung als Oppositionsprincip allein ist's doch
nicht gethan. Voltaire hat vielfach, wie das SprĂĽchwort sagt, das Kind
mit dem Bade ausgeschĂĽttet; er hat ĂĽberhaupt die tiefem Fragen des
sittlichen, religiösen und socialen Lebens entweder gar nicht berührt, oder
sie mit irgend einer klingenden Formel abgethan, die dem eingehenderen
Denken nicht Stirb hält. So anregend daher auch seine historischen An-
sichten sind, so wenig können sie doch befriedigen, und Mayr's schliess-
liche Parallele Kant's und Voltaire's gibt, wenn sie auch nur kurz und
flüchtig ausfällt, schon der Fiugflfrzeige genug, aus denen hervorgeht, dass
des Letzteren religions- imd geschichtsphilosophische Ideen nur als ein
Durchgangspunkt fĂĽr die Entwicklung dieser noch so wenig fortgeschritte-
nen Wissenschaft betrachtet werden dĂĽrfen.
Neu eingegangene Schriften.
Kant 's Kritik der reinen Vernunft. Herausg. von J. H. v. Kirchmann.
5. Aufl.
Uphues, K., Das Wesen des Denkens nach Piaton.
Koch, Ant., Die Psychologie Descartes'.
Schneider, Gottfried, Entwurf einer rationalen Seelenlehre.
Krause, Albr., Populäre Darstellung von L Kant's Kritik der reinen
Vernunft.
Seoane, Marquis de, Philosophie elliptique du latent operant. P. U.
Deisenberg, W., Theismus und Pantheismus.
Radenhausen, G., Ghristenthum ist Heidenthum, nicht Jesu Lehre.
Verhandlungen der philosophischen Gesellschaft zu Berlin. Heft XVIII.
Kirchner, Fr., Katechismus der Sittenlehre.
Fischer, Kuno, G. E. Lessing als Reformator der deutschen Literatur.
TheU 1. 2.
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platonischen. Hallesche Inaugural-Dissertation.
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Piatonis libro sumpto. Hallesche Inaug.-Dissertation.
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Bibliographie
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Dr. F. Ascherson.
L Zir Encyclopldlt. ZefftchriftoiL Michel et, G. L., das System der Phi-
losophie als ezacter Wissenscnaft. 4. Bd., enthaltend die Philosophie
der Geschichte. 2. Abth. 8. Berlin, Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung,
n. 6 M. [S. ob. Bd. XV S. 563.] — v. Kirchmann, Katechismus der
Philosophie. (Weber*s illustrirte Katechismen, No. 84. 3. Aufl. 8.
Leipzig, Weber. Geb. n. 2 M. 50 Pf. — Zeitschrift für Völkerpsy-
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E Steinthal. 12. Bd. 4. Heft. 8. Berlin, Dflmmler^s Verlagsbuchh.
n. 2 M. 40 Pf.
IL Zur Getchlciiie der PhilotopMe. Uphues, K., das Wesen des Denkens
nach Piaton. 8. Landsberg a. W. , Schönrock's Verlag, n. 3 M. —
Freund, W., Cicero historicus. Cicero *s Geschichtsangaben Ober die
bedeutendsten griechischen und römischen Staatsmänner, Dichter. Histo-
riker, Philosophen, Mathematiker, Redner und Kfinstler. 8. Leipzig,
Violet. n. 2 M. — Werner, K., Johannes Duns Scotus. 8. Wien,
Braumfiller. n. 10 M. — Danzel, Th. W., und G. E. Guhrauer,
Gotthold Ephraim Lessing. Sein Leben und seine Werke. 2. Aufl.
Herausgegeben von W. v. Maltzahn und R. Bozberger. Lief. 14, 15.
8. Berlin, Th. Hofmann. *ä n. 1 M. [S. ob. S. 121.J — Fischer, K.,
G. E. Lessing als Reformator der deutschen Literatur. 2 Bde. 8.
Stuttgart, J. 6. Cotta'sche Buchh. n. 8 M., I. n. 4 M 50 Pf., II. 3. Aufl.
n. 3 M. 50 Pf. — Krause, A., populäre Darstellung von Imm. Kant*s
Kritik der reinen Vernunft. 8. Lahr, Schauenburg. n. 2 M. 40 Pf. —
Knoodt, P., Anton GĂĽnther. Eine Biographie. 2 Bde. 8. Wien,
BraomflUer. n. 12 M.
HL Zur pMlotopMtclien WeKantchauung. Reichenbach, A., die einheit-
liche Weltanschauung und die Grundzflge des menschlichen Gesellschafts-
lebens. 8. Berlin, Issleib. n. 6 M., geb. n. 7 M. 50 Pf.
IV. Zur NaittrpMIosophia. Darwin^s, Gh., gesammelte Werke. Auswahl
in 6 Bänden. Lief. 5, 6, 7, 8, 9, 10. 8. Stuttgart, Schweizerharfsche
Bnchh. ä n. 1 M. [S. ob. S. 122.] — Maxwell, J. C, Substanz und
Bewegung. Ud[)ersetzt von E. von Fleisch]. 2. Abdruck. 8. Braun-
schweig, Vieweg & Sohn. n. 1 M. 20 Pf. — Schmidt, A., zur Vivi-
sectionsfrage. Vier offene Briefe. 8. Dorpat, Karow. n. 1 M.
V. Zar Ellilk uml Culiurgetchichta. Carneri, B., Grundlegung der Ethik.
Wien, BraumfiDer. n. 9 M. — Grapengiesser, C, Sprüche aus dem
Leben fOr das Leben. 16. Dresden, v. Grumbkow. n. 3 M., geb. haar 4 M.
VI. Zur Airtiropologle md Psychologie. Archiv fOr Anthropologie. Zeit-
sdirift fĂĽr Naturgeschichte und Urgeschichte des Menschen. Heraus-
gegeben von A. Ecker und L. Lindenschmit. 13. Bd. 1 u. 2. Viertel-
186 Bibliographie.
Jahrsheft. 4. Braunschweig, Vieweg 4b Sohn. n. 18 H. — Reich, E.,
das Leben des Menschen als Individuum. 8. Berlin, Hempel. n. 7 M.
— Hagemann, 6., Psychologie. Ein Leitfaden für akademische Vor-
lesungen etc. 4. Aufl. 8. Freiburg i. Br., Herder'sche Verlagshandi.
n. 3 M. 25 Pf. — Studien, psychische. Herausgegeben und redigirt
von A. Aksakow. 8. Jahrg. 1881. 1. Heft. 8. Leipzig, Mutze. Halb-
jährlich n. 5 M. — Arbes, J., meine Forschungen im Gebiete des
Geistes. Zwei empirisch - philosophische Untersuchungen. 8. Pilsen,
Maasch. n. 1 M. 50 Pf. — Kant, L, von der Mad^t des Gemflths,
durch den blossen Vorsatz seiner krankhaften GefĂĽhle Meister zu sein.
(Haus-Bibliothek Bd. 2.) 16. Leipzig, Goldhausen, n. 20 Pf.
VII. Zur Rellglontphllotophle. Pf äff. F., Gott und die Naturgesetze. (Samm-
lung von Vorträgen, herausgegeben von W. Fromme! und F. Pfaff.
5. Bd. (10 Hefte.) Heft 1. Heidelberg, G. Winter^s Universitäts-Buchh.
Einzelpreis n. 60 Pf., Subscriptionspreis pro 10 Hefte n. 4 M. —
' Haupt. E., die pädagogische Weisheit Jesu in der allmäligen Enthül-
lung seiner Person. 8. Gütersloh, Bertelsmann n. 60 Pf. — Schnee-
mannn, G., weitere Entwickelung der thomistisch - molinistischen Gon-
troverse. Dogmengeschichtliche Studie.' 8. Freiburg i. B., Herder*sche
Verlagsbuchh. n. 3 M. 20 Pf.
VIII. Zur Pädagogik. Beiträge zum deutscheu Unterrichtswesen. 8.
Berlin, A. Kleines Verlag, n. IM. 50 Pf. — Anzeiger für die neueste
pädagogische Litteratur. Herausgegeben von H. E. Stötzner. 10. Jahrg.
1881. Nr. 1. 4. Leipzig, Klinkhardt. Halbjährlich n. 1 M. — Archiv,
pädagogisches. GentraJorgan für Erziehung und Unterricht. Heraus-
gegeben von Krumme. 23. Jahrg. 1881. (10 Nrn.) Nr. 1. 8. Stettin,
Herrcke und Lebeling. pro cplt. n. 16 M. -« Blätter, christlich-päda-
gogische, für die österreichisch-ungarische Monarchie. 4. Jahrg. 1881.
Nr. 1. 8. Wien, Steckler. pro cplt. n. 4 M. — Blätter, rheinische,
fĂĽr Erziehung und Unterricht. BegrĂĽndet von A. Diesterweg, fortge-
fĂĽhrt von W. Lange. Jahrg. 1881. (6 Hefte.) 1. Heft. 8. Frankfurt
a. M., Diesterweg. pro cplt. n. 8M. — Cornelia, Zeitschrift für häus-
Uche Erziehung, herausgegeben von G. Pilz. 35. Bd. Leipzig, Kempe.
pro cplt. 2 M. 25 Pf. — Lehrerzeitung, allgemeine deutsche. Red.:
M. Kleinert. Jahrg. 1881. Nr. 1. 4. Leipzig, Klinkhardt. Halbjährlich
n. 4 M. — Lehrerzeitung, allgemeine österreichische. Herausgege-
ben von J. Heinrich. 9. Jahrg. 1881. Nr. 1. 4. Prag, Tempsky. Vier-
teljährlich n. 2M. — Literaturblatt, pädagogisches, und Rundschau
auf dem Gebiete der Pädagogik. Herausgegeben von W. Werther. 3.
Jahrgang. (12 Hefte.) 1. Heft. 8. Berlin, Wohlgemuth's Verlagsbuch-
handlung, pro cplt. n. 4 M. — Magazin für Lehr- und Lernmittel.
Herausgegeben von G. Schröder. 5. Jahrg. 1881. (24 Nru.) Nr. 1.
4. Magdeburg, Friese. Vierteljährlich n. 1 M. — Sammelmappe,
pädagogische. Heft 48. 8. Leipzig, Siegismund und Volkening. n.
1 M. 20 Pf. Inhalt: Vorträge^ gehalten in der pädagogischen Gesell-
schaft zu Leipzig. Herausgegeben von F. Dix. [S. Bd. XVI S. 186 f.]
— Schulblatt, evangelisches, und deutsche Schulzeitung. Herausge-
geben von F. W. Dörpfeld. 25. Bd. 1881. (18 Hefte.) 1. Heft. 8.
Gütersloh. Bertelsmann, pro cplt. n. 6 M. — Schulblatt, katholi-
sches. 27. Jahrg. 1881. (8 Hefte.) 1. Heft. 8. Ober-Glogau, Han-
del, pro cplt. n. 3 M. — Schulblatt, preussisches. Jahrg. 1881.
Nr. 1. 4. Danzig, Homann's Buchh. Vierteljährlich n. 1 M. 50 Pf. —
Schulblatt fĂĽr die Provinz Brandenburg, herausgegeben von K. Bor-
mann, G. Reichhelm und Schaller. 46. Jahrg. 1881. 1. und 2. Hefl.
8. Berlin, Wiegandt unl Grieben in Gomm. pro cplt. n. 5 M. 50 Pf.
— Schulbote, süddeutscher. Eine Zeitschrift für das deutsche Schul-
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Steinkopf, pro cplt. n. 4H. — Schulfreund. Tyroler. Herausgege-
ben Von J. Fischnaler. 2. Jahrg. 1881. (IS Nrn.) Nr. 1. 8. Inns-
bruck, Wagnerische Universitäts-Buchhndlg. Vierteljährlich n. 1 M. —
Schulmann, der praktische. Archiv fĂĽr Materialien zum Unterricht
m der Real-, Borger- und Volksschule. Herausgegeben von A. Richter.
30. Bd. 1. HefL 8. Leipzig, Brandstetter. pro cplt. n. 10 M. —
Schulwochenblatt, wflrttembergisches. Red.: Burk. 33. Jahrgang.
1881. Nr. 1. 4. Stuttgart, Belser*sche Verlagsbuchhandlung, pro cplt.
n. 5 M. 90 Pf. — Schulzeitung, neue deutsche. Red.: Winkler. 11.
Jahrg. 1880. (52 Nrn.) Nr. 1. Fol. Berlin, Schwartz'sche Buchh.
Vierteljährlich n. 1 M. 50 Pf. — Schulzeitung, hannoversche. Her-
ausgegeben von H. Wanner. 17. Jahrg. 1881. (52 Nrn.) Nr. 1. 4.
Hannover, Hellwig*sche Verlagsbuchhandlung. Vierteljährlich n. 1 M.
50 Pf. — Schulzeitung, preussische. Organ des Landesvereins preus-
sischer Volafischullehrer. Herausg. von L. W. Seyffarth und W. Lahn.
19. Jahrg. 1881. (104 Nrn.) Nr. 1. 4. Oranienburg, Freyhofif. Vier-
teljährlich n. 1 M. 50 Pf. — Sc hui Zeitung, sächsische. Herausg.:
Berthelt, Heger, Lansky, Petenhann. Jahrg. 1881. Nr. 1. 4. Leipzig,
Klinkhardt. Halbjährlich n. 4 M. — Schulzeitung, schleswig-hol-
steinische, eine pädagogische Wochenschrift. Red. von A. Stolley. 29.
Jahrg. 1881. Nr. 1. 4. Flensburg, Westphalen. Vierteljährlich n. 1 M.
50 Pf . — Studien, pädagogische. Neue Folge. Herausgegeben von
W. Rein. Jahrg. 1881. (4 Hefte.) 1. Heft. 8. Leipzig, Pfeil, pro
cplt. n. 3 M. 60 Pf.; einzeln k Heft n. 1 M. — Zeitschrift, katho-
lische, fQr Erziehung und Unterricht. Herausgegeben von Veiten. 30.
Jahrg. 1881. 1. Liefg. 8. DĂĽsseldorf, Schwann'sche Verlagshandlung,
pro cplt. n. 3M. — Böhm, J., praktische Erziehungslehre för Semina-
risten und Volksschullehrer. München, Expedition des Rönigl. Central-
Schulbücher- Verlags. 8. haar 2 M. 50 Pf. — Ho ff mann, H., die Er-
ziehung zur Production, die Aufgabe der realistischen Pädagogik. 8.
Köfai, Hayer. n. 4 M.-~ Kellner, L., Erziehungsgeschichte in Skizzen
and Bildern. 3. Aufl. 3. Bd. 8. Essen , Bädeker. n. 3 M. [S. ob.
S. 124.] — Schumann, J. Gh. G., Geschieht der Pädagogik im Um-
riss. 2. Aufl. 8. Hannover, Meyer, n. 3 M. — Gras berger, L.,
Erzidiung und Unterricht im classischen Alterthum. 3. Theil. Die
Ephebenbildung oder die musische und militärische Ausbildung der grie-
chisdien und rĂźmischen JĂĽnglinge. 8. WĂĽrzburg, StahePsche Buch-
handhmg. n. 12 M. 30 Pf. — Walter, L., Bertha von Marenholtz-
Bulow in ihrer Bedeutung fĂĽr das Werk Friedrich FrĂĽbers. Ihr Leben
and ihre Schriften. 8. Dresden, Huhle. n. 1 M. 50 Pf. — Kehr, G.,
Geschichte der. Methodik des deutschen Volksschulunterrichts. 9. Heft.
8. Gotha, Thienemann. n. 2 M. [S.ob.Bd.XVIS.511.J — Schalze,G.,
Gnmdriss der Volksschul-Pädagogik. 2. Theil: System der Volksschul-
Pädagogik. 2. Aufl. 8. Rheydt. Langewiesche. ~ Zeitschrift für
das Gymnasial Wesen. Herausgegeben von W. Hirschfelder und H. Kern.
35. Jahrg. 1881. 1. Heft. 8. Berlin, Weidmännische Buchhandlung,
pro cpH. n. 20 M. — Lieven, H., die Revision des Lehrplanes der
GymnasieD des Dorpater Lehrbezirks nach ihren allgemeinen Gesichts-
punkten erörtert. 8. Riga, Kymmel's Verlag, n. 1 M. 50 Pf. — Rap-
pold, J., unser Gymnasium. Erwägungen und Vorschläge zu Methode
und Lehrplan. 8. Pichler*s Wittwe und Sohn. n. 2 M. 40 Pf. —
Menge, Gymnasium und Kunst (Jahrb. f. Philol. u. Pädagogik.) 10 11
Ton H. Blümner. — — der Kunstunterricht am Gymnasium. (Desgl.)
-7 — Einführung in die antike Kunst. (Desgl.) — Gentralorgan für
die Interessen des Realschulwesens, herausgegeben von M. Strack. 9. Jahrg.
1^1. (12 Hefte.) 1. Heft. 8. Berhn, Friedberg k Mode. Halbjähri.
u. B M. — Zeitschrift für das Realschulwesen. Herausgegeben von
188 Recensionen-Verzeichniss.
J. Kolbe, A. Bechtel und M. Kuhn. 6. Jahrg. 1881. I.Heft. 8. Wien,
Holder, pro cplt. n. 12 M. — Oesterreichs Realschule. Zeitschrift
fĂĽr den heimischen Lehrerstand. Redigirt von J. Umlauft 1. Jahrg.
1881. Nr. 1. 8. Wien, Salhnayer'sche Buchh. pro cplt. n. 8 M., halb-
jährl. n. 4 M. <^ Pf., vierteljährl. n. 2 M. 20 Pf. — Mittelschulen,
die deutsch-evangelischen, in SiebenbĂĽrgen und die denselben drohende
Gefahr. 8. Leipzig, 0. Wigand. IM. 50 Pf. — Schmidt-Rimpler, H.,
Universität und Specialistenthum. Rede. 8. Marburg, Elwert'sche Ver-
lagsbuchh. 75 Pf. — Bildungs- Verein, der, Zentralblatt fOr das
freie Fortbildungswesen in Deutschland. Red.: J. Lippert. 11. Jahrg.
1881. Nr. 1. Fol. Berlin, Gesellschaft fĂĽr Verbreitung von Volksbil-
dung. Vierteljährl n. 1 M. — Zeitschrift für weibliche Bildung in
Schule imd Haus. Herausgegeben von R. Schornstein. 9. Jahrg. 1881.
1. Heft. 8. Leipzig, Teubner. Halbjährl. n. 6 M. — Bahnen, neue.
Organ des allgemeinen deutschen Frauen- Vereins. Herausge. von L. Otto
u. A. Schmidt. Jahrg. 1881. 24 Nrn. Nr. 1. 4. Leipzig, Schäfer, pro
cplt. n. 3 M. ^ Zeitschrift fĂĽr mathematischen und naturwissen-
schaftlichen Unterricht. Herausgegeben von J. G. V. Hofi^ann. 12. Jahrg.
1881. (6 Hefte.) 1. Heft. 8. Leipzig, Teubner. pro cplt. n. 10 M. 80 Ff.
Reeensionen - Yerzeiehniss.
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Bahnsen, Realdialektik. (Gegenwart 3 v. H. Herrig.)
Bahnsen, der Widerspruch im Wissen und Wesen der Welt. (Gegra-
wart 3 V. H. Herrig; Liter. Merkur 7 v. H. Spatzier.)
Bernays, zwei Abhandlungen ĂĽber die aristotelische Theorie des Drama.
(Dtsche. Literaturztg. 4.)
Bernheim, Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie. (Grött. gel.
Anz. 51 V. A. Stern; Im neuen Reich 52; Dtsche. Literaturztg. 3 v.
H. Spitta.)
Beyersdorf, die Raumrorstellungen. (Dtsche. Literaturztg. 1881 Nr. 1
V. C. Stumpf.)
Biedermann, Philosophie der Begriffswissenschs^. 3.Thl.: Die Lebens-
weisheit. (L. G. 51.)
Binde: Das Soll und Haben der Menschheit. (L. G. 1881, 1.)
B o e t ii commentarii in Aristotelis nsgi kqu^vBiag reoensuit Meiser. (Dtsche.
Literaturztg. 1880, 11 v. H. Usener; L. G. 1881, 2.)
Brown, Science for all. (Academy 449.)
Bruni, Jordani, opera latine conscripta rec. Fiorentino« (Gott. gel. Anz.
1881, Nr. 1. 2 V. G. Sigwart.)
Budinszki, die Universität Paris. (Histor. Ztschr. N. F. 9, 2.)
Giceronis Gato maior von Lahqaeyer. 4. Aufl. (Ztschr. f. Gymnasial-
wesen 12 V. Tb. Schiebe.)
Ă–icero Gato maior von Sommerbrodt. 8. AufL (Ztschr. f. Gymnasial-
wesen 8, 12 v. Th. Schiebe.)
Giceronis Gato maior von TĂĽcking. (Ztschr: f. Gymnasialwesen 12 v.
Th. Schiebe.)
Giceronis Laelius von TĂĽcking. (Ztschr. f. Gymnasial wesen 12 v. Th.
Schiebe.)
Cicero de officiis ed. Heine. 5. Aufl. (Ztschr. f. Gymnasialwesen 12 v.
V. Th. Schiebe.)
Giceronis scripta philosophica recogn. G. F. W. MĂĽller, (Ztschr. fĂĽr
Gymnasialwesen 12 v. Th. Schiebe.)
Giceronis somnium Scipionis, erkl. von Meissner. 3. Aufl. (Ztschr. f,
Gymnasialwesen 12 v. Th. Schiebe.)
Recensionen • Verzeichniss. 189
Giceronis Tusculanarum disputationum v. Tischer-Sorof. 7. Aufl. (Ztsch.
f. Gymnasialwesen 12 v. Th. Schlehe.)
Co rasen de Posidonio Rhodio. (Ztschr. f. Gymnasialwesen 12 v. Th.
Schlehe.)
Cotterill, Peregrinus Proteus. (Dtsche. Litteraturztg. 13 â–Ľ. E. Z.)
Dessauer, Blüten und Knospen der Humanität. (Voss. Ztg. 351.)
D i e r ck s , Entwickelungsgeschichte des Geistes der Menschheit. (Voss. Ztg.,
SonntagsbeĂĽ. 61.)
Dreher, Ton nnd Wort. (Neue Berl. Musikztg. 2.)
du Prel, die Planetenbewohner u. die Nebularhypothese. (Dtsche. Lite-
raturztg. 11.)
Falckenberg, GrundzĂĽge der Philosophie des Nicolaus Gusanus. (Dtsche.
Literaturztg. 4 v. R. Eucken.)
Falke, Creschichte des modernen Geschmacks. (Gegenwart 1 v. F. Luthner.)
Fischer, Geschichte der neueren Philosophie. 1. Bid. 1. und 2. Abth.
3. Aufl. (Dtsche Literaturztg. 1881, Nr. 2 v. Z[eller].)
Frantz, Schelling's positive Philosophie. (Gegenwart 3 v. H. Herrig.)
Gierke, Johannes Althusius und die Entwickelung der naturrechtlichen
Staatstheorien. (L. G. 4.) ^
Göbel, R., über den platonischen Parmenides. (Philol. Anz. 8. 9 von
E. J. Uebhold.)
Griffith, the ABC of philosophy. (Academy 449.)
Gude, die Gesetze der Physiologie und Psychologie ĂĽber Entstehung der
Bewegungen etc. (L. G. 4.)
GĂĽdemann, Geschichte des Erziehimgswesens und derCultur der Juden.
(L. C. 51.)
Gustafs on, de Giceronis primo de finibus bonorum et malorum libro.
(Ztschr. f. Gymnasialwesen 12 v. Th. Schiebe.)
Hartfelder, die QueUen von Gicero's BĂĽchern de divinatione. (Ztschr.
f. Gymnasialwesen 12 v. Th. Schiebe.)
V. Hartmann, zur Geschichte und BegrĂĽndung des Pessimismus. (Dtsche.
Literaturztg. 4 v. F. Paulsen.)
V. Hartmann, die Krisis des Ghristenthums in der modernen Theologie.
(Liter. Merkur 6 v. H. Spatzier.)
Haym, Herder. (Prot. Kirchenztg. 51 v. O. Pfieiderer.
Heine, de ratione quae Piatoni cum poetis Graecorum intercedit. (L. G.
1881, 1.)
T. Hellwald, der vorgeschichtliche Mensch. (L. G. 4.)
T. Hellwald, Naturgeschichte des Menschen. (Literar. Merkur 7 von
Ph. Stein.)
Hirzel, Untersuchungen zu Gicero^s philosophischen Schriften. (Ztschr.
f. Gymnasialwesen 12 v. Th. Schiebe.)
Hoffmann, L., Tbier-Psycbologie. (L. G. 1881, 1.)
Hoppe, die persönliche Denkthätigkeit. (Ztschr. f. kathol. Theo!. 5, 1
V l^i^ser i
Kirchner, Ethik. (Voss. Ztg. 351.)
Kreyher. die mystischen Erscheinungen des .Seelenlebens. (Theol. Lite-
raturbL 1880, 51.)
Laas, Idealismus und Positivismus. (Dtsche. Literatu]:ztg. 3 v. A. Riehl.)
T. Leclair, der Realismus der modernen Naturwissenschaft. (Ztschr. f.
österr. Gymnasien 31, 11 v. Meinong.)
Lehmann, ĂĽber Kant's Principien der Ethik und Schopenhauer 's Be-
urtheilung derselben. (Voss. Ztg. 351; Dtsche. Literaturztg. 1861, 1.)
Liard, die neuere englische Logik. (Dtsche. Literaturztg. 5 v. Ebbinghaus.)
Lippert, der Seelencult. (Dtsche. Literaturztg. 1881, Nr. 1.)
Luthardt, die modernen Weltanschauungen und ihre praktischen Gon-
Sequenzen. (Friedensbote 10.)
190 Litteraturbericht.
Mayr, Beiträge zur Beurtheilung 6. E. Lessing^s. (Dtsche. Literaturztg.
13 V. Erich Schmidt.)
M. Mendelssohn's philosophische Schriften zur Philosophie, Aesthetik
und Apologetik von M. Brasch. (Voss. Ztg., Sonntagsbeil. 4.)
Mettauer, de Piatonis scholiorum fontibus. (Dtsche. Literaturztg. 1881,
2 V. U. V. Wilamowitz-Möllendorf.)
V. Meyer, unsere Sprachwerkzeuge und ihre Verwendung. (Dtsche. Lite-
raturztg. 12.)
Monek, an introduction of logic. (Academy 449.)
^ M. MĂĽller, Ursprung der Religion. (Gegenwart 3 y. H. Herrig.)
MĂĽnz, die Erkenntniss- und Sensationstheorie des Protagoras. (Dtsche.
Literaturztg. 12 v. E. Heitz.)
MĂĽnz, die Keime der Erkenntnisstheorie in der voirsophistischen Periode
der griechischen Philosophie. (Dtsche. Literaturztg. 12 v. E. Heitz.)
V. Oettingen, Goethe's Faust. 2. Tbl. (L. G. 51.)
Ost hoff, das physiologische und psychologische Moment in der sprach-
lichen Formbildung. (Ztschr. f. Gymnasialwesen 12 v. F. Seiler.)
Pascal, the provincial letters ed. by John de Soyres. (Academy 452 v.
Mark Pattison.)
Pesch, institutiones philosophiae naturalis. (Ztschr. f. kathol. Theol. 5,
1 V. Egger.)
P r e y e r , naturwissenschaftliche Thatsachen und Probleme. (Voss. Ztg. 27.)
Rabus, die neuesten Bestrebungen auf dem Gebiete der Logik. (L.G. 3;
Dtsche. Literaturztg. 5 v. Ebbinghaus.)
Radenhausen, Ghristenthum und Heidenthum. (Voss. Ztg. 350.)
Reich, das Leben 4es Menschen als Individuum. (Voss.* Ztg. 357.)
Rethwisch, der Begriff der Definition. (Liter. Merkur 7 y. H. Spatzier.)
Ritter, nouvelles recherches sur les Gonfessions et la correspondance
de J. J. Rousseau. (Revue crit. 3.)
Ryland, a student's handbook of psychology and ethics. (Academy 449.)
Schmitz, Matrikeln der Universität Köln. (Histor. Zeitschr. N. F. 9, 2.)
SchĂĽtz, der sogenannte Verstand der Thiere. (L. G. 1881, 1.)
Senecae dialogi ed. Vahlen. (Revue critique 52 v. E. Ghatelain.)
S e n e c a e epistulas ed. Buecheler. (Dtsche. Litteraturztg. 12 v. H. J. MĂĽller.)
V. Stein, L., die Frau auf dem socialen €rebiete. (L. G. 4.)
Steinthal, gesammelte kleine Schriften. I. (GOtt. gel. Anz. 3 von A.
Bezzenberger.)
Stern, die Philosophie und die Anthropogenie des Prof. Dr. Ernst Hae-
ekel. (L. G. 1881, 1.)
Strauss' gesammelte Schriften. (Histor. Ztschr. 45,2 v. H. Holtzmann.)
Stricker, Studien ĂĽber die Sprachvorstellungen. (L. G. 1881, 1.)
Stugau, philosophische Briefe an eine Frau. (Im neuen Reich 1881, 3.)
Taine, der Verstand. (Dtsche. Litteraturztg. 12 v. 0. Liebmann; Im
neuen Reich 3.)
Thilo, kurze pragmatische Geschichte der Philosophie. 2. Aufl. (Dtsche.
Litteraturztg. 11 v. Freudenthal.)
Scientific transcendentalism by D. M. (Academy 449.)
Tschofen, die Philosophie A. Schopenhauer *s. (L. G. 3.)
Vahlen^ adnotationes ad libellum de sublimitate. (Dtsche. Litteratur-
ztg. 11 V. V. Wilamowitz-Möllendorf.)
V o 1 k e 1 1 , Immanuel Kant's Erkenntnisstheorie. (Dtsche. Litteraturztg. 1 1
V. Vaihinger.)
Windelband, Geschichte der neueren Philosophie. Bd. 2. (Gegenwart 3
V. H. Herrig; Im neuen Reich 5 v. H. V[aihinger?].)
Witte, die Philosophie unserer Dichterheroen. (Dtsche. Litteraturztg. 13
V. E. Laas.)
Miscellen. 191
Z e 1 1 e r, Vortrage und Abhandlungen. (Histor. Ztschr. 45» 2 v. H. Holtzmann.)
Zoechbauer, zu Gicero's Böchern de divinatione. (Ztschr. f. Gymna-
sialwesen 12 y. Th. Schiebe.)
Aus Zeitsehrlfteii.
â– onatsbericht der K. Preussischen Academie delr Wissenschaften, 1880,
Sept-Oct. Gerhardt Zwei neu aufgefundene Leibnizische Manuscripte.
ftofue pMlotophique de Ja France et de T^tranger. Dir. par Th. Ribot.
Paris, G. Bailliöre et Go.^ 1881. No. 1. ' A. Fouill^e, Le n^o-kantisme
en France. I. La morale criticiste. — E. Naville, Les cons6quences phi-
lofiophiques de la physique moderne. — Herbert Spencer, III. De Tin-
tjgration politique. — Notes et documents: Descartes et la Convention
nationale. -> Analyses et comptes rendus: Fowler, Bacon^s Novum Or-
ganum with Introduction etc. — Wundt, Crehim und Seele. — Revue
des p^riodiques ^trangers : Mind. — The Journal of . speculative Philosophy.
— The Platonist. — No. 2. A. Espinas, La philosophie en £cosse
depuis le conunencement du XIII* sidcle: Premiere Periode. — Herbert
Spencer, De la diff<6renciation politique. — H. Lachelier, L'enseigne-
ment de la philosophie dans les universitös allemandes. — Analyses et
comptes rendus: Colsenet, La vie inconsciente de Tesprit. — Pompeyo
6 euer, La mort et le diable: histoire et philosophie de deux n^atiens
suprömes. — E. Krause et Gh. Darwin, Erasmus Darwin. — A. Mar ty.
Die Frage nach der geschichtlichen Entwickelung des Farbensinnes. —
Sergi, Sulla natura dei fenomeni psichici: studio di psicologia generale.
-- Mauger i, n positivismo e il rationalismo. — Revue des p^riodiques
Etrangers: La Filosofia delle scuole italiane.
La filosofia delle scuole Italiane, rivista bimestrale. Roma. Vol.
nn. 2a. F. Tocco, Filosofia diKant. — Ter. Mamiani, Sulla Psicologia
e la Critica della Gonoscenza. Quarta ed ultima lettera al prof. Seb. Tur-
biglio. — A. Ghiappelli, Del vero senso deir airkc (causa) nel Filebo
platonico. — Bibliografia: 1) F. Balsano e V. Julia. — 2) A. Valdarnini.
— 3) J. i, Hoppe. — 4) Vinc. di Giovanni. — 5) A. Pozzi. — Periodici
di FUosofia. — Vol. XXII. 3a. Francesco Bertinaria, II problema cri-
tieo esaminato dalla Filosofia trascendente. — P. D'Ercole, Le idee cos-
mologiche positive di R. Ardigo. — LuigiFerri, II Positivismo e la
Metafisiea. — Bibliografia: 1) Bonafede. — 2) Naville. — 3) Flammarion.
4) Paoli. — Notizie. — Recenti pubblicazioni.
Miscelleih
Francesco Buonamici in einem kaum mehr dem Namen nach be-
kannten Werke Ăśber die Poetik des Aristoteles unter dem Titel:
„Discorsi poetici nella accademia Fiorentina. In difesa
d'Aristotile. DelP Eccellentiss. Filosofo Messer Francesco
Buonamici. Fiorenza. MDXGVIL'
tbeilt im zweiten Ragionamento , worin delle parti essentiali della poesia
gehandelt wird, das folgende vergessene Gedicht von Petrarca mit:
192 Miscellen.
S. 28. Fondo le mie speranz* in fragil* vetro,
E* miei vani t>ensier* dipingo in aria:
Penso pur* gir* avanti, e torno a dietro
Forlun* al mio vo]er* sempre k contraria.
Face domando, e crudel guerra impetro:
Ne puoss* altro sperar* in donna varia.
Perehö Tö piü leggier* ch*al vento foglia,
E miUe volte il giorno cangia voglia.
Buonamici selbst bemerkt, dass es im Ganzoniere fehle, und gibt an, dass
er es bei einem gelehrten Freunde Lorenzo Romuleo, nach andern Dingen
suchend, entdeckte, und zwar in Musik gesetzt. Hier sind seine eigenen
Worte:
S. 27. Et io scorrendo, per altri miei affari, i canzonieri an-
tichi a* quattro, scritti da Guittone & da altri di que primi
tempi, nello studio di Lorenzo Romuleo, huopao intendente delle
lettere pulite, ne ritrovai uno in musica del Petrarca, il quale
non 6 saltato nel canzoniere, 6 perch^ di giä pubblicato,
ö pure rifiutato tla lui, per la sorte della rima, o per bassezza
del concetto, non so.
Schliesslich meint Buonamici (S. 28), Petrarca habe dieses Gedicht
vielmehr des erniedrigenden Gedankens wegen (per humiltä di sentenza),
den es zum Ausdruck bringt, als aus einem andern Grunde verworfen
und ausgeschieden: ein Schicksal, das wie Buonamici bemerkt, auch dem
andern, uns durch eine glQckliche FĂĽgung erhaltenen , Amor quando fioria*
(vgl. Rime di Petr., Mailänder Ausg. v. 1834, Vol. II., S. 72) von Seite des
strenge Selbstkritik ĂĽbenden Dichters zugedacht war. Buonamici glaubt
dies erschliessen zu dĂĽrfen aus gevrissen Aufzeichnungen Petrarca*s selbst
(ove egli notava diversi giudicij), welche sich in Händen Lodov. Beca-
delli*s, Erzbischofs von Raugia, befanden, wo das Lied ,Amor quando
fioria* vom Dichter selbst als ein „plebejisches Lied* bezeichnet war.
Sollte dieser litterarische Fund in einem philosophischen Werke nicht
fĂĽr die Leser der philosophischen Monatshefte von einigem Interesse sein?
Innsbruck. " G. S. Bar ach.
Spinoza - Ausgabe.
Das Haupt-Gomit^ fĂĽr die Errichtung eines Denkmals fĂĽr Spinoza
hat bei seiner Auflösung den Beschluss gefasst, die noch übrigen Gelder
zur Unterstützung einer neuen stattlichen Ausgabe der sämmtlichen Werke
Spinoza's zu verwenden, und hat die Herren Dr. J. van Vloten und
Prof. Dr. J. P. N. Land beauftragt, diese Ausgabe vorzubereiten.
Im Interesse der Unternehmung wird jetzt eine freundliche Bitte ge-
richtet an alle Herren Bibliothekare und Besitzer von Autographen um
Mittheilung etwaiger Hss. und Autographen Spinoza*s, damit die Ausgabe
so vollständig wie möglich erscheine.
Gef. Mittheilungen aller Art bittet man zu richten an die Verlags-
buchhandlung von Martinus Nijhoff im Haag.
Buchdruckerei von P. Nensser in Bonn.
lessing ind Ktnt
Ein kleines Gedenlcblatt
«vreig in^i {ihf jovxo yät^og natu yaXa xaXv%ff8,
Toi für &al/ioyig €iai Jiog fieyaXov &m ßiwXaf
ia&Xo{f imx^'^wioiy <pvXax9s &tftiraty dy&QtSniay,
Hesiod. Op. et D. t. 121—3.
Schwand auch schon längst die goldene iZeit dahin.
So walten ae dorch Gottes Rath hlenieden
Zum Schutz der Menschheit noch als edle Greister.
Grade sind es hundert Jahre, seit Lessing starb, und zu
gleicher Zeit Kant sein grösstes Werk, die Kritik der reinen
Vernunft vollendete*). Da erscheint es angemessen, hier mit
â–
einigen Worten, zwar ohne Ostentation und eitle Lobrednerei,
aber doch in gerechter Dankbarkeit und Verehrung an die
Verdienste beider grossen Männer zu erinnern, mögen auch
diese Verdienste noch so oft schon und viel besser hervor-
gehoben worden sein.
Wohl lassen Lessing und Kant sich untereinander
vergleichen, denn wenn auch ihre Wege sich vielfach trenn-
ten, so waren sie doch ĂĽber die letzten Ziele menschlichen
Strebens miteinander einig, und so Eigenartiges Jeder von
ihnen leistete, so lässt sich doch nicht verkennen, dass die
aus der Tiefe des Zeitbewusstseins stammende Anschauung,
welche allen ihren Geistesthaten den Stempel aufgedrĂĽckt hat,
wesentlich dieselbe ist. Beide nämlich beseelt dieselbe Idee
der energischen Selbstständigkeit der Vernunft, die sich selbst
1) Lessing starb am 15. Februar 1781, und Kants Dedication an den
Ifinister y. Zedlitx ist am 29. März desselben Jahres datirt.
PhUcNoph. KoiMtahcft«. 1881. IV o. ▼. 13
M Scbaarechinidt: LessinB und Eont.
lud an ihr altes Andere misst. Diese Vernunft scheint ihnen
lazu bestimmt, ihr inneres Wesen in beharrlichem Streben
iber das unmittelbar Gegebene hinweg freithätig zu einer
Veit geistiger Schönheit und Herrlichkeit auszuprägen, hi-
lem sie beide, jeder auf seine Art diese Grundanschaunng
oit ebenso viel Tiefsinn als logischer Schärfe in unvergfing-
ichen literarischen Schöpfungen geltend zu machen rerstan-
len, sind sie dadurch ihrem Zeitalter reformatorisch voran-
leschritten und werden allen nachfolgenden Geschleditem ein
lachahmungswerthes Vorbild bleiben.
Lessii^, den Jahren nach der jĂĽi^re, seinen Werken
lach der frĂĽhere von Beiden, hatte unsere deutsche National-
iteratur in zwax unverächtlichen, aber doch unfertigen und
inseitigen Bestrebungen befangen vorgefunden. Aus diesen
rhob er sie durch eine glĂĽckliche Vereinigung des idealen
ind des realistischen Elementes, der Kunst' mit der Natur,
ind gelai^e nach manchen Ansätzen und Versuchen lu
enem l^ttelmass des poetischen Mustertypus, nach welchem
päter noch die grossen Dioscuren von Weimar weiter bauen
oUten. Als Kunstkritiker erschloss er das Wesen der verschie-
lenen Dichtungsarten und das Vcrhältniss der Poesie überhaupt
ur Plastik und Malerei, indem er deren Grenzen und inneres
â– ebensprinzip bestimmte, blieb aber nicht bei der blossen Theorie
tehen, sondern trat zugleich selbst mit dichterischen Schöpfun-
en hervor. Insbesondere verdanken wir seinen Dramen die
rrĂĽndui^ einer deutschen SchaubĂĽhne, welcher er zur Bestim-
mung gab, das nationale Moment mit dem allgemein mensch*
eben auszugleichen. Dann aber griff er nicht minder bahn-
rechend, wie er auf dem Felde des aesthetischen Geschmacks
nd der Dichtkunst gewaltet hatte, in jenen anderen grösse-
en Kampf ein, der auf theologischem und philosophischem
lebiete zwischen der Orthodoxie und der Aufklärung schon
inger entbrannt war. Hier entfaltete er erst seine ganze
[raft. Nicht die Lust am Streit als solchen leitete ihn bei
er Theilnahme an diesem Kampf, sondern die brennende
liebe zur Wahrheit, jener unwiderstehliche Drang eines stets
ach Klarheit und Wahrheit ringenden Geistes, welcher, um
en Dingen auf den Grund zu kommen. Alles daransetzt und
Sehaanchmidt: Lessing und Kant. 195
den grossen Problemen des Daseins nachzutrachten nie mĂĽde
wird, wenn er ihnen auch nicht eine letzte Lösung abzuge-
winnen vermag. In diesem Streite hat er den aus dem Bann
verworrener Traditionen und verknöcherter Dogmen erlös-
ten reinen Geist des Christenthums, das praktische Gebot
der uneigennĂĽtzigen Liebe zu Gott und den Mitmenschen,
gegen Verächter' wie falsche Freunde siegreich behauptet, da-
bei aber zugleich des schon halb vergessenen und ganz miss-
verstandenen Spinoza Weltanschauung wieder zu Ehren ge-
bracht, ja mit HĂĽlfe des leibnizischen Individualismus zu
einer speculativea Theologie und Philosophie der Geschichte
den fruchtbaren Anstoss gegeben. War es ihm auch mit
seinen theologischen und philosophischen Arbeiten eben nur
vergönnt, in meisterhafter Polemik und sinnvollen Apercus
Keime auszustreuen, so schloss er in diese doch einen solchen
Inhalt ein, dass wir noch immer zu ihm, als zu einer leben-
digen Quelle wissenschaftlicher Gesinnung, Besonnenheit und
GrĂĽndlichkeit zurĂĽckkehren, daran wir uns nicht nur zu er-
frischen, sondern auch zu kräftigen und zu erheben im
Stande sind.
Kants Reformen, wenn sie auch, wie gesagt, im Grunde
dasselbe Ziel verfolgten oder doch von demselben Prinzip aus-
gingen, setzten doch an einem ganz andern Punkte ein. War
für Lessings thatkräftige Beweglichkeit die Poesie der Alten
und Neuem, insbesondere das Drama, der erste Tummelplatz
einer auf das poetisch Schöne gerichteten Sehnsucht ge-
wesen, so lenkte Kant seine Studien zunächst auf die ernsteste
aber zugleich universellste Naturwissenschaft, die mathema-
tische Kosmologie und Physik. Und wenn Lessings Phan-
tasie sich in der Bildung poetischer Gestalten und dramatischer
Kunstwerke gefiel, so erhob sich Kant zu jener erhabenen,
nie genug zu bewundernden Conception einer allgemeinen
Naturgeschichte des Himmels, mit welcher er, den Spuren
Newtons und Wrights folgend, die nach Laplace benannte Theo-
rie vom Bau des Weltgebäudes gründete: Allein sein eigentliches
Werk war und blieb doch immer die systematische Apalyse
des Bewusstseins ĂĽberhaupt, nicht der Ausbau einzehier
Theile der Wissenschaft. Nachdem ihn Hume's kritisches
196 Schaarschmidt: Leasing and Kant.
Unternehmen zu noch weiteren Schritten angefeuert, verliess
er die Bahn der dogmatischen Metaphysik, um jene um-
fassende, tiefgreifende Untersuchung aller Verrichtungen und
Vermögen der Vernunft anzustellen, deren Resultate er in
den drei grossen „Kritiken" niedergelegt hat. Jedermann
weiss, dass diese drei Werke, insbesondere die Kritik der
reinen Vernunft, der Speculation und dadurch der allgemei-
nen wissenschaftlichen Weltanschauung eine neue Aera er-
öfTnet haben. Zur Quelle alles Wissens zurückkehrend, deckte
Kant die Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens über-
haupt durch die Aufstellung eines Systems reiner Formen
auf, dessen nähere Begründung und Ausbildung als Erkennt-
nisstheorie seitdem eine der wesentlichsten Aufgaben der
Philosophie geblieben ist. Durch die möglichst scharfe Be-
stinunung der Schranken menschlichen Wissens hoffte Kant
den Verirrungen bisheriger Speculation, dem Skepticismus
und Dogmatismus, sowohl idealistischen (positivistischen) als
materialistischen Bekenntnisses, den Boden entzogen zu haben;
aber die menschlichen IrrthĂĽmer wachsen freilich, wie das
Unkraut auf dem Felde, immer aufs Neue nach. Nicht min-
der wichtig war, dass Kant zu dem von den Vertretern der
Wissenschaft so oft vergessenen Satz zurĂĽckkehrte, des Menschen
eigentlicher Zweck (ganz ebenso denkt Lessing) sei nicht im Er-
kennen, sondern im Handeln zu suchen. Hier nun auf dem prak-
tischen Felde zerstörte er den Irrthum der Vernünftler, — „die,
wenn sie den Determinismus mit ihren SchlĂĽssen begrĂĽnden zu
können sich einbilden, die menschliche Natur besser verstehen
woDen, als sie sich selbst versteht" — , durch den Begriff der
transscendentalen Freiheit als unbedingter Causalität des Thuns,
und führte der in immer neuen Wandlungen sich aufdrängenden
Lustlehre gegenĂĽber die Idee der Pflicht, das Prinzip des
unselbstischen, aber autonomen Handebis, in die Ethik wieder
ein. Was war dies anders, als die Vorschrift des natĂĽrlichen,
unverfälschten reinen Gewissens selbst an die Spitze der
Moral stellen ? Endlich leitete er den religiösen Glauben, dessen
Gegenstand zwar niemals logisch erwiesen und eben darum
auch niemals eigentlich erkannt werden kann, jedoch als gemein-
samer Grimd der Natur- und der moralischen Welt-Ordnung
Schaarschmidt : Lessing and Kant. 197
stets die Voraussetzung unseres Denkens bleiben muss, — er
leitete diesen Glauben als das oberste Streben der Vernunft
aus jenem so klar erkannten und so scharf bestimmten sitt-
lichen Wesen des Menschen her, um dadurch der Religion
eine Festigkeit zu geben, welche die blosse Theorie ihr niemals
geben kann. So darf man also sagen, dass durch Kant die
sittliche Enei^e der Vernunft als Freiheit zur Gesetzgeberin
der Wissenschaft wie des Lebens erklärt worden ist.
Eriticismus nannte Ean^ seine Philosophie und Lessings
Arbeiten — denkt man nun ah die Dramaturgie, an den
Laokoon oder die zahlreichen Streitschriften — haben gleich-
falls diesen kritischen Charakter. Die Wirksamkeit beider
Männer ist ein hibewegungsetzen und Anspannen der inner-
sten Triebfedern des deutschen Geistes gewesen, und wer
spĂĽrte nicht noch heutzutage diese von ihnen ausgegangene
und noch immer ausgehende Anregung wie einen lebendigen
Odem? Aber nicht auf Negation und Zersetzung war jene
ihre Kritik aus. Wie ihnen Beiden als schĂĽtzender Genius
die in frommer häuslicher Erziehung empfangene Gottesfurcht,
welche aller Weisheit Anfang ist, bei allen frrgängen mensch-
lichen Strebens zur Seite stand, so bewahrten sie mitten in
der Zeit der Aufklärung ihr Humanitätsideal vor der Ver-
flachung in das rein Weltliche, wiesen vielmehr mit ihm auf
das Ewige als den Grund und auf das Vollkommene als das
Ziel unserer Seele hin. Die Begeisterung für das Höchste war
die heilige Fackel, welche sie aus der Hand ihrer Vorgänger,
eines Elopstock, eines Leibniz empfingen, und sie machten
sie noch heller erglĂĽhen. Von diesem Enthusiasmus, diesem
unablässigen Eifer für die idealen Gäter wurden sie aus der
Sphaere des Scheins in jene W^elt echter Wirklichkeit und
Schönheit geführt, die Plato und Dante geschaut hatten und
in der Spinoza verweilt war. Aber sie sind zugleich auch zu
Lehrern, mehr noch zu Vorbildern fĂĽr die Folgezeit geworden,
und es hat sich an ihr Erscheinen eine gewaltige Bewegung,
man kann wohl sagen, Umwälzung geknüpft, in der neue Wis-
senschaften und besonders neue Methoden, neue Lebensideale
und Weltanschauungen auftauchten, vor Allem eine FĂĽlle un-
geahnter Kräfte entbunden ward. Dieser speculativen und poe^
19S Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
tisch literarischen Hochfluth ist dann freilich wieder, wie nun ein-
mal die menschlichen Dinge sind, eine schlimme Ebbe gefolgt,
in der aufs Neue das Kleine zum Grossen, das Falsche zum
Wahren gemacht und dem deutschen Geist zugemuthet
wird, als verlorener Sohn nach Vergeudung des väterlichen
Erbes zu den niedrigsten Trebern hinabzusteigen — alles
dies im Namen der Wissenschaft und des Fortschritts — aber
wer darf daran verzweifeln, dass eine neue bessere Zeit an-
brechen wird, welche, was Lessing und Kant mit hellem Blick
erfasst, mit rechtschaffiiem Muth erstrebt und in selbstver-
leugnendem Schaffen gefördert haben, aus vorhandenen Ver-
suchen und Anfängen zur vollen Wirklichkeit macht? Möge
deren Mörgenroth nicht allzulange auf sich warten lassen!
G. Schaarschmidt
Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie nnd die Windt'sehe Logik.
IIL
Der zweite Abschnitt des Wundt'schen Werkes handelt
von den Begriffen, jetzt nicht mehr als Resultaten einer
psychologischen Entwicklung, sondern als Elementen des logi-
schen Denkens. Sie sind — so wird erklärt — die Ele-
mente des logischen Denkens ; daher ihre Behandlung vor der
des Urtheils. Freilich, inwiefern ihnen jene Bedeutung zu-
komme, wie demnach diese SteDung sich rechtfertige, vermag
ich mir aus des Verf. Erörterungen nicht deutlich zu machen.
Zwar wird uns später gesagt, dass das Urtheil — von dem
ehemals nur feststand, dass es eine GesammtvorsteUung in
Bestandtheile zerlege, — zu bezeichnen sei als die „Zerlegung
des Gedankens in seine begrifflichen Bestandtheile^^; nnd
darnach könnte allerdings die Erklärung, Begriffe seien die
Elemente des Denkens, sogar selbstverständlich scheinen. Wir
erfahren aber nicht zugleich, wie der Verf. zu jener genaue-
ren Bestimmung des Urtheils komme, und wir erfahren noch
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 199
weniger, wie denn die unzähligen Erkenntnissakle, die tag-
täglich vollzogen werden, ohne dass die Begriffe darin auch
nur die mmdeste Rolle spielten, heissen mĂĽssen, wenn sie
nicht den Namen von Urtheilen tragen, nicht zum Denken hin-
zugerechnet werden, nicht als logisches Geschehen gelten sol-
len. Nur vermuthen können wir, obgleich auch diese Ver-
mathung mir jene Erklärung nicht völlig verständlich machen
wurde, es sei dem Verf. fĂĽr seine Erkenntnisstheorie der
sprachliche, also begriffliche Ausdruck des Gedankens so her-
Yorragend wesentlich, dass er das Denken, abgesehen davon,
ausser Betracht lassen wolle. Es wĂĽrde dann doch die For-
derung gelten, dass eine umfassendere Erkenntnisstheorie auch
der Erkenntniss, die nicht begrifflich ist, wissenschaftlich nach-
gehe, ja von derselben ihren Ausgang nehme.
Allen Begriffen konunen dem Verf. zufolge zwei funda-
mentale Eigenschaften zu. „Diese Eigenschaften sind: Be-
stimmtheit und AUgemeingfiltigkeit, sofern sie als Postulate
gedacht werden." Dagegen wendet sich die Untersuchung
gegen die Forderung der Begriffsallgemeinheit, sie wendet
sidi noch entschiedener gegen das Bestreben, bei Betrachtung
der Begriffe die grössere oder geringere Allgemeinheit, und
damit die Subsumtion derselben unter einander zum allbe-
herrschenden Gesichtspunkte zu machen. Ich notire den Ge-
gensatz g^en die HerrschgelĂĽste der Subsumtion als einen
der FäDe, in denen der Verf. Fehler der herkömmlichen Logik
mit Klarheit aufdeckt, ohne doch seinen Widerspruch so weit
zu treiben, als es mir im Interesse der wissenschaftlichen Er-
kenntnisslehre nöthig scheint. Wie dieses UrtheO hier An-
wendung finde, wird sich später zeigen.
Es folgt die Frage nach den abstracten Begriffen und
dem Abstractionsverfahren. Was die Einzelerörterung angeht,
so scheint mir der Vorschlag, abstracte Begriffe solche zu
nennen, denen eine adäquate repräsentative Vorstellung nicht
entspricht, deren einziges Zeichen darum das Wort bildet,
einleuchtend, die Annahme abstract-individueller und generell-
concreter Begriffe zutreffend, die Polemik gegen das vermeint-
lich durchgängige reciproke Verhältniss von Inhalt und Um-
f^ gerechtfertigt. Ich habe dagegen zunächst gegen die
900 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenniniastheorie etc.
Meinung, der Unterschied zwischen abstracten und concreten
Begriffen sei unwesentlich, des Verf. eigene Anschauung von
der Bedeutung der repräsentativen Vorstellung in*s Feld zu
führen. Wie kann ein Begriff, der der repräsentativen Vor-
stellung entbehrt — denn eine Vorstellung, die den Begriff
A nicht adäquat rspräsentirt, kann überhaupt nicht eine die-
sen bestimmten Begriff A repräsentirende Vorstellung heissen
— noch den Anspruch machen, als Begriff zu gelten, wenn
doch das Wesen des Begriffes in nichts Anderem besteht, als
in dem Bewusstsein, dass unter Voraussetzung der Geltung
einer Benennung A eine bestimmte Vorstellung Ai am Platze,
aber durch andere, ebenso bestimmte Vorstellungen As, Aa etc.
ersetzbar sei? Man nehme als Beispiel den Begriff der Ge-
rechtigkeit und suche den in jener W^eise zu vollziehen, und
man wird einsehen, dass dies nicht angeht, oder dass die
Vollziehung dieses Begriffes mit der Vollziehung «des Begriffes
des Gerechten völlig in Eins zusammenfallt: so bleibt, um
den Begriff zu constituiren , nur das Wort ĂĽbrig. Aber
das Wort ist nicht der Begriff, es hat logische Bedeutung,
nur insoweit ich im Stande bin, die Forderung, die es an
mein Vorstellen richtet, auszufĂĽhren, d. h. einen von ihm be-
zeichneten Geistesinhalt zum Bewusstsein zu bringen. Die
Forderung ist in unserem FaUe unerfĂĽllbar. Somit ist das
Wort hier ein imaginäres Begriffszeichen oder wohl richtiger
das Zeichen eines imaginären Begriffes. Ich stelle hiermit
den Begriff Gerechtigkeit nicht auf eine Stufe mit dem „höl-
zernen Eisen^^ Dieser Name ist sinnlos, die damit bezeich-
nete Vorstellung absolut unvollziehbar. Ich setze ihn aber
gleich den imaginären Begriffen der Mathematik, dem — a
und dem dx, Begriffen, die in anderer Weise imaginär als
das V — 1, darum doch durchaus imaginär heissen müssen.
Die haben das EigenthĂĽmliche, nicht absolut, aber fĂĽr sich
unvollziehbar zu sein. Sie bekommen Bedeutung im Verein
mit gewissen Ergänzungen, so das — a in der Addition 2 a — a,
dx
das d X in dem Quotienten -r. Ganz analog nun verhält es
sich mit der Gerechtigkeit. Der Begriff ist an sich nichts; er
bekommt logische Bedeutung als Determinator : der Mensch,
^ I
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkeoninissiheorie etc. ^1
der Gerechtigkeit besitzt oder ihrer entbehrt Die Zeichen-
sprache der Mathematik erlaubt unter Umstanden eine Los-
trennung und selbstständige Behandlung dessen, was begriff-
lich, d. h. in Gedanken nicht verselbstständigt werden kann.
Dasselbe gilt vom Zeichensystem der Sprache. Der Satz,
Gerechtigkeit ist Tugend, steht auf gleicher Linie mit dem
di = f(a)dy. — Es leuchtet ein, zu welchen weiteren Fragen
die Thatsache Veranlassung geben muss. Die Mathematik
muss ihre Rechnung mit imaginären Grössen mathematisch
rechtfertigen. Die Logik muss ihr entsprechendes Verfahren
ebenso logisch rechtfertigen. Die Erkenntnisstheorie vollends
hat die psychologische Erklärung für beides zu geben.
Ich meine weiter, dass des Verfassers Erörterung des
Abstractionsverfahrens nur auf einem die psychologische Er-
klärung ausschliessenden Standpunkt genügen könne. „Um
die geläufige Ansicht über das Abstractionsverfahren zu be-
richtigen, mĂĽssen wir davon ausgehen, dass jeder Begriff aus
Elementen besteht, die selbst wieder Begriffe sind und in den
verschiedensten Verhältnissen wechselseitiger Beziehung stehen
können. Sobald wir nun aus gegebenen Begriffen abstractere
bilden woUen, lösen wir bestimmte unter jenen Beziehungen
ans den Verbindungen, in denen sie sich befinden, um sie
isolirt vorzustellen. In der Regel und besonders bei den ab-
stractesten schliesst sich dann an dies analytische Verfahren als
zweite Stufe ein synthetisches an, welches in Verbindung ver-
schiedener auf diese Weise isolirter Begriffsschemata mit ein-
ander besteht, wobei die verbundenen Elemente nun wieder
die manchfaltigsten Formen wechselseitiger Beziehung dar-
stellen können.'^ Ich finde in dieser Bestimmung zunächst
eine höchst werthvolle Erkenntniss. Begriffe sind nicht Hau-
fen oder Additionen von Elementen, sondern Einheiten, in
denen Elemente auf manchfache Weise zu einander in Be-
ziehung stehen. Darum darf auch das Abstrahiren nicht als
ein blosses Subtrahiren gedacht werden. Wenn nun aber
Verii an die Stelle dieser Subtrahirung ein Auslösen, eine
Analyse und entsprechende Synthese setzt, so scheint mir
durch Einführung dieser Thätigkeitsbegriffe dem Bedürfnisse
der Beschreibung des Vorgangs auch nicht völlig genügt. Von
202 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenninisstheorie etc.
Thätigkeiten der Seele, dies habe ich schon betont, wissen
wir überhaupt nichts; was wir kennen, sind die Vorgänge,
die thatsächlichen Veränderungen der psychischen Inhalte und
ihrer VerknĂĽpfungen. Solche gilt es darum auch hier auf-
zufinden und mit aller Bestimmtheit festzustellen. Es kann
sonst nicht fehlen, dass jene Universalnamen, die Alles und
darum nichts mehr bedeuten, Missverständlichkeiten zur Folge
haben. Ich meine denn nun auch, dass dies bei des Verf.
Erörterung zutrifft. Begriffselemente werden aus ihrem Zu-
sammenhang gelöst und isolirt vorgestellt. Von diesen bei-
den Sätzen ist der erstere zu unbestimmt, der letztere ent-
hält genau genommen Unmögliches. Der Begriff des Dinges,
meint der Verf., sei zunächst hervorgegangen „aus der Los-
trennung des in zahlreichen Einzelbegriffen wiederkehrenden
Elementes einer Verbindung von Sinneswahmehmungen^^ Es
ist aber weder möglich, eine Verbindung von Sinneswahmeh-
mungen isolirt, d. h. so, dass die Mitvorstellung von Sinnes-
empflndungen selbst unterbliebe, vorzustellen, noch kann ge-
sagt werden, es verschwinde um des Abstractionsprocesses
willen irgend eine der Associationen, Verschmelzungen, die
zwischen der Verbindung von Sinneswahmehmungen einer-
seits und beliebigen anderen Vorstellungsinhalten andererseits
bestanden haben mögen. Allerdings besteht die Abstraction
in etwas, das als Loslösen und Hinzufügen bezeichnet werden
kann, aber dies muss genauer bestimmt werden als logisches
Loslösen und Hinzufügen, mit anderen Worten als Fällen
von negativen und positiven Bcnennungsurtheilen. Ich löse
die Verbindung von Sinneswahmehmungen aus, das heisst,
ich mache sie speciell zur Bedingung fĂĽr die Anwendung des
Namens Ding, komme irgendwie dazu, den Namen ĂĽberall
da fĂĽr am Platze zu halten, wo die Verbindung von Sinnes-
wahrnehmungen sich findet, gleichgĂĽltig welcher Art die Sin-
neswahrnehmungen selbst, deren Mitvorstellung ich doch nicht
vermeiden kann, sein mögen, und ihn überall da als nicht
hierher gehörig abzuweisen, wo diese Bedingung nicht erfüllt
ist; ich verbinde damit — darin besteht dem Verf. zufolge
die Synthese, die bei der Entstehung des Begriffes Ding zu
jenem Auslösen hinzukommt — die Vorstellung eines theils
Tb. Lipps: Die Auflgabe der Erkenntnisstheorie etc. 203
stetig beharrenden, theils stetig veränderlichen Complexes
von Eigenschaften, dies heisst : ich modiflcire, gleichgĂĽltig wo-
durch veranlasst, mein generelles Benennungsurtheil der Art,
dass ich den Nanien Ding auch dann fĂĽr unerlaubt halte,
wenn zwar die Verbindung von Sinneswahmehmungen vor-
handen ist, aber die stetige Beharrlichkeit oder Veränderlich-
keit der Eigenschaften fehlt. - Die Abstraction gehört in die
Lehre von der Gewinnung genereller, positiver und negativer
Urtheile, also in's Kapitel von der Induction. Dies ergibt
sich, wie ich meine, sobald man sich entschliesst, die allge-
meinen AusdrĂĽcke Analyse und Synthese auf ihren Sinn zu
prüfen, den mit ihnen bezeichneten „Thätigkeiten^^ das Miss-
trauen entgegen zu bringen, das sie sammt ihren zahllosen
Schwestern, den Thätigkeiten des Beziehens, \ßrgleichens,
Unterscheidens etc. in so reichem Maasse verdienen.
Der weitere Gang der Untersuchung zerfällt die Begriffe
in die vier Kategorien der Gegenstands-, Eigenschafts-, Zu-
stands- und Beziehungsbegriffe. Die Zustandsbegriffe vereini-'
gen in sich „die divergirenden Bedeutungen des Verbums".
Ich mache darauf aufmerksam, wie hier die RĂĽcksicht auf
die Sprache Veranlassung gibt, logisch Heterogenes zu ver-
einigen. Allerdings wird die Zusammenordnung der Zustands-
begriffe mit den Begriffen, dife ein Werden oder eine Thätig-
keit enthalten, nicht , mit dem Hinweis auf die Sprachform,
sondern ndit der Bemerkung begrĂĽndet, dass wir uns Zu-
stande als wechselnd denken. Aber diese Thatsache scheint
mir die Trennung von den constanter gedachten Eigenschaf-
ten ebensowenig zu rechtfertigen, als die Wahrnehmung, dass
Pflanzen vergehen und anderen Platz machen, die Ausschei-
dung derselben aus den Gegenstandsbegriffen rechtfertigen
wĂĽrde.
Wichtiger indessen ist eine andere Bemerkung, die sich
bei dieser Begriffseiqtheilung sofort aufdrängt. Von Gegen-
standen, Eigenschaften, Thätigkeiten, wechselnden Zustän-
den etc. wird hier gehandelt, ohne dass man doch erfahren
batte, worin das erkenntnisstheoretisch Eigenartige dieser Be-
griffe bestehe, oder durch welche logische Arbeit dieselben
in uns zu Stande kommen können. Denn dass kein Gegen-
204 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstfaeorie etc.
stand, keine Eigenschaft, keine Thätigkeit, kein Werden irgend
welcher Art in der unmittelbaren Wahrnehmung gegeben ist,
unterliegt doch wohl keinem Zweifel. Es scheint mir aber,
als könne nicht einmal die Klassification, auf die es dem Verf.
hier im Wesentlichen ankömmt, den Anspruch wissenschaft-
licher Berechtigung erheben, wofern nicht zuvor gezeigt ist,
welche Akte des beziehenden, vergleichenden, zusammenfas-
senden Denkens, welche Akte selbst des inductiven Schlies-
sens jenen Begriffen zu Grunde liegen, bezw. in ihnen ent-
halten sind.
Des Verf. Stellung zur Sprache bekunden auch die Er-
örterungen über die kategoriale Verschiebung der begriffe,
die Umformung verschiedener Begriffsformen in einander.
Zwar wird^zugegeben, dass der Wechsel der grammatischen
Kategorie nicht sofort auch den der logischen nach sich ziehe,
dass also Gerechtigk^t trotz der substantivischen Form zu-
nächst eben so gut ein Eigeaschaftsbegriff sei wie gerecht,
dennoch soll die logische Umwandlung durch den grammati-
schen Wechsel vorbereitet werden. Ich meine dagegen, Ge-
rechtigkeit sei logisch unter allen Umstanden derselbe ima^-
näre Eigenschaftsbegriff, dessen sprachliches Zeichen zwar
zum grammatischen Subject für alle möglichen Prädicate, der
aber selbst niemals zum logischen Subjecte irgend eines Prä-
dicates dienen könne. Gerechtigkeit ist Tugend, diesem Satz
entspricht eben so wenig ein denkbarer Gedanke wie dem
— 2a= — a— -a. Beide werden in gleicher Weise erst denk-
bar, wenn wir sie durch gedankliche Ergänzungen ihres ima-
ginären Charakters entkleiden. — Auch die sogenannte logische
Umwandlung der Begriffsformen ist demnach eine sprachliche,
die, immerhin der erkenntnisstheoretischen Erklärung bedürf-
tig, diese doch nur finden kann unter der Voraussetzung,
dass das Logische erst fĂĽr sich Gegenstand der Untersuchung
geworden sei.
Ich übergehe die „Begriffsverhältnisse" von der Ueber-
und Unterordnung, Disjunction u. s. w., um nur ĂĽber die
Bestimmung der negativen Begriffe eine Bemerkung zu ma-
chen. „Als negative bezeichnen wir solche Begriffe, die aas
gegebenen positiven durch die blosse HinzufĂĽgung der Ne-
Th. Lipps: Die Auf|epabe der Erkenntnisstheorie etc. f05
gation gebfldet werden/' Es ist klar, aus dem Worte schwarz
wird das Wort nichtschwarz durch Hinzufü^ung des „nicht^^
Aber entstdit der Begriff des Schwarzen, ich meine der
eigenthumlich manchfaltige Geistesinhalt, auch durch Hinzu-
fĂĽguDg eines besonderen Geistesinhaltes, Negation genannt?
Gibt es ĂĽberhaupt eine Negation ausser in Urtheilen? So
viel ich sehe, sind rein negative Begriffe ĂĽberhaupt nicht
aufzufinden; sicher darum, weil sie völtig nutzlos wären.
Aber auch hinsichtlich der partiell negativen, das nicht Ge-
rechte etc., hat die obige Bestimmung keinerlei logische Be-
deutung.'^.lch weiss, ich muss irgend ein (natĂĽrlich positives)
Etwas vorstellen, und ich darf nichts vorstellen, das den
Namen eine^ Gerechten verdient, wenn nämlich ich dem
Worte das „nicht Gerechte" genügen will. In jenem positi-
ven und diesem negativen ĂĽrtheil besteht der Hauptsache
nach der Begriff des nicht Gerechten. Und analog verhält
es sich mit den immerhin möglichen rein negativen Nicht-
Mensch, Nicht-Gerechtigkeit u. s. w. Hier erlaubt das Wort
die Vorstellung jedes beliebigen Geistesinhaltes, um bloss die
Torstellung des Menschen, der Gerechtigkeit zu untersagen.
~ Das Kapitel von den Begriffsverhältnissen schliesst der
wohhnotivirte und in Kürze näher ausgeführte Vorschlag, an
die Stelle der geometrischen Vorstellung der Begriffsverhält-
nisse durch Kreise eine solche durch gerade Linien zu setzen.
Von den Verhältnissen, „die unabhängige Begriffe zu
einander darbieten" können, werden im folgenden 4. Kapitel
die ,3eziehungen" unterschieden, in welche Begriffe dann
treten, wenn sie miter Hinzutritt einer Beziehungsform eine
Verbindung zu einem complexen Begriffe ergeben. Die Be-
ziehungen sind entweder Beziehungen der inneren oder der
äusseren Determination. Der ersteren Art ist die attributive,
wo das Attribut den Gegenstands- oder Verbalbegriff und
die objective, wo das Object den Verbalbegriff innerlich de-
tenninirt Der letzteren Art sind die locale, temporale und
con(fitionale Beziehung. Sie unterscheiden sich von der attri-
butiven und objectiven Beziehung dadurch, dass bei ihnen
die Beziehungsform nicht aus dem Inhalt der in die Bezie-
hung eintretenden Begriffe reralürt und daher eines äusseren
S06 TIl Lippn: Die Aufis^abe der Erkenntnisstlieorie eto.
Zeichens zu ihrem Ausdruck bedarf. Dass wir es hier wie-
derum wesentlich mit Grammatik zu thun haben, diese Be-
merkung drängt sich sofort auf. Der thatsächliche Unter-
schied der äusseren und inneren Determination besteht in
der Anwendung oder Nichtanwendung der Präposition.
Ich knĂĽpfe an diese Bemerkung die andere, dass es mir
völlig unthunlich scheint, die attributive temporale etc. Be-
griffsbeziehung ĂĽberhaupt mit diesem Namen zu bezeichnen.
Steht es ja fest, dass in dem Gesammtbegriff Vogel auf dem
Baume nicht der Begriff Vogel mit dem Begriff Baum in die
durch das Wort „auf* bezeichnete Beziehung tritt, sondern
lediglich die einzehien Vögel mit den einzelnen Bäumen ; wäh-
rend bei den diesen Begriffsbeziehungen unmittelbar coordi-
nirten Begriffsverhältnissen das Verhältniss (der Subsumtion etc.)
allerdings die Begriffe trifft. So könnte allgemein der durch
Determination aus zwei Begriffen entstandene complexe Be-
griff, vorausgesetzt dass a und b die unter die beiden Begriffe
fallenden Objecte bedeuten, tp (x) als Zeichen eines die Objecte
X zusammenfassenden Begriffs und f (x, y) ebenso als Zeichen
eines aus x y und ĂĽ*gend einer zwischen ihnen geknĂĽpften
Beziehung bestehenden complexen Geistesinhaltes genommen
wird, nur durch die Formel g> (f [a, b]) dargestellt, niemals
= f (9 [a], (p [b]) gesetzt werden. Der Verf. aber mĂĽsste
dem Wortlauts einer Erklärung zufolge durchaus die letztere
Formel wählen.
Der dritte Abschnitt des Werkes hat es zu thun mit dem
Urtheile. Indem ich Gesagtes nicht wiederhole und nur neben-
bei bemerke, dass mir des Verfassers Definition des UrtheĂĽs
als einer Zerlegung von Gesammtvorstellungen in ihre Be-
standtheile, abgesehen von der fehlenden Zusammengehö-
rigkeit, auch wegen des Ausdrucks „Zerlegung'^ ungeeignet
scheint, gehe ich sogleich zu Einzelbestinunungen ĂĽber. Die
beiden Bestandtheile des Urtheüs, Subject imd Prädikat, wer-
den, ohne Zweifel zutreffend, so von einander unterschieden,
dass das Subject als der constanter gedachte Begriff, das
Prädikat als die veränderlichere Vorstellung bezeichnet wird.
Nur scheinen mir die Gomparative constanter imd veränder-
licher die Sache unnöthig abzuschwächen. Dies ergibt sich,
Tb. Lippe: Die Aufgabe der Erkenntniflstheorie etc. S07
sobald man den Unterschied lo(psch schärfer formulirt, als
dies vom Verf. geschieht. Es scheint mir nämlich logischer
Weise als Prädikat nur dasjenige gelten zu können, auf das
sich der Urtheilsentscheid bezieht, als Subject nur dasjenige,
an dem er sich vollzieht. Das Subject erscheint dann noth-
wendig als das Feststehende, das eine so oder so geartete
positive oder negative Bestimmung ruhig erwartet, dessen
eigenes Vorgestelltwerden dagegen von vornherein gar nicht
in Frage kommt. — Dass beim Verf. die Frage nach dem
Verhfiltniss zwischen grammatischem und logischem Subject
zurĂĽcktritt, darf nicht Wunder nehmen. Thatsache scheint
mir, dass sich die beiden in der Mehrzahl der möglichen Fälle
nicht decken« So kann in dem Satze der Vogel ßitzt auf
dem Dache nach einander der Vogel, sitzt, auf, Dach, auf
dem Dache und sitzt auf dem Dache logisches Prädikat sein,
während grammatisch immer das „sitzt auf dem Dache" die
RoDe spielt Wir deuten in Fällen der Nichtcongruenz das
Prädikat meist durch die Betonung an. Andere Sprachen
verwenden dies Mittel sparsamer und sehen sich darum ge-
Qöthigt, in höherem Maasse auf Gongruenz bedacht zu sein:
c'est l'oiseau qui etc., c'est sur le toit que etc etc. Auf eigen-
thĂĽmfiche Weise pflegt dem sprachlichen Interesse bei Beant-
wortung der Frage nach demWerth des „ist'\ der gramma-
tischen Copula, der Subsumtionsaberglaube sich zu gesellen.
Um so wichtiger ist es, zu betonen, dass Verf. den Irr-
gangen der herkömmlichen Logik in diesem Punkte durchaus
nicht Folge leistet. Nur mĂĽsste allerdings seine Abweisung
der Herrschgeläste des „ist'S sein Hinweis auf die Vieldeu-
tigkeit dieses Wortes, durch eigentlich erkenntnisstheoretische
Behandlung der Frage an Deutlichkeit und Bestimmtheit we-
sentlich gewinnen. — Die Frage nach den analytischen und
sjmthetischen Urtheilen entscheidet der Verf., indem er bei
der Eaiit'schen Bestinunung des Analytischen bleibend, ana-
lytische Urthelle solche nennt, „in denen ein Element oder
einige Elemente, die im Subject nothwendig schon mitgedacht
wi|den müssen, zu irgend einem Zweck im Prädikat beson-
ders h^rvoi^hoben werden". Es fragt sich, wie ein Element
daza kommen kann, im Begriffe mitgedacht zu werden.
906 Th. Lipps: Die Aufgabe der ErkenntniaBtheorie etc.
worauf mit anderen Worten die Nothwendigkeit beruht. Darauf
scheint mir aber nur eine Antwort möglich. Nehme ich einem
Körper die Ausdehnung, so hört er damit nicht auf, über-
haupt denkbar zu sein, er verliert nur das Recht, sich Kör-
per zu nennen. Der Name also zwingt das Prädikat herbei
und Körper sind ausgedehnt, dies analytische Urtheil sagt
uns, unter Voraussetzung des Namens Körper müsse ich die
Eigenschaft der Ausdehnung mitdenken. So sind ĂĽberhaupt
alle analytischen Urtheile Benennungsurtheile hinsichtlich des
Subjects. Sie sind damit nicht weniger synthetisch als jedes
Urtheil ĂĽberhaupt, da nur die Erfahrung lehren kann, wel-
chen Sinn das Wort Körper dem Sprachgebrauch zufolge hat.
Da das Urtheil aus vier Elementen besteht, Subject, Prä-
dikat, VerknĂĽpfung zwischen beiden und Bewusstsein der Zu-
sammengehörigkeit, so ist es auch einer Eintheilung nach vier
Gesichtspunkten fähig. Verf. kann, da bei ihm die Zusam-
mengehörigkeit ausser Betracht bleibt, nur drei derselben an-
erkennen, hn Einzelnen unterscheidet er auf Grund der Ver-
schiedenheit der Subjecte das unbestimmte, das Einzelurtheil
und das Mehrheitsurtheil. Dass das unbestimmte Urtheil „es
blitzt" etc. nicht subjectlos sei, wird ĂĽberzeugend dargethan.
Ebenso mit Recht scheidet der Verf. die allgemeinen Urtheile
aus, obgleich ich dem Grund der Anschauung — sie seien
Relationsurtheile , welche das Verhältniss der vollständigen
Unterordnung des Subjects unter das Prädikat bezeichnen —
nicht zustimmen kann. Mir scheint die Ausscheidung nöthig,
da aUgemeine Urtheile ĂĽberhaupt nicht voUziehbare Urtheile,
sondern nur Regeln sind, unter gewissen Bedingungen ein
Urtheil unweigerlich zu vollziehen. Analoges gilt freilich auch
von den unbestimmten pluralen Urtheilen: einige A sind B,
die besagen, dass unter den mit A bezeichneten Voraus-
setzungen ein damit verbundenes B vorgestellt werden dĂĽrfe
oder sogar, wenn A gewisse, nicht ausgesprochene Ergän-
zungen erfahre, vorgestellt werden mĂĽsse. Hinsichtlich des
Prädikats werden vom Verf. erzählende, beschreibende und
erklärende Urtheile imterschi^den. Der Gesichtspunkt ist^
Wesentlichen der grammatische, der nur theilweise mit dem
logischen zusammentrifft. Die Urtheile fĂĽhren jene Namen,
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 209
je nachdem das Prädikat ein Zustands-, Eigenschafts- oder
Gegenstandsbegriflf (Verbum, Adjectivum oder Substantivum)
ist Die verschiedenen Beziehungen zwischen Subject und
Prädikat ergeben die Gattungen der Identitäts-, Subsumtions-,
Goordinations- und Äbhängigkeits- bezw. Bedingungsurtheile.
In der Erörterung derselben trägt die oben zurückgewiesene
Anschauung, der zufolge BegrifFe von Beziehungen, genauer
von hihalten, die in gewissen Beziehungen zu einander stehen,
ohne Weiteres als Beziehungen von Begriffen bezeichnet wer-
den, als f (qp[a], qp[b]) erscheint, was = 9(f[a, b]) gesetzt
werden mĂĽsste, insofern ihre FrĂĽchte, als nun jedes Urtheil
ohne Unterschied, als eine Darlegung von Begriffsverhältnissen
auftritt und dem entsprechend auch die Subsumtion eine
weit ĂĽber die Grenzen der Berechtigung gehende Bedeutung
bekommt. In der That scheint es mir Urtheile, die lediglich
Beziehungen von Begriffen aussagen, im Grunde gar nicht zu
geben und auch nicht geben zu können. Alle, die als solche
erscheinen, sind in Wirklichkeit allgemein oder imbestimmt
particulare Urtheile, also ĂĽberhaupt nicht Urtheile im eigent-
lichen Sinne, sondern Regeln fĂĽr ein Urtheilen, sprachliche
Abbreviaturen für manchfache Vorstellungsnöthigungen. Wenn
irgendwo ein Wesen dem Begriffe Wolf zugehöre, deutlicher:
wenn ihm der Name Wolf zukomme, so sei es auch zum
Begriffe Raubthier zu rechnen, deutlicher: so sei ihm auch
der Name Raubthier zuzugestehen, so scheint mir der Satz:
der Wolf ist ein Raubthier, vorausgesetzt, dass er als Aus-
sage über Begriffsverhältnisse zu gelten hat, bestimmter lauten
za mĂĽssen. Ich sage: vorausgesetzt, dass jene Meinung
besteht, denn derselbe Satz kann noch einen dreifachen andern
Sinn haben. Er kann insbesondere: 1) Wesen mit bestimm-
ten Eigenschaften a, denjenigen nämlich, die ein Recht auf
den Namen Wolf erwerben , gewisse Eigenschaften b, die-
jenigen nämlich, die durchs Wort Raubthier bezeichnet sind,
zuschreiben wollen, er kann 2) die Absicht haben, 4ben jene
Wesen unter den Begriff Raubthier zu subsumiren, deutlicher
ihnen den Namen Raubthier zu vindiciren, er kann 3) be-
haupten, man solle zum Sinne des Wortes Wolf auch
die durch den Namen Raubthier bezeichneten Eigenschaften
Philosoph. MoDAtshefte 1881, IV a. V. 14
210 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
hinzurechnen. Nur in den beiden letzten der drei Fälle hat das
Urtheil mit Begriffen überhaupt etwas zu thun, während im
ersten ein reines Thatsachenurtheil, genauer eine Regel zur
Vollziehung von Thatsachenurtheilen vorliegt. Wiederum ist
von jenen zwei Sätzen nur der erstere als Subsumtionssatz
oder wie wir, um dem unglĂĽcklich bildlichen Ausdruck aus
dem Wege zu gehen, lieber sagen wollen Benennungssatz hin-
sichtlich des Prädikats zu bezeichnen. Entsprechend kann
das Urtheil: „dies ist ein Haus^^ nur dann als Subsumtions-
urtheil gelten, wenn wirklich die Absicht ist, den aufgezeigten
Gegenstand in seinem Verhältniss zu dem eigenthümlichen
Denkgebilde, das man als Begriff des Hauses bezeichnet oder
einfacher in seiner Beziehung zu dem ebenso subjectiven Er-
zeugniss unserer Benennungsthätigkeit zu charakterisiren. Das
Urtheil kann aber ebensowohl dem Gegenstand gewisse Eigen-
schaften, nämlich diejenigen, die allgemein mit dem Namen
Haus zusammengedacht werden, zuschreiben wollen. Das
Urtheil: „der Vogel sitze auf dem Dache'^ vollends hat als
Urtheil mit Begriffen in jedem Falle nichts zu thun, geschweige
dass er ein Verhältniss dieser psychologischen Gebilde oder
der sie zusammenhaltenden Worte feststellen wollte, meint
viehnehr inrnier den Vogel und das Dach selbst. Wenn es
von jenem sagt, er sitzt auf diesem; wenn auch allerdings
der sprachliche mithin begriffliche Ausdruck dieser Beziehung
von Objecten eine gewisse Beziehung der entsprechenden Be-
griffe zur selbstverständlichen Folge hat. — Vollziehbare Ur-
theile und R^eln ĂĽber Urtheile, Aussagen ĂĽber Begriffe und
Aussagen ĂĽber Thatsachen, Subsumtion und was mit Sub-
sumtion nichts zu thun hat, alles dies darf der sprachliche
Ausdruck, so lange daraus kein praktischer Schaden erwächst,
in eines zusammenfliessen lassen, die Logik hat dann erst
recht die Aufgabe zu unterscheiden.
Wichtiger aber noch als der Umstand, dass der Verf.
diese Unterschiede theüs ausser Betracht lässt, theils nicht mit
der wĂĽnschenswerthen RĂĽcksichtslosigkeit verfolgt, scheint nur
die Bemerkung, dass die Beziehimgen zwischen Subject und
Prädikat nur angegeben und klassifidrt, nicht in ihrem Wesen
zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden. Zwar,
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 211
worin die Beziehung zwischen Vogel und Dach in dem oben
angefĂĽhrten Satze besteht, dies bedarf keiner weiteren Unter-
suchung. Wir brauchen nur die objective Wahrnehmung zu
fragen, die sie uns liefert. Bedingungen aber liefert, wie
gleichfalls kein Zweifel, diese Wahrnehmung nirgends. So
musste die Frage entstehen, was denn das Wesen dieser Be-
ziehungen ausmache, worin der Sinn der sie bezeichnenden
Worte zu suchen sei, und diese Frage musste darum s'bhon
hier entstehen, weil die Beantwortung möglicherweise das
Recht, die Bedingungsurtheile den Urtheilen, die eine räum-
liche Beziehung von Subject und Prädikat aussagen, zu coor-
diniren, illusorisch machen könnte. Es sind nämlich hinsicht-
lich des Sinnes der Abhängigkeitsbeziehungen zwei Meinungen
möglich. Der einen zufolge besteht, um gleich an einem
Beispiele zu -zeigen was ich meine, die causale Beziehimg
zwischen a und b, dem Stoss und der Bewegung des gestos-
senen Körpers, in einem Geistesinhalte, Form, inneres Band,
oder sonstwie genannt, den ich zur wahrgenommenen Auf-
einanderfolge objectiver Weise hinzufĂĽge oder ihr substituire,
der Art, dass nach der HinzufĂĽgung oder Substitution die
gedachten a und b selbst als nicht nur zeitlich, sondern
causal mit einander verknĂĽpft gedacht werden. Trifft diese
Meinung zu, findet man bei Betrachtung des Vorstellungs-
inhaltes, der den Worten: der Stoss ist Ursache der Be-
wegung, entspricht, zwischen Stoss und Bewegung oder mit
ihnen verbunden, ĂĽberhaupt auf irgend eine Weise dem objec-
tiven Vorst€|llungscomplex angehörig, ein Vorstellungselement,
das weder mit a, noch mit b, noch mit der zeiträumüchen
VerknĂĽpfung identisch, dasjenige ausmacht, das wir mit dem
Worte causales Band meinen, denn ohne Zweifel kann diese
objective Beziehung so gut wie die räumliche imd zeitliche
Gegenstand des das iVerhältniss von ^toss und Bewegung be-
treffenden Urtheils sein und der Verf. hat Recht, wenn er
das ĂĽrtheil als ein solches, dessen EigenthĂĽmlichkeit in der
besonderen Weise der Beziehung zwischen Subject und Prä-
dikat besteht, den Urtheilen über ein bloss räumliches oder
zeitliches Verhältniss zur Seite stellt. Trifft aber die Voraus-
setzung nicht zu, zeigt die innere Wahrnehmung, dass wir
912 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnigstheorie etc.
freilich das causale Verhältniss nach gewissen Gesetzen er-
zeugen, aber der Art, dass es nur eine Weise unseres, nicht
des Verhaltens der Objecte, eine Beziehung zwischen Denk-
akten, nicht zwischen gedachten Objecten sei, die wir damit
herstellen, dann gibt es zwar causale Urtheile, aber keine
Causalitäts-, allgemeiner gesprochen Abhängigkeitsurtheile,
mit andern Worten, es können dann Denkakte in ein Ver-
hältniss der Abhängigkeit gerathen, aber niemals Abhängig-
keiten der Objecte untereinander — ausser in Worten —
bejaht bezw. verneint werden. Ich nun bin der letzteren
Meinung. A ist Ursache des B, dies heisst: wenn ich A als
vorhanden annehme, so muss ich das Vorhandensein eines
(gleichzeitigen oder) darauffolgenden B gleichfalls annehmen;
und analog bei den übrigen Abhängigkeitsurtheilen. So gibt
es ĂĽberhaupt keine wahrgenonunenen und gedachten Bezie-
hungen zwischen Objecten, ausser den räumlichen und zeit-
lichen. Was sonst sich so nennt, ist Beziehung zwischen
Akten unseres Denkens oder Vorstellens.
Ich komme hier auf einen Punkt, der fĂĽr die ganze Auf-
fassung der Erkenntniss grundwesentlich ist. Ich rĂĽhrte daran
bei der Lehre von den Begriffen, ich hätte gleich da, wo
zum ersten Male von Denken und Objecten des Denkens die
Rede war, darauf aufmerksam zu machen Grund gehabt.
Denn es gibt kein Denken und kann von Objecten fĂĽr uns
keine Rede sein, ohne das Bewusstsein der Einheit imd Mehr-
heit, Bedingtheit und Nichtbedingtheit, ĂĽberhaupt solcher Be-
ziehungen, die im Denken sich knĂĽpfen, ohne dass sie doch
zwischen den Denkobjecten geknĂĽpft wĂĽrden. Freilich, dass
dem so ist, davon gibt nur die Selbstbesinnung, die Analyse
der eigenen Bewusstseinsinhalte Kunde und die nur dann,
wenn man sie so anstellt, dass dem trĂĽgerischen Einfluss der
Worte, die beständig gedeigt sind, zwischen uns imd die ob-
jectiven Bewusstseinsinhalte in die Mitte zu treten, kein Raum
bleibt. Denn dass es gelinge, einen objectiven Inhalt des
Causalitätsbegriffs anzugeben, das Wort Causalität durch
andere zu ersetzen, die mit ebensowenig Recht den Anspruch
erheben können, von Objecten etwas auszusagen, dies ist es
ja nicht, warum es sich handelt. Die Frage ist, welchen
Th. Lipps: Die Aufjer^die der Erkenntnisstheorie etc. 213
deumch auffindbaren als Causalität zu bezeichnenden Geistes-
inhalt wir bei Vollziehung des Causalitätsgedankens in uns
aufzufinden vermögen. Richten wir darauf und darauf allein
unsere Aufmerksamkeit, dann meine ich, könne kein Zweifel
bestehen, dass, was wir thatsächlich vorfinden, das Streben,
die Nöthigung, oder was sonst in Betracht kommen mag,
nicht als Prädikat der causal verbundenen Objecte, son-
dern lediglich als Zustand unseres Denkens, als Bestand-
teil, wenn man so will, unserer Persönlichkeit von uns
gewusst werde und dass wir im Ernst gar nicht daran den-
ken können, diesen Zustand unseres Ich auf Objecte zu über-
tragen.
Nicht als ob mit der Aufzeigung der subjectiven Willens-
phänomene und zeitlichen Beziehungen zwischen solchen, aus
denen sich im Wesentlichen die verschiedenen Denkbeziehungen
zusammensetzen, die Arbeit gethan wäre. Es muss auch
weiter gezeigt werden, auf welche Weise sie entstehen können
und gesetzmässig entstehen müssen. A ist Ursache des B,
dies heisst, wenn ich die oben abgegebene Erklärung in etwas
deutlicheren Worten wiederhole: meiner ĂĽeberzeugung, der
Vorstellimgsinhalt A mässe von mir an irgend einer Stelle
der objectiven Welt als gleichfalls objectiv vorhanden aner-
kannt werden, folgt die gleiche Ăśeberzeugung hinsichtlich des
B, der Art, dass damit zugleich als dritter Bewusstseinsinhalt
sich die Nöthigung verbindet, es bei der Anerkennung des B
zu belassen, falls sich nicht auch das A dem Versuch der
Wiederaufhebung und Ersetzung durch gleichgĂĽltig welches A'
fĂĽgt Aber damit ist nicht gesagt, wie A und B in dies sub-
jective Verhältniss gerathen können; es ist noch weniger er-
klärt, warum für jedes B ein solches A gefordert, für jedes
Geschehen eine Ursache angenommen werden mĂĽsse. Dass
Gewohnheit und Erfahrung dies zuwege zu bringen nicht
ausreichen, steht mir trotz Hume's geistvoll originaler und
J. St. MilVs sonderbar im Kreis sich drehender Erörterung
fest Es muss ein Denkgesetz aufgezeigt werden, das der
Allgemeinheit und Nothwendigkeit des causalen Urtheilens
imd des Urtheilens ĂĽberhaupt zu Grunde liegt und es muss
deutlich dargethan werden, wie dies Denkgesetz mit den
214 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
»
Einzelerfahrungen zusammen so merkwĂĽrdige Resultate zu er-
zielen im Stande ist. Da das Wesen der Causalität in Wil-
lensphänomenen sich darstellt, so kann diese Untersuchung
wiederum nicht geführt werden, ohne dass die Frage erörtert
wäre, wie denn Willensphänomene überhaupt entstehen oder
welche EigenthĂĽmlichkeiten des Vorstellungsverlaufes sich in
ihnen verrathen. Die Untersuchung jener Frage ergibt, dass
Causalitäts- (und Substantialitäts-) Urtheile zu Stande kom-
men durch einen psychologischen Process, dem man keinen
anderen Namen geben kann, als den des inductiven. Es
scheint mir demnach auch die Induction der EinfĂĽhrung des
Causalitäts- (Substantialitäts- und Eigenschafts-) Begriffs in
der Erkenntnisslehre zweckmässiger Weise voranzugehen.
Es gibt keine Bedingungsurtheile, diesem Satze tritt der
andere ergänzend zur Seite, dass es kein Urtheil gebe, in
dem nicht der Begriff der Bedingung Anwendung fände. In
jedem Urtheil nämlich ist das logische Subject die {im Satz
meist nur unvollkommen zum Ausdruck kommende) Bedin-
gung, unter der ich den Inhalt des Prädikats vorstellen zu
sollen mir bewusst bin. Dieser Stein fallt; sage ich so, dann
erkläre ich das Fallen nicht überhaupt, sondern (zunächst
wenigstens) nur unter der Voraussetzung, dass es das Fallen
dieses Steines sei, für thatsächlich. So bin ich mir beim er-
klärenden Urtheil Wölfe sind Raubthiere bewusst, nicht über-
haupt, sondern nur unter der Bedingung, dass der . Name
Wolf Geltung habe, Wesen als mit Raubthiereigenschaften
begabt, vorstellen zu müssen. Das Urtheil ist, so können
wir unsere ehemalige Definition modificiren, das Bewusstsein
der Nothwendigkeit eines Vorstellungsinhaltes unter Voraus-
setzung eines anderen, mit ihm in irgendwelcher Weise ver-
bundenen. Auf diesen Thatbestand bezieht sich das allge-
meinste Denkgesetz (I), das die in der Natur des mensch-
lichen Geistes gegrĂĽndete Nothwendigkeit zum Ausdruck bringt,
unter gleichen Voraussetzungen bei der Bejahung oder Ver-
neinung gleicher Vorstellungsinhalte zu beharren. Es ergibt
sich daraus direkt als specieller Fall das Gesetz der Identität
oder (wenn negativ ausgedrĂĽckt) des Widerspruchs in der
Form, die ich ihnen glaube geben zu mĂĽssen, wenn sie
Tb. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 215
wiiUich Gesetze des Denkens sein sollen ; und durch Umkehrung
der Satz: jede Veränderung hat ihre Ursache, richtiger: jeder
Uebergang von Bejahung zur Verneinung eines Vorstellungs-
inhaltes setzt eine Veränderung in den Bedingungen der ur-
sprĂĽngUchen Bejahung voraus. Fragt man weiter, wie wir
denn zu den Bedingungen einer Bejahung gelangen, so ergibt
sich, dass zunächst, d. h. von aller Induction der gesammte
objective Weltinhalt hierbei in Frage kommt. So muss das
oben angefĂĽhrte Urtheil ursprĂĽnglich lauten: hier an diesem
Stein, d. h. an diesem Object d = aßy das in den räumlichen
Beziehungen ai aa as etc. zu den Objecten Ai As Ab etc.
und ui den zeitlichen Beziehungen bi bs bs zu den Objecten
bezw. Vorgängen Bi Bs Bs sich befindet, findet das Fallen
Statt. Erfahrungen veranlassen dann allmälig eine nach der
anderen von diesen ursprĂĽnglichen Bedingungen wegzulassen
bezw. zuerst ĂĽbersehene hinzuzufĂĽgen; dann gilt jedesmal
nach (1) der Inductionsschluss, also muss unter eben diesen
Bedingungen das Fallen ĂĽberhaupt bejaht werden. Schliess-
lieh bleiben gewisse Bedingungen p q v, die nicht fehlen kön-
nen, ohne dass zugleich erfahrungsgemäss die Möglichkeit,
das Fallen zu bejahen, aufgehoben erscheint. Diese reprä-
sentiren dann die letzten, objectiven, Bedingungen fĂĽr die Be-
jahung dieses Prädikats. Selbstverständlich gilt wiederum die
V^aDgemeinerung ; wo diese Bedmgungen erfĂĽllt sind, muss
das Fallen angenommen werden : die letzten Bedingungen sind
zugleich der objective zureichende Grund der Annahme des
Geschehens. Uebertragen wn* die Nöthigung, unter den Vor-
stdlungsbedingungen pqv allgemein das Fallen mit vorzu-
stellen, auf die vorgestellten Thatsachen, so wird der Grund
znr Ursache, die subjective Beziehung zum objectiven Band;
treiben wir unsere Anthropomorphisirungslust noch weiter,
dann legen wir dem Stern ein Streben zu fallen bei, ohne
zu merken, dass wir damit doch nur die eigene Tendenz,
das Fallen vorzustellen, meinen.
Kehren wir zum Verf. zurĂĽck. Die scheinbar objectiven
Abhängigkeitsbeziehungen gelten ihm wirklich als solche. Er
stellt darum die betreffenden Sätze denjenigen, die eine that-
sächlich objective, räumliche oder zeitliehe Beziehung behaupten,
216 Th. Lipps: Die Aufgabe der ErkeDntnisstheorie etc.
ohne Weiteres zur Seite. Nichtsdestoweniger erscheinen
auch bei ihm wiederum alle Abhängigkeitsurtheile als Abhän-
gigkeiten von Urtheilen. „Das Abhängigkeitsurtheil in seiner
gewöhnlichen Form" — hier erhellt deutlich der grammatische
Gesichtspunkt — „zerfallt wie jedes Urtheil in zwei Haupt-
glieder, aber diese Glieder sind nicht einfache oder zusam-
mengesetzte Begriffe, sondern Unterurtheile, deren jedes ein
Begriffsverhältniss ausdrückt und deren eines in der ganzen
Abhängigkeitsbeziehung als das bestimmende, das andere als
das bestimmte auftritt." Ich meine dagegen, dass, objective
Abhängigkeit vorausgesetzt, das Urtheil Der Magnet zieht das
Eisen an eben so gut ein Abhängigkeitsurtheil heissen müsse,
als das andere, „weil der Weltraum von einem materieDen
Medium erfĂĽllt ist, so kann sich das Licht fortpflanzen zwi-
schen den Gestirnen". Ich meine weiter, dass alle Urtheile,
ob sie sprachlich einfach oder zusammengesetzt erscheinen
mögen, die Bejahung des Prädikats das eine Mal von einem
vorausgehenden Urtheil, das andere Mal von einem blossen
Vorstellungsakte abhängig machen können, ja dass gerade die
einfachen Urtheile, ich meine diejenigen, deren Vollziehung
nicht die Vollziehung eines anderen Urtheils voraussetzt, vor-
zugsweise häufig in hypothetisch zusammengesetzter Form
auftreten müssen. Wenn dies Heer — ich spreche absicht-
lich nicht von einem Heere ĂĽberhaupt, da dies nur eine Ur-
theils rege 1 ergäbe — geschlagen wäre, so würde es sich in
Ordnung zurĂĽckziehen ^). Dieses Urtheil sagt, wenn ich es
auf seinen eigentlichen psychischen Inhalt zurĂĽckfĂĽhre: indem
ich das betreffende Heer nur als geschlagen vorstelle, ohne
ĂĽber die GĂĽltigkeit dieser Vorstellungsverbindung einen posi-
tiven oder negativen Entscheid zu fällen, genügt schon dieser
Vorstellungsakt, um mich den Vorstellungsinhalt, den das
Wort geordneter Rückzug bezeichnet, als einen dazu gehöri-
gen empfinden zu lassen. Der Satz Das geschlagene Heer
1) Es darf billig Wunder nehmen, dass die verschiedenen, hinsichtlich
ihres logischen Charakters so weit von einander abweichenden Arten hy-
pothetischer Urtheile — wenn A ist, ist B ; angenommen A sei, so ist B ;
und: wenn A (das nicht ist) wäre, so wäre B — in der Logik so wenig
berücböchtigt zu werden pflegen.
Th. Lippe: Die An/gabe der Erkenntnisstheorie etc. 217
zog sich in Ordnung zuräck dagegen lässt ausser der Vorstel-
lung des Geschlagenseins auch den positiven Entscheid ĂĽber
ihre Geltung als eine der Bedingungen des Prädikates erschei-
nen. So sind es überhaupt ,,hypothetische*^ — ich sage nicht
die hypothetischen Urtheile, die in der Reihe der Urtheile
als die primären und ursprünglichen zu gelten haben, wo-
gegen die kategorischen, wofern sie nicht vielmehr Regeln
zu Urtheilen sind, in ihrer Bejahung oder . Verneinung jeder-
zeit durch eine anderweitige Bejahung oder Verneinung be-
dingt, also insofern speciellerer und secundärer Natur sein
werden,
Dass der Verf., nachdem er das, wie ich meine, dem
urtheile als solchem fernliegende Verhältniss der Begriffe zum
Einleitungsgrund gemacht, nun anderseits den Gegensatz zwi-
schen Bejahung und Verneinung nicht als fundamental gelten
Ifisst, kann keine Verwunderung erregen. Ebensowenig be-
fremdet, seine Definition des Urtheils vorausgesetzt, dass er
negative Urtheile nur secundäre Akte sein und jederzeit po-
sitive Urtheile voraussetzen lässt. Dagegen ist sicher, dass
weder die eine noch die andere Auffassung zu recht besteht,
wenn das Urtheil ein Entscheid sein soll. Urtheilen heisst
dann bejahen oder verneinen und ich vollziehe kein Urtheil,
so lange ich Gesammtvorstellungen bilde und in Elemente
„zerlege'^ ohne zu einem Entscheid über die logische Bedeu*
tong des Zusammenseins der Elemente zu gelangen. — Nicht
minder steht und fallt mit jener Anschauung vom Urtheil die
Bezeichnung der verneinenden und problematischen Urtheile
als Darlegungen unbestimmter Begriffsverhältnisse. Es scheint
mir aber, wenn sie fällt, die Unterscheidung der Urtheile nach
ihrer Modalität, wenn auch nicht ganz im traditionellen Sinne,
wiederum zu Ehren kommen zu müssen. Urtheile können,
was die Art des Entscheids angeht, positiv, negativ, oder in
verschiedenem Grade schwankend sein. Aber auch wenn wir
uns die Begriffsverhältnisse gefallen lassen, meine ich, müsse
das problematische Urtheil A ist vielleicht B nicht als Be-
hauptung ehies unbestimmten Verhältnisses zwischen A und
B gelten, sondern vielmehr als unbestimmte Behauptung eines
i(SSo% bestimmten, nämlich eben des Verhältnisses, das auch
218 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
im Urtheil A ist B vorliegt. — Schliesslich scheint mir auch
die RĂĽckfĂĽhrung des, problematischen Urtheils A ist vielleicht
B auf das „negativ alternirende^^ A ist B oder nicht, keines-
wegs stichhaltig. Jenen Satz, der ĂĽberhaupt kein Urtheil re-
präsentirt, sondern lediglich als Aussage über ein wechselsei-
tiges Abhängigkeitsverhältniss von Urtheüen — A ist B und
A ist nicht B — zu betrachten ist, kann ich aussprechen,
auch wenn ich nicht daran denke, diesen, der ein wirkliches
Urtheil involvirt, anzuerkennen. Jener beruht auf der That-
sache des unmittelbaren Bewusstseins, dass Bejahung und
Verneinung die einzigen Arten des logischen Verhaltens sind,
dieser besagt entweder, dass irgend ein, aber nicht zwingen-
der, Grund fĂĽr die Bejahung des B, oder dass kein zwingen-
der Grund fĂĽr seine Vememung im Bewusstsein vorliegt
Ich ĂĽbergehe die Lehre von der Umwandlung der Ur-
theile, die mir zur Hervorhebung des Gegensatzes der eigent-
lich erkenntnisstheoretisch, also psychologisch verfahrenden
und der zumal in der Begriffs- und Urtheilslehre hervorragend
auf Klassification bedachten und dabei dem rein Sprachlichen
einen dominirenden Einfluss gestattenden Logik des Verfas-
sers keine besondere Grelegenheit bietet — diese Hervorhebung
und nicht Würdigung ist ja, wie öfter betont, mein Zweck —
um nur zu bemerken, dass mir auch die Umwandlungslehre
einer erkenntnisstheoretischen BegrĂĽndung nicht entbehren zu
können scheint. Dagegen kann ich am „Algorithmus der Ur-
theilsfunctionen*' einem, wie ich meine, durch geistvolle Durch-
führung besonders hervorragenden Theile des Werkes — die
Erörterung umfasst nebenbei bemerkt 52 Seiten — nicht vor-
ĂĽber gehen, ohne zu bemerken, dass fĂĽr den Standpunkt,
auf den ich mich im Bisherigen glaubte stellen zu mĂĽssen,
der ganze logische Calcul nur ein Specialfall des mathemati-
schen sein, darum niemals umgekehrt liathematik als einen
Specialfall der Logik deuten könne. Mathematik hat mit
Grössen überhaupt, der logische Calcul mit Umfängai von
Begriffen, die er wie Grössen betrachtet, zu thun, Mathematik
operirt nĂĽt der Gleichheit, der logische Algorithmus mit der
hier einen Specialfall der Gleichheit ausmachenden Identität.
Dass trotzdem Mathematik ein Specialfall der Lc^ hassen
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie ete. 219
muss, dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, dass
der logische Calcul aus der Menge der logischen Beziehungen
nur diejenige herausgreift, die, mathematischer Behandlungs-
weise zugänglich, dennoch logisch nur die Bedeutung eines
gleichförmigen Nebenerfolges besitzt* Alle Menschen sind sterb-
lich; wer so sagt, will diese betrĂĽbende Thatsache mittheilen
und nicht von Begriffsverhältnissen, diesen gleichgültigen Er-
zeugnissen logischer Technik, etwas bestimmen. Dem logi-
schen Calcul ist eben das mit dem Aussprechen jener That-
sache zugleich geschaffene Begriffsverhältniss das einzig Werth-
Tolle. — Verhält es sich so mit der Stellung des logischen
zum mathematischen Calcul, dann liegt es im hiteresse des
ersteren, alles, was ihm der letztere Brauchbares bieten kann,
anzunehmen. Vor imaginären Begriffszeichen hätte er sich
dabei nicht allzu sehr zu scheuen, da schon die sprachlichen
Begriffszeichen zum grössten Theile den* Namen verdienen.
Insbesondere, meine ich, könne der Umkehrung der Determi-
nation ( ^ = derjenige Begriff, der durch Determination mit
<i zu M wird) und der Subtraction ein Platz im logischen
Calcul nicht verweigert werden. Die Sätze, dass Identisches
von Identischem abgezogen und durch Identisches reducirt —
unter Reduction verstehe ich eben die Umkehrung der De-
termination— Identisches ergeben, gelten ja, wie sich erwei-
sen lässt, ebensowohl, wie die entsprechenden Additions- und
Determinations - Regeln. Uebrigens muss ich gestehen, dass
meine Versuche, die vom Verfasser gestellten und nach seinen
Grundsätzen gelösten logischen Aufgaben, mit Hinzuziehung
der von ihm zurĂĽckgewiesenen Subtraction und Reduction zu
lösen, keineswegs leichter und klarer zum Ziele führten. Nur
die Darstellung der Begriffs Verhältnisse und Urtheilsregeln
schien mir entschieden an Adäquatheit und Deutlichkeit zu
gewinnen.
Der vierte Abschnitt des W^erkes enthält die Lehre von
den Schlussfolgerungen. Das Grundgesetz des Schliessens
lautet: „wenn verschiedene Urtheile durch Begriffe, die ihnen
gemeinsam angehören, in ein Verhältniss zu euiander gesetzt
sind, so stehen auch die nicht gemeinsamen Begriffe solcher
290 Th. Lipps: Die Aufgabe der ErkenntDisstheorie etc.
ürtheile in einem Verhältniss, welches in einem neuen ür-
theile seinen Ausdruck findet/^ Dass dies Gesetz fĂĽr uns,
die wir Urtheile nicht allgemein als Darlegungen von Begriffs-
Verhältnissen bezeichnen, einer wesentlichen Aenderung und
genaueren Bestimmung bedĂĽrfte, leuchtet von selbst ein.
Ebensowenig brauche ich zu sagen, dass unserm Standpunkt
zufolge die Eintheilung der SchlĂĽsse in Identitats-, Subsum-
tions-, Bedingungs- und Beziehungsschlüsse zunächst darum
nicht ohne Weiteres statthaben kann, weil allen Urtheilen
und darum auch allen SchlĂĽssen das gleiche Recht, condi-
tional zu heissen, zugestanden werden muss. Ich habe schliess-
lich auch nicht nöthig darauf aufmerksam zu machen, dass
die Verzichtleistung auf eine der Elassification vorangehende
erkenntnisstheoretische Erörterung des Identitats- (Gleichheits-)
und Bedingungsbegriffs und die nicht völlig radicale Zurück-
weisung der unberechtigten AnsprĂĽche des Subsumtionsbe-
griffes hier zum Mindesten in gleichem Masse wie beim Ur-
theil störend einwirken müssen.
So gibt es besonders unzählige Schlüsse, die dem Verf.
zufolge unter die SubsumtionsschlĂĽsse fallen mĂĽssten, obgleich
sie, ohne an Begriffsunterordnung oder Einreihung in eine
Klasse zu denken, nur gewissen Objecten ein Merkmal zu
sichern beabsichtigen. Da diese Ausdehnung des Subsum-
tionsbegriffes der Hauptsache nach die nothwendige Folge
einer schon bei Eintheilung der Urtheile zu Tage getretenen
Anschauung ist, so könnte ich hier auf nochmalige Betonung
meines entgegengesetzten Standpunktes verzichten. Es wird
aber hier häufiger als dort zur näheren Bezeichnung der Sub-
sumtion ein Ausdruck gebraucht, der diesem Begriff ein an-
deres Gepräge zu geben scheinen könnte, ich meine den Aus-
druck Unterordnung oder Einreihung in eine Klasse von
Objecten. Dass der Begriff ein Gebilde der Denktechnik
sei, das als solches keine objective Wirklichkeit besitze, dass
demnach einem Urtheil nur nachgesagt werden könne, es
wolle ein Verhältniss zu Begriffen, specieU eine BegrifFssub-
sumtion aussagen, wenn es nicht die Absicht hat, objec-
tive Thaibestände zum Bewusstsein zu bringen, konnten wir
nicht bezweifeln. Um so mehr könnte man darauf dringen,
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 221
die Einreihung eines A in eine Klasse B ein objectiv
Thatsachliches bezeichne. Indessen ich meine, die Sache ver-
halte sich hiet wie dort. Auch die Klasse ist objectiv nichts.
Sie entsteht aus den einzelnen bidividuen durch mein subjec-
ĂśYes Vergleichen, und sie wird zusammengehalten durch den
ĂĽbereinstimmenden Namen. Was davon bleibt, wenn ich
meioe Weise, die Individuen denkend und benennend zu ver-
einigen, abziehe, sind eben die einzelnen, übrigens mög-
licherweise unter sich in den manchfachsten Beziehungen
stehenden Individuen. Nur zu ihnen, den einzelnen B,
könnte das A in Beziehung gedacht werden, wenn es ob-
jectiv zur Klasse sich irgendwie verhalten sollte. Dies meint
man nicht, wenn man die Zugehörigkeit zur Klasse be-
hauptet, also kann kein ĂĽber Objecte etwas aussagendes
Urtheil ein in Klassen einfĂĽgendes Subsumtionsurtheil heis-
sen. — Man verzeihe den .Umschweif. Ich meine, es ist von
Tomherein klar, dass A gehört zur Klasse B objectiver Weise
nichts heissen kann, als A hat das Prädikat B, nur dass
dabei das Nebenurtheil, es gebe auch B, die nicht A seien,
nicht ausgeschlossen bleibt, dass mit anderen Worten die
universale Umkehrbarkeit des Urtheils nicht zugleich mit ge-
dacht wird. Nun ist das Bewusstsein der universalen Um-
kehrbarkeit eines A ist B, das Urtheil alle B sind A also,
niemals in dem A ist B selbst enthalten, muss viehnehr
jederzeit zu ihm als ein zweites Urtheil (mit B als Subject
und A als Prädikat) erst hinzukommen; folglich ist das ob-
jective Subsumtionsurtheil ein Urtheil ĂĽberhaupt, ohne irgend
welche dem Worte Subsumtion entsprechende besondere Eigen-
thĂĽinlichkeit.
Der Verf. nun sieht in Subsumtionsurtheilen, hier ent-
schiedener als bei der Urtheilslehre, auch objective Ur-
thefle. Dann muss er, so meine ich, das Subsumtionsurtheil
dem Urtheil ĂĽberhaupt und entsprechend den Subsumtions-
schluss dem Schluss ĂĽberhaupt gleich setzen, also auf den
Versach, andere SchlĂĽsse dieser Gattung zu coordiniren, ver-
zichten. Verf. thut dies nicht. Trotzdem bestimmt er schliess-
Ăźch den Subsumtionsschluss in der Weise allgemein, dass die
Bestinunung im Grunde eine Gleichsetzung von Schluss und
332 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
SubsumtioDsschluss bedeutet. Er nennt nämlicb mit dem
letzteren Namen alle SchlĂĽsse, die entweder einen einzelnen
Begriff einer allgemeinen Gattung unterordnen oder eine all-
gemeine Regel auf einen speciellen Fall anwenden. Es genĂĽgt
aber, soviel ich sehe, die letztere Angabe, um aUe denkbaren
Schlässe zu charakterisiren. Der ScUuss ist, so meine ich,
immer die Anwendung einer Regel auf einen speciellen Fall.
Selbst die vom Verf. sogenannten verificirenden Bedingungs-
schlĂĽsse, wenn A B ist, ist C D ; nun ist A B, also ist C D,
können davon keine eigentliche Ausnahme machen, da sie
nur den Grenzfall repräsentiren, in dem der specielle Fall zu-
gleich alle Fälle in sich schliesst. Das allgemeine Schema des
Schliessens lautet unter dieser Voraussetzung: W^enn A vor-
gestellt werden muss, so muss B vorgestellt werden; nun
muss A vorgestellt werden, also gilt dasselbe von B. Es
bestimmt sich dies Schema näher, je nachdem zu A oder
zu B noch irgend welche hypothetisch angenommene oder
als erfĂĽllt gedachte Bedingungen ihres Vorgestelltwerden-
müssens hinzutreten. — Dass die vom Verf. sogenannten
Identitätsurtheile — Urtheile, in denen Subject und Prädikat
sich „decken", oder deutlicher: Urtheile,- die mit dem Be-
wusstsein der universalen Umkehrbarkeit verbunden sind —
eigentlich Doppelurtheile heissen mĂĽssen, wurde schon gesagt.
Der Identitätsschluss ist* dann ebenso ein Doppelächluss, in
dem ganz wie sonst Regeln auf einzebie Fälle angewandt
werden. Alle A sind alle B, zerlegt sich in (la) alle A sind
B und (Ib) alle B sind A; ebenso alle B sind alle G in (IIa)
alle B sind C und (IIb) alle G sind B; aus la und IIa
folgt: (Illa) alle A sind G aus Ib und IIb gleicherweise
(nib) alle G sind A. Vereinigen wir Illa und III b, so ergibt
sich die identische Gonclusion, alle A sind alle G, ohne dass
ein anderes Verfahren angewandt worden wäre, als das der
Subsumtion von Fällen uhter Regeln. — Die Art, wie der
Verfasser unter den verschiedenen Identitätsschlüssen die
mathematischen Gleichungsschlüsse nur einfach mit aufzählt,
lässt von Neuem den Mangel einer Verständlichmachung des
Sinnes, den das = vertritt, bedauern. Wenn irgend etwas,
so scheint mir die Frage, worin das Wesen der mathemati-
Th. Lippe: Die Aufi^abe der Erkenntnjeetheorie etc. 9t8
sehen GleichseizuBg, das Wesen der mathematischen Grund-
operationen ĂĽberhaupt bestehe, von erkenntnisstheoretischem
Interesse.
Ich habe aber weiter gegen die Stellung, welche die
Wahrscheinlichkeits- und AnalogieschlĂĽsse beim Verf. ein-
nehmen, eine Einwendung zu machen. Sie scheinen mir der
Hauptsache nach gar nicht in die Lehre vom deductiven
Schluss — von diesem ist hier überall die Rede — zu ge-
hören, also sicher nicht den deductiven Subsumlionsschlüssen
untei^eordnet werden zu dĂĽrfen. Die Ladungen, die sich auf
dem von Kapitän M geführten Schiffe befanden, sind meist
(wenn man will, immer) durch Sturm beschädigt worden.
X hat seine Waaren dem Kapitän M anvertraut. Also wer-
den sie wahrscheinlich auf dieselbe Weise beschädigt werden.
Diesen Schluss mĂĽsste sich der Verf., obgleich er ihn nicht
anfĂĽhrt, seiner Definition zufolge gefallen lassen. M ist
meistens P, S ist M, also ist S wahrscheinlich P; so lautet
das der Definition entsprechende Schema. Trotzdem ist der
Schluss völlig unerlaubt imd es leuchtet ein, warum. Die
Beschädigung durch Sturm hat nichts mit der Person des
Kapitäns zu thun, d. h. es kann mein Bewusstsein, der Ka-
pitän M führe das Schiff, mich weder dazu zwingen, noch
in irgend welchem Grade nöthigen oder geneigt machen (ich
mfisste denn an die Fähigkeit gewisser Menschen glauben,
Sturm herbeizuzaubem) , die Vorstellung der Beschädigung
ihm anvertrauter Waaren durch Sturm zu bejahen. Es ist
mithin, wenigstens so weit ich wissenschaftlich denke, unmög-
lich, dass ich aus der Vielheit der Fälle eine unzweifelhafte
oder ehie Wahrscheinlichkeitsregel inducire. Nur dann aber,
wenn dies geschehen wäre, könnte ich — aus der Wahrschein-
lichkeitsregel, nicht aus dem Häufigkeitsurtheil — das be-
sondere Urtheil: Also wird die Ladung leiden, folgern. All-
gemeiner ausgedrückt. Aus der Vielheit der Fälle, in denen
ein M P ist, folgt fĂĽr einen neuen Fall gar nichts, absolut gar
nichts. Vielleicht aber lässt sich aus der Vielheit der Fälle,
oder richtiger aus ihrer Verschiedenartigkeit durch ein induc-
ĂĽ?es Verfahren (dessen Wesen frĂĽher angedeutet wurde) eine
Hegel gewinnen, der zufolge M in gewissem Grade zur Be-
3S4 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc.
jahung von P nöthigt, für diese Bejahung als stärkerer oder
schwächerer, vollständigerer oder weniger vollständiger Nöthi-
gungsgrund zu gelten hat, dann folgt daraus auf dem ge-
wöhnlichen Wege, dass ein bestimmtes neues M P sei und
es folgt mit eben der Wahrscheinlichkeit, die auch der Regel
zukommt. — Ebenso verhält es sich mit dem Analogieschluss.
Auch er ist in der That eine Verbindung der Induction mit
landläufiger Deduction und nichts weniger als eine Art des
einfachen Subsumtionsschlusses.
Haben Wahrscheinlichkeits- und Analogieschluss nach
dem Verf. mit Induction nichts zu thun, so theilen sich ihm
zufolge andererseits die Beziehungsschlässe — so heissen die-
jenigen Schlüsse, die „nur die Folgerung ergeben, dass zwi-
schen den in der Gonclusion durch den Mittelbegriff verbun-
denen Begriffen irgend eine Beziehung bestehe" — der Art
ins Geschäft der hiduction, dass der „Vergleichungsschluss"
der Begriffsbildung, der „Verbindungsschluss" der Generali-
sation der Thatsachen dient. Nun halte ich es für höchst
werthvoll, dass Verf. der Unterschätzung des Syllogismus
gegenĂĽber aufs Deutlichste dessen Aufgabe betont, solche Er-
kenntnisse zu ergeben, die bei der Aufstellung der Prämissen
nicht gedient haben, also neue Erkenntnisse zuwege zu brin-
gen. Ich meine aber, dass eben dann die „Beziehungsschlüsse",
wenigstens in ihrer einfachen Form, durchaus nicht SchlĂĽsse
heissen dĂĽrfen. Aus den beiden Urtheilen : A hat das Merk-
mal M und B hat das Merkmal M, folgt zunächst nicht die
Erkenntniss, dass A und B ein ĂĽbereinstimmendes Merkmal
haben oder irgendwie sich gleichen. Vielmehr setzt die Ent-
stehung des Gleichheits- oder Uebereinstimmungsbegriffs voraus,
dass ich in einem Denkakt das eine M sowohl hiosichtlich
des A als hinsichtlich des B bejahe, oder bestimmter, es be-
steht der Sinn jener Worte eben in dieser subjectiven That-
Sache der gleichzeitigen Doppelbejahung eines Inhaltes,
ebenso wie die Verschiedenheit in nichts Anderem als in der
Vereinigung von Bejahung und Verneinung an dem einen
M ihr Wesen hat. Habe ich aber die A M und B M in
A\
solcher Weise in ein g J^M verwandelt, dann ist es nichts
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisstheorie etc. 225
als die Constatirung dieser die Objecte unberĂĽhrt lassenden
und zum Inhalt der Prämissen nichts Neues hinzufügenden
subjectiven Weise Urtheile A M und B M in Verbindung zu
bringen, wenn ich sage: A und B sind gemeinsam M, oder
A stimmt mit B hinsichtlich M ĂĽberein und es ist nichts, als
eine unbestimmtere Formulirung desselben subjectiven That-
bestandes, wenn ich sage: A und B stimmen ĂĽberhaupt
ii^endwie ĂĽberein. Eine neue Erkenntniss hinsichtlich der
Objecte A und B ist darin nicht enthalten. Indessen ist offen-
bar des Verf. Meinung, wenn nicht aus A M und B M, so
doch aus dem complicirteren A ist Mi, Ms, Ms etc. und B
ist Ml, Ms, Ms etc. die Einsicht folgen zu lassen, also stim-
men A und B ĂĽberhaupt ĂĽberein, d. h. die beiden haben
auch sonstige Merkmale gemein. Dann habe ich dagegen zu
bemerken, was ich in anderer Form schon gesagt habe, dass
aus der Vielheit der M, die A und B gemein sein mögen, für
die Gemeinsamkeit eines neuen M = Mk an sich gar nichts
folgt, dass vielmehr fĂĽr diese Gemeinsamkeit nur etwas er-
schlossen werden kann unter der Voraussetzung, es bestehe
zwischen jenem M und diesem MkCine nothwendige Beziehung,
die sich in einer Regel, wo Mi, Ms, Ms etc. ist, da ist (sicher
oder wahrscheinlich), auch Mk, aussprechen lasse. Nun ent-
steht jene Regel durch Induction, ich meine die Induction,.
die vom Verfahren der Deduction absolut verschieden ist, es
entsteht andererseits die Ueberzeugung, also haben auch A
und B das weitere gemeinsame Merkmal Mk, aus jener Regel
durch gewöhnliche Deduction. Mithin ist der Vergleichungs-
schluss wie der Schluss der Wahrscheinlichkeit und Analogie
(von welch letzterem ich ihn freilich gar nicht zu unterschei-
den weiss)' eine Vereinigung der beiden ^chlussarten und
nicht ein Inductionsschluss, der als solcher eine Art der De-
duction oder ein Deductionsschluss, der um seiner besondern
EigenthĂĽmlichkeit willen eine Induction heissen mĂĽsste. Im
Gnmd gibt dies der Verfasser selbst zu, wenn er gelegentlich
verlangt, dass die M, aus denen eine Uebereinstimmung der
A und B ĂĽberhaupt folgen solle, charakteristische Merkmale
oder Merkmale von allgemeinerer Bedeutung seien. Denn
dies heisst nichts, als sie mĂĽssen Merkmale sein, die eine
PhiloMph. XonaUhefte 1881. IV a. V. 15
226 Th. Lipps: Die Auf|;abe der Erkenntnisstheorie etc.
Regel, wo Ml, Ms, Ms vorhanden sind, sind auch weiteres M
vorhanden, erlauben. Es fragt sich dann nur noch, wie diese
Regel zu Stande kommen kann. — Einfacher steht die Sache
bei den „Verbindungsschlässen^\ die den (nothwendigen) Zu-
sammenhang zweier Erscheinungen aus der Vielheit der Fälle,
in denen sie gemeinsam zu Tage treten, folgern sollen. Hier
ist es eben die Nothwendigkeit des Zusammenhangs der Er-
scheinungen, die nicht aus der Vielheit der Fälle ohne Wei-
teres erfolgt, wohl aber möglicherweise aus ihrer Verschieden-
artigkeit durch ein inductives Verfahren, das Wort in unserm
Sinne genommen, gewonnen werden kann.
Man sieht, worum es sich handelt. Um nichts mehr und
nichts weniger, als die Frage, ob Induction etwas ganz Eigen-
artiges sei, oder ob sie auf eine Art von Deductionsschluss
sich zurĂĽckfĂĽhren lasse. Der Verf. versucht dieses. Ich bin
ganz und gar jener Meinung. Es gibt, so scheint mir, keine
Induction, also keine Verallgemeinerung, keine Erkenntniss,
die irgendwie ĂĽber das wahrgenommene Einzelfaktum hinaus-
geht, oder sie beruht auf dem Satz, dass unter gleichen (voll-
ständigen) Bedingungen durchweg Gleiches bejaht oder ver-
neint werden mĂĽsse, auf dem Satze also, den ich das Denk-
gesetz nannte, weil ich die ĂĽbrigen aus ihm ableitbar glaube.
Indem ich die Erörterung der „Schlusskette" und des
„Algorithmus des Schliessens" übergehe, schliesse ich mit
jener Bemerkung überhaupt gegenwärtigen (vorletzten) Ab-
schnitt meines Aufsatzes.
Bonn. Th. Lipps.
E. Ton Hartmann: Bahn9en*8 Realdialektik. 991
Bahnsen'» Realdialektik ^).
Von
Eduard von Hartmann.
Die frĂĽheren Schriften Bahnsen's stellten mehr oder
minder Parerga eines eigenartigen philosophischen Standpunktes
dar, dem eine zusammenhängende Skizzirung ebenso wie eine
systematische Grundlegung gebrach, und der in seiner para-
doxen Originalität dem Verständniss sich um so weniger leicht
erschloss, als die ungewöhnliche Schreibweise des Verf. die
sachlichen Schwierigkeiten noch erhöhte. Bei dieser Sachlage
dĂĽrfte die kritische Darstellung dieses Standpunktes, welche
ich in früheren VerölBfentlichungen *) versucht habe, wesent-
lich dazu beigetragen haben, dem In- und Ausland den Na-
men B.'s bekannt zu machen, das Verständniss seiner Inten-
tionen zu erleichtern und durch beides seinen Schriften Ein-
gang zu verschaffen. Dass ich die Bedeutung B.'s und seiner
Stellung in der Geschichte der Philosophie überschätzt habe,
hat man mir öfters zum Vorwurf gemacht — Hellenbach®)
nennt meine Darstellung gradezu eine möglichst idealisirte — ;
dass irgend Jemand die ihm von mir gezollte Anerkennung
zu gering gefunden hätte, davon ist mir nichts zu Ohren ge-
kommen. Nur B. selbst ist anderer Meinung und sieht in
1) Der Widerspruch im Wissen und Wesen der Welt. Princip und
Emzelbewfthnmg der Realdialektik. Von Dr. Julius Bahnsen. Bd. I,
Berlin bei Th. Grieben. 1880. XXII u. 462 Seiten.
2) Phil. Monatshefte 1870 Bd. lY Nr. 5 S. 378—408; Die Gegenwart
1876 Nr. 28, 30 u. 32; Unsere Zeit 1876 Nr. 21-22 S. 641-655, 767-783;
letzterer Aufsatz erschien auch in französischer Uebersetzung in der Re-
▼Qe philosopbique und in spanischer in der Revista contemporänea.
ABe diese journalistischen Aufsätze sind zusammengefügt in meinem Werk :
»Senkantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus* (Berlin 1877)
S. 11-14, 31—38, 175-257.
3) Der IndiTidualismus im Lichte der Biologie und Philosophie der
Gegenwart (Wien 1878) S. 160—161. Vgl. auchO.Plumacher: Zwei Indi-
Tidualisten der Schopenhauerschen Schule (Wien 1881) S. 4—5.
228 E. Ton Hartmann: Bahnsen^s Realdialektik.
meiner Darstellung ein „Zerrbild*^ seiner Philosophie, ein
meuchlerisches Attentat auf sein noch neugeborenes System
(S. VIII u. 47 seines neuen Werks); — wie dem auch sei,
er kann meiner Kritik die Anerkennung nicht versagen, dass
sie ihn gespornt, das Versäumte nachzuholen imd mit um so
strammer geschnalltem Schwertgurt vor die feindliche Front
zu treten (S. Vni).
Wenn B. sich inzwischen zu persönlichen AngriflTen gegen
mich hat hinreissen lassen, die er selbst als „übelriechend'^
bezeichnen musste^), so wird man kaum den normalen Be-
urtheilungsmassstab an die Ausfälle eines Mannes anlegen
dürfen, der sich „von allen Seiten mit hämischen Verleum-
dungen gezwickt und gezwackt" wähnt (S. VII). Immerhin
wĂĽrden diese beleidigenden Angriffe, welche ĂĽbrigens von
verschiedenen Seiten hinlängliche Zurückweisung erfahren
haben"), mir das volle Recht geben, die vorliegende Fort-
setzung der B.'schen Polemik gegen mich zu ignoriren; wenn
ich gleichwohl im Interesse der Sache den Faden eines lang-
jährigen Dialog's aufnehme, so glaube ich damit den stärk-
sten Belag zu dem Urtheil Max Schneidewin's ') zu liefern, dass
bei mir die Empfänglichkeit für das Persönliche und Nicht-
sachliche in der fremden Beurtheilung ĂĽberwunden sei. Da
jedoch die Klage, von mir mit hämischer Tücke verfolgt zu
sein, sich wie ein rother Faden durch B.'s Buch hindurch-
zieht, so glaube ich der Situation in soweit Rechnung tragen
zu sollen, dass ich mich auf eine rein sachliche Erörterung
beschränke und mich jedes Urtheils über den formalen Werth
dieser jĂĽngsten Leistung enthalte, um jener grundlosen Ein-
bildung nicht mehr Nahrung zuzufĂĽhren, als dies - auch bei
der sachlichsten Kritik einem Manne gegenĂĽber unvermeid-
lich ist, der das Hauptoperationsmittel der Kritik, die reductio
ad absurdum, persönlich übelninunt. Und doch dürfte seinem
Princip nach Niemand weniger empfindlich hiergegen sein als
1) Jenaer Literatur-Zeitung 1878 Nr. 23.
2) Jenaer Lit.-Ztg. 1878 Nr. 30 (ErUftrung des Dr. med. Venu);
Zeitschr. fĂĽr Phil, und phU. Krit. Bd. 74 S.272 (Prof.J. Rehmke); Unsere
Zeit 1879 Nr. 5 S. 328-329 (0. Plumacher).
3) Die homerische NaiviUt (Hameln 1878) S. 238.
ÂŁ. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik. 229
der Realdialektiker; denn wer „in sich selber den Widc|r-
spnich aufgenommen und verwunden hat, ist gegen einseitig
logische Insulten so unverwundbar und aller nicht selber
dialektischen Kritik gegenĂĽber so gefeit, wie der Giftesser
gegen Wirkungen, welche fĂĽr jeden nicht gleicherweise hn-
prägnirten absolut tödtlich sind*^ (229). Dieses Bewusstsein
der „Unverwundbarkeit" müsste doch, wenn irgend etwas,
im Stande sein, jene „Furchtlosigkeit" zu erzeugen, welche,
auch ohne grade in Verachtung auszumünden, „in die Kühle
einer Atmosphäre hinaufhebt, wo man weder grob noch
pathetisch wird" (182); leider hat B. es vorgezogen, einen
persönlichen Belag zu seinem Satze zu liefern: „nichts bringt
leichter und gewisser auf, als die Gelassenheit, welche
uns entgegentritt, wo wir das Gegentheil meinten erwarten
zu müssen" (57—58).
1. Hegel'sche und Bahnsen'sche Dialektik.
B. bekennt, dass seine Realdialektik nicht die Vernunft
sondern die Herzensnoth zur Hebeamme gehabt, die Herzens-
noth des Individualwesens, „seiner selbst als eines Goncre-
ments unvereinbaren Zusammens von Ja und Nein" inne zu
werden; er fügt aber hinzu, dass diesem „praktischen hnpuls
individuell subjectiven Erlebens" sich alsbald theoretische Mo-
tive hinzugesellen (S. 10—11). „Sie war ursprünglich ange-
regt durch die Wahrnehmung von der Negativität des Welt-
charakters; an diesen quasi-HegeFschen Kern hatte sich erst
späterhin die Schopenhauer'sche Willenslehre herumkrystaUi-
sirt, zur todten Abstraction das lebendige Beweismaterial lie-
fernd" (199). Hiemach wird zur geschichtlichen Orientirung
vor Allem ein Vergleich zwischen Hegel's und B.*s Dialektik
erforderlich sein, undB. selbst bemĂĽht sich an vielen Stellen,
diesen Unterschied klar zu machen, „weil er nicht in die
Lage kommen möchte, sich zurückziehen zu müssen vor Schreck-
schĂĽssen, wie man sie den Vertretern der HegeVschen Dia-
lektik mit bestem Erfolge aus der Pistole der Logik entgegen-
feuem kann" (4). Die Unterschiede, welche B. angibt, lassen
äch in vier Gruppen sondern.
230 ÂŁ. von Hartmann: Babnsen^s Realdialektik.
a) Hegel's Dialektik soll blosse Verbaldialektik, diejenige
B.'s Realdialektik sein, die erstere blos die ,Jldethode*^ in
der Fortbewegung des Begriffs, die letztere die Form des
realen Weltprocesses, das in den Dingen selber waltende Ge-
setz darstellen (S. 1, 242). Dies ist nun entschieden unrich-
tig, und der Ausdruck „Verbaldialektik*' von vornherein irre-
leitend. Worte ohne Begriflfe will Hegel am wenigsten geben,
seine Dialektik ist also BegrifTsdialektik und bewegt sich
nur in Worten, wie diejenige B.'s es auch muss. Aber auch
als Begriffsdialektik will sie nicht ein unwirkliches, ideales oder
subjectives Gedankenspiel sein, sondern das subjective Abbild
des realen Weltprocesses, das zugleich dessen ideales UrbQd
repräsentirt. Auch bei B. zwingt die realdialektische Reali-
tät dazu, zu einander wechelsweise aufhebenden Worten zu
greifen und durch bewusste contradictio in adjecto den mög-
lichst adäquaten sprachlichen Ausdruck für die Wahrheit zu
gewinnen (45) ; auch B. glaubt, ebenso wie Hegel, die Wahr-
heit erst durch die Einheit des Sowohl- Alsauch und Weder-
Noch zu erreichen und behauptet ohne Grund, dass Hegel
sich mit dem einseitigen Sowohl- Alsauch begnĂĽge (229). Auch
bei Hegel ist der Widerspruch „der absolute Eerngehalt des
Seienden** (S. 1) und die Negativität der Antithesis die Trieb-
feder sowohl des realen wie des gedanklichen Processes; in
der ĂĽeberwindung des Widerspruchs durch die Synthesis
bleibt derselbe bei Hegel ebenso in gewisser Weise als auf-
gehobenes Moment conservirt, wie er bei B. in der realen
Goincidenz der Gegensätze in gewisser Weise aufgehoben
wird, und bei beiden bricht der Widerspruch nach jeder sol-
chen momentanen Ăśeberwindung als unĂĽberwindliches Prin-
cip der Negativität neu hervor, weil sonst der Process er-
löschen würde. B. räumt ein, dass der Widerspruch, wenn
er in der Sache steckt, auch in deren gedanklicher Darstel-
lung zum Ausdruck kommen muss (198), dass die wider-
spruchsvolle Essenz sich sowohl sachlich wie begrifflich
in dialektischer Gestalt documentiren muss (250 — 251), dass
die Realdialektik allein „auf dem Boden des Denkens das-
selbe Umschlagen entgegengesetzter Factoren in einander
ehrlich und widerstandslos durchmacht, welches sich auch
EL Yon Hartmaim: Bahnsen's Realdialektik. 231
in der objectiven Wirklichkeit vollzieht" (343). Hiermit
ist zugestanden, dass B.'s Realdialektik ihrem Prindp nach
ebensogut zugleich Begriffs- oder Gedankendialektik ist, wie
die Hegel'sche Begriffsdialektik ihrem Princip nach zugleich
Realdialektik ist und sein wQl. •
b) Hegel's Dialektik wQl das Seiende begrifflich construi-
ren, B.'s Dialektik will receptiver Empirismus sein (33).
Erstere verlangt, dass das Sein sich nach ihrem Denken richte,
letztere entnimmt ihre eigenen Maassstabe lieber jenem als
diesem (104 — 105) und corrigirt in Collisionsfallen die Logik
des Denkens durch die Dialektik des Seienden (107). Diese
Formulirung klingt schon eher- haltbar, sie ist es aber auch
nicht Hegel geht davon aus, dass die Gesetze des Seins
und Denkens identisch seien, dass das Sein der Ausdruck
eines objectiven Denkens sei, und dass das subjective Denken
als reines Denken mit dem objectiven zusammenfalle, also
zur selbstthätigen Reconstruction des Seienden befähigt sei;
da aber diese Prämissen irrthumlich oder ungenau sind, so
macht er thatsächlich überall von der Aufnahme empirischen
Materials Gebrauch und entlehnt den besten und relativ
haltbarsten Theil seiner Begriffsdialektik a posteriori aus der
gegebenen Wirklichkeit. Er thut also unbeschadet seiner
abweichenden Prätensionen praktisch und faktisch genau das-
selbe wie B. Dieser trägt dem äusseren Gebahren nach als
Sohn einer anderen Zeit dem empiristischen Zeitgeist Rech-
nung und behauptet nomineU, sich auf das „aufzeigende Nach-
' weisen", auf die „descriptive Präsentation" der realen Wider-
spräche zu beschränken (28); aber in Wirklichkeit stellt sich
die Sache ganz anders. Wir werden sehen, wie alle Versuche
B.'s, die Realdialektik auf diesem Wege zu erhärten, ihm
unter der Hand zerrinnen und ihm nichts als das GefĂĽhl der
Unächerheit und der Unhaltbarkeit dieser phänomenal-empi-
rischen Position übrig lassen; der Realdialektiker muss „aus
dem Phänomenalen in's Metaphysische vordringen, um
die eigentliche Sphäre seines Forschungs- und Ärgumen-
tations-Gebiets zu betreten" (263). So hat denn auch B.'s
Realdialektik ihre eigentliche Sphäre erst in der dännen
Luft metaphysischer Abstractionen (wie z« B. vis essendi und
232 E. von Hartmann: Bahnsen's RealdialektiL
potentia existendi), und es ist schliesslich nichts als die sub-
jective Gedankendialektik dieser speculativen metaphysischen
Begriffe, was den Anspruch erhebt, die wahre Grundlage fĂĽr
das metaphysische Verstandniss der Welt zu bieten und dem
Prozess des Wirklichen seine unĂĽberschreitbaren Grundgesetze
zu dictiren. Nicht Jeder vermag dies, da die meisten Leute
logisch denken und deshalb der widerspruchsvollen Natur
des Seienden nicht gerecht zu werden vermögen; wer aber
wie B. dahin gelangt ist, die angeborenen logischen Prädispo-
sitionen seines Gehirns der realdialektischen Accommodation
des Denkens an die Wirklichkeit unterzuordnen und so weit
als nöthig zum Opfer zu bringen, den hindert nichts mehr
daran, sein Denken im vollen Einklang mit Wirklichkeit zu
wissen (202 — 203), und deshalb den positivistischen Empiris-
mus der blos phänomenalen Existenz durch realdialektische
Durchdringung des metaphysischen Gebiets in demselben Sinne
wie Hegel zu ĂĽberwinden. Andrerseits braucht solchem Ver-
fahren die kritische Besonnenheit und die beständige Fühlung
mit der empirischen Basis keineswegs zu fehlen, wie denn
thatsächlich die jüngeren Hegelianer die Dialektik in diesem
Sinne zu handhaben bemĂĽht gewesen sind. Ein Unterschied
im Verhältniss zur Erfahrung wäre also nur dann in gewissem
Sinne zuzugeben, wenn bei Hegel das Gesetz der Dialektik
monistisch, bei B. unaufhebbar dualistisch wäre, und dies
fĂĽhrt uns auf den dritten angeblichen Unterschied.
c) Hegel kennt fĂĽr Sein und Denken nur ein und das-
selbe Gesetz, B. behauptet eine zwiefache Legislatur fĂĽr beide*
Gebiete, einen Widerstreit zwischen Realgesetzen und Denk-
gesetzen, eine Unverträglichkeit beider Legislaturen mit ein-
ander, die zu beständigen Gonflicten führt und sich in jedem
Menschen, insofern er zugleich wollendes und denkendes Ich
ist, als Gollision zweier einander widerstreitender Gesetzge-
bungen offenbart (6, 352). Nach B. ist das eigentliche Den-
ken rein durch seine eigene Natur bestimmt, welche in den
logischen Formen und Normen ihren Ausdruck findet (197),
und „Begriffe, die mit einem Widerspruch behaftet sind, kann
das Denken nicht gebrauchen" (73); dieses Denken ist aber
auf ewig zur Unwahrheit verurtheilt, weil die Wirklichkeit
E. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik. 233
wesentlich widerspruchsvoll ist und nur in BegrifFen mit
widerspruchsvoller Definition zum gedanklichen Ausdruck
kommen kann (198). Aus beidem fo^, dass das Denken
sich mit sich selbst im Widerspruch befindet, weil es durch
sein eigenes Gesetz gezwungen ist, nach Wahrheit zu streben,
diese aber nur erreichen kann, wenn es seinem eigenen Ge-
setz und damit seiner eigensten Natur untreu wird; diese
Accommodation des Denkens an die antilogische Wirklichkeit
erklärt B. für nichts weniger als unmöglich (202—203) und
sieht vielmehr in der Aufnahme des Widerspruchs in das
Denken die Vollendung der menschheitlichen Geistesentwicke-
lung. Es ist also eigentlich nur das vorbahnsensche Denken,
welches der Wirklichkeit widerspricht, während mit der
Errungenschaft der Realdialektik dieser Widerspruch aufhört;
auf der andern Seite widerspricht das Gesetz des Seins nicht
blos dem Gesetz des Denkens, sondern auch sich selbst, in-
dem es trotz seiner realdialektischen Grundnatur dem logischen
Gesetz innerhalb seiner Raum gewährt. Innerhalb des Seins
bestand der Widerspruch dieser (realdialektischen und logi-
schen) Doppellegislatur schon inmier; zwischen Sein und
Denken bestand er nur darum, weil und so lange er im Den-
ken selber noch nicht bestand, und ist mit Anerkennung der
Realdialektik beseitigt und durch harmonische Uebereinstim-
mung ersetzt. Nur in den noch nicht realdialektisch adap-
tirten Gehirnen dauert die Collision des Denkgesetzes gegen
das Realgesetz vorläufig noch fort; im Kopfe des Realdialek-
tikers ist auch fĂĽr das Denken das realdialektische Gesetz
auf den Thron erhoben, auf dessen Stufen das logische Ge-
setz nur lagern darf. Hiermit verschwindet der Unterschied
zwischen HegeFs und B.'s Dialektik auch in Bezug auf das
Verhältniss der Seinsgesetze zu den Denkgesetzen.
d) Bei Hegel ist das Unlogische, der Widerspruch, nur
Durchgangsmoment vom Logischen (Thesis) zum Logischen
(Synthesis); bei B. ist das Logische, die Negativität gegen
das primär gesetzte Unlogische nur Durchgangsmoment vom
Alogischen zum Antilogischen. Bei Hegel treibt das Logische
(der Begriff oder die Idee), um zum Prozess zu kommen,
die Negativität seiner selbst, das Unlogische (die Antithesis)
234 E. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik.*
aus sich heraus; bei B. treibt das Unlogische (der Wille),
um zum Prozess zu kommen, die Negativität seiner selbst,
das Logische, aus sich heraus. Bei Hegel ist die positive,
absolut concrete ĂĽrposition der logische Begrifif, bei B. der
unlogische WiUe (S. 1, 206, 175); bei Hegel ist das Logische
die absolute Macht und das Unlogische ihr Lehnsmann, bei
B. ist das Antilogische der FĂĽrst der Welt und dasj Logische
sein Unterthan (83). Dieser Unterschied ist der allein
durchgreifende, aber gerade er ist einerseits von B. am we-
nigsten betont, und andrerseits ist auch er ein sich selbst
aufhebender, wozu die Andeutungen bei B. selbst zu finden
sind. — „Die Idee — als ein von Hause aus logisch Ge-
dachtes — kann nichts Antilogisches, Dialektisches emaniren
und muss ewig Halt machen vor dem Problem des Wider-
spruchs^^ (230); diese Emanation des Antilogischen aus dem
Logischen bei Hegel ist also nur ein Schein. Ebenso aber
kann umgekehrt auch das Antilogische aus sich „nur ein
scheinbar Logisches und ĂĽberhaupt den ganzen Schein
des Logischen (sammt dem des Teleologischen) gebaren" (206);
denn der Wille, als ein von Hause aus unlogisch Gedachtes,
kann nichts Logisches, Vemänftiges aus sich emaniren und
muss ewig Halt macfien vor dem Problem einer objectiv
existirenden Vemunftigkeit. Mit dieser Parallelkritik ist sowohl
HegePs als B.'s Dialektik entwurzelt und hinĂĽbergezeigt nach
einem Standpunkt, wo das Unlogische und das Logische
nicht auseinander entspringen, sondern die ewig einander
coordinirten Seiten eines und desselben Wesens bilden (206
Z. 23 — 27). — Derselbe Schluss ergibt sich auch daraus, dass
B. die GleichgĂĽltigkeit der Ăśrposition anerkennt, also
damit auf die Hochhaltung des Willens als allein wahrer
Ăśrposition verzichtet Er bestreitet den Einwurf des Ver-
standes, dass alles Negative nur am Positiven sei, sieht die
Negativität als solche als das wesentliche Princip der Dialek-
tik an, das mit der „Realopposition" identisch sei, sucht die
Position nur in d^r Negation der Negation, und damit auch
den Gegenstand, den das Negative negirt, nur in dem Negativen
semer selbst, und erklärt damit die|[Namengebung für gleich-
gültig, weil Alles als „Negativ" einan andern „Negativ" gegen-
E. von Hartmann: Bahnsen^s Realdialektik. S35
ĂĽbersteht (175, 241). Hierin liegt allerdings eine richtige
Ahnung der fĂĽr seine Willensmetaphysik erforderlichen Correk-
tur ; aber er fuhrt die Correktur nicht durch, und darum wird
auf dem Boden seines Systems diese an sich richtige Ahnung
zu einer unwahren Behauptung. So lange das „Ja" des un-
logischen Velle als absolut concrete ĂĽrposition gilt (175),
bat der daraus angeblich entspringende Schein des Logischen
nur secundäre Bedeutung, ist derselbe nur ein relatives
Nein gegen das selbstständige Unlogische des Willens, und
zugleich in seiner Ohnmacht gegen dessen Unaufhebbarkeit
ein (nicht blos sprachlich) Nichtseiendes ohne jede innere
Selbstständigkeit. Da aber B. alles dies für sein Negativ ver-
langt (176), so kann der Schein des Logischen auch nur
scheinbar dem Anspruch der Realdialektik genĂĽgen, Anti-
thesis gegen den unlogischen Willen zu sein. Sollen beide.
Unlogisches und Logisches, wahrhaft selbstständige Realoppo-
nenten sein, so muss jedes fĂĽr sich ebenso concret posi-
tiv sein, als es im Vei'hältniss zu dem andern negativ
ist; d. h. beide müssen coordinirte Selbstständigkeit besitzen,
ohne ihrem Wesen nach von einander abhängig zu sein. Nur
anter dieser Bedingung kann es gleichgĂĽltig scheinen fĂĽr den
dialektischen Prozess, mit welchem der beiden Glieder als
mit der Ăśrposition das Sein und das Denken beginnt, da in
jedem Falle die Negativität von Seiten des andern gesichert
ist, ohne dass dieses andere erst durch eine unmögliche Ema-
nation aus dem ersten dem Scheine nach herausgeholt zu
werden braucht.
Wie Hegel die Dialektik auf der einseitigen Basis des
Logischen, so hat B. dieselbe auf der einseitigen Basis des
Unlogischen durchzufĂĽhren versucht; bei beiden lassen sich
die Spuren nachweisen von der Ahnung, dass ihre eigent-
lichsten Intentionen sich in Wahrheit nur auf der Basis eines
von Ewigkeit her zugleich logischen und unlogischen Wesens
realisuren lassen wĂĽrden, soweit sie ĂĽberhaupt realisirbar
sind. Mit andern Worten: sowohl die panlogistische wie
die panthelistische Dialektik sind einseitige Versuche, verhal-
ten sich zu einander wie Thesis und Antithesis und weisen
ĂĽber sich hinaus auf eine Synthesis, die sich nur auf der
236 E. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik.
Basis des concreten Monismus vollziehen könnte. Es ist aber
damit nicht gesagt, dass eine solche Synthesis HegeFscher
und Bischer Dialektik auch wirklich eintreten mĂĽsse; imGe-
gentheil fehlt die innere historische Nöthigung zu einer sol-
chen, weil die Dialektik fĂĽr den Panlogismus und Panthe-
lismus nur den widerspruchsvollen Behelf zur scheinbaren
Ueberwindung der ihnen anhaftenden Einseitigkeit bildete,
der concrete Monismus aber bei seiner wirklichen syntheti-
schen Ueberwindung jener Einseitigkeiten solcher widerspruchs-
vollen Behelfe fĂĽglich entrathen kann.
Die Unterschiede zwischen der HegePschen und der
B. 'sehen Dialektik, welche B. selbst betont, haben sich als
unstichhaltig erwiesen; der wirklich massgebende Unterschied
zwischen beiden aber ist nicht der Art, um die B.'sche Dia-
lektik vor der Kritik zu salvben, welcher die Hegel'sche im
Laufe der Zeit verfallen ist. Wenn auch das gegen den
„dialektischen Fortschritt" bei Hegel zu Sagende in Bezug
auf B.'s Dialektik gegenstandslos wird, so bleibt doch nament-
lich alles dasjenige in Kraft, was auf die Aufhebung der lo-
gischen Denkgesetze und die Installirung des Widerspruchs
als Bedingung der Wahrheit Bezug hat, ja sogar dies alles
kehrt sich gegen B. mit doppelt verschärfter Kraft, weil ihm
die Prätension HegeFs fehlt, den Widerspruch durch eine
logische Synthese positiv vernĂĽnftig zu ĂĽberwinden.
2. Die Stellung des subjectiv Logischen im
System der Realdialektik.
Die Realdialektik schränkt „die Geltui^ssphäre des Lo-
gischen auf dessen eigenste Domäne, nämlich eben aufs
Denken" ein und schliesst 'sie aus vom Bereich des Seins,
welches „m seiner innersten Qualität die logischen Urgesetze
Lügen straft", so dass „die Wirklichkeit als ein, nach blossen
Denknormen bemessen. Unmögliches dasteht" (94). Nach dieser
ursprĂĽnglichen Stellungnahme zum Problem ist das Logische
ein blosser subjectiver Schein, der in keiner Weise der Wffk-
lichkeit entspricht und in keinem Sinne Wahrheit zu bieten
vermag. Aber diese subjectiv-idealistische Stellungnahme er-
scheint durch eine realistische Accomodation an die gewöhnliche
E. yon Hartmann: Babnsen^s Realdialektik. 237
Denkweise in sich gebrochen und modificirt. Zwar erklärt
er ausdrĂĽcklich die Geschichte des menschlichen Denkens
„nur als die Summe der psychologisch sich herausarbei-
tenden Anschauungstypen'' (88); aber er erkennt doch an,
dass die Realdialektik „für die Entstehung der logisch»[i Kate-
gorien doch eine wenigstens psychologische Herleitung zu geben
wissen" mässe (67).
Eine solche psychologische Herleitimg setzt nun zweier-
lei voraus: erstens, dass die Erfahrung „dazu angethan
ist, derartige Schemata psychisch zu formiren" (67), d. h.
eine Beschaffenheit des Seienden, „auf welche die Denk-
Organisation, qua logisch functionirende accommodirt und
eingesteUt ist'' (68), und zweitens, dass die Willensnatur, welche
ihren wesentlichen Hauptinhalt im Wissenwollen hat, auch nicht
blos prädisponirt, sondern gradezu präformirt für das Wis-
sen und die Entwickelung der ihm potentiell immanenten lo-
gischen Erkenntnissformen angenommen wird (1 65 — 1 66). Wäre
das Denken allein logisch, und das Seiende rein antilogisch,
^0 wäre die Genesis einer logischen Legislatur im Denken
rein unerklärlich; es bedarf einerseits einer relativen Ver-
nĂĽnftigkeit im Seienden, wenn das Denken durch Anpassung
an die Wirklichkeit zur VemĂĽnftigkeit gelangen soll, und es
bedarf andrerseits einer immanenten VernĂĽnfligkeit des psy-
chischen Lidividualwesens, weil ein schlechthin unvernĂĽnftiges
Wesen immer unfähig bleiben würde, seine psychischen Func-
tionen der objectiven VemĂĽnftigkeit der Dinge zu accommo-
diren. Die logische Legislatur des bewussten Denkens ist
also nur zu begreifen als Product zweier Factoren, einer der
Wirklichkeit immanenten unbewussten Vernunft, und einer
dem psychischen Entwickelungsprozess immanenten unbewuss-
ten Vernunft; da letzterer selbst ein StĂĽck Wirklichkeit ist,
so fallt auch letztere Vernunftäusserung mit unter die all-
gemeine unbewusste Vernunft der objectiven Wirklichkeit.
Der Versuch, der Vernunft ihren Platz in der Realdia-
lektik blos im subjectiven Denken anzuweisen, ist also
gänzlich gescheitert und in sein Gegentheil umgeschlagen, in
die Anerkennung der objectiven Vernunft. Zugleich bleibt
aber noch zweierlei dabei unerklärt, nändich erstens, wie es
SS8 E. von Hartmann: Balm9en*6 Realdialektik.
kam, dass das Denken bei seiner Ă„ccommodation an die
Wirklichkeit sich nicht viehnehr von Anfang an realdialektisch
entwickelte, und zweitens, wie der unlogische WiUe dazu
kommt, Erkenntnisswille zu sein und die Präformation zu den
logischen Erkenntnissformen in sich zu tragen. — In der
Wirklichkeit soll das antilogische Gesetz das herrschende sein,
und das logische Gesetz nur stellenweise und stĂĽckweise inner-
halb dieses geduldet werden; wie kam es, dass das Denken
nicht von Anfang an diesem Sachverhalt gemäss sich ein-
stellte, also zunächst und vor allen Dingen dem antilogischen
Grundgesetz der Wirklichkeit sich anpasste, und erst' nach-
träglich dessen Durchwirktsein mit logischem Einschuss nach-
ahmte? Bei jeder Anpassung muss doch die an das Wesent-
liche vorangehen, und die an das Nebensächhche nachfolgen,
wenn alles auf einmal zu viel verlangt ist. Beim Beginn
dieses Anpassungsprozesses existirte ja das Produkt desselben,
die subjectiv- logische Legislatur noch gar nicht; die psychi-
schen Anpassungsfunctionen standen lediglich unter dem Gesetz
des Willens, und dieses war ebenso wie das der realen Aussen-
welt das antilogische Grundgesetz der Realdialektik. Weit
entfernt, sich ohne Weiteres mit diesem Gesetz auf eigne
Hand in Widerspruch setzen zu können, musste vielmehr
erst eine Emancipation des Denkens vom Willen erfolgt sein,
ehe die Gesetze des Denkens sich von den Gesetzen des
Willens emancipiren konnten. — Es ist also, von der ob-
jectiven wie von der subjectiven Seite gesehen, gleich unbe-
greiflich fĂĽr die Realdialektik, dass es zu einer logischen an-
statt zu einer 'realdialektischen. Anpassung kam. Mit letzterer
hätte der Wille sein Ziel, das Erkennen, in der Hauptsache
erreicht, mit ersterer hat er es in der Hauptsache verfehlt;
„Anpassung^^ ist also für diesen Prozess ein blosser Euphe-
mismus, und „Verpassung*^ der Wahrheit wäre die richtigere
Bezeichnung. Unmöglich war diese Anpassung an das Anti-
logische keineswegs, denn auch die Denkthätigkeit ist Actua-
lisation realer Kräfte und kann sich darum des Anspruchs
auf Exemtion von den Gesetzen der Realdialektik entschlagen
(447); der Denkprozess, weil er auf der realdialektischen
Naturbestimmtheit des Gehirns beruht, gelangt endlich dazu,
IL von Hartmann: ^ahD8en*8 Realdialektik. 389
womit er hätte anfangen müssen, nämlich dialektisch vor sich
zu gehen (217).
Die andere der beiden Schwierigkeiten ist wo möglich
noch grösser. Wie kann es zmn Wesen eines blinden alo-
gischen Willens gehören, ein nach Bewusstsein Tendirendes
zu sein (209)? Wie kann ein absolutes, nichts ausser sich
habendes Weltwesen mit der Zeit ein VernĂĽnftiges werden,
wenn es an sich mit Vernunft und Vemunftigsein von Hause
aus gar nichts zu thun hat (164)? Wie kann das Logische,
das Widerspiel der unlogischen Willensnatur, dennoch fĂĽr
nichts andres ausgegeben werden, als fĂĽr eine naturgesetz-
liche WiUensmanifestation (207)? Wie kann die Essenz des
alogischen Willens darin bestehen, einen dieser Willensnatur
widersprechenden Vorstellungsinhalt zunächst potenzia-
liter in sich zu tragen und demzufolge auch actualiter aus
sich herauszusetzen (207) ? Wie kann der blinde Wille, dem
jeder ideale hihalt abgesprochen wird (206 unten), das Mittel
sein, „ein Sein zu fassen, welches idealiter jedem Einzel-
acte seiner Realisation voraufgeht^' (230) ? Wie kann endlich
dieser alogische Wille die logischen Denkformen präformirt
in äch tragen und aus sich entwickeln (165 — 166)? B. hat
sehr Recht, seinen Willen zum Wissen, der doch selber nicht
wissen kann, dass er das Wissen will, als „das UrräthseV'
zu bezeichnen (163), und dieses Räthsel, wie der alogische
blinde Wille zugleich wesentlich logischer Erkenntnisswille
sein könne, wird der Lösung dadurch nicht näher gerückt,
wenn das „wesentlich" in ein „z u f ä 1 1 i g" umgewandelt wird (4).
Thatsache ist, dass B., der gegebenen Wirklichkeit Rech-
nung tragend, semen Willen mit einem hihalt ausstattet, der
wesentlich logisch -ideal ist, nur dass er dabei die thatsäch-
lich vollzogene Einfährung eines zweiten, dem Willen coor-
dinirten Princips nominell bestreitet, und dadurch sich in
lauter WidersprĂĽche mit seinem Princip verwickelt und in
unlösbare Räthsel stürzt, welche bei offener Anerkennung
des zweiten Princips von selbst wegfallen.
In Wahrheit beninunt sich sein WĂĽle bei der Entwicke-
lung der psychischen Functionen gar nicht antilogisch, sondern
ToUkoQunen logisch; in Wahrheit lässt femer das vollkommen
240 E. von Hartmann: Bahnsen^s Realdialektik.
4
logische Resultat des Anpassungsprozesses auf ein gar nicht
realdialektisches, sondern vollkommen logisches Anpassungs-
object schliessen. Nur wenn der Wille (trotz seiner alo-
gischen Form des WoUens) inhaltlich rein vernĂĽnftig und die
Welt durch und durch logisch geartet ist, nur dann lässt
sich die Logik als „angestammtes Gesetz^^ des bewussten
Denkens begreifen und genetisch erklären.
3. Die Stellung des objectiv Logischen im
System der Realdialektik.
a. Interindividueller Widerstreit und intra-
individueller Widerspruch. Ich hatte frĂĽher*) aus-
gefĂĽhrt, dass B.'s Realdialektik fĂĽr den interindividuellen Wider-
streit der Willenswesen unhaltbar sei, und dieselbe von ihrem
Urheber zunächst auf den intraindividuellen Widerstreit, die
widerspruchsvolle Selbstentzweiung des Willens, werde ein-
geschränkt werden müssen. Dies ist in dem vorliegenden
Werke faktisch zugestanden, wenn auch nicht nominell ein-
geräumt. Dass jede Kraft ein Kraftloses bleibt, so lange sie
nicht auf Widerstand stösst (50), dass dieser negative Wider-
stand selbst nur wieder Kraft sein kann (252), dass diese
sich kreuzenden Kräfte an sich positiv sind und negativ gegen
einander nur durch ihre Opposition erscheinen (393), dass
also die gesammte Wirklichkeit „ein lebendiger Antagonis-
mus" von sich kreuzenden Kräften oder WillenÄkten ist'*
(436), das alles sind Sätze, die jeder Willensmetaphysiker
unterschreibt, und die nicht im mindesten der Realdialektik
zu gute kommen, so lange mein Nachweis in Kraft bleibt,
dass nur dadurch ein realer Widerstreit von Kräften mög-
lich wird, dass die Wirklichkeit des Widerspruchs (als Zugleich-
sein ihrer entgegengesetzten Strebensziele) unmöglich ist*).
Auch B. erkennt an, „dass der Widerstreit zwischen
Zweien das volle GegenstĂĽck zum Widerspruch innerhalb
eines und desselben bilden kann" (197); da nun auch das
Wort Widerspruch bei ihm „etwas viel Mächtigeres als die
blosse logische Repugnanz besagt", d. h. selbst schon als
1) Neokantianismus, Schopenhaueriaaismus und HegeUanismus S. S40.
2) A. a. 0. S. 236-237.
ÂŁ. Ton Hartmann: 6ahiisen*s Realdialektik. 241
realer Widerstreit gemeint ist (255), so kann der Unterschied
zwischen Widerspruch und Widerstreit bei B. nur noch darin
gesucht werden, dass ersterer ein Widerstreit zwischen zu-
gleich logisch sich widersprechenden Kräften, letzterer aber
eine GolĂĽsion zwischen logisch sich nicht widersprechenden
Kräften ist. Daraus folgt, dass der ganze Antagonismus
interindividueller Collisionen als blosser, d. h. widerspruchs-
loser Widerstreit unter logischen und nicht unter realdialek-
tischen Gesetzen stehen muss. B. nennt auch den wider-
spruchsvollen Widerstreit das Antithetische, den widerspruchs-
losen Widerstreit das Antinomische, und gesteht zu, dass „das
Realdialektische im eminenten Sinne" nur mit dem ersteren
gleichzusetzen sei (2), also auch nur in intraindividualen Be-
ziehungen vorkomme (ebenda); wenn er trotzdem den anti-
nomischen, d. h. logisch gearteten, interindividuellen Wider-
streit fĂĽr die realdialektische Verwerthung nicht ganz bei
Seite lässt, und den Unterschied zwischen beiden geflissent-
lich „ignorirt" (255), so thut er es nur darum, weil er
dargethan zu haben glaubt, „dass es ohne den intraindividuellen
Widerspruch auch keinen interindividuellen Widerstreit geben
wĂĽrde" (254), dass der letztere nur die Folge von ersterem
sei (204).
Diesen Nachweis habe ich bei B. vergeblich gesucht;
aber auch wenn er ihn erbracht hätte, wäre sein Verfahren
dennoch unstatthaft, und auf scharfe Sonderung des logisch
gearteten interindividuellen Widerstreites vom realdialektischen
intramdividuellen Widerspruch zu dringen, damit der Real-
dialektik nur dasjenige Gebiet verbleibe, welches ihr von
Rechtswegen gebührt. Hätte B. diese Markscheidung ehrlich
und reinlich durchgeführt, so wäre natürlich seine ganze
angebliche Demonstration der Realdialektik an den Thatsachen
der Naturwissenschaft, also die ganze realdialektische Natur-
philosophie (mit Ausnahme des zweifelhaften Gebietes der
Polarität) von vornherein weggefallen, und die Realdialektik hätte
sich wesentlich auf diejenige Sphäre zurückziehen müssen, auf
welcher sie erwachsen war, d. h. auf die Charakterologie.
Es finden sich auch jetzt schon bei B. zerstreute Aeusse-
rungen, nach welchen das „Wie" der Willensverwirklichungen
Philosoph. MonaUhefte 1881, iV a. V. 16
242 E. von HartmaDn: Balinsen*s Realdialektik.
logisch und nur das „Was" des Willensinhalts realdialektisch
sei (202), oder mit andern Worten das Bereich der phänome-
nalen Existenzialität (odef- Wirklichkeit) die Sphäre logischer
Correktheit sei und der Seinswiderspruch nur in der ElssenĂĽa
selber zu entdecken sei (96). Hätten diese Gedanken im
Zusammenhang damit, dass die Sphäre der phänomenalen
Existenzialität zugleich die Sphäre des logisch gearteten Wider-
streits der Willenswirkungen ist, ihre .Durchbildung erhalten,
so wĂĽrde das vorliegende Werk eine ganz andere Gestalt
angenommen haben, als jetzt, wo die einmal statuirten Unter-
schiede nachträglich zu Gunsten der Realdialektik stets wieder
,4gnorirt" werden (255).
b. Die Selbstentzweiung des Willenswesens.
Nachdem in dem Vorhergehenden das Realdialektische, insofern
es ein Antilogisches sein will, aus der Sphäre des interindi-
viduellen Widerstreits ausgewiesen worden ist, könnte man
denken, dass es dafür nun auch in der Sphäre des intra-
individuellen Widerspruchs als Alleinherrscher walte. Dem
ist aber durchaus nicht so, sondern B. muss zugeben, dass
auch hier das Logische den breitesten Spiehraum hat, und
zwar ebensosehr in der Form des WoUens als in seinem
Inhalt.
Das Wesen der Welt ist der Wille; das Realdialektische
ist nm* die Seinsform desselben, seine ihm unveräusseriich
anhaftende formale Natur (157). Insofern nun diese Seins-
form des Willenswesens niemals sich selbst untreu wird,
stets mit sich selbst ĂĽbereinstinunt, also ewig sich selbst
identisch bleibt, (67, 70, 355), verhält sich der Wille auch
formal dem logischen Identitätsgesetz gemäss. Allerdings beugt
er sich damit nicht einer logischen Heteronomie (71, 157),
sondern, da er das Prius alles Logischen ist, so bewegt er
sich in voller Autonomie, indem er sich selbst und seiner
Natur, nämlich „dem Gesetz der Anarchie" (167), treu bleibt");
gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass die praktische Instal-
1) Wflrde diese Behauptung streng durchgefĂĽhrt, so'mĂĽsste die Exi-
stenz des Logischen im objectiven Dasein wie in der subjectiven Erschei-
nung schlechthin geleugnet, d. h. für illusorischen Schdn erklärt werden;
denn da nichts ist als das antilogische Willenswesen, so kann dieses nie-
j
E. yon Hartmaiin: Bahnsen*s ReaMialektik. 243
linmg des logischen Identitätsgesetzes durch den essentiell
antilogischen Willen in formaler Hinsicht mehr als eine bloss
zufallige Uebereinstimmmig sein muss, dass mit andern Worten
selbst das Antilogische sich unwillkĂĽrlich nach logischer Norm
benehmen muss, um auch nur das Gegentheil des Logischto
wirklich sein zu können. Wird aber gar die „Gonsequenz^^
(107) für das der realdialektischen und logischen Weltsphäre
und deren sich widersprechenden Legislaturen gemeinsame,
met alogische Grundgesetz der Welt erklärt (106^-108), so
ist das nur ein verschämter Ausdruck für das Eingeständniss,
dass das Grundgesetz der Welt auch bei B. dasjenige ist,
welches man allgemein als das logische Grundgesetz bezeichnet,
nur dass es in seiner Anwendung auf zwei entgegengesetzte
coordinirte Wesensbestimmungen (unlogischen Willen und lo-
gische Idee) selbstverständlich zu entgegengesetzten Resulta-
ten fĂĽhrt.
Weit wichtiger noch ist die andere Concession, dass
selbst innerhalb jedes selbstentzweiten Willenswesens jede
einseitige Hälfte dieser Doppelstrebungen logisch rectograd
verlaufe, und nur beide Hälften oder Seiten gegen einander
sich widersprechend und realdialektisch verhalten (67 — 68, 194);
so lange der Process der einen Hälfte einseitig ohne Bezie-
hung zur andern verläuft, geht alles logisch folgerichtig zu,
und nur, wo die Bezogenheit beider Seiten auf einander in's
Spiel konunt, erscheint das Realdialektische (356). Diese
einseitige Logicität jeder Hälfte der Selbstentzweiung soll
eine streckenweise Logicität der Erscheinungsreihen zur
unmittelbaren Fo^e haben (67, 356), während der Gesannnt-
prozess, der diese logischen Einzelstrecken in seiner Zickzack-
bewegung einschliesst, realdialektisch zu nennen ist
Gegen diese Auffassung erheben sich wiederum gewich-
tige Bedenken. Zunächst scheint es unverständlich, wie die
beiden Seiten eines realen Willensprozesses dazu kommen
sollen, sich logisch zu widersprechen, wenn jede einzelne sich
nach logischen Gesetzen vollzieht; der Widerspruch ist nur
mak und in keiner Weise dazu kommen, logisch zu werden, oder sich
^pedi zu benehmen, wenn es in seiner antilogischen Natur wirklich con-
seqoent Ueiben wilL
344 E. von Hartmami: Bahnsen^s Realdialektik.
im bewussten Denken als Folge des Irrthums möglich, aber
im Wollen wäre er es doch nur dann, wenn mindestens die
eine der beiden Seiten schon an und fĂĽr sich nach antilo-
gischem Gesetze verliefe, um sich eben dadurch mit der nach
logischem Gesetz verlaufenden in Widerspruch zu setzen.
Es ist zwischen den aus verschiedenen Trieben entspringenden
Strebui^en sehr wohl ein realer Widerstreit möglich, der
nach logischen Gesetzen verläuft, aber ein realdialektischer
Widerspruch zwischen den entzweiten Willerismomenten er-
scheint unmöglich, wenn in beiden die nämlichen logischen
Gesetze walten (vergl. S. 10). 'Wäre nur eine der beiden
Seiten realdialektisch, die andere logisch geartet, so bliebe
es unverständlich, wie jede der coordinirten Hälften gerade
zu ihrem Gesetz kommt; wären beide realdialektisch, so
bliebe fĂĽr logisch rectograde Strecken im intraindividuellen
Prozess gar kein Raum mehr. Beide Annahmen werden
ĂĽbrigens m gleicher Weise von der Erfahrung dementirt, welche
das logisch rectograde Verhalten beider Seiten völlig bestä-
tigt, eben damit aber auch der Realdialektik das kaum occu-
pirte intraindividuale Gebiet schon wieder entzieht.
Geben wu: umgekehrt das realdialektische Verhalten der
entzweiten Seiten gegen einander versuchsweise einmal zu,
so zeigt sich sofort, dass dieses ebenso das logische Verhalten
der emzebien Seiten unmöglich macht, wie dieses jenes. Denn
Veränderliches ist ja nur, wo die Kreuzungslinien der Daseins-
formen, der existentia, sich schneiden (252), d« h. wo ein
Gonflict sich kreuzender Strebungen stattfindet; eine einsei-
tige Hälfte kann somit nur dann ein Veränderliches sein und
einen Prozess durchmachen, wenn sie entweder mit der andern
Hälfte collidirt, oder wenn sie innerhalb ihrer wiederum sich
kreuzende Strebungen umspannt, also selbst noch einein sich
dirinürte ist. In beiden Fällen müsste aber nach B.'s Grund-
sätzen ein solcher Prozess realdialektisch und nicht logisch
sein, — hn ersteren FaUe, weil er nicht mehr einseitig ist,
im letzteren Falle, weil er von Neuem die Gollision emsei-
ĂĽger Spaltungsmomente zusanunenschliesst. B. vergleicht im
Hinblick auf die Thatsachen intraindividualer Teleologie
seine Welt „einem Exerzierplatz, wo jeder Unteroffizier seine
E. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik. 245
Recniten nach eigenem GutdĂĽnken die Kreuz und die Quere
marschieren lässt," auf welchem aber ausser der allgemeinen
Verwirrung „auch noch innerhalb jeder einzelnen Rotte rebel-
•
lirt" wird (205). Dieser Vergleich zeigt deutlich, wie selbst
der Versuch, den einseitigen Momenten Logicität beizulegen,
daran scheitern muss, dass jedes derselben noch weiter in
sich realdialektisch dirimirt ist. „Der Riss der universellen
Selbstentzweiung geht mitten durch's Herz der Welt, d. h.
jedes Einzelnen'^ (369); die intraindividuale Selbstentzweiung
geht in's Uixejidliche, wie der in noch so kleine Stficke
zerbrochene Magnet an jedem derselben neue Pole heraus-
kehrt (369 — 370). B. bezeichnet den Versuch, diese Erschei-
nung mechanisch durch innere Schichtung eines nur schein-
bar einheitfichen Individuums logisch zu erklären, als unzu-
länglich, und zieht es vor, diese Schichtung als eine blos
ideeUe aufzufassen, dafür aber an die Relativität aller
individuellen Selbstständigkeit zu erinnern (371); aber gerade
damit ei^lärt er, dass jedes einseitige Willensmoment nath-
wendig ein bis in's Unendliche in sich dirimirtes sei, und
nur in der Verwirklichung dieser realdialektischen Selbstent-
zweiung aus der starren Ruhe zur Lebendigkeit des Prozesses
erwachen könne. Die Aufgabe des Realdialektikers kann
hiemach nur die sein, jeden Realwiderspruch in seine ein-
seitigen Hälften zu verfolgen (wie B. es z. B. S. 389 mit
der Gravitation versucht), aber nicht, sich von einer nach
realdialektischen Principien unmöglichen Logicität dieser ein-
seitigen Hälften blenden zu lassen. JegUches, was aus dem
einen Gesichtspunkt einseitige Hälfte einer Diremtion ist,
ist aus dem andern Gesichtspunkt einheitliche Totalität diri-
mirter Momente, und umgekehrt, also mässte in jeglichem
der Prozess der Veränderung, der doch nur einer ist, in
ersterer Hinsicht logisch, in letzterer Hinsicht realdialektisch
verlaufen, oder ein und derselbe Vorgang mĂĽsste in jeder
semer Phasen zugleich von logischen und realdialektischen
Gesetzen bestimmt sdn, was unmöglich ist.
B. ist also mit seiner Vereinigung des Logischen und
Realdialektischen im intraindividualen Gebiet völlig verunglückt.
Entweder ist das Verhalten der einseitigen Momente logisch
I
246 E. von HarĂĽnann: Bahnaen's Realdialektik.
geartet, dann findet die Realdialektik hier ebenso wenig eine
Stätte wie im Gebiet der interindividualen GoUisionen; oder
das Verhalten derselben ist realdialektisch geartet, dann ist
das Logische der Erfahrung zuwider ganz aus dem intra-
individualen Prozess hinauszuweisen.
4. Die praktische Logik im System der Realdialektik.
B. behauptet, dass die Realdialektik genau ebenso log^ch
verfahre wie jede andere PhUosophie, sich der logischen De-
duction „nach Bedürfhiss^' bediene und sich namentlich in
ihrer Induction von keiner andern PhUosophie unterscheide
(30). Die Realdialektik „wünscht^' also, sich in nichts vom Ra*
tionalismus zu unterscheiden und „strebt aufrichtig nach dem
Lobe untadelhafter Logicität^' (154); sie lässt auf dem der
Logik angehörenden Felde den Widerspruch nicht zu (63),
behauptet die Unwiderleglichkeit und Unfehlbarkeit correct
concludirter Syllogismen (207) und erkennt die reductio ad
absurdum mit den Worten an, dass da, wo reiner Unsinn
herauskommt, im Grunde etwas versehen sein muss (280).
Freilich schränkt B. diese Wünsche und Behauptungen schon
durch das Geständniss ein, dass eine vom Widerspruch aus*
gehende und zum Widerspruch hinfuhrende Wissenschaft nur
selten von jeder Art von ratiocinatio Gebrauch machen könne
(28); aber das Bedenken gegen die Statthaftigkeit dieses
Gebrauchs ĂĽberhaupt glaubt er durch die Bemerkung nieder*
schlagen zu können, „dass Niemand logisch correcter zu ver-
fahren pflegt, als innerhalb ihrer fixirten Wahnidee die Irr-
sinnigen^' (154). Hier handelt es sich aber nicht darum, ob
B. den Anspruch erhebt, logisch zu verfahren, sondern ob
dieser Anspruch ein mit seinen Principien vereinbarer ist,
und diese Frage ist entschieden zu verneinen.
Wir haben gesehen, dass B. den Unterschied des intra*
individuellen Widerspruchs und interindividuellen Widerstreits,
des Realdialektischen und Antinomischen geflissentlich igno-
rirt, und beide Alien des realen Prozesses als antĂĽc^sch
behandelt, dass er femer die logische Legislatur des Denkens
und die antilogische Legislatur des Sems als zwei sich wider-
sprechende Welten behandelt, innerhalb deren das Denken
E. von Hartmann: Bahns«n*s Realdialektik. 347
dem Sein niemals Vorschriften machen kann, sondern nur
sich dem empirisch gegebenen Seinswiderspruch zu beugen
hat (100, 105). So nimmt die Realdialektik „ihren Ursprung
aus einer tiefen Demut higung des Denkens; ihre Keime ent-
spriessen aus dem Moder der Verzweiflung an einer
logisch correcten Erkennbarkeit der Welt'^ (9), und ihr Ende
ist ebenfalls sowohl in praktischer wie theoretischer Hinsicht
der Desperatismus, die Einsicht in die Unentrinnbarkeit des
Leids und die Unerreichbarkeit des Wissens (390). Das Wissen,
welches sie zu bieten hat, erhebt sich nicht ĂĽber das sokra-
tische Wissen um die eigne Ignoranz (390), nicht ĂĽber die
letzte und äusserste Gestalt des Skepticismus : den Zweifel
an der GĂĽltigkeit der logischen Gesetze (8, 12, 151). Ihre
Weisheit erschöpft sich darin, zu zeigen, dass „die Vernunft
selbst ein Widersinniges, UnvemĂĽnftiges, Antilogisches'^ ist,
weil sie ihrem Zwecke der Welterkenntniss nicht nur nicht
gewachsen, sondern antipodisch zuwiderlaufend ist (87), dass
die Wirklichkeit etwas logisch-Unmögliches, das logisch-Unmög-
liche ein faktisch-Nothwendiges, und das logisch-Nothwendige
ein faktisch-Nichtseiendes ist (94), und dass es demnach nur
ein llittel gibt, dem Willensziel der Erkenntniss näher zu
kommen, nämlich die Umkehr unserer Gehimaccommodation von
den logischen zu den antilogischen Denkgesetzen (87). Gelänge
diese Umkehr, so wäre adäquate Welterkenntniss möglich;
das Wissen ist nur darum unerreichbar, weil diese Umkehr
nur in sehr geringem Maasse möglich ist, und wir durch
unsere unzerstörbare logische Gehimorganisation zu dem in
sich widersinnigen Bestreben Terurtheilt bleiben, ein an sich
Antilogisches mit HĂĽlfe der ihn) widersprechenden logischen
Formen in's Bewusstsein aufzunehmen (84). Da aber der
WiDe trotz der Einsicht in die Unerreichbarkeit seines Zieles
das Wissenwollen nicht aufgeben kann, so muss man doch
jene Umkehr so sehr als möglich in sich zu realisiren suchen,
und sich mit dem Bewusstsein begnĂĽgen, dass man der Wahr-
heit um so näher kommt, je mehr dieselbe gelingt.
Die Arbeit dieser Umkehr ist eine doppelte, negativ die
Gewöhnung an die Aufhebung und Unwahrheit der logischen
Gesetze, positiv die Grewöhnung, das Denken unter das
248 E. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik.
antQogische Gesetz der realdialektischen Wirklichkeit zu beugen
(202 — 203). Das Gesetz der Identität ist von B. als „meta-
logisches Gesetz" der Logik entrĂĽckt; es handelt sich also
wesentlich um die Aufhebung der Gesetze des Widerspruchs
und des aufgehobenen Dritten. Ersteres wird gewöhnlich als
die negative Kehrseite des Gesetzes der Identität behandelt,
insofern Identität und Widerspruch einander widersprechen
und darum unvereinbar sind; 6. setzt dem die Behauptung
entgegen, dass beide „unter einander selber keinen Wider-
spruch bilden, also auch unter gewissen Umständen und in
gewissen Hinsichten mit einander vereinbar bleiben" (53). „Ihre
eigentliche Opposition kehrt die Realdialektik gegen das soge-
nannte Princip vom ausgeschlossenen Dritten", indem sie an
Stelle des despotischen aut — aut die Einheit von et — et und
nee — nee setzt (185); diese Erklärung hindert B. freilich nicht,
sich selbst dieses perhorrescirten Princips „nach Bedürfhiss"
mit Nachdruck zu bedienen (193—194).
Vor allen Dingen wird von der Realdialektik die^Wider-
spruchslosigkeit als formales Kriterium der Wahrheit ausser
Kraft gesetzt (198), und ihr Gegentheil, die widerspruchsvolle
Beschaffenheit, als formales Kriterion der Wahrheit procla-
mirt. Eine angebliche Wahrheit, die nicht mit einem Wider-
spruch behaftet ist, kann nicht wahr sein, „weU sonst
eine Verschiedenheit (Nichtidentität) bestehen würde zwischen
ihrem Inhalt mid dem, wovon dieser Ausdruck sein soll, dem
Seienden" (54). NatĂĽrlich muss, um die Wahrheit eines Satzes
behaupten zu können, zu diesem formalen Kriterion noch ein
materiales, die Uebereinstimmung mit der durch Erfahrung
erkannten Wirklichkeit hinzukommen; es ist also nicht jeder
Unsinn, den die Phantasie sich aushecken kann, schon darum
wahres Abbild einer Wirklichkeit, weil er sich selbst wider-
sprechend (absurd) ist (55, 62, 95, 103), aber es bleibt doch
richtig, dass jeder solche Unsinn, danun weil er dem Denken
für absurd gilt, noch nicht von der Möglichkeit ausgeschlossen
ist, von der Erfahrung einmal als Wahrheit erwiesen zu wer-
den, wohingegen jedes widerspruchslose Vorstellungsgebilde
schon durch seinen Verstoss g^en das formale Kriterion der
Wahrheit für ewig von der Möglichkeit der empirischen
E. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik. 249
Bewährung ausgeschlossen bleibt. Also nicht alles Absurde ist
wirkliche Wahrheit; aber alles Absurde ist mögliche Wahr-
heit und alles nicht Absurde kann unmöglich Wahrheit sein.
Dies ist ganz genau der Standpunkt B.*s, und einen andern
habe ich ihm nie unterstellt, daher seine wiederholte Polemik
gegen solche vermeintliche Unterstellungen von meiner Seite
Töllig gegenstandslos ist. Ob dieser Standpunkt noch das
Recht hat, sich in irgend welchem Sinne Rationalismus zu
nennen, kann ruhig dem Urtheil des Lesers fiberlassen bleiben;
ebenso die Frage, mit welchem Rechte ein solcher Standpunkt
die Kritik fĂĽr sich in Anspruch nimmt, welche der- Rationa-
lismus des vorigen Jahrhunderts gegen den Wunderglauben
gefuhrt hat (64).
B. beruft sich, um einen gewissen Gebrauch der Logik
im realdialektischen System zu legitimiren, darauf, dass eine
objective GĂĽltigkeit der logischen Gesetze in den einseitigen
Hälften der selbstentzweiten Willenswesen stattfinde, und dass
soweit, als diese reiche, auch das subjective Denken logisch
rectograd verlaufen könne und müsse. Es ist oben gezeigt,
dass diese Einschränkung auf einer unhaltbaren Fiction beruht,
weil nach den Grundbegriffen der Realdialektik jede einseitige
Hälfte eine Veränderung nur durchmachen kann, insofern sie
entweder mit ihrer correlativen Hälfte coUidirt, oder aber als
Gomplex weiter innerer Diremtion auftritt, also in beiden
Fällen nicht logisch sondern realdialektisch sich verhält. Da
somit die Annahme objectiv-logischer Processstrecken mit den
Principien der Realdialektik unvereinbar ist, so entfallt auch die
Behauptung, denselben im subjectiv logischen Denken Rech-
nmig tragen zu mĂĽssen.
Aber gesetzt den Fall, wir räumten diese objectiv- logi-
schen Processstrecken ein, so wĂĽrden doch alle Versuche,
denselben durch parallel laufende syllogistische Denkprocesse
zu folgen, praktisch werthlos sein, weil das Denken hier nie
vorausbestimmen kann, wie weit die Parallelität der syllo-
gistischen und der realen Erscheinungskette gehen werde,
und wie bald im gegebenen Falle das Denken vor der real-
dialektisch einschlagenden Erfahrung werde „kehrt machen^^
mĂĽssen (356). Der praktische Werth des logischen Denkens
250 E. von Hartmann: Bahnsen^s Realdialektik.
beruht ja ganz allein auf der Voraussetzung, dass correkte
Schlässe auch unbedingt wahre, d. h, mit der Wirklichkeit
ĂĽbereinstimmende Ergebnisse Uefem; da dies aber nach B.
nur fĂĽr eine minimale Strecke einseitigen Geschehens gilt, deren
Länge erst durch Erfahrung constatirt werden muss, so
hört jeder mögliche Nutzen des Denkens auf, weil ich das
nicht erschUessen kann, was ich noch nicht erfahren habe,
und das nicht mehr zu erschliessen brauche, was ich schon
erfahren habe. Das logische Denken ist also hier entweder
eine irreleitende, oder eine ĂĽberflĂĽssige BemĂĽhung, auf die
man jedenfalls besser thut zu verzichten, um sich ganz allein
der untrĂĽglichen realdialektischen Erfahrung hinzugeben.
Die ratiocinatio mĂĽsste in der Realdialektik ganz allein
auf die argumentatio ad hominem beschränkt bleiben, wenn
es sich nämlich darum handelt, dem Logiker mit seinen Mit-
teln zu demonstriren, dass seine yermeintliche Logik auf Real-
dialektik hinauslaufe; in diesem Falle hätte sie aber nicht
den Werth einer sachUchen Methode, sondern den emer per-
sönlichen Accomodation an einen sachlich verkehrten Stand-
punkt zu propädeutischen Zwecken.
Es ist mĂĽssig, mit B. darĂĽber zu streiten, ob der Welt-
gang ein widersinniger ist, oder ob er nur am logischen
Maassstab des Denkens gemessen so erscheint (202); das
letztere genĂĽgt fĂĽr sich allein schon, das Denken zum Ver-
zicht auf Erkenntniss mit seinen Mitteln zu zwingen, und
jeden Versuch dieser Art als eine Accomodation an die gewöhn-
liche, nichtdialektische Denkweise zu betrachten, welche sich
als inconsequente Zuthat in das realdialektische System hin-
eingedrängt hat.
Die Realdialektik entsprang aus der Verzweiflung an der
eignen Kraft, die Sphinx des Widerspruchs in den Abgrund
stürzen zu können (62), und aus dem resignirten Glauben,
dass es kein ander Heil gebe, als sich bei der Einsicht in
diese Unmöglichkeit zufrieden zu geben (13); aber dieser
Desperations -Coup einer ĂĽbereilten Resignation, der unter
Verschmähung der «geduldigen Mitarbeit an der Ueberwindung
der Widerspräche und der Lösung der Welträthsel den zu
bekriegenden Feind als Herrn der Welt auf den Thron
E. von Hartmaiin: Bahnsea's Realdialektik. 351
erhebt, endet doch schliesslich mit der kläglichen Heimkehr in
die logische Heimath, mit der trĂĽbseligen Anstrengung, die
logische Denkarbeit im Widerspruch mit dem prodamir-
ten Princip fortzusetzen, welche die ĂĽbrige Welt im Ein-
klang mit ihren Principien betreibt. Der völlige Verzicht
auf Wissen ist nun einmal selbst fĂĽr den Realdialektiker
nicht auszuhalten, am wenigsten fĂĽr Einen, dem so sehr
daran gelegen ist, sich den Credit eines „Denkers" zu be-
wahren. Aber Tielleicht findet B., dass er gerade in diesem
widerspruchsvollen Verhalten zur Logik die allereigentlichste
xm^ persönlichste Bewährung seiner realdialektischen Grund-
satze, die Einheit des et — et und nee — nee, geliefert hat
(215--216), und blickt spöttisch auf den Kritiker, der ihm
mit einer logischen reductio ad absurdiun beizukommen meint
(229); dann naturlich bleibt letzterem nichts ĂĽbrig, als ihm
zu dem Triumph, welchen er als Meister der Realdialektik
in diesem Werke feiert^ zu gratuliren. Nur wird er sich
nicht wundem dĂĽrfen, wenn in diesem Falle die ĂĽbrige Welt
sein Geständniss, dass „das eigentlich letzte Schlussfacit der
Realdialektik" auf ein „Nihil vere negativum" laute, und
sonach die Realdialektik einen „realen oder realistischen Nihilis-
mus*' repräsentire (242), doch in etwas weiterem Sinne auflasst,
als er dasselbe gemeint hat.
5. Die empirische BegrĂĽndung der Realdialektik.
Mag es nun immerhin sein, dass B. die Stellung des
Logischen im realdialektischen System nicht richtig bestimmt
hat, und diese Partie seines Werkes einer durchgreifenden
Correctur bedarf, so bleibt es dessen ungeachtet mc^lich,
dass das Prmdp der Realdialektik richtig und dazu bestimmt
sei, die Welt zu reformiren. Wenn B. Recht hat, dass die
Erfahrung uns den Widerspruch allerwärts als Thatsache der
Wirklichkeit zeigt, so hat er auch Recht, dass das Denken
sich vor dieser Thatsache beugen muss (100, 105). Nur das
ist verkehrt, in diesem Falle noch von Erkenntniss und Wis*
senschafl zu reden; denn die blosse Erfahrung vermag Beides
niemals zu gewähren, vielmehr beginnt Beides erst mit der
logischen Bearbeitung der Erfahrung, und zwar nur unter
der hier nicht erfĂĽllten Bedingung, dass die Denkgesetze mit
25S E. von Hartmaim: Bahnsen^s Realdialektik.
den Gesetzen der Wirklichkeit identisch sind. Den Schein
wissenschaftlicher Erkenntniss vermag B. seiner Realdialektik
immer nur durch die in jeder Gestalt inconsequente Ein-
schmuggelung der Logik in dieselbe anzuhelFten; wird diese
Inconsequenz corrigirt, so bleibt nichts als die Desperations-
resignation bei der absoluten Ignoranz ĂĽbrig (390).
Es ist ja freilich nicht nöthig, dass Erkenntniss und
Wissenschaft sei, — es mag ja sein, dass das Streben nach
beiden nur eine äffende Luftspiegelung ist, die der Wille sich
höhnend vorgaukelt (ebenso wie die Sehnsucht nach der un-
möglichen Selbstversöhnung seiner Selbstentzweiung — »52),
bloss zu dem Zweck, um damit am wirksamsten sich selbst
zu quälen; dann ist es aber die Aufgabe der realdialektischen
Philosophie, diese selbstquälerische Prellerei zu entlarven und
die absolute theoretische wie praktische Resignation wenig-
stens als anzustrebendes Ideal aufzustellen. Wenn aber B.
an dem Glauben, dass Erkenntniss und Wissenschaft möglich
sein müsse, festhält, dann muss er der Realdialektik den
Rücken kehren, welche die Möglichkeit beider aufhebt, und
muss sich der Reihe der ĂĽbrigen Forscher und Denker an-
schliessen, welche den Widerspruch ĂĽberall, wo er auftaucht,
für ein blosses Produkt des Irrthums und der Unzulänglich-
keit der Erkenntniss halten, und die Aufgabe der Wissen-
schaft darin sehen, diesen Schein durch Feststellung des
wahren, d. h. widerspruchslosen Sachverhalts zu zerstreuen.
B. bezeichnet mit Unrecht diesen Standpunkt als {tetitio prin-
cipii (354 — 355); es ist nur ein Probirverfahren, ein Ver-
suchs Standpunkt, der sich erst an seinen Resultaten bewäh-
ren muss, aber auch bereits in hinreichendem Ilaasse an
denselben bewährt hat, um sich ihm für die Zukunft mit
vollem Vertrauen hinzugeben.
Wenn die Alternative feststeht, dass man entweder ganz
auf Erkenntniss resigniren, oder sie auf diesem Wege suchen
muss, so ist das Suchen, das schon so sehr durch Finden
belohnt ist, doch wahrlich nicht mehr des Spottes werth,
den B. darĂĽber ausgiesst (355), um so weniger, als er selbst
anerkennen muss, dass auf sehr vielen Gebieten sehr vieles,
was dem unwissenschaftlichen Blick als realdialektischer
ÂŁ. von Hartmann: Bahnsen's ReakĂĽalektik. 353
Widerspruch erscheinen musste, von der Wissenschaft als logisch
gesetzlicher Zusammenhang nachgewiesen ist (361). So hat
er denn selbst vieles als BegrĂĽndung der Realdialektik fallen
lassen, was ein Neuling dafĂĽr halten mĂĽsste, und thut sich
auf diese Besonnenheit nicht wenig zu Gute (263, 264, 346),
obwohl dieselbe ihn nicht hindert, die von ihm selbst als
nichts beweisend bezeichneten Gebiete mit weitschweifiger
Breite durchzuarbeiten und stellenweise auf Beispiele von
einer Trivialität zurückzukonunen , die wohl selbst einem
„Neuling" kaum entgehen kann (z. B. 184r— 185, 228, 316,
358 Anm., vgl. auch die angeblichen Belagstellen aus Goethe
S. 183). Charakteristisch fĂĽr die Unhaltbarkeit seiner Nach-
weise ist die Unsicherheit, welche ihn öfters von „anschei-
nend'^ realdialektischen Phänomenen reden und noch öfter
schwanken lässt, ob er es mit logischen oder realdialektischen
Erscheinungsgebieten zu thun habe.
So viel kann B. unmöglich bestreiten, dass fiberall, wo
die Wissenschaften ihre Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntniss
zu liefern, erfĂĽllt haben, die WidersprĂĽche schlechthin besei-
tigt sind, mit andern Worten, dass der Widerspruch, oder
wie wir meinen, der Schein desselben jeweilig auf das von
der Wissenschaft noch nicht erschlossene, durchdrungene und
erhellte Gebiet beschränkt Bleibt. Es ist also die Sphäre der
Unwissenheit und Unwissenschaftlichkeit der einzige Boden,
auf dem die Realdialektik pflĂĽgt, und zwar die Unwissenheit
und Unwissenschaftlichkeit in zweifacher Hinsicht, erstens die
objective, sofern sie aus der Unzulänglichkeit des jeweiligen
Gesammtzustandes der Wissenschaften entspringt, und zwei-
tens die subjectiTe, sofern sie aus der wissenschaftlichen Ein-
seitigkeit und menschlichen Schwachheit der einzelnen Denker
und Forscher entspringt.
Jedermann weiss, dass uns noch Vieles dunkel und un-
begreiflich ist, und wenn man alles vorläufig Unbegreifliche
sofort, als ob es darum schon ein Undenkbares, d. h. logisch
Unmögfiches wäre, für die Realdialektik in Anspruch nimmt
(380), so ist es nicht schwer, mit der empirischen Bewährung
derselben ein Buch zu fĂĽllen. Noch leichter aber ist es,
Folianten aus Folianten zu excerpiren (303), wenn die
254 E. Yon Hartmann: Bahnsen^s Realdialektik.
einzelnen Arbeiter des Geistes nur bei den Schlairockzipfeln
ihrer Menschlichkeit gepackt werden, wenn die „Wissenschaft
der Realdialektik*^ zu einem Sammelsurium von unbrauch-
baren ScherbenabftUen aus den Werkstätten grosser und klei-
ner Geister herabsinkt und ihren Kessel mit den fein säuber-
lich aufgelesenen Spänen zu heizen sich bescheidet, die bei
den Turnieren ideensĂĽchtiger Logiker umherfliegen (26). Be-
sonders ergiebige Felder für solche Abfälle sind die philoso-
phischen Grenzgebiete der Mathematik und Naturwissenschaf-
ten; denn bekanntlich besitzen Mathematiker und Naturfor-
scher nur selten philosophische Anlage und Bildung zugleich,
und bringen, wenn sie sich auf die philosophischen Grund-
begriffe ihrer Wissenschaften einlassen, oft genug haarsträu-
bende Absurditäten zu Tage, aus denen es sehr wohlfeil ist,
eine Blumenlese zu veranstalten (303). Aber schon der Um-
stand, dass die so aufgetriebenen WidersprĂĽche alle sich
unter einander widersprechen, sollte ein ausreichender Fin-
gerzeig sein, dass dieselben blosser, aus der Unwissenheit
entspringender Schein sind, anstatt es mit 6. fĂĽr einen Be-
weis für die absolute Negativität ihres Substrats zu nehmen
(18). Wenn B. von der Wissenschaft die Toleranz gegen
den Widerspruch fordert, weil noch nicht alle Aporien ge-
löst seien (262), so fordert er dsfmit nicht mehr und nicht
weniger, als den principiellen Selbstmord der Wissenschalt
Ganz schwächlich sind seine umständlichen Bemühungen,
die physikalischen, chemischen und physiologischen Phänomene,
welche unserer Anschauung zwar paradox erscheinen, jedodi
von einer tieferen Reflexion und namentlich vom Galcul als
logisch bedingte erwiesen sind, zu realdialektischen Belägen zu
verwerthen, und der Fleiss, welchen er darauf verwendet hat,
solche Beispiele aus modernen naturwissenschaftlichen Jour-
nalen zusammen zu lesen, ist eine verlorene MĂĽhe. Er ver-
* kennt dabei, dass die discursive logische Reflexion, wenn sie
in einer Hinsicht beschränkter, so auch in anderer Hinsicht
wieder zuverlässiger und weittragender ist als die dnnUche
Intuition, und dass beide berufen sind, einander zu ei^änzen,
aber nicht einander zu verdrängen (288, 142).
Dass aUe Aporien, welche sich aus der discursiven
ÂŁ. von Hartmann: Bahnson's Realdial^tik. 355
logischen Reflexion, also insbesondere aus der Mathematik er-
geben, für die Realdialektik nichts beweisen können ^), er-
kennt B. ausdrücklich an (268—271, 282), ebenso dass gerade
aus diesem Grunde die Bekehrung zu seinem Standpunkt nur
durch anschauliches Thatsachenmaterial gefordert werden
kann; aber die Möglichkeit dieser Beweisführung wird auf
der andern Seite von ihm selbst immer von Neuem wieder
in Frage gestellt, insofern die Anschauung auf die Sphäre
der phänomenalen Realität verwiesen ist. Denn diese
Sphäre, welche mit derjenigen der Existenz zusammenfällt, hat
nur die Bedeutung^ momentane, vorĂĽbergehende Erschei-
nungsform des Essentiellen zu sein (192), und B. schwankt
1) Dessen ungeachtet ergeht B. sich vinit grösster Ausführlichkeit in
dieser Verbaldialektik. Er verkennt vollständig, dass die anscheinende un-
endlich kleine Ungenauigkeit bei der Integration (304) durch zweiseitige
Annäherung an die gleiche Grenze als absolut identisch mit der Null
streng logisch erwiesen wird. Ueber den Wechsel der Vorzeichen fördert
er Bemerkungen zu Tage (95, 364), die deutlich zeigen, dass er von der
mathematischen Bedeutung solcher Vorkommnisse und der streng logischen
Bedingtheit derselben nicht das geringste Verständniss besitzt; ebenso
wenig wie von dem Unterschied der Begriffe: räumliche Dimension und
ränmliche Richtung (333). Raum und Zeit erklärt er für mehr als blosse
Formen des Seins, für reale Entitäten, für Essenzen und Existenzen, frei-
lich ohne Subsistens (432). Obwohl er sdbst den mit den Begriffen «dis-
cret und oontinuirlich* getriebenen Missbraudi als Grund der meisten
mathematischen und mechanischen ScheinwidersprĂĽche richtig aufdeckt
(268), verfällt er doch selbst dadurch in Widersprüche, dass er die Dis-
cretheit seiner Henadologie mit der Gontinuität der «realen Entitäten"
Raum und Zeit nicht zu vereinigen vermag. Er beschränkt die mechani-
schen Kraftwirkungen trotz ihrer Ubiquität auf eindimensionale Kraftfäclen,
die anter einander (dreidimensional) verschlungen sind (326—327), und
behauptet trotz des inmierfort betonten Zusammenfallens von Function und
Fimctionirendem, oder Action und Agirendem (332, 228—229) die räum-
liche Indifferenz dieser Kraftfäden (328, 332, 337). Einen wichtigen Platz
in seiner Naturphilosophie nimmt die Repristination der SchelMng'schen
Speeulationen Ober den Begriff der Polarität ein (442), welche gegenwärtig
bei dem immer siegreicheren Vordringen der unitarischen Electricitäts-
theorien gar keinen wissenschaftlichen Boden mehr hfĂĽ^en. Wie weit er
darin geht, zeigt das Beispiel, dass er «Attraction und Repulsion nicht
als zwei verschiedene Kräfte, sondern als die contradictorisch entgegenge-
setzten Wirkungsweisen einer und derselben Kraft", nämlich der Gravita-
tion, behandelt (380),
256 E. von Hartmann: Bahnsen's Realdialektik.
dazwischen, ob diese Erscheinung als Ausdruck der Widerspruchs*
vollen Willensnatur selbst ihren antilogischen Ursprung ver-
rathen muss (300), oder ob sie nicht, im Gegensatz zu der
realdialektischen Essenz vielmehr ausschliesslich unter der
Botmässigkeit des logischen Gesetzes stehe (100), so dass die
eigentliche Forschungssphäre des Realdialektikers im Meta-
physischen, und nicht im Phänomenalen liegen müsste(263).
Dieses Schwanken erhöht noch die Unsicherheit, welche aus
den oben bezeichneten Quellen stammt, und lässt den ganzen
Versuch einer empirischen Bewährung als ein zages Herum-
tasten mit gelähmtem nervus probandi erscheinen, das seine
Aufgabe, das Denken unter die empirische Thatsache des
Widerspruchs zu beugen, ganz unfähig ist zu erfüllen. So
sehen wir uns von der verfehlten empirischen BegrĂĽndung
auf die speculative verwiesen, die uns erst in die eigentliche
Sphäre der Realdialektik, die metaphysische einführen soll
6. Die speculative BegrĂĽndung der Realdialektik.
Der Grundbegriff der B.'schen Charakterologie und Real-
diaiektik ist „die Selbstentzweiung'^ Dieser Begriff umfasst
aber zwei ganz verschiedene Vorgänge: erstens die psycho-
' logische Collision von divergenten Begehrungen und Trieben
innerhalb desselben organisch-psychischen Erscheinungsindivi-
duums und zweitens die metaphysische Collision zwischen ge-
sonderten Actionen oder Actionscomplexen des Allwillens, durch
I welche erst die objectiv - phänomenale Individuation und mit
' ihr die Welt der Wirklichkeit constituirt wird.
Wenn innerhalb eines Individuums mehrere Begehrungen
sich kreuzen, so entsteht dabei ebenso gut ein realer Gonflict
wie bei der Kreuzung von Willensakten verschiedener Indi-
viduen; in beiden Fällen wird der reale Gonflict und das
logisch gesetzmässige Gompromiss zwischen den Opponenten
. ^ nur dadurch. möglich, dass das Entgegengesetzte nicht zugleich
sein kann, d. h. dass der Widerspruch in der Wirklichkeit
ebenso unmöglich ist wie im Denken. Der Unterschied liegt
nur darin^ dass bei der interindividuellen Collision das Gom-
promiss nur als äusseres Resultat zu Tage tritt, bei der intra-
individuellen hingegen sich zugleich innerlich vollzieht und
als einheitliche Resultante des Individualwillens sich geltend
E. ron Hartmann: Bahnsen^s Rea]dia]elctik. 257
macht „Dass der Wille auch dann nicht aufhört, ein (po-
tentiell) selbstentzweiter zu sein, wenn sein Antagonismus aus
der Actuaütät in die Potentialität phänomenologischer Ruhe
sich zuräckgezogen hat,'^ ist ganz richtig, insofern die Viel-
heit der in molecularen Hirnprädispositionen würzenden cha-
rakterologischen Triebe bestehen bleibt und vorkommenden
Falls zur Ursache neuer actueller Begehrungsconflicte wird;
aber ganz irrig ist es, die charakterologische Veranlagung der
Triebe zu solchen nichts weniger als widerspruchsvollen Gon-
flicten als Bewährung und Hauptgrundlage der Realdialektik
in Anspruch zu nehmen (343). Jedenfalls gehören alle diese
Spaltungen lediglich der Sphäre der phänomenalen Existentia-
litat an, insofern sie sieb in der Opposition des Specialinhalts
eines bidividualwillens erschöpfen; B. will aber hinter diese
Sphäre zurück und sich nicht einmal mit der CoUision zwi-
schen dem (antilogischen) Willenswesen und seiner (logischen)
phänomenalen Actualisirung begnügen, sondern die eigent-
lichste und tiefste Selbstentzweiung in der „voluntas pura
noch vor und ganz abgesehen von der besonderen Beschaffen-
heit ihres sich selbst widerstreitenden Special-Inhalts*' suchen
und finden (190). Hiermit erst ist die Sphäre der psycho-
logischen Gollisionen verlassen und die der metaphysischen
betreten, aus welchen die erfahrungsmässig gegebene Vielheit
der gleichartigen Individuen selbst erst resultĂĽl.
Dass wir die Welt nur als eine Welt realer Vielheit zu
denken vermögen, bedeutet mit anderen Worten, dass wir
sie nur als eine immerdar selbstentzweite zu denken ver-
mögen (282); „was stammelnde Kinder der Endlichkeit die
Individualisirung, d.h. die Selbst vervielung des Einen,
die Selbstdifferenzirung des Indifferenten, die Selbstrelativi-
sirung des Absoluten nennen, lässt sich nur vorstellig machen
als eine Sonderung von .... polarem GhardLter," d. h.
als realdialektische Selbstentzweiung (284). Das Subject dieser
metaphysischen Selbstentzweiung ist also die (wenigstens be*
grifflich als Prius der Selbstentzweitheit zu denkende) abso-
lute Substanz, d. h. der Allwille ; da aber die Substanz „keine
effecüve Zertheilung zulässt^S so ist der Modus dieser Selbst-
entzwdung eine bloss functionelle Gontraposition specificirter
Philowpb. Xooatahsfte 1881, VI a. V. 17
358 ÂŁ. Ton Hartmaiin: Bahnsen's Realdialdctik.
Actionen, und das Ergebniss derselben keine „substantielle
SelbstzerspIitterung'S sondern ein bloss phänomenaler Anta-
gonismus Ton individualisirten Actionscomplexen (158).
Mit diesen durch eine von mir gestellte Altemative pro*
Yocirten präcisen Erklärungen entzieht 6. seiner Monadologie,
oder wie er lieber sagt: Henadologie, das Fundament einer
substantiellen Getrenntheit der Henaden und tritt yollkommen
auf meinen Standpunkt hinüber. A sei tat können die He-
naden nur dann besitzen, wenn sie aus gar keiner (weder
substantiellen noch functionellen) Selbstentzweiung des Abso-
luten hervorgegangen sind, sondern in sich selbst urständen;
eine über das phänomenale Gebiet hinausreichende ontolo-
gische Dignität können sie nur dann besitzen, wenn sie aus
substantieller Selbstzersplitterung, nicht bloss aus functioneller
Kreuzung der Willensrichtungen hervorgegangen sind. Will
B. die Aseität der Henaden festhalten, so muss er jede über
den interindividuellen Widerstreit der empirisch gegebenen
Individuen hinausreichende metaphysische Selbstentzweiung
des Willens fallen lassen; will er die Begreiflichkeit der Ho-
mogenität der Monaden durch Festhaltung ihres einheitlichen
Ursprungs und einer Selbstentzweiung des letzteren retten,
so muss er auf die Aseität derselben verzichten. Will er
einen metaphysischen Pluralismus im Sinne getrennter Indivi-
dualsubstanzen aufrecht erhalten, so muss er die bloss func-
tionelle Selbstentzweiung des Absoluten durch eine substan-
tielle Selbstzersplitterung ersetzen (wie Mainländer); will er
die Selbstzersplitterung für unmöglich erklären und eine bloss
functionelle Selbstentzweiung des AllwiDens behaupten, so
setzt er damit seinen Pluralismus zu einem bloss j^änome-
nalen herab und bekennt sich in metaphysisch -ontologischer
Hinsicht zum Monismus. In jedem dieser FäDe hört die meta-
physische Selbstentzweiung auf, zur BegrĂĽndung der Real-
dialektik dienen zu können, sei es, dass sie selbst verneint
wird, sei es, dass sie als Selbstzersplitterung die eine Sub-
stanz in viele Theile zerschlägt, sei es, dass sie als functio-
nelle Selbstentzweiung mit dem kosmischen Antagonismus der
interindividuellen Gollisionen zusammenfällt.
Da nun weder substantielle noch functionelle Selbstent-
E. von Hartmann: Bahnsen^s Real<fialektiL 259
zwehing der Realdialektik aufzuhelfen vermag, so muss es
scbHessIich mit einer essentiellen Selbstentzweiung versucht
werden, die aber nur innerhalb des bereits constituirten In-
dividuums ihre Geltung haben soll und jeden Sinn verliert,
wenn sie auf einen absoluten Allwillen ĂĽbertragen wird.
Eine Essenz, die sich äussern können soll, muss das Ver-
mögen haben, aus sich herauszutreten, d. h. eine potentia
existendi sein; nach Jedermanns Meinung .wäre dies keine
potentia existendi, wenn sie nicht zunächst und vor allen
Dingen an und fĂĽr sich subsistirte, wenn ihr nicht als Potenz
eine unverlierbare Subsistenz zukäme, in welcher zugleich ihre
Snbstantialität liegt (246). Aber dieser Gedanke ist für B.
zu einfach, und das scheint ihm ein Grundfehler, weil dabei
nämlich keine Selbstentzweiung der Essenz herauszubringen
wäre. Diese bringt er nun folgendermaassen zu Wege. Er
rednplicirt das Potenzialitätsverhältniss, welches der Wille
zum Wollen (d. h. zur Existenz) hat, in Bezug auf den Willen
an sich, d. h. als bloss subsistir enden, und supponirt dem-
gemäss, dass zu der Subsistenz (oder Substantialität) der Po-
tenz selbst wieder eine potentia subsistendi erforderlich sei,
die er aber zur Vermeidung der wörtlichen Wiederholung
vorzieht, facultas subsldiendi zu nennen, und supponirt dann
weiter, dass diese facultas subsistendi der potentia existendi
nicht von selbst innewohne, sondern erst anderswoher ver-
liehen werden mĂĽsse. Um diese Verleihung zu bewerkstel-
ligen, wird dann zum dritten Male der Potenzbegriflf benutzt,
als das Vermögen, der potentia existendi die facultas subsi-
stendi zu verleihen. Da nun erst durch Erlangung der fa-
cultas subsistendi die potentia existendi zu wahrer essentia
werden soll, so ist jenes Vermögen, was diese Verleihung be-
wirkt, zugleich dasjenige, . was das Sein verleiht, also eine
potentia essendi. Aber wie B. im zweiten Falle den Aus-
druck potentia durch facultas ersetzte, so jetzt in diesem
dritten Falle durch vis oder hfi^yeia, d. h. durch dasjenige,
was resultirt, nachdem die potentia existendi aus ihrer Po-
tenzialität in die Actualität herausgetreten ist. So wird der
monströse Begriif der vis essendi construirt (233), um eine
„antithetische Strebung^' gegen die potentia existendi zu
260 C. Gantoni: Emanuele Kant
gewinnen, und zi:^Ieich in dieser metaphysischen Tis inertiae
die souveräne Selbstverbürgung der 'Selbstherrlichkeit und
Aseität der Henade zu gewinnen (249). Aber die Aseität
ist, wie gezeigt, unhaltbar, und die Doppelheit in der Essenz
der Henade, welche mit der vis es^endi neben der potentia
existendi construirt ist, hat gar nichts Antithetisches, Real-
dialektisches an sich, da beide doch stets nur in harmoni-
scher Cooperation (als henadologische Essenz) wirken, also
verfehlt diese verschrobene BegriffskĂĽnstelei noch dazu so
vollständig als möglich ihren Zweck.
So erweist sich denn die speculative BegrĂĽndung der
Realdialektik als ebenso unhaltbar, wie die empirische, und
beide zusammen nicht minder verfehlt als die Versuche, der
Logik einen Platz innerhalb der Realdialektik offen zu halten.
DĂĽrfte der Werth eines Standpimktes und des ihn darstel-
lenden Werkes nur nach dem in ihm zu findenden Gehalt an
Wahrheit bemessen werden, so wäre die Lebensarbeit B.'s
in Bezug auf seine Realdialektik als eine völlig vergebliche
zu bezeichnen und eine so eingehende Kritik derselben kaum
zu rechtfertigen. Aber die Entwickelung der Wahrheit schrei-
tet durch IrrthĂĽmer fort, welche sie ĂĽberwindet, und deshalb
kann fĂĽr dieselbe die grĂĽndliche Durcharbeitung eines auf
ihrem Wege liegenden Irrthums werthvoUer sein, als inmier
neue systematische Gompilationen leicht variirter alter Wahr-
heiten. In diesem Sinne glaube ich die Beachtung, welche
ich dem vorliegenden Gegenstande geschenkt habe, rechtfer-
tigen zu können, und mit dem Wunsche schUessen zu dürfen,
dass es dem Verfasser bald vergönnt sein möge, den zweiten,
ethischen Theil seines Werkes dem ersten nachfolgen zu lassen.
Emanuele Kant per Carlo CanUmi. Vol. L La filosofia teo-
reĂĽca. Milano, G. Brigola e Gie., 1879. (XVI, 532 S.) 8^
Das immer weiter sich ausbreitende Studium Kant's ist
jedenfalls eine erfreuliche Thatsache, vorausgesetzt nur, dass
es zugleich ein immer tiefer eindringendes Studium sei. Unter
diesem Gesichtspunkte kann man auch das neue oben ge-
G. Gantoni: Emanade Kant. 261
nannte Buch, den ersten umfangreichen Thefl eines auf zwei
Bände angelegten Werkes, mit Freuden begrüssen; denn ein
nicht erfolgloses Streben, in die Tiefen des Kantischen Ge-
dankenganges einzudringen, wird man m demselben nicht ver-
kennen können. Der Verfasser schreibt der Eantischen Lehre
mehr als bloss historischen Werth zu; er erwartet von ihr
auch einen wohlthätigen Einfluss auf die Entwicklung der
Philosophie und der ezacten Wissenschaft in seinem Heimath-
lande. Kant ist ihm die rechte Einleitung in die neuere Phi-
losophie auch fĂĽr Italien; denn die Philosophie eignet nicht
einem Lande. Kant, meint er, habe nicht ĂĽberall die voll-
kommene Lösung der Probleme, aber immer die kräftigste
Anregung gegeben. An einer vollständigen Darlegung des
Eantischen Systems fehlt es in Italien noch, wenn auch werth-
voUe Studien ĂĽber einzelne Punkte vorhanden sind; eine
solche sucht der Verfasser zu geben. Im vorliegenden ersten
Bande behandelt er die Vorläufer Kant's und Kant's vor-
kritische Philosophie, die Kritik der reinen Vernunft und die
Weiterentwicklung der theoretischen Philosophie bei Kant, so
dass dieser Band fĂĽr sich ein abgeschlossenes Ganzes bildet;
ein zweiter Band soll die Kritik der Urtheilskraft, die prak-
tische Vernunft, Rechts- und Staatslehre, die Religionsphflo-
sophic, die Philosophie der Geschichte und die Anthropologie
bei Kant behandeln.
Als Vorläufer Kant's bezeichnet der Verfasser zunächst
Cartesius, dessen Grundprincip das denkende Bewusstsein war,
der aber noch im Vertrauen auf die Erkenntnisskraft der Ver-
nunft dogmatisch befangen war; sodann Locke, bei welchem
der kritische Gedanke wach wird und der sogar die Lehre
von der Subjectivität von Raum und Zeit vorbereitet, aber
doch mehr als Dilettant und nicht als strenger SchulphOosoph
phflosophirt. Berkeley sodann, wenn er auch noch im Empi-
rismus Locke's stecken bleibt, ergänzt ihn doch in manchen
Punkten, wird aber an consequentem Denken durch seine
theologischen Ueberzeugungen gehindert. Auch Hume, der sonst
das Verhältniss d^s Denkens zur Wirklichkeit mit unvergleich-
lichem Scharfsinn behandelt, vermag sich noch nicht hinläng-
lich von der Vermischung des Psychologischen mit dem Logi-
362 G. Gantoni: Emanuele Kant.
sehen zu lösen und verfällt darüber in Skepticismus. Da-
neben aber versäumt der Verfasser nicht, zu bemerken, dass
Kant manche ebenso wesentliche Elemente seiner kritischen
Lehre dem Dogmatismus anderer Vorgänger verdankt, beson-
ders Leibniz und der Aufklärungsphilosophie, die sich an den-
selben anschliesst.
Wie der Verfasser hier mit grosser Umsicht die verschie-
denen EinflĂĽsse, die auf Kant's Bildungsgang einwirkten, ab-
schätzt, so sind auch die folgenden Abschnitte über Kant*s
Leben, ĂĽber seine vorkritische Periode, ĂĽber die Dissertalion
von 1770, sowie die Analyse der Kritik der Reinen Vernunfl
sehr sorgfältig mit umfassender Eenntniss der Literatur, wenn
auch ohne hervorstechende neue Gesichtspunkte, gearbeitet.
Interessant fĂĽr uns scheint am meisten die eigene Kritik, die
der Verfasser an Kant*s Gedanken ĂĽbt. Wu' heben in dieser
Beziehung einige Punkte hervor.
Kant's Werk ist nach dem Verfasser eine kritische Theorie
der menschlichen Erkenntniss. Gegen ein solches Untei nehmen
nun wendet Bertini in einer Studie über Kant ähnlich wie
Hegel ein, dass das, was in Frage steht, schon als bejaht
vorausgesetzt werde. Denn um ĂĽber die Wahrheit der Er-
kenntniss entscheiden zu können, muss man zunächst die
Forderungen feststellen, denen eine Erkenntniss, um wahr
und gĂĽltig zu sein, entsprechen muss, und dann muss man
nachweisen, dass die menschliche Erkenntniss solchen Forde-
rungen genügt oder nicht genügt ; dazu gehört aber als Vor-
bedingung eben dies, dass das Vermögen, die allgemeinen
Principien zu erkennen, dass der Sinn der inneren Wahr-
nehmung, und endlich, dass das Vermögen des Schliessens, die
Wahrheit zu jergreifen vermöge. Unser Verfasser erwidert
darauf, dass die Möglichkeit des Erkennens, dass insbesondere
die Existenz von mathematischer und physikalischer Erkennt-
niss von Kant niemals in Zweifel gezogen worden sei, dass
es sich fĂĽr Kant nur darum gehandelt habe, denkend die Be-
dingungen solcher Erkenntniss zu ermitteln und danach zu
entscheiden, auf welchen Gebieten diese Bedingungen erfiillbai
siiild, auf welchen nicht In^der That scheint dies der einzig
richtige Gesichtspunkt fĂĽr die Beurtheflung des Kantischen
G. Gantoni: EmanuAle Kant. 163
Unternehmens zu sein. Eant's oberster Grundsatz ist, dass
die denkende Vernunft allein an sich selber zu messen ist:
dass alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, die mit
nichts als mit sich selbst beschäftigt ist, schlechterdings be-
antwortlich sein mĂĽssen. Gleichwohl ist die Schwierigkeit
damit nicht erledigt und der Anstoss nicht beseitigt. Der
Einwurf Hegel's und Bertini's bleibt in seiner Berechtigung
best^ien, freilich nicht dem Unternehmen Eant's selber, son-
dern erst dem Resultat gegenĂĽber, wie es sich aus der Unter-
suchung bei Kant ergibt, nämlich dass das Ding an sich un-
erkennbar ist. Denn das heisst doch in der That nichts
anderes als: es gibt ĂĽberhaupt keine Erkenntniss, und erst
Ton diesem Resultat aus wäre auch das für die Untersuchung
selbst vorausgesetzte Vertrauen auf die reine Vernunft, sich *
selbst erkennen zu können, ungerechtfertigt. Dies musste
auch der Verfasser selbst nach einer vortrefflichen Ausein-
andersetzung S. 328 ff. im Grunde zugeben.
Aehnlich wie die Neu-Eantianer bei uns, ist ferner der
Verfasser geneigt, ĂĽber die erkenntnisstheoretische Frage auf
Grund psychologischer Betrachtungen zu entscheiden. Dass
Kant diese psychologische Begründung verabsäumt habe,
macht er ihm zum Vorwurf. Mindestens die Wahrnehmung
räumlicher Verhältnisse, wenn auch nicht das zeitliche Vor
und Nach, möchte er auf die physiologischen Functionen der
Sinnesorgane zurĂĽckfĂĽhren und die reine Raumanschauung
nach Analogie der Farben z. B. als eine Abstraction aus
Daten der Erfahrung ansehen, wie sie besonders durch den
GefĂĽhls- und den Gesichtssinn geliefert werden. Mit Unrecht
habe Eant gemeint, allgemeingĂĽltige und nothwendige Erkennt-
nisse könnten nur die sein, die ihren Ursprung allein im Sub-
jeet haben; mit ebenso grossem Unrecht aber habe er die
Möglichkeit einer Synthesis von objectivem Werth nur in
dem Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Verstand erblickt.
Eant's apriorischer Formalismus sei ĂĽberhaupt der Ursprung
unzähliger Dunkelheiten und Widerspräche in seinem System
und der Ausgangspunkt fĂĽr das Wiedererwachen des Dog-
matismus seiner Nachfolger geworden. Bei Eant habe sich
anf jener Grundlage der Dualismus herausgebildet zwischen
264 G. Gantoni: Enuinuele Kant.
Erscheinung und Ding an sich, Form und Bfaterie, Sinnlich-
keit und Verstand, ein Dualismus, der allein schon die spä-
teren Bestrebungen nach monistischer Ausgleichung und Ver-
mittlung der Gegensätze erklärlich mache. Die strenge Gon-
sequenz aus den Kantischen Principien selber fĂĽhre weiter
zur Fichte'schen und Hegerschen Lehre von dem Verhältniss
des Denkens zur Wirklichkeit. Aber so bedeutungsvoll auch
die Eantischen und Hegerschen Lehren für die Lösung der
metaphysischen Probleme seien, so bedĂĽrfen sie doch einer
Einschränkung und Modiflcation durch andere Principien. Die
logische Betrachtung reiche nicht aus; die Psychologie habe
zu zeigen, wie sich die Kategorien und die Principien der
reinen Vernunft unter der Einwirkung und Anregung durch
die Sinnenwahmehmung stufenweise entwickeln. Die Formen
der Anschauung wie die Kategorien stammen nicht aus den
Sinnen und der Erfahrung, aber seien auch nicht rein aprio-
risch, sondern werden durch diese und mittelbar also durch
das Reale an sich, aus welchem die Wahrnehmung stammt,
beeinflusst und bestimmt, so dass sie diesem Realen bis zu
einem gewissen Grade entsprechen. Dieses schlechthin Reale
ist nach dem Verfasser nicht beweisbar; aber es ist Gt^en-
stand eines unabweisbaren Glaubens, ein nothwendiges Po-
stulat, wie denn zuletzt immer ein GefĂĽhl, eine psychologische
Nothwendigkeit , etwas an sich Unbeweisbares, der tiefste
Grund unserer Gedanken sei, und wenn wir eigentliche Wissen-
schaft auch nur von Gegenständen einer möglichen Erfahrung
haben, so haben wir doch eben darin zugleich eine aus-
reichende BegrĂĽndung fĂĽr einige allgemeine Erkenntnisse ĂĽber
das schlechthin Reale, die nicht fĂĽr bloss subjectiv eiilirt
werden dürfen, sondern durch sorgfältige Sonderung des Psy-
chologischen, Logischen und Metaphysischen kritisch zu be-
handeln seien, um das dem Realen Entsprechende aus der
VerhĂĽllung auszuscheiden. Ja, rein logisch betrachtet Hege
schon im Satze der Identität die Behauptung eines an sich
Realen enthalten. Der Unterschied, den Kant zwischen Ver-
stand und Vernunft setzt, sei ein willkĂĽrlicher und fĂĽr das
System selbst nutzloser; aus zwei yerschiedenen Richtungen
einer einheitlichen Thätigkeit habe Kant zwei getrennte Ver-
G. Gantoni: Emanuele Kant. 365
mögen gemacht. Es seien deshalb die Ideen der Vernunft
und die Begriffe des Verstandes auch von gleichem Erkennt-
msswerth, und die Antinomien als nothwendige und unlös-
bare nicht anzuerkennen. Weit entfernt, dem Ich die Sub-
stantialität abzusprechen, sieht der Verfasser auf Grund des
inneren Sinnes und eines allerdings die Demonstration nicht
zulassenden GefĂĽhles im Ich gerade den Prototyp der Substanz.
Dem absolut Realen schreibt er Leben und Entwicklung zu
und setzt damit in demselben Raum und Zeit; er bezeichnet
es als den absoluten Grund aller Wirklichkeit und als Grund
auch fĂĽr Pflicht und Sittlichkeit.
Offenbar bilden diese erkenntnisstheoretischen Ansichten
des Verfassers einen stricten Gegensatz nicht bloss zur Kan-
tischen Auffassung des kritischen Problems, sondern zu aller
eigentlichen Kritik des Erkenntnissvermögens überhaupt. Der
Verfasser zieht sich, — dem vorwaltenden Zuge der Zeit
folgend, möglichst schnell aus der Sphäre des reinen Denkens
auf den Boden der psychologischen Thatsachen zurĂĽck, die
er in seiner Art deutet. Das ist aber recht eigentlich ein
RĂĽckfall in den Dogmatismus, der bei ihm ein ontologischer
Dogmatismus ist, während bei unsem Neu - Kantianern ein
skeptischer Dogmatismus auf physiologisch - psychologischer
Basis vorherrscht, der mit Kant eine Aehnlichkeit hat nicht
in dem Sinne und in dem Ausgange der Untersuchung, sondern
bloss im Resultat, dem skeptischen subjectiven Idealismus.
An Kant's Nachfolgern, in der Reihe von Fichte bis Hegel,
Klag man das Resultat ihres Denkens und speciell die Iden-
tität von Denken und Sein übereilt nennen; aber dass ihr
Denken im Kantischen Sinne ein kritisches gewesen ist, sollte
man nicht bestreiten wollen. Auch unser Verfasser behauptet
mit einem gewissen Vorwurf, bei jenen Nachfolgern Kant's
habe sich ein neuer Dogmatismus herausgebildet: sicher mit Un-
recht Das Wesen des Kriticismus besteht nicht in der Lehre,
dass unser Denken auf Erscheinungen beschränkt sei; ein
solcher Satz ist in alter und neuerer Zeit sehr oft ausgespro-
chen worden auf rein dogmatische Betrachtungen hin. Kritisch
ist vielmehr das Princip, das Denken am Denken selbst, nicht
an ii^end welchen Voraussetzungen, angenommenen Thatsachen
S66 A. Foainte: La sdenee sociale eontonporaine.
oder Erfahrungen zu prĂĽfen. Man darf skeptischen Dogma-
tismus nicht mit Kriticismus verwechsehi. Auf kritischer
Grundlage ist die Identitätsphilosophie entstanden. Man mag
sie anzweifeln und zu berichtigen versuchen; aber die Basis
dieses Gedankenganges aufheben, heisst nicht auf Kant, son-
dern hinter Kant, auf den vorkritischen Dogmatismus zuräck-
gehen. Und gerade dies thun alle die, welche die Erkennt-
nisskraft des Dehkens zu prĂĽfen unternehmen auf Grand
irgend welcher physiologischen oder psychologischen Empirie,
die ja nimmer fär sich gewisse Thatsachen zu liefern ver-
mag, sondern deren Werth erst durch die Erkenntmsskraft
des Denkens verbärgt wird.
Was aber die Hauptsache anbetrifft, so hat sich Herr
Cantoni durch seine sorgfältige und eingehende Behandlung
der theoretischen Philosophie Eant*s ein entschiedenes Ver-
dienst nicht bloss um seine Landsleute erworben. Die Klar-
heit und Lebhaftigkeit seiner Darstellung, die ihn in den
kritischen Erörterungen zuweilen sogar zur dialogischen Form
greifen lässt, verdient ausdrücklich Anerkennung, und mit
den besten Erwartungen darf man dem zweiten Bande, der
hoffentlich nicht zu lange wird auf sich warten lassen, ent-
gegensehen, um so mehr, als der Verfasser wirklich den
ganzen Kant zu geben beabsichtigt und nicht bloss den er-
kenntnisstheoretischen Skepticismus als Kant's grosse That
verherrlicht. Dass er die Bedeutung der praktisch^i Philo-
sophie fĂĽr die geschichtliche Erscheinung des Kantischen
Systems wohl zu wĂĽrdigen versteht, ^hat er schon in diesem
ersten Bande bewiesen.
Berlin. Lasson.
La seienee sociale oontemporaine. Par Mfred FamUie. Paris,
Hachette et Gie. 1880. XHI und 424 S. kl. 8^
Der Verfasser bietet in dieser Schrift eine weitere Aus-
fĂĽhrung und systematische Bearbeitung der Gedanken, welche
er in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buche: „L'id^
moderne du droit** ausgesprochen hat. (S. Philos. Mcmatsh.
1879, IIL) Das historisch-kritische Element, welches dort im
A. FwaMe: La teisDee sodale coniemporaina. t67
Ganzen das vorherrschende war, ohne dass jedoch die Ab-
sichten des Verfassers auf eine vollständige Darstellung der
neueren Rechtsphilosophie gerichtet gewesen wären, tritt hier
hinter den Zweck einer systematischen Erörterung zurück, in
welcher die vorhandenen Leistungen nur beispielsweise ihre
Stelle finden. Ein durchgefĂĽhrtes System der Gesellschafts-
wissenschaft, wie wir es in Deutschland von Stein und Schaffte
besitzen, wird man bei Fouill^e allerdings nicht erwarten
dürfen: seine Absicht ist vornehmlich auf Erörterung der
principiellen Begriffe und philosophischen Grundanschauungen
gerichtet, welche fĂĽr eine wissenschaftliche Behandlung der
Gesellschaftslehre massgebend sind. Dabei mag gleich hier
hervorgehoben werden, dass bei ihm das sociologische und
recbtsphilosophische Gebiet in viel engerer Verbindung stehen,
als dies nach der durch R. v. Mohl und Stein gebräuchlich
gewordenen, von Fouill^ ausdrücklich bekämpften Trennung
der Staats- und Gesellschaftslehre, gewöhnlich ist. Die philoso-
phische Richtung des Verfassers, welche sich seit seiner ersten
Arbeit (La liberte et le d^terminisme) consequent entwickelt
hat, lässt sich vielleicht als eklektisch bezeichnen, in dem
Sinne, wie der Eklekticismus hi der ganzen Geschichte der
Philosophie immer nothwendig gewesen ist, um einseitige
Richtungen zu ĂĽberwinden und divch kritische Synthese fort-
zubilden. Fouill^e ist ein grundsätzlicher Gegner alles Mysti-
dsmus, alles Dualismus, alles Transcendentalismus, trete er
auch in so verkappter Gestalt auf, wie in dem teleologisch-
pessimistischen Monismus Hartmanns. Alle Deduction aus
dem Absoluten ist ihm widerwärtig: ebenso alles Hineui-
tragen absoluter Bestimmungen in diese Welt der Wirklich-
keiten, die nur Relatives kennt. Den Angelpunkt seiner Welt-
anschauung bildet der BegnS der Freiheit ~ eui kritischer
PrĂĽfstein fĂĽr jedes System, aber gerade fĂĽr Alles, was Ethik
ond Sodologie heisst, von fundamentaler Bedeutung. Dass
Freiheit nur auf der Grundlage des Determinismus verständ-
lich sei, hält Fouill^ durchaus fest: in die allgemeine Reihe
der Naturursachen gehört auch der menschliche Geist, als
Bedingtes und Bedingendes, hinein. Gegen das liberum arbi-
toium indifferentiae des französischen Spiritualismus, der auch
268 Ă„. Fotiill^: La seience sociale eontemporaine.
in Deutschland viele offene und versteckte Anhänger zfihlt,
richtet er seine schärfsten Angriffe. Freiheit, wenn man diesen
so vieldeutigen und doch so schwer zu missenden Begriff
festhalten will, Freiheit kann nie im Willen gesucht werden,
sondern nur in der Intelligenz; sie kann aber in jedem Falle
nur einen relativen Sinn haben ; sie ist vor Allem kdne That-
sache, sondern ein Ideal. Das Bereich der Gausalität hört
nicht auf, sobald es sich um geistiges Leben handelt: das
Dazwischentreten von Reflexion und Selbstbewusstsein ändert
nur die Art der Verursachimg. Der Mensch reagirt nicht
bloss auf Reize, folgt nicht bloss Trieben, wird nicht bloss
bewegt von Motiven, welche im Zusammenwirken äusserer
Verhältnisse und innerer Anlagen sich ergeben: sondern in-
dem er äussere wie innere Veranlassungen seines Thuns er^
wägt, und über die Wechselwirkung beider reflektirt, ent-
stehen ihm neue geistige dächte, welche als ein neues Glied
in die Kette der Ursachen eintreten : es sind die Ideen, denen
ein Streben nach Realisation unmittelbar beiwohnt; in ihnen
fallen Gausalität und Finalität zusammen. Diese Theorie,
welcher wir unsere volle Zustimmung geben mĂĽssen, da sie
erhebliche Schwierigkeiten glĂĽcklich beseitigt, und namentlich
für das Verständniss der Geschichte von grosser Bedeutung
ist, dient nun Fouill^e dazu, um eine Vereinigung zwischen
zwei verschiedenen Auffassungen der Socialwissenschaft anzu-
bahnen, welche in ihrer Vereinzelung nur einen Theil der
Wahrheit zu liefern im Stande sind: der naturalistischen oder
analytischen, der idealistischen oder synthetischen. Den An-
theil rein naturwissenschaftlicher Erkenntniss an dem modernen
Studium der Gesellschaft, ihres Wachsthums u|id ihrer Be-
wegungen erkennt FouiUäe rückhaltslos an: er ist aufs Ge-
naueste bekannt mit den neuen Arbeiten von Spencer und
Schaffte, welche der blossen Analogie zwischen der mensch-
lichen Gesellschaft und einem Organismus eine wissenschaft-
liche Grundlage zu geben und aus derselben ezacte sodo-
logische Kenntnisse abzuleiten versuchen. Das zwdte Buch
seiner Schrift: „L'organisme social et Föcole naturaliste" er-
örtert ausführlich, aber mit jener übersichtlichen Knappheit,
worin die Franzosen nun einmal Meister sind, die Fragen
A. FouilMe: La sdence sociale contemporaine. 969
jenes realen Zasammenhangs zwischen Sociologie und Bio-
logie, welche dem fĂĽr dies Gebiet der Forschung sich inter-
essirenden Deutschen aus Schaffte und Lilienfeld bekannt
sind. Letzteren scheint Fouill^ nicht gekannt zu haben;
um so ĂĽberraschender wird an vielen Punkten die Ueberein-
Stimmung der Ansid^ten berĂĽhren. Auf Einzelnes einzugeben
ist hier nicht der Ort : ich begnĂĽge mich auf die im 3. Buche
(La consdence sociale) enthaltene Untersuchung ĂĽber den
Begriff des Volksgeistes zu verweisen, welche vieles Beachtens-
werthe enthält. In durchgängigem Zusammenhang mit seiner
rationalistisch klaren, allem Mystischen abgeneigten Grund-
anschauung polemisirt Fouill^ hier gegen jeden Versuch, die
Summe des in einem socialen Organismus vereinigten Bewusst-
seins selbst individualisirt zu denken — eine Theorie, welche
er besonders bei deutschen Denkern populär findet. Für
alle die socialen Thatsachen, welche von den Anhängern
dieser Hypothese zu Gunsten ihrer Personification geltend
gemacht werden, gibt es nach Fouill^ einfache Erklärungen
durch den physiologischen und psychologischen Mechanismus
der Gesellschaft. Mit vollem Rechte, wie mir scheint, macht
er geltend, dass man in Erscheinungen, die mit RĂĽcksicht
auf die Gesammtheit unbewusst genannt werden mĂĽssen, die
Rolle nicht vergessen darf, welche den bewussten Einzelwil-
len zukommt; und dass die NichtberĂĽcksichtigung dieses Um-
Standes leicht dazu führe, die Wirksamkeit zu unterschätzen,
welche Erziehung, hervorragende Greister oder besondere Ver-
bände auf das Wachsthum des Ganzen auszuüben im Stande
sind. Ebenso wenig als die Freiheit darf man auch das so-
ciale Gesammtbewusstsein als eine Realität auffassen, was
eine Quelle der grössten Widersprüche sein würde. Beide
mĂĽssen in ihrer Vereinigung als ein Ideal gedacht werden,
dem die Menschheit in ihrer Entwicklung zustrebt Das höchste
sociale Ideal aber ist offenbar jenes, welches die reichste
Entwicklung des Individuellen in allen einzelnen Gliedern der
Gesellschaft und die vollste Solidarität unter ihnen fordert.
Eine vollständige Gesellschaftslehre als systematische Durch-
fuhrung dieses leitenden Gedankens hat Fouill^e nicht ent-
worfen — nüt Recht, wird man hinzusetzen dürfen. Aber
S70 A. Fomllte: La scienoe sociale eontemporaine.
zwei Richtpunkte, welche sich aus der wissenschaftlichen
Zergliederung des Wesens der Gesellschaft ergeben, hat Fouill^
mit allem Nachdruck hingestellt. Es sind dies die beidoi
Grundbegriffe des gesellschaftlichen Organismas und des ge-
sellschaftlichen Vertrags. Beide haben in der heutigen Social-
wissenschaft zahlreiche Anhänger: beid^vermögen sich auf
Thatsachen zu berufen, die eine unbefangene Untersuchung
zugeben muss. Sie können daher einander nicht ausschliessen,
sondern mĂĽssen durch einen Mittelbegriff zu vereinigen sein.
Dies ist der Begriff der organischen Selbstbestimmung (orga-
nisme contractuel) ; die Gesellschaft ist ein Organismus, der
sich gestaltet, indem er sich selbst denkt und will; weder
die rein naturgesetzliche Entwicklung, noch die unbeschränkte
Freiheit des Gedankens sind fĂĽr sich allein wirksam: man
versteht das Leben der Menschheit nur, wenn man diese bei-
den Mächte im engsten Zusammenhange denkt. Mit hohem
Interesse wird man das Capitel lesen, in welchem Fouill^
durch kritische Auseinandersetzung mit Huxley und Spencer
die politischen Consequenzen seines Princips entwickelt —
abwehrend sowohl gegen eine auf verkannte biologisdie Ana-
logien sich stĂĽtzende Forderung despotischer Centralisation
als gegen jene Auffassung, welche von dem politischen Cen-
tralorgan der Gesellschaft nichts weiter als Rechtsschutz ver*
langt.
Von speciellen Erörterungen findet man bei Fouill^
nichts weiter, als eine PrĂĽfung der Grundlagen des Straf-
rechts und der Idee der BrĂĽderlichkeit. Beide Capitel stehen
an dieser SteUe etwas vereinzelt; sie treten erst in's richtige
Licht, wenn man sie durch Hinzunahme einiger Abschnitte
aus Fouill^e's früherem Werk „L'id^e moderne du droit" er-
gänzt; namentlich des 4. Buches: Le droit et l'id^e de libert^
und des fünften : L'^galit^. Freilich wären in Manchem nähere
Ausführungen erwünscht: auf Begriffe, wie die der ^galitö
und fratemit^, stĂĽtzen sich in Frankreich wie m Deutschland
durchgefĂĽhrte Gesellschaftstheorien, welche eine radicale Um-
gestaltung der fundamentalsten Einrichtungen verlangen, und
den conservativen Mächten gegenüber den Alleinbesitz einer
idealen Auffassung behaupten. Fouill^e ist, wie dies aus sei-
A. Fouil]^: La scknoe sociale oontemporaine. 371
nem Rechts- und Freiheitsbegriffe mit logischer Gonsequenz
folgt, ein principieUer Gegner aller socialistischen und commu-
nistischen Theorien; er hat auch keineswegs unterlassen,
darauf hinzuweisen, dass diese Theorien die Einseitigkeit des
Manchesterthums durch eine andere ersetzen, welche die wahren
Interessen der Menschheit ebenso empfindlich, wenn auch in
anderer Weise, schädigen müsste. Ich halte seine Formel als
solche für Tollständig zutreffend: aber die zweite Hälfte der
Schwierigkeiten beginnt erst da, wo es darauf ankonunt, die
concrete Wirklichkeit des Lebens nach denselben zu gestalten
und für die einzelnen Verhältnisse zu bestimmen, wie die
Macht des Ganzen mit der Freiheit und dem Recht der Ein-
zefaien, die Gleichheit Aller mit der unentbehrlichen Differen-
zirung und Integrirung des socialen Körpers zu vereinigen
sei. Hier liegt freilich die Grenze, an der Staatswissenschaft
und Staatskunst sich berĂĽhren und wo es schwierig bleibt
zu bestimmen, was die eine zu leisten und was sie der andern
zu ĂĽberlassen habe. Auch derjenige, welcher durchaus nicht
daran denkt, ein bewusstes Arbeiten fĂĽr ideale Ziele mensch-
heitlicher Entwicklung zu Gunsten jenes quietistischen „orga-
nischen Wachsthums^* aufzugeben, hinter welchem sich, wie
neueste Erfahrungen zu schmerzlicher GenĂĽge lehren, nur zu
(A die umso regere Thätigkeit einer sehr reale Interessen
verfolgenden Partei des Rückschrittes verbirgt — auch der-
jenige wird nicht nothwendig der Ansicht huldigen, dass es
möglich oder auch nur wünschenswerth sei, in rein idealer
Construction die Gestaltung aufzuzeigen, welche concrete Ver-
hältnisse zu nehmen hätten, um mit den aUgemeinen Forde-
rungen jenes gesellschaftlichen Ideals in Ăśbereinstinmiung zu
stehen.
Auf solchem Wege gelangt man nur zu abstracter Gleich-
macherei, während das wahrhafte Ideal seine Fruchtbarkeit
eben darin bewähren muss, dass es scheinbar immer eines,
doch die verschiedenste Gestalt anzunehmen fähig ist Wer
wollte die mächtigen Impulse läugnen, welche die ganze neuere
Geschichte durch socialphOosophische Theorien empfangen hat
und verkennen, dass solche in der Zukunft jedenfalls eine
noch grössere RoUe zu spielen bestimmt sind, da ja die
S72 Dr. F. Michelis, Dr. L. Schöberlein: Dogmatik.
Menschheit doch immer mehr nach bewosster Gestaltmig ihres
Lebens drängt? Nicht minder gewiss aber ist das Unheil,
welches dadmrch angerichtet worden ist, dass man Gesell-
schaftsretterei in's Blaue trieb, ohne die realen Verhältnisse
zu berĂĽcksichtigen, an welche jedes Ideal anzuknĂĽpfen hat
Dieses selbst hat allgemeine GĂĽltigkeit: seine Ausgestaltung
im Einzelnen wird werthlos, wenn sie versäumt, an nationale
Besonderheiten anzuknĂĽpfen. Niemand wird darum Fouill^
wegen seiner ZurĂĽckhaltung tadeln: uns sei es gestattet, den
Wunsch auszusprechen, dem geistreichen Schriftsteller bald
auf dem Wege concreter DurchfĂĽhrung seiner Principien zu
beg^inen. Fr. Jodl
Katholische Dogmatik. 2 TheUe. Von Dr. F. Michdis, ord.
Prof. der Philosophie in Braunsberg, Freiburg i. B., Fried.
Wagnerische Buchhandlung. 1881. (499 S.) S^.
Das Prinzip und System der Dogmatik. Einleitung in die christ-
liche Glaubenslehre. Von Dr. Ludwig SehSberlein. Heidel-
berg. Carl Winter 's Uniyersitätsbuchhandlung. 1881.
(XU. 846 S.) 8^
Die Besprechung einer Dogmatik gehört ;nur dann in
diese Zeitschrift, wenn sie metaphysisch auftritt, wie die von
Michelis. Und bei dem ernsten, gediegenen, versöhnlichen
Geist, in welchem diese Dogmatik geschrieben ist, kiann es
nur erfreuen, dieser Pflicht nachzukommen, weil sie Gelegen-
heit gibt, auf eine Arbeit hinzuweisen, welche aus der Feder
eines sachkundigen Mannes stanunt und als Dogmatik der in
unserer Zeit AltkathoUdsmus genannten religiösen Anschauung
lebhaftestes Interesse erregen muss. Michelis nennt seine
Dogmatik die katholische, allgemein gĂĽltige, da er in ihr die
Lehre „der im Apostolate begründeten Kirche Christi" wissen-
schaftlich zu verarbeiten suchte und überzeugt ist, „das Recht
in Anspruch nehmen zu können, in ihr den Glauben der ganzen
Kirche zu vertreten". Und zwar nicht nur gegenĂĽber der
vatikanischen, sondern auch der protestantischen. Er nennt
es daher „einen einseitigen confessionellen MissgrifT^ dass
Biedermann in seiner christlichen Dogmatik unter Katholicis-
Dr. F. MIehelis» Dr. L. Schöberlein: Dogmatik. 273
mus nur , jenen scholastisch ausgeprägten römischen Eatholi-
cismus, dessen richtige Consequenz das Infallibilitätsdogma
und andere vatikanische Definitionen sind^^ versteht. Aber
macht sich Michelis nicht vielleicht selbst solchen Missgriffes
schuldig, wenn er seinerseits Biedermann „als Repräsentanten
der ausgebildeten, protestantischen Dogmatik, als Ă„bschluss
und Ruhepunkt, zu dem das protestantische kirchliche Be-
wusstsein in der ganzen durch den Protestantismus angeregten
wissenschaftlichen und geistigen Bewegung gelangte^' ansieht,
und darum in Biedermann den wissenschaftlichen Protestantis-
mus selbst bekämpft zu haben meint? Hiergegen ist zu pro-
testiren aus philosophischen GrĂĽnden, weil Biedermannes Dogma-
tik beherrscht ist von der Hegerschen Meinung, Gott mĂĽsse ein
unpersönliches Wesen sein. Diese Meinung aber ist zurück-
zuweisen, denn so dynamisch der Hegelianismus sein will, so
grĂĽndet, um kurz zu sein, solche Meinung nur in einer volume-
trischen Weltauffassung. Weil mit der Elle oder dem Zollstab
gemessen, das Endliche unendlich klein dem unendlichen All
gegenĂĽber erscheint, so heisst einestheils das Einzelne nichtig,
werthlos, das sein individuelles Dasein im Unendlichen auf-
geben muss, um Werth zu gewinnen, anderntheils, weil das
Endliche aus dem Unendlichen, als dem Inbegriff aller Voll-
kommenheiten heraustretend das Unendliche räumlich ver-
mindert, begrenzt imd beschränkt, so heisst das Endliche
eine Beschränkung, Beraubung, Verneinung des Unendlichen
und besitzt diesem gegenĂĽber kein Recht des Bestehens, seine
Einzelexistenz ist schon SĂĽnde. Solche volumetrische Anschau-
ung beherrscht in verschiedensten Formen jeden Pantheismus,
den indischen, wie den hegerschen oder schopenhauer'schen,
und auch Biedermanns Dogmatik. Der wahre Dynamismus,
und dieser lebt in der Lehre Christi, ist frei von solcher
äusserlichen Messkunst; ihm ist Gott nicht ein Inbegriff,
nicht gleichsam eine Integralsumme unendlicher Vollkommen-
heiten, sondern eine Selbstheit, ein selbstbewusster Herr und
Meister aller Vollkommenheit, aus dessen freiem Willen als
Zeichen seiner Herrlichkeit, zur Bejahung und Bethätigung
seiner Macht das Einzelne ins Dasein tritt. Nicht als Schranke
und- Verneinung seines Willens empfindet Gott das Einzelne,
Philosoph. Monatshefte, 1881. IV n. V. 18
274 Dr. F. Miehetis, Dr. L. Schöberlein: Dof^atik.
sondern das Kleinste selbst hat ein Recht des Daseins in der
von Gott gewollten und bestimmten Weise seines Bestehens
und Wirkens ; und trotz der Dreiheit seines Wissens, Wollens,
Fühlens ist Gott ein einheitlich persönliches Wesen. Es war
Augustin, welcher die Dreieinigkeit der göttlichen Persönlich-
keit im Hinblick auf die psychologischen Verhältnisse des
gottebenbildlichen Menschen begrĂĽndete und die Gleichwerthig-
keit dieser drei Momente betonte. Wenn ich nun, statt in
dem Begriff eines unpersönlichen Gottes den Gipfel der Philo-
sophie zu sehen, vielmehr der Ueberzeugung bin, dass die
Philosophie bald zur Idee eines persönlichen Gottes übergehen
wird, so geschieht dies zum Theil, weil in der That, mit
Michelis zu reden, „der Äbschluss einer Bewegung*' statt fand.
Hegel stellte das Wissen, Schopenhauer den Willen, Neuere
stellen die Empfindung oder die Phantasie als Urgrund der
Welt hin, und nachdem man erkannt hat, dass diese drei
in ihrer Isolirung ungenĂĽgend sind, wird man wohl wieder
zu ihrer dreieinigen Verbindung zurĂĽckkehren, die freilich
nur in persönlicher Weise, wenn auch nicht nothwendig in
Augustin'scher Fassung, gedacht werden kann.
Michelis ist daher berechtigt zu seiner klaren, scharf-
sinnigen und treffenden Widerlegung Biedermannes, aber im
Augenblick, wo ich gegen die Identificirung Biedermannes mit
dem Protestantismus, welche es leicht macht, den Katholicis-
mus dem Protestantismus voranzustellen, emfach protestiren
wollte: wird mir Schöberlein's Dogmatik zugesandt. Sie ist
ein offenbarer Beweis der lebendigsten Bewegung innerhalb
des Protestantismus; und alles Wichtige, was Michelis bei
Biedermann vermisst, kann er bei Schöberlein festgehalten
finden. Der versöhnliche Geist, welcher Michelis' Schrift aus-
zeichnet, herrscht auch bei Schöberlein; aber vergleichen wir
weiter, so finden wir, dass Michelis in allen Gonfessionen nur
unvollkommene Erfassungen der in der katholischen Dogma-
tik enthaltenen Wahrheit sieht und daher gleichsam alle auf-
fordert, sich der vorhandenen, vergeblich gesuchten Wahrheit
zu nahen, während dagegen Schöberlein, welcher ausserhalb
des Orthodoxismus und der kirchlichen Dogmatik steht, in
allen Gonfessionen einseitige Ausbildungen einzelner Seiten
Dr. F. Michelis, Dr. L. Schöberlein: Dogmatik. 375
des unendlichen Inhalts der christlichen Dogmatik sieht. Da-
bei kommt er zu der von Schelling ausgesprochenen und
auch von dem katholischen Sengler, z. B. in seinem Commen-
tar zu Göthe's Faust gehegten Hoffnung: „d^s nachdem der
Eatholidsmus das petrinische, der Protestantismus das pau-
liiĂĽsche Element zur Geltung gebracht habe, die Theologie
der Zukunft das johanneische Element ausbilden werde/^
Das johanneische Princip : Gott ist die Liebe, ist in Schö-
berlein selbst voll lebendig geworden, und lässt ihn versuchen,
in den verschiedensten, selbst seinem bibelgläubigen Sinne
fremdesten Anschauungen das Verdienstvolle, Wahre und Ide-
ale hervorzuheben. Kaum können wir uns erinnern, von
solcher bibeleifrigen Seite her das Streben der natĂĽrlichen
Theologie und ihr Verdienst gegenĂĽber der kirchlichen Theo-
logie so unparteiisch anerkannt gesehen zu haben, wie von
Schöberlein. Dieses liebevolle Eingehen in die ihm ganz fem
liegenden Anschauungen liefert ihm dann fĂĽr die christliche
Frage eine FĂĽlle verschiedenartigster Gesichtspunkte, welche
er nicht eklektisch, sondern selbstständigen Geistes bei der
Darstellung der christlichen IdeenfĂĽlle als eines einheitlichen
Ganzen zu verwerthen sucht. Grosser Kenner und Freund
der Mystik tadelt er diese deswegen doch treffend, dass sie
onter der einseitigen Herrschaft des GefĂĽhls zu sehr auf ein
von der Welt sich abschliessendes Versinken in die Gottheit
dringe.
Ihm ist die Religion eine Sache des ganzen Menschen
oder wie er gern sagt, des GemĂĽths; er will daher auch der
Erkenntniss Gottes und der sittlichen Thatkraft in der Reli-
gion Rechnung getragen haben. Bei dem einheitlichen Blick
auf diese Dreiheit im Menschen ist ihm der Mensch, wie Gott,
dessen Ebenbild er ist, eine lebendige Persönlichkeit, und er
nennt es einen Fehler der natĂĽrlichen Theologie, dass sie mit
der Persönlichkeit Gottes nicht Ernst macht. Es scheinen ihm
indessen die Schriften Leopold Schmid's und J. Sengler's,
wie auch die treffliche Schrift: Das Wesen Gottes und der
Welt von V. BrĂĽcken, gen. Fock (Vgl. Philos. Monatshefte
Bd. Vni. S. 518) unbekannt geblieben zu sein, sonst hätte er
nicht, wie z. 6. S. 737 gesagt: „Die Persönlichkeit für sich,
276 Dr. F. Michelis, Dr. L. Schoberlein: Dogmatik.
als Kraft des Selbstbewusstscins und der Selbstbestimmung,
wäre etwas blos Fonnales, Abstraktes", das „eine konkrete
Existenz nur durch die Fülle v on Kräften erhält, wodurch sie
ihre Selbstbestimmung vollzieht. Diese nennen wir Natm*."
Um zu Michelis zurückzukehren, so will ich zunächst
einen Punkt bei ihm hervorheben, weil er in Bezug auf den-
selben bei Biedermann eine LĂĽcke findet, sich zugleich aber
mit Schöberlein dabei begegnet ist. Beide nämUch nennen
es eine nothwendige Annahme, dass dem SĂĽndenfall der Men-
schen der SĂĽndenfall der die Menschen verfĂĽhrenden Engel
vorausgegangen sei. Ich gestehe, dass fĂĽr mich weder Miche-
lis noch Schöberlein die Nothwendigkeit dieser Annahme scharf
genug begrĂĽndet hat, auch nicht der Grund ersichtlich wird^
warum Engel leichter und ohne VerfĂĽhrung, die Menschen
schwerer, nur durch Verfülirung von Gott abfallen können.
Beide halten aber auch die Annahme fest, dass mit der ersten
SĂĽnde die ganze Natur in Mitleidenschaft gezogen und zer-
rĂĽttet worden sei. FĂĽr den Leib des Menschen ist dies selbst-
verständlich; aber auch die nach Mass, Gewicht, Entfernung
geordneten, im Gesetz der Gravitation verharrenden Sonnen-
systeme, die mit den ihnen innewohnenden Gesetzen des Wir-
kens die Krystalle oder das Gestein aufbauenden elementaren
Atome sollen dabei zerrĂĽttet worden sein 'und sollen erst mit
der Vollendung der Kirche oder des Reiches Gottes wieder
in Ordnung kommen? Nun, da es des Menschen Natur, das
heisst, seine von Gott gewollte Bestimmtheit ist, als freie
selbstverantwortliche Persönlichkeit zu leben, so blieb für
den Menschen freilich trotz Christus, die tägliche, allzeitliche
MĂĽhe, sich Gnade und Liebe zu erwerben; aber da Christi
Macht nicht kleiner geachtet werden kann, wie die des ersten
Menschen, so muss, wenn wirklich durch Adam eine Zer-
rüttung der Naturgesetze eingetreten wäre, durch Christus die
Harmonie dieser Gesetze Gottes wieder „herrlich wie am ersten
Tage" zur Erscheinung gekommen sein. Solche Ueberzeugung
lebte auf in den Tagen der Reformation, wo man anfing,
nicht mehr blos auf den passiven, sondern auch auf den
aktiven Christus zu blicken, wo man neben der Trauer um
den Charfreitag auch Zeit fand zur Freude ĂĽber den Sieg
Dr. F. Michelis, Dr. L. Schöberlein: Dogmatik. 277
des östersonntags. An dieser Freude lebte die Freude auf
an der Natur als der gesetzesvollen Schöpfungsherrlichkeit
Gottes; und ein Gedanke erwachte in dieser Ueberzeugung,
den keine Weltanschauung vorher denken konnte: der Gedanke
des Bestehens des Einzelnen und des Alles nach inneren
ewigen in der Treue und dem Willen Gottes begrĂĽndeten
Gesetzen. Die Frucht dieses Gedankens reift als Naturwissen-
schaft, die freilich vielfach meint, ihres Ursprungs vergessen
oder sich schämen zu dürfen, die aber überhaupt nicht mög-
lich wäre, wenn eine Zerrüttung der ursprünglichen kosmi-
schen Gesetze bestände.
Was die Definition der Religion in beiden Dogmatiken
angeht, so citirt Michelis Biedermannes Erklärung: „Religion
ist die Wechselwirkung zwischen Gott als dem unendlichen
und dem Menschen als dem endlichen Geiste." Michelis stimmt
dieser Definition „rückhaltslos bei", nur will er „an Stelle
des Wortes Geist das Wort Bewusstsein" gesetzt haben.
Warum? Weil er ganz wie Knauer (Philos. Monatshefte Bd.
XVI: Seele und Geist) ĂĽber den modernen Missbrauch dieses
Wortes eifert. Aber dabei ist doch zu bedenken, wie dieses
Wort in modemer Zeit häufig wnrde in Opposition gegen
jenen Missbrauch, der da sagt: „Natur ist Sünde, Geist ist
Teufel." Gerade in der Gewissheit, dass „Gott ein Geist ist
und die ihn anbeten, ihn im Geist und in der Wahrheit an-
beten mĂĽssen", gab der deutsche Idealismus diesem Worte
die ihm gebĂĽhrende WĂĽrde. Gott ist Geist nach Kant als
absolute Sittlichkeit und auch der Mensch ist wahrhaft geisti-
ges Wesen nur soweit er vom kategorischen Imperativ und
nicht von Lohn und Strafe sich bestinmien lässt. Und wenn
Kant sagt, das Christenthum hat das LiebenswĂĽrdige an sich,
die Pflicht in freie Neigimg umwandeln zu wollen, so hat
Hegel, dessen Verdienst in dieser Hinsicht ĂĽber seinem dia-
lectischen Schematismus ganz unbeachtet blieb, das Verdienst,
innerhalb der Philosophie die Sittlichkeit, als die Bethätigung
des Geistseins, als einen Act des freien Willens und nicht
des MĂĽssens der Pflicht hingestellt zu haben; wenn ferner
dieser Idealismus auch die Natur durchgeistigt sein lässt, so ge-
schieht es in der Gewissheit, dass die Natur nicht SĂĽnde,
278 Dr. F. Michelis, Dr. L. Schöberlein: Dogmatik.
dass sie vielmehr als Offenbarung Gottes seines Geistes
voll sei.
Nicht wegwerfen wollen wir daher dies Wort, weil es
missbraucht werden kann; denn dann mässte man nicht nur
den Namen Gottes, sondern Gott selbst wegwerfen, der mit
der Gabe sittlicher Freiheit den Menschen die Möglichkeit gab,
alles Ideale zu verkehren. Schöberlein sagt: In der heiligen
Schrift wird die geistige Seite des Menschen als Seele be-
zeichnet, wo ihre Passivität, ihre subjective Existenz und Be-
thätigung in Betracht kommt, sie wird aber als Geist bezeich-
net, wo sie in ihrer Aktivität, in ihrer Bestimmung für Gott,
in ihrer öottesgemeinschaft dargestellt wird. Und auch mit
Rucksicht hierauf kann ich in einer Dogmatik, welche Aus-
druck kirchlichen Bewusstseins sein will, die Ersetzung des
Wortes Geist durch Bewusstsein nicht billigen.
Ich verkenne den Beweggrund freilich nicht. Michelis sieht
sich immer Biedermann gegenĂĽberstehen und hat recht, wenn
er dessen, den Gedanken einer concreten Persönlichkeit scheuen-
des. Reden von Gott als einem unendlichen Geist (actus pu-
rus) inhaltslos nennt, und deshalb mit seiner Erklärung:
„Gott ist absolutes Bewusstsein", sofort einen Inhalt hinstel-
len will, der zugleich die Vorstellung von einem unbewusst-
seienden Urgrund zurĂĽckhalten soll. Aber warum nicht
emfach sagen : Religion ist die Wechselwirkung zwischen Gott
und den Menschen? Weil es nicht wissenschaftlich klingt?
Ich stimme Michelis bei, wenn er sagt: „Metaphysisch können
wir das Bewusstsein (wofĂĽr ich in diesem FaDe lieber Per-
sönlichkeit sage) als Sübject - Objectivirung, psychologisch als
Einheit von Erkennen, Wollen und FĂĽhlen fassen." Aber
da die Religion nicht blos Sache metaphysischer Erkenntniss,
sondern auch des GefĂĽhls und WoUens ist, so ziehe ich die
wenigst metaphysische und am meisten allgemein menschliche
Formel vor. Da überdies das Wort Wechselverhältniss zu
sehr die Vorstellung eines mechanischen Verhältni^es, wie das
von Erde und Mond weckt, so stimme ich nicht Biedermann^
sondern Schöberlein bei, welcher sagt: Religion ist Gottes-
gemeinschaft, Gemeinschaft mit Gott als Hingabe auf Grund
von Abhängigkeit.
Dt. F. Michelis, Dr. L. Schöberlein: Dogmatik. 279
„Die Hingabe an Gott, nicht nur des Einzelnen, sondern
auch der Gemeinden, bildet das eigene freie, wahre Leben
der ReIigi<Hi^\ In dieser Erklärung liegt mir zugleich mehr
wie in aUen metaphysisch zugespitzten Dogmenunterschieden
fĂĽr das sociale Leben die Scheidegrenze zwischen Eatholicis-
mus und Protestantismus. Der Katholicismus kennt keine
freie Hingabe des Menschen an Gott, da die Vermittlung
zwischen Menschen und Gott nur durch die sichtbare Einheit
der Kirche, die Priester, geschieht. Michelis kämpft daher,
und diese SteDen sind die psychologisch wärmsten bei ihm,
für die Vollendung der Kirche, Schöberlein für die Vollendung
des Reiches Gottes. Ohne dieses Punktes wegen mit Michelis
rechten zu wollen, verweise ich auf beide Dogmatiken, da es
interessant ist zu sehen, wie der Blick auf das Ziel: Kirche
oder Reich Gottes, jedem einzelnen Stein im dogmatischen
Bau seine besondere Form und Stellung gibt.
Schöberlein's Dogmatik gliedert sich in eine biblische,
eine geschichtliche und eine wesentliche BegrĂĽndung, worauf
der eigentlich darstellende Theil folgt. Michelis scheidet
einen dogmatischen und einen erkenntnisstheoretisch-kritischen
Tbeil, welcher letztere auch fĂĽr sich besteht und als beson-
deres Buch zu haben ist.
Wir glauben indess auf den zweiten Theil nicht näher
eingehen zu mĂĽssen, da er wiederholend die dogmatischen
Ansichten des ersten Theiles bringt; nur sucht er dieselben
jetzt aus dem corrigirten Denkgesetz zu begrĂĽnden. Dieses
Denkgesetz ist aus anderen Schriften des Verf. wie z. B.
„Kant vor und nach dem Jahre 1770^^ „Philosophie des Be-
wusstseins^' schon bekannt. Aber wir gestehen, dass, wenn wir
auch dem im zweiten Theil der Dogmatik entwickelten weg-
werfenden Urtheil des Verf. ĂĽber neuere Erkenntnisstheorien
zustimmen, und weiter darin, dass die Bedeutung der Sprache
fĂĽr das Denken vielfach verkannt wird: uns doch nicht klar
werden konnte, wie von der Annahme der Platonischen Satz-
definition : der loyogy der Satz, ist die Verbindung von Nomen
und Verbum initum, die Richtigkeit des Erkennens abhänge.
Wir geben zu, dass aus dieser Definition S. 409 „als wahre Po-
sition des reflectirenden Denkens der Gegensatz von Person und
1
280 Jos. KĂĽhl: Die Descendenzlehre und der neue Glaube.
Sache, Geist und Stoff", folge, aber dieser Gegensatz schKesst
nicht ein, wie Person und Sache, Geist und Stoff gedacht
werden mĂĽssen. Unbewusst und unwillkĂĽrlich steht des Verf.
Vorstellung vom Stoff unter der dogmatischen Vorstellung,
dass Adams Sünde eine Störung der Schöpfungsyerhaltnisse
verursacht habe. Erst wenn diese Störung aus der Platoni-
schen Definition nachgewiesen wird, dĂĽrfte das corrigirte
Denkgesetz leisten, was es zu leisten hofft. Und wenn Michelis
auf Grund dieses Denkgesetzes, z. B. S. 110. von einem
„Gesetz der Umkehr" spricht, so scheint uns, dass es bereits
die ganze Aufgabe der speculativen Philosophie war und ist,
das Endliche nur in Beziehung, m der Hinkehr zum Unend-
lichen zu denken. Die Frage blieb dabei nur: wie ist diese
Beziehung, diese Hinkehr, wie ist das Unendliche zu denken?
Die Lösung dieser Frage wird aber sowenig durch die Satz-
definition entschieden, wie die Frage: ob und welcher Art
Gott sei, durch den ontologischen Beweis.
Prof. L. Weis.
Die Descendenzlehre und der neue Glaube von Josqifh KM,
MĂĽnchen, Theoder Ackermann. 1879. (X u. 244 S.) 8^
Eine ruhig und vorurtheilslos geschriebene Schrift, der
wir Verbreitung wünschen, und die der Ruhe ihrer Erwä-
gungen halber jetzt, wo in den Streit ĂĽber Descendenz und
neuen Glauben ĂĽberhaupt mehr Ruhe gekommen ist, um so
willkommener sein dĂĽrfte. Wie schon der Titel zeigt, zer-
fällt die Schrift in zwei Theile. Der eine „versucht (S. HI)
in der viel umstrittenen Descendenzlehre zu einem festen Ur-
theil zu gelangen, der andere prĂĽft im Anschluss an das be-
kannte Buch von Strauss die Gonsequenzen, die sich aus
derselben fĂĽr unser ganzes geistiges Leben, namentlich aber
für die traditionellen religiösen Ueberzeugungen ergeben."
Statt „zweiter Theil" wäre vielleicht richtiger gesagt: Die
Schrift verfolgt eine zweifache Absicht; denn der Nachweis
der Gonsequenzen knĂĽpft sich gleich Anfangs an die ersten
angegebenen Behauptungen des Darwinismus. Diesen Gonse-
quenzen gegenĂĽber fĂĽhrt der Verfasser aus, wie trotz der
Jos. KĂĽhl: Die Descendenzlehre und der neue Glaube. 281
Fortschritte der Wissenschaft „eine Religion und ein Chri-
stenthum in freierer Form** nicht allein möglich, sondern
nothwendig ist (S. IV).
In diesem zweiten Theil, in der Art der Gonsequenzen,
die er aus dem neuen Glauben zieht, in den WidersprĂĽchen,
die er in der neuen Lehre aufzeigt, stimmen wir dem Ver-
fasser am ungetheiltesten bei. Dabei heben wir hervor, dass
der Verfasser in der That „unparteiisch jede Meinung ach-
tete und von jeder Persönlichkeit sich streng fem hielt'*,
S. Vn, ja dass er geneigt ist, seinem Gegner Strauss eher
zu viel wie zu wenig zuzugeben. Getheilter dagegen ist un-
sere Zustimmung bei dem, was der Verfasser in Betreff der
Descendenzlehre sagt. Auch ihr gegenĂĽber will der Verfasser
lieber zu viel wie zu wenig zugeben; er sagt daher sofort
S. III: „Die Descendenzlehre an sich, wenn man darunter
nichts weiter versteht, als den Satz, dass alle heutigen For-
men der organischen Wesen von einer Urform organischen
Lebens abgestammt sind, muss heute als unanfechtbare Wahr-
heit gelten."
Sie muss als Wahrheit gelten? Der Verf. selbst weist
in seiner Schrift vielfach auf die LĂĽcken hin, welche die Em-
pirie in der Entwicklungslehre lässt; er citirt sogar noch
S.210 wiederholend ein Wort Virchow's: „Vorläufig ist hier
(in Bezug auf die Uebergangsfahigkeit von Art zu Jkri) eine
grosse LĂĽcke in unserm Wissen. DĂĽrfen wir sie durch Ver-
nmthungen ausfĂĽllen? Gewiss, denn nur durch Vermuthun-
gen werden die Wege der Forschung in unbekannte Gebiete
vorgt zeichnet. Und das hat Darwin im schönsten Sinne ge-
leistet." Nun wenn diese Uebergangsfahigkeit von Art zu
Art, also die thatsächliche Descendenz der Formenvielheit aus
einem einheitlichen Lebens nfang nur noch als Vermuthung,
also als Hypothese gedacht werden kann, muss sie dann
schon Wahrheit sein? Der Verfasser sagt einige Zeilen vor-
her: „Eine Hypothese kann bis zu dem Punkte geführt wer-
den, dass: so kann es gewesen sein, gleich ist: so muss es
gewesen sein und so ist es gewesen — und das ist der ein-
zige PrĂĽfstein fĂĽr die Echtheit und den wissenschaftlichen
Werth einer Hypothese." Wo liegt aber in der Naturwissen-
288 Jos. Kohl: Die Desoendenilehre und der neue Glaube.
Schaft der PrĂĽfstein, dass das kann in das muss ĂĽberzu-
gehen hat? Als Newton zuerst den Gedanken der Gravita-
tion fasste, da wird er gedacht haben: es kann sein, dass
der Mond proportional seiner Masse und umgekehrt propor-
tional dem Quadrat der Entfernung von der Erde angezogen
wird, ganz so wie der Stein, den die Zugkraft der Erde ÂŁallen
macht. Ja, als seine Rechnung nicht stimmte, weil er die
Grösse der Erde falsch in Anrechnung gebracht hatte, da
wird er oft gedacht haben: es muss doch so sein, wie ich
denke. Indess dem bescheidenen Manne fiel es nicht ein,
seine subjective Vermuthung als objective Wahrheit auszu-
posaunen. Erst als er 16 Jahre spater auf Grund von Pic-
tet's neuer Meridianmessung die Erdgrösse richtiger in Ansatz
bringen konnte, und das Resultat der Rechnung jetzt mit
seiner Vermuthung stimmte, erst dann yeröffentlichte er seine
Hypothese als Wahrheit. Und mit Recht, denn seine Spe-
culation war durch die biduction bestätigt, seine Hypothese
war durch die Uebereinstimmung der Subjectivitat und Ob-
jectivität Wahrheit geworden.
Wo ist aber die Induction, durch welche die Descendenz-
Vermuthung zur Wahrheit wird? Der Verfasser spricht viel
von der Bescheidenheit Darwin's, da dieser seine Lehre nur
fĂĽr die Organismen aufgestellt habe. Indess im HinblidL auf
die Bescheidenheit eines Newton können wir es nicht als Be-
scheidenheit gelten lassen, wenn Darwin auf die blosse That-
sache der grossen Veränderlichkeit gewisser Tauben-, Salit-
und Mentha -Arten hin die Vermuthung als wissenschaftliche
Wahrheit aufstellt: alle Arten sind nur spielartlich verschie-
den. Der Verfasser sagt selbst, man hätte doch wenigstens
aus einer Gans eine Ente zĂĽchten mĂĽssen. So lange ab^
solche bduction fehlt, bleibt die ganze Vorstellung von Ent-
wicklung der Arten aus Arten eine unwissenschaftliche Vermu-
thung, und mag diese Vermuthung noch so viel wissenschaft-
liches Leben bringen. Wir behaupten aber, dass sie anfangt
mehr Tod als Leben zu bringen.
Der Verfasser selbst weist auf den Mangel der Induction
hin und auf das UngenĂĽgende der von Darwin und And^ien
angegebenen Mittel der Entwicklung; er wäst audi sogar
Jos. Kahl: Die Desoandeiudehre und der neue GlaiĂśM. 388
auf den Widerspruch hin, dass der Kampf um's Dasein die-
jenige Art erhalten lassen soll, welche am Meisten vor Nach-
stellung gesichert sei. Dass dagegen die geschlechtliche Zucht-
wahl in Herausbildung von Gesang und schönen bunten Far-
ben einer Art Eigenschaften anzĂĽchten soll, welche ihr im
Kampf um's Dasein sogar schädlich sind, da sie die Feinde an-
locken können. Der Verfasser hätte auch darauf hinweisen
können, wie bei den Pflanzen von geschlechtlicher Zuchtwahl
überhaupt nicht die Rede sein könne. Wenn aber nun die
Mittel, wodurch die Entwicklung stattfinden soll, als ungenĂĽ-
gend erkannt sind, wenn die inductive Bestätigung der Art-
umbildung fehlt und somit die Entwicklungslehre aUer Be-
grĂĽndung entbehrt, was hat es dann einen Werth, zu sagen
(S. IV) : „Die Abstsunmung aller heutigen organischen Lebens-
formen von einer Urform muss heute als unanfechtbare Wahr-
heit gelten.^* Es ist keine unanfechtbare Wahrheit,
nur eine noch discutirbare Vermuthung. Deshalb ist
es uns gleich werthlos, wenn Jemand ohne die dabei statt-
findenden Verhältnisse und Möglichkeiten denkthätig klar zu
stellen, sich begnĂĽgt, zu sagen: Alle$ hat sich entwickelt,
oder wenn er sagt: Alles ist von Gott geschaffen. Aber es
ist uns gleich interessant, zu sehen, wie und ob Jemand den
Gedanken der Entwicklung, wie und ob er den Gedanken der
Schöpfung begründet. Die Hauptfrage wird dabei stets die
bleiben: Wie muss der Urgrund gedacht werden? Als einer,
der die Entwicklung unbewusst entlässt? Als einer, der eine
Schöpfung freithätig in's Dasein treten lässt? Hier aber ist
es, wo die Vermuthung der Descendenz Tod in das freie For-
schen zu bringen droht und schon brachte. Denn man be-
gnĂĽgt sich, zu denken: Alles hat sich entwickelt; aber wel-
cher Art der Urgrund sei, das bleibt undenkbar und 6e-
hehnniss.
Der Verfasser rĂĽhmt gerade hierbei Darwin's Bescheiden-
heit, der nur von einer Entwicklung der Organismen gespro-
chen habe, während der Materialismus, Gott verwerfend, die
Entwicklung auf das ganze Weltall ausgedehnt habe. Indess
Darwin selbst hat, seine Bescheidenheit aufgebend, sich dem
Materialismiis angeschlossen, als er in der zweiten Ausgabe
284 Jos. KĂĽhl: Die Descendenzlehre und der neue Glaube.
der „Entstehung der Arten" die Hauptstelle der ersten Aus-
gabe, dass Gott vier oder fĂĽnf erste Lebewesen geschaffen
habe, weggelassen hat; und wir gestehen, gegenĂĽber dem
Muth eines Kant, Fichte, Schelling, Hegel, die es versuchten,
den Urgrund der Dinge zu denken, gegenĂĽber der kĂĽhnen
allumfassenden Entwicklungslehre des deutschen Idealis-
mus, der den Urgrund der Dinge selbst in diese Entwicklung
hereinzog, erscheint uns die Entwicklungslehre des darwinisi-
renden Materialismus als kleingeistig und engherzig, als Bruch-
stĂĽck. Sie will es als Wahrheit festgehalten haben: Alles
hat sich entwickelt; aber der Urgrund, aus dem die Entwick-
lung geschah, soll undenkbar, unerklarbar sein. Und deshalb
erscheint uns diese Lehre auch als der Tod des freien Den-
kens, da sie in der Meinung, dass ausser ihr keine Wahrheit
sei, es fĂĽr werthlos achtet, andere historisch gewordene Vor-
stellungen zu untersuchen, und da sie gerade vor der Frage
die ThĂĽre des Denkens zuschliessen will, vor der in aller ge-
schichtlichen Zeit die Völker fragend und forschend standen,
vor der Frage: Wer ist Gott? Was ist der Urgrund der
Dinge ?
Der Verfasser, und wir gestehen, dass er uns dabei auf
dem richtigen Wege erscheint, sucht nun mit gegen das Ende
stets grösserer Freudigkeit zu begründen, dass ein persönlicher
Schöpfer der Urgrund sei; um so unerklärlicher aber ist uns
z. B. der Satz S. 9: „Schöpfung ist uns gleichbedeutend
mit Entwicklung; denn eine Schöpfung in dem Sinüe, wie
wir das Wort gewöhnlich verstehen, setzt ein freies Eingreifen
des Schöpfers und getrennte Schöpfungsakte für die einzelnen
Klassen der Lebewesen voraus und erklart nicht die Ueber-
einstimmung in dem Bauplane dieser Lebewesen; sie erklärt
namentlich nicht, warum fĂĽr den Menschen, der doch ausge-
zeichnet werden soDte vor der übrigen Schöpfung, und wirk-
lich ausgezeichnet worden ist, nicht eine andere Gestalt, an-
dere Knochen, anderes Blut und anderes Fleisch gewählt ist,
als etwa für den Affen, seinen nächsten Vetter im Thierreicfa.^^
Schöpfung ist eine freie That, Entwicklung ist ein unbe-
wusst gesetzliches Geschehen, also kann Schöpfung und Ent-
wicklung nicht gleichbedeutend sein, und wenn auch noch so
Jos. Kuh]: Die Desoendenzlebre und der neue Glaube. 285
sehr der Gang der Entwicklung durch die That der Schöpfung
eingeleitet und gesetzlich bestimmt wurde. Der Verfasser/
hätte das Verhältniss von Gott als Schöpfer zur Schöpfung
und Entwicklung näher darlegen sollen; seine Versicherung,
Schöpfung und Entwicklung seien ihm gleichbedeutend, ist
wenigstens rein subjectiv. Nun aber, wo der Verfasser dies
Verhältniss unerklärt lässt, bleibt es auch unklar, was der
indifferente Stoff ist, von dem der Verfasser S. 39 und 59
spricht. „Am Anfang der Dinge muss der Stoff ein indif-
ferenter gewesen sein, d. h. einen absoluten Gegensatz
zwischen organischer und anorganischer Materie kann es nicht
gegeben haben." Ist hier gemeint, dass der Urgrund der
Dinge selbst der indifferente Stoff gewesen sei, ähnlich dem
bdifferenzpunkt Schelling's, aus dem sich Geist und Stoff
differenzirte ? Denn wenn dieser Stoff als Anfang einer von
Gott gesetzten Schöpfung die Entwicklung beginnt, dann ist
er nichts indifferentes, da er in der von Gott ge-
wollten Bestimmtheit wirkt und sich bethätigt. Und
dieser erste Stoff wird mit der entschiedenen Bestimmtheit
als unorganische Materie zu wirken aufgetreten sein, da es
zwecklos gewesen wäre, organische Kräfte dieser ersten Ma-
terie beizulegen; denn diese Kräfte konnten erst wirken,
wenn das Unorganische in Wasser, Luft und Erde geschieden
war. Nicht als Indifferentes, als ein erst im Unorganischen und
Organischen Unterschiedenes brauchen wir daher mit KĂĽhl
die erste Materie zu denken. Und wenn man sie in dem
Sinne indifferent nennen wiD, dass Sonne und Planeten, Luft,
Erde, Wasser nicht gleich Anfangs geschieden waren, so ist
zu bemerken, dass der Hinweis auf den Keim der Pflanzen
anrichtig ist, denn dieser Keim ist nichts Indifferentes, er ist
schon in Stengel und Blatt differenzirt und das Wachsen bringt
nur das bereits Vorhandene zu grösserer Entfaltung. Der
Verfasser deutet oft auf diese Keimentwicklung hin, er ver-
gleicht auch die Vermehrung der Arten der Vermehrung der
Zweige und Zweiglein an einem Baum, aber die Entwicklung
der Zweige und Zweiglein an der Eiche schafft nur Eichen-
Zweige, sie ĂĽefert keine neue Formen.
Wenn aber nun in der citirten Stelle der Verfasser meint,
286 Jos. KĂĽhl: Die Descendenzlehre und der neue Gkube.
die Entwicklung allein erkläre die Uebereinstimmung im Bau-
plan der Lebewesen, so heisst dies doch einen Schöpfer ohne
Gedächtniss, also vernunftlos vorstellen. Der Grund der ein-
heitlichen Beziehung von den Lagerpflanzen zu blattbildenden
Zellpflanzen oder Moosen, zu den Gefässcryptogamen, zu den
Nacktsamigen, den Ein- und Zwei samenlappigen kann doch
gerade so gut gesucht werden in der Verwirklichung des ein-
heitlichen Schöpfungsgedankens des Pflanzenlebens durch eine
unendliche Vielheit von Lebensformen, wie in der Entwick-
lung. Und auch bei der Beziehung des Menschen zu den
Wirbelthleren ist nicht Entwicklung nöthig; denn wenn der
Schöpfer als Spitze der irdischen Daseinsformen den Menschen
in's Dasein rufen wollte, so wird er ihn auch mit irdischen
Existenzbedingungen in's Dasein gerufen haben, er wird ihn
als Spitze der Formen in der vollkommensten Lebensform,
im Wirbelthiertypus haben auftreten lassen. Das Wesen des
Menschen liegt aber nicht in dieser Wirbelthierform, sondern
in dem Schatze seines geistigen Vermögens.
Das Verdienst der Aufklärungstheologie ist es, gegenüber
der mittelalterlichen Vorstellung von einem Gott, der in
allmächtiger Freiheit schrankenlos, willkürlich und in gesetzes-
freier V(^undermacht wirke, die Vorstellui^ geweckt zu haben,
dass Gott als Vernunft nur Gesetzmässiges wolle und wirke.
Kant hat diesen Gedanken aufgegriffen, und der gesammte
deutsche Idealismus lebt in diesem Gedanken. Seit demMiss-
credit der Aufklärungstheologie und des Idealismus sind aber
diese Verdienste vergessen. Der darwinisirende Materialismus
kenat und eifert nur gegen die mittelalterliche Vorstellung
von einem schrankenlosen willkĂĽrlichen Gott, und selbst KĂĽhl,
obgleich ihm anderwärts Gott als der Vernünftige, zugleich
der dem Gesetz sich Beugende ist, kann sich beim Schöpfungs-
gedanken nicht von der mittelalterlichen Gottesvorstellung frei
machen, und er meint: eine freie Schöpfung müsse gedächt-
nisslos, planlos, ohne Gesetzmässigkeit geschehen sein.
Euhl verlegt nun die Differenzirung des indifferenten
Stoffes in die vorgeschichtliche, die Jugendzeit der Erde. Mit
der Geburt des Menschen hört diese Jugendzeit auf, und seit-
dem geschah durch Wanderung die Ausbreitung der Lebens-
E. T. Hartmuin: Zur Geacbiehte und BegrĂĽndung des Peesimismus. 287
formen Yon der Urheimath, dem Hindukusch, und durch Ver-
harren an den einzehien Plätzen, durch Vererbung geschah
die Erstarrung des ursprunglich Einheitlichen in einer diffe-
renzirten Vielheit. Wir mässen indess in Betreff seiner nä*
heran Auseinandersetzung auf die Schrift selbst verweisen.
Wir selbst yennissen eben dabei vielfach die Auseinander-
setzung des Verhältnisses von Gott zur Entwicklung. So wenn
z.B. Kühl S. 192 sagt: „es steht zu vermuthen, dass dieser
Stoff seinen Dienst gethan und ohne neuen Zusatz nicht mehr
zeugen wird/^ ist man gezwungen, zu fragen, ob da, wo man
einen persönlichen Schöpfer annimmt, solche Vermuthungen
nicht in Bezug zu dem Willen dieses Schöpfers und seiner
Weltidee zu setzen sind?
Bei dem reichen Interesse, das Kuhl's Schrift bietet,
hoffen wir indess, dass diese Schrift nicht, wie der Verfasser
S. Vni meint, ein Abschluss frĂĽherer Arbeiten (Die Anfange
des Menschengeschlechts und sein einheitlicher Ursprung, 1873.
Darwin und die Sprachwissenschaft, 1877) sei, dass vielmehr
noch eine andere Schrift folge, welche die Unt^ suchung des
von ihr unberührt gelassenen Verhältnisses von Gott, Schö-
pfung und Entwicklung sich zur Aufgabe macht.
L. Weis.
Zur eetchichtft und BegrĂĽndung des Peeeimismus. Von Eduard
V. Hartnumn, Berlin, C. Dunckers Verlag (C. Heymons).
1880. (XVI, 141 S.) 8«.
Ausser einem Vorwort, in welchem der Verfasser seinen
Pessimismus zu erläutern und zu rechtfertigen sucht, enthält
diese Schrift vier Abhandlungen, welche sämmtlich schon
frfiher in Zeitschriften erschienen waren. Die erste und um-
finglichste handelt von „Kant als Vater des Pessimismus^^
Hier hat der Verfasser sich bemĂĽht, die pessimistische Seite
der Weltanschauung Kant's durch Zusammenstellung aUer
dahin gehenden Aeusserungen desselben hervorzuheben, ein
gewiss nicht unverdienstliches Unternehmen; aber er geht
offenbar zu weit, wenn er Kant zum Pessimisten schlechthin
macht Auch ist es eine schiefe Auffassung, wenn er sagt.
888 E. y. Hartmann: Zur Geschichte und BegrQnduDg des PeoBimismus.
dass Kant nur nicht den Muth finde, der menschlichen Natur
den vollkommenen Verzicht auf positive GlĂĽckseligkeit fĂĽr
diese und jene Welt zuzumuthen, obwohl es eigentlich in
der Gonsequenz seines Moralprincipes liege, jeden verbinden-
den Faden zwischen Tugend und GlĂĽckseligkeit durchzu-
schneiden, um der letzteren ihre Reinheit zu sichern. ,Denn
Kant hat den Dualismus von PflichterfĂĽllung und Wohlergehen
nur fĂĽr diese Welt behauptet oder vielmehr constatirt, aber
er hat doch nirgends gesagt, dass es dem pflichtgemäss Han-
delnden hienieden schlecht gehen mĂĽsse; wiederum fordert
er auf das Entschiedenste, wie jede vernĂĽnftige Weltanschau-
ung dies thun wird, ein schliessliches Uebereinkommen von
Tugendhaftigkeit und Glückseligkeit im sog. höchsten Gute.
Alles, was v. Hartmann hiergegen geltend macht, ist nicht
stichhaltig. Da Kant unverrĂĽckt an der Ewigkeit des mensch-
lichen Wesens festhält und ein unendliches Fortschreiten des
Menschen annimmt, so erscheint ihm gerade von dieser idea-
len Auffassung aus das u*dische Leben trĂĽbe und unbefrie-
digend; er bekämpft jedoch den Gedanken des Glucks nicht
ĂĽberhaupt, sondern nur sofern dasselbe zum eigentlichen Ziel
der LebensfĂĽhrung gemacht wird, und mmmt durchaus sach-
gemäss eine „mittelbare" Beziehung zwischen Glückseligkeit
und Sittlichkeit an, msofem Naturgesetz und Sittengesetz
auf einen einheitlichen Schöpfungsplan zurückweisen. Also
kann v. Hartmann sich bei seinem Satz, dass alle echte
Moral nothwendig den Pessimismus zur Vorbedingung ihrer
praktischen Realisirbarkeit haben mĂĽsse, wahrlich nicht auf
Kant berufen. Ohnehin scheint seine Forderung, dass man
tugiendhaft handehi und dabei doch auf all und jedes Gluck
verzichten müsse, sich unmöglich erfüllen zu lassen. So un-
edel und zugleich thöricht die blosse Jagd nach dem Giäck
ist, und so unedel auch das Verlangen dessen, der fĂĽr seine
Tugend belohnt werden will, ebenso lebendig und unerschĂĽtter-
lich lebt doch im Menschen das Bewusstsein, dass in der
aDgemeinen Oeconomie der Dinge dem aus der rechten Ge-
sinnung fliessenden rechten Thun schliesslich nicht Unheil,
sondern Erfolg und Befriedigung folgen werde. Zu sagen:
„handle tugendhaft, aber werde dadurch für inuner Unglück-
E. T. Hartmann: Zur Geschichte und BegrĂĽndung des Pessimismus. 389
lieh", heisst die Sache auf den Kopf stellen und der Verzweif-
lung, aber damit auch der Unsittlichkeit, Thor und ThĂĽr
öffnen. Ohnehin müsste erst noch bestimmt werden, was
denn unglĂĽcklich sein bedeute, und dies auszumachen ist
ebenso schwierig, ja unmöglich, als auszumachen, was Gläck
sei. Der Pessimismus ist eben eine GemĂĽthsstimmung, kein
Denksystem, eine bei der ĂĽberwiegenden Thorheit und son-
stigen Schlechtigkeit der Menschen zwar leider wohl berech-
tigte Stimmung, der man aber mit anderweitigen Erwägungen
erfolgi'eich entgegentreten kann und soll, — vom religiösen
Standpunkt aus durch den Glauben an die Liebe und die
Barmherzigkeit Gottes, vom rein weltlichen Standpunkt durch
die Ueberzeugung , dass auch bei allem äussern Ungemach
dem sittlich Handelnden das Zeugniss des guten Gewissens und-
die Selbstachtung bleibt.
Indem y. Hartmann den Pessimismus zum Mittelpunkt
seiner Weltanschauung macht, verlässt er die eigentlich
wissenschaftliche Betrachtungsweise und kann darum auch
Kant nicht gerecht werden, dem er z. B. die Lehre aufbĂĽrdet,
dass er „den Pessimismus als Postulat der praktischen Vernunft
a priori" betrachtet habe, während gerade umgekehrt Kant
durch seine praktischen Postulate vom Dasein Gottes und
der Unsterblichkeit sich defl Weg zum Optimismus sichert.
Was V. Hartmann im dritten Abschnitt seiner Abhandlung
(„der transscendente Optimismus") gegen die von Kant in
Aussicht genommene Seligkeit des ewigen Lebens sagt, hat
auch mehr Schein als Wahrheit. Es muss freilich zugegeben
werden, dass Kant in seiner gesunden polemischen Richtung
gegen die sinnlichen Auffassungen des ewigen Lebens sich
mehrfach so geäussert hat, als oh Lust und Glück im ge-
wöhnlichen Sinne des Wortes im. Jenseits nicht stattfinden
könne, aber damit will er doch nur sagen, dass wir, wie
wir uns überhaupt die Zustände eines Lebens nach dem Tode
nicht vorstellen können, auch von der Seligkeit keine Vor-
stellung gewinnen können. Sich etwas nicht vorstellen können
und etwas ableugnen ist aber zweierlei, und darum, dass wir
als unvollkommene Wesen keiner reinen, vollkommenen Selig-
keit fähig, vielmehr nur im unendlichen Fortschritt zu derselben
Philosoph. Monatshefte 1881, IV a. V. 19
290 E. â–Ľ. Hartmann: Zur Greschichte und Begrflndung des Pessimismus.
begriffen sind, die Seligkeit überhaupt als „unerreichbares Ideal"
bezeichnen, heisst die Sache ĂĽberspannen. Auch drĂĽckt der
Satz : „kein Verstand vermag einen persönlichen selbstbewuss-
tep, anweisen und allmächtigen Grott zu rechtfertigen, dass
er Geschöpfe ins Dasein gerufen, denen allen das Nichtsein
besser wäre/' keineswegs Kant's Meinung und Gesinnung aus.
Es ist dabei ja nur von einem möglichen Einwurf gegen ein
Argument des landläufigen optimistischen Versuchs der Theo-
dicee die Rede, nicht aber haben wir mit emem eigentlichen
philosophischen Lehrsatz zu thun. Denn bekanntlich hat Kant
allerdings einen allweisen selbstbewussten Gott angenommen,
sich aber nicht eingebildet, ĂĽber alle und jede Einrichtung
der Welt Rechenschaft geben zu können, v. Hartmann^s Auf-
fassung der praktischen Philosophie und Religionsansicht Kaufs
fallt darum so schief aus, weil er immer vom sentimentalen
Gesichtspunkt ausgeht, Kant aber ĂĽberall das Rationelle der
Sache hervorhebt; Kant fasst als echter Philosoph die Wesen
und deren Verhältnisse sub specie aetemi, v. Hartmann nach
den wandelbaren Angaben des menschlichen Nervensystems.
Aber es wäre andererseits Unrecht, dabei zu verkennen, dass
der Letztere im Gegensatz zu Schopenhauer ĂĽberall eine
Ader edlen Trotzes gegen seinen eigenen Pessimismus kund-
gibt und sich mit männlichem sFolze über die PöbelhafUgkeit
des empiristischen Eudämonismus erhebt, dessen praktische
UndurchfĂĽhrbarkeit und theoretische Grundlosigkeit er wohl
durchschaut hat und richtig bezeichnet.
Dies kommt in besonders anzuerkennender Weise in der
vierten Abhandlung: „die Bedeutung des Leides" zu Tage.
Doch sei zuvor mit Uebergehung der zweiten Abhandlung:
„Ist der Pessimismus wissenschaftlich zu begründen?" —
welche in den Philosophischen Monatsheften erschienen, in
ihnen auch durch A. Horwicz bereits eine Entgegnung ge-
funden hat (vgl. Jahrg. XV p. 589—612, XVI p. 264—288),
ein Wort von der dritten gesagt, welche die Ueberschrifl
trägt: „Ist der Pessimismus schädlich?" v. Hartmann will,
wie er in diesem Aufsatze auseinandersetzt, weder mit dem,
was er EntrĂĽstungspessimismus, noch mit dem, was er quie-
tistischen Pessimismus nennt, noch mit dem „Miserabilismus"
E. y. Hartmann: Zur Geschichte und BeipiSnduDg des Pessimismus. 291
ZU thun haben — er fordert zwar „stille Hoheit der Resig-
nation", aber zugleich „Energie und Thatkraft" und erklärt
den wahren, ethisch religiösen Idealismus mit dem von ihm
vertretenen Pessimismus nicht nur fĂĽr vereinbar, sondern durch
ihn allein gesichert. Der Pessimismus ist also nach v. Hart-
mann nicht allein nicht schädlich, sondern sogar zum sitt-
lichen Leben unentbehrUch, denn „ist ein Individuum unfähig,
seine .Kräfte dem religiös - ethischen Idealismus zu widmen,
wenn es keinen positiven Lohn fĂĽr sich davon ziehen soll, so
ist es ein Kämpfer, welcher der Hoheit und Erhabenheit der
Sache doch nur schlechte und unlautere Dienste leisten wĂĽrde,
ein feiler Söldling ohne Glauben und Liebe zur Fahne, dessen
die religiöse und sittliche Idee füglich entrathen kann."
Der Hartmann'sche Pessimismus betrachtet demnach das
GlĂĽck fĂĽr ĂĽberhaupt unerreichbar; er brandmarkt Jeden,
welcher ĂĽberhaupt noch Hoflhungen hegt, als sittlich Be-
fleckten und glaubt, während er die üeberzeugung von der
unaufhaltsam fortschreitenden Entwicklung der Menschheit fest-
hält, dabei doch, dass die Menschen, je weiter sie kommen,
sich dadurch nur um so unglĂĽcklicher machen. Dieser Lehre
gegenĂĽber muss man nun vor allen Dingen fragen, welches
denn der sittlich religiöse Idealismus sei, von dem v. Hart-
mann spricht, und dem zu Liebe wir alle Aussicht auf Wohl-
ergehen opfern sollen? Da v. Hartmann keinen lebendigen
göttlichen Geist und auch kein ewiges Leben anninmit, so
kann sein Idealismus nur im Smne jener Theorie eines be-
schränkten irdischen Fortschritts genommen werden, von dem
er selber sagt, dass er mit stets abnehmendem Wohlergehen
der Menschheit verbunden sein mĂĽsse. Man soll also, kurz
gesagt, nach v. Hartmann möglichst sittlich, aufopfernd und
selbstverleugnend handeln, mn die Nachkommen dafür —
möglichst elend und unglücklich zu machen. Ich frage, ob
sich das mit der gesunden Vernunft verträgt. Schädlich kann
ein solcher Pessimismus allerdings nicht wohl sein, weil er keine
Nachfolge finden wird ; aber zum Bundesgenossen des wahren
Idealismus kann er auch nicht taugen, da dieser einem posi-
tiven Ziele folgt, dessen Erreichung als die Menschheit ĂĽber-
haupt, aber eben darum auch jeden einzelnen Mitstrebenden
\
292 E. y. Hartmann: Zur Geschichte und BegrĂĽndung des Pessimismus.
beglĂĽckend angesehen werden muss, ohne dass wir fĂĽr diese
endlichepefriedigung an einen gemeinen Lobndienst zu denken
haben. Denn der wahre Idealismus fasst das innere Wesen
des Menschen der Form nach als Freiheit, dem Inhalt nach
als Liel^e: Liebe aber ist von selbst beglĂĽckend. Weil nun
dies Wesen des Menschen nach einem Grundgesetz der Welt,
dass nichts umsonst angelegt ist, irgendwie zum Ausdruck
kommen muss, so kann nicht angenommen werden, dass
menschUch sittliches Streben in immer grösseres Unheil ende;
ebenso wenig kann, da dies Streben unter der Form der
Freiwilligkeit sich bethätigt, dabei von Lohndienst und Krämer-
thum die Rede sein.
In der letzten Abhandlung untersucht v. Hartmann die
Bedeutung, welche das „Leid*^ in verschiedener Hinsicht haben
kann. Man findet darin, wie in seiner „Phänomenologie des
sittlichen Bewusstseins", eine Reihe feiner und treffender Be-
merkungen, ja manches goldene Wort von hohem Werthe,
und darf dies Stück überhaupt als einen der besten Beiträge
zur ÂŁthik bezeichnen, die in der letzten Zeit in Deutsch-
land geliefert worden sind. Aus dieser Abhandlung kann
die relative Berechtigung des Pessimismus verstanden
werden, wenn er, wie v. Hartmann thut, die religiöse und
ethische Seite des Uebels und Schmerzes hervorhebt. Frei-
lich thun Letzteres die Optimisten auch, von denen wenigstens
die besseren, z. B. Reimarus, auf die Teleologie des Schmerzes
ausdrĂĽcklich hingewiesen haben; aber v. Hartmann's Betrach-
tungsweise ist universeller und zugleich tiefer, wenngleich es
dabei wieder nicht an Uebertreibung und Schiefheiten fehlt.
In der Hauptsache ist aber von ihm der Satz, dass das Leid
nicht zur Lähmung des sittUchen Geistes führen dürfe, sondern zu
dessen Förderung bestimmt sei, richtig durchgeführt, und die
speculative Rechtfertigung des Leides und seiner providen-
tiellen Bedeutung neben dem Hinweis auf die in ihm „lauernde
sittliche Gefahr" in jener anziehenden und beredten Sprache,
welche des Verfassers Schriften auszeichnet, so klar geliefert,
dass man mitunter glauben möchte, die Stimme eines Predi-
gers zu vernehmen, der in der WĂĽste der Welt nicht fĂĽr die
WĂĽste, sondern fĂĽr das Himmelreich spricht. C. S.
Litteraturbericht. 393
Littentirberkht.
Le antitesi trat il medioero e Petä modenia nella storia della fllo-
sofla in Ispecie nella dottrina morale dl Italebranche. Per Seba-
stiatA Turbigtio. Roma, 1877. Tipografia deir Opinione. 3 Bll. S. XL VII
u. 31-18^. 8*.
Zeigte sich der Verfasser nicht so ausserordentlich dankbar fĂĽr Be-
sprechungen seiner Schriften in ausländischen Organen, so möchte es nun,
drei Jahre nach dem Erscheinen des Buches, fast zu spät scheinen, noch
auf dasselbe zurĂĽckzukommen. Aber da er so gewissenhaft registrirt, was
ĂĽber ihn bei frĂĽherer Gelegenheit gesagt worden ist, so ist es ein dank-
bares Geschäft, seine Arbeiten der gelehrten^ Welt vorzustellen, und viel-
leicht Uest Einer oder der Andere ganz gern eine Notiz ĂĽber das Buch,
das nicht ohne Eigenthümlichkeit ist. Der Verfasser eröffnet sein Buch
mit einem Briefe an Eduard ZeUer, dessen Philosophie der Griechen er
als den letzten und vollkommensten Typus der Geschichtschreibung ansieht
und unter dessen Banner er sich mit seiner Arbeit einzeichnen will, frel^
lieh nicht ohne sich seine eigenthĂĽmliche Auffassung von geschichtlicher
Entwicklung überhaupt vorzubehalten. Er ist nämlich der Meinung, dass
Philosophie niemals eigentliche strenge Wissenschaft werden kann, wie die,
welche auf Erfahrung beruht, auf äusserer Beobachtung und innerer Re-
flexion; der Philosoph sei weit mehr ein KĂĽnstler, seine Lehre eine Art
von Religion, und seine Beweise nur scheinbar, eigentlich nur ein Mittel
der Propaganda. Alles Denken ist subjectiv gefärbt; zwei Menschen kön-
nen nicht genau denselben Gedanken denken. Der Philosoph hat deshalb
seine Bedeutung darin, dass er der Redner seiner Epoche ist, ihre tiefsten
Tendenzen ausspricht, und darum ist auch das System, wie es sich um
eine erzeugende centrale Idee cristallisirt, unabhängig vom Willen, vom
Bewusstsein und von der Person des Urhebers, ein Product der in der
Zeit waltenden Factoren; nicht einmal die Anordnung der Gedanken im
Einzelnen rĂĽhrt vom Willen des Urhebers her. Die Geschichte der Systeme
spiegelt somit den nothwendigen Gang der intellectuellen Gultur der Mensch-
heit wieder. Zeller lässt eben noch der Persönlichkeit und ihrer Freiheit
einen zu grossen Spielraum. Das Ich an sich ist ganz leer ; erst das um-
gebende Mitte) fĂĽUt es mit einem Inhalt. Die Greschichte der philosophi-
schen Gedanken hat ihre strenge objective Nothwendigkeit, ähnlich wie
die der chemischen, botanischen, biologischen Entwicklungsgesetze. Man
muss daher, wie in der Naturwissenschaft, so auch hier den Schein von
der Wirklichkeit im Aufbau der Systeme trennen, das bewusste und das
unbewusste Element in den Schöpfungen der Philosophen auseinander
halten, und die Aufgabe des Geschichtschreibers ist es, den Bau des ein-
zelnen Systems, wie es überliefert ist, erst einzureissen und aus den Bau«
steinen das Grebäude mit selbstständiger Nacherzeugung neu zu errichten,
um vom Aeusserlichen zum Wesen der geschichtlichen Erscheinimg vor-
zudringen.
394 Litteraturbericht.
Diese Operation nun nimmt der Verfasser an Malebranche vor, — wie
uns scheint, mit sehr geringem GlĂĽck. Er behauptet zwar, er wolle nur
als Historiker verfahren und keinerlei Doctrin geben. Thatsächlich aber
geht ihm über einer vorgefassten Doctrin jedes historische Verständniss
verloren. Es gelingt ihm weder, den Gedanken Malebranche's in seine
wirklichen Elemente zu zerlegen, noch aus solchen Elementen etwas auf-
zubauen, was wie der auf sein Wesen zurückgeführte Malebranche aussähe.
Wir hören überall nur Herrn Turbiglio in endlosen einförmigen Wieder-
holungen — der Herr Verf. sucht sie vergebens zu rechtfertigen (S. 171}
— seine vorgefassten Meinungen auskramen; an den eigenthümlichen Cha-
rakter des Mannes, des Zeitalters, an die BedĂĽr&iisse der Epoche, die
geschichtliche Lage der philosophischen Probleme werden wir nirgends
erinnert.
Der Verfasser misst alles an Gegensfttzen, die als solche geschichtlich
nicht nachweisbar sind, und verf&llt darĂĽber in ein ganz wilkĂĽrĂśches
Gonstruiren. Da ist der Gegensatz von Mittelalter und neuerer Zeit, von
Sinnenerfahrung und Vernunft, von reiner Vernunft und theologisirender
Vernunft, alles das in einer Einseitigkeit erfasst, welche die wirkliche Er-
scheinung nirgends trifft Unterschieden werden zwei Grundrichtungen
der neueren Philosophie, von Locke bis Kant einerseits, von Gartesios bis
Spinoza andererseits: jene der strengen Wissenschaft und der Induction
zugewendet, als Reaction gegen Scholastik und Ghristenthum, gegen alle
Ontologie und Metaphysik, und unter Absehen von der Substanz nur die
Erkenntniss der Erscheinung für möglich haltend; diese von dem Priucip
strenger Wbsenschaft nur unbewusst berĂĽhrt, die Deduction vorziehend,
auf Einheit der Substanz und auf Metaphysik gerichtet. Indessen kann
sich auch die letztere Richtung dem Grundcharakter der neueren Wissen*
Schaft, dem empirischen Elemente nicht ganz entziehen, und dieses nimmt
in der Reihe von Gartesius durch Malebrancbe und Spinoza zu. Deshalb
behandelt der Verfasser auch wider die Chronologie Spinoza nach Male-
branche. Spinoza bildet erst eigentlich den Uebergang vom Mittelalter
zur neuen Zeit und stellt die Reaction gegen das Mittelalter ebenso in
negativer, wie Kant in positiver Weise dar, während Malebranche zuweilen
noch von den mittelalterlichen Ideen sich unterjochen lässt. Bei Male-
branche ist es das Hauptinteresse des Verfassers, nachzuweisen, wie sich
die reine Vernunft und die theologisirende Vernunft, wie sich neue Zeit
und Mittelalter, Pantheismus und Individualismus um ihn streiten. Auf
einzehie, höchst sonderbare Meinungen des Verfassers, wie z. B., dass die
Begriffe von Einheit und Substanz aus den Sinnen stammen, dass der
Begriff des allervoUkommensten Wesens die Auffassung des Mittelalters,
der Begriff des allerrealsten Wesens die der Neuzeit charakterisire u. dgl. m.,
gehen wir nicht weiter ein. Interessant ist uns das Buch besonders nur
deshalb, weil es zeigt, wie ein ausgesprochener Empirismus und Sensua-
lismus in WillkĂĽrlichkeit aprioristischer Gonstruction der geschichtlichen
Thatsachen auch den kĂĽhnsten Metaphysiker zu ĂĽberbieten vermag. Der
Litteraturbericht. 295
Verfasser verspricht eine Arbeit ĂĽber die Philosophie der Renaissance, in
der er nicht mit Unrecht die Wurzeln alles Denkens der neueren Zeit zu
finden glaubt. Wenn die Arbeit zur Ausführung kommt, so wäre zu wün-
schen, dass der Verfasser inzwischen etwas mehr gelernt habe, von vor-
gefaasten Meinungen abzusehen und die geschichtlichen Thatsachen einfach
and nĂĽchtern aufzufassen. Dann erst wird er mit einigem Recht sich zu
Denen zählen können, die nach Zeller's Vorbild Geschichte der Philosophie
betreiben.
Berlin. Lasson.
üeber die Abfassnngueit von Leibniiens Unvorgreillicheii Ctedanken«
Von Director L. Neff. (Beilage zum Programm des Grossh. Pro- und
Realgymnasiums Durlach f. d. Schuljahr 1879—80.) Durlach, A. Dups.
(33 S.) 1880. 4*.
Obige Abhandlung ist gegen A. Schmarsow*s Arbeit: „Leibniz und
Schottelius u. s. w. Strassburg 1877" — vgl. Philos. Monatsh. Bd. XIV. 1878.
p. 181—182 — gerichtet, welcher darin Leibnizens ,ünvorgreifliche Gedanken*
in die nächste Beziehung zu Schottelius gebracht und ihre Abfassungszeit
viel früher angesetzt hatte, als bisher angenommen worden war, nämlich
etwa in das Jahr 1680. Dir. Neff, ein grĂĽndlicher Kenner gerade der
phäologisch-linguistischen Thätigkeit Leibnizens, sucht nun in der vorlie-
genden Abhandlung nicht nur die relative Selbstständigkeit des Philoso-
phen gegen seinen grammatischen Vorgänger Schottelius, sondern auch
die frĂĽhere, besonders von dem verstorbenen Guhrauer vertretene Ansicht
über die Abfassungszeit der «Unvorgreiflichen Gedanken'', wonach sie an
das Ende des Jahrhunderts fallen sollen, also etwa 20 Jahre später als
Schmarsow annimmt, zu behaupten. Er bringt fĂĽr beide Punkte unver-
ächtliche Argumente bei und macht es namentlich wahrscheinlich, dass
die letzte Redaction der besprochenen Schrift nach dem Frieden von Rys-
wyk 1697—98 fällt. Dies schliesst freilich nicht aus, dass der erste Ent-
wurf der .Unvprgreiflichen Gedanken**, welcher sich in einem bis auf
Schwarsow unbenutzten und unbekannten Manuscript zu Hannover erhal-
ten hat und auf den derselbe grosses Gewicht legt, in der That viel ftflher
abgefasst wurde. Abgesehen von der Streitfrage, ĂĽber welche Ref. sich
kein entscheidendes Urtheil zutraut, enthält die NefTsche Abhandlung
eine Menge beachtenswerther Notizen ĂĽber Leibnizens grammatische, ety-
mologische und politisch-patriotische Ansichten.
luuumel Kaufs Kritik der ĂĽrtheilskraft. Herausgegeben von Benno
Erdmann. Leipzig, L. Voss. (XLU, 421 S.) 1880.
Die Anordnung des Textes in dieser kritischen Ausgabe der Kritik
der Urtheilskraft ist im Wesentlichen dieselbe wie in den von dem Her-
ausgeber besorgten Ausgaben der Prolegomena imd der Kritik der reinen
Vernunft, denen auch die äussere Ausstattung der vorliegenden Edition
entspricht. Erdmann hat die zweite Ausgabe der Kritik der Urtheilskraft
396 Litteraturbericht.
(vom Jahre 1793) seinem Texte zu Grunde gelegt, welche Kant, nachdem
die erste Ausgabe sehr fehlerhaft herausgekommen war, Tor dem Erschei-
nen theils selbst sorgfältig verbessert hat, theils durch fremde Hülfe cor-
rigiren liess. Der dritten noch bei Kant's Lebzeiten erschienenen Ausgabe
von 1799 gab der Herausgeber * deswegen nicht den Vorzug, weil darin
nach seiner Meinung nicht derjenige Wortlaut erscheint welcher ,,den
EigenthQmlichkeiten der Kantischen Ausdrucksweise am' Meisten gerecht
wird**. Derselbe, so fährt Erdmann fort, enthält nämlich nicht bloss
manche GorrectureU; die den Gewohnheiten Kant's in seiner Schriftsprache
nicht ganz gemäss sind, sondern auch mehrfach solche, die den Sinn ver-
dunkeln, nicht verdeutlichen. Also muss der fremde (und unbekannte)
Corrector bei dieser Ausgabe völlig freie Hand gehabt und mehr verbes-
sert haben, als der Erhaltung des ursprünglichen Textes zuträglich war.
In der Einleitung gibt der Editor nicht bloss von seinem Verfahren
bei der Herausgabe Rechenschaft, sondern zeigt auch, wie der allmälige
Aufbau dieses Theiles des Kantischen Lehrgebäudes vor sich gegangen
ist; dem Texte des eigentlichen Werkes aber fĂĽgt er J. S. Beck's
Auszug aus Kant's ursprĂĽnglichem Entwurf der Einleitung in die Kritik
der Urtheilskraft hinzu, den Beck als Anhang zum zweiten Theile seines
.Erläuternden Auszuges aus den kritischen Schriften des Herrn Prof. Kant''
1794 veröffentlicht hat und welcher in den Ausgaben sowohl von Rosen-
kranz als von Hartenstein unter dem Titel : „Ueber Philosophie überhaupt*
steht, nachdem er in den zweiten Band der Sammlung ,L Kant's vorzug-
liche kleine Schriften und Aufsätze* von Fr. Chr. Starke Bd. II S. 223
folgg. unter der Bezeichnung .lieber Philosophie überhaupt* — im In-
haltsverzeichniss steht .Ueber Philosophie ĂĽberhaupt und die Kritik der
Urtheilskraft insbesondere**, was Hartenstein in seiner neuen Ausgabe
verwerthet hat, — aufgenommen worden war. Den Schluss der Aus-
gabe bildet ein Anhang des Herausgebers zur Textrevision, welcher das
Verhältniss der ursprünglichen drei Ausgaben zu einander in allen Einzel-
heiten darlegt und den sonstigen kritischen Apparat beibringt. In der
Vorrede vertheidigt Erdmann seine Auffassung der Kantischen Philosophie
gegen Paulsen und definirt bei dieser Gelegenheit die Kritik der reinen
Vernunft als eine «nothwendige und allgemein gültige Grenzbestimmung
der reinen Vernunft durch den Umfang möglicher Erfahrung gegenüber
dem Dogmatismus* — eine Erklärung, von der Referent bekennen müsste,
dass sie ihm gar nicht recht verständlich wäre, wenn Erdmann nicht als-
bald hinzufĂĽgte, dass Kant's kritische Grenzbestimmung. , sofern sie das
Gebiet der Erkenntniss a priori auf mögliche Erfahrung einschränkt*, von
ihm als eine „empiristische* bezeichnet würde. In dieser Erklärung ist nun
die Behauptung, auf welche es wesentlich ankommt, dass nämlich Kant
das Gebiet der Erkenntniss a priori auf mögliche Erfahrung einschränkte,
eine durchaus dem Missverständniss Vorschub leistende, wenn nicht ganz
falsch. Kant bat in seiner Kritik das apriorische Element von dem des
Erfahrungsmässigen toto genere unterschieden, wenngleich er das erstere
Litieraturbericht. 297
auf das letztere sich beziehen lässt; jenes, das aller Erfahrung vorausge-
hende Ă„priori, ist das eigentliche Resultat, das Facit seiner Kritik. Und
danun nennt er auch seine Philosophie ,transscendentalen Idealismus**, weil
sie sich mit den nichterfahrungsmfissigen Elemepten der Erkenntniss, durch
deren Anwendung die Erfahrung allererst möglich wird, beschäftigt. Diese
apriorischen, alUer Erfahrung vorausgehenden formalen Elemente bilden
gerade das, was Kant zusammen mit den Ideen die reine Vernunft nennt.
Wie also Erdmann behaupten kann, dass Kantus Philosophie in* irgend
einem Sinne des Wortes empiristisch sei, bleibt ganz unerfindlich. Wäre sie
empiristisch, so wĂĽrde sie ja dogmatisch sein, also unkritisch, und ĂĽber-
dies nach Kant's ganz richtiger Ansicht der Skepsis anheimfallen, denn
die empiristische Denkweise muss, wenn consequent verfolgt, in Skepsis
umschlagen, wie er am Beispiel Hume's zeigt. Dogmatismus aber und
Skepticismus zu vermeiden, das war ja Kant's eigentliche Absicht, und
sie sind, wie Erdmann selbst bemerkt, diejenigen Denkweisen, welche
Kant seiner eigenen immer entgegensetzt. Da bleibt also fĂĽr ihn doch
wohl nur der Kriticismus ĂĽbrig, und zwar der der Vernunft, wie dies
selbstverständlich ist: insofern kann Kant's Philosophie freilich als kriti-
scher Rationalismus bezeichnet werden, ein Ausdruck, gegen den er selbst
sicherlich nichts einzuwenden gehabt haben wĂĽrde, da die positive Absicht
seines Philosophi^ens ĂĽberall auf eine kritisch begrĂĽndete Metaphysik geht,
wie die Absicht jedes rechtschaffenen Philosophen, ja im Grunde eines
jeden tiefer blickenden Forschers, der sich nicht mit dem blossen Beob-
achten und Sammeln von Thatsachen begnĂĽgt.
Uebrigens soll noch bemerkt werden, dass, wenn Erdmann den Aus-
druck Kriticismus für nichtkantisch erklärt, er sich wieder im Irrthum
befindet: Kant braucht dies Wort allerdings in seiner Streitschrift gegen
Eberhard (Ueber eine Entdeckung u. s. w. Abschn. II zu Anf.), und zwar
in einem Sinne, der sein eigenes methodisches Verfahren recht eigentlich
bezeichnet.
lamaaiiel Kaufs Kritik der reinen Yernanft* Herausgegeben, erläu-
tert und mit einer Lebensbeschreibung Kant 's versehen von «7. H.
V. Kirchmann. 5. Aufl. Leipzig. E. Koschny. 1881. (VIII., IV., 720
S.) 8*.
Der Umstand, dass neben anderen zum Theil billigeren Ausgaben diese
Kirehmannsche Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft in zwölf Jahren
die fĂĽnfte Auflage erlebt hat, spricht gewiss fĂĽr deren Brauchbarkeit.
Mit Recht hat von Kirchmann derselben die zweite Ausgabe Kants
vom Jahre 1787 zu Grunde gelegt, wie auch Hartenstein dies schon ge-
than hatte, und die Abweichungen der ersten Ausgabe, theils in unter den
Text gesetzten Noten, theils in angehängten Nachträgen hinzugefügt: ausser-
dem wĂĽrde aber der Werth der Ausgabe noch steigen, wenn der Heraus-
geber ähnlich wie Kehrbaeh dies gethan sich die Mühe genommen hätte,
die Sehenzahlen der ĂĽbrigen Ausgaben unter dem Text der seinigen zu
298 Lfitteraturbericht.
vermerken, um die Besitzer in den Stand zu setzen, jede AnfĂĽhrung
nach irgend einer andern Ausgabe der reinen Vernunft mittels dieser
zu verificiren. Vielleicht entschliesst sich Herr v. Kirchmann bei der
nächsten Auflage dazu, diesem Vorschlag zu willfahren.
ISofAx, den Kant-Text betreffend.
Da ich in dem nächstens erscheinenden I. Bande meines „Gommentars
zuEantsKritik der reinen Vernunft* keine passende Stelle fördiefol-
gende Notiz finde, theile ich dieselbe den sich dafĂĽr interessirenden Fach-
genossen auf diesem Wege mit. Unter den schon im vorigen Jahrhundett
hin und wieder gemachten Versuchen, den Text der Kantischen Werke und
insbesondere der Kr. d. r. V. zu verbessern, ist ausser einigen unbedeutenden
auch das bedeutendste Verzeichniss bis jetzt vergessen und daher unausgenĂĽtzt
geblieben. In den von L. H. Jakob vom Jahre 1795 ab herausgegebenen
«Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes*, im ersten Jahr-
gang hat ein gewisser Professor Grill o in Berlin (Verfasser eines Werkes:
Aphoristische Darstellung der Religion, Rostock 1794) eine sehr grosse
Anzahl wirklicher und vermeintlicher Druckfehler in Kant's Werken mitge-
theilt. Diese Mittheilungen finden sich in der Beilage zu dem f^ag1.Jah^
gang, dem , Philosophischen Anzeiger," Stflck37— 45, 47-^49, 51—53. Sie
erstrecken sich auf die „Kritik d. r. V.*, die , Kritik der pr. V.", die ,Pro-
legomena*, die «Metaph. Anf. d. Naturw.*, die « Grundlegung zur Hetaph.
der Sitten*, die «Kritik der Urtheilskraft*. die , Religion.* In diesan von
ihm so genannten xgoxvXeyfjios beschuldigt er Setzer und Gorrectoren der
, Verhunzung* und .Oscitanz.* Im 54. Stuck desselben Anzeigers nimmt
ein gewisser Heyer die ,Hartknoch'sche Handlung* in Schutz, und sucht
nachzuweisen, dass speciell von den 121 behaupteten Druckfehlem in der
Kritik d. r. V. 55 gar keine seien. Einige seien blos geringe typographi-
sche Verschiebungen , andere seien Kantische SpracheigenthĂśmlichkeiten,
wieder andere seien blosse „Hineinverbesserungen* in den Text seitens
Grillo*s. Dieses Verzeichniss von Grillo ist nun (bis auf 25 Gorrectoren,
von denen aber die meisten im Text selbst angebracht sind) identisch mit
dem bekannten am Ende der 5. Originalausgabe der Kritik d. t. V. vom
Jahre 1799 sich findenden Druckfehlerverzeichniss. Dieses rfihrt somit
nicht, wie B. Erdmann vermuthet (Anhang zu seiner Ausgabe der Kr. d. r.
V. S. 649) von Rink her, sondern ist nur eine von einem Leipziger Gorrector
besorgte Abschrift jenes Verzeichnisses von Grillo. Dass nicht jener
Meyer diese Abschrift besorgt habe, dafĂĽr liegt der Beweis darin, dass
das Verzeichniss am Schluss der 5. Aufl. alle von Meyer verworfenen
Gorrecturen acceptirt. Somit sind jene, theilweise richtigen Gorrecturen auf
Konto jenes Grillo zu setzen. Der Abschreiber des Grillo*8chen Verzeich-
nisses hat jedoch seine Abschrift nicht nur sehr salopp gemacht, — das
Druckfehlerverzeichniss der 5. Aufl. enthält selbst einige Druckfdiler —
sondern er hat auch sonderbarer Weise es vorgezog^i, die Gorrecturen
Litteraturbericht. 299
nicht selbst in den Text aufzunehmen, sondern — wer weiss aus welchem
Grunde, wahrscheinlich aus „Oscitanz* — sich damit begnügt, dieselben
(abgesehen von, jenen oben erwähnten 25) an's Ende zu setzen. Er ist
aber auch hierin nicht consequent, indem mehrere der am Ende aufge-
zählten Gorrecturen doch auch zugleich im Texte verwerthet sind, ein Ver-
fahren, das das harte Urtheil Grillo's Aber die damaligen Gorrectoren
mdir als rechtfertigt.
UnTerständlich ist mir, dass die neuesten Herausgeber, Erdroann und
Kchrbach, eine Reihe von offenbaren Verbesserungen aus dem Verzeich-
niss der 5. Aufl. , welche also in letzter Linie auf Grillo zurĂĽckzufahren
sind, nicht acceptirt haben; ja Erdmann, der sonst auch die von ihm
nicht acceptirten Vorschlage registrirt, hat sie ganz mit Stillschweigen ĂĽber-
gangen. Es sind dies die folgenden (Seitenangabe und Zeileneintheilung
nach Erdmanns Ausgabe):
S. 282, Z. 6: anweisen statt beweisen.
S. 300, Z. 9: Begriffen statt Begriffe').
S. 444, Z. 18: mit ihr statt ihr.
S. 544, Z. 6: als der dem statt als dem.
S. 699, Z. 10: dennoch als Regeln statt dennoch alle Regein.
S. 815, Z. 20: und setzt statt uud sagt.
Ebensowenig begreifeich, warum Erdmann zwei Correcturen, welche
Kehrbach acceptirt, nicht annahm:
S. 94, Z. 16: Er ist statt Es ist,
sodann die grössere Aenderung auf
S. 514, Z. 9—11.
Der Unbekannte hat endlich aus Grillo's Verzeichniss folgende he«
achtepswerthe Correcturen weggelassen:
S. 492, Z. 20: Gr. streicht .der Vernunft*.
S. 507, Z. 16: Beantwortung statt Verantwortung.
S. 765. Z. 10: Aus einem anderen Gesichtspunkt statt in einem u.s.w.
Von Grillo's Correcturen zu den Prolegomena scheinen mir Fol-
gende beachtenswerth (Seitenangabe und Zeileneintheilung ebenfalls nach
Erdmann):
S. 130, Z. 13: alle statt allen*),
S. 165, Z. 19: immateriellen statt materiellen.
Diese, sowie die ĂĽbrigen sehr zahlreichen Correcturen von Grillo seien
der Aufmerksamkeit der Kantphilologen empfohlen.
* Strassburg i. E. Vaibinger.
1) Der oben genannte Meyer will Kants Text halten, weil ein Sin-
gular folge («ein Ding*). Grillo's Verbesserung scheint mir einfacher als
ÂŁrd|Dann*s Aenderung: ,was unter einem dergleichen Begriffe. ** Dagegen
scheint mir Meyer S. 85 Z. 4 richtig Kants Text zu halten: „dem Erkennt-
nisse* statt GriUo's: «der Erkenntnisse,*^ Erdmann setzt: «der Erkenntniss.*
2) Erdmann: «allein.'' Derselbe lAsst in seiner Ausgabe S. 104 Z. 15
0. 16 eine von Kant wohlgesetzte Klammer weg, deren im Original ver-
gessene Hälfte Grillo richtig ergänzt. Auch das Fragezeichen nach «be-
stimmt* S. 116 Z. 10 scheint mir Gr. mit Recht zn fordern.
300 . Litteraturbericht.
Albertos Maipius« Beiträge zu seiner Würdigung von Dr. G. Freiherr
f. Hertling, Prof. d. Philos. an d. Univ. Bonn. Festschr. Köln, Druck
u. Comm.-Verlag v. J. F. Bachern. 1880. (VI, 150 S.) 8*.
Bei Gelegenheit der sechshundertjährigen Credächtnissfeier Alberts des
Grossen zu Cöln (15. Nov. 1880) erhielt Prof. v. Hertling, welcher schon
einige kleinere den genannten Philosophen betreffende Arbeiten veröffent-
licht hatte, den Auftrag zu einer Festschrift ĂĽber denselben. Da die Zeit
zur Abfassung einer abgerundeten Biographie zu kurz war, konnte der
Verf. nur die vorliegende Schrift zu Stande bringen, welche drei von ein-
ander getrennte Abhandlungen bietet. Die erste derselben enthält in kurzer
Zusammenstellung alles, was wir an Lebensnachrichten ĂĽber Albertos Magnus
besitzen, und gibt zugleich eine kurze Charakteristik seiner wissenschaft-
lichen Thätigkeit im Zusammenhange mit derjenigen seinerzeit überhaupt.
Der zweite, wissenschaftlich interessanteste Theil handelt ĂĽber die Benutzung
der aristotelischen Schriften und die Gestalt der aristotelischen Philosophie
bei Albert dem Grossen, ein um so wichtigerer Punkt, als der grösste Theil
dessen, was die 21 Folianten der Jammy'schen Ausgabe enthalten, in Pa-
raphrasen aristotelischer Werke besteht. Es wird dabd mit Recht beson-
ders die eingehende Beschäftigung Alberts mit naturwissenschaftlichen
Dingen hervorgehoben, eine Seite wissenschaftlicher Thätigkeit, welche
während des späteren Mittelalters in der Scholastik bedeutend zurücktrat,
wenn auch nicht so ganz, wie der Verfasser anzunehmen scheint. In dem
dritten Aufsatz „Zur Characteristik scholastischer Naturerklärung und
Weltbetrachtung" ist, um die eigenen Worte des Verfassers zu wiederholen,
„der Versuch gemacht, aus den Aussprüchen Alberts den Standpunkt zu
construiren, welchen die Scholastik in ihrer Betrachtung ^der^ Welt und
in ihren Versuchen der Naturerklärung einnahm*", wobei der Verfasser
namentlich bestrebt war, .die Probleme hervortreten -jCzu lassen, welche
den manchmal sehr abstract und fremdartig klingenden Erörterungen zu
Grunde liegen.'' Es ist dies der Standpunkt einer kindlich frommen, aber
zugleich meist kindischen Teleologie, welche sich vermisst, die Fmes Dei
zu ergrĂĽnden. Die vorliegende Arbeit muss als Beitrag zur Characteristik
eines der bedeutendsten Vertreter der mittelalterlichen Philosophie um so
willkommener sein, als wir grade ĂĽber|Albertus Magnus wenig eingehen-
dere Untersuchungen haben, diefdenn unter anderm auch durch die grossen
Mängel der Jammy'schen Ausgabe recht erschwert werden.
Albertus Magnus in Geschichte und Sage. Festschrift zur sechsten
Säcularfeier seines ' Todestages am 15. Nov. 1880. Köln. J. If. Bachern.
1880. (172 S.) 8«.
Eine mit kritischer Ausbeutung der QueUen verfasste recht vollstän-
dige und angenehmjzu lesende Lebensl^chreibung des grossen Domini-
caners, welche besonders auch durch die Zusammenstellung der sagen-
haften Elemente in der Geschichte Alberts Interesse erweckt und werth-
voll erscheint.
Litteraturbericht. 301
PUto's Dialog Thefttet. Uebersetzt und erläutert von J, H. v, Kirch-
fnann. Leipzig. E. Koschny (L. Heimann's Verlag). 1881. (Philoso-
phische Bibliothek, Heft 293—295). (XVIII. 171 S.) 8^
Der ĂĽebersetzung dieses Dialogs hat der Herausgeber desselben eine
Einleitung vorausgeschickt, worin er sich ĂĽber Inhalt und Form des Werkes
Ternehmen lässt. Von seinem Standpunkt aus, bekanntlich dem eines
dogmatischen Realismus, fällt das Urtheil über Piatos Erkenntnisslehre sehr
ungünstig aus, und die dialogische Form erscheint ihm als ein „lästige«
Heounniss in dem Fortschritt der Untersuchung und vielfach ein Hinder-
niss fĂĽr den scharfen Ausdruck des philosophischen Gedankens." Der
Üebersetzung selbst sind erläuternde Anmerkungen unter dem Text hin-
zugefügt, welche zum Verständniss beitragen, ohne freilich auf die Eigen-
thOmlichkeit Plato*s anders als polemisch einzugehen. Der diametrale
Gegensatz, in welchem der Herausgeber zu Plato's Anschauungen steht,
lässt ihn in letzteren überaU nur Schwächen erblicken, und als Resultat
seiner Arbeit glaubt er den Nachweis betrachten zu dĂĽrfen, ,dass die
Erkenntnisstheorie des heutigen Realismus sich von all den Mängeln frei
hält, welche bei Plato noch bestehen.**
IrlävteniBgen ni dm Arigtoteles Politik von J. H, v. Kirchmann.
Leipzig, E. Koschny (L. Heimann's Verlag). 1880. (131 S.) 8* (Phi-
losophische Bibliothek. Heft 291 und 292).
In diesen Erläuterungen hat der Erklärer weniger das historische und
philosophische als das politische Interesse der Lehre im Auge, daher er
denn auch spätere Staatseinrichtungen zur Vergleichung mit dem von
Aristoteles Vorgetragenen herbeizuziehen pflegt. Hinsichtlich der Stellung,
welche Aristoteles dem Einzelnen in seinem Staat anweist; hat er eine
der HegeFschen entgegengesetzte Meinung, indem er annimmt, däss Aristo-
teles den Staat nicht zum Selbstzweck mache, sondern das GlĂĽck der
Btlrger und deren Tugend als Ziel desselben aufstelle. Er hat darin nur
bedingt Recht, wenn man ihm auch darin wird beipflichten mĂĽssen, dass
die Politik des Aristoteles nicht als eine unvollendete, abgebrochene Schrift
anzusehen sei. Freilich muss doch wieder festgehalten werden, dass wir auch
in diesen acht BĂĽchern kein von dem Stagiriten selbst herausgegebenes
oder nur zur Ausgabe vorbereitetes Werk vor uns haben, sondern Auf-
zeichnungen, deren Inhalt zwar im Allgemeinen auf Aristoteles zurĂĽckgeht,
die jedoch dem Ausdruck und der Form nach von SchĂĽlern und in man-
chen Fällen wohl erst von späteren Ueberar heitern stammen.
LeveB van Spinosa door «7. Colerua» Nieuwe Uitgave. 's Gravenhage,
Martinas Nijhoff. 188(>. (VIU, 88 S.) 8^
Da das holländische Original der ältesten urkundlichsten und zuver-
lässigsten Lebensbeschreibung Spinoza's durch Job. Köhler (lateinisch Go-
lems), hochdeatschen Prediger der lutherischen Gremeinde im Haag, sehr
302 Litteraturbericht.
selten geworden ist, entschloss sich der gelehrte Vorsteher der Königl.
Bibliothek im Haag, Herr M. F. A. G. Campbell, zu vorliegender Wieder-
herausgabe des Werkchens, welche alle Freunde des grossen Phibsophen
hochwillkommen heissen werden. FQr die Letzteren ist die Bekanntschaft mit
dem holländischen Urtexte um so wichtiger, als die meisten (weim nicht alle)
späteren Ausgaben der Colerschen Lebensbeschreibung in verschiedenen
Sprachen auf der französischen Uebersetzung des Werkes beruhen, welche,
wie eine Vergleichung sofort zeigt, mehr eine Paraphrase, als eine ueber-
setzung desselben zu nennen ist und das Naive und dabei doch Treffende des
holländischen Originals vielfach verwischt hat. Die äussere Ausstattung
entspricht der Sorgfalt, mit welcher der als tĂĽchtiger Bibliograph allbe-
kannte Herausgeber den Wiederabdruck bewerkstelligt hat.
Entgegnung.
Zu der Recension des Herrn Weis im ersten und zweiten Hefte dieser
Zeitschrift über mein Buch „der heliocentrische Standpunkt der Wett-
betrachtung'' erlaube ich mir folgende factische Berichtigung hinzuznfQgen.
— Ich bedauere, dass Herr Weis den erkenntnisstheoretischen Theil,
Raum, Zeit und Gausalität betreffend, der meinem Dafürhalten nach der
wichtigste ist, gar nicht berührt hat. — In Betreff der Vergleichung meiner
Philosophie mit der Schelling'schen bemerke ich, dass in meinem Sinn
der Subjectpunkt auf der Gurve läuft, also nicht im zweiten Brennpunkt
der Ellipse liegt, und dass also auch von Polarität nicht die Rede sem
kann. Dieser Umstand, sowie die Schelling'sche Definition von Subject
als Greist (Ideales) und vonObject als Natur (Reales), während ich, wie Herr
Weis richtig hervorgehoben hat, den Schnitt zwischen Subject und Object
durch den metaphysischen Begriff des reinen Seins lege, wonach Beide
entgegengesetzte und begrenzte oder umschriebene Intensitäten des Seins
(= Drang zu Sein oder Wille zum Leben) sind, dĂĽrfte doch wohl die Aehn-
lichkeit der heliocentrischen und Schelling'schen Philosophie beträchtlich
herunter setzen. — Herr Weis fragt: , Warum ist nur Religion eine
Abart der Metaphysik und nicht auch Philosophie?* Gewiss ist auch
Philosophie eine Abart. Ich definire: Religion = dogmatische Metaphysik,
Philosophie == wissenschaftliche Metaphysik (oder Versuch einer solchen).
Metaphysik ist also der einhĂĽllende oder Mantelbegriff fĂĽr die zwei Fa-
rallelbegriffe Religion und Philosophie; wie ich anderseits Religion den
Mantelbegriff fĂĽr die Gottesidee, als die fĂĽr die Religion entscheidende,
genannt habe. Von einer Mantelreligion habe ich nicht gesprochen.
Aristoteles hat kein eigenes Prinzip des Seins aufgestellt, schien mir
also für meinen Zweck nicht in Betracht zu kommen. — In demGitat über
Schopenhauer hat Herr Weis mich falsch verstanden. Nein, nicht da-
mit verlegt Schopenhauer den Mittelpunkt der Welt in das Subject, dass
er dem Ding an sich den absoluten Gharacter nehmen will, sondern ge-
rade umgekehrt: er sucht dem „theoretischen Egoismus* dadurch zu ent-
gehen, dass er nachträglich d. h. in dem späteren zweiten Bande seines
Nea eingegangene Schriften. 303
Hauptwerkes die angegebene Einschränkung an seinem Fundamentalhegriff
macht. Da dies aber gar nicht mehr angeht, so kommen dadurch aller-
dings nachträglich die grössten Widersprüche in sein System. Nach diesem
Gesichtspunkt möchte ich also Lob und Tadel vertheiit wissen. — Wo be-
haupte ich, das8 Darwin «den Gedanken der Entwicklung zuerst entdeckt
habe?" — In Betreff der Gleichung k = -7- , über welche die Discussion
so kurzer Hand nicht erledigt werden kann, erlaube ich mir auf die von
Dannegger und mir demnächst in 2. Auflage herauszugebenden «Meta-
physischen AnfangsgrĂĽnde der mathemat. Wissenschaften '^ zu verweisen,
wo der Leser den Fall zum völligen Austrag gebracht finden wird.
Sigmaringen. A. Bilharz.
Naehsolirift der Redaetion.
Obige Entgegnung des Herrn Dr. Bilharz auf die Recension des Pro-
fessors Weis ist diesem Letzteren vor dem Abdruck mitgetheilt worden,
indessen hat sich derselbe nicht veranlasst gesehen, darauf mit einer Du-
plik zu antworten. Vielmehr glaubt er den Lesern der Philos. Monatshefte
schon durch seine Recension des Bilharz'scben Buches selbst hinlängliche
Anhaltspunkte zu einem begrĂĽndeten Urtheil ĂĽber dessen ,heliocentrischen
Standpunkt der Weltbetrachtung* geliefert zu haben und einer weiteren
Vertheidigung um so weniger zu bedürfen, als von ihm die Hauptsätze
and Urtheile des Dr. Bilharz vielfach mit dessen eigenen Worten ange-
fQhrt worden sind, worauf zurĂĽckzuweisen er sich erlaubt.
Neu eingegangene Schriften.
Bastian, A., die Heilige Sa^^e der Polynesier.
Evellin, F., Infini et Quantit^.
Schneider, 0., ein Lehrplan fĂĽr den deutschen Unterricht in der Prima
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Plato's Dialog Theaetet ĂĽbers, u. erl. von J. H. v. Kirchmann. (Philoe.
Bibhothek Nr. 293-395.)
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Ribot, Th., les maladies de la memoire.
Knauer, 6., die Reflexionsbegriffe.
Lepsin 8, Joh., Job. Heinr. Lambert.
Masaryk, Th. Gkirrigue, der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der
modernen Givilisation.
Schultz, Ferd., Erinnerung und Gedächtniss.
Herbst, Gust./ Kant als Naturforscher, Philosoph und Mensch.
Reiff, Fr., das Böse die Nachtseite im Leben der Menschheit.
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Grund ZĂĽgen.
Bibliographie
von
Dr. F. Ascherson.
I. Zur EncyclopXdie. Bibliographie. Zeitschrifien. Gutberiet, G., Lehrbuch
der Philosophie. 3 Bd. Die Psychologie. 8. MĂĽnster. Theissing*sche Buch-
handlung n. 3 M. 60 Pf. — Jan et, P.. trait^ ^lementaire de Philoso-
phie ä Tusage des classes. 2e et dernier fascicule. 8. Paris, Delagrave.
Prix du Volume complet. 8 fr. 75 Ct. — Vierteljahrs-Catalog
aller in Deutschland erschienenen Werke aus dem Gebiete der Theolo-
gie und Philosophie. Jahrg. 1880. October bis December. 8. Leipzig.
Hinrichs'scbe Bucbh. Verlags - Conto, pro 10 ^xpl. n. 1 M. 50 Pf. —
Zeitschrift fĂĽr Philosophie und philosophische Kritik, gegrĂĽndet von
1. H. Fichte, red. von H. ĂĽlrici. Neue Folge. 78. Bd. (2 Hefte.) 1. Heft.
8. Halle. Pfeffer, pro cplt. n. 6 M. — Viertel jahrsschrift für wis-
senschaftliche Philosophie. Herausgegeben von R. Avenarius. 5. Jahrg.
1881. 1. Heft. 8. Leipzig, Fues'Verlag n. 3 M. — Zeichen der Zeit
Eine Monatsschrift fĂĽr Religion, Philosophie und Gesellschaft in ihrer
Zusammengehörigkeit. Von Chronik. 4. Jahrg. 1881. 1. Heft. 8. Ber-
lin. Issleib. Vierteljähriich n. 1 M. 50 Pf.
II. Zur Geachicbte der Philotophle. Thilo, Ch. A., kurze pragmatische
Geschichte der Philosophie. 2. Aufl. 2. Theil. Geschichte der neueren
Bibliographie. 905
PhUosophie. & Göthen, Schulze n. 7 M. 25 Pf. [S. ob. Bd. XVI. S. 376.]
— Fragmenta philosophorum Graecorum coliegit, recensuit, vertit,
annotationibus et prolegomenis illustravit, indicibus instruxit F. 6. A.
Hullachius Vol. III. 8. Paris, Didot u. Co. haar 12 M. — Patin, A.,
Quellenstudien zu Heraklit. Pseudohippokratische Schriften. 8. Wflrzburg,
Stahel'sche Buchhandlung, n. 80 Pf. — Matinee, A., Heraclite d*
Eph^ 12., Paris, Hachette. 2 fr. >- Piatonis opera, quae feruntur
omnia. Ed. M. Schanz. Kritische Ausgabe. Vol. 8. Gorgias, Meno 8.
Leipzig, B. Tauchnitz. n. 5 M. [S. ob. S. 120]. — dasselbe. Text-Ausg.
Vol. 9. Gorgias, Meno. 8. Ebda. n. 60 Pf. [S. ob. S. 120.] — Biblio-
thek, philosophische. Hefte 293—295. 296-300. Leipzig, Koschny ä n.
50 Pf. Inhalt: 293—295: Plato's Dialog Theaetet. Uebersetzt von J.
U. V. Kirchmann. 296—300. Erläuterungen zu des Sextus Empiricus
Pyrrhoneischen Grundzdgen. Von E. Pappen heim. [S. ob. Bd. XVI.
S. 633.] — Xenophontis qui fertur libellus de republica Athenien-
sium. Ed. A. Rirchhoff. 8. Berlin, Besser*sche Buchh. n. 80 Pf. —
Po seiger, E. T. Aristoteles' mechanische Probleme [Quaestiones me-
chaiucae]. 8. Hannover, Schmor! und von Seefeld. n. 80 Pf. — Elter,
A., de Joannis Stobaei codice Photiano. 8. ^onn, Strauss. n. 2 M. —
Bonaventura e, Sancti, Breviloquium. Opera et studio A. M. a Vicetia.
Ed. 2. 4. Freiburg in Bad. Herder 'sehe Verlagshandlung, n. 12 M. —
de W aal, A. Albertusfeier in Rom. Mit den Predigten von Hergen-
röther und H. Denifle und den Briefen des Erzbischofs von Köln und
des Bischofs von Regensburg 4. Augsburg, Literarisches Institut von
Dr. M. Huttier. n. IM. — Thomae Aquinatis de veritatis catholicae
fidei contra gentiles libri IV. Ed. 2. 8. Luxemburg, Brücke, n. 4 M. —
Malebranche, N. de la recherche de la verit^. Nouvelle ^ition avec
notes et introduction par Fr. BouĂĽlier. 2 vol. in 12. Paris, Garnier.
6 fr. — Lessing's Laokoon. Für den Schulgebrauch bearbeitet von
J. Buschmann. 2. Aufl. 8. Paderborn, F. Schöningh. n. 1 M. 20 Pf. —
Cauer, E., zum Andenken an Gotthold Ephraim Lessing. 8. Berlin,
Grote'sche Verlagsbuchhandlung, n. 60 Pf. — v. Heinemann, 0.,
Festrede, gehalten am hundertjährigen Todestage Lessings. 16. Wolfen-
büttel, Zwissler. n. 50 Pf. — Rättig, H., G. E. Lessing's Bedeutung
für unsere Zeit. Vortrag. 8. Torgau, Jacob, n. 20 Pf. — Riehl, A.,
Gotthold Ephraim Lessin^. Rede. 8. Graz. Leusohner uod Lubenshy. n.
70 Pf. — Rülf, J., L^Bing als Held der Aufklärung. Vortrag. 8. Memel,
Schmidts Buchh. n. 50 Pf. — Auerbach, B., die Genesis des Nathan.
Gedenkworte zu Lessing's hunderjährigem Todestag. 8. Berlin, Auer-
bach, n. 1 M. — 2. Aufl. Ebda. n. 1 M. — Reuter, W., Lessing's
Erziehung des Menschengeschlechts. Darlegung des Gehaltes und des
Zweckes; Erörterung und Prüfung im Lichte der heil. Schrift und der
Geschichte. 8. Leipzig, Hinrichs'sche Buchh., Verlags-Gonto. n. 1 M.
60 Pf. — Müller, H. F., Gotthold Ephraim Lessing und seine Stellung
zom Ghristenthum. (Zeitfragen des christlichen Volkslebens. Heraus-
gegeben von Mühlhäusser und Geffcken. Hft. 36.) 8. Heilbronn, Gebrüder
Henninger. n. 1 M. 40 Pf. — Findel, J. G., Lessings Ansichten über
Freimaurerei. 8. Leipzig, Findel. n. 60 Pf. — Dühring, E., die Ueber-
schätzung Lessing's und dessen' Anwaltschaft für die Juden. 8. Karls-
ruhe, Reuter, n. 1 M. 80 Pf. — Lepsius, J., Johann Heinrich Lambert.
Eine Darstellung seiner kosmologischen und philosophischen Leistungen.
8. München, A. Ackermann, n. 4 M. —■Minor, J., Johann Georg Ha-
mann in seiner Bedeutung fĂĽr die Sturm- und Drangperiode. 8. Frank-
furt a. M. Literarische Anstalt, Rütten und Loening n. 1 M. 60 Pf. —
Kantus, I., Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von J. H. v.
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Streit der Facultäten. Text der Ausgabe von 1798. (Universal-Bibliothek.
Philosoph. MonatBhefte 1881. IV u. V. 20
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Nr. 1438). 16. Leipzig, Ph. Redam jun. n. 20 Pf., geb. n. 60 Pf. —
Herbst, 6., Kant als Naturforscher, Philosoph und Mensch. (Sammlung
gemeinyerstäudlicher wissenschaftlicber Vortrage, herausgegeben Ton
R. Virchow und F. v. Holtzendorff. Hfl. 362.) 8. Berlin, Habel. Sub-
scriptionspreis n. 50 Pf., Einzelpreis n. 80 Pf. — Bessel-Hagen, F.,
die Grabstätte Immanuel Kants, mit besonderer Rücksicht auf die Aus-
grabung und Wiederbestattung seiner Gebeine im Jahre 1880. 8. Königs-
berg, Beyers Buchhandlung n. 1 H. — Haff ner, P., Goethe's Diditun-
gen auf sittlichen Gehalt geprüft. (Frankfurter zeitgemässe Broschüren.
Herausgegeben von P. Haffner. Neue Folge. 2 Bd. Hfl. 18. Frankfurt
a. M., Fösser. Einzeln 40 Pf., d. Band von 10 Hftn. cplt. 2 M. —
Y. Humboldt, W., Epistula aC. Diltheyo edita et inlustrata. 4. Göttin-
gen, Dieterich'sche Verlags- Buchhandlung, n. 80 Pf.
III. Zur philotophltchen WeltaiMchauuig. Bresson, L., id^es modernes.
Gosmologie, Sociologie. 8. Paris, Reinwald. 5 fr. — Fischer, E. L.,
über den Pessimismus. (Frankfurter zeitgemässe Broschüren. Heraus-
lifegeben von P. Haffner. Neue Folge. 2 Bd. HfL 2. 8. Frankfurt a. M.,
Fösser. Einzehi 40 Pf. Bd. 2 in 10 Heften complet 2 H. — Dippel,
J., der neuere Spiritismus in seinem Wesen aufgezeigt und nach seinem
Werthe geprüft. 8. Würzburg, Woerl. n. 1 M. 70 Pf. — Wille, L., der
Spiritismus der Gegenwart. (Oeffentliche VortrSge, gehalten in der
Schweiz, herausgegeben von E. Desor, L. Hirzel, G. Kinkel etc. Bd. 6.
Hft. 3. 8. Basel, Schweighauser'sche Buchhandlung, n. 80 Pf.
IV. Zur Erkanitnlttiheorle und Logik. Bergmann, J., Sein und Erkennen.
Eine fundamentalphilosophische Untersuchung. 8. Berlin, Mittler und
Sohn. n. 4 M. — Gas pari, 0., das Erkenntnissproblem. Mit Rücksiebt
auf die gegenwärtig herrschenden Schulen. 8. Breslau, Trewendt. n. 1 M.
60 Pf . — Ziegler, Tb., Lehrbuch der Logik für den Unterricht an
höheren Lehranstalten und zum Selbststudium. 2. Aufl. 8. Bonn, Strauss
Verlag. Geb. n. 1 M. 80 Pf. — Zillgenz, G., de praedicamentonim
quae ab Aristotele auctore categoriae nominabantur fönte atque origine.
8. WĂĽrzburg, Stahel'sche Buchh. n. 60 Pf.
V. Zur Metaphysik. Golsenet, E., vie inconsciente de Tesprit. 8. Paris,
J. BaiDiöre. b fr. — Beyda, H. J. Th., das Unendliche was es den
Philosophen und was es den Mathematikern bisher gewesen und wie es
sich mathematisch darstellt. 8. Bonn. (Leipzig), Minde. i M. 50 Pf. —
VI. Zur Naturphilotophla. Darwin *s, Gh., gesammelte Werke. Uebersetzt
von J. V. Garus. Lief. 86. 87. 88. 89. 90. 8. Stuttgart, Schweizerbart'sche
Verlagshandlung ä n. 1 M.20Pf. Auswahl in 6 Bdn. Lief. 11. 12.
13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 8. Ebda, ä n. 1 M. [S. ob. S. 185.] -
Hauriot, M., Hypoth^ses actuelles sur la Constitution de la maU^re.
Th^se. In. 8. Paris, G. Baiiliöre. 3 fr. — Roux, W., der Kampf der
Theile im Organismus. Ein Beitrag zur Vervollständigung der m^ani-
schen Zweckmässigkeitslehre. 8. Leipzig, Engelmann. n. 4 M.
VII. Zur Ethik, Culiurgeichichte und R«chtt|Motophla. Lazarus, M., unser
Standpunkt. Zwei Reden an seine Religionsgenossen. 8. Berlin, Stuhr'-
sehe Buchh. n. 50 Pf. — Dühring, E., die Judenfrage als Racen-
Sitten- und Culturfrage. 2. Aufl. 8. Karlsruhe. Reuther. n. 3 M. —
Nippold, F., die Theorie der Trennung von Kirche und Staat ge-
schichtlich beleuchtet. Rectoratsrede. 8. Bern, Wyss. n. 1 M. 50 Pf. —
Schlei er mach er 's Darstdlung vom Kirchenregimente. Mit einfĂĽhren-
dem Vorwort von H. Weiss. 8. Berlin, G. Reimer, n. 3 M. 60 Pf.
VIII. Zur Anthropologie und Psychologie, v. Heilwald, F., Naturgeschichte
des Menschen. Lief. 3. 8. Stuttgart, Spemann. n. 50 Pf. [S. ob. S.
122.] — Reich, E., das Leben des Menschen als Individuum. Die
Leibes- und Seelen-Beschaffenheit der menschlichen Persönlichkeit und
deren Beuehung zur Gesundheit und Wohlfahrt im gesellsehaftlicben
Bibliographie. 807
*
Znsammenlebeo. 8. Berlin, Hempel. n. 7 M. — Gorreusi H., der
Mensch. Lehrbuch der Anthropologie. 2. Ausg. 8. Berlin, Oehmigke's
Verlag n. 1 M. — Hess. 6., Abriss der empirischen Psychologie. 8.
GĂĽtersloh, Bertelsmann, n. 2 M. 50 Pf. -- Hornemann, E., von dem
Zustande des Menschen kurz vor dem Tode. 3. Abdruck. Gotha,
Scbloessmann. n. 80 Pf.
IX. Zur Retfglomphilotophie. Olli vier, ni religion, ni Dieu, ni ath^isme
justifi^ par la philosophie et la science. Aix. 8. — Schmick, J. H.,
ein Wissen fQr einen Glauben. Naturstudien, den Zweifelnden zur Be
ruhigung vorgelegt. 2. Aufl. 8. Leipzig, Reissner. 1 H. 50 Pf. —
Althaus, K., von der Ueberzeugung, insbesondere der religiösen. Eine
Rede. 3. Aufl. 8. Leit>zig, 0. Wigand. n. 1 M. — Glaube, der christ-
liche, und die menschliche Freiheit. 1. Tbl. Präliminarien. 2. Aufl.
8. Gotha, F. A. Perthes. n.4M. — Gorrespondance d*un Sceptique
et d*im Groyant. 8. Basel, Georg, n. 2 M, — Schmidt, H., das Ver-
hältniss der christlichen Glaubenslehre zu den anderen Aufgaben aka-
demischer Wissenschaft. 8. Gotha, F. A. Perthes, n. 80 Pf. — Kat-
ten husch. F., der christliche Unsterblichkeitsglaube. Vortrag. 8.
Dannstedt Würtz'sche Buchh. n. 80 Pf. — L uz, G., Gott, Welt, Un-
sterblichkeit Drei populäre Vorträge. 8. Basel, Schv<reighauser'sche
Buchhandlung, n. 2 M. 40 Pf. — Mflhlhäusser. K., die Zukunft der
Menschheit. (ZeitAragen des christlichen Volkslebens. Herausgegeben
von Mühlhäusser und Geffcken. Hft. 35.) 8. Heilbronn, Gebrüder Hen-
mnger. n. L H. 20 Pf.
X. Zar Pidagoflik. Vierteljahrs-Gatalog aller in Deutschland erschie-
nenen Werke aus dem Gebiete der Pädagogik Jahrg. 1880. October bis
December. Leipzig, Hinrichs'scbe Buchh., Verlags-Gonto. pro 10 Expl.
n. 3 M. 20 Pf. — Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unter-
ricbtswesens. Herausgegeben von K. A. Schmid. 4. Bd. 2. Abth. 2. Aufl.
8. Gotha, Besser, n. 6 M. [S. ob. S. 123.] — Vogel, A., systematische
Encyklopädie der Pädagogik. 8. Eisenach, Bacroeister. n. 4 M. —
SchĂĽtze, F. W., Leitfaden fĂĽr den Unterricht in der Erziehungs- und
Unierrichtslehre. 2. Aufl. 8. Leipzig, Teubner. n. 4 M. — Waldeck,
0., Grundzüge der wissenschaftlichen Pädagogik und das akademische
Seminar. 8. Leipzig, Mutze, n. 1 M. -— Zeglin, J. G., In deinem
Lichte sehen wir das Licht. Pädagogische Aphorismen. 8. Gütersloh,
Bertelsmann, n. 2 M. 40 Pf. — D int er 's, F. G., ausgewählte pädago-
gische Schriften. Herausgegeben von F. Seidel. 2 Bd. 8. Langensalza,
Beyer und Söhne, n. 3 M. 50 Pf. [S. ob. S. 124.] — Pestalozzi 's
sämmUiche Werke. 4. (Titel-)Ausg. Lief. 1. 16. Berlin, Eisenschmidt, n.
60 Pf. — Pestalozzi, H., Lienbard und Gertrud. Ein Buch für das
Volk. 1. u. 2. Theil neu herausgegeben. 1. Lief. 8. ZĂĽrich, Schultheis.
60 Pf. — Salz mann, Krebsbüchlein. Herausgegeben von K. Richter.
(Pädagogische Bibliothek Heft 90 u. 91.) 8. Leipzig. Sigismund und
Volkening. n. 1 M. — Niemeyer, E., Schulreden. 3. Aufl. 8. Dresden,
Bley] und Kämmerer, n. 1 M. — Blätter, deutsche, für erziehenden
Unterricht, herausgegeben von F. Mann. Jahrg. 188t. (52 Nummern.)
Nr. 1. 4. Langensalza, Beyer und Söhne. Vierteljährlich n. 1 M. 60 Pf. —
Blätter, katechetische. Zeitschrift für Religionslehrer. Herausgegeben
von F. Walk. 7. Jahrg. 1881. Nr. 1. 8. Dingolfing, Russy. Halbjähriich
n. 1 M. — Blätter, neue, aus Süddeutschland für Erziehung und
Unterricht. Herausgegeben von C. Burk und G. Pfisterer. 10. Jahrg.
1881. (4 Hefte.) 1. Heft. 8. Stuttgart, Belser'sche Verlagshandlung, pro
cpl. n. 4M. 50 Pf. — Blätter, pädagogische, für Lehrerbildung und
Lehrerbildungsanstalten. Herausgegeben von G. Kehr. Jahrg. 1881.
(6 HefU.) 1. Heft 8. Gotha, Thienemann. ä Heft n. 2 M. — Blätter,
pommersche, fĂĽr die Schule und ihre Freunde: Herausgegeben von
308 BibKographie.
Th. Hauflfe. 5. Jahrg. 1881. Nr. 1. 8. Stettin, Brandner. Vierteljährlich
n. 1 M. — Blätter für den Zeichenunterricht an niedern und hohem
Schulen. Jahrg. 1881. (6 Nrn.) Nr. 1. 8. Frauenfeld, Huber. pro cpll.
n. 2 M. 50 Pf. — Gentralblatt für die gesammte ünterrichtsverwal-
tung in Preussen. Jahrg. 1881. (12 Hefte.) 1. 2. Heft. 8. Berlin, Beaser*-
sche Buchhandlung, pro cplt. n. 7 H. — Erziehung, die der Gegen-
wart. Red. von W. Schröter. 9. Jahrg. 1881. (12 Nrn.) Nr. l4'8. Dres-
den, Burdach, pro cpl. n. 4 M. — Haus und Schule. Pädagogisches
Zeitblatt. Herausgegeben von 6. Spieker. 12. Jahrg. 1881. Nr. 1. 4.
Hannover, Meyer. Vierteljährlich n. 1 M. 25 Pf. — Jahrbuch, päda-
gogisches. 1880. 8. Wien. Klinkhardt n. 3M. — Jahrbuch des Vereins
für wissenschaftliche Pädagogik. 13. Jahrg. Herausgegeben von T. Zil-
ler. 8. Langensalza, Beyer und Sühne, n. 5 M. — Erläuterungen dazu.
12. Jahrg. 1880. Herausgegeben von 0. Altenburg. 8. Ebda. n. 1 M. —
Jahrbücher, neue, für Philologie und Pädagogik. Herausgegeben
von A. Fleckeisen und H. Hasius. 123. und j 124. Bd. Jahrg. 1881.
(12 Hefte.) 1. Heft. 8. Leipzig, Teubner pro cpl. n.30H. — Kirchen-
und Schulblatt in Verbindung. Herausgegeben von E. B. Hesse
und Tb. Leidenfrost. 30. Jahrg. 1881. 1. Heft. 8. Weimar BĂĽhlau.
pro cplt. n. 4 M. — Kirchen- und Schulblatt, sächsisches. Red.:
Schenkel. Jahrg. 1881. Nr. 1. 4. Leipzig, DĂĽrfflng und Franke. Halb-
jährlich n. 3 M. — Kleinkinderschule, die christliche. Zeitschrift
fĂĽr Erziehung in Haus und Kleinkinderschule und fĂĽr Gemeinde-Diako-
nie. Jahrg. 1881. (12 Nrn.) Nr. 1. 4. Leipzig, Bredt in Gomm. pro cplt.
n. 2M. — Lehrer-Zeitung, israelitische. Centralorgan fOr Unter-
richt und Erziehung im Judenthum. Herausgegeben von IL Rahmer
und T. Kroner. Jahrg. 1881. (24 Nrn.) Nr. 1. 4. Löban i. W.-Pr.,
Skrzeczek*s Verlag. Vierteljährlich n. IM. 20 Pf. — Lehrerzeitung,
schweizerische. Organ des schweizerischen Lehrervereins. 26. Jsthrg.
1881. (52 Nrn.) Nr. 1. 4. Frauenfeld, Huber. pro cplt. n. 4 M. -
Monatsblatt, evangelisches, fĂĽr die deutsche Schule. Herausgegeben
von A. Kolbe. Jahrg. 1881. Nr. 1. 8. Stettin, Herrcke und Lebe-
ling. pro cplt. n. 4 M. — Pestalozzi-Blätter. Herausgegeben von
der Gommission fĂĽr das Pestalozzi -StĂĽbchen. 1. Jahrg. 1880. ZĂĽrich,
Meyer und Zeller in Gomm. n. 2 M. — Reform, pädagogische.
Red. H. Köhncke. 8. Jahrg. i881. Nr. 1. Fol. Hamburg, Schön-
wandt. Vierteljährlich n. 1 M. — Schul-Anzeiger für Ober-
franken. Red.: G. H. Bock, 6. Jahrg. 1881. Nr. 1. 8. Bayreuth, Giessel.
pro cplt. n. 2 M. 50 Pf. — Schulblatt, meklenburgisches. Heraus-
gegeben von Kliefoth, Wulff und Held. 32. Jahrg. 1881. (52 Nrn.) Nr. 1.
8. Ludwigslust, Hinstorflf Verlag. Vierteljährlich n. 1 M. — Schulblatt,
rheinisches. Herausgegeben von Th. Voigt. 2. Jahrg. 1881. (12 Nr.)
Trier, Lintz*sche Buchh. Verlags-Conto. pro cplt. n. 4 M. — Schul-
blatt der evangelischen Seminare Schlesiens, herausgegeben von Werdet
und Lang. 31. Jahrg. 1881. Heft 1. 8. Breslau, DĂĽlfer*s Verlag, pro
cpU. n. 3 M. 75 Pf. — Schulbote, der christliche. Wochenblatt für
evangelische Lehrer und Lehrervereine Deutschlands. 19. Jahrg. 1881.
(52 Nummern.) Nr. 1. 8. Leipzig, Böhme. Vierteljährlich n. 1 M. —
Schulbote, fĂĽr Hessen. 22. Jahrg. 188J. Nr. 1. 4. Tauberbiscbofsheim,
Lang, pro cplt. n. 3 M. 60 Pf. — Schule, die deutsche. Herausgegeben
von Gh. Nostiz. 7. Jahrg. 1881. (52 Nummern.) Nr. 1. 8. Siegen, Mon-
tanus. Vierteljährlich n. 2 M. — Schulfreund, der. Eine Quartal-
schrift zur Förderung des Elementarschulwesens und der Jugenderziehung,
herausgegeben von J. H. Schmitz. 37. Jahrg. 1881. 1. Heft. 8. Trier,
Lintz'sche Buchh. pro cplt. n. 3M. — Schulfreund, Tiroler. 2. Jahrg.
1881. (12 Nrn.) Nr.J. 8. Innsbruck, Wagnerische Universitäts-Buchhand-
lung. pro cplt. baar 5 M. — Schul- und Kirchen-Bote. Heraus-
Bibliographie. 909
gegeben v. F. Obert. 16. Jahrg. 1881. Nr. 1. Hermannstadt, Filtsch'sche
Buchh. pro cpll. haar 5 M. 50 Pf. — Schul- Zeitung, allgemeine, fflr
das gesammte Unterrichtswesen. Herausgegeben von K. V. Stoy. 58.
Jahrg. 1881. (52 Nrn. (Nr. 1. 4. Jena, E. Frommann *s Sortiment. Vier-
teljährlich n. 2M. — Schul-Zeitung, allgemeine thüringische. 12.
Jahrg. 1881. (52 Nrn.) 1. 4. Gera, Issleib und Rietzschel. Vierteljährlich
n. 2 M. — Schul-Zeitung, badische. Jahrg. 1881. (52 Nrn.) Nr. 1.
4. Tauberbischofsheim, Lang. Vierteljährlich n. 1 M. 40 Pf. — Schul-
Zeitung, neue badischc. Hersusgegeben von A Heuser. Jahrg. 1881.
(24 Nrn.) Nr. 1. '8. Mannheim, Bensheimers Verlag, pro cplt. n. 4 M. >—
Schul-Zeitung, ft*eie deutsche. 15. Jahrg. 1881. (52 Nrn.) Nr. 1. 4.
Leipzig, Siegismund und Volkening. Vierteljährlich n. 1 M. — Schul-
Zeitung der Provinz Posen. 3. Jahrg. 1881. (52 Nr.) Nr. 1. 4. Brom-
berg, Fischer. Vierteljährlich n. IM. 50 Pf. — Schul-Zeitung, schle-
sische. Red.: F. Töpler. 10. Jahrg. 1881. (52 Nrn.) Nr. 1. 4. Breslau,
Kriebatsch's Buchh. pro cplt. n. 6 M. — Sonntagsschulfreund,
der. Ein Blatt fĂĽr Lehrer und Lehrerinnen der Sonntagsschule. Her-
ausgegeben von Prochnow. Jahrg. 1881. Nr. 1. 4. Leipzig, Bredt in
Gomm. pro cplt. 3M. — Turn-Zeitung, deutsche. Jahrg. 1881.
{52 Nrn.) Nr. 1. 4. Leipzig, Strauch. Vierteljährlich n. 1 M. 50 Pf. —
Zeitschrift des Salzburger Lehrer- Vereins. Red.: F. Thym. 11. Jahrg.
1881. (12 Nrn.) Nr. 1. Salzburg. Dieter, pro cplt. n.3M. — Zeitung,
pädagogische. Red.: A. Buchwit2. 10. Jahrg. 1881. (52 Nrn.) Nr. 1. Fol.
Berlin, Tb. Hofmann in tk)mm. Vierteljährlich n. 1 M. 50 Pf. —
Kellner, kurze Geschichte der Erziehung und des Unterrichtes. 5. Aufl.
8. Freiburg i. Br., Herder 'sehe Verlagshaudlung n. 2 M. — d'Elvert,
Chr. Ritter, zur Geschichte der Volksschulen in Brunn. 8. Brunn,
Winklers Buchhandlung, n. 40 Pf. — Glogau, G., Ziel nnd Wesen der
humanistischen Bildung. Vortrag. 8. Zürich, Schmidt n. IM. — Schatz,
F., Allgemeinbildung und Sonderbildung in Deutschland. Rectoratsrede.
8. Rostock, Stiller)sche Hof- und Universitäts-Buchhaudlung. n. 60 Pf. —
Rfimelin, A., häusliche und öffentliche Erziehung. (Sammlung gemein-
verständlicher Vorträge und Abhandlungen wissenschaftlichen Inhalts.
Nr. 1. 8. Dessau, Barth, Separat-Gonto. n. 50 Pf. — Rudolph, L., die
Stellung der Schule zu dem Kampfe zwischen Glauben und Wissen. 8.
Berlin, Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung, n. 2 M. — Brehme, A.,
Briefe ĂĽber Petersburger Erziehung. 2. (Titel-)Aufl. 8. St. Petersburg,
Kranz, n. 1 M. 50 Pf. — Lev^que, J., Schule und Socialismus. Eine
social-pädagogische Studie. (Frankfurter zeitgemässe Broschüren. Neue
Folge, ^herausgegeben von P. Haffner. 2 Bd. 5. Heft). FrankfĂĽrt a. M.
Fösser. n. 40Pf. — Walter, L., die Fröbelliteratur. Zusammenstellung,
Inhalts-Angabe und Kritik derselben. 8. Dresden, Hahle. n. 2 M. 40 Pf. —
Schulze, G. Grundriss der Volksschul-Pädagogik. 3. Theil. Praxis der
Volksschul-Pädagogik. 8. Rheydt, Langewiesche. n. 1 M. 60 Pf. — AI lek er,
J., die Volksschule. 3. Aufl. 8. Freiburg i. B., Herder'sche Verlagshand-
lung. 8 M. — Stern er, M., die Methodik der Volksschule unter Be-
rĂĽcksichtigung der Schulhygiene und Schulzucht. 8. Straubing, Atten-
hofer'sche Buchhandlung, n. 5 M. 50 Pf. — Arbeitsschule und
Volksschule. Auswahl von Concurrenz-Aufsätzen über die Preisfrage:
«Läset sich die Arbeitsschule mit der Volksschule verbinden?* Heraus-
gegeben von 0. Salomon. 8. Wittenberg, Herros^ Verlag, n. 1 M. 20 Pf. —
Bestimmungen, die allgemeinen des königlich preussischen Ministers
der geistlichen Unterrichts- und Medicinal- Angelegenheiten vom 15. Octo-
ber 1872. Mit Angabe der wichtigsten bis Ende 1880 zu denselben er-
lassenen Ministeria] -VerfĂĽgungen, dem Schulaufsichtsgesetze und der
PrĂĽfungsordnung fĂĽr Taubstummenlehrer und Turnlehrer. 8. Leipzig,
Dürr'sdie Buchhandlung, n. 1 M. — Haus und Schule. Berliner
310 Philosophische Vorlesungen an den Deutschen Hochschulen.
Monats-Blätter des Vereins für das Wohl der aus der Schule entlasse-
nen Jugend. Red. von F. d^Flargues. Neue Folge. 7. Jahrg. 1881. Nr. 1.
8. Berlin, Th. Hofmann. Vierteljährlich n. 1 M. — Praxis, die, der
schweizerischen Volks- und Mittelschule. Herausgegeben von J. BQhl-
mnnn. Jahrg. 1881. (4 Hefte.) 1. Heft. 8. Zflrich, Orell, FQsbH u. Co.
pro cplt. n. 5 M. — Volksschulbote, hannoverscher. 26. Jahrg.
1881. (26 Nrn.) Nr. 1. 8. Hannover, Hahn'sche Buchh. Vierteljährlich
baar 70 Pf. — Volksschule, die. Eine pädagogische Monatsschrift.
Red. von G. F. Hartmann. Jahrg. 1881. (12 Hefte.) 1. Heft. 8. Stutt-
gart, Aue. pro cplt n. 4 M. 80 Pf. — Volksschule, die deutsche.
12. Jahrg. 1881. (36 Nrn.) Nr. 1. 4. Leipzig,. Siegismund und Volkening.
Vierteljährlich n. 1 M. — Zeitung für das höhere Unterrichtswesen
Deutschlands. Herausgegehen von H. A. Weiske. 10. Jahrg. 1881. (52
Nrn.) Nr. 1. 4. Vierteljährlich n. 2 M. — Zeitschrift für österreichische
Gymnasien. Red. : W. Hartel und K. Schenkl. 32. Jahrg. 1881. 1. Heft
8. Wien, G. Gerold's Sohn, pro cplt n. 24 M. — Blätter für das
bayerische Gymnasial- und Realschulwesen, red. von A. Deuerling.
17 Bd. (10 Hefte.) 1. Heft 8. MĂĽnchen, Lindauer 'sehe Buchh. pro cplt
n. 6 M. — Blätter für das bayerische Realschulwesen. Red. von A. Kurz.
1. Bd. 1881. (5 Hefte) 1. Heft. 8. Münster, Rieser^sche Universität-Buch-
handlung, pro cplt n. 5 M. — Schneider, 0., ein Lebrplan für den
deutschen Unterricht in der Prima höherer Lehranstalten. 8. Bonn,
Weber 's Verlag, n. 1 M. 50 Pf. -^Mädchenschule, die. Heraus-
gegeben von H. Lintemer und F. M. Wendt 5. Jahrg. 1881. (24 Nrn.)
Nr. 1. 4. Klagenfurt, Bertschinger und Heyn, pro cplt. n. 6 M. —
V. Hippel, T. G., Ueber die bĂĽrgerliche Verbesserung der Weiber und
ĂĽber weibliche Bildung. (Haus-Bibliothek Bd. 16.) 16. Leipzig, Gold-
hausen, n. 20 Pf., geb. n. 60 Pf.
Philosophische Yorlesungen an den Deutschen Hochsehnlen
im Sommer-Semester 1881.
I. Deutsches Beiclu
Berlin. Universität. Sem i seh: Tertullianus de anima. — Pflei-
derer: Geschichte der Religionsphilosophie; Philosophie und Geschichte
der Religion, oder philosophische Propädeutik der dogmatischen Theolo-
gie. — von der Goltz: System der christlichen Ethik. — Va\ke: Ein-
leitung in die philosophische Theologie; allgemeine philosophische Theo-
logie und Religionsgeschichte. — Plath: Augustinus' Gonfessiones. —
Runze: System der Ethik. — Zell er: über litterarische und historische
Kritik; Rechtsphilosophie; Logik und Erkenntnisstheorie. — Lotze: Me-
taphysik; Psychologie. — Lazarus liest nicht. — Michelet: das
System der Philosophie als exacter Wissenschaft; Privatissima ĂĽber jed-
wede philosophische Disciplin. — Werder liest nicht. — Althaus: Ge
schichte der neueren Philosophie; allgemeine Geschichte der Philosophie. —
Bastian: aligemeine Ethnologie. -— Paulsen: Geschichte des öffent-
lichen Unterrichtswesens in Deutschland; Geschichte der neueren Philoso-
phie mit RĂĽcksicht auf die gesammte. Gultur desselben Zeitalters; Ethik
mit Einschluss der Principien der Staats- und Gesellschaftslehre, philoso-
phische Uebungen im Anschluss an die LeetĂĽre von Hume's philosophi-
schen Schriften. — Geiger: Rousseau's Leben und Schriften. — Jessen:
die SchOnheitsgesetze in der Pflanzenwelt. — Märcker: die Principien
der Naturphilosophie der Alten nach Aristoteles' Physik; Rhetorik; rheto-
rische Uebungen; Piatons Bücher von den Gfesetzen. — Lasson: Logik
Philosophische Vorlesungen an den Deutschen Hochschulen. 311
und Metaphysik; Pädagogik. — G. ▼. Gizycki: über die englische Ethik
der Gegenwart; Logik und Erkenntnisstheorie; philosophische Uebungen
im Ă„nscbluss an die LeetĂĽre von I. Kant*s Grundlegung zur Metaphysik
der Sitten. — Ebbinghaus: Geschichte der griechischen Philoso-
phie; philosophische Uebungen im Anschluss an Kantus Kritik der reinen
Vernunft.
Berlin. Hochschule für Wissenschaft de» Judenthuma.
Steinthal: philosophische Ethik.
Bon. Floss: Moraltheologie II. Theil. — Hftlschner: Naturrecht
oder Rechtsphilosophie. ^ Sc haaff hausen: Urgeschichte des Men-
schen. — Knoodt: Philosophie des Spinoza und Leibniz; Psychologie. —
Usener: vergleichende Gulturgeschichte. — J. B. Meyer: Probleme der
neueren Religionsphilosophie; System und Geschichte der Pädagogik. -->
Neuhaeuser: Metaphysik und Theologie des Aristoteles; Logik. — Schaar-
schmidt: Principien der Moralphilosophie; Psychologie. — Bernays:
Entwicklungsgeschichte der athenischen Staatsv^assung nebst Erklärung
der xenophontischen Schrift vom Staat der Athener; Erklärung von
Locretius' Gedicht ĂĽber die Natur der Dinge nebst Geschichte der stoi*
sch^ und epikureischen Litteratur. — Frhr. v. Hertling: Einleitung in
die Metaphysik; Metaphysik. — * Witte: Kant 's Sitten- und Religionslehre;
Geschichte der neueren Philosophie; Geschichte und Kritik der Theorien
über Raum und Zeit. — Lipps: Hume's Philosophie mit Uebungen.
BreuMberg. Marquardt: allgemeiner Theil der Moraltheologie; Re-
petitionen und Disputationen über moralische Gegenstände. — Michelis
liest nicht. — Krause; Psychologie; Metaphysik.
Breslau. Bittner: Repetitorium der Moral; generelle Moraltheolo-
gie. — Krawutzky: Geschichte der neueren Erzidiungskunde. — Meuss:
theologische Ethik. ~ Gierke: Geschichte der politischen Theorien. —
Elvenich liest nicht. — Hertz: Geschichte der Philologie im Alterthum
und Mittelalter. — * Dilthey: philosophische Uebungen; Geschichte der
neueren Philosophie; Logik mit besonderer BerĂĽcksichtigung ihrer Be-
ziehung zu den Fachwissenschaften. — Weber: philosophische Uebungen ;
Psychologie; Religionsphüosophie für Studirende aller Facultäten. —
Freudenthal: philosophische Uebungen ĂĽber Kaufs Kritik der reinen
Vernunft; Einleitung in Piatons Leben, Schriften und Lehre und Erklä-
rung der Platonischen Republik. — Oginski: Einleitung in die Philoso-
phie; Geschichte der Ethik. — Bobertag: ausgewählte Gedichte Schil-
ler*s. — Gothein: Gulturgeschichte Italiens von Dante bis Macchiavelli.
Erlangen. Ebrard: über Shakespeare's Poesie in ihrem Yerhältniss
zum Ghristenthum. — Bestmann: Über antike und christliche Ethik. —
Schelling: Rechtsphilosophie. — Marquardsen: Politik. — Hey der:
Geschichte der Philosophie von Kant bis zur Gegenwart; Gonversatorium
ĂĽber die Grundprobleme der Philosophie mit besonderer BerĂĽcksichtigung
des Gegensatzes von monistischer und theistischer Lehre. — Müller:
Gymnasialpädagogik in Verbindung mit Geschichte der Gymnasien. -^
Class: Erkenntnisstheorie und Metaphysik; Religionsphilosophie. —
Schmid: Geschichte der deutschen Philosophie von Nicolaus Taurellus
bis in die neueste Zeit; Philosophie der Geschichte; Geschichte der Päda*
gogik. — Rabus: Logik und Erkenntnisslehre.
Frelburg. Kössing: christliche Moral, zweite Hälfte. — Krieg: Ter«»
tulliani über apologeticus christianae religionis. — Latschenberger:
Physiologie der Stimme und Sprache des Menschen. — Weismann;
Descendenztheorie. — Windelband: Logik; Geschichte der neueren Phi"
iosophie bis Kant; im Seminar Plato's Phädon.
Giesten. Bratuscheck: Geschichte der europäischen Philosophie
von Thaies bis auf die neueste Zeit. — Schiller; über englisches Schul-
312 Philosophische Vorlesungen an den deutschen Hochschulen.
wesen. — Noack: deutsche Philosophie seit Kant. — Schultess: Ptalons
Republik. — Wiegand: über Plato's Idee des Guten; Einleitung in das
Studium des Plato und Aristoteles.
Gdttingen. Schultz: theologische Ethik. — y. Bar: Rechtsphiloso-
phie und Encyclopädie. — Sauppe: Uebungen des Königlichen pädagogi-
schen Seminars; Piatons Gastmahl. — Baumann: Geschichte der alten
Philosophie; in einer philosophischen Societät: Probleme aus der Meta-
physik; Geschichte und System der Päds^ogik. — Pauli: Politik. —
Wagner: über den geographischen Unterricht. — Müller: Logik; Ele-
mente der Psychophysik. — Goedeke: über Schillers Leben und Schrif-
ten. — Peipers: Darstellung der Philosophie Kants: in einer philosophi-
schen Societflt Locke's Essay concerning human understanding. — Reh-
nisch: Metaphysik; ĂĽber Probleme und Gontroversen der praktischen
Philosophie, -r- lieber hörst: die deutsche Philosophie der Gegenwart;
Psychologie.
Greifswald. Hanne: ĂĽber Schleiermacher 's Leben und Wirken nebst
Analyse seiner wichtigsten dogmatischen und ethischen Schriften. — Bai er:
Einleitung in die Philosophie; allgemeine Geschichte der Philosophie ; phi-
losophische Uebungen betreffend die Geschichte der Philosophie im Alter-
thum und in der Neuzeit. — Susemi hl: aristotelische Uebungen. —
Kiessling: Cicero de legibus im philologischen Seminar. •— Schuppe:
phUosophische Uebungen; Psychologie. — von Wilamowitz-Möllen-
dorff: Platon's Euthyphron im philologischen Seminar. — Pyl: über
die Grenzen der KĂĽnste und Wissenschaften, sowie ĂĽber den innigen Zu-
sammenhang zwischen Religion und Kunst mit Erklärung der betreffenden
Kunstwerke. —Vogt: über Goethe's Leben u. Schriften bis zum J. 1775.
Halle. Schlottmann: ĂĽber David Strauss als Philosophen und
Theologen für Studirende aller Facultäten. — Köstlin: Dogmatik, erster
Theil (Apologetik und Religionsphilosophie). — Kahler: Ethik. — Pott:
allgemeine Grammatik und Sprachphilosophie. — Erdmann: historische
Einleitung in die Logik ; Psychologie. — U 1 r i c i : Geschichte der bildenden
Kunst neuerer Zeit; Logik und Erkenntnisstheorie. — Haym: Einleitung
in die Philosophie; philosophische Uebungen. — Kircbhoff: über Me-
thodik der geographischen Forschung und des geographischen Unterrichts.
— Hiller: im philologischen Seminar Piaton 's Phaedrus. — Dittenber-
ger: im philologischen Seminar Horaz' Ars poetica. — Krohn: Kritik
der Lehre Schopenhauer's; das System von Leibniz; Leben und Lehre
Schleiermacher 's. — Thiele: Logik und Erkenntnisstheorie des Aristote-
les; philosophische Uebungen. — Dreher: der Darwinismus; auserwählte
Abschnitte aus der Psycho-Physiologie.
Heidelberg. Schenkel: Princip des Protestantismus und dessen Be-
deutung in dem - kirchlichen und sittlich - socialen Entwicklungsgang der
Gegenwart. — Gass: christliche Ethik. — Holst en: Ursprung und Wesen
der Religion. — Basser mann : die Lehre vom Volksschulwesen mit Ein-
führung in die Volksschule. — Heinze: philosophisch - historische Einlei-
tung in das Strafrecht (StraArechtstheorien und Geschichte des Strafrechts).
— Strauch: Rechtsphilosophie (Naturrecht) nach gedrucktem Grundrisse.
— V. Kirchenheim: allgemeines Staatsrecht und Politik. — Fischer:
Geschichte der griechischen Philosophie; kritische Vorträge über Goethe's
Faust. -^ Wachsmuth: Encyklopädie und Methodologie der Philolo|pe. —
ErdmannsdOrffer: Gulturgeschicbte Italiens im Zeitalter der Renais-
sance. — Uhlig: über Aechtheit, Zeitfolge und Texteskritik der platoni-
schen Schriften nebst Interpretation desPhaedon; pädagogische Uebungen
in den gymnasialen Unterrichtsfächern vor verschiedenen Gymnasialkiassen.
— Kossmann: gemeinverständliche Darstellung der Darwin 'sehen Theorie.
— Gas pari: Psychologie mit Rücksicht auf Völkerpsychologie, Sociologie
und Sprachwissenschaft; über die Probleme der ErkenntnissUiätigkeit vom
Philosophische Vorlesungen an den Deutschen Hochschulen. 313
psychologischen und kritischen Standpunkte; Geschichte und Kritik des
Materialismus mit RĂĽcksicht auf die Entwickelung der Naturwissenschaften.
— Scherrer: Gesellschaftswissenschaft (Sociologie). — Frhr. v. Reich-
lin-Meldegg: Darstellung und Kritik der Schopenhauer'schen Philosophie
mit besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Gegenwart. —
Nohl: Beethoven und seine Zeit.
Jana. Suell: Unterredungen und Disputationen ĂĽber die Methodik
des mathematischen Unterrichts in Verbindung mit Uebungen im Seminar.
— M. Schmidt: Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wis-
senschaften; Aristoteles' Politik Buch II im philologischen Semif)ar. —
Fortlage: Psychologie und Anthropologie; praktische Philosophie. -—
Eucken: Logik; Geschichte der neueren Pbilosopliie bis Kant; philoso-
phische Uebungen in zwei Abtheilungen. — G. V. Stoy: Gymnasialpäda-
gogik; Einleitung und Encyklopädie der Philosophie; Uebungen des päda-
gogischen Seminars, theoretisch und praktisch. — Volkelt: Geschichte
der griechischen Philosophie. — H. Stoy: Geschichte der Pädagogik ; pä-
dagogisches Gonversatorium im Anschluss an die Leetüre eines pädagogi-
schen Klassikers. — Falckenberg: Geschichte und Probleme der Moral-
philosophie, I. Hälfte; Repetitorium der Geschichte der Philosophie, I.Hälfte.
Kiel. Nitzsch: theologische Ethik; ĂĽber die christliche Lehre vom
Staat. — H. Lüdemann: System des Philo von Alexandrien. — Forch-
hammer: im philologischen Seminar Cicero de re publica. ^Thaulow:
Uebungen im pädagogischen Seminar; über Hegel und seine Zeit; Ency-
klopädie der philosophischen Wissenschaften oder System der Philosophie
nach seinem Handbuche; Rechtsphilosophie nach seinem Entwurf; Ari-
stoteles* Politik in seiner aristotelischen Gesellschaft. — Erdmann: phi-
losophische Uebungen im Anschluss an Kant*s Prolegomenen (transscen-
dentale Analytik) Logik als Methodenlehre der wissenschaftlichen Erkennt-
niss. — Groth: Über Lessing und seine Zeit. — Alberti: über die
Sprachphilosophie griechischer Philosophen mit besonderer BerĂĽcksichti-
gong des platonischen Kratylos ; die Ansichten des Sokrates, Plato und
Aristoteles vom menschlichen Willen.
KBnlgsberg. RĂĽhl: Ps. Xenophon's Schrift vom Staate der Athener
im historischen Seminar. — Walter: über die Philosophie Schopenhauer's
und den modernen Pessimismus; Pädagogik. — Lud wich: Encyklopädie
der Philologie. — Quaebicker: philosophische Uebungen mit Zugrunde-
legung von Spinoza*s Ethik; Encyklopädie der Philosophie und Logik. —
Baumgart: ästhetisch-kritische Uebungen: Erklärung einer Anzahl dra-
matischer Dichtungen von Shakespeare, Goethe, Schiller und einigen fran-
zösischen Dichtern; über Goethe's Leben und Dichtungen.
Leipzig. Luthardt: theologische Ethik. — Fricke: über die wis-
senschaftlichen Grundlagen des Glaubens an den persönlichen Gott (für
die Studirenden aller Facultäten.) — Hofmann: pädagogisches Seminar;
praktische Uebungen und Besuche von Lehr- und Erziehungsanstalten. —
Ryssel: über den Unsterblichkeitsglauben im Alten Testament. — Garus:
über die Lehre Darwins. — Rauber: Urgeschichte des Menschen. —
Drobisch: Einleitung in die Philosophie und Logik; Anwendungen der
Wahrscheinlichkeitsrechnung auf Verhältnisse des menschlichen Lebens. —
Fechner liest nicht. — Röscher: Geschichte der politischen und socia-
len Theorien als Vorschule jeder praktischen Politik. — Masius: Ge-
schichte der Pädagogik I. Theil ; allgemeine Didaktik ; Uebungen des päda-
gogischen Seminars. — Hildebrand: Schiller und Goethe in ihrem Ver-
hältniss und Zusammenwirken. — Heinze: Geschichte der alten Philoso«
phie; philosophische Ethik; philosophische Uebungen (Kant's Kritik der
reinen Vernunft.) — Wundt: Geschichte der neueren Philosophie; psy-
chophysische Uebungen für Vorgerücktere. — Ribbeck: Geschichte und
Encyelopädie der klassischen Philologie. — Strümpell: Psychologie;
314 Philosophische Vorlesungen an den Deutschen Hochschulen.
religionsphilosophische Fragen; wissenschaftlich -pSdagogisches Praktikum.
— Biedermann: Moral- und Rechtsphilosophie; deutsche Gulturge-
schichte seit dem Reformationszeitalter, cultur- und literaturgeschicht-
liche Gesellschaft. — K. Hermann: Geschichte der Philosophie; Psycho-
logie; allgemeine Grammatik und Sprachphilosophie. — Zi 11 er: allgemeine
Pädagogik; Referate üher philosophische Ethik, nach der Allgemeinen
philosophischen Ethik, Langensalza, , Beyer 1880; religionsphilosophische
Uehungen; pädagogisches Seminar; — - Eckstein: Gymnasialpädagogik;
Uehungen des pädagogischen Seminars. — Seydel: .Logik und Er-
kenntnisslehre an der Hand Yon Kant's Kritik der reinen Vernunft
(1781); Encyclopädie der Philosophie, d. i. systematische Uebersicbt Ober
die hauptsächlichsten philosophischen Probleme und Standtpunkte. -
Hirzel: Piaton *s Phaedon. — Wolff: Logik und Sprachphilosophie; Ober
Spinoza's Leben und Lehre. — Greizenach: über Lessings Leben und
Werke.
Marburg« Wigand: Ober den Individualismus in der Natur. — Berg-
mann: philosophische Uehungen ; Logik . — Cohen: philosophische Uehun-
gen; (Erklärung der auf die Ideenlehre bezüglichen Stellen in den Plato-
nischen Dialogen); Geschichte der alten Philosophie. — Birt: im philolo-
gischen Proseminar Plato's Protagoras.
MQnchen. Silbernagl: bayerisches Volksschulwesen. — Wirth-
müller: Horaltheologie; Erklärung ausgewählter Quästionen aus der
theologischen Summe des heiligen Thomas von Aquin. — Bach: Pä-
dagogUc, Geschichte und Theorie der Erziehung; Geschichte der Phi-
losophie. — Geyer: Geschichte und System der Rechtsphilosophie. —
V. Riehl: Staatswissenschaft und Politik; Culturgeschichte des 18. und
19. Jahrhunderts. — Beckers: Rechtsphilosophie; über die Schelling'sche
Philosophie in ihrer letzten Entwicklung. — Frohschammer: Ge
schichte der Philosophie; über einzelne philosophische Probleme. — von
Giesebrecht: historisches Seminar, pädagogische Abtheilung. — von
Prantl: Greschichte der Philosophie; Rechtsphilosophie (Geschichte und
System derselben). — Garri^re: das Wesen und die Formen der Poesie
mit Grundzügen der vergleichenden Literaturgeschichte. — Breymann:
im Seminar Lessing's Dramaturgie und das englische Theater. ~ Dehio:
Florenz im Zeitalter der Renaissance, Politik, Cultur; Kunst. — Jodl: über
Schopenhauer und den Pessimismus.
MQnstor. Schwane: allgemeine Moraltheologie, Fortsetzung; specielle
Horaltheologie, Fortsetzung. — Spicker: philosophische Uebungen; Ge-
schichte der neueren Philosophie. — Schlüter: Geschichte der griechi-
schen Philosophie. — Nordhoff: Geschichte der deutschen Universitäten
vom Jahre 1648 ab.— Hage mann: Geschichte der neueren Philosophie
seit Baco und Cartesius; Logik und Erkenntnisstheorie; Metaphysik.
Rostock. Schulze: christliche Sittenlehre. — Uf fei mann: Schul-
gesundheitspflege. — von Stein: Logik und Metaphysik; Geschichte der
neueren Philosophie; Aesthetik. — Weinholtz: die Grundlage des Ideis-
mus; die ideisüsche Dialektik; die wesentlichen Beschaffenheiten der schö-
nen KĂĽnste mit Ausscheidung der irrthĂĽmlich als solche vorgestellten.
Strattburg. Krauss: Ethik.— Holtzmann: Wesen der Religion.—
Zopf fei: Anseimus Cur deus horoo im kirchenhistorischen Seminar. —
Weber: Geschichte der neueren Philosophie; ausgewählte Stücke aus den
philosophischen Hauptwerken des XVII. Jahrhunderts. — Laas: Moral-
und Rechtsphilosophie; Psychologie des Willens; Locke's Versuch ĂĽber
den menschlichen Verstand und Leibnizen's und V. Cousin *s Kritik des-
selben in seminaristischer Behandlung. — Gerland: Einleitung in die
Ethnologie; im geographischen Seminar LeetĂĽre und Besprechung von
Darwin's Reise um die Welt. — Liebmann: die Grundprobleme der
theoretischen Philosophie; Geschichte und Kritik der neuesten (nachkanti-
Philosophische Vorlesungen an den Deutschen Hochschulen. 315
sehen) Philosophie; Besprechung psychologischer Probleme in einer philo-
sophischen Gesellschaft. — Henning: Schiller 's ästhetische Schriften
(Uebungen im Seminar för deutsche Philologie). — Vaihinger: Kant's
Kritik der reinen Vernunft vom Jahre 1781 (Interpretation im philosophi-
schen Seminar).
TDbingeii. Weiss: christliche Ethik, erster Theil. — Buder: die
Grundprobleme der Heligionsphilosopbie und Apologetik. — v. Kober:
Pädagogik und Didaktik, zweite HSlfte. — Linsenmann: Moraltheologie,
zweite Hälfte. — ▼. Keller: Goethe's Faust. — Köstlin: über Goethe,
sein Leben und seine Werke. — v, Sigwart: Metaphysik; Grundzüge der
Philosophie der Geschichte; philosophische uebungen. — Pfleiderer:
Geschichte der neueren Philosophie; philosophische Anthropologie. —
Rohde: Platon's Symposion mit Einleitung in die gesammte Schriftstel-
lerei des Piaton. — Spitta: Logik; die cartesianische Philosophie (System
und Geschichte derselben). — Bender: Gymnasialpädagogik; Geschichte
des höheren ünterrichtswesens. — Jolly: allgemeines Staatsrecht und
Politik. — V. ROmelin: Rechtsphilosophie. — Eimer: über die Entste-
hung der Arten.
WOrzburg. Göpfert: Moraltheologie. — Stahl: philosophische Pro-
pädeutik für Theologen (Ethik und Juridik); Leetüre der Summa des hei-
ligen Thomas von Aquin. — Eirschkamp: philosophisch - theologische
Propädeutik; Geschichte der philosophisch-theologischen Studien im Mittel-
alter und in der neueren Zeit (Fortsetzung); LeetĂĽre der Summa theolo-
gica des heiligen Thomas. — v. Held: Rechtsphilosophie und allgemeines
Staatsrecht. — Franz Hoff mann liest nicht. — Grasberger: Pädago-
gik und Didaktik als System der Erziehungs- und ^ Unterrichtslehre mit
Ausschluss der Greschichte der Pädagogik. — Schanz: Geschichte der
Philologie. — Dieterich: Geschichte der neueren Philosophie. — Neu-
decker; Geschichte und System der Aesthetik; allgemeine philosophische
Propädeutik; über Pessimismus. — May r: Anthropologie und Psychologie.
n. Die Schweiz.
Basel. Overbeck: Leetüre des ^Octavius des Minucius Felix. —
Schmidt: Einführung in Kant*s Religions- und Moralsystem. — Kaf tan:
christliche Ethik; Anselm*s Schrift Cur Dens homo. — Steffen sen liest
nicht. — Siebeck: Logik; Psychologie; pädagogisches Seminar: a) Prin-
dpien der ünterrichtslehre, b) praktische Uebungen. — Wackernagel:
im philologischen Seminar Lucrez. — Bol liger: Geschichte der Philoso-
phie im Alterthum und im Mittelalter. — Buser: Geschichte des Huma-
nismus. — Heussler: Einführung in die philosophische Terminologie;
über die Methode des akademischen Studiums; philosophische Societät:
Spinoza's Ethik. — Göring: über die modernen Richtungen in der Pä-
dagogik.
Bern. Hirschwälder: theologische Ethik, L Theil. — Michaud:
theologie dogmatique (intioduction philosophique et scientifique ä la theo-
logie). — Hurtault: theologie normale. — Samuely: philosophische
Einleitung in das Strafrecht (Strafrechtstheorien). — Ris: encyklopädische
Einleitung in die Philosophie; Geschichte der neueren Philosophie von
Baco bis auf Kant excl.; philosophisches Repetitorium. — Heb 1er: Logik;
ĂĽber die Willensfreiheit; philosophische Uebungen an einem Werke Pla-
ton's oder Kant's. — Trächsel: Geschichte der Philosophie seit Kant;
Geschichte der Philosophie vom 16. Jahrhundert bis Kant; Kunstgeschichte
(die französische Kunst seit der Revolution); Psychologie. — Stern: im
historischen Seminar historisch • pädagogische Uebungen. — Rüegg: Pä-
dagogik, L Theil; Didaktik; der Unterricht in der deutschen Sprache; Re-
petitorium der Pädagogik; pädagogische Uebungen. — Jahn: Theophrast's
316 Philosophische Vorlesungen an den Deutschen Hochschulen.
Charaktere; ausgewälilte Stücke aus Lucretius. — Ganting: die Musik
in der Culturgeschichte vom 10. bis 17. Jahrhundert in Einzeldarstellun-
gen; Plutarch und Bo§tius über Musik; Geschichte der Musikwissenschaft
an Universitäten.
ZUrich. Schweizer: christliche Moral. — Volkmar: im theologi-
schen Seminar Tertullian gegen Marcion. — Kessel ring: Augustinus
Gonfessiones. — Vogt: Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie seil
Hugo Grotius. — Zym: Psychologie; antike Philosophie; philosophische
Uebungen. — Vögel in: Hauptmomente d^r allgemeinen Gulturentwicke-
lung; culturgeschichtliche Uebungen. — Avenarius: GrundzQge der Lo-
gik ; freie Uebungen der Studirenden im Halten von Vorträgen über selbst-
gewählte Themata aus allen Gebieten der Philosophie mit nachfolgender
Discussion; allgemeine Pädagogik. — Honegger: Skizze einer aUgemei-
nen Culturgeschichte des 19. Jahrhunderts. - Fehr: Pädagogik. — Glo-
gau: Grundlinien der Ethik; Leetüre und Erklärung von Kaufs Kritik
der praktischen Vernunft. — Hunziker: Darstellung des schweizerischen
Volksschulwesens ; Leetüre und Besprechung pädagogischer Schriften (Jean
PauPs Levana und Fichte's Reden an die deutsche Nation). — Keller:
ĂĽber die Darwin'sche Theorie und deren Anwendung auf die thierische
Morphologie.
m. BuBBische OstBeeprovinzen.
Dorpat. AI. von Oettingen: Ethik; Conversatorium ĂĽber social-
ethische Fragen der Gegenwart. — Teichmüller: Geschichte der alten
Philosophie; platonisches Praktikum. — v. Pietkiewicz: Moraltheologie.
rv. OeBierreich-ĂĽngam.
Czernowitz. Calinescu: Moraltheologie, H. TheiL — Tomaszuk:
Rechtsphilosophie mit historischer Einleitung. — Wrobel: Platon's Gast-
mahl. — Müller hat angekündigt: Logik; über Locke's Philosophie.
Derselbe ist aber nach Göttingen berufen.
Wim, evangelische Facultät. Frank: theologische Ethik.
Kiautenburg. Jen ei: Rechtsphilosophie; neuere Geschichte der Rechts-
philosophie. — Szäsz: Geschichte der neueren Philosophie, 2. Hälfte;
die Hauptfragen des Seins und der Erkenntniss. — Feim ^ri: EncyUopädie
der Pädagogik, 2. Hälfte; die Erziehung Locke's und Rousseau's.
Graz. Schlager: theologiae moralis partem specialem et asceticam. —
V. Scherer: über Augustinus Werk de civitate Dei. -— Klinger: Unter-
richts- und Schulerziehungslehre. — Schütze: Rechtsphilosophie und
Völkerrecht. — Riehl: die Philosophie Platon's; Gymnasialpädagogik, ins-
besondere Unterrichtslehre; philosophische Uebungen für Anfänger; die
Elemente der Erkenntnisslehre, nach Hume und Kant. — v. Karajan:
Geschichte der wissenschaftlichen Literatur der Griechen seit Aristoteles;
im philologischen Seminar Interpretation der pseudo-xenophontischen
Schrift „De republica Atheniensium*.
Innsbruck. Jung: theologia moralis et paAoralis. — Wies er: pro-
paedeutica philosophico-theologica, — Limbourg: propaedeutica pbiloso-
phico-theologica ; propädeutische Untersuchungen über einzelne naturrecht-
liche Fragen. — Ullmann: Rechtsphilosophie. — v. V^ildauer: Ge-
schichte der griechischen Philosophie: Sokrates, Piaton und Aristoteles. —
Barach-Rappaport: Geschichte der Pädagogik; kritische Geschichte
der neueren Philosophie von Bacon von Verulam bis auf unsere Tage;
philosophische Uebungen für Fortgeschrittenere. — Jülg: Xenophon*s
Symposion. — J. Zingerle: Goethe's Faust. — Knauer zeigt eventuell
später an. ^
Recensionen - Yerzeichniss. 317
â–
Beeensionen - Terzeicliniss.
Ad am so n, ĂĽber Kantus Philosophie. (Gegenwart 7 v. H. Herrig.)
Grant Allen, der Farbensinn. (L. C. 8.)
Apalei de deo Socratis ed. LĂśtjobann. (Philol. Anz. 11, 1.)
Arisiotelis ethica Nicomachea ed. Ramsauer. (L. G. 1^.)
Basedüw's ausgewählte Schriften, herausg. von Dr. H. Göring. (Dtsche.
Schulztg. 10, Beflage.)
Benfey, Erinnerungen an Friedrich Fröbel. (Voss. Ztg. 65.)
Bruns, Plato's Gesetze. (Dtsche. Literaturztg. 8 v. E. Heitz.)
T. Bülow, G.,. Beiträge zur Geschichte des poromerschen Schulwesens im
16. Jsihr hundert. (Dtsche. Literaturztg. 8 v. F. Paulsen.)
Byk, die vorsokratische Philosophie der Griechen. 1. 2. (Jahresber. fĂĽr
class. Philol. 1880, 3. v. Curtze.)
Giceronis de legibus libri, Erkt. v. du Mesnil. (Philol. Anz. 10, 10. 11.
Ton A. Strelitz.)
Giceron is natura deorum by Jos. B. Mayor. (Academy 456 v. A. S. Wilkins.)
Gohen, Piatons Ideenlehre und die Mathematik. (Jahresber. ĂĽber die
Fortschritte d. class. Alterthumswiss. 1880, 3. v. Curtze.)
Gorreus, der Mensch. (Literar. Merkur 10.)
Danzel und Guhrauer, G. E. Lessing. (Literar. Merkur 9; Dtsche.
Literarturztg. 8 v. E. Schmidt.)
Döring, Grundzüge der allgemeinen Logik. (L. C. 6; Dtsche. Literatur-
zeitung 10 V. Ebbinghaus.)
Dühring, die Ueberschätzung Lessing's. (Literar. Herkur 10 v. Dr. H.
Spatzier.)
du Prel, Psychologie der Lyrik. (Dtsche. Literaturztg. 10.)
Ehrenhaus, die neuere Philosophie und der christliche Glaube. (Liter.
Merkur 8 v. Dr. H. Spatzier.)
Ernesti, die Ethik des Apostels Paulus. (Dtsche. Literaturztg. 6 von
Sieffert.)
K. Fischer, G. E. Lessing als Reformator der deutschen Literatur dar-
gestellt, 1. 2. (Voss. Ztg. 75; Literar. Merkur 9; Im neuen Reich 10
V. M. Koch.)
J. H. Franke, die Wissenschaft vom physischen, geistigen und socialen
Leben etc. (Literar. Merkur 11 v. Dr. Fr. Schmid.)
Gierke, Johannes Althusius und die Entwickelung der naturrechtlichen
Staatstheorien. (Gott. gel. Anz. 5. 6 v. S. Brie.)
Girard, la philosophie scientifique. (Ztschr. f. Math. u. Phys. 1881, 1
V. Gantor; Dtsche. Literaturztg. 9 y. E. Laas.)
GrĂĽnebaum, die Sittenlehre des Judenthums. (Voss. Ztg. 47.)
Harms, die Philosophie in ihrer Geschichte. II. Geschichte der Logik.
(Literar. Merkur 8 v. Dr. H. Spatzier.)
V. Hart mann, die Selbstzersetzung des Christenthums. (Gegenw. 7 v.
H. Herrig.)
Heine, de ratione quae Piatoni cum poetis Graecorum intercedit. (Philol.
Anz. 11, 1 v. F. Susemihl.)
V. Hellwald, Naturgeschichte des Menschen. (Voss. Ztg. 85.)
Henle, anthropologische Beiträge. (Gegenw. 7 v. H. Herrig.)
Herbart und seine JĂĽnger. (Dtsche. Literaturztg. 6!)
Hdffding, die Grundlage der humanen Ethik. (Vierteljahrschr. f. wiss.
PhĂĽos. 5, 1.)
J. J. Hoppe, die persönliche Denkthätigkeit. (Dtsche. Literaturztg. 8 v.
C. Ueberhorst.)
Jodl, die Gulturgeschichtsforschung. (Jahrb. f. Philo!, u. Pädagogik 1
T. G. Hermann.)
Jo§l, Blicke in die ReUgionsgeschichte. (L. G. 11.)
318 Reeenaionen - Veradchnifls.
I. Kant's Kritik der Urtheilskraft, herausg. v. B. Erdmann. (L. G. 6.)
Kick, zur Frage der einheitlichen Mittelschule. (L. G. 9.)
y. Kirchmann, Katechismus der Philosophie, 2. Aufl. (Voss. Ztg. 109.)
Knoodt, Anton GĂĽnther. (Dtscher Merkur XII, 5 fif.)
Liebrecht, zur Volkskunde. (Archiv f. d. Stud. d. neuer. Sprachen 64, 3. 4.)
Manitius, die Sprachenwelt. (Ausland 5.)
Marty, die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Farbensinnes.
(L. C. 6; Archiv f. Anthropol. 13, 1. 2 v. Mann; Vierteljschr. f. wiss.
Philos. 5, 1 V. L. Tobler.)
Meurer,' das Verhältniss der Schiller 'sehen zur Platonischen Ethik. (L. C.8.)
Möhry, über die exakte Naturphilosophie. (Dtsche. Literaturztg. 7 von
H. Spitta.)
Noble, die Staatslehre Plato's. (Vierteljschr. f. wiss. Philos. 5,1; Ztschr.
f. d. ges. Staatswiss. 37, 1 v. L. Beger.)
Noirö; das Werkzeug u. seine Bedeutung fQr die Entwickelungsgeschicbte
der Menschheit. (JahrbĂĽcher f. NationaJOkonomie u. Statistik. N.F.2,
1, 2 V. E. Leser; Liter. Merkur 9 v. Dr. H. Spatzier.)
Oetken, ĂĽber die Schulen der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
(L. C. 13.)
Peters, Arthur Schopenhauer als Philosoph. (L. G. 6.)
Pf leider er, E., EudämonLsmus und Egoismus. (Dtsche. Literaturztg. 7
v. G. V. Gizycki; L. G. 8.)
Pf leider er, 0., Grundriss der christlichen Glaubens* und Sittenlehre.
(Dtsche. Literaturztg. 5 v. P. W. Schmidt.)
Piaton, la r^publique livre VIII. ed. Aube. (Revue crit. 11.)
Pollock, Spinoza. (Academy 455 v. E. Gaird.)
Port ig, Religion und Kunst. (L. G. 8; Ztschr. f. Philos. u. philos. Krit.
N. F. 78, 1 V. Ulrici.)
Rah US, die neuesten Bestrebungen auf dem Gebiete der Logik. (Ztschr.
f. Philos. u. philos. Krit. N. F. 78. 1 v. Ulrici.)
Rades tjock. Schlaf und Traum. (Voss. Ztg. 85.)
Rehmke, die Welt als Wahrnehmung und Begriff. (Dtsche. Literaturztg.
11 V. H. Vaihinger.)
Reichenbach, die einheitliche Weltanschauung und die GrundzĂĽge des
menschlichen Gesellschaflslebens. (Voss. Ztg. 71.)
Ribot, la Psychologie allemaude contemporaine. (Ztschr. f. PhĂĽos. und
philos. Krit. 78, 1 v. Lasson.)
Roberty, la sociologie. (Jahrbb. f. NationalOkon. u. Statistik. N.F.2,3.)
Rothlauf, die Mathematik zu Piaton 's Zeiten und sein Verhältniss zu
ihr. (Jahresber. d. class. Alterthumswiss. 1880, 3 v. Gurtze.)
Rümelin, häusliche und öffentliche Erziehung. (Dtsche. Schulztg. 12, Beil.)
Salomon, Arbeitsschule und Volksschule. (Dtsche. Schulztg. 10, Beil.)
v. Schmidt, E., die Philosophie der Mythologie und Max MĂĽller. (Dtsche.
Literaturztg. 6 v. 0. Pfleiderer; Vierteljschr. f. wiss. Philos. 5, 1.)
Schmidt, H.. exegetischer Gommentar zu Plato's Theätet. (L. G. 11.)
Schneider. G. H., der thierische Wille. (Gegenwart 7 v. U. Herrig.)
Schnitze, die Sprache des Kindes. (Naturforscher 5.)
Schulz, die Beweise fĂĽr das Dasein Grottes u. die Gotteserkenntniss. (L.C.5.)
SiebenHst, Schopenhauer 's Philosophie der Tragödie. (Gegenwart 7 v.
H. Herrig; Vierteljschr. f. wiss. Philos. 5, 1.)
Splittgerber, Schlaf und Tod. (Ev. Kirchenztg. 7.)
Stahl, histoire de la philosophie du droit. (Revue du droit internatio-
nal 13, 1.)
Stein thal, gesammelte kleine Schriften. (L. G. 9.)
Strümpell, pädagogische Abhandlungen von Mitgliedern des wissenschaft-
lich-pädagogischen Praktikums ^n der Universität Leipzig. (Deutsclie
Schulztg. 10, Beil.)
Aus ZeitMhriften. 819
Taine^ der Verstand. (L. G. 6 v. 6. E. M[ĂĽller].)
Theonis Smymaei expositio rec. E. Hiller. (Jahresber. der class. Alter-
thoinswiss. 1880, 3 v. Gurtze.)
Vischer, Altes and Neues.* (Im neuen Reich 6.)
Voigt, Wiederbelebung des classischen Alterthums. 1. Bd. 2. Aufl. (L. G. 7;
Dtsche. Literaturztg. Nr. 9 v. A. Reifferscheid.)
Wagner, Lessing-Forschungen. (Liter. Merkur 11 v. Dr. H. Prochaska.)
Windelband, Geschichte der neueren Philosophie. Bd. 9. (Liter. Mer-
kur 11 T. Dr. H. Spatzier.)
Witte, die Philosophie unserer Dichterheroen. Bd. 1. (Liter. Merkur 9
y. Dr. H. Spatzier.)
Wundt, Logik. Bd. 1. .(Gott. gel. Anz, 9. 10 v. J. Rehmke.)
Wundt, GrandzĂĽge der physiologischen Psychologie. 2. Aufl. (Liter. Mer-
kur 9 V. Dr. H. Spatzier.)
Zimmer, J. G. Fichte's ReUgionsphilosephie. (L. G. 12.)
Ans Zeiteehriften.
ZeHtdirift fOr niilotophie und philotophbche Kritik. GegrĂĽndet von
J. H. T. Fichte, redigirt von Herrn. Ulrici. Halle. Bd. 78, Heft 1. —
Prof. Dr. Ed. Pfl ei derer, kantischer Kriticismus und englische Philo-
sophie. (2. Art.) — Dr. Emanuel Schär er, Johann Anton Ferdinand
Rösc, eine Lebensskizze. — Prof. Dr. Schuppe, das System der „Er-
kenntnisstheoretischen Logik*. — Eugen Wester bürg, Schopenhauer 's
Kritik der kantischen Kategorienlehre. (1. Hälfte.) — Recensionen: Prof.
Dr. Lasso n, Th. Ribot, la Psychologie allemande contemporaine. —
A. Pen Jon, G. Berkeley. — J. Baudry, la philosophie scientifique. —
Ders., A. PoCy, M. Littr^ et Auguste Gomte. — Ders., £. Joyau, de Tinven-
tion dans les arts, dans les^sciences et dans la pratique de la vertu. —
Ders., Gh. A. du P^an, recherches philosophiques et physiologiques sur )a
nature de Thomme et de Tötre vivant. — H. Ulrici, Prof. Dr. L. Rabus,
die neuesten Bestrebungen auf dem Gebiete der Logik bei den Deutschen
und die logische Frage. — Ders., Ed. Gaird, a Gritical Account of the
Philosophy of Kant. — Prof. Dr. Fr. Hoff mann, Fr. Zöllner, zur Auf-
klärung des deutschen Volkes Über Inhalt und Aufgabe der wissenschaft-
lichen Abhandlungen. — H. Ulrici, Dr. G. Portig, Religion und Kunst.
(5 Theile.) — Notizen. — Bibliographie.
Mind. A quarterly review etc. London, Williams and Norgate.
Nr. XXn. April 1881. Gurney, E., Monism. — Shadworth H. Hodg-
son, M. Renouvier's Philosophy — Psychology. — Rev. W. L. Davidson,
the logic of Dictionary-defining. — A. W. Renn, Buckle and the Econo-
mics of knowledge. — Notes and Discussions. — Gritical Notices. — New
Books. — Miscellaneous.
ItoviM plillotopliique de ia France et de l'ftranger. Dir. par Th. Ribot.
Paris, G. BaiUiöre et Go. 1881. Nr. 3. J. Delboeuf, le dernier livre
de G. H. Lewes. — Gh. Secr^tan, la religion, la philosophie et la
scienee. — • Herbert Spencer, des formes et des forces poUtiques. —
P. Tannery, T^ucation platonicienne. (2e art.) — Analyses et comptes-
rendus: Malcolm Guthrie, on Spencer's Formula of Evolution, etc. —
Robert, de la certitude et des formes r^centes du scepticisme. — Des-
douits, la mötaphysique et ses rapports avec les autres sciences. —
Rosen thal, die monistische Philosophie. — A. Bilharz, der heliocen-
trische Standpunkt der Weltbetrachtuug. — Revue des p^riodiques 4tran-
gers : Mind a quarterly Review of Psychology. — Gorrespondance : Lettres
de M. Boirac et de M. Sülles. — Nr. 4. A. Fouill^e, critique de la
390 Miscellen.
morale de Kant. — J. Delboeuf, le demiere liyre de 6. H. Lewes (fin).
— Herbert Spencer, les chefs politiques. — Analyses et comptes-ren-
dus: Evellin, Infini et quantite. — Wundt, Grundzüge der physiologi-
schen Psychologie (2e Mition). — Dr. P. Rio her, ^tudes cliniques sur
rhyst^ro-^pilepsie ou grande hyst6rie. — Revue des p^riodiques Etrangers:
Philosophische Monatshefte. — Zeitschrift för Völkerpsychologie und Sprach-
wissenschaft.
La fĂĽotofia delle scuole Itallane, rivitta bimetirala. Roma. Vol. XXIII.
lä. Ter. Mamiani, Intorno alla Sintesi ultima del Sapere e dell'Essere,
lettera al prof. Bertinaria. — P. D'Ercole, la morale dei Positivisti di
Roberto Ardigo. — T. Ronconi, deir Induzione Aristotelica eBaconiaDa.
— L. Ferri, due parole alla Givilta Gattolica. — .Bibliografia : 1) Fr. Falco.
— 2) C. Augias. — 3) C. Passaglia. — 4) A* Haugeri. — Notiiie. —
Periodici di Filosofia. — Kecenti pubblicazioni.
Miscellen.
PreisaaBBohreibiixig.
Herr J. Gillis in St. Petersburg hat tausend Gulden öster. Währung
für eine , genaue und allen Gebildeten verständliche Darstel-
lung der Lehre Eant's von der Idealitiät von Raum und Zeit*
ausgesetzt. , Ausgeschlossen seien dabei alle nur ffir Gelehrte Werth habende
philologische Forschungen ĂĽber den Ursprung dieser Lehre ; ausgeschlossen
ferner die Anwendung fremder Sprachen in Gitaten und im Text, sowohl
als ein schwülstiger, schwer verständlicher Stil. Es ist erforderlich l)die
Punkte hervorzuheben und zu verdeutlichen, wo die materialistische Welt-
anschauung nicht mehr genügt, 2) die Lehre von der Idealität von Zeit
und Raum selbst klar und mit einleuchtenden Beweisen darzustellen, 3) zu
entwickeln, welche Fortschritte in dieser Lehre enthalten sind und zu
welchen Resultaten des Denkens und der Sittlichkeit sie hinleitet. Erklärt
werde hierbei die Lehre Kant's vom Zusammenbestehen der Freiheit mit
der Nothwendigkeit, sowie die vom empirischen und intelligibeln Gharakter*.
— Die Arbeit soll nicht weniger als zehn und nicht mehr als zwanzig
Druckbogen umfassen. — Die Einsendung von Arbeiten, welche sich um
den Preis des Herrn Gillis bewerben, hat bis zum 1. Juli 1882 an das Lite-
ratur-Institut von E. Last in Wien (Centrale I, Eohlmarkt 7) zu erfolgen
und zwar unter Beigabe eines verschlossenen Gouverts, welches Namen und
Adresse des Verfassers enthält. Auf das Gouvert ist ein Motto zu setzen,
welches auch auf dem Manuscripte anzubringen ist Das preisgekrönte
Werk bleibt Eigenthum des Verfassers. Falls derselbe es nicht vorziehen
sollte, sein Werk einer Verlagsfirma gegen entsprechendes Honorar zu
übergeben, erklärt sich Herr J. Gillis bereit, die Kosten für die Drucklegung
des Buches vorzustrecken, indess der ganze Reingewinn dem Autor ver-
bleiben soll.
Wien, im Februar 1881.
Die durch Fr. HarmsVTod erledigte Professur der Philosophie an
der Universität zu Berlin ist dem Hofrath H. Lotze von Göttingen über-
tragen worden; die durch dessen Abgang von Göttingen daselbst erledigte
Professur hat Prof. G. E. MĂĽller, bisher in Gzemowitz, ĂĽbernommen.
Ornck von P. Neusser in Bonn.
lieber iu ferllltiiss der legiseben nr utbeutisek-
latinrisseiselafUiekei Reflexieii.
Eine Vorlesung.
Wenn heute philosophische Vorträge einen Wirkungs-
kreis an einer Anstalt finden können^ deren Ziel die wissen-
schaftliche Erziehung zu einem technischen Berufe bildet, so
ist das ein nicht unbedeutsames Zeichen der Zeitrichtung.
Man kann sich in der That der Einsicht nicht mehr ver-
schliessen, dass die GemĂĽther sich mit auffallender Theilnahme
dem philosophischen Denken von neuem zugewandt haben.
An den Universitäten mehren sich die philosophischen Lehrer
und Hörer. Die Literatur entfaltet nicht nur auf ihrem
eigensten ' deutschen Boden ungewohnte Fruchtbarkeit, son-
dern auch in England und bei den romanischen Nationen ist
sie zu frischem Leben erwacht. Zur Erklärung lässt sich
nicht anfĂĽhren, dass ein neues System oder auch nur ein
geniales BruchstĂĽck eines solchen sich allgemeineren Anhang
erobert hätte. Noch haben wir keine philosophische Epoche
geschaffen. Wohin wir blicken, finden wir einen eklektischen
Anschluss an die alten Schulen, nur dass die zeitgenössischen
Epigonen vor ihren Vorgängern den Vorzug haben, die
Meister mit erweitertem wissenschaftlichen Bewusstsein zu
begreifen.
Ebenso müssen wir auf eine zweite Erklärung verzichten,
die wir am liebsten fĂĽr wahr halten wĂĽrden. Es kann auch
nicht das allgemeinere Durchdringen der Erkenntniss sein,
dass die höchste Geistesbildung dem bloss empirischen Fleisse,
der nur specialistischen Vollkommenheit unzugänglich sei, -
dass die Einzelwissenschaft über das beschränkte Gebiet der
PhUoaoph. Honatsbttfte 1881. VI. 21
322 Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion
eigenen Arbeit nach allen Richtungen hinausblicken mĂĽsse.
Wir werden uns vielmehr gestehen, dass das Ideal der Uni-
versalität in der Leitung moderner Gedanken eine verschwin-
dende Rolle spielt. Schärfer als je prägt sich die Theilung
der Arbeit^aus, weniger als je ist der Lernende geneigt, die
Arbeitslast, welche eine literarische Massenproduction ihm
auflegt, durch Interessen an fremden Fächern zu vermehren.
Was von sogenannten humanistischen Studien geblieben ist,
enthüllt sich bei näherer Betrachtung in betrübend vielen
Fällen als blosser Berufseifer, nur dass der Beruf eben zu-
fallig ein wissenschaftlicher ist. Nun wäre es freilich sehr
unrecht, diese Sammlung der vollen Kraft in* einem kleinen
Kreise gering zu schätzen; denn auch sie entspringt ja einer
Idee, dem Streben nach möglichster Vollkommenheit des
Schaflfens. Allein um so entschiedener darf betont werden,
dass dieses Streben in seiner modernen Einseitigkeit die wirk-
lich humane, d. h. alle Gemüthskräfte des Menschen berück-
sichtigende Bildung erschwert.
Man wirft vielleicht ein, dass doch der gegenwärtige
Unterricht mit seinem reichen Programm, seinen todten und
lebenden Sprachen, alten und neuen Literaturen, seiner
W^eltgeschichte, seiner Mathematik und Naturwissenschaft,
dass doch dieser allseitige Unterricht den Blick auf das Ganze
lenken müsse. Wie wenig aber die öflFentliche Meinung von
den Durchnittsleistungeu dieses Progranmis befriedigt ist, das
beweist der immer lauter werdende Ruf nach Gymnasial-
reform. Die Philosophie vollends muss erklären, dass sie
auf das mĂĽde und kurzsichtige Auge, dem das Ganze ver-
schwommen, reiz- und farblos erscheint, geringe Hoflnungen
setzt. Nicht durch den Reichthum des Wissens wird sie
gefördert, sondern durch die Liebe zum Begreifen, durch die
Freude am Zusammenhang des Wissens. Wie aber soll sicli
diese Freude in dem heranreifenden Geiste erzeugen^ wenn
man ihn unaufhörlich zu neuem Sanmieln drängt und ihm
die Müsse nicht gönnt, sich in den Schätzen seines Gedächt-
nisses zurechtzufinden. Dann erst wird die allgemeine Er-
ziehung eine Erziehung zur Philosophie werden, wann es einer
gesunden Pädagogik gelingen wird, das Schultreibhaus in einen
Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-natarw. Reflexion. 323
Garten zu verwandeln, in welchem unter natĂĽrlichen Bedin-
gungen natĂĽrliche FrĂĽchte gedeihen.
Demnach wäre die auflebende Philosophie in Selbsttäu-^
schung befangen, falls« sie sich von einer wahrhaft humanisti-
schen Strömung getragen glaubte. Eine solche Strömung
eignet nicht einem Zeitalter, das den Kampf ums Dasein zur
regulativen Maxime seines Handelns zu erheben bestrebt ist.
Hier wird das Wissen um der Macht willen geschätzt und
Philosophie von dem praktischen BedĂĽrfnisse begehrt. Dieses
letztere ist, wie ich glaube, die Kraft, welcher sie jenen äus-
seren Aufschwung verdankt. Die Fortschritte der modernen
Erfahrung baten den empirischen Fleiss zu Fragen zurĂĽck-
gefĂĽhrt, welche philosophisch behandelt werden mĂĽssen und
welche nicht mehr ignorirt werden können, ohne dass der
Werth jener Fortschritte selbst beeinträchtigt schiene. Man
fordert eine Philosophie, weil man ihre Anwendung braucht.
hl der That kann man nun auf den verschiedensten Ge-
bieten beobachten, wie der Ruf nach philosophischer Vertie-
fung allgemeineres Gehör fand, sobald ihn nicht die Philoso-
phie, sondern die betreffende Einzelwissenschaft ertönen Hess.
So hat das reine Interesse der Psychologie lange Jahre hin-
durch nur einen verhältnissmässig kleinen Kreis von Freunden
zugeführt; dieses Interesse war z. B. nicht mächtig genug,
ihr etwa eine systematische Stelle im Plane der Erziehung
zu verschaffen. Seit aber die Nervenphysiologie und die Psy-
chiatrie eine Klärung psychologischer Begriffe entschiedener
verlangen, ist die literarische Theilnahme ungemein gestiegen.
Da man ferner jetzt anerkennt, dass ohne ein tĂĽchtiges Stu-
dium der Psychologie Pädagogik weder gelehrt noch gelernt
werden kann, da Gesetzgeber, Geistliche, Richter einsehen,
dass die Vertrautheit mit psychologischen Grundsätzen sie
in ihren eigenen Aufgaben fördern kann, so hat die Seelen-
kunde an den Schulen euie gĂĽnstigere Aufnahme gefunden.
— Für die Ethik, die als langweilig bezeichnet und als un-
bequem empfunden wurde, hat sich die Masse der Gebildeten
nie sonderlich begeistert, so lange die Theologie den morali-
schen Haus- und Schuldienst regelmässig versah. Als aber
die religiösen Zweifel ins Volk sich senkten, die pädagogische
324 Stadler: üeber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion.
Macht der bewährten Katechismen gebrochen schien, als der
confessionslose Staat vor d6n betroffenen Geistern auftauchte
und die Zeiten unruhig wurden, da begann man zu fĂĽrchten,
es 'möchte mit dem Bekenntniss auch die Sitte und der
Friede aus dem Staate verschwinden, und man sah sich
um nach der Philosophie, wo sie sei, um mit einer guten
sittlichen Weltanschauung die Ordnung der Gesellschaft zu
retten.
Und nicht anders ist es im Grunde der Logik ergangen,
auf welche ich Ihre Aufmerksamkeit ausschliesslich richten
möchte. Zwar ist auch sie von der modernen^ Bildung stets
mit äusserer Achtung behandelt, im Stillen aber vorwiegend
als eine scholastische Liebhaberei betrachtet worden, deren
der gesunde Menschenverstand fäglich entrathen könne. Erst
als das BedĂĽrfniss nach' einer Kritik unserer Begriffe in eben
den Kreisen wieder erwachte, die eine Zeit lang alles Meta-
physische am schärfsten verpönt hatten, wurde die Lehre
vom Denken und Erkennen wieder einer allgemeineren Be-
achtung werth gefunden.
Dieses logische BedĂĽrfniss machte sich auf den verschie-
densten Punkten geltend. Die moderne Chemie hatte ihren
Atombegriff, die Physik ihre Vorstellung von Kraft und Stoff
zu revidiren. Der gleichzeitige Fortschritt der theoretischen
und der Experimentalphysik führte nothwendig zu Erörterun-
gen ĂĽber die gĂĽltige VerknĂĽpfung inductiver und deductiver
Methode. W^ährend die Physiologie sich auf einen gereinigten
Begriff des Organismus besann, erzeugte der Aufschwung der
Entwicklungsgeschichte unendliche Reflexionen ĂĽber die Be-
deutung der Naturzweckmässigkeit, und die Erklärer Dar-
wm's, welche nicht selten in dogmatisirender Weise die Vor-
sicht ihres grossen Meisters vergassen, stritten sich ĂĽber die
Grenzen, innerhalb derer Hypothesen noch wissenschaftlich
genannt werden dĂĽrfen.. Die Ergebnisse der Statistik forder-
ten die Discussion des Begriffs der V^illensfreiheit, gesetz-
geberische Aufgaben drängten zu klareren Definitionen der
Zurechnungsfahigkeit und der Strafe, und Alle, denen sociale
Fragen am Herzen lagen, suchten nach Aufklärung über den
Begriff vom Staate.
Stadler: Ueber das VerhäJtniss d. log. z. inatheni.-naturw. Reflexion. 325
Diese Probleme haben denn auch die Einzelwissenschaf-
len allmälig zu der Einsicht geführt, dass die Begriffe, in
welche sie ihren Stoff sammeln, die logischen Formen, in
denen sie ihre Wahrheiten denken, Werkzeuge sind, deren
Eigenschaften, deren Anwendbarkeit und deren Fehlerquellen
man eben so gut kennen muss als die des Mikroskops, des
Chronometers und der Wage.
Und so ist denn auch das Verhältniss von Naturwissen-
schaft und Philosophie in zahlreichen Schriften erörtert und
die Versöhnung beider Mächte oft genug verkündet worden.
Schwieriger ist es nun, thatsächliche Ergebnisse zu nennen,
welche einen ernstlichen Zusammenschluss bezeugen wĂĽrden.
Zwar zeigt die Literatur ein entschiedenes beiderseitiges Ent-
gegenkommen, und man braucht unter den neueren Autoren
nur auf Albert Lange und J. Stuart Mill, auf ihren Stand-
punkt und auf ihre Wirkung hinzuweisen, um dieses Ent-
gegenkommen zu bezeugen.
Niemand verkannte, wie ungemein reich das Hauptwerk
des Ersteren an logischen Anregungen für eine verständniss-
suchende Naturforschung sei. Aber der Umstand, dass es
die systematischen Ansichten in den Gang der geschicht-
lichen Kritik einflocht, liess es nicht zu einem eigentlichen
Lehrbuch werden. — Mill dagegen hatte sich die Aufgabe
gesetzt, „die besten Ideen, welche von philosophischen Schrift-
stellern veröffentlicht wurden oder zu denen sich strengere
Denker bei ihren wissenschaftlichen Untersuchungen bekann-
ten, ... zu einem Ganzen zu verweben und zu einem System
zu vereinigen.^' Seine Logik erschien fasslich und von Schul-
staub frei, und wusste den Mangel an Schärfe und an Tiefe
unter anziehenden Einzelheiten zu verbergen. So ist sie denn
auch von Naturforsphem vielfach zu Rathe gezogen worden.
Man hat gern auf Liebig's bekannten Ausspruch ĂĽber Mill
hingewiesen. Als Jener von seinem Versuche sprach, das
gegenseitige Verhältniss dbr Chemie und Physik zur Physio-
logie und Pathologie näher zu erörtern, äusserte er, es komme
ihm, Liebig, kein anderes Verdienst' hierbei zu, als dass er
einzefaie von diesem eminenten Philosophen aufgestellte Grund-^
Sätze weiter ausgeführt und auf einige spezielle Vorgänge
326 Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. matheiD.-naturw. Reflexion.
angewandt habe. Bei alledem ist die Wirkung des Buches,
selbst in seinem Heimathlande, nicht so weit gegangen, um
der pädagogischen Frage einer Verbindung logischer und na-
turwissenschaftlicher Studien praktische Bedeutung zu geben.
In neuerer 2feit noch hat der Senat der Londoner Universität
die Logik fĂĽr das naturwissenschaftliche Examen als nicht
obligatorisch erklärt.
Mit Recht hat man ferner als bedeutsam hervorgehoben,
dass hervorragende Naturforscher nachdrficklich auf Kant
hinwiesen. Der BegrĂĽnder des kritischen Idealismus hat bei
den Naturforschern stets ein gewisses Ansehen behauptet. War
er doch mathematisch geschult und hatte er doch eine Natur-
geschichte des Himmels geschrieben, die seinen Namen mit
dem von Laplace verknüpft. So hat HehnhoHz geäussert:
„dass der jugendliche Kant seiner Neigung und seinen An-
lagen nach vorzugsweise Naturforscher war und vielleicht nur
durch die Macht der äussern Verhältnisse, durch den Mangel
der für selbstständige naturwissenschaftliche Arbeit nöthigen
HĂĽlfsmittel und durch die Sinnesweise seiner Zeit an der
Philosophie festgehalten wurde. . . .*' Wenn nun auch aus
diesen Worten fast ein Bedauern herauszutönen scheint, dass
Kant einer bessern Sache verloren gegangen, so ist es doch
dieser Glaube an den naturwissenschaftlichen Genius Kant's,
welcher die Naturforscher immer wieder mit Zutrauen in seine
Philosophie erfĂĽllt hat, und ich halte die Zeit nicht fĂĽr fern,
in der man es allgemein als eine wohlthätige Fügung der
Geschichte des Denkens preisen wird, dass ein im logischen
und mathematischen Begreifen gleich grosser Geist zur kriti-
schen Analyse unseres Bewusstseins gefĂĽhrt worden ist. Bis-
her lässt sich freilich von deip Kant -Studium der Natur-
forscher kein allzu grosser Ertrag verzeichnen. Wenn man
ihm auch zugestehen darf, dass es die Ueberschätzung des
einseitigen Empirismus gemindert und das Bewusstsein von
der Begrenztheit unseres Erkennens 'gesteigert hat, dass femer
einzelne Conceptionen wTe Zeit, Raum und namentlich Cau-
salität durch dasselbe geläutert worden sind, so wird doch
Niemand behaupten, dass es in diesen Kreisen auch nur eine
anerkannte Grundlage für weitere Erörterungen geschaffen habe.
Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion. 327
Das Nämliche gilt nun auch von den selbstständigen Er-
zeugnissen, welche hervorragende Naturforscher der Logik
gewidmet haben. Die Denker der exacten Wissenschaft ver-
suchen heute wohl, was sie von Philosophie nicht missen
können, sich selbst zu bereiten. Begreiflieherweise werden
Viele durch die schwer zugänglichen Schätze der vorhandenen
Weltweisheit nicht angezogen und hoffen schneller zum Ziele
zu gelai^en, wenn sie die nöthigen Definitionen, Axiome und
methodologischen Grundsätze aus ihrer eigenen Erfahrung
heraus darstellen. Solchen Arbeiten hat denn auch die Phi-
losophie schöne Winke und treffliche Fragestellungen zu dan-
ken. Aber nicht mehr. Einer Uebereinstimmung haben sie
uns nicht näher geführt. Wenn man den Gefahren der trü-
gerischen Metaphysik dadurch zu entrinnen glaubte, dass man
die Metaphysik ignorirte, so hat jedenfalls der Erfolg diese
Zuversicht enttäuscht. Wer den Boden des Thatsächlichen
verlässt, wird eben Metaphysiker, sei er nun vorher Physio-
l(^e oder Logiker gewesen. In der That ist auch zwischen
philosophirenden Naturforschem meist unmittelbar derselbe
Kampf entbrannt, der in den alten Schulen ertönte, und ich
kann nicht finden, dass der Streit im Reiche der Wissenden
schöner und fruchtbarer geführt wird, als in dem der Träu-
menden. Aber neben der Entzweiung hat die verkleidete
Metaphysik auch ihre zweite, nicht bessere Frucht zur Reife
bringen können: den Mysticismus. Es ist ungemein interes-
sant zu beobachten, wie mitten auf dem Felde der strengen
Wissenschaft eine Begriffsdichtung erblĂĽhen kann, deren sich
ein GnosUker nicht zu schämen brauchte. Diese Erscheinung
hat dann aber die selbstverständliche Rückwirkung, dass ein
Theil der Forscher sich vorsichtiger als je den AnsprĂĽchen
der Speculation verschliesst, dass somit die Kluft zwischen
beiden Geistesrichtungen von Neuem vergrössert wird.
Wo man auch dem vielfach gerĂĽhmten Zusammenschluss
von Philosophie und Naturwissenschaft nachgeht, man findet,
dass er zwar als BedĂĽrfniss anerkannt, aber ĂĽberall nicht
ernsthaft verwirklicht ist. Wenn es ein logisches Gemeingut
gibt, so hat es sich die Forschung noch nicht angeeignet.
Nicht einmal in einigen wesentlichen Punkten, wie etwa ĂĽber
328 Stadler : Ueber das Verhftltniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion.
den Wertb des Syllogismus, der Elassification, aber die Be-
deutung der Induction, ĂĽber bibalt und Tragweite des Cau-
salgesetzes wĂĽrde sich eine Uebereinstimmung behaupten lassen.
Um so nothwendiger ist es, ĂĽber die Hemmnisse nach-
zudenken, welche das Zusammenwirken der beiden Reflexions-
arten verzögern.
Dass die Philosophie die Pflicht hat, jenen empirischen
Aufgaben gerecht zu werden, daran ist kein Zweifel. Wenn
ihr auch, als Wissenschaft, der Ausbau der reinen Theorie
Selbstzweck bildet, so soll sie doch als Glied des wissen-
schaftlichen Arbeitsorganismus mit den anderen Gliedern jeder-
zeit FĂĽhlung bewahren. Und je mehr sie das thut, um so
vermögender wh'd sie auch sein, für ihren Endzweck auf das
Bewusstsein einer Zeit zu wirken.
Ebenso sicher ist, dass sie heute diese Pflicht erkannt
hat. Zwar wandeln auf logischer Seite noch Manche unent-
wegt die alten Bahnen, die man classisch nennt und deren
hohe Seitenwände so oft die Aussicht hindern. Allein die
grosse Mehrzahl der Vertreter der Geisteswissenschaften ist
redlich bestrebt, sich mit den Ergebnissen der exakten For-
schung vertraut zu machen, und dieses Streben ist in man-
chen Fällen zu einer erstaunlichen Belesenheit gediehen. Wenn
nun dieser Fleiss den gewĂĽnschten Erfolg bislang nicht ge-
habt hat, so liegt dies daran, dass man ĂĽber das Ziel nicht
einig war, welches man bei diesen Studien eigentlich zu
verfolgen habe, oder genauer, darĂĽber nicht einig war,
worin denn nun bei diesen Studien die philosophische Me-
thode bestehe. Alle sind bereit, die wissenschaftliche Philo-
sophie zu vertreten, aber nur Wenige vertreten dabei das
Gleiche. Die Emen durchstöbern die Schätze der Erfahrung,
um einem abgelebten System neue Nahrung zu suchen; An-
dere, um aus den entdeckten Spähnen ein neues, ein empi-
risches System zu bauen. Dann wieder wird Philosophie in
Naturwissenschaft gänzlich aufgelöst, indem man das Anhäu-
fen der Thatsachen Empirie, Philosophie aber ihre Verbin-
dung und Verarbeitimg nennt. Einer solchen Ansicht gilt
der Forscher als Zoolog, wenn er auszieht, um Käfer oder
Quallen 'zu sammeln, als Philosoph, wenn er ĂĽber die Ab-
Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. matbem.-naturw. Reflexion. 329
stammung der Qualle sinnt oder den Käfer als Gliederfüssler
bezeichnet. Noch Andere glauben zu philosophiren, wenn
sie die mannigfachen Ergebi^sse der Specialforschung in einen
Rahmen fassen und zu einer kĂĽnstlerisch anmuthenden Na-
turansicht gestalten. Aber zu Wenige sind sich bewusst, dass
theoretische Philosophie entweder ein entbehrlicher Begriff
geworden ist, oder dass ihr eine eigenartige Methode zu-
koinmt, dass diese Methode und keine andere beim Anschluss
an die Naturwissenschaften zur Anwendung kommen muss,
und dass sie nur dario bestehen kann, in den Grundsätzen der
Einzelwissenschaften die Form, d. h. die Bewusstseins-
functiön zu erkennen und diese Form nach ihrem V er hält-
niss zur Möglichkeit einer einheitlichen, i^rfahrung
zu beurtheilen. Dann erst, wann die Philosophie selbst sich das
bestimmte Wesen ihrer Methode zu klarem und deutlichem
Bewusstsein gebracht hat, und sie sich auf die Arbeit* be-
schränkt, welche der Sondematur des philosophischen Ver-
fahrens gemäss ist, dann erst wird sie den Naturwissen-
schaften ächte Förderung gewähren. Dann aber muss sie
ihrerseits verlangen, dass man ihr für solche Förderung die
richtige Gelegenheit biete, welche sie sich nicht ohne Weiteres
selbst in der literarischen Einwirkung schaffen kann. Sie
ĂĽberliefert keine fertigen Resultate, schreibt keine HandbĂĽcher
fĂĽr Uneingeweihte, damit man sie im Falle des BedĂĽrfnisses
nachschlage. Was sie geben muss, um zu helfen, ist ihre
Methode, die Eigenart ihrer Reflexion. Diese aber erwirbt
sich nicht in einigen Mussestunden, sondern nur in ernster
Arbeit, in systematischer Erziehung des Denkens. Fordert
man von der Philosophie Einfluss auf dais Leben, so muss
die Philosophie Einfluss auf die Schule fordern.
Eine analoge principielle Unsicherheit hat die philosophi-
schen Bestrebungen auf naturwissenschaftlicher Seite beein-
trächtigt. Wenn die Philosophen selbst die Eigenart ihrer
Methode nicht einmĂĽthig behaupteten, so war es nicht zu
verwundern, dass die Naturforscher sie nicht zugestanden.
In der That unterschätzen sie ziemlich allgemein die speci-
fische Schwierigkeit logischer Studien, und die Ansicht ist
verbreitet, dass diejenigen, welche ihre Denkkraft an einem
330 Stadler: Ueber das Verhältuiss d. log. z. mathem.-nAtttrw. Reflexion.
bestimmten Stoffe ĂĽben und mit so bewunderungswĂĽrdigem
Scharfsinn die logischen Gesetze zur Anwendung bringen,
auch unmittelbar zur Analyse des Denkprocesses ĂĽberhaupt
befähigt seien. Gewiss sind sie es in hohem Grade; nur an
die behauptete Unmittelbarkeit heftet sich das Bedenken.
Man sage nicht, mit unrichtiger Analogie, dass treffliche
KĂĽnstler oft schlechte Aesthetiker seien, und dass der gute
BĂĽrger, der den Gesetzen gehorcht, darum noch nicht ein
weiser Gesetzgeber zu sein brauche. Der Forscher sdiaffl
sein Werk, gehorcht seinen Gesetzen nicht nach blossem Ge-
fĂĽhl, sondern mit begrifflichem Bewusstsein, Er gibt sich
von seiner Ueberzeugung logische Rechenschaft, motivirt sein
Urtheil du^ch den objectiven Thatbestand, verallgemeinert es,
indem er es mit ähnlichen Erfahrungen vergleicht und be-
grĂĽndet es durch deductive Verbindung mit frĂĽheren Induc-
tionen. Es braucht nun em geringes Maass von Abstraction,
um diese Zusammenhänge von ihrem Inhalte zu sondern und
als allgemeine logische Formen darzustellen. Nicht darin
liegt die Schwierigkeit. Allein die Rechtfertigung, des Glau-
bens an mathematische und naturwissenschaftliche Wahr-
heiten bildet eine regressive Reihe und fĂĽhrt zu immer all-
gemeineren Gesetzen, bis sie in Grundsätzen endigt^ für die
wir uns auf keine Erfahrung mehr berufen können. Warum
glauben wir an diese Grundsätze? Wo ist die Realität, deren
Beobachtung uns ermächtigt, diese allgemeinsten Begriffe zu
verknüpfen? Wie sind synthetische Urtheile a priori mög-
lich? Ohne Antwort auf diese Frage bleibt unser Denken
bei aller empirischen Bereicherung unbefriedigt. Die Frage
selbst drĂĽckt schon aus, dass hier die empirische Reflexion
uns im Stiche lasse, dass alle Gewandtheit in letzterer uns
nicht fördern könne. An diesem Punkte niuss sich die Be-
ti'achtung wenden und jede Antwort kann nur aus der hö-
heren Frage fliessen, was das Erkennen sei. Will die Ein-
zelwissenschaft sich hier zur Philosophie vollenden, so thut
ihr vor Allem die Einsicht Noth, dass eine neue Methode hier
die Leitung ĂĽbernehmen mĂĽsse, und dass die neue Methode
neue Uebung erfordere.
Damit seien die Ursachen allgemein angedeutet, welche
Stadler: Ueber das Verhftltniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion. 331
das Zusammentreflfen der beiden Reflexionsarten verzögern.
Gestatten Sie mir nun, diese Schwierigkeiten an einem Bei-
spiel zu veranschaulichen. Ich wähle dazu die neulich wieder
angeregte Erörterung über die geometrischen Axiome.
Axiome nennt die Geometrie bekanntlich jene unmittelbar
evidenten Sätze, auf welchen ihre Entwicklungen in letzter
Linie beruhen. Der Mathematiker stellt solcher Thesen nicht
mehr auf, als unumgänglich nothwendig sind; er prüft jede
einzehie, ob sie nicht etwa eine blosse Definition, sondern
wirklich auch die Erkenntniss einer Thatsache sei, und ob
femer diese Thatsache nicht vielleicht aus frĂĽheren Einsichten
abgeleitet werden könne. Indem er eine solche Kritik an-
stellt, ĂĽbt er angewandte mathematische Logik.
Sobald er nun aber beginnt, ĂĽber das Wesen dieser fun-
damentalen Thatsachen allgemein nachzudenken, und sich zu
fragen, woher er denn eigentlich die in den Axiomen ent-
haltenen Wahrheiten geschöpft, ob er sie unmittelbar in seinem
Innern gefunden, oder aus der äussern Erfahrung abgelesen
hab^, so hat er auch sein eigenes Gebiet verlassen und das
der erkenntnisstheoretischen Reflexion betreten. An diese
Reflexion aber hat sich von jeher ein bedeutendes Interesse
geheftet. Da die Geometrie ihre Entwicklungen ganz unab-
hängig von Erfahrungsthatsachen auszuführen scheint, so tritt
die Frage auf, ob denn diese so vollkommene Wissenschaft
auch wirklich Gesetze der Aussenwelt enthalte, oder nur Ge-
setze des Verhältnisses unserer Vorstellungen, mit einem Worte,
ob Geometrie eine Naturwissenschaft sei 'oder nicht. Die
Antwort auf diese Frage wird je nach der Auffassung der
Axiome verschieden ausfallen.
Man hat ĂĽber dieses Problem besonders gern bei Kant
Aufschluss gesucht. Dieser Denker hatte von der Philosophie
verlangt, dass sie die Möglichkeit jeder Wissenschaft, selbst
die der Mathematik erkläre. Er hatte die Ansicht aufgestellt,
dass aller Erfahrung, aller Erkenntniss von Naturobjecten die
Raomanschauung nothwendig zu Grunde liege. Die geometri-
schen Axiome seien Sätze über Eigenschaften dieses funda-
mentalen Verhältnisses und als solche allgemein gültig. Dass
der Raum z. B. nur drei Dimensionen habe, könne durch
332 Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naiurw. Reflexion.
keine Erfahrung widerlegt werden, weil der Raum mit seinen
bloss ^ drei Dimensionen Bedingung aller Erfahrung sei. Die
Sätze der Geometrie seien also nicht etwa Bestimmungen
eines blossen Geschöpfs unserer dichtenden Phantasie, son-
dern gelten allgemein vom Raum und darum auch noth wen-
dig von Allem, was im Räume angetroffen werde.
Dieser Ansicht haben die Speculationen der modernen
Mathematik neue Bedenken entgegengebracht. Da das Problem
von grosser erkennlnisstheoretischer Tragweite ist, so ver-
spricht es einer der fruchtbarsten BerĂĽhrungspunkte logischer
und mathematischer Gedankenordnung zu werden, falls die
Controverse auf klarer Grundlage gefĂĽhrt wird. '
Es ist von Mathematikern gezeigt worden, dass die ana-
lytische Geometrie sich consequent entwickeln lässt für Raum-
begriflfe, welche von dem Begriff des Euklidischen also audi
Kantischen Raumes beträchtlich verschieden sind. In dem
sogenannten sphärischen Raum z. B. würden geradeste Linien
in sich zurücklaufen; zwischen zwei Punkten wären unter
Umständen unendlich viele kürzeste Verbindungen g^6ben,
parallele gerade Linien wären keine zu ziehen, und der Ge-
sammtraum mĂĽsste als endlich vorgestellt werden. In einem
sogenannten pseudosphärischen Raum dagegen würden die
geradesten Linien ins Unendliche verlaufen, aber in jeder
ebensten Fläche könnte durch jeden Punkt ein Bündel von
geradesten Linien gelegt werden, welche eine gegebene andere
geradeste Linie jener Fläche nicht schneiden.
Wenn nun solche Räume erfunden, wenn sogar die Ge-
setze der Dynamik in ihnen zur Darstellung gebracht werden
können, so fragt sich, wie es sich dann mit der von Kant
behaupteten Nothwendigkeit seines erkenntnisstheoretischen
Raumes verhalte.
In einem ungemein lichtvollen Vortrage hat Helmholtz
diese Verhältnisse erörtert und dabei auch auf Kantische Ge-
danken Bezug genommen. Helmholtz wirft die Frage auf,
„wo diese besondern Bestimmungen herkonmaen, welche
unsern Raum als ebenen Raum charakterisiren." Fliessen
sie vielleicht als „Denknothwendigkeiten^^ aus dem allgemeinen
Begriff des Raumes? Indem er das Problem so formulirt
Stadler: Ueber das VerhiĂĽtniss d. ]og. z. mathem.-naturw. Reflexion. 333
und diese Frage verneint, steht seine Methode auf dem Boden
der Vemunftkritik. Kant hat nachdrucklich eingeschärft, es
sei nie aus blossen Begriffen zu erschliessen, dass Linien ins
unendliche verlaufen, oder dass sich in einem Punkte nicht ^
mehr als drei Linien rechtwinklig schneiden können.
Nun bezeichnet Helmholtz als „entgegengesetzte Annahme*
die Frage, ob jene Bestimmungen „empirischen Ursprungs*
seien, und damit tritt seine Reflexion auch bereits aus der
Richtung der Kantischen hinaus. Wenn dem Naturforscher
der Gegensatz begrifflich und empirisch im Allgemeinen hin-
reicht, so- muss der Logiker genauer dem Denken eine zweite
Art der Bewusstseinsthätigkeit entgegensetzen ; er unterscheidet
daher B^friff und Anschauung. Dann erst prĂĽft er beide
Functionen darauf hin, ob sie durchgängig nach der Erfah-
rung sich richten, oder ob sie vielleicht auch constante, vom
empirischen Wechsel unabhängige Factoren enthalten. Wenn
nun mathematische Lehren in ihrem Verhältniss zu Kant be-
trachtet werden sollen, so ist es methodisch vor Allem nöthig,
den letztem Gedankengang mitzudenken und zu ihm Stellung
zu nehmen.
Eine weitere Schwierigkeit wird uns unmittelbar veran-
schaulicht. Helmholtz sagt femer, wenn aber Räume anderer
Art nach beobachtbaren Erfahrungsthatsachen vorstellbar
seien, „so wäre damit auch widerlegt, dass die Axiome der
Geometrie nothwendige Folgen einer a priori gegebenen trans-
scendentalen Form unserer Anschauungen im Kant'schen Sinne
seien." In diesem Satze sind vier Termini gebraucht, die zu
den wichtigsten der Kantischen Philosophie gehören. Die
Ausdrücke „Form", „a priori", „transscendental", „nothwen-
dig** bezeichnen Grundbegriffe des kritischen Systems. Doch
leider lässt sich nicht behaupten, dass über den Sinn, in denfi
Kant sie gebraucht hat, unter den Philosophen ĂĽeberein-
stimmung herrsche, und wenn sie ohne nähere Erklärung
gebraucht werden, so können sie sehr abweichende Vorstel-
langen erwecken.
Vor Allem ist es wichtig, die Bedeutung recht scharf zu
fassen, m welcher Kant den Raum eine nothwendige Vorstel-
lung genannt hat. Er verstand darunter, dass wir uns von
334 Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion.
der Raumanschauung und ihren Grundeigenschaften unter
keinen Umständen frei machen können. Sie bezeichnet die
Grenze unserer Abstractionsfahigkeit einerseits, unserer schöpfe-
rischen Phantasie andererseits. Wir vermögen wohl, unsere
Aufmerksamkeit auf Ausdehnungen von weniger als Arei Di-
mensionen zu richten; allein auch diese erscheinen uns nur
als Grenzen des unveränderten gewöhnlichen Raumes. Von
einer vierten Dimension kann aber auch die geĂĽbteste mathe-
matische Einbildungskraft sich nicht die mindeste Anschauung
machen. Wenn also die Nothwendigkeit des Kantischen
Raumes dadurch angegriffen werden soll, dass man auf die
sinnliche Vorstellbarkeit anderer Räume hinweist, so rauss in
erster Linie gezeigt werden, dass die alte Raumanschauung
auch wirklich den neuen Vorstellungen nicht zu Grunde liegt.
Ich glaube nicht, dass dies Hehnholtz gelungen ist.
Wenn ich mir die sphärische Fläche oder die sattelför-
mige pseudosphärische vorstelle, so setze ich sie eben in
meinen gewöhnlichen Raiun. Ich kann mir nun wohl einen
Begriff von intelligenten Wesen zweier Dimensionen machen,
welche auf solchen Flächen wohnen und dort eine Geometrie
ausbilden wĂĽrden. Allein von der Raumanschauung, die
solche Wesen hätten, kann ich mir nicht ein wirkliches Bild
machen, weil es mir unmöglich ist, die dritte Dimension in
meinem Gesichtsfeld auszulöschen. Ich kann wohl die un-
endlich vielen grössten Kreise, welche sich auf euier Kugel
durch die zwei Endpunkte eines Durchmessers legen lassen,
kĂĽrzeste Linien nennen ; der Durchmesser selbst aber, welcher
das Axiom erfĂĽllt, verschwindet darum nicht aus meiner An-
schauung. Eine synthetische Geometrie kann das Axiom von
den Parallelen fallen lassen und sich trotzdem consequent
entwickeln. Aber das beweist nicht, dass sie sich von der
euklidischen Raumvorstellung frei gemacht habe. Das Axiom
charakterisirt unsern Raum als einen solchen, in welchem
eine Geometrie der Ebene möglich ist; damit steht nicht in
Widerspruch, dass auch eine pseudosphärische construirt wer-
den kann. Nicht anders steht es nun mit den Versuchen,
sich neue Räume von drei Dimensionen vorzustellen. Dabei
darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass Ergebnisse der
Stadler: Ueber das Verh<niss d. log. z.'mathem.-naturw. Reflexion. 335
bloss rechnenden Geometrie fĂĽr oder gegen die Allgemeinheit
unserer Anschauungen Nichts beweisen. Analytische Formeln
mĂĽssen immer erst geometrisch gedeutet, sinnlich vorgestellt
sein, bevor überhaupt ihr Verhältniss zu räumlichen Axiomen
betrachtet werden kann. Wenn z. B. eine gewisse analytisch
sich ergebende Rechnungsgrösse das Erümmungsmass des
Raumes genannt wird, so ist das letzte Kriterium ĂĽber den
geometrischen Werth dieses BegriflFes seine sinnliche Vorstell-
barkeit. Diese allein kann lehren, ob ein solcher Begriff mit
Axiomen in Uebereinstimmung oder in Widerstreit geräth;
denn die Axiome sind eben nicht Denk- sondern Anschauungs-
nothwendigkeiten.
Wenn ich mir nun den pseudosphärischen Raum im
Innern einer Kugel abgebildet denken kann, so darf ich
darum nicht sagen, dass ich ihn „der Anschauung zugäng-
lich" gemacht habe. Was ich in einem Kugelbilde sehe, sind
nichts als Verhältnisse des Euklidischen Raumes. Auch die
Möglichkeit, die Sinne zur Vorstellung des sphärischen Rau-
mes zu zwingen, ist blosser Schein. Das sphärische Welt-
bild, an dessen äusserstem Hintergrunde unser eigener Hinter-
kopf erscheinen wĂĽrde, ist keine fremde Raumanschauung.
Was es Abweichendes zeigt, sind nur die optischen Gesetze,
nach welchen die Gesichtswahrnehmung zu Stande kommt.
Dies führt uns nun zu dem gewöhnlichen Ursprung der
Divergenz logischer und mathematischer Ansichten. Der Um-
stand, dass man sich vor der Controverse nicht ĂĽber die
Grundbegriffe einigt, hat zur Folge, dass beide Parteien meist
nicht denselben Gegenstand im Auge haben. Die philosophi-
schen Turniere erinnern nur zu oft an den Streit ĂĽber den
Schild, dessen Vorderseite von Silber, dessen RĂĽckseite gol-
den war. Um zunächst das Object der Meinungsverschieden-
heit festzusteUen, mĂĽssen sich die Streitenden vor Allem ent-
schliessen, auch den entgegengesetzten Standpunkt zu betre-
ten, hl dieser Orientirung liegt aber eben die Hauptschwie-
rigkeit abstracter Erörterungen.
In der That pflegen nun die Naturforscher, auch wenn
sie sich mit der Kantischen Philosophie auseinandersetzen
wollen, eine Auffassung des Raumes zu Grunde zu legen,
336 Stadler: Ueber das Verhältniss d. Jog. z. mathem.-naturw. Reflexion.
welche sich mit derjenigen des kritischen Idealismus keines-
wegs deckt. Zwar sind sie frei von dem naiven Glauben des
sogenannten gesunden Menschenverstandes, dass die Aussen-
weit nothwendig auch an sich so sein mĂĽsse, wie sie uns
erscheint. Was vorher auch dem schärfsten philosophischen
Denken versagt blieb, das hat sich die Anschaulichkeit der
Naturforschung mit leichter MĂĽhe errungen, das allgemeine
Zugeständniss, dass das Bild einer objectiven Welt, welches
wir gewinnen, zum Mindesten ein mittelbares, durch den
Process des Vorstellens modificirtes ist. Die Physiologie der
Sinnesorgane hat uns deutlich gemacht, wie das Licht, der
Schall, die Wärme, wie die Empfindungen überhaupt nicht
Spiegelbilder gleicher äusserer Vorgänge, sondern vielmehr
subjective Veränderungen sind, denen ganz anders beschaf-
fene objective Veränderungen parallel gehen. Dem modernen
Naturforscher ist die Aussenwelt ein Aggregat bewegter Mo-
lekĂĽle, in welches erst unsere Sinne Ton und Farbe zaubern.
Er beobachtet Gesetze der Anziehung und Abstossung, nach
denen sich die räumlichen Verhältnisse seiner Materie ändern,
und auf die verschiedenen Arten dieses Wechsels sucht er
die Wahrnehmungen des empfindenden Subjectes zu beziehen.
Er unterscheidet also das wirkende Object im Räume und
die durch die Beschaffenheit des Subjectes bedingte Wirkung
oder Vorstellung.
Dieser Standpunkt genĂĽgt allen Zwecken der Physik und
Physiologie. Sobald aber die Betrachtung dazu ĂĽbergeht,
die GĂĽltigkeit unserer allgemeinsten ĂĽrtheile ĂĽber die Aus-
senwelt zu prĂĽfen, sobald sie also erkenntnisstheoretisch wird,
muss ein noch höherer Grad der Abstraction von der unmit-
telbaren Anschauung erreicht werden. Jetzt tritt die Frage
auf, ob denn jener Träger der 'Kräfte, die Kräfte selbst, der
Raum, in dem sie wurken, die Zeit, in der ihre Wirkung ab-
läuft, nicht auch blosse Vorstellungen seien? Die Bejahung
dieser Frage ist die grosse That der kritischen Philosophie.
Kant unterscheidet nicht eine Raumvorstellung in uns
und einen von unserem Bewusstsein unabhängigen Raum,
nach welchem erstere gebildet wäre. Er kennt nur Einen
Raum, den Raum als Vorstellung. Nach ihm ist der Raum
Stadler: lieber das Verhftltniss d. log. z. inathem.-naturw. Reflexion. 337
nichts Anderes, als die Art, in welcher unser Bewusstsein
seine Empfindungen zusammensetzt. Um irgend welche Em-
pfindungen als coexistirend vorzustellen, mĂĽssen wir sie in
jenes Verhältniss bringen, welches wir räumlich nennen. Nun
beruht alle Naturerkenntniss auf der bewussten Synthese un-
serer Empfindungen. Bevor wir daher zu einer Naturerkennt-
niss gelangen können, muss die Bedingung der Synthese ge-
geben, muss die Raumanschauung in uns entwickelt sein.
Man kann somit sagen, das räumliche Anschauen sei ein Ge-
setz, eine Form der Vorstellungsverbindung. Aus dieser Auf-
fassung folgt unmittelbar, dass die Raumanschauung von der
äusseren Erfahrung unabhängig ist. Wenn sie bei jeder ein-
zelnen Erfahrung im Bewusstsein schon vorhanden sein muss,
wenn letztere nur als Etwas erscheint, das in sie aufgenom-
men wird, so kann die einzelne Erfahrung auch nicht ĂĽber
Eigenschaften des Raumes neuen Aufschluss bringen. So
vollständig wii- auch die Welträume empirisch erforschen
mögen, wir dürfen nicht hoffen, über die Natur des Raumes
auch nur eine Entdeckung zu machen, auf welche nicht die
in unserem Innern gegebene Anschauung uns unmittelbar
hätte leiten können; denn alle die Räume, vor welche die
Naturbetrachtung uns führt, sind ja nur Theile, nähere Be-
stimmungen unserer allgemeinen Raumvorstellung.
Allein nun ist wohl zu beachten, dass Kant diese Allge-
meinheit eben durchaus nur unseren räumlichen Erkenntnis-
sen zuschreibt. Die Gesetzmässigkeit dessen, was im Räume
erscheint, der Materie und der Bewegung, kann nur aus der
äusseren Erfahrung festgestellt werden.
Wer diese beiden Punkte im Auge behält, der wird sich
auch ĂĽber die Kantische Auffassung der geometrischen Axiome
nicht mehr täuschen. Die Axiome sind Sätze über unsere
subjective Raumanschauung, deren fundamentale Eigenschaf-
ten sie beschreiben. Sie können nicht bewiesen werden, da
sie nicht aus allgemeineren Erkenntnissen abgeleitet smd. Sie
brauchen nicht bewiesen zu werden; denn einmal ausgesprochen,
erzwingen sie sich allgemeinen Glauben durch ihr blosses Erschei-
nen in der Anschauung. Es ist sinnlich unmöglich, sich zwischen
zwei Punkten mehrere gerade VerbindungsUnien vorzustellen.
Philoaoph. MonaUhefte 1881, VI. 22
338 Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion.
Allein trotz oder vielmehr wegen dieses Ursprungs aus
einer subjectiven Erfahrung kommt den Axiomen eine unbe-
schränkte objective Gültigkeit zu. Weil ich zur Kenntniss
von Gegenständen ja nur dadurch gelange, dass ich Empfin-
dungen in meine Raumanschauung zusammen ordne, gelten
die Axiome auch von Gegenständen. Es ist z. B. nicht etwa
nur unwahrscheinlich, sondern erkenntnisstheoretisch unmög-
lich, dass auf irgend einem Planeten zwei gerade Linien einen
Raum einschliessen; denn bei der Wahrnehmung des Planeten
und seiner Verhältnisse würde unser räumliches Vorstellen
functioniren, in welchem die Axiome unbedingte Herrschaft
ĂĽben.
Aber diese objective GĂĽltigkeit darf man nun nicht dahin
missverstehen, dass durch die Axiome die physikalische Mög-
lichkeit gewisser Raumgebilde oder die praktische DurchfĂĽhr-
barkeit geometrischer Messungen verbĂĽrgt werden solle. Die
Axiome, wie Kant sie fasst, urtheilen ausschliesslich ĂĽber
räumliche Verhältnisse. Ob es nach dem allgemeinen Cha-
rakter der Materie und der Bewegungsgesetze möglich sei,
dass irgendwo in der Natur ein Punkt und eine gerade Linie
existire, darĂĽber will kein Axiom entscheiden; das letztere
behauptet bloss, dass, wenn sie existiren, durch den Punkt
nur eine Parallele zu der Geraden gehen könne. Oder neh-
men wir das Axiom, dass, wenn zwei Grössen mit einer
dritten zur Deckung gebracht 'werden können, sie auch unter
einander congruiren. Wenn nun ein Kantianer diesem aus
der unmittelbaren Anschauung sich ergebenden Axiom Gel-
tung fĂĽr die Natur zuschreibt, so macht er dabei keinerlei
physikalische Voraussetzungen. Ob in der Aussen weit eine
solche Congruenz sich finde, beziehungsweise nachgewiesen
werden könne, lässt er gänzlich unentschieden. Es handelt
sich nur um die Behauptung, dass vorkommenden Falls die
Congruenz der Raumformen in der Natur unter den gleichen
Bedingungen steht, wie die der geometrischen Formen, und
zwar eben darum, weil der Raum, in dem sie erscheinen,
in beiden Fällen der nämliche ist. Das Bewusstsein derNoth-
wendigkeit, welches sich mit den Axiomen verbindet, beruht
also nicht auf der Hypothese, dass durch die Art der dyna-
IL.
Stadler: lieber das Verhftltniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion. 339
mischen Bedingungen das objective Dasein geometrischer Ver-
hältnisse ermöglicht werde. Das wäre freilich die Voraus-
nahme einer Erkenntniss, die aus der äusseren Erfahrung
gewonnen werden muss, und welche durch die äussere
Erfahrung widerlegt werden kann. Alle Verhältnisse, bei
denen nach einer Ursache gefragt wird,, können nur empi-
risch, a posteriori beurtheilt werden. Keine innere Besinnung
lehrt, ob die Form materieller Objecte im Allgemeinen fĂĽr
jedes Zeitdiflferential eine andere sei; wohl aber lehrt sie,
dass, welche Form immer ein Object zu einem gegebenen
Zeilpunkt besitze, für das Verhältniss dieser Form zu anderen
Formen das Axiom der Gongruenz gelte. Das Bewusstsein
der Nothwendigkeit entspringt aus der apriorischen Einsicht,
dass aus dem Wechsel der Empfindungen keine Formen her-
vorgehen können, welche den Principien der Anschauung
widerstreiten ; denn diese letzteren enthalten die Bedingungen,
unter denen es überhaupt allein möglich ist, aus dem Wech-
sel der Empfindungen Formen zu produciren.
Es ist hier nicht der Ort, die Kantische Ansicht einer
Kritik zu unterziehen. Meine Aufgabe ist nur die Veran-
schaulichung der Schwierigkeit, mathematische und logische
Reflexion auf denselben Punkt einzustellen. Um sie recht
scharf hervortreten zu lassen, möge eine weitere Stelle aus
der besprochenen Abhandlung angefĂĽhrt werden. Helmholtz
gelangt zu folgendem Ergebniss: „Es wird dies genügen, um
zu zeigen, wie man ^uf dem eingeschlagenen Wege aus den
bekannten Gesetzen unserer sinnlichen Wahrnehmungen die
Reihe der sinnlichen EindrĂĽcke herleiten kann, welche eine
sphärische oder pseudosphärische Welt uns geben würde,
wenn sie existirte. Auch dabei treffen wir nirgends auf eine
Unfolgerichtigkeit oder Unmöglichkeit; ebenso wenig, wie in
der rechnenden Behandlung der Maassverhältnisse. Wir kön-
nen uns den Anblick einer pseudosphärischen Welt ebenso
gut nach allen Richtungen hin ausmalen, wie wir ihren Be-
griff entwickeln können. Wir können deshalb auch nicht zu-
geben, dass die Axiome unserer Geometrie in der gegebenen
Form unseres Anschauungsvermögens begründet wären, oder
mit einer solchen irgendwie zusammenhingen.*'
340 Stadler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion.
Aus diesen Worten geht deutlich hervor, dass Helmholtz
fortwährend einen dualistischen Raumbegriff zu Grunde legt,
dass er der sinnlichen Anschauung einen unabhängigen phy-
sikalischen Raum gegenĂĽberstellt. Wollte er daher seine Stel-
lung zu Kant auseinandersetzen, so war es methodisch notb-
wendig, diese Raumauffassung zu begrĂĽnden, beziehungsweise
den kritischen Idealismus zu widerlegen. Von dieser Grund-
frage hängt alles Weitere ab. Da sie in jener Abhandlung
nicht berĂĽhrt wird, so ist begreiflich, dass die Polemik ĂĽber
einzelne Sätze unfruchtbar bleiben musste. Wenn man einen
absoluten Raum annimmt, so ist dann freilich selbstverständ-
lich, dass die Axiome nicht mit unserer Anschaqungsform zu-
sammenhängen, als solche keine reale Bedeutung haben kön-
nen. Allein diese Behauptungen treffen Kant so wenig, dass
er sie vielmehr mit allem Nachdruck selbst vertreten hätte. Es
ist dann eine ganz richtige Gonsequenz, den Axiomen einen
realen Inhalt zu sichern, indem man einen Satz ĂĽber das
mechanische Verhalten unserer festesten Körper bei Bewe-
gungen in sie aufnimmt. Allein es macht sich unmittelbar
wieder das Missverständniss erkenntnisstheoretischer Methode
geltend, wenn Helmholtz hinzufügt: „Man könnte freilich auch
den Begriff des festen geometrischen Raumgebildes als einen
transscendentalen Begriff auffassen, der unabhängig von wirk-
lichen Erfahrungen gebildet wäre . . ." Die 'Prädikate „trans-
scendental^^ und „a priori'^ können nicht willkürlich ausge-
theilt und zu beliebigen Definitionen verwerthet werden. Die
Anzahl der Elemente, welchen sie zukommen, ist in der
Kantischen Philosophie genau bestimmt und unveränderlich.
Schon die Grundeigenschaften der Materie, ihre Beweglichkeit,
ihre ĂĽndurchdringlichkeit, ihre Bewegungskraft werden als Be-
griffe bezeichnet, die lediglich aus der Erfahrung stammen,
und gerade ein strenger Kantianer wĂĽrde jedes Axiom als
empirisch erklären, das auch nur durch die aUgemeinste phy-
sikalische Annahme bereichert wäre.
Wer den Vortrag des Herrn Helmholtz in diesem Sinne
studirt, wird bedauern, dass es selbst einer so schönen Arbeit
nicht gelungen ist, die philosophische und naturwissenschaft-
liche Reflexion ihrem organischen, d. h. in der Natur unseres
j
f
Sudler: Ueber das Verhältniss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion. 341
Erkennens begründeten Zusammenwirken näher zu führen.
Es wäre unschwer, aus der Literatur weitere Beispiele eines
ähnlichen Ausgangs beizubringen ^).
Richten wir nun an die Philosophie die Frage, .wie das
betrachtete Verhältniss am gedeihlichsten geordnet werden
könne, so wird sie mit der bereits angedeuteten Forderung
antworten mĂĽssen, dass die elementare Erkenntnisstheorie
als nothwendiger Factor einer wissenschaftlichen Ausbildung
anerkannt werde. Dieser Forderung treten keinerlei päda-
gogische Bedenken entgegen. Es handelt sich hier nicht um
eine Belastung des Gedächtnisses, um eine weitere Vermeh-
rung der Vielwisserei. Der Inhalt logischer Studien ist klar,
naheliegend und leicht aufnehmbar. Vielmehr handelt es sich
um die Uebung einer Denkkraft, von welcher die sichere Be-
herrschung des Gedächtnissstoffes in hohem Grade abhängig
ist. Der geringe Zeitaufwand wird sich praktisch dadurch
lohnen, dass dem logisch geschulten Arbeiter Ueberlegungen
erleichtert werden und Zweifel erspart bleiben, an welehen
der einseitig^ Empiriker im Fortschritt seines Denkens Anstoss
nehmen muss.
hidem die Philosophie es nicht verschmäht, auf die Nütz-
lichkeit solcher Studien hinzuweisen, behält sie ihr eigenes
höheres Ziel um so schärfer im Auge. Sie ist sich bewusst,
dass eine solche Ergänzung des Bildungsgangs jener Einheit
der Wissenschaft zu Gute kommt, welche zu fördern sie von
jeher als ihre Aufgabe betrachtet hat. Der Forscher, welcher
sieh ĂĽber seine Methode Rechenschaft gibt und zu denPrin-
cipien aufsteigt, gelangt auf den neutralen Bezirk, in welchen
die einzelnen Wissensfacher alle einmĂĽnden. Hier wird die
ĂĽebersicht leichter, der Schritt von Wissenschaft zu Wissen-
schaft kleiner. Wir sehen, wie Eine Naturanschauung allem
menschlichen Forschen zu Grunde liegt ; wie das Einzelwissen
1) Die obigen AusfQhrungen richteten sich gegen die im 3. Hefte der
«Populären wissenschaftlichen Vortrfige* enthaltene Abhandlung: «Ueber
den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome.* Ich sehe
nicht, dass in Folge der Zusätze, welche .die Thatsachen in der Wahrneh-
mung, Rede etc. 1879* zu dieser Frage gebracht haben, irgend ein Punkt
in meiner Darstellung des Missverständnisses verändert zu werden brauchte.
342 Stadler: lieber das VerhältDiss d. log. z. mathem.-naturw. Reflexion.
eine Anwendung derselben allgemeinsten Begriffe, die beson-
dern Gesetze eine ErfĂĽllung der gleichen letzten Nothwendig-
keiten sind. Hier erscheinen uns die Classificationen des
Wissens nicht mehr als Trennungen in der Natur, sondern
als Theilungen unserer Arbeit, als eine Mannigfaltigkeit der
Gesichtspunkte, von denen aus wir die Natur betrachten.
Hier können wir uns über das Verhältniss dieser verschiede-
nen Gesichtspunkte orientiren und prĂĽfen, ob die historisch
gegebene Verzweigung der Wissenschaften mit der Eintheilung
zusammenfallt, welche sich aus dem Mechanismus unseres Er-
kennens als Postulat ergibt. Indem wir dann die berichtigten
Grenzlinien der Einzelwissenschaften aufheben und die sich
berĂĽhrenden Ergebnisse zu einem geordneten Gesammtbild
zusammentreten lassen, gewinnen wir dasjenige Verständniss
der Erfahrung, das man allein mit dem viel missbrauchten
Worte Naturphilosophie bezeichnen sollte.
Ihrer besonderen Gestaltung nach kann diese Einheit der
Wi^enschaft freilich nicht speculativ entworfen werden, sie
muss vielmehr durch ddh Fleiss der inductiven Forschung zÄ
empirischer Darstellung gelangen. Sie wird uns zu einem
Ideal, das wir im Fortschritt der Erfahrung verwirklichen
sollen. Und mit dieser Einsicht leitet uns die Erkenntniss-
theorie auf einen weitern Zusammenhang. Sie zeigt, wie im
Proccss des Erkennens aus dem Begriffe des Naturgesetzes
sich die Idee entwickelt und als gleichberechtigte psychische
Macht unser Bewusstsein bestimmt. Sie lehrt, dass die Idee,
den Functionen unseres Bewusstseins folgend, in dreifacher
Gestalt erscheint: als Idee der durchgängigen Begreiflichkeit
der Natur, als Idee ihrer Schönheit und als Idee ihres ethi-
schen Werthes. Sie schätzt die Erfahrungen dessen, was
ist, an diesen selbstgeschaffenen Musterbildern dessen, was
sein soll, und fĂĽhrt damit die Naturbetrachtung auf ihre
höchste Stufe. Mit dem gültigen Entwiu'f dieser universellen
Weltanschauung wĂĽrde die Philosophie ihre letzte Aufgabe
vollendet haben.
ZĂĽrich. Aug. Stadler.
Baamaim: Handbuch der Moral nebst Abriss der Rechtsphilosophie. 343
Handbuch der Moral nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Von Dr.
J, J. Baufnann, o. Prof. d. Philos. a. d. üniv. Göttingen.
Leipzig, S. Hirzel 1879. (IV., 445 S.) 8^
Die vorliegende, anregend geschriebene Arbeit versucht,
wie der Verf. selbst angibt, die beiden Richtungen zu ver-
einigen, von denen die eine die Moral als Entwicklungs-
geschichte des menschlichen, insbesondere des geistigen Le-
bens behandelt, die andere in ihr die Wissenschaft von dem
sieht, was sein soll. Das Mittel zu dieser Vereinigung ist
Baumanns Theorie vom Willen, auf welche wir sogleich
eingehen werden. Dadurch hofift er zugleich den Streit
zwischen den verschiedenen Moralprinzipien zu schlich-
ten, besonders den zwischen der Liebe zu uns selbst und zu
Andern. Zu diesem Zwecke zieht er nicht ohne Geschick
Sätze auch aus der muhamedanischen, indischen und chine-
sischen Moral herbei. Auf Grund seines Moralprinzips, das
wir sogleich näher beleuchten wollen, stellt er als Card in al-
tugenden auf: Thätigkeit, Wohlwollen und praktische Ver-
ständigkeit. Sodann betrachtet er die drei Hauptrichtungen
menschlicher Bethätigung, nämlich die überwiegend wirth-
schaftlichen Naturen, die Naturen mit ĂĽberwiegender Muskel-
thätigkeit und die überwi^end geistigen (intellektuellen, reli-
giös-contemplatiyen, ästhetischen) Naturen. Um aber das
moralische Handeln möglichst zu befördern, nunmt Bauhiann
durchgängig auf die Weckung und Ausbildung der sittlichen
Kräfte Rücksicht. Hierin erblicken wir einen Hauptvorzug
des Buches.
Der Abriss der Rechtsphilosophie soll die letzten
Prinzipien des Rechtes untersuchen, also dasselbe leisten, wie
das sog. Naturrecht. Baumann stellt dann Aufgabe und
Begriff des Rechtes fest, um schliesslich dasselbe sowohl vom
Standpunkt des Einzelnen als auch dem der Gemeinschaft zu
betrachten. Die Rechtsphilosophie ist an die Moral deshalb
angeschlossen, weil sie der Verf. weder, jmit ihr identifizirt,
noch völlig von ihr getrennt wissen will. Denn das Recht
hat in seinen Augen zwar eine moralische Grundlage, aber
eine allgemeinere als die Moral.
344 Baumann: Handbuch der Moral nebst Abriss der Rechtsphilosophie.
Betrachten wir nun zunächst Baumanns Willens-
theorie. Im Gegensatz zu der . landläufigen Auffassung,
wonach zum Willen nur Klarheit der "Vorstellung und Stärke
des Werthurtheils gehöre, betont er die physiologischen
Prozesse. Schon Herbart und Joh. MĂĽller haben darauf
hingewiesen, und Lotze wie AI. Bain haben die Theorie aus-
gefĂĽhrt, von der sich ĂĽbrigens schon bei Malebranche (de la
rech, de la v^rit^ V, 7) eine Spur findet. Diese ist in wenig
Worten so zu fassen: Mit ursprünglich unwillkürlichen Bethä-
tigungen war verbunden Vorstellung und Werthschätzung;
diese regt dann später die bezüglichen Bethätigungen wieder
an, oder, als Formel ausgedrĂĽckt, mit A war verbunden B,
dies B regt dann wieder an A. Es findet also dasselbe statt,
wie bei den Ideenassociationen. Nur wo organische und phy-
sische Anknüpfungspunkte und genügende W^illens- und Kör-
perbildung vorhanden sind, tritt eflfectiver W^lle ein. Dass
trot«dem die spontane Bewegung (Vorstellungsverlauf und
Muskelspiel) fĂĽr unwesentlicher gilt, als Vorstellung und
Werthgefühl, erklärt sich ebenso, wie die Geringschätzung
des Leibes ĂĽberhaupt, den wir grade dann am wenigsten
merken, wenn er uns die besten Dienste leistet. So entsteht
die schwer vermeidliche Selbsttäuschung von dem Willen,
der alles kann.
Soweit stimmen wir Baumann vollständig bei, wenn wir
auch seine Ansicht, dass diese Theorie erst eine Entwickelung
unserer Zeit sei, nicht theilen. Denn schon Leibniz hat sie,
natĂĽrlich in seiner Terminologie, entwickelt. L'inqui^tude,
sagt er Nouv. Ess. p. 247, est le principal, pour ne pas dire
le seul aiguillon qui incite Tindustrie et Tactivite. Und bei
Dut. II. 1 p. 311: Monades omnia ex penu suo ducunt me-
chanismo quodam eminente. Leibniz erklärte bekanntlich
alle Reflexbewegungen (die Sprache) und Neigungen, Tempe-
rament, Gewohnheit und Talent als mechanische Willens-
dispositionen. — Sodann aber müssen wir uns gegen Bau-
manns Behauptung erklären, die platonische Weltauffas-
sung sei falsch, welche alles Wirken nach Analogie unseres
höheren Geisteslebens denkt, dieses selbst aber als ein Han-
deln nach Zweckvorstellungen, d. h. nach Vorstellangen niit
Baamaiin: Handbuch der Moral Debet Abriss der Rechtsphilosophie. 346
Werthschätzung bezeichnet. Zunächst scheint uns die gege-
bene Deutung nicht zutreffend ; denn das Handeln nach Zweck-
Torstellungen schliesst die Werthschätzung oflfenbar nicht ein,
wie das instinktive Thun derThiere beweist. Vor allem aber
können wir des Verfassers ausgesprochene Tendenz nicht
billigen, die Moral von eigentlich metaphysischen Hypothesen
unabhängig zu erhalten. Diese Tendenz ist deshalb nicht
löblich, weil sie einfach unausführbar ist, wie wir so-
gleich bei Baumanns Moralprinzip zeigen werden. Aus der-
selben Quelle entspringt seine Polemik gegen Schopen-
hauer, dessen Auffassung vom Willen er deshalb verwirft,
weil nicht der Wille dem Vorstellen zu Grunde liege, sondern
aus Vorstellung und Werthschätzung zusammen erst entstehe.
Aber wenn der Verf. richtig als das UrsprĂĽngliche die unwill-
kürliche Bethätigung annimmt, so unterscheidet sich dies doch
wohl wenig von Schopenhauers Begriff des Willens.
Die Mittel zur Willensbildung, welche Baumann
empfiehlt, sind entschieden probat, wir nennen Erinnerung,
ĂĽebung, wobei der Einfluss des ersten Gelingens treffend gewĂĽr-
digt wird, Erholung, Pflege des Leibes und des Nervensystems.
Aber der Wille soll nicht nur intensiv, sondern auch exten-
siv verstärkt, d. h. auf die verschiedensten Verhältnisse ein-
geübt werden. Hier bringt der Verf. viele pädagogische
Winke vor, an denen sein Buch ĂĽberhaupt reich ist. Direct,
oder, wo das nicht geht, indirect, soll der Erzieher den
Willen seines Zöglings bestimmen; dahin gehört Lohn und
Strafe, Erregung der Aufmerksamkeit und des Interesses, Be-
nutzung des Nachahmungstriebes, vor dessen Ueberschätzung
(Beneke) der Verf. warnt, und der Anlagen (Temperament).
FĂĽr den Inhalt des Charakters ist entscheidend, welches
der physiologisch - psychologischen Hauptsysteme in uns prä-
dominirt. Ist das vegetative System, aber zugleich mit
Muskel- und Nervensystem, besonders regsam, so entsteht
die Richtung auf das materielle Wohl ; beim Muskelsystem
auf praktische Bethätigung als solche ; militärische, technische,
industrielle Beschäftigungen erscheinen als Selbstzweck oder
als in sich wichtig. Ist das Nervensystem besonders reg-
sam, so wird Kunst, Wissenschaft, ĂĽberhaupt geistiges Leben,
346 Baomann : Handbuch der Moral nebst Abriss der Rechtsphikwophie.
auch ojft in religiöser Form, als das Höchste betrachtet.
Ueber wiegt endlich das Sexuelle, so entsteht im Manne der
frauenhafte Charakter, wie ihn Goethe genannt hat; er zeigt
sich theils als frĂĽher Trieb zur FamiliengrĂĽndung, theils ais
ritterliche Galanterie und Frauen Verehrung, theils als Liebes-
bedürfniss im engeren Sinne. — Diese Aufstellung und ihre
Durchführung (S. 216 — 316) halten wir für die gelungenste
Partie des Buches.
Nach einer kundigen Betrachtung der moralischen Ent-
Wickelung des Menschengeschlechts, wobei die Einflässe
der Umgebung, der Phantasie, der Individuen und der Willens-
theorie berĂĽcksichtigt und die vielen Schritte betont werden,
welche die Menschen zum Begriff der Menschheit fährten,
stellt Baumann sein Moralprincip auf, welches zwischen
Egoismus und Selbstaufopferung vermitteln will. Mit Ab-
streifung der Einseitigkeiten des Eudämonismus fordert der
Verf. zunächst auf Grund der formalen Gleichheit aller Men-
schen, (}ass ein Jeder sich von seiner ĂĽberwiegenden Art aus
bethätige mit Anerkennung der überwiegenden Art des Andern,
oder in einer Formel: Princip der Moral ist Erhaltung und
Förderung der Menschheit, oder noch kürzer: die
Liebe.
Hier erheben sich aber verschiedene Bedenken. Zwar
hat Baumann ganz geschickt dem Egoismus sein Recht ge-
wahrt und doch zugleich seine Schranke gewiesen, indem er
zeigt, dass bei Erhaltung und Förderung der Menschheit jeder
Einzelne eben miteingeschlossen ist. „Daraus ergeben
sich Regeln fĂĽr Alle, von denen ich mich nicht ausnehme,
weder zu meinem Vortheil — denn ich bin bloss Einer
neben den Andern — noch zu meinem Nachtheü — denn
ich bin so gut einer wie die Andern — sondern unter
welche ich mein Handeln, Denken, FĂĽhlen selber subsumire/'
Aber wir meinen, bei dem Verf. fehlt es an einem Mittel,
den ĂĽbertriebenen und einseitigen Egoismus, der bekanntlich
sehr verbreitet ist, zu widerlegen und zu dämpfen. Dies
Mittel fehlt ihm, weil er eine metaphysische BegrĂĽndung
der Ethik vorwirft; auf diese aber war er schon durch den
Begriff der Menschheit unbedingt hingewiesen. Er schliesst
Glogau: Abriss der philosophischen Grand- Wissenschaften. 347
sich damit ganz der utilitaristischen Schule Bentham's
an. Um so weniger motivirt aber scheint es uns, wenn er
sein Princip als das der Liebe bezeichnet. Wie beim Utili-
tarier John St. Mill die Sympathie, tritt hier bei Baumann
das Princip der Liebe ganz unvermittelt auf. Wollte sich
aber der geehrte Verf. damit decken, dass er S. 123 die
Liebe definirt als „ein inneres Nachbilden der Ändern, als
wären wir es selbst, und ein Aufnehmen ihrer Zwecke und
Bethätigungen in unsern Willen", so erwidern wir, dass uns
diese Definition ĂĽberhaupt zu eng scheint, da sie nur die
negative und receptive Seite der Liebe trifift, welche viele
Ethiker Sympathie nennen, dass aber die positive energische
Liebesbethätigung vom Verf. weder abgeleitet noch begrün-
det ist.
Damit kommen wir zu der Ausstellung, die wir an dem
ganzen Buche machen mĂĽssen: es ist nicht systematisch
genug. Uns wenigstens hat es nicht befriedigt, unter der
üeberschrif t : „Ergänzende Gesammtbetrachtungen" (S. 317
bis 371) eine ganze Reihe wichtigster ethischer Probleme
aphoristisch behandelt zu sehen. So interessant und anregend
diese Bemerkungen, z. B, ĂĽber Erfolg und seine sittliche Be-
deutung, Probiren im Sittlichen u. A. sein mögen, so sind
dabei doch manche Fragen schlecht weggekommen,' wie die
Willensfreiheit und das Böse. Doch hat der Verf. gewiss
diese Methode ausdrĂĽcklich eingeschlagen, um auch weitere
Kreise fĂĽr die Moral zu gewinnen. Lidem wir endlich auf
die Untersuchung ĂĽber den Begriff des Rechtes hinweisen,
empfehlen wir das Handbuch als eine gediegene Erscheinung
auf dem Gebiete der Ethik.
Berlin. Friedrich Kirchner.
Abriss der philosophischen Grund-Wissenschaften. Von Dr Gustav
Glogau, Privatdocent der Philosophie an der Universität
ZĂĽrich. Erster Theil: Die Form und die Bewegungs-
gesetze des Geistes. Breslau, Wilhelm Köbner, 1880.
(XVIII. u. 397 S.) 8^
Bekannt bereits durch seine Darlegung von ,.Steintbal's
Psychologischen Formeln'* wie durch seine Abhandlungen in
34f8 Glogau: Abriss der philosophischen Grund- WissenschafteiL
der Zeitschrift für Völkerpsychologie und auch in ülrici's
Zeilschrift fĂĽr Philosophie, bietet der Verf. nunmehr den
«rsten Band eines umfassenden Werkes. Derselbe soll ein-
mal „einen idealen Durchschnitt .der Entwicklung des Geistes
zeichnen" und zweitens „die innere Gesetzlichkeit jener Ent-
wicklung" vorfĂĽhren.
1 . Die Betrachtung der psychischen Entwicklungsgeschichte
ist geleitet von der erkenntnisstheoretischen Frage, wie ein
Wissen und eine überlegte Thätigkeit zu Stande kommt; sie
beginnt mit dem unbewussten oder Naturleben der einst-
weilen hypothetisch angenommenen Seele. Vier Stufen lässl
der „ideale Durchschnitt" erkennen. Als erste Stufe erscheint
das noch „unbestimmte Lebensgefühl" sammt den „Trieb-
erscheinungen". Auf zweiter Stufe ergeben sich ĂĽber den
vegetativen Kreislauf hinaus die niedere Wahrnehmung und
der Instinkt. Zur dritten Stufe, zur „Sprache oder Vorstel-
lung" und zur „menschlichen Handlung" führt dann der
fĂĽhlbar werdende Gegensatz zwischen einer belebten, ver-
standenen und einer unbelebten, unverstandenen Welt; aus
der Erinnerungstiefe der Seele bricht die erste menschliche
Rede hervor, ausgleichend die Unruhe, in welche das GemĂĽth
durch die Anschauung versetzt war, während das Bewusst-
sein in ein Reich der Objecto gegenĂĽber einem Reich der
subjectiven Begriflfe sich besondert. Auf der vierten Stufe
endlich tritt „der wissenschaftliche Geist und die sittliche
Freiheit" hervor: geschichtlich hat die Durchbrechung der
„mythischen" Stufe sich nach der theoretischen Seite hin in
den Kreisen der griechischen Denker und Dichter vollzogen,
auf praktische W^ise in der sittlich religiösen Weltanschau-
ung des jĂĽdischen Volks und des Christenthums, doch er-
zeugt „das mythische Denken" sich immerfort als Grundlage
der höheren Entwickelung.
Solche Phänomenologie des Geistes geht vor sich „nach
den Grundsätzen der Vöfterpsychologie", nicht ohne Lücken,
wie der Verf. selbst anerkennt. Die Völkerpsychologie ist
indess auch dem Referenten lieb und werth, sofern sie aus
dem Ethos und seinen Gestaltungen heraus das darin erschei-
nende, sich entwickelnde und sich bethätigende Menschen-
Glogau: Abriss der philosophischen Grund- Wissenschaften. 349
wesen zu erkennen strebt; nur erlaubt er sich, die Anthro-
pologie, in deren Kreis ihm die Völkerpsychologie fallt, nicht
naturalistisch sich zurechtzulegen, sondern sie, den Zusammen-
hang mit der Naturforschung bewahrend, durch die in das
philosophische System aufgenommene Theologie zu ergänzen,
indem er daran festhält, dass der Mensch nicht ohne die
Mittheilung eines Vor- und Uebermenschlichen ĂĽber sich
selbst je in das Klare kommen konnte und kann.
2. Der zweite Theil des vorliegenden Bandes will die
formalen Grundgedanken, welche in den Darlegungen des
ersten Theils die leitenden Mächte gewesen sind, für sich
herausheben. Dabei dienen der Lehre die „algebraischen
Figuren", in welchen bereits die Psychologie SteinthaPs die
Vielheit der unsichtbaren Verhältnisse des Vorstellungslebens
sichtbar gemacht hat. Zunächst werden „die ganz allgemei-
nen mechanischen Verhältnisse aufgesucht und erwogen, der-
gleichen sich in jeder Bewegung der psychischen Elemente
erkennen lassen, dann wird, mit Beiseitelassung des Trieb-
lebens der ersten Stufe, die Mechanik des Wahrnehmungs-,
des Vorstellungs- und des Denkprozesses insbesondere be-
handelt.
hmerbalb des* in sich beharrenden Seelenwelt nämlich
fällt alles, was die Wahrnehmung an mannigfaltigem Inhalt
besass, unterschiedslos zu Einer Grösse zusammen: hierauf
geht das „psychische Identitätsgesetz" sowie der Begriff der
„Verschmelzung". Die Vorstellung überhaupt ist eine „Ver-
sehmelzungsmasse" ; doch ist die Verschmelzung eine „mehr
äusserliche Zusammenballung" und der blosse Anfang eines
Prozesses, als dessen Erfolg die „Verdichtung" sich ergibt.
Die Theile der Vorstellung sind unterschiedlich einander
„assodirt" ; Kehrseite der Association ist die „Reproduction",
und eine Form der Association die „Verflechtung", welche
heterogene Ganze kraft einer partialen Gleichheit in einander
schlingt. In alledem ist das Leben des Geistes an das Zu-
sammenwirken von Elementen gebunden, welche theils mehr
theils weniger bewusst sind.
Doch reichen Grundsätze, welche die allem Seelenleben
gemeinsamen, mechanischen Beziehungen betreffen, nach des
350 Glogau: Abriss der philosophischen Grund- Wissenschaften.
Verf.'s Ansicht nicht aus zur Erkenntniss der besonderen
Bildungsprozesse mit ihren eigenartigen Gombinationen. Diese
also gilt es weiterhin in das Licht zu stellen. Demgemäss
behandelt der Verf. vorerst die Wahrnehmung der äusseren
Seite der Dinge mittelst der „identificirenden" und mittelst
der „schöpferischen Apperceplion", hierbei seine Theorie des
Erinnerungsprozesses entwickelnd; dann analysirt er die
Wahrnehmung der inneren Seite der Dinge vom Standpunkte
einer Aprioritätslehre, welche nicht ontisch, wie die Kantische,
sondern genetisch verfahrend „die Fichte -Schillersche Ver-
mittlung in der durch Steinthal geschaffenen psychologischen
Form in sich hineingezogen hat". Die Untersuchung vertieft
Ăźich weiter in die Mechanik des Vorstellungsprozesses oder
des Selbstbewusstseins und in dessen sprachliche Form, um
endlich das logische Denken zum Gegenstande zu nehmen.
Die Logik „nimmt die Formen des entwickelten Ich*Lebens
aus den Dingen zurĂĽck und gibt ihnen dafĂĽr die logischen
Formen des Zusammenhangs"; sie ist „Reinigung" der gei-
stigen Thätigkeiten, mit einem Worte „Kritik". Dabei knüpft
der Verf., wie er angibt, überall an Lotze an „den grössten
Logiker unserer Zeit", geht jedoch seinen eigenen Weg vor-
wärts. Das erste der logischen Gebilde i^ ihm das Urtheil.
Dieses hat seine unterste Form in der „Frage", daran schliesst
sich das „subjectlose" Urtheil und weiterhin das kategorische;
die vierte Form ist das disjunktive, eine Beschreibung des
Dinges oder den Stoff des Begriffes liefernd, während dem
Gedanken des Werdens das hypothetische gerecht wird; am
Ende stellt der Verf. „im Gegensatz zu Kant" noch eine
sechste ĂĽrtheilsform auf, das finale Urtheil. Wie sich diese
Urtheilsformen zur Relation, Qualität u. s. f. verhalten, sucht
er noch besonders zu zeigen. Nach der Lehre vom Urtheil
kommt die vom SchlĂĽsse an die Reihe, mit dem Induktions-
schluss der zweiten Figur beginnend und, mit Aufhebung der
vierten Figur, endigend im Subsumtionsschluss der ersten
Figur. Hierdurch sind die „Motive der Begriffsbildung" ent-
wickelt, und die „Verwendung des Begriffs in der Deduktion"
ist dargelegt ; aber das Interesse, Einzelnes aus anderem Einzel-
nen zu dedticiren, fügt noch die von Lotze sog. „Mathemati*
Glogau: Abriss der philosophischen Grund- Wissenschaften. 351
sehen Folgerungen" (Substitution, Proportion) hinzu. Die
Lehre vom Begriffe und hiermit von der Definition sammt
der Klassifikation ist das letzte: denn „die Menschheit hat
wissenschaftliche Begriffe nirgend woher fertig empfangen."
Gewinnend ist die Sorgfalt, welche der Verf. in der Be-
handlung des so schwierigen Gegenstandes kundgibt. Er
glaubt, auf „rein psychologischem Boden" seine Untersuchun-
gen zu führen, bemuht, „die Ergebnisse sowie namentlich
Richtung und Art von Steinthäl's Denkerleben bis in die
prinzipiellen Tiefen auszubauen." Zunächst ist es freilich
^kenntnisstheoretischer Boden, auf welchem er seine Lehre
Tom Denken sich entfalten lässt. Letztere aber, Wahrneh-
men, Vorstellen und logisches Denken betreffend, hat nicht
die Selbstbethätigung des Denkens zu ihrem Lihalt, sondern
sie beschäftigt sich damit, des Denkens Formen abzunehmen
aus der Erfahrung und aus den erfahrungsmässig gegebenen
Verhältnissen der Gedanken zu einander. Sie lässt daher
unerledigt die andere ergänzende und abschliessende Frage,
welcher Formen der Gedankenwelt sich aus der Natur und
Thätigkeit des Denkens selbst ergeben. Erst durch Beant-
wortung dieser, eine Selbständigkeit des Denkens gegenüber
dem was nicht Denken ist voraussetzenden Frage können
allgemeingültige „Gesetze" des Denkens zu Tage treten und
kann eine Reform^ der alten Logik sich anbahnen ; dort da-
gegen resultirt vorerst nur ein modernes SeitenstĂĽck zur
alten empirischen Logik. Des Verf s. Erkenntnisslehre kommt
fibrigens aus dem Kreisen des Idealismus nicht hinaus: nach
des Referenten Ansicht hängt dies damit zusammen, dass
dieselbe einerseits zu schöpfen verschmäht aus einer Psycho-
logie, welche von einem substantiellen Geistwesen des Men-
schen zu sagen liätte, und dass sie andererseits die Grund-
lage entbehrt, von wo aus die Realität des üebersinnlichen
ericannt und dadurch auch die Realität des Sinnlichen ge-
sichert wird.
Erlangen. Rabus.
352 J. Bergmann: Sein und Erkennen.
Sein und Erkennen. Eine fundamental - philosophische Unter-
suchung. Von «7. Bergmann, Berlin, E. S. Mittler & Sohn.
1880. (IV u. 191 S.) 8«.
In engem Anschluss an die Ausführungen seiner „R^i^^^
Logik" (Berlin, 1879; vergl. Philos. Monatshefte Bd. XVI,
S. 338—349), die dort gegebenen Darlegungen theils weiter-
führend, theils genauer präcisirend, in einigen Punkten auch
berichtigend, gibt der Verfasser in der vorliegenden Abhand-
lung eine Untersuchung über die Möglichkeit und die Form
des Erkennens, eine grundlegende Untersuchung fĂĽr alle
Wissenschaft ĂĽberhaupt, mit einer Tendenz und in einer
Manier, die am meisten an J. G. Fichte's „Wissenschafts-
lehre" und „Thatsachen des Bewusstseins" erinnert. Von
dem, was man in dem jĂĽngsten Zeitalter als Erkenntniss-
theorie zu bezeichnen pflegt, ist das hier Gebotene durchaus
vorschieden. Der Verfasser sieht völlig ab von aller äusseren
Vermittelung und von allem besonderen Gehalte des Erken-
nens, ja von allen einzebien Formen der Erkenntnisstliätig-
keit; er hat es ganz allein zu thun mit der reinen Form des
Bewusstseins als solchen, sofern es Subject und Object seiner
Thätigkeit zugleich ist, imd concentrirt sich ganz auf die
Frage, wie diese reine Form des Bewusstseins denkbar ge-
macht und welcherlei Erkenntniss rein aus dieser Form und
dem im reinen Bewusstsein vorgefundenen, zu ihm gehörigen
anschaulichen Inhalt gewonnen werden kann. Eine Analyse
des Phänomens des Bewusstseins also und die Zurückführung
desselben auf seine letzten Elemente bildet den eigentlichen
Gegenstand dieser Darlegungen ; der Verf. ist d^r Ueberzeugung,
dass auf diesem Wege zugleich und nur auf diesem Wege das
Problem des Verhältnisses von Sein und Erkennen zu lösen sei.
Denn die reine Form des Bewusstseins und der reine Inhalt
desselben sind im Grunde eins und dasselbe; reines Erkennen
aber kann nur solches sein, welches das Bewusstsein unab-
hängig von aller Erfahrung und allem zufalligen Bewusstseins-
inhalt rein aus seinem eigenen bleibenden Wesen schöpft.
J. Bergmann: Sein und Erkennen. 3^
Der Verfasser steht fest zu dem Idealismus Fichte's. Nur
das Vorstellen und das Ich ist ihm unzweifelhaft, das Be-
wusstsein das Letzte und UrsprĂĽngliche. Die Existenz des
eigenen Ich ist fĂĽr jeden die Thatsache der Thatsachen. Die
Frage nach der Möglichkeit und dem Wesen der Erkenntniss
ist deshalb, da nur das Sein des Ich gewiss ist, eins und
dasselbe mit der Frage, wie das Ich sich selbst setzen könne;
denn alles Nicht-Ich kann nur aus dem Ich begriffen werden.
Um nun dem Ich auf die Spur zu kommen, knĂĽpft der Ver-
fasser an die empirisch gefundenen und aufgezählten Formen
des Vorstellens und Urtheilens an; an ihnen weist er nach,
was unter ' dem Sein zu verstehen sei. Denn alles Sein
stammt nach ihm aus dem Vorstellen und ist die Form,
welche das Vorstellen seinemt Inhalte gibt. Das Wesen des
Urtheils nun ist dies, dass die Bestimmtheit, die es dem Dinge
verleiht, als integrirendes Glied in den Begriff des Dinges auf-
genommen wird. Indem also das vorstellende Bewusstsein
im Urtheilen dem Vorgestellten eine Bestimmtheit als gĂĽltig
beilegt oder abspricht, setzt es das Vorgestellte als die Ur-
sache dieser seiner Bestimmtheit; das Sein, welches von dem
vorstellenden Bewusstsein dem Vorgestellten zugeschrieben
wird, erweist sich damit als die Sixbstantialitat und Causalität
selber. Nothwendige VerknĂĽpfung aber, wie sie in solcher
Causalität, in dem Zusammenhange zwischen der Substanz
und ihrer Bestimmtheit liegt, kann dem Bewusstsein nicht
von aussen gegeben sein, sondern muss von der Spontaneität
des verständigen Bewusstseins in dem Gegebenen hervor-
gebracht werden. Wird somit Sein, Substantialität, Causa-
lität durch das Vorstellen selbst erzeugt, so kann das Seiende
offenbar nicht ausser dem Vorstellenden sein; die äusseren
Dinge sind also nicht, sondern scheinen nur zu sein. Nur
das Ich ist, und das Sein des Ich ist sein Sichselbstproduciren.
Jedes Seiende ist ein irgendwie bewusstes, denkendes Wesen,
und dieses sein Denken ist das objective Gorrelat zu dem
Denken dessen, der es denkt. Das Bewusstsein, das sich
selbst zum Inhalte hat, ist das Letzte und UrsprĂĽngliche ; kein
Unbewusstes liegt hinter dem Bewusstsein, so dass sich dieses
daraus entwickeln könnte. Darin nun findet der Verfasser
PhücMoph. Monatsheft« 1861, VI. 23
364 J. Bergmann: Sein und Erkennen.
den Unterschied seiner Auffassung des Problems von firohereu
begrĂĽndet. Fichte insbesondere sah die Schwierigkeit nicht
sowohl darin, dass das Ich sich selbst, als vielmehr darin,
dass das Ich das Nicht-Ich setzt, und kam bei dem Gedanken
an, dass das ursprĂĽnglich Seiende, an sich bewusstlos, sich
erst durch seine That zum Bewusstsein emporarbeite. Schel-
ling und Hegel femer, welche die Elrkenntnisslehre zur Philo-
sophie ĂĽberhaupt erweiterten, schilderten den Process des
Bewusstseins als Process nicht sowohl im endlichen Ich, als
vielmehr im Absoluten; die Grundlage bildete hier der Be-
griff oder viebnehr eine intellectuelle Anschauung des Abso-
luten, in welcher der Philosoph miterlebt, wie das Absolute
aus ursprünglicher Abstractheit sich zu äusserem Dasdn ent-
faltet und aus diesem zu sich selbst kommt. In der An-
nahme einer wirklichen Existenz der materiellen Dinge, in
der Entwicklqng des Bewusstseins aus dem UnBewussten, in
der Beziehung des Problems auf das Absolute sieht der Ver-
fasser die fundamentalen Mängel der Identitatsphilosophie.
Aber auch in der Annahme eines blossen Parallelismus zwi-
schen den Formen des Seins und des Denkens, wie sie sich
bei manchen Gegnern der Identitätsphilosophie findet, sieht der
Verfasser nur eine Verschiebung des Problems. Die Au^abe
ist in der That die, die Identität Entgegengesetzter zu be-
greifen; der Gegensatz aber ist nicht der von Denken und
Sein, sondern von Gedachtwerden und Sein. Denken und
Sein sind dasselbe; aber die Frage ist, wie das Gedachte
sein und das Seiende gedacht werden kann.
Das Problem liegt also in dem Produciren des Seins
durch das Denken, oder da das Seiende eben das Denkende
ist, in dem Begriff eines sich durch sein Vorstellen selbst
producirenden Ich. Das Räthsel ist das der causa sui. Um
diesem Räthsel beizukommen, zieht der Verfasser wieder seine
Lehre vom ĂĽrtheil heran. Die Bestimmtheit, die einer Sub-
stanz beigelegt wird, hat ihre GĂĽltigkeit darin, dass sie einen
Widerstreit zwischen zwei anderen Bestimmtheiten der Sub-
stanz aufhebt. Auf diese Weise nun erhält sich auch das
Ich mit sich identisch, indem es zur Ueberwindung seiner
inneren Gegensätze ein Attribut producirt, durch welches es
J. Bergmann: Sein und Erkennen. 355
sich zum Ich macht; ein Attribut nämlich ist diejenige Be-
stimmtheft der Substanz, welche derselben immer und noth-
wendig zukommt und zur Identität der Substanz mit sich
selbst erforderlich ist, während die anderen Accidentien De-
terminationen der Attribute und Ergänzung veränderlicher
Determinationen sind. Das Attribut, welches das Ich produ-
drt, um sich in dem Gegensatze seiner als des Subjects und
seiner als des Objects in Identität mit sich zu erhalten, findet
der Verfasser, indem er zu der anschaulichen Form des zeit-
lichen Verlaufes greift. Das geforderte Attribut ist die zeit-
liche Dauer im Sinne der activen Selbstsetzung des Ich von
untheilbarem Zeitmoment zu untheilbarem Zeitmoment, ein
anfangloses und endloses Produciren. Das Selbstproduciren
des Ich ist somit seine Selbsterhaltung, das Sein des Seien-
den also ein ewiges Werden, welches zugleich in jedem Augen-
blick vollendet ist. Der Gegensatz von Subject und Object,
der zur Substanz des Bewusstseins gehört, wird in dieser
Weise stetig gesetzt, um stetig aufgehoben zu werden; das
Ich erzeugt sich in seinem thätigen Verhalten seine Identität
mit sich als reale, erfĂĽllte Beziehung seiner auf sich selbst.
Daran ichliesst sich sogleich ein neues Problem. Damit
wirkliche Zeit sei, wird ununterbrochene Veränderung erfor-
dert; denn leere Zeit wäre gar keine Zeit. Das Subject hat
sich deshalb als stetig verändertes zum Object; damit aber
erneuert sich der Gegensatz von Subject und Object, und es
wird ein zweites Attribut des Seins, eine zweite Kategorie
erfordert, um diesen Gegensatz auszugleichen. Diese neue
Synthese aufzuzeigen, verspart sich der Verfasser fĂĽr eine
dereinstige Fortsetzung seiner Untersuchung; es scheint, als
finde er das neue Attribut in der dem Ich wesentlichen
Setzung äusserer Dinge. Für jetzt unterninunt er nur noch
die Möglichkeit eines reinen Denkens und Erkennens nachzu-
weisen, welches absehend von dem im Bewusstsein vorgefun-
denen Thatsächlichen imd Besonderen die Erkeimtniss des
Seienden als solchen, des Seienden sofern es ist, aus dem
reinen Bewusstseinsinhalt selber schöpft.
Reinen Bewusstseinsinhalt im Gegensatze zum empirischen
nennt der Verfasser denjenigen, der dem Bewusstsein als
ä56 J. Bergmann: Sein und Erkennen.
solchem zukommt, den allgemeinen, im zeitlichen Verlaufe
bleibenden Inhalt, während der empirische' Inhalt d^ beson-
dere ist, welcher im zeitlichen Verlaufe kommt und geht.
Der empirische Inhalt ist Determination des reinen, und dieser
ist immer in jenem mitenthalten. So steckt das Ich-Bewusst-
sein schon in der schwächsten sinnlichen Empfindung, in dem
dumpfsten GefĂĽhl von Lust und Schmerz. Das Ich ist in
einem und demselben zugleich actives Sichselbstwahrnehmen
und passives Sichselbstempfinden; in seinem Sichproduciren
liegt zugleich das Interesse an sich, das Sichbegehren und
SichfĂĽhlen, die Lust an der steten Befriedigung des Strebeos
der Selbstproduction und die Unlust an der Störung und Be-
einträchtigung dieses Strebens. Das Bewusstsein ist mithin
ebenso sejir ein praktisches als ein theoretisches Verhalten.
Der reine Bewusstseinsinhalt ist zunächst als derjenige
eines individuellen BeWusstseins gefunden worden ; die in ihm
liegende Allgemeinheit, welche von den besonderen Gestal-
tungen des empirischen Inhalts absieht, weist aber ferner auf
ein noch Allgemeineres hin, auf den reinen Inhalt des Be-
wusstseins als solchen, welches nicht melir individuelles Be-
wusstsein ist, wenn es auch als das, was allen individuellen
Ichs gemeinsam ist, das Moment der Individualität als ein
nothwendiges an sich hat. Das individuelle Bewusstsein ist
in jedem Augenblicke auf ganz bestinmite Weise detenninirt,
und diese seine Determination ist bedingt durch Dinge ausser-
halb des Bewusstseins. Es bedarf also, um determinirt zu
sein, der äusseren Dinge, und ist insofern nicht reines Be-
wusstsein; es kann ihm nur relative Reinheit zugeschrieben
werden. Schlechthin reines Bewusstsein und reiner Bewusst-
seinsinhalt ist also nur als das allgemeine Ich zu denken.
Dass die Zeit in diesem Sinne zum reinen Inhalt der Ichheit
gehört, ist vorher dargelegt. Der Raum kann nicht ebenso
dazu gehören, weil das Ich unräumlich ist; aber es könnte
wohl angenommen werden, dass die Setzung äusserer Dinge
als räumlicher ein Attribut des Ich sei und somit der Raum
als Erzeugniss eines Attributes des Ich mittelbar zum reinen
Inhalt gehöre. Jedenfalls ist der Raum eine Setzung des
Verstandes; aber da sich ein Bewusstsein auch ohne sinn-
J. Bergmann: Sein und Erkennen. 357
liehe Empfindung und mithin ohne Veranlassung zu räum-
licher Deutung derselben denken lässt, so braucht der Raum
auch als Werk der Spontaneität deshalb doch nicht reiner
Bewusstseinsinhalt zu sein. * Und was endlich die Kategorien
anbetrifft, so stellen sie einen reinen Inhalt des intellectueUen
Bewusstseins dar, welcher zugleich die Momente der reinen
Form der Gegenständlichkeit überhaupt bildet. Sie sind zu
fassen gleichsam als Projectionen von Momenten des Ich in
die Gegenständlichkeit hinein.
Damit hat sich der Verfasser den Weg gebahnt, um
schliesslich von dem reinen oder apriorischen Erkennen zu
handeb, das ebenso aus der Betrachtung des Begriffs der
Sache gewonnen werde, wie das aposteriorische Erkennen
aus der Betrachtung der Sache selber, und das zugleich syn-
thetischer Natur sei, indem es zu dem Begriff der Sache ein
neues Moment hinzufĂĽge. Das Problem ist nun, wie die Er-
fahrung ĂĽber den Begriff einer Sache nicht blos das Mitdenken
eines neuen Prädicates, sondern auch die Rechtmässigkeit
dieses Mitdenkens ergeben könne. Nach den früheren Er-
örterungen kann dies nur so geschehen, dass das neue Prä-
dicat zur Identität der Sache mit sich selbst gehört, indem
durch dasselbe ein Gegensatz, der in der Sache liegt, auf-
gehoben wird. In der Natur vernĂĽnftiger Wesen liegt offen-
bar ein Hinderniss, die entgegengesetzten Momente immittel-
bar zu vereinigen ; deshalb kann nicht die Erfahrung, sondern
nur die Reflexion auf den Begriff der Sache die Setzung des
Prädicats rechtfertigen. Im Bewusstsein des vernünftigen
Wesens gibt es einen reinen Inhalt als das im Gegensatze zu
sich Identische, und damit die Möglichkeit, zunächst den
Gegensatz im Begriffe durch blosse Reflexion auf den Begriff
zu erkennen. Ob nuif der Begriff des Bewusstseins vernĂĽnf-
tiger Wesen mit dem allgemeinen Begriff des Bewusstsems
einerlei oder nur der Begriff eines besonderen Bewusstseins
ist; ob demnach nur das Seiende als solches, das ganz all-
gemeine Ich, ein Gegenstand apriorischer Erkenntniss ist, oder
ob es auch eine apriorische Erkenntniss von dem gibt, was
allen vernĂĽnftigen Wesen im Besonderen gemeinsam ist; ob
es also apriorische Erkenntniss nur metaphysischer, oder auch
358 J. Bergmann: Sein und Erkennen.
logischer und ethischer Art gibt: darĂĽber will der Verfasser
ai^ dieser Stelle nicht entscheiden. Um ferner das den Gegen-
satz ausgleichende Prädicat zu finden, hat man alles das zu
durchmustern, was man mitdenkt, wenn man Seiendes denkt,
um darunter das Passende herauszufinden. Denn die aprio-
rische Erkenntniss beruht auf der Anschauung, auf der intel-
lectueUen Anschauung, die das Ich von der Ichheit hat; der
Begriff stammt aus der Anschauung und kann nur durch
Anschauliches ergänzt werden; synthetische ürtheile a priori
sind nur möglich als Bestimmung des Begriffes durch die
Anschauung. Das Intelligible ist keineswegs von dem Induc-
tiven getrennt, nicht ausschliesslich dem discursiven Denken
angehörig. Es ergibt sich also, dass apriorische Erkenntniss
als Erkenntniss aus dem Begriff der Sache nur duirch philo-
sophisches Denken hervorgebracht wird. Freilich tragen auch
andere Erkenntnisse, z. B. die ton der Erfahrung unabhän-
gigen und doch nicht auf reiner Begriffszergliederung beruhen-
den Sätze der Geometrie, verwandten Charakter. Aber weil
sie doch nicht eigentlich durch freie PrĂĽfung des geistigen
Inhaltes gewonnen werden, der Geist vielmehr dabei einem
unbegriffenen Zwange seiner Natur folgt, so erweisen sie sich
eben darin als Anticipationen apriorischer Erkenntniss, welche
bestimmt sind, BesitzthĂĽmer der Philosophie erst noch zu
werden.
Wir haben versucht, in möglichst gedrängter üebersichl
diejenigen Wendungen der Untersuchung nachzuzeichnen, die
uns als die hauptsächlichsten erscheinen, und diejenigen Resul-
tate hervorzuheben, in denen uns das vorwiegende Interesse
des Buches zu liegen scheint. Dass wir darin die Intention
des Verfassers überall getreu wiedei^egeben haben, können
wir nicht verbĂĽrgen. Der Verfasser hat es dem Leser nicht
leicht gemacht, ihm zu folgen; allerdings muss ihm zugestan-
den werden, dass er sich auch selbst seine Aufgabe nicht
leicht gemacht hat. Vielfache Anknüpfungen erörternder und
widerlegender Art, besonders an Kant, hemmen den Gang
der Untersuchung mehr, als sie ihn fordern. Es ist schwer,
sich in den Sprachgebrauch des Verfassers hineinzufinden, zu
sehen, was er unter Wörtern wie z. B. Ding oder Begriff verstah-
^
J. Bergmann: Sein und Erkennen. 359
den wissen will. In dieser Fülle von Erörterungen werden
Verschiedene von Verschiedenem sich am meisten angezogen
fĂĽhlen. FĂĽr uns hat unter den EinzelausfĂĽhrungen besondere
Anziehungskraft die siegreiche und grĂĽndliche Widerlegung
der Lehre vom inneren Sinn, der als trĂĽbendes Medium die
Selbstwahmehmung des Ich von seinen Zuständen und Thä-
tigkeiten verfalschen soll (S. 41 — 44), und die Darstellung
der Grundformen des Skepticismus (S. 114 — 120). Für Jeden,
der nicht in dem Dogmatismus des Sinnenscheins und der
äusseren Erfahrung allzufest befangen ist, wird die Denkweise
des Verfassers notbwendig sehr viel Sympathisches haben;
freilich ohne Bedenken und Restrictionen wird ihm nicht leicht
Jemand zustimmen. Unseren Dissensus im Einzelnen darzu-
legen und zu begrĂĽnden, davon sehen wir ab. Wir mĂĽssten
dafĂĽr, auch wenn wir uns auf das KĂĽrzeste zu fassen ver-
suchten, einen ungebĂĽhrlich grossen Raum in Anspruch neh-
men, und bei alle dem wĂĽrden wir immer noch einem in sich
geschlossenen Gedankenbau kaum mehr als Aphorismen ent-
gegenstellen kennen, womit Niemand gedient wäre. Unser
hauptsächlichstes Bedenken, das wir eben nur andeuten
wollen, liegt darin, dass der Verfasser nicht genĂĽgend be-
achtet zu haben scheint, dass der sichere Ausgangspunkt aller
Lehre vom Erkennen nicht die Selbstgewissheit des Bewusst-
seins ĂĽberhaupt, sondern nur die Selbstgewissheit des den-
kenden Bewusstseins sein kann. Die Unterschiede des
Wahmehmens, Vorstellens, Denkens verschwimmen unserer
Meinung nach zu sehr in der vorliegenden Untersuchung ; da-
her scheint es uns zu kommen, dass das Object des Bewusst-
seins beim Verfasser zu sehr nach Analogie des Dinges der
äusseren Wahrnehmung gedacht wird. Wir meinen, dass das
Anschauliche in d^ Begriff, nicht der Begriff in die An-
schaulichkeit aufzuheben ist, und halten es, indem wir das den-
kende Bewusstsein als die Thatsache der Thatsacben ansehen,
nicht blos fĂĽr gerecljtfertigt, sondern fĂĽr geboten, den Process
schliesslich als Process im Absoluten auÂŁsufassen. Es kommt
dazu, dass wir die Lehre vom Urtheil, wie sie vom Verfasser
ä^ebildet ist, uns anzueignen nicht im Stande sind. Aus
dem blossen Wortlaut oder gar aus einer schematischen Form
Ă„
360 H. Steinthal: (lesaminelte kleine Schriften.
wie „S ist P", lässt sich über den Sinn des ürtheils gar
nichts folgern. Das Urtheil bekommt seine Bedeutung erst
durch den Zusammenhang der Rede und durch seine Zuge-
hörigkeit zu den Gedanken des ürtheilenden. Derselbe Wort-
laut bezeichnet an verschiedener Stelle die verschiedensten
logischen Operationen. Am allerwenigsten wĂĽrden wir zu-
geben, dass das Determiniren im ĂĽrtheil jedesmal die Bedeu-
tung eines nothwendigen Zusammenhanges zwischen dem
Subjectsbegriflf und- der ihm beigelegten Bestimmung habe;
die Consequenz davon mĂĽsste eine Art von logischem Fata-
lismus sein. Wenn ferner der Gegensatz von Subject und
Object durch die ZuhĂĽlfenahme der Anschauungsform der
zeitlichen Succession aufgehoben werden soll, so scheint uns
damit nur ein anderer ebenso schwieriger Gegensatz an die
Stelle des ursprĂĽnglichen gesetzt zu sein ; denn das Continuir-
liche ist in keiner Weise leichter denkbar als das Subject-
Object. Dass aber den materiellen Dingen schlechterdings
und in jedem Sinne die Existenz abgesprochen wird, scheint
schwer vereinbar mit der Thatsache eines sinnlichen Bewusst-
seins, das unter gleichen Bedingungen fĂĽr alle Ichs die gleichen
inneren Zustände und Reactionen auf erfahrene Reize zeigt
So könnten wir noch lange fortfahren; es ist aber besser,
wir schliessen endlich mit dem Ausdrucke des Respects vor
der energischen Gedankenarbeit des Verfassers, von welcher
er auch in dem vorliegenden Buche reichliche Beweise gelie-
fert hat. Von der Fortsetzung seiner Untersuchung ist sicher
die Aufhellung mancher Punkte zu erwarten, die bisher noch
dunkel geblieben sind ; um so mehr wird sie dem lebhaftesten
Interesse Derjenigen begegnen, die dem Verfasser in seine
Regionen nachzuklimmen die Neigung und das Vermögen haben.
Berlin. * A. Lasso n.
Gesammelte kleine Schriften von H. Steinthal. I. Sprachwissen-
schaftliche Abhandlungen und Recensionen. Berlin, Ferd.
DĂĽmmler, 1880. (450 S.) 8^
Recensionen und sprachwissenschaftliche Abhandlungen von
vor 20 und 30 Jahren werden im Allgemeinen heute nur dann
noch Interesse beanspruchen und erregen können, wenn sie durch
H. Steinthal: Gesammelte kleine Schriften. 361
ihre innere Bedeutsamkeit oder durch den Reiz der Dar-
stellung fesseln, oder endlieh Fragen berĂĽhren, die noch
immer nicht als abgeschlossen zu betrachten sind. Als
solche werden manche der in diesem Bande dargebotenen
Recensionen und Abhandlungen angesehen werden dĂĽrfen.
Steinthal's Schreibweise ist bekannt. Der unermessliche
Sprachstoff, den er mit voller Freiheit beherrscht und das
Streben, alle sprachlichen Erscheinungen vom philosophischen
Standpunkte aus aufzufassen und darzustellen, verfĂĽhren ihn
— der doch gut zu schreiben versteht, — gar oft zu selt-
samen Verklausulierungen (pag. 287) und gewundenen Rede-
formen, die Niemand leichter vermeiden könnte, als er. Da-
zu kommt häufig die^ Anwendung so zahlreicher Fremdwörter,
dass viele Sätze sich kaum als deutsch lesen (p. 287), keinen-
falls sich leicht lesen lassen, sowie die stark raisonnirende
Behandlung aller Stoffe, die ihn oft weit abfĂĽhrt von der
eigentlichen Frage (p. 290), wenigstens für den gewöhnlichen
Leser, was noch verstärkt wird durch die Liebhaberei, fort-
während Parallelen aus den Naturwissenschaften aufzusuchen
und mit behäbiger Breite auszubauen.
Der Inhalt des vorliegenden Buches bietet in seiner bun-
ten Reichhaltigkeit gar vieles Schöne, das gern wieder gelesen
werden mag, während manches Fragmentarische (p. 286)
weiterer Ausarbeitung hätte aufgespart bleiben können. Von
den Recensionen haben viele dadurch noch heute Werth,
dass sie St.'s eigene Anschauungen in reicher, meistens höchst
gediegener AusfĂĽhrung enthalten. Eine der lesenswerthesten
scheint uns p. 296 „Ursprung des Indogermanischen"
(zu Georg Curtius, Zur Chronologie der indogermanischen
Sprachforschung, 1867) zu sein. Bei manchen freilich hätte
die breite Entwickelung seiner eigenen Theorien immerhin
einige Einschränkung erleiden dürfen.
Unter den Abhandlungen betrachten wir als eine
hervorragende Leistung die „Zur Sprachphilosophie", in
welcher St. so recht auf seinem eigensten Gebiete steht und
in zwei Abschnitten „Ueber Apperception" ;(p. 47—69) und
„Ueber die Vorstellung und die Verdichtung des
Denkens" (70—97), auf Grund der Herbart'schen Psychologie
962 H. Steinthal: GeBammelte kleine Schriften.
in schöner gedankenreicher Weise diese schwierigen und
tiefen Probleme durchforscht und den Leser zum Selbstdenken
anregt.
Als die beste seiner Abhandlungen sehen wir die „Von
der Liebe zur Muttersprache" (p. 97) an. Hier erhebt
sich St. zu so freier edler Rede, dass wir ihm mit Bewunde-
rung in seinen AusfĂĽhrungen gefolgt sind. Der Schluss dieses
Aufsatzes, der „das geist- und gemäthverwirrende Bonnen-
Wesen" bespricht, möge Eltern warm empfohlen sein, die
ihre Kinder (leider!) oft zu frĂĽh in fremden Sprachen unter-
richten lassen. Zu der Bemerkung, dass die alten Griechen
kein Wort für Muttersprache besassen, hätte billig hinzu-
gefĂĽgt werden sollen, dass nach ihren damaligen Culturver-
hältnissen die Sprache ihnen eben nur als die ncetgua
yhaaaa erscheinen konnte, ebenso wie f^ TtcerQtQ als die TtaiQtia
{natQux) y^. Dem Neuhellenen ist sie seit dem frĂĽhesten
Mittelalter ebenso gut wie auch uns die geweihte heilige
Sollen wir nun auch etwas tadeln, so ist es die seltsame
Weise, in welcher St. von der Sprache spricht, als wäre sie
ein Naturkörper, der mit Willen, Neigung und Abneigung
und sonstigen Energien nach vielen Richtungen bih ausge-
rüstet ist (97 und oft). Da Delbrück in seiner „Einleitung in
das Sprachstudium" ĂĽber diese veraltete Bopp'sche Ausdrucks-
weise sehr zutreffend sich äussert, so möge der betreffende
Passus hier angefĂĽhrt sein. Es heisst daselbst pag. 14:
„Neben dieser Erklärung durch Zusanmiensetzung wird gele-
gentlich eine andere, die symbolische, angewendet So
heisst es ĂĽber den Dual: Der Dual liebt ... . die breite-
sten Endungen (Vgl. Gr. § 206). Das Gleiche gilt vom Femi-
ninum, welches im Sanscrit . . . eine ĂĽppige FĂĽlle der Form
liebt" (§ 113); und pag. 18: „Man sieht . . . dass Bopp
sich die Sprache als eine Art von Naturkörper vorstellt.
Dieses Wort gebraucht er geradezu Vocalismus S. 1: „Die
Sprachen sind als organische Naturkörper anzusehen, die
nach bestimmten Gesetzen sich bilden, ein inneres Lebens-
prinzip in sich tragend, sich entwickeln und nach und nach
absterben, indem sie, sich selber nicht mehr begrei-
Fred. Pollock: Spinosa. 363
fend, die ursprängKch bedeutsamen, aber nach und nach zu
einer mehr äusserlicheii Masse gewordenen Glieder oder
Formen ablegen, oder verstĂĽm'meln oder missbrau-
chen, d. h. zu Zwecken verwenden, wozu sie ihrem Ur-
sprĂĽnge nach nicht geeignet waren/*
„Dieser Satz, so fährt D. fort, führt nach zwei Richtun-
gen weiter. Zunächst mochte ich die Aufmerksamkeit des
Lesers auf die Bemerkung lenken, dass die Sprache im Laufe
der Zeit sich selbst nicht mehr begreife. Es wird damit der
Sprache geistige Thätigkeit zugeschrieben und von ihr ge-
sprochen, als ob sie ein denkendes Wesen sei. Diese Aus-
drucksweise ist nicht vereinzelt. An andern Stellen redet
Bopp von dem Geist oder Genius der Sprache und erkennt
in ihrem Verfahren gewisse Tendenzen und Absichten.
Manchmal wird auch ... die einzelne Form wie ein denken-
des Wesen angesehen. So heisst es (Vgl. Gr. * S. 516), der
slawische Stamm sjo sei sich „seiner aus der Urperiode der
Sprache ĂĽberlieferten Zusammensetzung nicht mehr be-
wusst.** Diese Wendungen sind Bilder und zwar sehr
naturliche, und wahrscheinlich wärde Bopp, wenn man ihn
I
darauf aufmerksam gemacht hätte, zugestanden haben, dass
in Wahrheit diese Seelenthätigkeiten nicht in der Sprache,
sondern in den einzelnen Menschen sich vollziehen, aber es
ist richtig, hier auf die Anfange einer Anschauungsweise auf-
merksam zu machen, die sich bei Schleicher (und fugen
wir hinzu bei Steinthal) bis zu einer bewussten Hyposta-
sirung des Begriffes gesteigert hat.**
Bonn. Aug. Boltz.
Spiiuna. His life and philosophy by Fred. PoĂĽock, barrister
at law, late fellow of Trinity College Gambr. and honor.
doctor of laws of the Univ. of Edinburgh. London,
C. Kegan Paul et Co. 1880. (XLII, 467 S.) 8^
Dies mit grossem Talent und grĂĽndlicher Kenntniss
seines Gegenstandes geschriebene Werk ist dazu bestimmt,
wie der Verfasser sich ausdrückt, „englischen Lesern einen
einigermassen (fairly) vollständigen Bericht über Leben und
Lehre des Philosophen zu geben, — in erster Linie allerdings
364 Fred. Pollock: Spinoza.
solchen Lesern, die aus dem Gegenstande kein specielles Stu-
dium gemacht haben ; demnächst aber auch denjenigen, welche
Spinoza schon aus erster Hand kennen und selbst kritisch
sich um ihn bemĂĽhen." Den ersten dieser Zwecke, englische
Leser mit Spinoza näher bekannt zu machen, ist Herrn Pol-
lock's Werk in hohem Maasse zu erfĂĽllen geeignet; es wird
sogar manchen bisherigen Gegner fĂĽr den auch in England
noch immer viel verkannten und geschmähten Philosophen
gewinnen, da es, durchweg von warmer Verehrung fĂĽr diesen
getragen, eine Art apologetischer und nicht selten encomia-
stischer Interpretation fesselnd durchzufĂĽhren weiss. Was
jedoch den andern Zweck, das wissenschaftliche Verständniss
Spinoza's zu fördern, angeht, so möchte dieser von dem ge-
ehrten Verfasser nicht in gleichem Maasse erreicht werden.
Denn zeigt sich derselbe auch ĂĽberall als einen lebendigen
und scharfblickenden Denker, der den Gegenstand auf seine
Art wohl zu fassen und zu behandeln versteht, so kann Ref.
doch nicht umhin zu finden, dass Herr Pollock zu sehr von
dem gegenwärtig in England herrschenden Empirismus, Psy-
chologismus und Evolutionismus befangen ist, um dem, ganz
anderen Grundprincipien huldigenden Spinoza gerecht werden
zu können. Durch die Brille Jungenglands angesehen erscheint
hier die alte Riesengestalt aus dem siebzehnten Jahrhun-
dert wie in fremder Beleuchtung und gleichsam zusammen-
geschrumpft. Wenn der Verfasser — beispielsweise — in
Spinoza's göttlichem ürwesen, welches Alles ist, in jener
„Substanz mit den unendlichen Attributen, deren jedes eine
ewige unendliche Wesenheit ausdrĂĽckt", nur die abstracte
Naturgesetzlichkeit erblickt, wenn er Spinoza's „intellectuelle
Liebe zu Gott" eben nur als das Eingehen auf diese Natur-
Ordnung verstanden wissen will, wenn er in den „ewigen
Modi" — Spinoza meint damit die essentiae rerum als ewige
Ideen Gottes, wie dies schon Lessing erkannt hatte — nur
die Bewegung und die Welt des Stoffes findet, so wird man
nicht umhin können zu behaupten, dass seine Auffassung
auch in wichtigen Punkten ihrem Gegenstande nicht immer
gerecht zu werden vermocht habe. Nichtsdestoweniger muss
anerkannt werden, dass Herr Pollock seine Leser in die
\
•â–
Fred. PoUock: Spinoia. v 365
Gedankenwelt Spinoza's einzufĂĽhren ernstlich bestrebt ist, und
wo ihn nicht vorgefasste Meinungen hindern, auch wirklich
einfĂĽhrt. Er erreicht dies besonders auch dadurch, dass er
seinen Expositionen nicht selten längere oder kürzere Stellen
wichtigen Inhalts aus des Philosophen Schriften in wörtlicher
Uebersetzung hinzugefĂĽgt hat.
Der Auslegung des Systems selbst sind vorausgeschickt
zuerst eine Einleitung, welche die Literatur ĂĽber Spinoza zwar
nicht vollständig behandelt, was sie auch nicht beabsichtigt,
jedoch das Wesentliche geschickt zusamnienfasst; eine sehr
unterrichtende detaillirte Darstellung des Lebens und derCor-
respondenz des Philosophen, sowie eine Untersuchung ĂĽber
die Quellen seiner Lehre. In letzterer Beziehung unterscheid
det Herr Pollock ganz richtig bei Spinoza das judaistische,
neuplatonische Element von dem Cartesianismus : aus dem
ersteren leitet er die theologische, nach Pantheismus und
Mystik neigende Seite der Weltanschauung Spinoza's ab, aus
dem letzteren die physikalische und psychologische Theorie
desselben. Er hätte sich nur von dieser gewiss zutreffenden
Grundansicht aus auch bewusst bleiben sollen, dass Spinoza
den damit gegebenen Gegensatz von Transscendentalismus
und Naturalismus in seinem System mehr verdeckt, als inner-
lich ĂĽberwunden habe. Uebrigens erkennt der Verfasser den
Einfluss Bruno's auf die Genesis des Systems Spinoza's an
und bezeichnet vortrefflich die Umbildung, welche dieser mit
der Psychologie Descartes* vorgenommen hat. In der Expo-
sition der Lehre Spinoza's selbst beginnt er mit der Methodik,
welche an der Hand des Tractatus de emendatione int. dar-
gelegt wird; das System selbst wird den fĂĽnf BĂĽchern der
Ethik entsprechend in fĂĽnf Kapiteln abgehandelt, welche cha-
rakteristisch die Ueberschriften haben: 1) von der Natur der
Dinge (statt de deo), 2) Leib und Seele (statt de natura et
origine mentis), 3) die Natur des Menschen (statt de origine
et natura affectuum), 4) die Knechtschaft des Menschen, 5) die
Befreiung des Menschen. Was nun die Lehre von der gött-
lichen Substanz angeht, so genĂĽge die Bemerkung, dass der
Verfasser dieselbe zwar im Allgemeinen mehr vom naturali-
stischen Gesichtspunkte aus betrachtet, gleichwohl aber nicht
366 Fred. PoUoek: Spinoza.
umhin kann, auch ihre idealistischen Consequenzen in Erwä-
gung zu ziehen, wie aus mehr als einer seiner Bemerkungen
hervorgeht. Um so weniger war denn auch der Satz aufzu-
stellen, dass Spinoza zwar die Theologie nicht ignorire, aber
eine Euthanasie fĂĽr sie bereite, indem er die speculative Theo-
logie in Philosophie aufgehen lasse. Von Spinoza ist die
Theologie gerade speculativ behandelt, nicht aber in natura-
listischen Atomismus zerstäubt worden, hi der psychologi-
schen Betrachtung fĂĽhrt Herr Pollock die Lehre des von Spi-
noza aufgestellten Parallelismus, dem dieser wohl hauptsächlich
die Gunst heutiger Psychologisten zu verdanken scheint, im
Näheren durch, macht jedoch auch auf die sich dabei aufdrän-
genden Schwierigkeiten aufmerksam. Was aber das Prindp
der Selbsterhaltung anbetrifft, von dem der Verfasser sagt,
dass Spinoza es von Descartes ĂĽbemommnn habe, ohne sich
um andere Vorgänger zu bekümmern, so möchte Ref. doch
in dieser Hinsicht noch an Hobbes erinnern, welcher dasselbe
in ganz ähnlichem Sinne, wie Spinoza, zum Fundamait der ethi-
schen Betrachtung gemacht hat und dessen Affectenlehre nebst
ethischer Theorie so ungemein viel BerĂĽhrungspunkte mit der
Spinoza's zeigt, dass mau wohl einen Zusammenhang beider
annehmen muss, wie ein solcher ja fĂĽr die politische Doctrin
auch schon anerkannt ist. Jedenfalls darf angenommen wer-
den, dass die Vergleichung Spinoza's mit Hobbes weiter fĂĽhrte
als mit Mr. Herbert Spencer, dessen Meinungen in Spinoza
hineinzuinterpretiren ein fruchtloses BemĂĽhen ist Dass Hen
PoUock kein grösseres Gewicht auf die Beziehung bdder Phi-
losophen zu einander (ich meine Spinoza und Hobbes) gelegt
hat, erscheint um so wunderbarer, als er doch die Verglei-
chung des ersteren mit den Stoikern bald nachher so gut
durchfĂĽhrt. Eines der interessantesten Kapitel ist sodann das,
welches von Spinoza's Politik handelt (the Citizen and the
State), während sich Ref. mit der Auffassung des Verfassers
hinsichtlich der Ethik Spinoza's nur halb und halb einver-
standen erklären kann. Gibt sich doch Herr Pollock alle
Mühe, die von Spinoza »von der Körte Verhandeling an bis
zum fĂĽnften Buch der Ethik auf s Deutlichste ausgesprochene
Unsterhlichkeitslehre und dessen allerdings, wenn man will,
Fred. PoUoek: Spinoza. 367
mystisches Ideal von der Bestimmung des Menschen durch
kĂĽhne Auslegung wegzuschaffen. Wie wenig stimmt dies zu
Spinoza's wahrer Gesinnung! Was aber den Abschnitt „Spi-
noza and Theology" angeht, so macht dieser mehr den Ein-
druck eines void Standpunkte des heutigen, mit seiner esta-
blished church unzufriedenen englischen Radicalen geschrie-
benen Pamphlets als einer objectiven Darlegung der theolo-
gisch kirchlichen Gesichtspunkte Spinoza's, welcher, wie
doch Herr Pollock ganz richtig hervorhebt, fĂĽr die grosse,
zum freien Denken unfähige Masse allerdings positive Dogmen
fordert. Das letzte Kapitel des Werkes, Spinoza and modern
thought, gibt eine kurze Uebersicht der Schicksale der Spino-
zaischen Philosophie, wobei von ihrer nächsten Wirkung in
den Niederlanden begonnen und nach einer kurzen, wenig
zutreffenden Bemerkimg über das Verhältniss Leibnizen's zu
Spinoza der allgemeine Einfluss, welchen sie seitdem auf das
europäische Denken ausgeübt hat, in's Auge gefasst ist. Nach
einigen recht interessanten Notizen ĂĽber die Beurtheilung Spi-
noza's Seitens englischer Philosophen wird dessen Wiederbele-
bung durch Lessing hervorgehoben und eine Heihe zum Theil
recht feiner und auch fĂĽr uns Deutsche lehrreicher Bemer-
kungen ĂĽber Kant*s, Goethe's und Coleridge's Beziehungen zum
Spinozismus gemacht, die um so mehr mteressiren, als
der Verfasser weder Danzel's Schriften, noch die das Ver-
hältniss Eant's zu Spinoza so sehr beleuchtende Schrift Die-
terich's (Kant und Newton, Anm.) zu kennen scheint. Was
ĂĽbrigens Deutschland anbetrifft, so darf bei aller Anerkennung
der Bestrebungen Auerbach's doch zur Steuer der Wahrheit
nicht verschwiegen werden, dass Spinoza's Ruhm unter uns
nicht sowohl Auerbach's, als nach Lessing vor Allen Schelling's,
Schleiermacher's, und ganz besonders Hegel's Verdienst ist. Den
Beschluss des Werkes machen einige Anhänge, von denen der
erste, die englische Uebersetzung der Goler'schen Lebensbeschrei-
bung enthaltende, ausdrücklich erwähnt werden mag, sowie
6iĂĽ genauer Index, welcher von dem reichen Inhalt des Bu-
ches Zeugniss ablegt.
C. Schaarschmidt.
368 Litteraturbericht.
Littentirberieht
Ethik« Katechismus der Sittenlehre. Vod Friedrieh Kirchner, Leipzig,
J. J. Weber. 1881. (VIII., 257 S.) 8*.
Diese kurzgefasste, in populärer Darstellung gegebene Ethik gehört
dem Yon der Weber'schen Buchhandlung herausgegebenen Cyclus von sog.
Katechismen an, zu dem Dr. Fr. Kirchner schon einen und andern Bei-
trag geliefert hat. Der vorliegende zeichnet sich durch Reichhaltigkeit
des Inhalts aus. wie sihon das Register der behandelten Begriffe ergibt;
auch sind die Eintheilung des Stoffes und die Darstellung selbst wegen
ihrer Uebersichtlichkeit und Klarheit zu loben. Es muss dem Verfasser
ferner nachgerĂĽhmt werden, dass er in dieser an Gontroversen so reichen
Materie sich fast überall selbstständig einen Weg gebahnt hat und meistens
bei Resultaten angelangt ist, die wenigstens nach der Ansicht des Ref.
das Richtige vertreten. Namentlich sei hervorgehoben, dass er den heut zu
Tage von den Ethikern fast allgemein angenommenen Determinismus
tapfer bekämpft und dagegen denjenigen Indeterminismus vertritt, welcher
die alleinige Basis fĂĽr eine gesunde Sittenlehre liefern kann '). Ebenso hat
er, was ja mit der eleutheriologischen Fassung des menschlichen Wesens
eng zusammenhängt, in der Entwicklung der ethischen Prinzipien selbst
dem Idealismus und Rationalismus ausgiebig Rechnung getragen, wenn er
dabei auch das Moment des GefĂĽhls hier und da zu einseitig hervorhebt.
Andererseits lässt sich wieder nicht verschweigen, dass der Verfasser es
bei seiner lebhaften, in aller KĂĽrze viel umfassenden Exposition mitunter
an der gehörigen Gonsequenz seiner Aufstellungen fehlen lässt, dass
er wohl auch Dinge zusammenbringt, die nicht zusammen gehören und in
der Kritik seiner Vorgänger und Autoritäten, z. B. Kants und Spinoza's,
öfters recht desultoriscb, um nicht zu sagen ungerecht verföhrt. Einige
Mängel der angedeuteten Art lassen sich wohl durch die Kürze der Dar-
stellung entschuldigen, andere aber nicht, wie wenn der Verfasser, um
nur ein Beispiel hervorzuheben, die unglĂĽckselige Schleiierm acher 'sehe Ein-
theilung der sittlichen Thätigkeit in eine «organisirende" und eine ,sym-
bolisirende" adoptirt und unter die Letztere auffallenderweise nicht nur
Philosophie und Wissenschaft, sondern später sogar auch die thätige
Menschenliebe und Selbstverleugnung fasst, was doch nicht zu billigen ist.
Was im Näheren die Eintheilung des vorliegenden Katechismus der
Ethik anbetrifft, so hat der Verfasser zunächst in der Einleitung den Be-
griff der Ethik, ihr Verhältniss zu den andern Wissenschaften, ihren Um-
1) Der richtig verstandene Indeterminismus erschöpft sich nicht, wie
von Hartmann sagt, in der Negation der Wahrheit des Determinismus.
Der rechte Indeterminismus leugnet nicht, dass jeder Wiilensact motivirt
sei; er leugnet aber, was der Determinismus behauptet, die von vorn-
herein feststehende Bestimmtheit der WillensbeschlĂĽsse und Handlungen
durch naturgesetzlich erfolgende Motivation. Dagegen behauptet er,
dass der selbstbewusste Mensch Herr seiner Motive, insofern ihnen gegen-
ĂĽber frei und eben deswegen fĂĽr seine EntschlĂĽsse und Handlungen ver-
antwortlich sei.
Litteraturbericht. 369
fang and ihre EiDtheilung festgestellt, sodann in einem allgemeinen Tbeil
die «Voraussetzungen* der Wissenschaft« erörtert. Er sucht mit Recht
zuerst eine metaphysische Grundlage zu gewinnen ; legt aber mit gleichem
Recht besonderen Nachdruck auf die anthropologischen Voraussetzungen,
die das Wesen des Willens und des Handelns, sowie insbesondere das der
Freiheit betreffen. In einem zweiten, theoretischen Theil werden sodann
die ethischen Grundbegriffe in Betracht gezogen und wird die GĂĽterlehre
dargestellt; im dritten, praktischen Theil empfangt endlich die „sittliche
Persönlichkeit* ihre wahren Bestimmungen, zunächst ihrem , Werden* nach,
was die Pfiichtenlehre, sodann ihrer , Vollendung* nach, was die Tugend-
lehre ergibt. Den Abschluss macht die Lehre vom Charakter. — Die
Abschnitte von der anthropologischen Voraussetzung der Ethik, von den
sittlichen GĂĽtern und von der Tugendlehre sind nach des Ref. Ansicht
am besten gelungen und enthalten viel Gutes; weniger die metaphysische
Grundlegung, wobei zwar weit ausgeholt wird, aber das Wesen und Wir-
ken der , absoluten Vernunft* und der „objectiven Zweckmässigkeit* im
Kosmos nicht ausreichend begrĂĽndet scheint, wie doch grade gegenĂĽber
dem heut zu Tage sich so sehr spreizenden Positivismus und Agnosticismus
vonnöthen gewesen wäre. Insbesondere wird aber der Verfasser bei
einer zweiten Auflage, die wir dem BĂĽchlein wĂĽnschen wollen, darauf Be-
dacht nehmen müssen, einmal das Verhäjtniss des sentimentalen zum rationel-
len Elemente in der BegrĂĽndung der ethischen Prinzipien klarer zu stellen,
sodann die Beziehung der Religion zur Sittlichkeit, die er doch mit Recht
ins Auge fasst, näher zu erläutern, als es diesmal geschehen ist.
G. S.
Heber das Wesen der Liebe* Von Gustav TeichtnĂĽĂĽer, Professor der
Philosophie an der Universität in Dorpat. Leipzig, Dunker und Hum-
blot, 1879.
Diese geistreiche Schrift will nach der Vorrede das bloss Fachmännische
und Gelehrte meiden, um jedem Höhergebildeten zugängUch zu sein. So
wenden sich diese Untersuchungen auch nur an den auserwählten Kreis
der Gebildeten, welchen das Denken BedĂĽrfniss und Genuss ist. Nach
Feststellung der Aufgabe bringt der Verf. im ersten Theil die Kritik der
früheren Erklärungsversuche, die er iu empirische und speculative unter-
scheidet. Der zweite Theil formuhrt seine eigene Theorie, die er in
die vier Abschnitte : Gattungsbegriff, Artbegriff, Division, die Gegenstände
der Liebe gliedert. Was der Verf. über die empirischen Versuche vorträgt,
ist, wiewohl nicht erschöpfend, doch interessant und gipfelt in einer
schönen Würdigung der Liebe, — Lehre des Apostels Paulus. Die spe-
culativen Versuche theilt er etwas lose in die drei Gruppen der rathlos
philosophirenden, der theologisirenden Denker und der strengereu Philo-
sophen. Es ĂĽberrascht, Kant und Schopenhauer iu die erste Gruppe ge-
stellt zu finden. Aber der Verf. rechtfertigt die Anklage der Rathlosigkeit
der beiden Philosophen rücksichtlich der höchsten Fragen durch die
Nachweisung von WidersprĂĽchen deren sie sich schuldig gemacht haben,
Philosoph. MoDatshefte 1881, VI. 24
370 Bibliographie.
die nicht zu widerlegen ist. Kant's Lehre vom Ding an sich und der
Erscheinung ist Widerspruch voU,^ seine Moralprincip ist haltlos. Der Verf.
sagt ganz mit Recht: ,, Von Kant können wir nichts lernen über das Wesen
der Liebe, da er jede mit Neigung vollzogene Handlung für verdächtig
oder schlecht erklärt." Noch weit übler ftndet der Verf. die pessimistische
Romantik Schopenhauer's bestellt, bei welcher die Liebe als Mitleid die
Aufgabe habe, die Welt und sich selbst fortzuschaffen, wodurch sie sich
selbst aufhebe. Ed. v. Hartmann's „Philosophie" sieht der Verf. als ein
interessantes Nachspiel Schopenhauer's an, das, auf den Hedonismus des
Aristipp und Hegesias zurĂĽckfalle und durch Rhetorik Begriffe zu er-
setzen suche. Die theologisirenden Denker sind ihm Fichte, Schelling und
Schleiermacher, deren speculative Kraft ihnen daraus erwachsen sei, dass
der griechische Genius mit dem Anfang des Jahrhunderts wieder erwacht
sei. Sie hätten aber dadurch nur die alte griechische Philosophie, wenn auch in
schlackenförmiger Oestalt, wieder gewinnen können. Diese Auffa.ssung mag fQr
H. und Schi, nach vorherrschender Auffassung zutreffend erscheinen, —
sicherlich aber nicht auf Fichte und Schelling, welche im Verlauf ihrer
Entwickelung fraglos zur Anerkennung der persönlichen Unsterblichkeit
sich erhoben haben'), von welcher nach TeichmĂĽller Piaton nichts ge-
wusst haben soll *). Mochten Fichte's und Schelling's Methoden und Be-
griffe der Verbesserung sehr bedĂĽrftig geblieben sein, als philosophisch
werthlos (obgleich tiefsinnig) sind sie darum doch nicht mit dem Verf.
zu bezeichnen.
Hegel gilt dem Verf. als ein Uebergang von den theologisirenden zu
den methodischen (strengeren) Denkern. Man könnte dem beistimmen,
wenn nur der Vorzug des Dringens auf philosophische Methode nicht wieder
verloren ginge durch EinfĂĽhrung des W^iderspruchs als berechtigten Moments
zur Erzielung der Erkenntniss und durch die durchaus verfehlte Bedeutung,
welche dem Allgemeinen im Verhältniss zu dem IndividueUen zugeschrieben
wird, welche vom Verf. selber gerĂĽgt werden musste, und zwar auch darum
gerügt werden musste, weil ihre Annahme jede Erklärung der Liebe un-
möglich machen würde. Richtig sagt daher der Verf.: „Die Thatsache
der individuell sich von einander fĂĽr immer abschliessenden Existenzen
kann er (Hegel) nicht erklären und" darum auch die Liebe nicht, welche
sowohl als Tendenz zur Vollkommenheit, als auch in der realen Gemein-
schaft der gebenden Liebe nicht eine logische Aufhebung des IndividueUen
1) Vgl. die Unsterblichkeitslehren Fichte's und Schelling's im VI. Bande
der Philosophischen Schriften des Referenten.
2) Dem Aristoteles scheint Teichmüller die Unvergänglichkeit der
individuellen Wesen zuzuschreiben, wenn er im III. Heft seiner Neuen
Studien zur Geschichte der Begriffe S. 409 ihn eine unzählbare Menge
von irdischen (sublun arischen) Naturen, die neben einein ander in endlosen
Reiben existiren, annehmen lässt, mit dem Zusätze: ,, Keine von diesen
Naturen hat einen Anfang und keine ein Ende*. Man muss doch wohl
diess auf alle sublunarisch individuellen, folglich auch auf die geistigen,
beziehen.
Litteraturberichl. 371
in's Allgemeine ist, sondern eine Anerkennung des Individuellen und eine
ReaĂĽsirung des Allgemeinen im ewig Individuellen erfordert/'
Man hätte nun erwarten sollen, dass der Verf. etwa noch auf Leibniz
zurQckgehen und dann wenigstens Herbart und Lotze — als strengere
Philosophen — berücksichtigen werde. Denn diess war vorauszusehen,
dass von Baader, Krause, Trendelenburg, Weisse, J. H. von Fichte etc.
ĂĽberhaupt nicht die Rede sein werde, als ob sich nicht gerade bei diesen
Philosophen theils Tieferes, theils Anregenderes über die Liebe fände,
als der Verf. bei Kant, Schopenhauer, v. Hartmann und Hegel finden
konnte. Anstatt also wenigstens auf Leibniz, Herbart und Lotze einzu-
gehen, wird noch nach Hegel zurĂĽckgreifend von Aristoteles und Piaton
gef^rochen. Aristoteles hat nach ihm eigentlich nur die Selbstliebe er-
kannt, dem die meisten Philosophen, wie auch Spinoza gefolgt seien,
während Piaton, den Aristoteles nur halb begriffen habe, von allen früheren
das Wesen der Liebe am Tiefsten und Reichsten erfasst habe. Erst das
Christenthum habe eine Weltauffassung gegeben, welche die historische
und individualisirende Richtung des Judenthums mit der universalisirenden
griechischeu verknüpft und dadurch beide weit übertroffen habe. — Wohl,
aber zunächst nicht in Form der Philosophie.
Im zweiten Theil seiner Schrift wendet sich der Verf. zur T h e o r i e der Liebe.
Im ersten Abschnitt: Gattungsbegriff der Liebe, geht er von der Behauptung
aus, die Liebe sei unbewusst und von dem ft'eien Willen unabhängig, erörtert
das Verhältniss von Trieb, Wille und Begehren und untersucht die metaphysi-
schen Voraussetzungen der Liebe. Das Ergebniss dieser Untersuchung ist
grundbestimmend für alles Folgende. Wäre die Welt, wird hier gezeigt, ihrer
Natur nach nicht von einer bestimmten Beschaffenheit, so könnte es
keine Liebe geben. Z. B. setzten wir, die Welt bestände aus lauter mate-
riellen Atomen oder aus immateriellen Herbart'schen Realen, die ein jedes
unbedingt selbstständig und unveränderlich sind, so könnte jes keine
Liebe geben; denn die Liebe setzt eine innerliche Beziehung des einen
auf das andere voraus. Mithin muss der Atomismus ^) eine falsche Welt-
auffassung sein, wenn es wirklich Liebe in der Welt gibt. Ebenso falsch
ist sicherlich der (d. h. jener) Pantheismus, der die einzelnen Erscheinungen
oder deren Träger fdr verschwindende Lebensmomente des Einen Absoluten
hält; denn die Liebe erfordert die Trennung und Gemeinschaft der Lieben-
den, aber keine Identität. Aus diesen wichtigen Behauptungen hebt nun
der Verf. heraus, dass die metaphysischen Wesen eine Vielheit bilden
mĂĽssen, dass aber die Vielheit der Wesen nicht das letzte Wort der Er-
klärung sein kann, „denn a priori ist bloss, dass Vielheit selbst schon eine
Einheit des Begriffs ist". Wenn aber die qualitativen Bestimmungen
der Vielen immer Beziehungen zu dem Andern verlangen, so verlangen
sie schliesslich eine Einheit des Ganzen in dem Begriffe der Welt. Da
die innere Nothwendigkeit der Beziehung auf Anderes Trieb ist, der Trieb
1) Nämlich der absolute (materiale) Atomismus, der mit dem Materia-
tismos in Eins zusammenfällt.
372 Litteraturbericht.
aber der nächste Gattungsbegriff oder das Wesen der Liebe selbst, so er-
fordert der Begriff der Liebe die Einheit der Welt als einer Vielheit der Wesen.
Das Wesen des Triebes und der Liebe erscheint nun dem Verf. als die innere
Nothwendigkeit der Beziehung jedes Individuellen auf Anderes und aus
der Unmöglichkeit der IsoHrung folgt ihm, dass die Liebe nichts zufälliges
ist, sondern metaphysische Natur aller Wesen, wonach es nichts gibt,
was nicht irgendwie einem Triebe oder der Liebe folgte, weil jede denk-
bare Lebensäusserung eine innere Nothwendigkeit der Beziehung auf
Anderes einschliesse. Daher steht nach dem Verf. Alles im Universum
in Harmonie und die Welt bildet noth wendigerweise ein Goordinatensystem,
dessen Verwirklichung nicht von einem fremden Sollen abhängt, sondern
das sich durch die natürliche Nöthigung in dem Innern jedes Wesens,
d. h. durch Liebe vollzieht. Daraus entspringt aber eine zweite metaphy-
sische Erkenn tniss, dass nämlich das unleugbare Streben des Menschen
nach Vervollkommnung in jedem als Anlage, als Potenz, die wirkliche
Thätigkeit ist, liegen muss. Das erstrebte Vollkommene ist mit Piaton
Idee zu nennen und zuhöchst eins mit dem Göttlichen, mit Gott selbst.
Die schon auf Vollkommenheit gerichtete Selbstliebe ist mithin Liebe zur
Idee, zu Gott, und besteht in der Entbindung, Lösung und Befreiung
unseres eigenen Wesens in Ueberwindung der coordinirten äusserlichen
Reize, womit die innere Freiheit errungen wird. Die Analyse der Selbst-
liebe fĂĽhrt daher mit Nothwendigkeit zum Idealismus.
Besagt die erste metaphysische Erkenntniss, dass die Liebe als innere
Nöthigung zur Beziehung auf Anderes die Welt als ein Goordinatensystem
fordert, verlangt die zweite metaphysische Erkenntniss, dass die Liebe den
teleologischen Idealismus involvirt und die Freiheit des Göttlichen in uns
zum Ziele hat, so ist nothwendig unsere eigene Entwickelung mit der
Entwickelung der ĂĽbrigen Wesen verknĂĽpft und coordinirt, und es ergibt
sich die Idee von einem System der Welt, in welchem nach einer bestinmiten
Ordnung unsere Befreimig mit der Vervollkommnung aller Dinge zugleich
fortschreitet. In diesem edien Idealismus wird der Verf. auch nicht ge-
stört und beirrt durch die Einwendungen und Hinweisungen der Pessimisten
auf die FĂĽlle der Uebel und der Leiden der lebenden Wesen, die ihren
Gipfel im Menschen erreiche. Seine Abwehr wĂĽrde wohl durchschlagender
wirksam geworden sein, wenn er die ethische Nothwendigkeit der göttlichen
Zulassung der Möglichkeit des physischen und moralischen Uebels und die
Freiheit und Zurechnungsfähigkeit der geistigen Wesen schärfer hervorge-
hoben und fester begründet hätte. Diese Bemerkung tritt aber keineswegs der
Aeusserung des Verf. entgegen, die er in die Worte kleidet: „Der kindisch
kurzsichtige Pessimismus entspringt aus der Sehnsucht nach einem weich-
lichen Optimismus. Man vrill das Glück, das Gute und das Schöne und
die Lust; man will «dies Alles, aber wie in dem Schlaraffenland ohne Sinn
und Verstand, ohne Thätigkeit und ohne Werth.* Der zugemessene Raum ge-
stattet uns nicht dem Verf. in den folgenden Abschnitten: Artbegriff der
Liebe, Division der Liebe — mit den Unterabtheilungen —, die Gegen-
stände der Liebe, die Liebe zu Beschäftigungen, die Liebe zu leblosen
Litteraturbericht. 373
Dingen, die Liebe zu Personen, der Realismus der Liebe und Egoismus,'
in 's Einzelne zu folgen. Wir mĂĽssen uns begnĂĽgen, die Gonsequenz und
den Reich tbum guten Theils tiefer Gedanken, womit der Verf. den be-
zeichneten theistisch-monadologischen Standpunkt durch alle Detailunter-
suchungen hindurchfflhrt, rĂĽhmend hervorzuheben, ohne darum zu ver-
schweigen, dass uns eine Reihe von Fragen, aus denen wir nur die
Schöpfungsfrage, die Frage nach der Unendlichkeit oder Endlichkeit von
Zeit und Raum, die Willensfreiheit und Zurechnungsfrage, die Frage nach
der Vollendbarkeit des Weltalls etc. erwähnen, nicht befriedigend erledigt
zu sein scheinen. Die ganze Schrift kann als ein Excurs der Psychologie mit
Hereinziehung metaphysischer Momente angesehen werden, welche letztere
das Verlangen nach einer ausgefĂĽhrten Metaphysik des geistreichen Verf.
rege machen, in welcher die philosophischen Aufstellungen desselben
erst ihre volle Begründung finden könnten.
Franz Hoffmann.
SeliopeiĂĽuuier'8 Pbllosopliie der Tragoedie. Von August SiebmliBt.
Pressburg und Leipzig, Verlag von Carl Stampfel. 1880. {XIV., 447 S.) 8*.
Hätte der Verfasser seinem Buche etwa den Titel gegeben: „Die tra-
gische Literatur, ein Zeugniss fĂĽr Schopenhauer's Pessimismus", so dĂĽrfte
er den eigentlichen Charakter desselben zutreffender und bestimmter be-
zeichnet haben. Denn seinen Umfang bekam es wesentlich dadurch, dass
die zerstreuten Bemerkungen Sch.'s, die alle ihre Wurzel in seiner be-
kannten metaphysischen Hypothese haben, durch die ganze Breite alter
und modemer Tragik „belegt" wurden. Dazu kommt ein ganz erschreck-
licher Citatenreichthum, wohl so ziemlich alle einschlägigen Autoren von
Aristoteles bis zum bescheidensten Verfasser eines Schulprogramms herab
umfassend. Wem nun, wie dem Ref., in philosophischen Dingen der
Autoritätenbeweis überhaupt als der schwächste gilt, den muss vollends
bei solcher Hochfluth einander jagender nnd Gott weiss aus welchen Zu-
sammenhängen gerissener Einstimmungszeugnisse eiiie Art von Seekrank-
heit beschleichen. FĂĽr ein philosophisches Publikum freilich, das vor
allem Gonsequenz der BegrĂĽndung, Denknothwendigkeit der Behauptungen
â–Ľerlangt und nicht die Zahl der Namen wissen will, die einer Meinung
beistimmen, scheint das Buch ĂĽberhaupt nicht berechnet, sondern fQr die
täglich sich mehrende Pessimistengemeinde, deren Glauben zu kräftigen
das Buch' in der That geschickt und weltschmerzbegeistert genug geschrie-
ben ist. Es zerföllt in acht Abschnitte, deren erster Begriff und Efedeutimg
der Tragoedie erörtert. Diese führe die innere Bedeutung, das Wesen
der Welt als der denkbar schlechtesten vor, und darum sei Resignation,
Verneinung des Willens zum Leben ihre Wirkung, eine Bestimmung, deren
Uebereinstimmung mit der Aristotelischen xa&aQĂĽig der 2. Abschnitt dar-
ZQthun sich abmĂĽht. Der 3., Gonception und Stoff ^er Tragoedie behan-
delnd, bespricht hauptsächlich den Werth der sog. bürgerlichen Tragoedie
und die viel ventilirte Anlage der Eatastjophe in Lessing's Emilie Galotti.
^ 4. folgt eine breite Darlegung der auf Kant's Unterscheidung zwischen
374 Litteraturbericht.
'dem empirischen und intelligibeln Charakter fassenden Ansichten Sch/s
ĂĽber Charakter ĂĽberhaupt, ĂĽber die fĂĽr 's Trauerspiel tauglichen Charak-
tere (Auseinandersetzung mit Aristoteles' XQI^^^ ?^^)> ^^^^ Constanz und
Consequenz der tragischen Charaktere, endlich den nothwendigen Gonnex
zwischen Charakter und Handlung, zwischen sittlicher Schuld und tragi-
scher SĂĽhne, den der Verf. unter Berufung auf die monistische Tendenz
der Sch/schen Philosophie, kurz als , Gesetz des tragischen Monismus*
bezeichnet und als den eigentlichen metaphysischen Kern aller wahren
Philosophie der Tragoedie betrachtet. An Stelle einer BeweisfĂĽhrung
tritt natĂĽrlich auch hier die magische Beleuchtung, welche durch das
Licht jenes Satzes das Leben der Menschen und dessen Abbildung auf
der Bühne erfahren. Diesen längsten Abschnitt schliesst der Versuch,
duich Sch.'s Metaphysik der allerdings oft genug höchst philiströs Ter-
standenen Forderung nach „tragischer Gerechtigkeit** einen tieferen Sinn
abzugewinnen. Die ĂĽbrigen Abschnitte, welche die Composition der Tra-
gödie, Gedanken und Sprache, Unterschiede zwischen der antiken und
modernen Tragoedie behandeln und Urtheile ĂĽber einzelne Dichter brin-
gen, geben dem gelehrten Verf. Gelegenheit, seine reiche Literaturkennt-
niss zu zeigen, verlieren sich aber so sehr ins Detail, dass ein knappes
Referat nicht zu folgen vermag. Wem geistreich und philosophisch fĂĽr
identisch gilt, der wird auch an diesen Detailfragen die Fruchtbarkeit der
Seh .'sehen Philosophie erprobt sehen.
WĂĽrzburg. Dr. G. Neudecker.
Carl Nohle. Die Staatslehre Plato's in ihrer geschichtlichen Entwicklung.
Jena, Ed. Frommanu. 1880. (XX., 169 S.) 8^
Der Zweck des lebendig geschriebenen und geschickt angelegten
Werkes ist vornehmlich, die Principien, welche dem politischen Haupt-
werk Plato's zu Grunde liegen, in ein helleres und richtigeres Licht zu
setzet); als dies nach Ueberzeugung des Verfassers bis jetzt geschehen ist
Um aber für diese Aufgabe die nöthigen Voraussetzungen zu gewinnen,
untersucht er zunächst in eingehender Betrachtung die allmälige Ausbil-
dung der politischen Theorien des Philosophen. Der Hauptgedanke, auf
den beim Ganzen die Erörterungen abzielen, ist der, daiss der platonischen
Staatslehre mit Unrecht eine UnterdrĂĽckung oder doch ZurĂĽcksetzung der
Individualität zugeschrieben werde. „Wir sind der Meinung, dass im
platonischen Staate der Egoismus der Individualität in keiner Weise eine
Schädigung erleidet, dass jeder Theil des Ganzen allein durch das Motiv
der Selbstsucht dazu getrieben wird, diejenige Funktion möglichst vor-
trefflich und mit ErfĂĽllung aller dabei nothwendigen Bedingungen aus-
zuüben, welche ihm in dem Mechanismus des Ganzen zufällt. Nicht das
Allgemeine ist im letzten Grunde gesetzgebend, sondern der Wille des
Einzelnen.
Solche Auffassung scheint uns nur bei Verkennuug der Prinzipien
platonischer Philosophie möglich, und was der Verfasser an Beweisgrün-
den fĂĽr sie vorfĂĽhrt, wird, schwerlich Jemanden ĂĽberzeugen. Es kommt
Litteraturbericht. 375
UDS vor, als sei die ganze These weit weniger ans den an und fQr sich
durchaus tflchtigen historischen Studien des Verfassers hervorgegangen
als aus einer Hineintragung modern positivistischer Begriffe und Gesichts-
punkte in den Gegenstand. Von da aus ist aber unseres Erachtens
weder ein philosophisch tiefes noch ein historisch zutreffendes Begreifen des
grossen Philosophen möglich. Ist es z. B. wohl richtig, wenn der Ver-
fasser bei einer PrĂĽfung der ethischen Systeme auf den Gegensatz zwi-
schen Egoismus und Altruismus, der nach seiner Uel^erzeugung die Ge-
schichte der Ethik bewegt, das ganze Alterthum dem Egoismus zurechnet?
Darf man die Eudflmonie eines Plato und Aristoteles mit ihrer Unter-
ordnung der Lust unter einen objektiven Lebensgehalt und das, was ein
Hobbes unter Glück versteht, im «Wesentlichen auf eine Linie stellen? —
Jedoch das Buch geht durchaus nicht in jene eine These auf; es
enthält nicht nur in seinen historischen Ausführungen manches Treffliche,
sondern es bekundet auch in dem Philosophischen eine gewisse Präcision
und Energie des Denkens, namentlich verdient die Art, wie das Mannig-
fache des Stoffes verbunden und bestimmten klar angegebenen Zielen
untergeordnet wird, unumwundene Anerkennung. Wir wĂĽrden uns freuen,
wenn wir den Verfasser auch kĂĽnftig auf dem Gebiete der alten Philoso-
phie thätig fänden, und noch mehr freuen, wenn wir ihn dann ganz be-
freit fänden von jenen engen positivistischen Begriffen, die dem Gelingen
des vorliegenden Werkes im Wege gestanden haben.
Neu eingegangene Schriften.
Levy, A., Morceaux choisis des philosophes allemands modernes.
Tis so t, J., Essai de Philosophie natureUe T. L
Pfleiderer, Edm., Kantisoher Kriticismus und englische Philosophie.
Neudecker, G., Das* Grundproblem der Erkenntnisstheorie.
Guy au, M.. Vers d'un philosophe.
Hess, G., Abriss der Psychologie.
Robin et, Philosophie positive. (Bibliothöque utile LXVL)
Renard, G., L'homme est il libre? (Bibliothäque utile LXVIL)
Bergmann, J., Das Ziel der Geschichte.
Betz, H. J., Ervaringswysbegeerte.
BernayS) Jac, Phokion und seine neueren Beurtheiler.
Du hoc, Jul., Der Optimismus als Weltanschauung und seine religiös
sittliche Bedeutung.
Mainzer, J., Die kritische Epoche in der Lehre von der Einbildungskraft.
Hayem, Arm., L'ötre social.
Heinze, Max, Bericht über die in den Jahren 1876—1880 erschienenen^
auf die nacharistotelische Philosophie bezĂĽglichen Schriften.
Bertram, H., Platon's Alkibiades I, Gharmides, Protagoras.
Bibliographie
von
Dr. F. Ascherson.
1* Ottammelt« Sdirlften. Encydopädle. Bibliographie. Vi scher, F. Th.,
Altes und Neues. ± Heft. 8. Stuttgart, Bonz und Comp. n. 5 M. —
Sigwart, G., kleine Schriften. 1. u. 2. Reihe. 8. Freiburg i. B.,
376 Biblio^aphie.
Mohr, ä n. 4 M. 50 Pf., geb. ä n. 5 M. 50 Pf. — Wem ich, A., die
Medicin der Gegenwart in ihrer Stellung zu den Naturwissenschaften
und zur Logik. 8. Berlin, G. Reimer, n. IM. — Vierteljahr s-
C a t a 1 o g aller in Deutschland erschienenen Werke aus dem Gebiete der
Theologie und Philosophie. Jahrg. 1881. 1. Heft. Jan. — Harz 8.
Leipzig, Hinrichs'sche Buchh., Verlags -Conto, pro 10 Exemplare ^ M.
40 Pf.
II. Zur Geftchichte der Philosophie. Leigh, Aston, the story of philosopby.
8. 6 s. — Märkel, P., Piatos Ideal-Staat. Dargestellt und mit beson-
derer RĂĽcksicht auf die moderne Zeit beurtheilt. 8. Berlin, Weid-
' mann'sche Buchh. n. 2 M. — Dupuis, J., le nombce geom^trique de
Piaton. 8. Paris, Hachette et Co. haar 1 M. 60 Pf. — Teich müller,
G., literarische Fehden im 4. Jahrh. vor Chr. 8. Breslau, Koebner. d.
8 M. — Susemihl, F., de Magnorum Moralium codice Vaticano 1341
4. Berlin, Galvary. n. 1 M. 20 Pf.* — Busse, A., de praesidiis Ari-
stotelis Politica emendandi. 8. Berlin, Mayer und MfiUer. n. 1 M. SO Ff.
— Ciceronis, M., Tullii, Cato major de senectute. Erklärt v. J. Som-
merbrodt. 9. Aufl. 8. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 75 Pf. —
Wester bĂĽrg, E., der Ursprung der Sage, dass Seneca Christ gewesen
sei. 8. Berlin, Grosser. 1 M. 50 Pf. — Moeller, W., über die Reli-
gion Plutarchs. Rede. 4. Kiel, Universitäts-Buchhandlung, n. 1 M. —
Ewald, P., der Einfluss der stoisch-ciceronischen Moral auf die Dar-
stellung der Ethik bei Ambrosius. 8. Leipzig, Bredt. n. 1 M. äO Pf. ~
Hau Schild. G. R., die rationale Psychologie und Erkenntnisstheorie
Tertullians. 4. Leipzig, Zangenberg und Himly. 1 M. 50 Pf. — Ha u-
r^au, B., Histoire de la philosophie scolastique. Seconde edition. Se-
conde pai-tie. Tome II. (dernier). 8. 8 fr. — Rieger, M., Dante.
(Samml. von Vorträgen. Herausg^eben von W. Frommel und F. Pfafif.
5. Bd. Heft 9. 10.) 8. Heidelberg, C. Winters' Universitäts-Buchhand-
lung, n. 1 M. — Weiss, J. H., Biographien berühmter jüdischer Ge-
lehrten des Mittelalters. 1. Heft. Rabbi Moses ben Maimon. 8. Wien,
D. Löwy. n. 1 M. — Descartes, Discours de la methode et premiöre
m^ditation. Nouvelle Edition par Victor Brochard. 12. 2 fr. — Philo-
sophical classics for english readers. Edited by W. Knight. Descartes.
By. J. P. Mahaflfy. fcp. 3 s 6d. — Spinoza 's B. de, kurzer Tractat von
Gott, dem Menschen und dessen GlĂĽckseligkeit. Auf Grund einer neuen
von A. van der Linde vorgenommenen Vergleichung der Handschriften
ins Deutsche übersetzt von G. Sigwart. ± (Titel-)Ausg. 8. Freiburg i. B.
Mohr. n. 2 M. — Pol lock. F., Spinoza. His life and philosopby, 8. 6s.
— Spie SS, E., Erhard Weigel, weiland Professor der Mathematik und
Astronomie zu Jena, der Lehrer von Leibniz nnd Pufendorf. Ein
Lebensbild. 8. Leipzig, Klinkhardt. n. 2 M. — Leibnizens und
Huygens' Briefwechsel mit Papin nebst der Biographie Papin's und
einigen zugehörigen Briefen und Actenstücken. Bearbeitet von E. Ger-
land. 8. Berlin, F. Dümmler's Verlag in Gomm. n. 13 M. 50 Pf. —
P beider er, E., Kantischer Kriticismus und englische Philosophie. Eine
Beleuchtung des deutsch-englischen Neu-Empirismus der Gegenwart als
Beitrag zum Gentenarium der Kritik der reinen Vernunft. 8. Halle,
Pfeffer, n. 2. M. 50 Pf. — Mainzer, J., die kritische Epoche in der
Lehre von der Einbildungskraft, aus Humes und Kants theoretischer
Philosophie nachgewiesen. 8. Jena, E. Frommann. n. 2 M. 40 Pf. — ,
Werner, K., Kant in Italien. 8. Wien. G. Gerolds Sohn in Gomm^
n. 4 M. — Frei, H., Aus Lessings Studenten jähren. Historisch-novelli
stische Skizze. 8. Zürich, Trüb'sche Buchh. n. 60 Pf. — Fürst, l'
Lessing's Nathan der Weise. Historisch und philosophisch erläutert.
8. Leipzig, Friedrich, n. 1 M. — Borgius, E., Lessing's Nathan und
der Mönch vom Libanon. 8. Barmen, Klein, n. 1 M. 20 Pf. — Feier,
Bibliographie. 377
die, von Leasings hundertjährigem Todestage zu Braunschweig. 8.
Braunscbweig, Schulbuchhandlung, haar 75 Pf. — Geist, H. zwei
Lessing-Feste gefeiert in der städtischen Bealschule. 1. Ordnung zu
Posen. 8. Posen, Rehfeld. n. 1 M. 50 Pf. — Sievers, O., Jean Paul
und seine Anschauung von Welt und Leben. Ein Vortrag. (Sammlung
gemeinverständlicher Vorträge und Abhandlungen wissenschaftlichen
Inhalts in zwanglosen Folgen. Nr. 3.) 8. Dessau, Barth, Separat-Gonto.
n. 50Pf. — Schopenhauer, A.. Aphorismes sur la sagesse dans la
vie. Traduit fr. pour la premiäre fois par J. Gantacuzene. 8. 5 fr. —
Plumacher, 0., zwei Individualisten der Schopenhauer'schen Schule.
8. Wien, Rosner. n. 2 M. 40 Pf. - Ferr6, P. M., degli universali
secondo la teoria rosminiana. 2 vol. 8. L. 8.
III. Zur phlloftophlsciieii WeHantchauung. Lichtstrahlen aus Ed. v. Hart-
mann's sämmtlichen Werken. Herausgegeben und mit einer Einleitung
versehen von M. Schneidewin. 8. Berlin, C. Duncker's Verlag, geb. n.
5 M. -^ Löber, R., alte Wahrheit in neuer Gestalt. 2. Bd. Sein und
Werden. 8. Gotha, Schloessmann. n. 6 M. geb. n. 7 M. 50 Pf. —
Helle nbach, L. B., Aus dem Tagebuche eines Philosophen. 8. Wien,
Rosner. n. 5 M. — Glaubensbekenntniss eines modernen Natur-
forschers. 3. Aufl. 8 BerHn, Staude, n. 50 Pf. — Foissac, P., le
mat^rialisme et le spiritualisme scientifiques ou les localisations c^rä-
brales. 2e ed. revue et augment6e. 8. 5 fr. — Hö eil, R., Was ist
Spiritismus oder Spiritualismus? 8. Leipzig, Mutze. 20 Pf . — Wies er,
J. F., der Spiritismus und das Christen thum. 8. Regensburg, Pustet,
n. 1 M. 20 Pf. — Spir und die Bedeutung seiner Philosophie für die
Gegenwart. Vortrag. 8. Leipzig, Findel n. 40 Pf. — Landsber^, J.,
volksthĂĽmliche Philosophie. 1. u. 2. Vorlesung. 8. Berlin, Issleib in
Comm. ä n. 50Pf. Inhalt: l. Die Erklärung. — 2. Der Urgeist. —
Schul tzky, G. M., das Quadrat der Bildung. Mathematisch- philoso-
phische Erwägungen. 8. Berlin, Tb. Grieben, n. 5 M. i
IV. Zur Erkenntnltstheorle und Logik. Spencer, H., first principles 4th
edition. 8. 16s. — N'eudecker, G., das Grundproblem der Erkenntniss-
theorie. 8. Nördlingen, Beck'sche Buchhandlung, Verlags-Gonto. n. 1 M.
40 Pf. — Hern an, C. F., die Erscheinung der Dinge in der Wahrneh-
mung. 8. Leipzig, Hinrichs^sche Buchbandl. Verlags-Gonto. n. 3 M. —
Jahn, M., die Zeitverhältnisse des Vorstellens und deren Wichtigkeit
für den Unterricht. 8. Leipzig, Brandstetter. n. 80 Pf. — Strümpell,
L., Grundriss der Logik oder dei' Lehre vom wissenschaftlichen Denken.
8. Leipzig, Böhme, n. 2 M. 80 Pf. — Jevons, W. Stanley, studies in
deduetive iogic. A manual for Students. Gr. 8. 6 s.
V. Zw Naturphllotphie^ Darwin 's, Gh., gesammelte Werke. Uebersetzt
von J. V. Garus. Lief. 91. 92. 8. Stuttgart. Schweizerbart'sche Ver-
lagshandlung ä n. 1 M. 20 Pf. [S. ob. S. 306.] — Darwin's. Gh., ge-
sammelte Werke. Auswahl in 6 Bänden. Lief. 2t u. 22, 23, 24, 25, 26.
8. Stuttgart, Schweizerbart'sche Verlagshandlung, an. 1 M. [S. ob,
S. 306.] — Darwin, Gh., das Bewegungsvermögen der Pflanzen. Aus
dem englischen ĂĽbersetzt von J V. Garus. 8. Stuttgart, Schweizerbart'-
sche Verlagshandlung, n. 10 M. — Perty, M., die sichtbare und die
unsichtbare Welt. Diesseits und Jenseits. 8. Leipzig, G. F. Wiuter'sche
Verlagshandlung n. 5. M. — Dollen, N. E., Perpetuum mobile oder
Welt, Erde und Mensch. Entwurf einer kosmologischen Stabilitäts-
Theorie. 8. Riga, Eymmel. n. 2 M. — Ueber cansalmechanische Ent-
stehung der Organismen. Von Pilgermann 8. Stuttgart, Metzler'sche
Buchhandlung, Verlags-Gonto in Gomm. 1 M. 50 Pf.
VI. Zur EtMk und Culturgetchlchte. Al^-Laprunc, L^on/ de la certitude
raorale. 8, 7 fr. 50 es. — Spencer, H., the study of sociology. Li-
brary edition. 9tb. edition. With postscript. 8. lOs. 6d.
378 Bibliographie.
VII. Zur Anthropologie und Ptydiologio. Archiv fĂĽr Anthropologie. Zeit-
schrift fQr Naturgeschichte und Urgeschichte des Menschen. Heraus-
gegeben von A. Ecker und L. Lindenschmit. 13. Bd. 3. Vierteljahrs-
hefl. 4. Braunschweig, Vieweg und Sohu. n. 24 M. — Beiträge zur
Anthropologie und Urgeschichte Bayerns. Red.: J. Ranke u. N. RĂĽdiger.
1. u. 2. Heft. 4. MQnchen, Literarisch - artistische Anstalt, pro cplL n.
24 M. — Zeitschrift für Ethnologie. Herausgegeben von R. Hari-
mann, R. Virchow, A. Voss. 13. Jahrg. 1. Heft. 8. BerUn, Parey. pro
cplt. n. 20 M. — Vorgeschichte, die, der Ethnologie. 8. Berlin,
F. Dümmlers Verlag, n. 2M. — Grüger, J., Grundriss der Psychologie
fĂĽr den Unterricht und die Selbstbelehrung. 2. Aufl. 8. Leipzig,
G. W. Körner Verlag. 1 M. 80 Pf. ~ Dronke, Beiträge zu einer Seelen-
lehre vom ethnographischen Standpunkte aus. 8. Trier, Lintz'scbe
Buchhandlung, Verlag n. 1 M. — Niemann; E.« das Recht der Indivi-
dualität. (Sammlung von Vorträgen. Herausgegeben von W. Frommel
und F. Pfaflf. 5. Bd. 6. Heft.) n. 80 Pf. — Sully, J., Sensation und
Intuition: Studies in Psychology and Aestbetics. 2nd. edition. 8.
lOs. 6d. — Besser, L., Was ist Empfindung? Vortrag. 8. Bonn,
Strauss. n. 1 M. — Harnisch, F. W., das Leiden beurtheilt vom the-
istischen Standpunkte. 8. Halle, Niemeyer, n. 2 M. — Home mann,
E., vom Zustande des Menschen kurz vor dem Tode. Aus dem Däni-
schen. 4. Abdruck. 8. Gotha, Schloessmann. n. 80 Pf. — Briefe,
ĂĽber die Unsterblichkeit der Seele mit einem Anhange merkwĂĽrdiger
Träume, Ahnungen und Erscheinungen. 2. Aufl. 8. Erlangen, Deichert.
n. 2 M. 80 Pf. — Hildebrandt, F. W., der Traum und seine Ver-
werthung fürs Leben. 8. Leipzig, Gebrüder Senf. n. 50 Pf. — Bäum-
leV, Gh., der sogenannte animalische Magnetismus oder Hypnotismus. 8.
Leipzig, F. C. W. Vogel, n 2M. — Preyer, W., die Entdeckung des
Hypnotismus. 8. Berlin, GebrĂĽder Paetel n. 2 M. 50 Pf.
VIII. Zur Rellgionspiillotophle. Vorträge, wissenschaftliche, über religiöse
Fragen. 4. Sammlung. 8. Frankfurt a. M., Diesterweg. n. 1 M. 40 Pf.
— Kaftan, J., das Wesen der christlichen ReUgion. 8. Basel, Bahn-
maiers Verlag, n. 8 M. — v. Hagen, E., kritische Betrachtung der
wichtigsten Grundlehren des Ghristenthums. 8. Hannover, SchĂĽssler.
n. 4 M.
IX. Zur Philosophie der Gotchlcbto. Nerva, S. E., Dieu dans les cieux,
dans la nature et Thumanit^, ou la Philosophie positive de Thistoire.
Edition augment^ d*une exposition sommaire de la doctrine de Tauteur.
8. 10 fr.
X. Zur Sprachphllotophle. Steinthal, H., Abriss der Spracfaphilosophie.
1. Theil. Die Sprache im Allgemeinen. 2. Abtheilung. 8. BerUn,
DĂĽmmler's Veriagsbuchh. n. 1 M. 50 Pf. [S. ob. S. 123.] Zu-
sätze zur 1. Aufl. der Einleitung in die Psychologie und Sprachwissen-
schuft 8. Ebda. n. 50 Pf. — Bahnsen, J., Aphorismen zur Sprach-
philosophie. Vom Standpunkt der Willensmetaphysik. 8. Berlin, Th.
Grieben, n. 1 M. — Kussmaul, A., die Störungen der Sprache.
(Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. Herausgegeben von
H. V. Ziemssen. 12. Bd. Anhang.) 2. Aufl. Leipzig, F. C. W.«VogeI.
n. 6 M. — Tesch, P., Ursprung und Entwickelung der Sprache. Vor-
trag. 8. Neuwied, Heuser^sche Verlagshandlung. 60 Pf.
XI. Zur Aoothoilk. Deinhardt, J. H., Beiträge zur Dispositionsldire.
3. Aufl. 8. Berlin, Gärtner's Verlag, n. 1 M.
XII. Zur Pädagogik. Vierteljahrs -Gatalog aller in Deutschland er-
schienenen Werke aus dem Gebiete der Pädagogik. Jahrg. 1881. 1. Hefl.
Januar bis März. 8. Leipzig, Hinrichs'sche Buchh., Verlags-Conto. pro
10 Exemplare 2M. 40 Pf. — Dictionnaire de p^agogie et d^instruc-
tion primaire. Publik par F. Buisson. 12. Sörie, 2. Partie. 8. Paris,
Philosophische Vorlesungen an den Deutsehen Hochschulen. 379
Hacheite et Co. n. 2 M. — Nachrichten, vierteljährliche, von Kir-
chen- und Schulsachen. Herausgegeben von B. Raven. Jahrg. 1881.
Nr. 1. 8. Hannover, Feesche. pro cplt. haar 1 M. 50 Pf. — Schul-
blatt, evangelisch-lutherisches. Herausgegeben von der deutschen evan-
gelisch-lutherischen Synode von Missouri, Ohio u. a. St. 16. Jahrg. 1881.
(12 Hefte.) 1. Heft. 8. St. Louis, Mo. (Dresden. H.J.Naumann.) pro
cplt. n. 5 M. — Schneider, K., Rousseau und Pestalozzi, der Idealis-
mas auf deutschem und französischem Boden. Zwei Vorträge. 3. Aufl.
8. Berlin, 6aertner*s Verlag, n. 1 M. — Pestalozzi, H., Lienhard
und Gertrud. 2.— 5.(Schluss-) Lieferung. 8. Zürich, Schulthess. ä60Pf.
[S. ob. S. 307.] — Pröhle. H., Friedrich Ludwig Jahn's Leben. Neu
bearbeitet von G. Euler. 10. Lief. 8. Stuttgart, Krabbe, n. 50 Pf. —
Perez, Teducation d^s le berceau. Essai de p^dagogie exp^rimentale.
8. 5 fr. — Laacke, K. Ch. F., Schulgesetz - Sammlung. ± Theil.
1. Hälfte. 8. Leipzig. Siegismund u. Volkening. pro cplt. n. 2 M. —
Nohl, L., unsere geistige Bildung. ± Ausg. 8. Leipzig, Gebr. Senf,
u. 1 M. 50 Pf. — Hage mann, A., was ist Charakter und wie kann
er durch die Erziehung gebildet werden? 8. Dorpat, KrĂĽger, n. 75 Pf.
— Knecht, F. J., die Lösung der Schulfrage und der Canisiusverein.
8. Freiburg i. B., Herder 'sehe Verlagshandlung, n. 80 Pf . — Mitthei-
lungen aus dem Gebiet des Volksschulwesens. Herausgegeben von H.
Brandi. 6. Jahrg. Mai 1881 bis April 1882. (12 Nrn.) Nr. 1. 4. Osna-
brĂĽck, Wehberg, pro cplt. n. 1 M. 50Pf. -- Hunziker, O., Geschichte
der schweizerischen Volksschule in gedrängter Darstellung. 1. Liefg.
S. Hälfte u. 2. u. 3. Liefg. 8. Zürich, Schulthess. n. 3 M. — Jahres-
bericht, 14., des herzoglichen Lehrerseminars zu Gotha. Herausgegeben
von A. Zeyss. 8. Gotha, Tbienemann. n. 80 Pf. ■— Betrachtungen
über unser classisches Schulwesen. 8. Leipzig, Abel. 1 M. 50 Pf. —
Schwicker, J. H., die ungarischen Gynmasien. Geschichte, System,
Staüstik. 8. Budapest, KiUan's Universitäts-Buchh. n. 3 M. 50 Pf. —
Lindemann, R., Herder und die Realschule unserer Zeit. 4. Löbau,
Oliva's Buchh. n. IM. 25 Pf. — Universitäts-Kalender, deutscher.
19. Ausg. Sommer-Semester 1881. Herausg. von F. Ascherson. 2 Theile.
16. Geh. u. geb. n. 2 M. 25 Pf. 2 Theile apart n. 1 M. 50 Pf. —
JahrbĂĽcher, neue, fĂĽr die Turnkunst. Herausg. vonM. Kloss. 27. Bd.
1. Heft 8. Dresden, Schönfeld's Verlagshandl. pro cplt. n. 7 M. 50 Pf.
— Zenz, A., das Schulturuwesen in Deutschland und der Schweiz und
die Jugendwehr in der Schweiz. 8. Wien, Holder, n. 2 M. — Schett-
1er, 0., der Turnunterricht in gemischten Volksschulklassen. 8. Hof,
Grau k Co. n. 1 M. 20 Pf.
Philosophische Yörlesungen an den Deutschen Hochschulen
im Sommer-Semester 1881.
(Nachtrag.)
Prag. Rohling: Bibel und Wissenschaft. -- Frind: theologia mo-
ralis, pars specialis. — Elbl: Schulpädagogik. — Blanda: Schulpäda-
Sogik. — Rulf: Rechtsphilosophie. — Loewe: die philosophischen Sy-
steme des Pläto und des Aristoteles. — Willmann: Encyklopädie der
PSdagogik ĂĽber A. Komensky's Didactica magna; pidagogiscbes Seminar.
— Stumpf: Metaphysik. — Marty: Logik; Geschichte der neueren Phi-
losophie. — Durdik: Aesthetik der Dichtkunst; Psychologie. — We-
runsky: aUg:emeine Politik (geschichtliche Entwicklung von Staat und
Gesellschaft bis zur Gegenwart). — Hilberg: Cicero's Leben und Schrif-
^; philosophische Gesellschaft, griechische Abtheilung, Plutarchi Moralia.
^ Kämpf: die Ethik der Mischnah. — Lambel: über Lessing's Laokoon.
380 Recensionen-Verzeichniss.
Wien, Universität. Krfickl: theologia moralis, pars altera. -- Mfill-
ner: philosophisch-theologische Propädeutik, specujativer Theil: Metaphy-
sik, Kosmologie, speculative Anthropologie, natĂĽrliche Theologie, eventuell
Moralphilosophie; philosophisch-theologische Propädeutik, historischer Theil:
Geschichte der christlichen Philosophie, —von Stein: Rechtsphilosophie.
— Jellinek: Rechtsphilosophie; Leetüre und Besprechung ausgewählter
Gapitel poUtischer Schriftsteller (Fortsetzung: Montesquieu, Rousseau,
Burke). — v. Brücke: Physiologie der Stimme und Sprache. — Zim-
mermann: Logik; Greschichte der Philosophie, IV. Gursus, Gegenwart
seit Hegel's Tode. — Vogt: Gymnasialpädagogik; Logik; pädagogisches
Seminar; pädagogische Uebungen. — v. Meinong (Über Wahrheit und
Wahrscheinlichkeit; philosophische Societät; Leetüre und Besprechung
von John Stuart MilPs „das Nützlichkeitsprincip*. — Masaryk: S>i>tem
der positiven Philosophie von AugusteComte. — Brentano: ausgewählte
metaphysische Fragen ; dialektische Hebungen ; kritische Besprechung von
Spinoza's Ethik. — Gomperz: Greschichte der griechischen Philosophie
(vom Tode des Aristoteles bis zur Schliessung der Philosophenschulen). —
Klein: über Lessing*s Laokoon. — Erich Schmidt: im Seminar für
deutsche Philologie Uebungen im Anschluss an Lessing's Hamburgische
Dramaturgie. — Minor: Goethe und Schiller 1794—1805.
Becenslonen - Y erzeichnlss.
Adamson, ĂĽber Kant's Philosophie, ĂĽbersetzt von Schaarschmidt (Z. f.
Philos. u. philos. Krit. 78, 2 v. Thiele ; Literar. Merkur 12 v. Dr. H.
Spatzier.)
Apelt, 0., Untersuchungen ĂĽber den Parmenides des Plato. (Jahresber.
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wesen 4 v. R. Engelroann.)
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Tccig Tov avif^ttrog rgaaeaiy al t^c tpv^rjg dtvafiug inoyrtei. (Dtsche.
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Alterthumswiss. 1879, 12 v. M. Schanz.)
Pollock, Spinoza. (Vierteljahrsch. f. wiss. Philos. 5, 2.)
Preyer, naturwissenschaftliche Thatsachen und Probleme. (L. G. 18.)
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Radestock, Schlaf und Traum. (Liter. Merkur 13 v, Dr. H. Spatzier.)
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B. Rothlauf, die Mathematik zu. Piaton *s Zeiten. (Jahresber. d. class.
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Rudolph, die Stellung der Schule zu dem Kampfe zwischen Glauben und
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(Gegenwart 17.)
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Teichm Aller, neue Studien zur Geschichte der Begriffe, 3. Heft. (Jah-
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Tissot, essai de philosophie naturelle. (Philosophie positive 1881, 5. 6
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Vischer, Th., Altes und Neues, 1. Heft. (Dtsche. Literaturztg. 20 v. E.
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Vogel, systematische Encyklopftdie der Pädagogik. (Dtsche. Schulztg.
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Wildauer, die Psychologie des Willens, II. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr.
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Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. 2. (Dtsche. Lite-
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Witte, die Philosophie unserer Dichterheroen, Bd.I. (Im neuen Reich 19.)
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Ebbinghaus.)
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ztg. 16 V. B. Erdmann.)
Zeller, Philosophie der Griechen. 11, 2. 3. Aufl. (Jahresber. ĂĽb. d.
Fortschr. d. dass. Alterthumswiss. 1879, 12 v. Susemihl.) III, 1.
3. Aufl. (Dtsche. Literaturztg. 14 v. Susemihl.J
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resber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1879. 12 v. Susemihl.)
Ziller, allgemeine philosophische Ethik. (Krit. Vierteljschr. f. Gesetzgebg.
u. Rechtswiss. N. F. 41 v. Geyer.)
384 Aus Zeitschriften.
Ans Zeitschriften.
ZeKschrlft fOr Philosophie und philosophische Kritik. GegrĂĽndet vod
J. H. von Fichte, redigirt von Herrn. Ulrici. Halle. Bd. 78. Hefll
Dr. E. Pf leiderer, kantischer Kriticismus und englische Philosophie.
Letzter Artikel. — J. L. A, Koch, über das Gedächtniss. — E. Wester-
bürg, Schopenhauer's Kritik der kantischen Kategorienlehre (2. Hälfte). —
Recensionen: Dr. G. Thiele, Rob. Adamson, ĂĽber Kant's Philosophie,
übersetzt von G. Schaarschmidt. — Prof. Dr. A. Richter, die neuesten
Darstellungen der Philosophie des Nicolaus von Kues (I. Job. Uebinger. IIa
und b. — Dr. Rieh. Falckenberg). — Fr. v. Baerenbach, Alex. Bain,
Erziehung «als Wissenschaft. ~ H. Ulrici, Moses Mendelssohn^s Schriften
zur Philosophie u. s. w., herausg. v. Dr. M. Brasch. — Bibliographie.
Viortei|ahrtachrlft fĂĽr witsonschafHIcho Philotophio, herausg. v. R. Ave-
narius. Heft U. E. Laas, Vergeltung und Zurechnung (1. Artikel). —
F. Jon nies, Anmerkungen ĂĽber die Philosophie des Hobbes (4. Artikel).
— E. Kraepelin*, über Trugwahrnehmungen (1. Artikel). — A. v. Le-
clair, kritischer Idealismus und Positivismus. Eine Entgegnung. — H.
Vai hinger, Erwiderung. — Anzeigen: F. Staudinger, Volkelt, Job. Imm.
Kant's Erkenntnisstheorie u. s. w. — Selbstanzeigen (Golsenet, Glogau,
Groth, Pescz, Pollock, Vian). — Philosophische Zeitschriften. — Biblio-
graphische Mittheilungen. — Notizen.
Rovue philotophique de la France ot de r^trangor. Dir. par Th.Ribot.
Paris, G. Bailliöre et Co. 1881. No. 5. — J. D armesteter, les cosmo-
gonies aryennes. — Gharpentier (T.-V.), philosophes contemporains,
M. Gournot. — Dr. G. le Bon, probl^mes anthropologiques. I. La que-
stion des criminels. — Dr. Gh. Riebet, la memoire ^l^mentaire. — Ana-
lyses et comptes rendus: Letourneau, la sociologie d'aprte Pethnogra-
phie. — Mac Cosh, the emotions. — Notices bibliographiques: E. de
Gampou, Th^rie des quantit^s negatives. — F. Labour, M. de Mon-
tyon.*— G. Ganestrini, la teoria di Darwin. — Gorrespondance : MM.
P. Tannery et F. Ev ellin: sur Tlnflni math4matique.
Berichtigung.
Herr Director Dr. Döring macht in einer Zuschrift darauf aufmerk-
sam, dass in der Besprechung seiner Schrift , GrundzĂĽge der allgemeinen
Logik* Nr. 3 der Monatshefte S. 153 Z. 7 v. u. statt complete zu lesen
sei: complexe; S. 156 in der Mitte statt apodiktisch: apodeiktisch.
Druck von P. Neuaseriu Bona.
|]eb«r den Mi des Widenpreehs end die Bedentnng der
Negation.
Dass die Bejahung und die Verneinung Eines und des-
selben einander ausschliessen und folglich nicht vereinigt wer-
den können, das ist eine Gewissheit, die mit dem Wesen des
Denkens so wesentlich und unmittelbar verbunden ist, dass
sie, wenn gleich nicht als allgemeines Gesetz formulirt, sich
dem Menschen aufdrängen muss, sobald er zu denken und
zu reden anfangt. Freilich müssen wir Locke völlig beistim-
men, wenn er behauptet, die Kinder erkennen den Unter-
schied zwischen SĂĽss und Bitter, lange ehe sie irgend eine
Vorstellung eines allgemeinen Denkgesetzes haben; das aber
erkennen sie unmittelbar, dass der Mangel eines verlangten
Gegenstandes nicht dessen Besitz ist, und dass, was man
ihnen verweigert, ihnen nicht gegeben wird. Die Frage, ob
diese Erkenntniss a priori oder a posteriori sei, ist hierbei
untergeordneter Art und lässt sich nicht einfach beantworten.
Da wir uns des Unterschieds zwischen verschiedenen Gtegen-
ständen ebenso wie des zwischen dem Mangel und dessen Befrie-
digung erst durch die Erfahrung bewusst werden, so ist
allerdings die Erfahrung eine nothwendige Bedingung, ohne
welche das Gesetz des Widerspruchs niemals zum Bewusst-
sein kommen wĂĽrde; ein Wesen, das niemals irgend einen
Unterschied empfilnde, wĂĽrde weder dieses noch irgend ein
anderes Gesetz erkennen. Ebenso gewiss ist es aber anderer-
seits, dass wir, um ĂĽberhaupt zu denken und zu erkennen,
Bestimmtheiten und Gegenstande von einander unterscheiden
mĂĽssen; und schon in diesem Unterscheiden ist das fragliche
Gesetz enthalten, wenn auch Anfangs nur dunkel, als ein
PbiloMph. MonaUhefle 1881. VU u. VIII. 25
386 J. J. BoreHus: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
Bewusstsein, dass das Unterschiedene unterschieden ist, d. h.
dass die irgendwie Unterschiedenen nicht in derselben RĂĽck-
sicht identisch sind.
Aber, wenn gleich, dem Vorigen zu Folge, ein unmittel-
bares und unentwickeltes Bewusstsein des Satzes des Wider-
spruchs in allem Denken enthalten ist, so ist doch ein weiter
Weg von hier bis zur Aufstellung desselben als eines aus-
drücklich formulirten Denkgesetzes. Noch in der ältesten
griechischen Philosophie war die Aufmerksamkeit zu sehr
der Natur zugekehrt, um die Reflexion des Denkens auf sich
selbst zu y erstatten, welche die unumgängliche Bedingung
jener Formulirung ist. Die erste Veranlassung derselben scheint
negativer Art gewesen zu sein, d. h. durch eine Lehre, wel-
che jene Bestimmtheit und Festigkeit des Denkens, die eben
durch das fragliche Gesetz erzielt wird, ganz zu vernichten
drohte. Der tiefe Denker Heraklit war, wahrscheinlich durch
Beobachtung der Welt der Erfahrung, zu dem Gedanken ge-
fuhrt worden, dass es in der Welt nichts Festes und Beste-
hendes gebe, dass Alles fliesse, Alles verändert werde und
Nichts bleibe. „Alles wird aus Jedem und Jedes aus Allem
in unaufhörlichem Wechsel." Hiermit ist zum ersten Male die
grosse Wahrheit ausgesprochen, dass die Welt sich in
Gegensätzen bewegt. „Das Eine, von sich selbst getrennt,
einigt sich immer mit sich selbst; das Entgegengesetzte
fĂĽgt sich zusammen, aus den Unterschiedenen entsteht die
schönste Harmonie und Alles wird durch Streit. Denn ohne
tiefe und hohe Töne wäre keine musikalische Harmonie, noch
die lebendigen Wesen ohne den Gegensatz des Männlichen
und des Weiblichen.'^ Man muss den tiefen, genialen Blick
bewundern, der sich in diesen und überhaupt in allen Sätzen
Heraklits ausspricht. Die ganze neuere Naturwissenschaft hat
sie bestätigt, wie auch sein Satz : „die gerade und die krumme
Linie sind eine und dieselbe, der Weg der Schraube ist ge-
rade und krumm", freilich in paradoxer Form, eine Wahr-
heit antecipirt, die von der wissenschaftlichen Forschung be-
stätigt worden ist, indem die Schrauben-(Spiral-)form als der
allgemeine Typus jeder, sowohl geistigen als natĂĽrlichen Ent-
wickelung betrachtet wird. Noch in unseren Tagen konnte
J. J. Borelius: lieber den Satz des Widerspruchs etc. . 387
ein grosser Philosoph ausrufen: „es ist kein Satz des Hera-
klit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen/^
Aber diese Philosophie konnte selbst nicht dem Gesetz
entgehen, das sie als allgemeines Weltgesetz ausgesprochen
hatte — dem Gesetze des Werdens und Vergehens — sie
musste untergehen, um in neuer, veredelter Form von Neuem
aufzuerstehen. Und zwar war ihr Untergang verschuldet durch
die abstracte Form, in welcher sie die von ihr verkĂĽndigte
Wahrheit ausgesprochen hatte. Schon damit man von einem
Werden, einem ĂĽebergehen der Entgegengesetzten in einander
reden könne, wird vorausgesetzt, dass sie in irgend einer
RĂĽcksicht unterschieden seien. Hebt man dagegen jeden
Unterschied auf, so wird dadurch nicht nur die Bewegung
selbst vernichtet*), sondern auch jedes Denken; denn das
Denken ist wesentlich Unterscheiden und Beziehung des Un-
terschiedenen auf einander. Diesen Umstand hatte Heraklit
ĂĽbersehen. Ein Bestehendes hatte er freilich in dem allge-
meinen Fluss der Dinge angenommen: die allgemeine Ord-
nung des Werdens, näher bestimmt als die beiden Wege
nach Unten und nach Oben. Indem er aber aussprach, dass
diese beiden Wege ein und derselbe wären, hob er auch die-
sen Unterschied auf; da er ohnedies selbst angenommen
hatte, dass Alles fliesse, so lag die Schlussfolge ganz nah,
nicht einmal die allgemeine Ordnung als bleibend zu betrach-
ten. Von einer wissenschaftlichen Methode konnte ĂĽberhaupt
in der damaligen Philosophie nicht die Rede sein; und bei
Heraklit war sie überdies durch sein Princip unmöglich ge-
macht. Seine Sätze erschienen daher als orakehnässige Pa*
radoxe ohne Beweis, höchstens mit Hinweisung auf Beispiele
aus der Erfahrung. Bei seinen Anhängern, die ohne die Tiefe
des Meisters zu besitzen seine Lehre nur als eine von aussen
gegebene bekommen hatten, musste diese bald in gedanken-
loses Geschwätz entarten. *Plato gibt im Theätet eine er-
götzliche Schilderung dieser Anhänger des Ephesiers, von
denen er sagt, dass man mit ihnen eben so wenig als mit
den Hasenden ein vernünftiges Gespräch führen könne, und
1) Aristo t. Metaph. 1010 a. 35.
388 J. J. Borelins: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
dass sie sich wohl hĂĽten, irgend etwas Festes ĂĽbrig zu las-
sen, weder in der Rede, noch in ihren eigenen Seelen.
Schon vor Heraklit hatte Xenophanes der Eleate den
Satz ausgesprochen, dass Alles Eins sei und dieses Eine sei
Gott. Sein SchĂĽler Parmenides fĂĽhrte diese Lehre weiter
aus, indem er von der theologischen Form, welche sie bei
Xenophanes hatte, zu einer logischen ĂĽberging und aus dem
Begriffe des Seienden die Einheit des Alls zu beweisen suchte.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Parmenides die Lehre
Heraklits gekannt habe; jedenfalls warnt er in seinem Lehr-
gedichte vor der Ansicht der tauben, blinden und stumpf-
sinnigen Menschen, denen Sein und Nichtsein dasselbe ist und
Alles herum läuft {nawunf naUvrqoTtog eoTL yiilevdxjg)*). Bei
Parmenides finden wir die erste bestimmte Darstellung des
Satzes des Widerspruchs in dem bekannten Grundsatze: „das
Seiende ist und das Nichtseiende ist nicht^S so wie auch in
seiner ausdrĂĽcklichen Verwerfung der entgegengesetzten An-
sicht, hl der DurchfĂĽhrung jenes Grundsatzes ging aber Par-
menides zu emem Extrem fort, das nicht weniger als das
Heraklitische die Möglichkeit alles Denkens und Wissens auf-
hob. So wahr es ist, dass Sein und Nichtsein, absolut ge-
dacht, einander widersprechen, so wahr ist es auch, dass mit
dem Seienden em relatives Nichtsein vereinbar ist, das
eben in dem Unterschied desselben von allem anderen Seien-
den besteht. Und dieses nicht nur in der Bedeutung, dass
wir, beide vergleichend, finden, dass das Eine nicht das An-
dere ist, sondern auch so, dass jedes Seiende an sich, d. h.
unabhängig von unserer vergleichenden Reflexion, von Ande-
rem wesentlich unterschieden und ebenso wesentlich mit ihm
verbunden ist®). Dieses ist eben die Wahrheit jener Einheit
des Entgegengesetzten, welche der Grundgedanke der Herak-
litischen Lehre war, aber von Parmenides völlig geläugnel
wurde. Hierdurch wurde es ihm nothwendig, von dem Seien-
den jede Bewegung, jedes Entstehen und Untergehen, jede
Vielheit und jeden Unterschied auszuschliessen. „Das Seiende
2) Mullach, Fragmenta. S. 119.
3) Der letztere Satz wird ini Folgenden ausfQhrlicher entwickelt werden.
J. J. Borelias: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 389
ist nicht gewesen, noch wird es sein, sondern es ist
immer, ganz und ungetheilt. Denn welche Entstehung woll-
test du ihm suchen oder woraus sollte es sich vergrössern?
Aus dem Nichtseienden, darfst du nicht sagen oder denken,
denn es ist weder sagbar noch denkbar. Das Seiende ist
ferner eines, zusammenhängend und untheilbar, nicht hier
mehr, dort weniger, denn es gibt kein Nichtseiendes, das es
verhindern könnte zusammenzuhängen." Dieser ganze Be-
weis grĂĽndet sich auf ein Verkennen des Begriffes der Re-
lation; er fallt, indem dieser Begriff festgehalten wird. Aber
um die Bedeutung der Relation zum Bewusstsein zu bringen,
gab es .kaum ein besseres Mittel als sie wie Parmenides ganz
wegzuwerfen und dann die Folgen dieses Wegwerfens mit
unerbittlicher Consequenz darzustellen; und so wurde die
Dialektik des Parmenides, freilich gegen die Absicht ihres
Urhebers, ein indirecter Beweis fĂĽr die Wichtigkeit jener von
ihm verkannten Kategorie.
Durch diese Argumentation hatte sich Parmenides in
offenbaren Widerspruch gegen die gesammte Erfahrung ge-
setzt; indessen ist dieses gewissermassen jeder Philosophie
gemeinsam, den reinen Empirismus nicht einmal ausgenom-
men. Namentlich war die ^oij Heraklits nicht weniger als
das unbewegte Seiende des Parmenides der Erfahrung wider-
sprechend. Noch schlimmer war es aber, dass dieser uner-
bittliche Vertreter des Gesetzes des Widerspruchs dem Loos
nicht entgehen koimte, sich selbst zu widersprechen. Denn
jenes Nichtseiende, das weder denkbar noch sagbar sein
sollte, war doch eben in seinem Leugnen desselben ebenso
wohl gedacht als ausgesprochen — freilich als nur schein-
bar, in der Meinung der unvernĂĽnftigen Menschen, seiend,
aber doch als seiend. Wenn es in keiner Hinsicht ein Nicht-
seiendes gab, so könnte es auch keinen Schein, keine falsche
Vorstellung geben. Wenn Parmenides im zweiten Theil sei-
nes Lehrgedichts eine formliche Theorie des Scheins auf-
stellte, so war dieses in der That nur ein DurchfĂĽhren des
Widerspruchs, der schon im ersten Theil enthalten war.
Weder von dem Standpunkt des Heraklit noch von dem
des Parmenides war also ein zusanunenhängendes und wider-
390 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc,
spruchsfreies Denken möglich; beide mussten folgerecht in
die Sophistik auslaufen. Dieses geschah einerseits durch
Protagoras, der aus der ^01} Heraklits folgerte, dass es kein
anderes Wissen gebe, als die wechselnden Empfindungen,
andererseits durch Gorgias , der mit acht eleaĂĽscher Dia-
lektik bewies, dass Nichts sei, und dass auch wenn etwas
wäre, es doch weder gedacht noch ausgesprochen werden
könnte. Von den ungereimten und sinnlosen Fehlschlüssen,
welche den JĂĽngern Sophisten zugeschrieben werden, grĂĽnden
sich mehrere auf eleatischen Voraussetzungen z. B. Wer lĂĽgt,
der sagt was nicht ist; dem Nichtseienden kann man aber
Nichts thun; also ist es unmöglich zu lügen. Wer etwas
weiss, der weiss Alles; denn er kann nicht zugleich wissend
und nichtwissend sein. Wer Vater ist, ist Aller Vater; denn
sonst wäre er zugleich Vater und Nicht- Vater. Wie werthlos
auch diese Sophismen an sich selbst sind, so grĂĽnden sie
sich doch alle auf demselben Uebersehen des Begriffes der
Relation, das wir schon in der Parmenideischen Formulirung
des Gesetzes des Widerspruchs gefunden haben; nur wird
dieser Fehler noch augenfälliger bei Begriffen, die (wie Vater
und wissend) offenbar ihre ganze Bedeutung nur durch die
Relation haben. Auch gingen die Sophisten, nachdem die
Bahn einmal gebrochen war, noch weiter, indem sie auch
verschiedene Bedeutungen desselben Wortes u. s. w. benutzten,
um aus ihnen ungereimte Folgerungen zu ziehen.
Es ist selbstverständlich, dass Trugschlüsse wie die letzt-
genannten nicht im Ernst benĂĽtzt werden konnten, um die
Wahrheit zu erkennen. Um so viel grösser war die Gefahr
des völligen Aufhörens der Philosophie durch ihre Entartung
zu einer Art geistiger Fechterkunst, deren einziger Zweck war,
den Gegner durch pfiffige Kunstgriffe zum Schweigen zu bringen.
Um diesem vorzubeugen, war es nothwendig, dass das Par-
menideische Gesetz: „das Seiende ist und das Nichtseiende
ist nicht'', nach Inhalt und Umfang näher bestimmt wurde.
Einen Versuch dieser Bestimmungen finden wir in dem Pla-
tonischen Dialog Sophistes, wo gezeigt wurde, dass auch das
Nichtseiende gewissermassen ist, freilich nicht als absolutes,
jedes Sein ausschliessendes Nichtsein {ivcan^lov tov onog [258 D]),
J. J. Boretius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 891
aber als der jedem Seienden einwohnende Unterschied, durch
welchen ein jedes, eben weil es ist was es ist, jedes Andere
nicht ist. Oder, anders ausgedruckt, bei jedem Seienden
sind zwei verschiedene Ansichten oder Gesichtspunkte zu un-
terscheiden: dessen Sein an sich und dessen Beziehung zum
Anderen. Von der ersten Seite betrachtet ist es ein Seien-
des, (mit sich) identisch, von der anderen dagegen einNicht-
seiendes, mit Anderem nicht-identisch. Diese entgegengesetz-
ten Bestimmungen sind in Einem und demselben völlig ver-
einbar, weil sie ihm nicht in derselben RĂĽcksicht {twx biioiwg) *)
beigelegt werden. Hier leuchtet schon die Aristotelische Auf-
fassung des Gesetzes des Widerspruchs hervor, und dadurch
sind sowohl der Eleatismus als die sophistischen Spitzfindig-
keiten im Grunde widerlegt*).
Es liegt ausser dem Zweck dieser Betrachtung, zu unter-
suchen, ob der Sophistes von Plato selbst verfasst sei oder
4) Plato, Sophist, p. 256.
5) Dass Plato in seinen Schriften stets die GĂĽltigkeit des Satzes des
Widerspruchs voraussetzt (wie besonders Hartmann in seiner Kritik der
dialektischen Methode S. 7 bemerkt hat), ist keineswegs zu leugnen; aber
die Stellen, auf welche sich Hartmann beruft, enthalten zum Theil eine
Einmischung des Satzes vom zureichenden Grunde oder der Ideenlehre,
wodurch die wahi'e Bedeutung des Satzes verunreinigt wird. So z.B. die
auch von Herbart (W. W. I. 80) angefĂĽhrte SteUe im Phfido (103. G):
fui^inojB iyayrioy iavit^ ro iyaviiop ecec&ai. Hier deutet schon das
Futur icBo&aL an, dass nicht nur das Sein, sondern auch das Werden
des Entgegengesetzten aus dem Entgegengesetzten geleugnet wird; und
dieses geht noch deutlicher hervor aus den vorhergehenden Worten: ort
avVo t6 irayriop kavr^ iyarriop ovx Sy nore yiyoiro. Femer aber wird
in diesen Worten avro ro iyayrioy ausdrĂĽcklicli von dem nqSyfjia iytcy^
Ttoy unterschieden. Nur in Betreff des ersteren wird ausdrĂĽcklich und
unbedingt behauptet, dass es nimmer sein Gegentheil werden oder darin
übergehen kann: die Wärme an sich kann nimmer kalt, das Leben an
sich nimmer todt werden. Dagegen können die Dinge, die wegen ihrer
Theiluahme an der Wärme oder dem Leben warm oder lebendig genannt
werden, in's Gegentheil ĂĽbergehen, wenn sie nicht etwa so beschaffen
sind, dass sie, so lange sie sind, eine gewisse Form behalten, wie z. B.
das Feuer die Wärme und die Seele das Leben (i'/ci r^y ixeiyov fioQtpijy aü
otaynsQ H), Eine andere, ebenfalls von Hartmann angefĂĽhrte Stdle (Rep.
436 B) bezieht sich ausdrĂĽcklich auf ein nouiy ^ na^x^iy, also auf das
Verhiltniss der Gausalität, und setzt also allerdings den Satz des Wider-
sprpchs voraus, ohne ihn jedoch bestinmit zu formuliren.
392 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
nicht. Die darin gegebene Widerlegung des Eleatismus und
der Sophistik wĂĽrde auch im letzteren Falle gĂĽltig sein; nur
wäre es zweifelhaft, ob sie älter oder jünger wäre als die
von Aristoteles gegebene. Jedenfalls mĂĽssen wir anerkennen,
dass in anderen platonischen Dialogen, besonders der Repu-
blik und dem Timaeus, die Auffassung des Nichtseins sich
weit mehr dem Eleatismus nähert, indem hier nicht von einem
den Ideen innewohnenden Nichtsein gesprochen wird, sondern
vielmehr die Ideenwelt als das wahrhaft Seiende nicht nur
der Materie als dem Nichtseienden, sondern auch der Sinnen-
welt als dem Mittleren zwischen Beiden entgegengesetzt wird.
Möge aber der Sophistes früher oder später als die Me-
taphysik des Aristoteles sein — so viel ist gewiss, dass die
exakte Formulirung des Satzes des Widerspruchs als eines
allgemeinen Denkgesetzes erst in dieser vorkonunt. „Unmög-
lich ist es^\ heisst es hier, „dass Dasselbe Demselben zukomme
und nicht zukomme zugleich und auf dieselbe Weise, und
was wir sonst noch hinzubestimmt haben, sei hinzubestimmt
wegen der logischen Spitzfindigkeiten"*). Dieser Zusatz, der
zum grösseren Nachdruck noch einmal wiederholt wird ^, be-
zieht sich nach dem Scholion Alexander's von Aphrodisias auf
die Kunstgriffe, mittels welcher die Sophisten den Schein eines
Widerspruches auch da hervorzubringen pflegten, wo dieser
nicht vorhanden war, und welche Aristoteles in seiner Schrift
de sophisticis elenchis abgewiesen hat, indem er die Bedin-
gungen der logischen Widerlegung näher angegeben. Diese
Bedingungen sind, insofern sie sich auf das fragliche Gesetz
beziehen, dass die sich widersprechenden Annahmen im streng-
6) 17^0^ tag Xoyixag «fv^/f^e^o; Met. T. 3. 1005. b. 19 folg. Bemer-
kenswerth ist, dass auch im Sophistes (256 A) das verwandte Wort <fvf/e^at-
ysiy vorkommt in einem Ausdruck, der sich ebenfalls auf die Sophisten
und ihre falsche Anwendung des Gesetzes des Widerspruchs bezieht {rit^
xivticiy Sil T^ tavTov r' siyai xal fjL9J xavxoif ofioXoytfrioy x€u ov Svgx^
qaifxiop). Nimmt man hinzu Gorg. 450 E. {bI ĂźovXotro Svgx^Q^^^ ^
roig X6yoig\ so wird es wahrscheinlich, dass auch das Wort (fv^/e^cux
in der angefĂĽhrten Stelle von Aristoteles die logischen Kunstgriffe der So-
phisten bezeichnet.
7) A. 0. 1005 b. 37. n^ogSnoQiff&at cf' ^fbiiy xtti xavxf^ xji nQoxaeEt xa
iiw9'6xa.
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc; 393
sten Sinne eines und dasselbe gelten, nicht nur dem Namen,
sondern der Sache nach, in derselben Hinsicht, auf dieselbe
Weise, in derselben Beziehung und in Bezug auf dieselbe
Zeit *). Mit dieser Beschränkung ist der Grundsatz, welcher die
Möglichkeit des Widerspruchs leugnet, nach Aristoteles das
festeste aller Principien. Und zwar zutlächst in ontologischer
Bedeutung (dass eines und dasselbe nicht zugleich sein und
nichtsein könne); mit dieser ist aber unmittelbar die logische
Bedeutung verbunden, dass Niemand annehmen könne. Das-
selbe sei zugleich und in derselben Weise und sei nicht').
Jener Satz könne nicht direkt bewiesen werden, weil er selbst
die unentbehrliche Bedingung jedes Beweisens sei; dagegen
könne dessen Wahrheit apagogisch bestätigt werden, indem
man zeigt, dass er auch von dem Leugner desselben voraus-
gesetzt werde, indem er ein ĂĽrtheil ausspricht.
Die von Aristoteles gegebene Formulirung des Satzes des
Widerspruchs ist im Ganzen für die spätere Wissenschaft
massgebend geworden. Die vielen Beschränkungen tragen in
8) Scholia in Aristotelem ed. Acad. Boruss. 651 b. 23. Vgl. De so-
phisticis elenchis S. 167 a. 23.
9} Nach Sigwart (Logik I S. 146) hat Aristoteles mit dem Satze des
Widerspruches unmittelbar nur die Natur unseres Denkens treffen wollen ;
dieses soll sieb sogar schon daraus ergeben, dass die Verneinung nur in
^ner ober das Seiende hinausgehenden Bewegung unseres Denkens wur-
zele. Wir lassen vorläufig diese nominalistische Auffassung des Begriffs
der Negation dahingestellt sein; so viel ist doch gewiss, dass sie nicht die
des Aristoteles ist, wie schon aus dem Begriffe der ati^ijaig hervorgeht.
Nach Aristoteles ist ĂĽberdies die Wahrheit unserer Urtbeile wesentlich
dadurch bedingt, dass sie das verbinden, was in den Sachen verbunden,
und das trennen, was in ihnen getrennt ist (Met. S, 10. 1051. b. 2); in
den Sachen selbst ist also die Getrenntheit, die wir im negativen Urtheil
von ihnen prädiciren. Und er setzt ausdrücklich hinzu: , nicht weil wir
richtig glauben. Jemand sei weiss, ist er weiss, sondern weil Jemand weiss
ist, reden wir wahr, wenn wir sagen, er sei weiss. ** Die Uebereinstim-
mung mit der objectiven Natur der Dinge ist es also nach Aristoteles, was
unseren Gedanken ihre Wahrheit gibt. Uebrigens bemerkt Sigwart rich-
tig, dass bei Aristoteles die subjective (logische) und die objective (meta-
physische) Ausdrucksweise fĂĽr den Satz des Widerspruchs im Grunde das-
selbe sagen; dieses ist aber nur denkbar unter der Bedinguhg, dass die
Bedeutung des Satzes ebenso sehr objectiv als subjectiv ist.
394 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
der Erörterung des Aristoteles scheinbar den Charakter der
Zufälligkeit ; in der Hauptstelle sind sie nicht einmal bestimmt
angegeben, sondern nur angedeutet; noch weniger findet man
den Grund angegeben, warum eben diese und nicht andere
oder mehrere gelten sollen. Aber der leitende Gedanke ist
leicht erkenntlich und in den Worten t6 avtOy t^ ow^J und
xorra to avro enthalten, wenn nur diese Worte in ihrer eng-
sten Bedeutung festgehalten werden. Mit anderen Worten:
alle die angedeuteten Bestimmungen ^cQog mg loyiTtag dvgxt-
Quag bezwecken nur, die strenge Identität oder Einerleiheil
des als seiend und als nicht - seiend (resp. zukommend und
nicht zukonunend) Gesetzten als Bedingung des undenkbaren
Widerspruchs hervorzuheben; sie können als selbstverständ-
lich aus der Formel wegfallen, wenn nur jene Identität
genau festgehalten wird, wie sie auch gewöhnlich bei den
Späteren, höchstens mit Ausnahme der Zeitbestimmung, aus-
gelassen worden sind. FĂĽr die Spccialwissenschaflen hat
auch dieses Weglassen keinen Nachtheil verursacht; so ist
es z. B. kaum irgend einem Mathematiker eingefallen, den
Kreis darum undenkbar oder widersprechend zu finden, weil
er, nachdem man ihn von Ini^en oder von Aussen betrachtet,
concav und convex (d. h. nicht concav) ist, noch einem Na-
turforscher die Wirklichkeit der Petrefakte zu leugnen, weil
sie organisch und zugleich nicht organisch sind, indem die
Anschauung und die auf diese sich stĂĽtzende Reflexion hier
deutlich zu erkennen geben, in welcher Weise die entgegen-
gesetzten Bestimmungen verknüpft sein können. Dag^en ist
die Philosophie, indem sie, die Welt der Erscheinung ĂĽber-
schreitend, zum Erforschen des jeder Erfahrung unzugäng-
lichen Wesens fortgeht, eben durch das Vernachlässigen der
Aristotelischen Beschränkungen der Versuchung ausgesetzt,
die nur formale Bedeutung des Satzes des Widerspruchs in
eine reale zu verwandeln und dadurch ein scheinbares Wissen
zu erschleichen.
Denn es ist wohl zu bemerken, dass der Satz des Wider-
spruchs, wie er von Aristoteles richtig bestimmt ist, keines-
wegs ein materiales, sondern nur ein formales und negatives
Kriterium der Wahrheit ist. Er besagt nur, dass keinem
J. J. Borelius: lieber den Satz des Widerspruchs etc. 395
G^enstande ein Prädikat zukommen kann in demselben Sinne,
in welchem es ihm nicht zukommt. Um aber mit dessen
Hülfe etwas von einem Gegenstande bestimmen zu können,
mĂĽssen wir den Gegenstand oder jedenfalls etwas auf ihn
Bezogenes schon kennen; wir haben an dem Satze nur ein
(allerdings unentbehrliches) Regulativ bei der PrĂĽfung und
der Analyse jedes Inhalts unserer Erkenntniss, aber nicht
eine Quelle, aus der allein wir, sei es auch den geringsten
Erkenntnissstoff, holen könnten.
Dass diese nur negative und formale Bedeutung des
Satzes in eine reale und positive verwandelt worden ist, dazu
hat wesentlich die von Parmenides und von Plato selbst in
der Republik und dem Timaeus stammende Auffassung des
Begriffs des Seins beigetragen. Eigentlich enthält dieser Be-
griff nur das Gemeinschaftliche in Allem, was wir als Seien-
des denken; es ist also ganz abstract und leer. Man könnte
es mit Herbart als absolute Position bezeichnen, wenn nicht
dieser Ausdruck eben bei Herbart eine falsche Deutung be-
kommen hätte, indem die absolute Position in Gegensatz
zur relativen, von Anderem abhängigen Position gesetzt wurde.
Denn der Begriff des Seins als solcher verhält sich zu jedem
Gegensatze, auch dem zwischen absolutem und relativem Sein
völlig indifferent ; das Relative, der Schein, ja sogar das Nicht-
seiende, insofern es ein Gegenstand unseres Denkens ist, ist
ein Seiendes nicht weniger als das Absolute. Wir haben
oben bemerkt, dass dieses auch schon in dem Platonischen
Sophistes anerkannt ist; dass aber in der Republik und dem
Timaeus eine andere Auffassung hervortritt, indem die Ideen-
welt als tä Ttcnftelcog oy, to dhycQinig ov, ovaia ^% der Sinnen-
welt als dem Mittleren zwischen Sein und Nichtsein entgegenge-
setzt wird. Und dieses nicht einmal so, dass «jenes Mittlere
nur eine scheinbare Existenz hätte; vielmehr wird der Schein
und die Unfähigkeit, das rein Seiende zu erkennen, ausdrücklich
aus der Verbindung der Seele mit jenem Mittleren abgeleitet ' *)•
Nach der in den letztgenannten Dialogen ausgesprochenen
10)Rep. 477 A. Tim. 29 C.
11) Phädo 66 B. Verg]. Zeller, PhUos. der Gr. II. l. 618 (3. Aufl.).
3% J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
Ansicht gibt es also ein doppeltes Sein; das vollkommene^
das jedes Nichtsein ausschliesst, und das unvollkommene sinn-
liche, das von Sein und Nichtsein gemischt ist. Diese An-
sicht wurde unter Mitwirkung des Neuplatpnismus auf die
Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit fortgepflanzt;
und neben der Aristotelischen, rein logischen und fĂĽr die
exacten Wissenschaften allein gĂĽltigen Auffassung des Wider-
spruchs, nach welcher dieser weder sein noch gedacht wer-
den konnte, ging also noch eine andere, ontologische, nach
welcher jede VerknĂĽpfung des Seins und des Nichtseins aus
dem absolut Seienden ausgeschlossen war, während dagegen
das Endliche, als aus Sein und Nichtsein bestehend, ein exi-
stirender Widerspruch war. Folgerecht durchgefĂĽhrt, mussle
freilich diese letztere Ansicht dahin fĂĽhren, nicht weniger das
Sein als das Nichtsein von Gott zu negiren; und diese Wen-
dung begegnet uns in dem Satze des Proklus, dass das ur-
sprĂĽngliche Eine nicht ein ov, sondern ein ijt&uuva tqv ono^ '^
sei , und ferner in den Schriften des Pseudo - Dionysius
Areopagita, wo sich die christliche Mystik mit neuplatonischer
Speculation vermählte. Hier wird Gott ausdrücklich als das
Ueberseiende und als die Einheit aller Gegensätze bestimmt.
Wir werden später sehen, wie diese Auffassungsweise, die
zunächst nur bei einigen Mystikern Beifall fand, sich auch in
der eigentlichen Philosophie geltend machte.
Ein Beispiel der ursprĂĽnglich von Parmenides stammen-
den Auffassung, nach welcher jedes Nichtsein von dem in
Wahrheit Seienden ausgeschlossen war, gibt uns der Begriff
des ens realissimum in der alten Metaphysik — „ein Wesen,
in dessen Bestimmung von allen entgegengesetzten Prädikaten
eines angetroffen wird, nämlich das, was zum Sein schlecht-
hin gehört" *'). Die Gesammtheit denkbarer Eigenschaften und
Bestimmtheiten wird hier in zwei grosse Klassen eingetheilt,
von denen die eine ein Sein, die andere ein Nichtsein aus-
drĂĽckt. Die Beobachtung, dass gewisse in der Erfahrung vor-
kommende Eigenschaften, z. B. Licht, Wärme, Leben, eine
12) Prodi commentarii in Farmen idem VI. 44.
13) Kant, Kr. d. r. V. ed. Rosenkr. S. 450.
J. J. Borelius: Ueber den Satz des WiderBpruchs etc. 397
Vollkommenheit, andere dagegen, wie Finsterniss, Kälte, Tod,
nur den Mangel oder die Abwesenheit jener Vollkommenheit
zu enthalten seheinen, hat ohne Zweifel dazu beigetragen,
diese Auffassungsweise zu erhalten. Es zeigt sich indessen
bei näherer Betrachtung, dass auch diese letzteren Bestimmt-
heiten nicht ausschliesslich negativ sind, sondern eine, nur der
vorigen entgegengesetzte, Realität enthalten. Die Finsterniss
z. B. ist nur dadurch da, dass die Lichtstrahlen von einem
Körper (z. B. der Erde) abgesperrt oder wenigstens in einem
nicht leuchtenden Medium verbreitet werden. Und noch mehr;
das Licht selbst wĂĽrde uns unsichtbar bleiben ohne die ca-
mera obscura des Auges. Zählt man noch hinzu die Fälle,
wo entgegengesetzte Erscheinungen sich in keinerlei Weise auf
einen blossen Mangel der Realität zurückführen lassen, so zeigt
es sich offenbar, dass die oben genannte Eintheilung keines-
wegs durch die Erfahrung bestätigt wird. Für die Reflexion
war sie indessen ein allzu bequemes Mittel, alle Gegensätze
in der Welt auf ein Mehr oder Weniger von Realität zu re-
duciren, ziunal da man durch diese Reduction ein Mittel fand,
das Dasein Gottes zu beweisen. Wenn aller Gegensatz in
der Welt nur aus einem Mangel von Sein oder Realität her-
rührte, so brauchte man nur jenen Mangel zu ergänzen, um
den Begriff Gottes zu erreichen. Dass diesem Begriffe die
Realität nicht abgehen konnte, war eine selbstverständliche
Folge, da er eben der hibegriff aller Realität war. Schwie-
riger war es allerdings, diesem Gotte Persönlichkeit, Denken
und Wollen zuzuschreiben; jedoch half man sich gewöhnlich
mit der Annahme, dass diese Bestimmtheiten Realitäten seien,
ohne die also das ens realissimum nicht ohne Widerspruch
gedacht werden könne. Noch weniger fand man irgend eine
Schwierigkeit darin, aus dem ens realissimum die beschränkte
Realität der endlichen Welt abzuleiten ; denn diese musste ja
schon in der Realität Gottes enthalten sein.
Ein interessantes Beispiel der Anwendung jenes Begriffs
der absoluten Realität in der Philosophie gibt uns das System
Spinoza's. Man hat mehrfach darĂĽber gestritten, wie Attri-
bute und Modi im Systeme Spinoza's als mit der unendlichen
(d. h. nach Spinoza absolut indeterminirten) Natur der Sub-
398 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
stanz vereinbar und aus ihr folgend gedacht werden können,
wobei man Attribute und Modi bald als Eigenschaften und
Theile der göttlichen Substanz, bald als nur subjectiv, in un-
serem Verstände und unserer Einbildung existirend erklärt
hat. Jede dieser Erklärungsweisen ist aber in offenbarem
Widerspruch gegen die Aeusserungen Spinoza's; und eine
neuerdings versuchte Erklärung, nach welcher die Attribute
als die besonderen Kräfte der Substanz und die Modi als
Folgen oder Wu'kungen dieser Kräfte zu bestimmen wären,
lässt eben die Hauptschwierigkeit ungelöst, nämlich wie die
absolut indeterminirte Substanz dazu komme, sich zur Wirk-
samkeit zu determiniren '*). Nur die schon erwähnte Auffas-
sung der Begriffe der Realität und der Negation scheint uns
ĂĽber die Denkweise Spinoza's einen genĂĽgenden Aufschluss
zu geben. Ganz ähnlich wie seine Zeitgenossen, Cartesius,
Malebranche u. A. nahm Spinoza Gott als das Wesen an,
das in sich alle Realität vereinigte. Zugleich sah er aber
14) Die erste dieser drei Erklärunc^weisen war unter den Zeitgenossen
Spinoza*s die gewöhnliche und hat offenbar den Vorwurf des Atheismus
veranlasst; sie findet sich nicht nur bei Bayle (vergl. K. Fischer's Gesch.
d. n. Phil. I. n. 325), sondern auch bei Malebranche, der, je näher er in
seiner ganzen Denkrichtung dem Spinoza stand, um so mehr es nötbig
fand, sich (freilich ohne Spinoza ausdrĂĽcklich zu nennen) gegen die
Gottlosigkeit zu verwahren, nach welcher die Dinge in der Welt «Theile
oder Modificationen Grottes* sein sollten (Entret. IX. 2). Die zweite ist za
unserer Zeit von Erdmann versucht worden; ihre Unvereinbarkeit mit den
eigenen Worten Spinoza^s hat aber K. Fischer schlagend nachgewiesen.
Aber auch die dritte von Fischer selbst gegebene Erklfirung drĂĽckt sehr un-
vollkommen die Denkweise Spinoza*s aus. Denn 1) ist es ganz unspino-
zistisch, wie Fischer es thut (S. 284), die eine Substanz in eine Vielheit
von Attributen sich entfalten zu lassen; von einer Entfaltung der Sub-
stanz weiss Spinoza gar nichts. 2) Ebenso unspinozistisch ist es, das
Wesen der Attribute aus dem Begriff der Kraft zu erklären; vielmehr,
wenn bei Spinoza AusdrĂĽcke vorkommen, die a]if diesen Begriff bezogen
werden können, z. B. potentia (Eth. I. prop. 34), conatus (IV. prop. 22).
vis (IV. 5, 6), wird immer die Kraft durch das Wesen (die Essenz) erklärt
3) So gewiss es ist, dass Spinoza der Substanz Wirksamkeit zuschreibt,
so gewiss ist es auch, dass keine Wirksamkeit ohne Determination zu
denken ist. Nach Spinoza ist aber die Substanz absolut indeterminirt und
folglich kann er nur durch unbewusste Subreption die Wirksamkeit von
ihr prftdiciren.
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 399
richtig ein, dass keine Bestimmtheit sich ohne Beschränkung
(Negation) denken lässt. Darum setzte er Gott oder die
Substanz als absolut indeterminirt, und wenn er gleich der
Substanz ausdrĂĽcklich Denken und Ausdehnung neben un-
zähligen anderen Attributen beilegte, so hob er jedoch wieder
diese Bestimmtheit auf, indem er dem göttlichen Denken Ver-
stand und Willen und der Ausdehnung Theilbarkeit absprach.
Hierdurch war in der That jede Ableitung des Endlichen aus
der Substanz von vom herein abgeschnitten, und Spinoza
selbst scheint nicht fern davon, dieses anzuerkennen, indem
er schon im dritten Axiom sagt: „si nuUa datur determinata
causa, impossibile est, ut effectus sequatur.^' Dessen unge-
achtet trägt Spinoza kein Bedenken, Gott eine unendliche
Wirksamkeit zuzuschreiben oder „infinita infinitis modis'^ aus
ihm folgen zu lassen, aus dem ausdrĂĽcklich angegebenen
Grunde, dass er alle Realität in sich befasst (Eth. 1 , propp. 9,
16 und anderwärts). Hier ist der Schlüssel gegeben zu der
sonst unerklärlichen bconsequenz Spinoza's. Ihm gilt jede
Bestimmtheit nur als Negation und gehört als solche nicht
dem Sein, sondern dem Nichtsein der determinirten Sache
an; das Nichtseiende ist aber nicht und bedarf daher keiner
Ableitung oder Erklärung. Ist Gott als der Inbegriff aller
Realität bestimmt, so enthält er schon in sich Alles, was in
den Attributen und Modis real ist und ist also der zureichende
Grund alles dessen, was existirt. Nun liegt zwar hier der
Einwurf nahe, dass die Determination doch nicht ein reines
Nichts sei, sondern etwas Positives enthalten mĂĽsse, weil sie
sonst nicht einmal eine Determination wäre, sondern unter-
schiedslos in das allgemeine indeterminirte Sein zusammen-
fliessen wĂĽrde; aber wie unwiderlegbar auch dieser Einwurf
an sich sein mag, so gilt er nicht fĂĽr Spinoza, weil er ein-
mal in der Voraussetzung sich befestigt hatte, dass die Ne-
gation nichts Reales wäre. Aus demselben Grunde leug-
nete Spinoza die Realität des Bösen und des Uebels, da diese
als blosse Negationen nicht fĂĽr die Dinge als solche, sondern
nur für unser vergleichendes Denken einige Bedeutung hätten.
Es lässt sich ohne Schwierigkeit zeigen, dass der Begriff
der Realität, wie wir ihn bei Spinoza gefunden haben, auch
400 J. J. Borelius: Ueber den 3aU des Widerspruchs etc.
bei Cartesius, Malebranche und Leibniz uns begegnet, wenn
auch in modiflcirter Form; aber um unsern Aufsatz nicht
allzu sehr zu verlängern, müssen wir dies weiter zu verfol-
gen hier aufgeben. Schon zwei Jahrhunderte vor Spinoza
hatte indessen Nicolaus Cusanus, durch das Studium des
Pseudo-Dionysius und der Mystiker veranlasst, sein principium
coincidentiae oppositorum aufgestellt. Auch nach dem Cu-
saner ist Gott der Inbegriff alles Seins, aber in der Weise,
dass er nicht einmal dem Nichtsein entgegengesetzt ist; er
steht sogar dem Nichtsein näher als dem Sein. Der Satz
des Widerspruchs, oder, wie der Cusaner sich ausdrĂĽckt, der
Satz der Bejahung und Verneinung, gilt ĂĽberhaupt nach ihm
nur fĂĽr die Vernunft, welche in dem mathematischen Wissen
culminirt; und schon die Mathematik muss, indem sie zum
Unendlichen fortgeht, die Coincidenz der Gegensätze ancri^en-
nen. Jene Coincidenz ist der eigentliche Gegenstand des Ver-
standes, der mystischen Intuition, die sich dadurch zum Er-
kennen Gottes erhebt. Die Function der Vernunft besteht
im Trennen und Unterscheiden, aber der Verstand verbindet,
was die Vernunft getrennt hat. Wir begegnen hier zum
ersten Male der Lehre, dass die GĂĽltigkeit des Satzes
des Widerspruchs auf das Endliche zu beschränken ist.
Die Ansicht des Gusaners ist in dieser Hinsicht eine be-
merkenswerthe Antecipation der HegeFschen Philosophie; nur
tnuss man dabei beachten, dass, was Hegel Verstand nennt,
vom Cusanus Vernunft (ratio) genannt wird und vice versa,
indem die Bedeutung dieser Worte in der späteren Philo-
sophie geradezu umgekehrt worden ist.
Wenn man von allem Traditionellen absieht, das Nicolaus
als gläubiger Christ und als Cardinal der römischen Kirche
noch festhielt, wogegen Spinoza es verwarf, so ist der Gottes-
begriff des ersteren nur eine mehr folgerechte Ausfuhrung
desselben Gedankens, welcher auch der Philosophie des letz-
teren zu Grunde lag. Auch dem Cusaner ist Gott das ens realis-
simum, der Inbegriff alles Seins; weil aber den Negationen
nicht weniger als den Affirmationen ein Sein zukonunt, so
macht er geltend, dass auch jene in ihm enthalten seien.
Nach ihm ist daher Gott Alles, aber auch Nichts, insofern
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 401
als in ihm nichts Abgesondertes ist; er ist ĂĽber jeder Affir-
mation und Negation, während er zugleich jede Affirmation
und Negation in sich einschliesst; oder, wie es der Gusaner
anderwärts ausdrückt, er ist das Sein selbst, dem keine Nega-
tion oder Privation zukommt, wohl aber die Negation der
Negation, welche eben die Spitze der reinsten Affirmation
ist^'). (In diesen letztangefĂĽhrten Worten glaubt man fast
Hegel zu hören.) Nach Spinoza ist Gott das ens absolute
indeterminatum, und nur durch Inconsequenz kann er ihm
Wirksamkeit zuschreiben; nach Nicolaus besteht dagegen die
Determination Gottes eben in seiner Allmacht. Ein streng
wissenschaftliches AusfĂĽhren dieser Gedanken darf man frei-
lich bei dem Gusaner nicht suchen; bisweilen streift sein Ab-
solutes nahe an die absolute Indifferenz Schelling's, wo die
Gegensätze nicht sowohl erhalten als verwischt sind. Aber
durch sein principium coincidentiae oppositormn hat er nichts
desto weniger die wahre Einheit der Gegensätze angedeutet,
die nicht ein Verwischen derselben, sondern ihre lebendige
Durchdringung ist.
Dieses Hervorheben der Gegensätze, als in der Einheit
nicht verwischt, sondern erhalten, tritt noch kräftiger hervor
bei dem Theosophus Teutonicus, Jakob Böhme. Von ihm
wird der Gegensatz (Gegenwurf) als die nothwendige Beendi-
gung alles Seins, selbst des göttlichen, ausgesprochen. „Alle
Dinge bestehen in Ja und Nein; ohne Gegensatz wird Nichts
offenbar; kein Bild erscheint im klaren Spiegel, so eine Seite
nicht verdunkelt wird. Wer weiss von Freuden zu sagen,
der kein Leid empfimden, oder von Frieden, der keinen Streit
gesehen^*. Darum gehört der Zorn nicht weniger als die
Liebe ziun ewigen Wesen Gottes, jedoch „nicht so, dass in
Gott Böses neben dem Guten wäre, sondern so, dass der
Zorn oder die bittere Qualität in Gott eine ewig währende
Kraft, ein erheblicher, triiunphirender Freudenquell ist."
„Denn im Reich Gottes hat das Licht das Regiment und die
andern Qualen und Eigenschaften sind alle heimlich" (latent);
„darum wird die grimmige Essenz im Lichte verwandelt in
15) Opera Basileae 1865. S. S52, 1S5, 144, 962, 570.
PhUo0oph. Monatshefte 1881, VH a. VHI. S6
L
402 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
eine Begierde des Lichts und der Liebe *•)." Bei allem Unkla-
ren und Phantastischen, das die Theosophie Böhmens kennzeich-
net, gibt ihm jedoch jenes Hervorheben der Negation als
eines Moments selbst des göttlichen Wesens einen rechtmäs-
sigen Anspruch auf philosophische Bedeutung. Weder der
Rationalismus noch der Empirismus vermochte indessen diese
Bedeutung einzusehen ; auch der Kriticismus stand dem Stand-
punkt Böhmens zu fem, um darin etwas Schätzbares anzu-
erkennen, und so blieb es Schelling und Hegel vorbehalten,
ihn zu Ehren zu bringen.
Unter den älteren vorkritischen Schriften Kant's verdient
jedoch eine als Beitrag zu der Lehre ĂĽber die Negation und
den Satz des Widerspruchs angeführt zu werden, nämlich
sein „Versuch, den Begriff der negativen Grössen in die Welt-
weisheit einzufĂĽhren". Kant unterscheidet hier zwischen lo-
gischer und realer Opposition. Die logische Opposition be-
steht darin, dass von eben demselben Dinge etwas zugleich
bejaht und verneint wird. Die Folge dieser logischen Ver-
knĂĽpfung ist gar Nichts (nihil negativum irrepraesentabile),
wie der Satz des Widerspruches aussagt. Die reale Opposi-
tion- ist dagegen diejenige, da zwei Prädikate oder Tendenzen
eines Dinges entgegengesetzt sind; die Folge ist, dass die ent-
gegengesetzten Tendenzen einander aufheben, also auch Nichts,
aber in einem anderen Verstände (nihil privativum repraesen-
tabile); Kant benennt dieses Nichts Zero. Nur die logische
Opposition ist widersprechend und darum undenkbar; die
reale ist dagegen denkbar und« wirklich. Wenn z. B. ent-
gegengesetzte Bewegungstendenzen von gleicher Stärke in einem
Körper zusammentreffen, so heben sie einander auf und der
Körper bleibt in Ruhe; aber sie sind beide wirklich. Die
Privation oder die reale Verneinung ist nicht nur Mangel
(defectus, absentia), sondern etwas Positives, das ein anderes
Positives aufzuheben vermag. So ist Unlust nicht nur Mangel
an Lust, sondern das positive Gegentheil der Lust oder ne-
gative Lust, der Hass negative Liebe, Untugend negative Tn-
16) Der Weg zu Christo VII. 1. Quaest. theos. 3. Drei principia. And.
der Titelfig. Aurora 2; 36—40. Von sechs Pankten, 3, 1.
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 403
gend u. s. w. Mit dieser Untersuchung ĂĽber den Unterschied
zwischen logischer und realer Opposition verbindet Kant femer
einige Betrachtungen ĂĽber die Anwendung letztgenannten Be-
griffes. Er stellt dabei zwei aUgemeine Sätze auf, nämlich:
1) in aDen natürlichen Veränderungen der Welt wird die
Summe des Positiven, insofern sie dadurch geschätzt wird,
dass einstimmige Positionen addirt und real entgegengesetzte
von einander abgezogen werden, weder vermehrt noch ver-
mindert; 2) alle RealgrĂĽnde des Universums geben nach
derselben Schätzung ein Facit, das = Zero ist. Und end-
lich erörtert er den für seinen späteren kritischen Stand-
punkt so wichtigen Causalitätsbegriff, indem er den Un-
terschied zwischen logischem Grund und Realgrund mit dem
zwischen logischer und realer Entgegensetzung zusammenstellt.
Die erstere ist vermittelst des Satzes vom Widerspruche deut-
lich einzusehen, die letztere dagegen nicht. Eine logische
Folge wird eigentlich nur darum gesetzt, weil sie einerlei ist
mit dem Grunde ; eine reale Folge ist dagegen etwas Anderes
als der Grund, wird jedoch durch den Grund gesetzt.
Ein Physiker der Jetztzeit wurde gegen das Beispiel, das
Kant von der Bewegung hergeholt hat, einwerfen, dass ent-
gegengesetzte Bewegungstendenzen gleicher Stärke nur ober-
flächlich betrachtet ein Resultat = Zero geben, in Wahrheit
aber etwas Positives leisten, mdem der Körper durch sie
innerlich erschüttert oder erwärmt wird. Und dieser Einwurf
kann noch dahin erweitert werden, dass ĂĽberhaupt entgegen-
gesetzte Zustände oder Thätigkeiten eben in ihrem Zusam-
mentreffen ein positives Resultat geben. Aber nichtsdesto-
weniger hat Kant durch die hier angefĂĽhrte Schrift einen
schätzbaren Beitrag zur Einsicht in das wahre Wesen der
Negation geliefert. Während sonst die Philosophen diesen
Begriff entweder als selbstverständlich behandelten oder mit
Spinoza als „mera carentia seu modus cogitandi, quem for-
mamus, cum res inter se comparamus^^ betrachteten, hat da-
gegen Kant dessen reale Bedeutung hervorgehoben. Indessen
hat Kant diesen Gedanken nicht weiter entwickelt. In seiner
Kritik der reinen Vernunft bemerkt er nur bei der s. g. Am-
phibolie der Reflexionsbegriffe, dass, wenn Realität durch
404 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
den reinen Verstand (als realitas noumenon) gedacht wird,
kein Widerstreit zwischen Realitäten sich denken lasse, dass
aber Realitäten in der Erscheinung allerdings unter einander
in Widerstreit sein können. Da nach Kant die reinen Ver-
standesbegriffe ausser dem Gebiete der Erscheinung nur leere
Formen sind, so ist offenbar nach ihm der Satz, dass Rea-
litäten, durch den reinen Verstand gedacht, nicht im Wider-
streit unter einander sein können, völlig nutzlos zur Erwei-
terung unserer Erkenntnisse. Indessen lässt ihn Kant inner-
halb (des freilich illusorischen) Gebietes der Vemunftideen
gelten und erkennt sogar dem Begriffe des ens realissimuni
eine gewisse GĂĽltigkeit zu als einer transscendentalen Idee,
welche die oberste Bedingung alles Bestimmens der Gegen-
stände durch das Denken ausmacht. Noch mehr erweitert
sich die Bedeutung dieser Idee auf dem praktischen Gebiete,
indem die Existenz des allerrealsten Wesens, wenn auch nicht
als Gegenstand objectiver Erkenntniss, so doch als subjectiv
unumstössliche, in unserem sittlichen Bewusstsein fest gegrün-
dete Gewissheit hervorgehoben wrd. Wir sind weit davon
entfernt, mit den Neukantianern unserer Zeit dem Gottes-
begriffe jede Wahrheit abzusprechen oder es als ein unwirk-
liches Ideal zu setzen, das nur als imaginäres Ziel unserer
Handlungen einige Wahrheit besitzt. Das aber behaupten
wir, dass der leere Gedanke eines Inbegriffs aller Realität
ganz und gar unzureichend ist, um eine speculative Theologie
zu begründen. Noch mehr — dieser Gedanke ist sogar zu
schlecht, um als Ideal unseres sittlichen Strebens zu dienen
— mag jener Inbegriff ganz äusserlich als eine Summe vor-
gestellt werden (wonach er also nichts Anderes bedeuten
wĂĽrde als die Welt) oder als das Reale, das ĂĽbrig bliebe,
nachdem alle Gegensätze durch gegenseitiges Subtrahiren aus
der Welt eliminirt wären, d. h. nach der vorher erwähnten
Kantischen Schrift nichts Anderes als das Zero. Kant scheint
selbst dieses einzusehen, indem er seine Rede von dem Inbegriff
aller Realitäten als rohen Schattenriss bezeichnet und dann
die höchste Realität nicht als Inbegriff, sondern als Grund
bestimmt, so dass also „die Mannigfaltigkeit der Dinge nicht
auf der Einschränkung des Urwesens selbst, sondern seiner
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 405
vollständigen Folge beruhen, zu welcher denn auch unsere
ganze Sinnlichkeit sanrnit aller Realität in der Erscheinung
gehören, die zu der Idee des höchsten Wesens als eine In-
gredienz nicht gehören kann/' Es ist nicht zu leugnen, dass
der Kantische Gottesbegriflf durch diese Correctur eine höhere
Bedeutung gewinnt als die früher erwähnte; aber diese höhere
Bedeutung ist von ihm nicht wissenschaftlich gerechtfertigt,
sondern nur durch einen Machtspruch statuirt worden — sei
es auch nur als eine fĂĽr unsere Vernunft nothwendige Idee.
Denn Kant's Deduction der theologischen Idee enthält Nichts,
was ĂĽber den rationalistischen Begriff des ens realissimum
hinaus führen könnte. Sie wird ausschliesslich aus der Form
des disjunctiven Schlusses abgeleitet; insofern dabei ein Ver-
haltniss zwischen Grund und Folge hervortritt, kann also auch
dieses nur rem formal sein. Durch die logische (nur formale)
Folge wird aber, wie Kant in der Schrift ĂĽber die negativen
Grössen ausdrücklich hervorgehoben hatte, nichts Anderes ge-
setzt, als was einerlei ist mit dem Grunde. Nur durch
Vergessen dieser wichtigen Bestimmung wurde es ihm mög-
lich, jenes nur formale, analytische Verhältniss zwischen Grund
und Folge in ein reales zu verwandeln.
Es wird vielleicht Manchem als eine ĂĽberflĂĽssig^ Arbeit
erscheinen, die Kantische Deduction des Gottesbegriffs zu kri-
tisiren, da der Philosoph selbst diesen Begriff nur als noth-
wendige Idee betrachtet, aus welcher wir keineswegs berech-
tigt sind, auf die Wirklichkeit ihres Gegenstandes zu schliessen.
Aber die Sache wird in der That nicht dadurch verbessert,
dass Kant, was er sozusagen mit der einen Hand unrecht-
mässig gegeben hat, mit der andern ebenso unrechtmässig
zurücknimmt. Während er in der Aufstellung des Gottes-
begriffs sich ganz unkritisch dem frĂĽheren Dogmatismus an-
schliesst, ist dagegen hier seine Skepsis in der That ebenso
unkritisch. Er lässt den Gottesbegriff als nothwendiges Er-
zeugniss unseres Denkens gelten, leugnet aber den Schluss
von dieser ihrer Nothwendigkeit auf die Existenz ihres Gegen-
standes. Hatte der Dogmatismus sich zugetraut, die Existenz
Gottes aus dem Begriffe des ens realissimum zu beweisen,
weil das Sein oder die Existenz eine Realität wäre, die also
406 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
dem Inbegriff aller Realität nicht ohne Widerspruch abgehen
könnte, so bemerkte dagegen Kant, dass Sein oder Existenz
kein reales Prädikat sei, sondern nur das Setzen des Subjekts
mit allen seinen Prädikaten bezeichne. Der Begriff des ens
realissimum werde darum weder ärmer noch reicher dadurch,
dass die Existenz ihm abgesprochen oder zugefĂĽgt werde.
Ein Widerspruch sei es allerdings, das Subjekt als existirend
zu setzen, während man die Existenz eines Prädikats leugnet,
das seinem Begriffe nothwendig inhärirt; dagegen entstehe
kein Widerspruch, wenn das Subjekt selbst mit allen seinen
Prädikaten aufgehoben wird. Dieses ist allerdings insofern
richtig, als das Gesetz des Widerspruchs, wie wir schon be-
merkt haben, rein formal ist und also nichts unbedingt, son-
dern nur unter der Bedingung eines vorausgesetzten Inhalts
Etwas bestimmt; in diesem Sinne wäre es sogar an sich kein
Widerspruch, wenn gar Nichts existirte, zumal, da es in
diesem Falle kein Denken und keinen Widerspruch geben
würde. Da aber das Denken thatsächlich existirt, so wäre
es allerdings in Widerspruch mit dieser Thatsache, wenn
man behaupten wollte, dass Nichts existirt. Ebenso ist auch
an ^ch, unabhängig von allem thatsächlich Existirenden, das
Nichtsein Gottes kein Widerspruch. Dagegen lässt es sich
allerdings denken, dass es unter der Voraussetzung eines
thatsächlich gegebenen Daseins widersprechend sei. Und
dieses mĂĽsste eben nach Kant's Deduction der Fall sein, in
sofern, als er die Idee des cns realissimum als eine nothwen-
dige Vernunftsidee statuirt hatte. Freilich wäre dadurch der
alte ontologische Beweis insofern modificirt worden, als ein
empirisches Moment, nämlich das Dasein überhaupt hinein-
getragen wäre ; aber auch die alten Scholastiker hatten wahr-
scheinlich nicht geglaubt die Existenz Gottes unabhängig von
allem thatsächlich Gegebenen beweisen zu können, und
namentlich hatte Cartesius die Thatsache des Denkens als
die Voraussetzung alles Wissens hervorgehoben. In dem
ontologischen Beweise liegt also in der That implicite auch
der kosmologische. Kant hat dagegen in seiner Kritik den
ontologischen Beweis so behandelt, als wenn jedes kosmo-
logische Moment davon ausgeschlossen wäre und nachdem
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Wideraprochs etc. 407
er ihn dadurch ohne Schwierigkeit abgefertigt hat, findet er
im kosmologischen Beweise gerade den Hauptfehler, dass er
den ontologischen voraussetzt und also mit ihm falle. Eben
diese Trennung der beiden Beweise raubt ihnen die Beweis-
kraft, die sie jedenfalls nur im Verein haben köimen. Dass
ĂĽbrigens diese Beweiskraft nicht jedes Moment des Glaubens
oder der durch keinen Beweis zu ersetzenden persönlichen
Ueberzeugung ĂĽberflĂĽssig macht, muss allerdings zugegeben
werden; dasselbe gilt aber von aller Wissenschaft, höchstens
mit Ausnahme der reinen Zahlenlehre; denn sogar in der
Geometrie drängt sich etwas Unbeweisbares hinein, wie sich
durch die Untersuchungen ĂĽber die Parallel-Linien ergeben hat.
Dass Kant richtig den Satz des Widerspruchs nur als
negatives Kriterium der Wahrheit aufgefasst hat, ergibt sich
schon aus seiner Kritik des ontologischen Beweises. Weniger
glĂĽcklich ist er dagegen in seinem Versuche, die Aristoteli-
sche Formel zu verbessern und zu berichtigen. Gegen die
Formel: es sei unmöglich, dass etwas zugleich sei und nicht
sei, bemerkt er nämlich, dass dieselbe eine Einmischung der
Zeit enthält, die einem bloss logischen Grundsatze nicht zu-
kommen könne. Wir haben schon oben bemerkt, dass die
Zeitbestimmung sowie die übrigen Beschränkungen, die der
Formel bei Aristoteles beigefĂĽgt sind, eigentlich nur beab-
sichtigten, gegen die sophistischen Kunstgriffe die strenge Iden-
tität festzuhalten, und dass sie als selbstverständlich weg-
fallen können, wenn nur diese festgehalten wird. Uebrigens
ist es allerdings ganz richtig, dass das Gesetz des Wider-
spruchs auch unabhängig von jeder Zeitbestimmung gültig
ist; diese tritt nur dann hinein, wenn em Prädikat einem
Subjecte mit einer zeitlichen Beschränkung beigelegt wird, in
welchem Falle die Anwendung des Gesetzes derselben Be-
schränkung unterliegt. Indessen ist der Sinn des Aristoteli-
schen Satzes ganz richtig, und die Veränderung, die Kant in
der Formulirung desselben vornahm, war keineswegs geeignet,
diesen Sinn deutlicher zu machen. Er gibt dem Satze fol-
genden Ausdruck : Keinem Dinge kommt ein Prädikat zu, das
ihm widerspricht. Hier ist der Inhalt des Satzes durch das
Wort „widerspricht" eher yerstecfct als angegeben; Alles
408 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
kommt darauf an, was man mit diesem Worte versteht Soll
widersprechen dasselbe bedeuten als nicht zukonmien, so
haben wir wieder den alten Aristotelischen Satz (keinem Dinge
kommt ein Prädikat zu, das ihm nicht zukommt), nur mit
dem Unterschiede, dass die von Aristoteles gegebenen Be-
schränkungen ausgelassen sind, welches jedoch eher Verwir-
rung als Klarheit in die Philosophie gebracht hat, indem die
yySvgx€Qeuxi Xoyiyuxt^^ die Aristoteles durch sie wegräumen
wollte, eben durch jenes Weglassen von Neuem Nahrung ge-
funden haben. Keine bessere Auskunft erhält man, wenn
man den Widerspruch durch den Gegensatz zwischen A und
non-A erklärt (nach der bekannten und auch von Kant
selbst angefĂĽhrten Formel: A ist nicht non-A); denn der
s. g. Begriff non-A ist völlig leer und lässt es noch dabei
unentschieden, ob darunter Alles, was nicht mit A genau
identisch ist oder nur alle dem Begriffe A conträr entgegen-
gesetzte Bestimmtheiten inbegriflfen werden sollen, hn ersteren
Falle wären wir wieder zu dem Satze Stilpo's zurückgekehrt,
dass man nicht sagen dĂĽrfe: der Mensch ist gut oder das
Pferd läuft; im letzteren Falle hat man nur die leere Tau-
tologie, dass das Unvereinbare nicht vereinbar ist, wobei je-
doch verschwiegen wird, dass, was in einer Hinsicht un-
vereinbar ist, in einer anderen Hinsicht vereinbar sein kann.
Dass diese Unklarheit nicht ohne Wirkung auf die nacbkan-
tische Philosophie geblieben ist, zeigt sich schon an Fichte,
vor Allem aber an Herbart und Hegel.
Hegel bemächtigte sich des grossen Gedankens Heraklits,
dass alles Leben und alle Wirklichkeit sich in Gregensätzen
bewege. Und zwar war dieses fĂĽr Hegel nicht nur eine in
aller Erfahrung gegebene Thatsache, sondern ebenso sehr im
W^esen des Gedankens begrĂĽndete apriorische Nothwendigkeit
Ein schlechthin gegensatzloses, ein jedes Nichtsein ausschlies-
sendes Sein ist nach Hegel undenkbar oder es verkehrt sich,
indem wir es denken, in sein Gegentheil, das reine Nichtsein.
Die absolute Idee ist so nach Hegel nicht das starre ens rea-
lissimum, das jede Bewegung und folgerecht jede Thätigkeit
ausschliesst, sondern sie ist eben die ewige Thätigkeit, sich
in sich zu unterscheiden, ihr Anderes, die Natur, zu setzen.
J. J. BoreKus: lieber den Satz des Widerspruchs etc. 409
um aus ihr sich als freier Geist zurĂĽckzunehmen. Indem so
die Welt als das Selbstver wirklichen der absoluten Idee auf-
gefasst wird, sucht Hegel in allen Gebieten der Wirklichkeit
den allgemeinen Rythmus der Idee aufzuzeigen : das Zerfallen
des Identischen in Gegensätze und das Zurücknehmen der
Gegensätze in eine höhere Identität. Das Gesetz der Ent-
wickelung beherrscht also das ganze System. Hierdurch hat
Hegel über alle Gebiete der Wirklichkeit ein verklärendes
Licht verbreitet; und mit Recht hat Hartmann *^ bemerkt,
dass der Geist der Hegel'schen Philosophie beinahe das ganze
Leben der modernen Wissenschaft durchdrungen und in seine
Bahnen gelenkt hat. Während aber so der reiche Gedankenin-
halt der HegeFschen Philosophie eine tiefgreifende Einwirkung
auf die Wissenschaft geĂĽbt hat, ist dagegen ihre logische Form
fast einstimmig von deren Vertreten! verworfen worden. Scheint
doch schon der erste Satz der HegeFschen Logik, von
der Identität des Seins und des Nichts, jede Wissenschaft
und jedes mit sich ĂĽbereinstimmende Denken zu vernichten.
Und weit entfernt, das Gesetz des Widerspruchs als das
höchste gelten zu lassen, erklärt Hegel vielmehr ausdrücklich,
dass alle Dinge in sich widersprechend seien. Es ist den
L(^em nicht zu verdenken, dass sie diese und ähnliche
AusdrĂĽcke absurd gefunden haben. Und ebenso wenig darf
man sich wundem, wenn die Vertreter der modernen Wis-
senschaft sich gegen eine Philosophie sträuben, welche
die Grundvoraussetzung jeder exacten Wissenschaft aufzu-
heben scheint.
Es wäre unerklärlich, dass ein solcher Antagonismus,
wie der zwischen der Aristotelischen und der Hegel'schen
Logik, hätte entstehen können, wenn der Begriff des Wider-
spruchs bei Aristoteles und bei Hegel genau dieselbe Bedeu-
tung hätte. Es ist aber nicht schwierig zu zeigen, dass die-
ses nicht der Fall ist. Der Aristotelische Widerspruch be-
steht, wie wir mehrfach bemerkt haben, darin, dass dasselbe
demselben in derselben Hinsicht und derselben Bedeutung
17) Gesammelte Studien und Aufsätze gemeinyerstäQdUchen Inhalts.
S. 568.
410 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
zukomme und nicht zukomme, resp. beigelegt und abgespro-
chen werde; Beispiele dieses Widerspruchs geben die Urtheile:
A ist (in gewisser Hinsicht und in gewisser Bedeutung) B,
und Ă„ ist (in derselben Hinsicht und derselben Bedeutung)
nicht B. Hegel drĂĽckt dagegen im Anschluss an Kant den
Widerspruch immer so aus, dass einem Gegenstande A ein Prä-
dikat B und zugleich dessen Gegentheil, nicht- B, zukomme^
oder noch einfacher so, dass das A selbst ebenso sehr Nicht -Ă„
(- A) sei. Dieses ist aber mit dem Aristotelischen Widerspruch
nur unter der Bedingung identisch, dass Nicht *-A oder-A
nichts Anderes bedeutet, als das Leugnen oder die Ab-
wesenheit des Prädikates A. Statt dessen gibt aber Heg|el
dem Nicht -A ausdrucklich eine positive Bedeutung; es ist
sogar eine Hauptsache seiner Philosophie, dass das Negative
ebenso sehr positiv ist. Wir werden später sehen, dass die-
ses in Betreff der realen Negation ganz richtig ist, wie ĂĽbri-
gens schon aus der Betrachtung der Eantischen Schrift ĂĽber
die negativen Grössen hervoi^eht. Aber der Satz des Ari-
stoteles gilt ausdrĂĽcklich nur der formalen Negation; er wird
also nicht umgestossen dadurch, dass z. B. das ESne ebenso
sehr ein Vielfaches, das Sein fĂĽr sich ebenso sehr ein Sein
fĂĽr Anderes ist, oder wie sonst die vielfachen Wendungen
heissen, durch welche Hegel die UngĂĽltigkeit des Satzes des
Widerspruches zu beweisen sucht "). Vielmehr muss ihn Hegel
18) Wir erinnern in dieser Hinsicht an eine Stelle in der Phänome-
nologie des Geistes (W. W. IL 8^—93), wo Hegel die Ansicht widerlegen
will, dass der Widerspruch im Begriffe des Dinges durch das Hervorheben
verschiedener RĂĽcksichten oder verschiedener .Insofern* vermieden wer-
den könne. Das Resultat der Erörterung ist, dass alle diese Unterschiede
am Ende wegfallen, und dass der Gegenstand vielmehr in einer und
derselben RĂĽcksicht das Gregentheil seiner selbst sei: fĂĽr sich, insofern
er fĂĽr Anderes, und fĂĽr Anderes, insofern er fĂĽr sich ist Es ist offen-
bar, dass hier statt der nur formalen Negation des Seins fĂĽr sich eine
reale untergeschoben ist. Dass etwas in derselben Bedeutung und der-
selben Hinsicht fĂĽr sich sei und fĂĽr sich nicht sei, das ist ein Widerspruch
im AristoteHschen Sinne, und folglich widersinnig; dagegen lässt es sich
sehr gut denken, dass es ebenso sehr fĂĽr Anderes als fĂĽr sidi sei. Will
man femer festhalten, dass jedoch auch in diesem Falle der Widerspruch
nur durch das Geltendmachen verschiedener RĂĽcksichten vermieden wer-
den kann, die eben von Hegel verleugnet worden sind, so bemerke wir,
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 411
selbst nolens volens festhalten, um Oberhaupt etwas zu be-
weisen oder auch nur zu behaupten, denn indem er behaup-
tet, dass das Eine ein Vielfaches ist, leugnet er dadurch die
Annahme, dass es eine Einheit ohne alle Vielheit geben
könnte.
Ganz im diametralen Gegensatze zu Hegel hielt Her hart
die GĂĽltigkeit des Satzes des Widerspruchs (oder nach seiner
Terminologie des Nicht - Widerspruchs) imverbrĂĽchlich fest;
indem er ihm aber dieselbe falsche Deutung gab wie Hegel,
so bĂĽsste er dadurch die materiale Wahrheit ein, die jeden-
falls durch Hegel's scheinbar paradoxe Sätze überall durch-
schimmert Schon seine Formulirung des genannten Satzes:
Entgegengesetztes ist nicht einerlei, ist von der Aristotelischen
Formel weit verschieden. Denn nach dieser kann das in
gewisser Hinsicht Entgegengesetzte sehr wohl in anderer Hin-
sicht einerlei sein. Noch deutlicher tritt die Verschiedenheit
der beiden Formeln hervor, indem behauptet wird, ein Wider-
spruch sei vorhanden, wenn auf die Frage: was oder wel-
cherlei ist dies Eine, geantwortet werden muss: es ist ein
solches und auch ein anderes, folglich nicht solches ^^). Hier
zeigt sich offenbar die Verwirrung, welche durch den zwei-
deutigen Ausdruck non-A in die Lehre vom Widerspruch
gebracht worden ist. Statt des negativen Urtheils: „es ist
nicht ein solches", wird hier das limitative: „es ist ein
nicht-solches" ohne Weiteres untergeschoben, und dann
dass eben dieses Leugnen der verschiedenen RĂĽcksichten dnrch einen Pa-
ralogismus hervorgebracht wird, indem das Wort insofern in zweifacher
Bedeutung benutzt wird. , Insofern* kann nothwendige VerknĂĽpfung be-
deuten, und in dieser Bedeutung ist es kein Widerspruch im Aristoteli-
schen Sinne, dass der Gegenstand nur fĂĽr sich sein kann, insofern er zu-
gleich fĂĽr Anderes ist, d. h. dass sein Sein fĂĽr sich und sein Sein fĂĽr
Anderes einander gegenseitig bedingen. Soll dagegen .insofern* dasselbe
bedeuten als in einer und derselben RĂĽcksicht oder in einer und derselben
Beziehung, so ist es freilich nicht nur widersprechend, sondern auch
widersinnig, zu behaupten, dass er fĂĽr sich ist, insofern er fĂĽr Anderes
ist; denn schon in den Worten fĂĽr sich und fĂĽr Anderes ist die
Verschiedenheit der RĂĽcksichten (Beziehung auf sich und Beziehung
aaf Anderes) ausgesprochen.
19) W. W. I. S. 80, 81.
412 J. J. Boreliufl: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
wird wieder dieses nicht - solches als gleichdeutig mit „ein
anderes^^ gesetzt Nur durch diese falsche Deutung des Satzes
des Widerspruchs kommt Herbart zu dem fĂĽr seine Philo-
sophie charakteristischen Postulat, dass die Qualität des Seien-
den absolut einfach sei, ohne alle Negation und Relation, in-
dem der Beweis aus dem Begriffe der absoluten Position
auf einen offenbaren Paralogismus sich gründet'®). Ganz
wie Hegel, sieht auch Herbart in der Welt der Erfährung
lauter WidersprĂĽche, weil in ihr entgegengesetzte Bestimmun-
gen vereinigt sind. Er beruft sich sogar ausdrĂĽcklich auf
Hegel, der nach seiner Meinung auf jene WidersprĂĽche ein
so grelles Licht geworfen habe, dass auch das blödeste Auge
sie wird sehen mĂĽssen * *). D^egen sind die Folgerungen, die
Beide daraus ziehen, ganz verschieden und verhalten sich
wie modus ponens und modus toUens des hypothetischen
Schlusses. Mit anderen Worten, Hegel findet in den empi-
risch gegebenen Widersprüchen eine Bestätigung seiner An-
sicht, dass alles Seiende widersprechend ist; Herbart dagegen,
der jeden Widerspruch im Seienden leugnet, folgert im Gegen-
theil, dass die Welt der Erfahrung nicht das wahre Seiende,
sondern nur Schein sei.
Da also Herbart nicht weniger als Hegel den Satz des
Widerspruchs missverstanden hat, so ist sein Festhalten des-
selben weit mehr als HegeFs Verwerfen der wahren philo-
sophischen Einsicht hinderlich. Auch zeigt es sich, dass Her-
bart ihn nur festhalten kann, so lange als er sich mit seinen
abstrakten „Realen^^ herumtreibt. Sobald er dagegen zum
^) Der Begriff der absoluten Position wird bei Herbart dadurch ge-
wonnen, dass es sich unmöglich zeigt, alles Sein zu leugnen, weil ohne
ein Sein auch nicht der Schein existiren könnte. Indem also das Aner-
kennen des Seins mit dem Anerkennen eines absolut zu ponirenden zu-
sammenfällt, wird das Sein als absolute Position bestimmt Nachdem aber
so das Wort einmal gefunden ist, wird dessen Bedeutung plötzlich gani
verkehrt. Während es zunächst nur das Anerkennen bezeichnet, dass
Etwas ĂĽberhaupt als seiend gesetzt werden muss, verwandelt es sich fĂĽr
Herbart in eine Bestimmung der Qualität des Seienden, und nur durch
diese Subreption gelangt er zu dem Resultate, dass diese Qualität absolut
einfach, ohne jede Quantität, Relation und Negation sei,
21) W. W. IV, 7. Vergl. II, 240.
J. J. Borelius: lieber den Satz des Widerspruchs etc. 413
Erklären der Erscheinung fortgeht, treten nicht nur fingirte,
sondern wirkliche WidersprĂĽche ĂĽberall hervor, indem er
stets dasselbe annimmt, was er ausdrĂĽcklich geleugnet hat.
Die Realen, die absolut einfach sein sollen, werden jetzt
(durch die sogen, zufalligen Ansichten) als zusammengesetzt
betrachtet; sie sollen jede Negation und Relation ausschliessen,
und dessen ungeachtet werden sie jetzt nicht nur in Relation
gesetzt, sondern geradezu in Gegensatz. Freilich soll alles
dieses nur fĂĽr uns gelten bei dem Versuche, die Realen im
Denken zusammenzufassen. Die zufalligen Ansichten sowie
der intelligible Raum und was Alles Herbart noch in seine
Metaphysik hineinbringt, sollen nicht als Bestimmtheiten des
Seienden gelten, sondern nur als nicht-reale HĂĽlfsbegriffe fĂĽr
das Denken '*). Alles dieses sind aber nur leere Worte, um
den offenbaren Widerspruch zu verbergen. Wäre das Seiende
so beschaffen wie Herbart es annimmt, so wäre jedes Denken
und jedes Zusammenfassen der Realen schlechthin ausge-
schlossen. Eben das Vorhandensein eines Denkens hebt also
die Herbart'sche Metaphysik ganz und gar auf, und wenn
diese dennoch in der Geschichte der Philosophie einen blei-
benden Werth behaupten wird, so liegt dieser nur darin, dass
sie gegen die Absicht ihres Urhebers die Unhaltbarkeit ihrer
Voraussetzungen schlagend beweist. Die Welt der Erfahrung
zu begreifen, ist also vom Standpunkte des Herbart'schen
Systems geradezu unmöglich. Wenn dessen ungeachtet dieses
System bei den Vertretern der exacten Wissenschaft mehr
Anerkennung gefunden hat als das Hegel'sche, so liegt der
Grund darin, dass die einfachen Realen Herbart's sich der
mathematischen Berechnung leicht unterwerfen , an der es
jenen vor Allem gelegen ist, während sie sich um die meta-
physische Richtigkeit wenig bekĂĽmmern.
Aus dem Vorigen ergibt sich, dass es dem richtig nach
Aristoteles bestimmten Satze des Widerspruchs nicht wider-
streitet, alles Seiende als Einheit entgegengesetzer Bestim-
mungen zu begreifen. Diese grosse Wahrheit, dass es ein
Sein ohne Gegensatz, ohne Negation nicht gibt, wird durch
M) W. W. I, 264.
414 J. J. Boretins: Ueber den Satz des Widersprudis etc.
die gesammte Erfahrung bestätigt. Indessen sind noch zwei
wichtige EinwĂĽrfe zu berĂĽcksichtigen, von denen der eine vor-
zugsweise dem Rationalismus, der andere dem Empirismus ge-
hört, wobei jedoch zu bemerken ist, öbss einerseits der Ratio-
nalismus immer in letzter Instanz auf die Elrfahrung verweisen
muss, während andererseits der Empirismus, wie sehr er sich
auch gegen jede Metaphysik sträubt, nichtdestoweniger sich
von metaphysischen Voraussetzungen nimmer gänzlich los-
machen kann, so dass in der That die entgegengesetzten
Standpunkte einander vielfach kreuzen.
Zugegeben also — so ohngefahr lautet das rationalistische
Argument — dass die Welt der Erfahrung uns immer Ein-
heit entgegengesetzter Bestimmungen zeigt, so beweist doch
dieses nimmermehr, dass auch das wahrhaft Seiende Gegen-
satz und Widerstreit enthalte. Die Aufgabe der Philosophie
ist eben, sich durch das Denken ĂĽber die Welt der Erfahrung
zum Absoluten zu erheben, und was vom Denken als wahr
erkannt wird, das ist wahr, unabhäng^ von jeder Erfahrung.
Freilich möchten Wenige zu unserer Zeit dieses unbedingte
Vertrauen zum Gedanken hegen; indessen liegt darin nicht
nur etwas Erhabenes, sondern auch Wahres. Denn wie hoch
man auch die Erfahrung schätzen mag, so steht es doch fest,
dass ohne die Gewissheit des Gedankens von sich selbst wir
nimmer weiter als bis zu Sammlungen einzelner Beobachtunga:i
oder viehnehr einzelner Empfindungen gelangen könnten. Aber
wie sehr man andererseits die Bedeutung und die Wahrheit
des Denkens schätzen mag, so wird dadurch die Bdiauptung
nicht umgestossen, dass alles Sein durch G^ensätze bedingt
ist, sondern sie wird viehnehr dadurch bestätigt. Denn das
ist eben die Grösse Hegel's als Metaphysiker , bewiesen zu
haben, dass ein Sein ohne Gegensatz, ohne Nichtsein nicht
denkbar ist. Selbst indem wir es so denken wollen, mĂĽssen
wir es im Gegensatz zmn Nichtsein setzen oder dieses von
ihm negiren; die Negation, die eben ausgeschlossen werden
sollte, heftet sich also eben im Ausschliessen fest an den
Gedanken. Versuchen wir endlich sogar von diesem Ausschlies-
sen zu abstrahiren und das Sein unabhängig von allem Gegen-
satz, selbst dem gegen das Nichtsein aufzufassen, so ratwindet
J. J. BoreUus: Uebei^ den Satz des Widerspruchs etc. 415
es sich unserem Denken, oder mit andern Worten wir denken
in der That — Nichts ").
Wir wenden uns jetzt zum zweiten Argument, das im
Gegensatze zu dem vorigen eme empirische Basis hat, welches
jedoch nicht hindert, dass es auch von rationalistischen Den-
kern benutzt worden ist, wenn ihr Rationalismus eine reali-
stische (d. h. im Sinne des Mittelalters eine nominalistische)
Färbung angenommen hat. Die sinnliche Empfindung ist (ab-
gesehen von ihrem Verhältniss zu unserem Selbstgefühl) immer
positiv, d. h. es wird darin etwas Säendes, niemals aber
etwas Nichtseiendes empfunden, und in diesem Sinne sagt
der Cusaner mit Recht, dass der Sinn nur bejaht, nimmer
aber verneint. Erst die vergleichende Reflexion, die in dem
einen Objecte oder Zeitmomente vermisst, was sie in dem
anderen findet, geht dadurch zum Begriffe des Nichtseins
fort, und dieser zeigt sich insofern, als nicht in den Gegen-
standen als solchen, sondern nur in unserm vergleichenden
Bewusstsein existirend. Die Annahme hegt hier ganz nahe,
dass die Negation ĂĽberhaupt nur eine subjective GĂĽltigkeit
habe. So bestimmt schon Spinoza die Privation (und damit
die Negation überhaupt) als „ens rationis vel modus cogi-
tandi, quem formamus, quum res invicem comparamus'^ '^).
Und ganz in demselben Sinne sagt Herbart '^) : „die Negationen
sind bloss in der Vorstellung dessen vorhanden, der in dem
Gegenstande etwas sucht, was er nicht findet; der Mangel
selbst ist Nichts/^ Endlich hat Sigwart in seiner 1873
erschienenen Lc^ *^) jene ausschliesslich subjective und nomi-
nalistische Auffassung der Negation ausfĂĽhrlich entwickelt.
Nach ihm hat die Verneinung keinen andern Sinn als die
subjective und individuell zufallige Bewegung des Denkens,
die in ihren Einfällen, Fragen, Vermuthungen, irrthümhchen
Behauptungen ĂĽber das objectiv GĂĽltige hinausgreifl, in die
23) Dieses ist unseres Erachtens der Sinn des verrufenen HegePschen
Salzes, dass das reine (d. h. abstracte) Sein = Nichts ist. Derselbe Ge-
danke findet sich Obrij^ns schon im platonischen Sophistes üö C, D.
24) Ep. XXXIV. 8.
«5) W. W. in. 128.
26) I. 120, 79, 127, 138.
416 J. J. Borelius: lieber den Satz des Widerspruchs etc.
ihr durch die Natur der gegebenen Vorstellungen gesteckten
Schranken zu weisen. Das Allgemeine und das Einzebe, das
Prädikat und das Subjekt finden überhaupt in ihrer Tren-
nung und Vereinigung schlechthin kein GegenstĂĽck im Seien-
den; was im Objekt, realiter, getrennt wäre, würde nämlich
keine Beziehung aufeinander haben, und es lässt sich nicht
von dem Prädikate sagen, dass es irgendwo vorhanden sei,
um mit dem Subjekte sich zu vereinigen oder von ihm ge-
trennt zu bleiben* Was die Dinge nicht sind, gehört niemals
zu ihrem Sein und Wesen; es ist nur von dem vergleichen-
den Denken von aussen an sie herangebracht.
Ehe wir zur Entgegnung dieser Ansicht fortgehen, ist es
zuzugeben, dass sie eine gewisse Wahrheit enthält. Wenn
auch, wie schon Wundt*'') bemerkt hat, öbs verneinende
Urtheil von Sigwart ungehörig unterschätzt wird, indem er
dessen Bedeutimg allein in der Abwehr eines möglichen Irr-
thums sieht, so ist doch wahr, dass die N^ation als be-
wusster Denkakt nur im bewussten Denken existirt; dieses
ist sogar ein analytischer Satz. Dasselbe gilt selbstverständ-
lich auch von der Realität und jedem anderen Begriffe; als
abstracte Begriffe (xcc^urrä) existiren sie nimmer unabhängig
von dem Akte der Abstraktion. Diese hindert indessen nicht,
dass sie objective Existenz besitzen, wenngleich nicht als ab-
gesondert, sondern als immanente Bestimmungen des Wirk-
lichen. Sonst wäre es überhaupt unbegreiflich, wie wir
irgend einem Urtheil objective Gültigkeit zuschreiben könnten ;
noch weniger könnte von Naturgesetzen die Rede sein. Selbst
Männer, die sich dem Positivismus anschliessen oder an-
nähernd^), geben es zu, dass es in der Natur Unterschiede
der Art gibt, imd dass diese Arten, weit entfernt nur sub-
jective HĂĽlfsmittel unserer Gedanken zu sein, vielmehr ihre
Wirkungen ĂĽber das Gebiet hinaus erstrecken, wo unsere Ge-
danken ihnen folgen können. Wer aber dieses zugesteht, gibt
damit auch die Realität der allgemeinen Begriffe zu. Der
27) Logik, S. 190.
28) Vergl. Stuart Mill, System of Logic II, 278 (deutsche Unter-
setzung 301). Taine, de riiitelligenoe, II, 2&5.
J. i, Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 417
Grundirrtbum des Nominalismus Sigwart's ist in den Worten
angegeben, dass, was in den Objecten realiter getrennt ist,
keine Beziehung auf einander habe, sowie in der mit dieser
im Grunde gleichbedeutenden, dass zum Wesen der Dinge
niemals das gehört, was sie nicht sind. Diese Behauptungen
widersprechen nicht nur der wahren Metaphysik, sondern
ebenso sehr der Erfahrung, die uns immer und ĂĽberall reale
und wesentliche Beziehung des Getrennten auf einander offen-
bart. Ohne diese Beziehung gäbe es kein Denken und keine
Bewegung; Alles wäre todt und starr. Selbst wenn man das
Unmögliche versuchen wollte, alles Leben, jede chemische
Verwandtschaft und vor Allem die durch die ganze Natur
gehende Attraction auf äussere mechanische Bewegung zu-
rückzuführen, so wäre dadurch der Ansicht Sigwart's nicht
geholfen; denn schon damit die Bewegung eines Atoms sich
einem andern mittheilen könne, wird eine reale Beziehung
der Getrennten erfordert. Wenn ein herabfallender Stein einen
anderen zermalmt, so sind es nicht nur wir, die wir den
einen von dem andern negiren; die Negation ist thatsächlich
gegeben ohne unser Zuthun. Freilich lässt es sich ein-
v^enden, dass diese reale Negation ganz anderer Art sei, als
die rein formale und harmlose, die ausgesprochen wird, wenn
wir einfach urtheilen: A sei nicht B. Der Unterschied zwi-
schen Beiden ist auch schon von Kant angegeben worden,
und kann näher so bestinunt werden, dass wir im Denken
Gegenstände unmittelbar auf einander beziehen können, die,
wenigstens insoweit unsere Beobachtungen sich erstrecken,
in keiner näheren Beziehung zu einander stehen. Aber anderer-
seits, wäre nicht im Wesen des Objectiven selbst Unterschied
und Beziehung des Unterschiedenen auf einander, so wĂĽrden
wir niemals dazu kommen, das Getrennte auf einander zu
beziehen. Wer jede Beziehung der Unterschiedenen im realen
Sein leugnet, der muss, insofern er sich getreu bleiben will,
entweder mit Parmenides jede Vielheit fĂĽr nur scheinbar er-
klären, oder auch mit Herbart eine Menge völlig beziehungs-
loser Realen als das einzig Wirkliche annehmen, welche höch-
stens durch unser zusammenfassendes Denken auf einander
bezogen werden können. Diese beiden Auswege haben sich
PhĂĽofloph. Monatshefte 1881, VII u. VUI. 27
418 J. J. Borelius: lieber den Satz des Widerspruchs etc.
aber als widersprechend und ungereimt erwiesen: jener, weil
schon der Schein der Vielheit eine Trennung zwischen dem
wahren Sein und dem nur scheinbar Seienden involvirt, dieser,
weil das zusammenfassende Denken selbst eine Beziehung des
Gedachten zum Denkenden voraussetzt, die nicht wieder durch
ein neues zusammenfassendes Denken (u. s. w. in infinitum)
erklärt werden kann und folglich in der eigenen Natur des
Seienden enthalten sein muss. Die Ansicht des Spinoza wĂĽrde
im Grunde mit der des Parmenides zusammenfallen, wenn
er seine Auffassung der Negation als eines bloss subjectiven
Modus cogitandi consequent durchgeführt hätte. In diesem
Falle hätte er nämlich (g^mz wie ihn Erdmann, obgleich un-
richtig, interpretirt) die Attribute und Modi als nur unsere
subjective Auffassungsweisen erklären müssen, da diese nur
durch ihre Determination sich von der absoluten Substanz
unterscheiden, jede Determination aber nach der ausdrĂĽck-
lichen Erklärung Spinoza's Negation ist^*).
Wenn es dem Vorigen zufolge anerkannt werden muss,
dass die formale Negation, die wir in unseren Urtheilen
aussprechen, nur unter der Voraussetzung einer realen, im
objectiven Wesen immanenten Negation zu denken ist, so
ergibt sich auch die Wahrheit des Hegel'schen Satzes, dass
das Negative ebenso sehr positiv ist. Dieselbe Wahrheit ist
auch von Trendelenburg ausgesprochen worden in dem Satze,
dass jede Verneinung sich in ihrem Grunde als die ausschlies-
sende, zurücktreibende Kraft einer Bejahung darstellen muss '®).
Wir können freilich negative Urtheile aussprechen, ohne da-
durch etwas Positives von dem Gegenstande zu bestimmen;
aber die reale Negation ist immer ebenso sehr positiv. Nur
könnte es noch zweifelhaft erscheinen, inwiefern diese reale
Negation der Logik angehört. Kant scheint dieses zu leug-
nen, indem er ausschliesslich die formale Negation als logische
Negation bezeichnet. Ist aber das Anerkennen der realen
29) Vergl. Epp. 41, 50.
30) Logische Untersuchungen (2. Aufl.) II. 147. Dass Sigwari nichts-
destoweniger (Log. I. 128) die Erörterung Trendelenburg*s zu Gunsten sei-
ner Ansicht gedeutet hat, ist nur durch Uebersehen dieser und Ă„hnlicher
Aeusserungen zu erklären.
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 419
Negation, wie wir zu beweisen versucht haben, eine noth-
wendige Bedingung jeder widerspruchsfreien Auffassung der
Wirklichkeit, so fallt auch sie, wenigstens in ihrer Allgemein-
heit, innerhalb der logischen Betrachtung. Aus diesem Grunde
ziehen wir vor, was Kant logische Negation genannt hat, mit
dem Namen „formale Negation" zu bezeichnen, um dadurch
dem Missverstand vorzubeugen, als wäre die reale Negation
aus der logischen Betrachtung ganz und gar auszuschliessen.
Hartmann, der in seiner Schriflj ĂĽber die dialektische
Methode ebensowohl die Existenz als die Denkbarkeit des
Widerspruchs ausdrücklich leugnete, hat in den späteren Auf-
lagen seiner Philosophie des Unbewussten dieses Urtheil ge-
wissermassen modificirt. Freilich gilt ihm der Widerspruch
noch immer als unlogisch (also wohl auch als undenkbar);
aber dieses Unlogische wird doch als existirend anerkannt
vermöge des der logischen Idee entgegengesetzten Princips,
des Willens'^). Das Zugeständniss, das somit dem Hegel'schen
System gemacht wird, enthält einerseits zu viel, andererseits
zu wenig. Der Widerspruch im Aristotelischen Sinne kann
ebenso wenig existiren als gedacht werden — wir möchten
fast sagen noch weniger; denn denken lässt sich, wenn nicht
der Widerspruch, doch wenigstens die Aufgabe, den Wider-
spruch zu denken'*); wogegen der Existenz als solcher keine
31) Pbilos. des Unbewussten, 6. Aufl. S. 780, 803. Eine Andeutung dieser
letzteren Ansicht tritt schon in der Abhandlung ĂĽber die dialektische Me-
thode S. 74 hervor, aber nur hypothetisch, unter der (in derselben Schrift
ausdrĂĽcklich bestrittenen) Voraussetzung, dass der Widerspruch wirklich
existirte. — Nachdem dieser Aufsatz schon für den Druck gesetzt war, er-
schien in den , Philosophischen Monatsheften" (1881, IV u. V) eine Abhandlung
von Hartmann, wo er (S. 256) ausdrücklich erklärt, dass der Widerspruch in der
Wirklichkeit ebenso unmöglich ist, als im Denken. Es scheint also, dass
wir die oben angefĂĽhrten Stellen in der Philosophie des Unbewussten miss-
verstanden haben und dass er die in seiner Schrift ĂĽber die dialektische
Methode ausgesprochene Ansicht ĂĽber den Widerspruch noch immer fest-
hält. Was bedeutet aber dann der Ausdruck, dass ,der Widerspruch des
Logischen sich immer nur an dem vorgefundenen Unlogischen entzĂĽnden
kann." Uns ist es wenigstens unbegreiflich, wie ein Unmögliches «sich ent-
zünden* oder irgend eine andere Wirksamkeit ausüben könne.
3S) Wie Hartmann selbst bemerkt hat : Ueb. d. dialekt. Methode. S. 73.
420 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
solche Aufgabe zugeschrieben werden kann. Dagegen enthält
allerdings die Existenz Widerstreit und Einheit Entgegenge-
setzter, und diese sollten also nach Hartmann nicht im Wesen
der Idee, sondern im unlogischen Princip gegrĂĽndet sein.
Dass nun der Wille in Hartmann's System ganz und gar un-
logisch und widersprechend ist, geben wir ohne Bedenken
zu — ein Wille, der mit der Vorstellung in untrennbarer Ein-
heit ist, der Nichts wollen kann, was nicht vorgestellt wird,
und der doch keine Vorstellung als Inhalt hat, sondern nur
seine eigene unendliche Unlust, ein Wille femer, der nur
durch den bestimmten Inhalt die Möglichkeit der Existenz
erhält, und der doch schon vor der Erreichung dieses Inhalts
will, ohne zu sein und ohne etwas zu wollen, ein Wille
endlich, der, indem er um zu existiren, einen Inhalt ergreift,
nur eben dieselbe „Vorstellung", ergreift, die schon ursprüng-
lich mit ihm in untrennbarer Einheit verbunden ist**) -— ein
solcher Wille ist ohne Zweifel nicht nur im Hegel'schen, son-
dern ebensowohl im Aristotelischen Sinne unlogisch und wider-
sprechend, d. h. widersinnig; daraus darf man aber nicht
folgern, dass dieses Widersinnige das wahre Wesen der Welt
sei, sondern nur, dass das System Hartmann*s unwahr ist.
Uebrigens ist das logische Princip Hartmann's, die Vorstel-
lung, ebenso unlogisch und widersinnig, als der Wille. Es
soll ohne den Willen gleich Nichts sein, und gibt doch dem
Willen allen Inhalt, den er jemals besitzen kann. Und dann
soll es wieder nicht Alles enthalten, was von dem Willen
gewollt wird; denn nach Abzug des Logischen gibt es in der
Erscheinung einen unlogischen Rest, das Zufallige, der also
vom Willen gewollt wird, ohne jedoch von dem Logischen
bestimmt zu sein. Das ünbewusste ist selbst der grösste
Widerspruch. Es soll die absolute Einheit und Harmonie
seiner Attribute sein, so dass ihm gegenĂĽber das Bewusstsein
als Friedensstörer erscheint; und doch soll es ganz unab-
hängig von der Welt in einem Zustande absoluter Unseligkeit
sich befinden, die wieder eben durch das Bewusstsein geho-
ben werden soll. In ihm sollen die Attribute in ewiger ab-
33) Vergl. Phil, des Unbewussten, 8. Aufl., S. 101-103, 370, 793-795.
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 421
soluter Einheit und doch wieder nicht ewig! .vereinigt sein,
da sie sich erst im Akte vereinigen, durch welchen die Welt
entsteht'*). Aus diesem Grundwiderspruche im Begriffe des
ĂĽnbewussten fliessen alle die ĂĽbrigen WidersprĂĽche des Hart-
mann'schen Systems her. Dass „ein bloss und schlechter-
dings Eines ein sich selbst aufhebender ĂĽnbegriff ist", hat
Hartmann richtig eingesehen'*); aber während er also mit
Recht einen relativen, immanenten Dualismus als unentbehr-
liche Voraussetzimg fĂĽr die Wahrheit des absoluten Monismus
bestimmt hat, fehlt er selbst gegen diesen Grundsatz. Denn
in einem immanenten Dualismus mĂĽssten die beiden Attri-
bute nicht gleichgĂĽltig neben einander bestehen, um nur
durch einen zufalligen Anlauf sich zu verbinden, sondern sie
mĂĽssten ewig und wesentlich vereinigt sein. Und zufolge
dieser Wesenseinheit mĂĽsste auch unbeschadet, des Gegensatzes
eine wirkliche communicatio idiomatum stattfinden, so dass
die Vernimft durch ihre Einheit mit dem Willen energisch
und der Wille durch seine Einheit mit der Vernunft vernĂĽnftig
wäre. Der Wille, oder wie man sonst das der Idee ent-
gegengesetzte Moment nennen wollte, wäre dann nicht ein
absolut Unlogisches oder UnvernĂĽnftiges, sondern vielmehr
die von der logischen Idee selbst vorausgesetzte Bedingung
ihrer Realisation. Andererseits müsste die Idee vermöge ihrer
wesentlichen Verbindung mit dem Entgegengesetzten den Gegen-
satz in sich selbst enthalten. Dadurch wäre auch der Pessi-
mismus, der eben in der vorausgesetzten absoluten Gegen-
sätzlichkeit der beiden Principien gegründet ist, aufgehoben
oder vielmehr zu einem höheren und wahrhaften Optimismus
verklärt, der nicht wie der eines Spinoza oder Leibniz das
Böse zu einem blossen modus cogitandi oder einem nie-
drigeren Grade von Realität reducirt, sondern seine Wirklich-
keit anerkennt, ohne jedoch die Ueberzeugung aufzugeben,
dass es sich am Ende als Mittel zur Realisirung der Idee er-
weisen muss. In der That muss auch nach Hartmann der
unvernĂĽnftige Wille dazu dienen, die Idee zu realisiren und
34) A. 0. 780, 537, 753, 795, 7%, 814.
35) A. St. 815.
432 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
ihr zum Bevvusstsein ihrer selbst zu verhelfen; nur wäre es nach
ihm besser gewesen, wenn diese Realisirung ewig ausgeblie-
ben wäre. Aber diese Behauptung setzt ein völliges Verken-
nen des Geistigen voraus (man könnte sie die eigentlidie
SĂĽnde gegen den Geist nennen) und wĂĽrde ohnedies, ernstlich
festgehalten, unausbleiblich zum Selbstmord führen *•).
Mit jener Anerkennung des Gegensatzes als eines noth-
wendigen Momentes der Idee selbst wäre also der Grund-
gedanke HegePs wieder in erneuerter Gestalt aufgenommen.
In ihrer ursprĂĽnglichen Form kann freilich die Philosophie
Hegel' s nicht mehr festgehalten werden; der Satz des Wider-
spruchs muss ebensowohl in der Philosophie als in der Wis-
senschaft ĂĽberhaupt anerkannt und nur auf seine wahre Be-
deutung zurĂĽckgefĂĽhrt werden. Femer wird man nunmehr
schwerlich mit Hegel alles das, was sich nicht in das logische
Schema einfügen lässt, geringschätzen, noch „die Ohnmadit
der Natur, die Begriffsbestimmungen festzuhalten'^ zu Hälfe
nehmen, um sich dessen zu entledigen. Es muss nämlich
anerkannt werden, dass wir weder die Idee, noch die Er-
scheinungen hinlänglich durchschauen, um bei jeder Erschei-
nung zu erkennen, was in ihr von der Idee bestimmt sei oder
nicht. Und selbst wenn wir es entscheiden könnten, würde
doch immer ein zufalliger Rest, wir möchten mit Hartmann
sagen, etwas Unlogisches, zurückbleiben. Aber es gehört
< 36) Uartmann versucht freilich, diese Gonsequenz seines Systems zu
vermeiden, indem er S. 759 bemerkt, der alleinige Wille finde sich nach
dem Selbstmord in keiner anderen Situation, als wenn ein Mensch durch
einen Dachziegel todtgeschlagen werde; er fahre nach wie vor fort, das Le-
ben zu packen, wo er dasselbe findet; denn Erfahrungen machen und durch
Erfahrungen klüger werden, könne er nicht. Ganz dasselbe gilt aber von
jener universellen Willensverneinung, die Hartroann als das Ziel des Welt-
processes setzt. Auch nach dieser Willensvemeinung bleibt ja der Wille
ebenso unselig als vorher, und fĂĽr diese unendliche absolute Unseligkeit
des leeren WoUens ist es ganz gleichgĂĽltig, ob neben ihrer durch keine
noch so geringe Lust gemilderten Unseligkeit eine Welt von Qual und
Lust besteht oder nicht (S. 796). Das Unbewusste fällt also nach Hart-
mann selbst rettungslos der Unseligkeit anheim; nur fĂĽr das Individuum
gibt es eine Rettung durch den Tod. Hierdurch zeigt sich die Vernich-
tung des Individuums als das einzige Ziel, das erstrebt werden kann, wo-
gegen die allgemeine Erlösung als nur illusorisch gesetzt werden muss.
X J. BorelioB: Ăśeber den Satz des Widerspruchs etc. 4S3
eben zur Unendlichkeit der Idee, dass sie sich selbst in die*
sem ihr entgegengesetzten Elemente realisirt oder dass dieses
nur da ist, um von der Idee überwältigt und beherrscht zu
werden.
Wir haben gesehen, dass der Satz des Widerspruchs nur
eine rein formale oder analytische Bedeutung hat und dass
durch ihn nichts bestimmt werden kann ohne die HĂĽlfe eines
gegebenen Inhalts. Es könnte scheinen, als wäre dadurch jede
Möglichkeit abgeschnitten, durch dessen Hülfe eine Meta-
physik zu gewiimen, da diese nicht ohne einen synthetischen
Inhalt a priori denkbar ist. Allerdings wird in der gewöhn-
lichen Logik neben dem Satze des Widerspruchs und dem
mit diesem im Grunde gleichgeltenden Satz der Identität auch
der Satz des zureichenden Grundes als allgemeines Denk-
gesetz angefĂĽhrt. Aber es kann in Frage gestellt werden,
ob nicht dieser Satz, insofern er von dem Satze des Wider-
spruchs sich unterscheidet, eigentlich nur eine aus der Erfah-
rung abstrahirte, also nicht denknothwendige Thatsache sei.
Dieses ist nicht nur die allgemeine Ansicht des Empirismus,
dem jeder Inhalt nur als empirisch vorgefundener gilt; auch
Lotze scheint sich ihr gewissermassen anzuschli essen ^^). Er
leugnet freilich nicht, dass das Denken einen Trieb besitzt,
der auch unabhängig von aller wirklichen Erfahrung zur Vor-
aussetzung eines Zusammenhangs von GrĂĽnden und Folgen
fuhren wurde. Aber dass diese Voraussetzung sich bestätigt,
dass das Denken in dem denkbaren Inhalt, den es selbst
nicht macht, sondern empfangt und vorfindet, solche Identitäten
oder Aequivalenzen des Verschiedenen antrifft, das ist nach
Lotze eine glĂĽckliche Thatsache, ein glĂĽcklicher Zug in der
Organisation der Welt des Denkbaren, der thatsächlich be-
steht« aber nicht mit derselben Nothwendigkeit bestehen
müsste, wie die Geltung des Identitätsprincips. Denkunmög-
Heb wäre eine Welt gar nicht, in welcher jeder einzelne In-
halt mit jedem Anderen so unvergleichbar wäre, wie süss
und dreieckig, in welcher mithin jede Möglichkeit fehlte. Ver-
schiedenes zur BegrĂĽndung eines Dritten zusammenzufassen;
37) System der Philosophie. I. Logik. S. 90.
424 J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc.
wäre diese Welt, so würde zwar das Denken Nichts mit ihr
anzufangen wissen, aber es wurde sie als eine nach seinem
eigenen Urtheil mögliche anerkennen müssen. Es ist nicht
zu leugnen, dass in diesen Worten Lotze's etwas Wahres
liegt. Gegen die Möglichkeit einer solchen Welt wie die von
Lotze angedeutete lässt sich vom Standpunkte des rein for-
malen Satzes des Widerspruchs ebenso wenig etwas einwen-
den, als gegen die Möglichkeit dessen, dass überhaupt Nichts
wäre. Das aber muss behauptet werden, dass in dem einen
wie in dem andern Falle das Denken nicht nur „Nichts an-
zufangen wissen" würde, sondern gar nicht existiren könnte,
es sei denn als eine Anlage ohne jede Möglichkeit sich zu
verwirklichen. Denn das Denken ist wesentlich Beziehen und
Zusammenfassen Unterschiedener; wird jede Möglichkeit dieses
Zusammenfassens aufgehoben, so ist damit das Denken selbst
unmöglich gemacht. Wenn ferner Stuart Mill*®) die soeben
erwähnte zusammenhanglose Welt sogar vorstellbar fuidet,
so ist auch dieses insofern zuzugeben, als wir Alle im Traume,
wenigstens partiell, eine solche besitzen. Aber auch nur
partiell ; denn bei totaler Zusammenhanglosigkeit der Vorstel-
lungen wĂĽrde sich der Traum nicht von dem tiefsten Schlaf
unterscheiden. Femer können wir auch wachend eine solche
Welt vorstellen, aber nur indem wir sie der wirklichen, „dem
Satze des Grundes unterworfenen" Welt entgegenstellen; da-
gegen sie unabhängig von diesem Gegensatz vorstellen oder
denken, ist ganz und gar unmöglich, weil jedes Vorstellen
ein Beziehen Unterschiedener ist. Wenn also der Satz des
Widerspruchs sich als rein formal erwiesen hat und daher
unvermögend ohne Hülfe eines gegebenen Inhalts irgend eine
Erkenntniss zu begrĂĽnden, so haben wir im Denken selbst
einen solchen hihalt, der indessen nicht empirisch ist, weil
er die Voiaussetzung jeder Empirie bildet. Dass auch das
Denken sich zunächst als empirische Thatsache kund gibt,
soll hiermit nicht geleugnet werden; aber diese Thatsache ist
ganz apriorischer Natur als die nothwendige Bedingung, ohne
welche keine andere Thatsache erkannt werden könnte. Als
38) System of Logic D, 98 (deutsche Uebera. S. 108).
J. J. Borelius: Ueber den Satz des Widerspruchs etc. 425
a priori nothwendige Wahrheit ergibt sich somit alles das,
ohne welches das Denken und das Erkennen nicht möglich
wäre, und die Aufgabe der Metaphysik ist eben, dieses Aprio-
rische zu erforschen.
Dass schon die Möglichkeit der Erfahrung ein apriori-
sches Element in unserem Bewusstsein voraussetzt, hat Kant
richtig eingesehen, und dadurch hat er den Empirismus im
Grunde ĂĽberwunden. Aber jenes richtige Hervorheben des
Apriorischen in jeder Erkenntniss wurde von Kant wieder
verfälscht, indem er zufolge seiner scharfen Entgegensetzung
des Dinges an sich und der Erscheinung das Apriorische als
nur subjective Form bestimmte, die in das vom Dinge an
sich stammende Material der Erkenntniss gleichsam von aus-
sen hineingelegt wurde, um es zum Gegenstande einer Er-
kenntniss zu machen. Während also Kant gegen den Empi-
rismus die Möglichkeit einer Metaphysik festhielt, setzte er
doch wieder als dessen Gegenstand nur das Apriorische in
der Erscheinung, das nach ihm, eben weil es unserem Er-
kenntnissvermögen wesentlich angehörte, jede Erkenntniss des
Dinges an sich verhinderte. ,,Die Ordnung und Regelmässig-
keit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen
wir selbst hinein, und wurden sie auch nicht darin finden
können, hätten wir sie nicht oder die Natur unseres Gemü-
Ihes ursprünglich hineingelegt" '•). Nach diesen Worten sollte
man glauben', das an sich seiende Wesen der Welt sei
ganz ordnungs- und regellos, so dass nur unser Erkennt-
nissvermögen durch die ihm eigenthümlichen Formen Ord-
nung und Gesetz bringe in das an sich ganz ungeordnete
Material unserer Erkenntniss, etwa wie die Spiegel eines Ka-
leidoskops die unregelmässig durch einander geworfenen Glas-
scherben regelmässig geordnet erscheinen lassen. Diese An-
sicht ist indessen nicht einmal von Kant selbst genau fest-
gehalten worden; denn wo er (im praktischen Gebiete) dem
Noumenon eine positive Bedeutung gibt, setzt er es stets als
vemunftgemässe Ordnung. Daraus folgt aber offenbar, dass
die Regelmässigkeit, die wir in den Erscheinungen finden.
39) Rr. d. r. V. ed. Rosenkr. S. 112.
426 J. J. Borelius: Ueb«r den Satz des Widerspruchs etc.
nicht ausschliesslich unsere subjective Zuthat, sondern ebraso
sehr im Wesen des Erkannten gegrĂĽndet ist. So gewiss es
ist, dass wir Ordnung und Regehnässigkeit in der Natur nim-
mer finden wĂĽrden, wenn nicht ein Streben, das Getrennte
zur Einheit zu verbinden, schon ursprĂĽnglich unserem Geiste
einwohnte, ebenso gewiss ist es andererseits, dass jene T^-
denz sich nimmer realisiren wĂĽrde, wenn nicht der gegebene
behalt unserem Streben entgegenkäme. Diese Berichtigung
der Ansicht Kant's scheint auch der eigentliche Sinn der oben
citirten Aeusserung Lotze's zu sein, die insofern ganz richtig
ist, wenn man nur dabei bemerkt, dass der in den Erschei-
nungen gegebene Zusammenhang nicht bloss eine glĂĽckliche
Thatsache ist, sondern vor Allem eine nothwendige Bedin-
gung des Denkens und des Erkennens. Dass diese Bedingung
auch als Thatsache gegeben und also ein Denken möglich
ist, das beweist eben, dass die Formen unseres Erkennens
nicht ausschliesslich subjectiv, sondern ebenso sehr im Wesen
der objectiven Wirklichkeit gegrĂĽndet sind. Indem dieses
zugegeben wird, gewinnt auch die Metaphysik eine höhere
Bedeutung als bei Kant; wenn sie auch unmittelbar nur die
nothwendigen Bedingungen der Erscheinung zu entwickebi
hat, so muss sie doch am Ende zu der Einsicht fĂĽhren, dass
die Erscheinung selbst nur denkbar ist unter der Voraus-
setzung, dass das Wesen sich in ihr bethätigt und offenbart.
Eine Metaphysik in der hier angegebenen Bedeutung
wĂĽrde sich der speculativen Logik Hegel's insofern anschlies-
sen, als sie die nothwendigen Denkbestimmungen des Seienden
dialektisch zu untersuchen und zu entwickeln hätte, d. b. die
Bestimmungen, welche dem Seienden, insofern es denkbar
sein soll, nothwendig und wesentlich zukommen mĂĽssen. Da-
gegen wĂĽrde sie lun so weniger den Satz des Widerspruchs
in dessen echter, Aristotelischen Bedeutung leugnen, als dieser
Satz das nothwendige formale Kriterium aller Denkbarkeit ist.
Andererseits wĂĽrde sie ebenso wenig Anspruch darauf machen,
aus einer leeren Form wie dem leeren Begriffe des Seins oder
dem Satze A == A herauszuconstruiren. Nicht das leere Sein
oder die Identität als solche, sondern die in der Natur des
Denkens gegebene Thatsache, dass wir jenes leere Sein nur
Th. Lippe: Die Au^i^abe det Erkenntnisslehre etc. 4f7
denken können, indem wir es einem (relativ) Nichtseienden,
jene Identität nur, indem wir sie dem Unterschied gegenüber-
stellen und dass also jene Begriffe fĂĽr das Denken wesentlich
durch die Entgegengesetzten vermittelt und bedingt sind, kann
ein dialektisches Fortgehen zu reicheren Denkbestimmungen
begrĂĽnden. Es kann in Zweifel gezogen sein, inwiefern eine
solche Metaphysik uns etwas geben könnte, was wir nicht
schon ohne sie besitzen. Aber schon dieses, zu wissen, was
man besitzt und mit welchem Rechte man es besitzt, ist,
wenigstens in der Wissenschaft, nicht geringer zu schätzen als
der Besitz selbst.
Lund. J. J. Borelius.
Me iifpbe der Erkeiitiiwkhr« iDd die Wiidt'sehe Logik.
IV.
Die beiden letzten Abschnitte des Werkes (V und VI)
handeln von den Grundbegriffen und Gesetzen der Erkennt-
niss. Dass zum Mindesten einige Fragen, die in dies Kapitel
gehören, nach meiner Meinung zweckmässiger bereits vor oder
bei Gel^enheit der Begriffs-, Urtheils-, Schlusslehre erörtert
worden wären, habe ich verschiedentlich angedeutet. Es gilt
dies gleich vom Begriff des Wissens, mit dem es das erste
Kapitel des Abschnitts V zu thun hat. Nachdem hier in einer
Besprechung der erkenntnisstheoretischen Richtungen der Ge-
gensatz zwischen einem ausschliesslichen Empirismus und einem
ebensolchen Apriorismus die gebĂĽhrende ZurĂĽckweisung, der
Gegensatz zwischen Glauben und Wissen die gebĂĽhrende An-
erkennung und Beleuchtung erfahren hat, geht der Verf. zur
Untersuchung der Kriterien der Gewissheit ĂĽber. Ich meine
aber, es müsse insbesondere dieser letzte Punkt bereits völlig
feststehen, wenn man zur klaren Einsicht in das Wesen des
Urtheils gelangen wolle. Das Urtheil konunt erst zu Stande,
indem sich mit dem Uebergang von der Subjects- zur Prä-
dikatsvorstellung die objective Gewissheit des vorgestellten
Verhältnisses der beiden zu einander, kürzer ausgedrückt, das
Bewusstsein der Zusammengehörigkeit derselben verbindet.
428 Th. Lipps: Die Aufgabe der ErkenntnisBlehre etc.
Dass der Verf. es unterlässt, schon beim Urtheil diese objec-
tive Gewissheit zu erörtern, muss die Meinung erwecken, als
solle sie als ein dem Urtheil Fremdes, oder erst zu ihm Hin-
zukommendes betrachtet werden. Ich identificire hier Be-
wusstsein der Zusammengehörigkeit und objective Gewissheit
der Verbindung. Dazu berechtigt mich der Verf. selbst. Ich
verstand unter dem Zusammengehörigkeits - Bewusstsein die
Empfindung des Zwanges zu verbinden oder es bei der Ver-
bindung zu belassen. Dem Verf. aber ist das Bewusstsein
des Zwanges, den Objecte auf unseren Vorstellungsverlauf
ausüben, und der darin sich verrathenden Unabhängigkeit
von unserm Bewusstsein die erste Stufe der objectiven Ge-
wissheit ĂĽberhaupt.
Durch diesen Zwang wird die Vorstellung zur Wahrneh-
mung. Damit ist freilich die objective Gewissheit noch nicht
vollendet. Die Wahrnehmungen eines und desselben bdivi-
duums oder die Wahrnehmungen verschiedener Individuen
können sich widerstreiten und dadurch die Sicherheit des
ursprĂĽnglichen Zwanges erschĂĽttern. Es kann sich als im
wahrnehmenden Subject begrĂĽndet herausstellen, was zu-
nächst sich als von ihm unabhängig darstellte. Es kann end-
lich die logische Bearbeitung die Wahrnehmung berichtigen.
So bleiben schliesslich fĂĽr den Verf. als objectiv gewiss die-
jenigen Thatsachen der Wahrnehmung, die auf dem Wege
fortschreitender Berichtigung — durch Vergleichung der Wahr-
nehmungen und der Wahrnehmenden, durch Abzug dessen,
was allein im Subject seine Quelle hat, durch logische Be-
arbeitung — nicht mehr beseitigt werden können. Die Er-
örterungen scheinen mir völlig klar und überzeugend. Be-
sonders meine ich, könne man dem Verf. nur beistimmen,
wenn er darauf dringt, dass man von dem Standpunkt der
gememen Gewissheit, der Anerkennung des in der Wahrneh-
mung Gegebenen also, ausgehe und davon abziehe, was sich
nicht als gegeben bewährt, statt umgekehrt von dem Satze,
dass zunächst alles subjectiv sei, seinen Ausgang zu nehmen
und dann nach besonderen Gründen der Objectivität zu su-
chen. Wie recht der Verf. damit hat, dies wĂĽrde noch un-
zweideutiger hervorgetreten sein, wenn er statt von Krite-
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc. 429
rien, Kennzeichen der objectiven Existenz zu sprechen,
— er bezeichnet den Zwang, die Uebereinstimmung etc. mit
diesen Namen, — vielmehr gefragt hätte, worin die objective
Existenz bestehe, wessen wir uns bewusst sind, wenn wir
der objectiven Existenz uns bewusst zu sein behaupten. Das
Wort objective Existenz heisst ja fĂĽr uns gar nichts, kann
fĂĽr uns gar nichts heissen, als dass ein Gegebenes oder zur
Ergänzung des Gegebenen nothwendig Gedachtes sich als sol-
ches bewährt, gegen den Versuch der Aufhebung oder Er-
setzung durch ein Anderes Einsprache erhebt, der Art, dass
nach einer anderen Objectivität zu suchen völlig sinnlos wäre.
So wie der Verf. die Frage stellt, bleibt immer der Gedanke
möglich, es könnten am Ende alle Kriterien trügerisch sein,
also die objective Existenz fehlen, auch wo sie alle vorhanden
sind. Immerhin scheint mir eine Deutung der Wundt'schen
Auffassung zulässig, — nach späteren Erörterungen sogar
wahrscheinlich — derzufolge der Gegensatz zwischen seiner
Anschauung und meiner Meinung nur ein Gegensatz der Aus-
drucksweisen wäre ^). Ich könnte dann höchstens noch dies
bedauern, dass es Verf. unterliess, die einfachen Bewusst-
seinselemente, aus denen sich das Bewusstsein des Zwanges
oder des Gegebenseins zusammensetzt, aufzuzeigen und den
psychologischen Mechanismus zu charakterisiren, durch den
solches Bewusstsein entstehen, berichtigt werden oder sich
behaupten kann.
Dagegen bin ich in einem Punkte völlig anderer Meinung
als der Verf. Alles ist bei ihm zunächst G^enstand subjec-
tiver Gewissheit, des Himmels Blau wie unser FĂĽhlen und
Wollen. Diese unmittelbare subjective Gewissheit wird bei
den Gegenständen äusserer Wahrnehmung zu mittelbaren ob-
jectiven, indem sich dieselben als vom Subject unabhängig
bewähren. Bei den Gegenständen der inneren Wahrnehmung
bleibt es bei der unmittelbaren subjectiven Gewissheit. Darum
föDt „das Hauptproblem der Naturwissenschaften, die Wahr-
1) Ist die Deutung die richtige, dann bitte ich darnach meine frĂĽhere
Angabe, Wundt verzichte völlig darauf, das Wesen der psychischen That-
sachen, die die Worte Evidenz, Glauben. Wissen bezeichnen, näher zu be-
stĂĽnmen, modificiren zu wollen.
490 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc.
nehmung durch berichtigende Controie auf ein objectiv Gege-
benes zurückzuführen" in der Psychologie „im Grunde ganz
hinweg". Dieser Entgegensetzung kann ich nicht beistimmen.
Unsere Lust und Unlust ist wie das Blau des Himmels zu-
nächst einfach da, thatsächlich vorhanden. Subjective Ge-
wissheit wĂĽrde ich dies Vorhandensein nicht nennen, weil
darin weder der Unterschied des Subjects und Objects, noch
das Bewusstsein der Gewissheit schon enthalten ist. Letzteres
entsteht erst in dem Versuch aufzuheben, es ist Bewusstsein
des Widerstandes gegen diesen Versuch, Innewerden der Un-
abhängigkeit, nicht vom Subject überhaupt, sondern vom
gegenwärtigen Zustande desselben. Jede Gewissheit ist somit
mittelbar objectiv. Solcher mittelbaren objectiven Gewissheit
sind aber die Inhalte des Selbstbewusstseins wie die des ob-
jectiven Bewusstseins fähig. Dass ich eine Lustempfindung
gestern gehabt habe, mir dies nicht bloss einbilde, dies weiss
ich, wenn ich inne werde, dass der Gedanke daran nicht
ein willkĂĽrlich von mir producirter, sondern ein solcher ist,
der objective Geltung verlangt, sich mir als ein meinem jetzi-
gen Ich Fremdes aufdrängt, sich nicht abweisen lässt. So
gibt es auch ein Bearbeiten der Thatsachen innerer Erfah-
rung, wie der äusseren.. Die Thatsachen der unmittelbaren
inneren Erfahrung stehen absolut fest, lassen sich (hirch keine
Bearbeitung aufheben. Aber auch keine Bearbeitung der In-
halte der äusseren Wahrnehmung kann jemals ein solches
Aufheben im Gefolge haben. In beiden Fällen muss sich das
Bearbeiten damit begnĂĽgen, dem Gegebenen eine andere Stelle
in dem Zusammenhang des Gegebenen anzuweisen, als die-
jenige war, die wir ihm ursprĂĽnglich zuwiesen. Das Blau
und sein räumliches Zusammensein mit dem Himmelsgewölbe
ist eine Thatsache, die keiner wissenschaftlichen Correctm*
weicht. Vielleicht aber konune ich durch irgendwelche Schluss-
folgerung dazu, nicht das Himmelsgewölbe allein, sondern
ausserdem mein Subject als Bedingung fĂĽr diese Thatsache
anzusehen. Diese Einsicht spreche ich dann in den Worten
aus, ich stelle das Himmelsgewölbe blau vor, abgesehen von
meiner Vorstellung aber kommt ihm das Prädikat nicht zu.
So kann es auch sich herausstellen, dass eine Willens- oder
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc. 431
Lustempfindung, von der ich glaubte, dass sie von einem
psychischen Geschehen a unabhängig sei, ja es bedinge, in
der That durch dies a bedingt sei oder als ein Nebenerfolg
seines Zustandekommens zu gelten habe. Der Verf. identifl-
eirt die Gewissheit vom Subjectiven, die mit der Gewissheit
vom Objectiven gleichartig ist, mit der subjectiven Gewiss-
heit, die den Namen der Gewissheit genau genommen nicht
verdient. Diese Identification kann ich nicht für zulässig
halten.
Verf. geht nach einer höchst lichtvollen Besprechung der
Wahrscheinlichkeit und des Zufalls, einer eben solchen Er-
örterung des Begriffs der Hypothese im zweiten Kapitel über
zu den allgemeinen Erfahrungsbegriffen. Dass „in dem Be-
griff des Dings, wie ihn die unmittelbare Erfahrung auffasst,
ach nicht das Geringste findet von jener Forderung eines
unveränderlichen Gegebenen, welches die wechselnden Zustände
und Eigenschaften ĂĽberdaure^S dass die Substanzen und un-
bekannten Träger erst durch „verwickelte und vermittelte
Reflexion^' in die Dinge hinein kommen, diese Einsicht hebe
ich vor Allem als werthvoll hervor. „Gegenstände oder
Dinge, so lautet dann die positive Bestimmung, sind von
unserem Willen unabhängige Complexe von Empfindungen,
denen räumliche Selbstständigkeit und zeitliche Stetigkeit zu-
kommt.'^ Aber „wie kommen wir dazu, den Dingen diese
Eigenschaften zuzuschreiben? Die Dinge selbst könnten uns
nimmermehr dazu zwingen, wenn nicht unser Denken be-
fähigt wäre, was ihm in getrennten Wahmehmungsakten ge-
geben ist, in einheitliche Apperception zusammenzufassen.
Diese Fähigkeit besitzt aber das Denken nur vermöge der
einheitlichen Natur unseres Selbstbewusstseins. Die Selbst-
ständigkeit unseres Ich und der stetige Zusammenhang unserer
Vorstellungen*^ — in diesen beiden Momenten besteht dem
Verf. die Einheit des Selbstbewusstseins — „werfen ihren
Reflex auf die Dinge ausser uns.** Letztere Bemerkung ist
mir von besonderem Interesse. Das Ding entsteht, indem
wir die unserm Selbstbewusstsein eigene Stetigkeit und Selbst-
ständigkeit auf die Manchfaltigkeit des Gegebenen übertragen.
Die objecĂĽve Veranlassung gibt, wie gleich nachher gesagt
432 Tb. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc.
wird, die räumliche Coexistenz eines Manchfaltigen. So ent-
steht die Substanz, der einfache beharrliche active Träger der
Erscheinungen, indem wir die relative Einfachheit, Beharrlich-
keit, Activität unseres Selbstbewusstseins objectiviren, die
Gausalitat der Dinge, indem sich die Gesetzmässigkeit unseres
logischen Denkens auf die regelmässigen Zustandsänderungen
der Aussenwelt überträgt. Als eine Uebertragung von etwas,
das wir im Subject finden, aufs Object, eine Verlegung in
dasselbe, als eine Ergänzung des in der objectiven Anschau-
ung gegebenen Manchfaltigen durch subjective Zuthat erscheint
demnach die Erzeugung des Ding-, Substanz- und Causalitäts-
begriflfs. Immerhin muss zu dieser Uebertragung eine objec-
tive Veranlassung vorliegen. So darf insbesondere der Sub-
stanzbegriff, zu dem die unmittelbare Erfahrung keine Veran-
lassung bietet, nur angewandt werden, insoweit die Wissen-
schaft, die auf den Zusammenhang der Erfahrungen ausgeht,
zur Herstellung dieses Zusammenhangs eine derartige meta-
physische, d. h. ĂĽber die unmittelbare Erfahrung hinaus-
gehende Ergänzung fordert.
Ich habe gegen diese Auffassung mancherlei Bedenken.
Zunächst glaube ich nicht an die unmittelbare Wahrnehmung
der Unabhängigkeit, Stetigkeit, Einfachheit, Beharrlichkeit,
Gesetzmässigkeit des denkenden Selbstbewusstseins (des Wil-
lens, der Apperception). Was wir unmittelbar wahrnehmen,
sind in der objectiven Welt die zeiträumlichen, in der sub-
jectiven die zeitlichen Beziehungen gewisser Empfindungs-
inlialte. Aber wenn auch alle jene Qualitäten des Selbst-
bewusstseins sich in uns unmittelbar Ăźinden, so wĂĽrde doch
die Veranlassung zu ihrer Uebertragung aufs Objective
noch nicht mit einem Recht, sagen wir lieber mit einer
logischen Nothwendigkeit der Uebertragung identisch
sein. In der That geben wir auf Schritt und Tritt der Nei-
gung nach, was wir in uns erleben, den Dingen ausser uns
zu leihen. Die lachende Wiese, die drohende Gewitterwolke,
das heitere Blau des Himmels geben davon ebenso Zeugniss,
wie die von der Erde auf den Stein ausgeübte „Kraft", der
„Zwang", der die Eigenschaften eines Dinges aneinander
bindet, die „Freiheit" und „Unabhängigkeit", die einer Sub-
Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenniniaslehre etc. 433
stanz im Verhältniss zur andern eignet. Denn nicht nur
heitere Stimmung und feindselige Gesinnung, sondern auch
das KraftgefĂĽhl, das Beengende des Zwangs, das eigenthĂĽm-
liehe Wohlgefuhl, das uns beschleicht, wenn ohne begleitende
Zwangsempfindung die Vorstellungen in uns aufeinanderfolgen
— und ohne dies Gefühl würden wir schwerlich von Freiheit
und Unabhängigkeit sprechen — sind subjective Erlebnisse.
Ihre Uebertragung aber aufs Object ist anthropomorphistisches,
mythologisches Denken und soweit entfernt von logischer
Berechtigung, dass wir sie selbstverständlich revociren, sobald
wir uns des eigentlichen Wesens derselben bewusst werden.
Und wenn wir nun von allen den Uebertragungen absehen,
die nicht vollzogen werden dĂĽrfen, ausser wo wir mit empfin-
denden und fĂĽhlenden, ĂĽberhaupt uns gleichartigen Wesen
zu thun haben? Dann ist es mit den Uebertragungen ĂĽber-
haupt zu Ende und fĂĽr's fuhllose Object bleibt nichts ĂĽbrig,
als das zeitliche und räumliche Zusammensein der objectiven
Vorstellungsinhalte.
Aber dies Zusammensein ist nur zum Theil ein gegebenes,
zum andern Theil ein von uns erzeugtes, unsere Zusammen-
ordnung, wir nennen diese Zusammenordnung eine logische,
unser ordnendes Verfahren ein Denken, wenn ein Gesetz in
uns die Ordnung befiehlt. Ein Manchfaches a b c werde von
uns in einen Denkakt zusammengefasst, es finde sich in unserm
Bewusstsein von einem Apperceptions- oder Willensakt be-
gleitet, dann ist es eben damit fĂĽr uns zur Einheit geworden.
Es ist objective Einheit, ein Gegenstand oder Ding, wenn
unser Zusanunenfassen eben dieser a b c, mit Ausschluss
anderer, von dem Crefühl der Nöthigung begleitet ist, ich
meine der Nöthigung, die aus der Anwendung des Denk-
gesetzes entspringt Vielleicht zwingt uns eben dies Denk-
gesetz, ein nicht in der Erfahrung gegebenes s^^aĂźy unter
allen Umständen als vorhanden anzunehmen, ihm immer die-
selben Inhalte a Ăź y zuzusprechen und daran gewisse Erfah-
rungsthatsachen unabänderlich zu knüpfen, dann nennen wir
dies s eine Substanz. Wir sagen damit wiederum nur, dass
wir uns zna Ăź y irgendwie verhalten und dass dies Verhalten
vom Bewusstsein der ^logischen Nöthigung begleitet ist. Wü*
Fbflofoph. Monatthefto 18B1, VII n. Vm.
434 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnistlehre etc.
nennen ein A Ursache eines B, wenn dasselbe GefĂĽhle der
Nöthigung verräth, dass die Anknüpfung des B Yom Denk-
gesetz gefordert wird. — Was ich unter dem Denkgesetz ver-
stehe, sagte ich frĂĽher : die E^enthĂĽmlichkeit unseres Geistes,
vermöge der wir nicht umhin können, unter gleichen Bedin-
gungen uns zu denselben Vorstellungsinhalten in gleicher
Weise denkend, urtheilend, zusammenordnend zu verhalten.
Die Anwendung desselben Denkgesetzes auf innere Er-
fahrung lässt nun auch erst, und auf dieselbe Weise, aus
dem zeitlichen Verhältniss derselben die Unabhängigkeit, Be-
harrlichkeit, Activität etc. des Subjects hervorgehen, macht
daraus ein Ding, eine Substanz, ein Manchfaches von Ursache
und Wirkung. Ich vermag auch hier zwischen subjectiver
und objectiver Erfahrung keinen wesentlichen Unterschied zu
finden. Verf. lässt, wie wir sahen, die Einheit des Ich mit
der Unabhängigkeit und Stetigkeit der Apperception zusam-
menfallen. Zugleich bezeichnet er später als „eigentlichen
Träger des Einheitsbegriffs^* den „einzelnen Denkakt'\ Sollte
sich der hierin liegende scheinbare Widerspruch so lösen,
dass dem Verf. die Unabhängigkeit und Stetigkeit nur das-
jenige wären, was uns antreibt, die manchfachen Inhalte der
irmern Erfahrung in einen Denkakt zu vereinigen und dadurch
allererst zur Einheit zu machen, * so hätte ich die Genug-
thuung, . in einem wesentlichen Punkte mit dem Verf. fiber-
einzustimmen. Es bliebe dann noch die vom Verf. angenom-
mene unmittelbare Wahmehmbarkeit der Unabhängigkeit und
Stetigkeit ebenso wie die Uebertragung dieser Qualitäten auf
Objecte als Streitpunkt ĂĽbrig. Ausserdem wĂĽrde ich von
meinem Standpunkte aus das Zugeständniss vermissen, dass
auch als „eigentlicher Träger'* des Substantialitäts- und Cau-
salitätsbegriffs die Weise des Subjects sich denkend zum
Manchfaltigen zu verhalten gedacht werden mĂĽsse.
Der Betrachtung des Dingbegriffes folgt beim Verf. ein
Abschnitt über Eigenschaften und Zustände. Gegen die Zu-
rückweisung der Forderung, dass ein unbekannter Träger
ursprĂĽnglich zum Gegebenen hinzugedacht werden mĂĽsse,
kann man dem Verf. nicht einwenden, dass es doch nicht
angehe, eine Eigenschaft zu denken ohne etwas dem ĂĽe in-
Th. Lipps: Die Anfgabe der Erkenntnisslehre etc. 435
härire. Denn die Eigenschaften sind ihm, und mit allem
Recht, erst ein Product der Abstraction. Nicht sie, sondern
die Complexe der Eigenschaften, also die Dinge sind das Ur-
sprĂĽngliche. Wie aus den Eigenschaftsbegriflfen weiter die
Begriffe der Qualität und Quantität, des Zustandes etc. ent-
stehen, dies wird vom Verf. näher erörtert.
Der eingehenderen Behandlung des Substanz- und Cau-
salitätsbegriffs, auf die in diesem Kapitel schon vorbereitend
hingewiesen wird, geht voran (Kap. III) die Untersuchung der
Formen der Anschauung. Sie verläuft in vier Abschnitten,
die es nach einander mit der Zeit, dem Raum, der Bewegung,
der Zahl zu thun haben. Wiederum wird beim Raum zuerst
der mathematische RaumbegriflF, dann der Ursprung der Raum-
vorstellung, dann die Objectivität des Raumes ins Auge ge-
fasst. Ich begnĂĽge mich mit wenigen Bemerkungen, nicht
weil ich wenig, sondern weil ich im Gnmde alles fĂĽr beson-
derer Beherzigung werth halte. Insbesondere scheinen mir
der Nachweis der begrifflichen Natur des mathematischen
Raumes im Gegensatz zur Raumform der Anschauung, die
Kritik der Apriorität des Raumes und der darauf bezüglichen
Kant'schen und modern empiristischen Anschauungen, die
WĂĽrdigung der mathematischen Raumspeculationen in hohem
Maasse ĂĽberzeugend. Dagegen meine ich allerdings, dass des
Verf. Lehre vom Ursprung der Raumvorstellung — man kennt
sie genauer aus seiner physiologischen Psychologie — eine
Ergänzung nicht ausschliesse. Nicht die Räumlichkeit, nur
Räumliches, nicht der leere, nur der erfüllte Raum ist Gegen-
stand unserer Vorstellung, der Raum ist, anders ausgedrĂĽckt,
fĂĽr unser Vorstellen niemals und nirgends ohne qualitatives
Substrat. Da die Gesichtsvorstellung fĂĽr die dritte Dimension
kein solches Substrat liefern kann, so bleibt der Gesichtsraum
ĂĽberall und fĂĽr alle Zeit zweidimensional. Es fragt sich, wo-
her er die dritte Dimension entleihe und wie er dies bewerk-
stellige. Es ergibt sich daran anschliessend die allgemeine
Frage, wie überhaupt die Räume verschiedener Sinne dazu
kommen können, mit einander zu coincidiren, sich zu ergänzen
bezw. sich zu corrigiren. Dass der Verf. darauf eine befrie-
digende Antwort gebe, scheint mir nicht. Die associative
436 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc.
Synthese wenigstens ist ein zu unbestimmter BegriiF, als dass
sie dies leisten könnte. Mag immerhin das System der Local-
zeichen mit dem System der Innervationen, ich weiss nicht wie,
verschmelzen, so ist damit noch kein qualitatives Substrat
der dritten Dimension gewonnen. — Freilich scheint es, als
liege die Gefahr der Selbsttäuschung hinsichtlich dessen, was
man erklärt und nicht erklärt hat, in der Raumtheorie be-
sonders nahe. Dass man nichts leistet — ich sage dies nicht
mit Bezug auf den Verf. — wenn man zur Erklärung Begriffe
verwendet, die das zu Erklärende jimmittelbar in sich schliessen
oder durch Abstraction daraus gewonnen sind, leuchtet ein.
Es gehören aber in die Reihe der abgeleiteten, darum der
Erklärung bedürftigen Begriffe nicht nur das Projiciren, das
sinnlos ist, so lange der Gegensatz zwischen Körper und
Ă„ussenwelt noch nicht gewonnen ist, das Oben und Unten,
Innen und Aussen u. a. m., die wenigstens das dreidimen-
sionale Körperbild voraussetzen, sondern ebenso gut die Ent-
fernung, Richtung und was damit zusammenhängt. Sie alle
mĂĽssen in der psychologischen Raumconstruction erst ent-
stehen. Es bleiben dann als Ausgangspunkte fOr diese Gon-
struction die einfachen aus einfachsten Reizungen hervor-
gehenden Licht- und Tasteindrücke und deren räumliche
AneinanderfĂĽgungen. Damit wird man zu beginnen und zu-
zusehen haben, wie und mit ZuhĂĽlfenahme welcher psycho-
logischen und physiologischen Voraussetzungen man aus ihnen
den allen Sinnen gemeinsamen dreidimensionalen Raum ge-
winnen könne. Es scheint mir aber, als lasse sich die all-
gemeinste Voraussetzung in dem Satze formuliren, dass die
Seele das Bestreben habe, ähnliche und zeitlich coinddirende
Erregungen nach Massgabe der Aehnlichkeit und Häufigkeit
der Coincidenz räumlich miteinander zu verschmelzen, Un-
ähnliches zu trennen — beides, insoweit zufolge der Eigen-
thĂĽmlichkeit der Seele und der einzelnen Sinne^ebiete die
qualitative Verschmelzung bezw. Scheidung nicht ohne gleich-
zeitige räumliche bestehen kann. Dass dieser Satz mit dem
Gesetz der Association verwandt ist, kann ihm nicht zum
Nachtheil gereichen.
Ich fĂĽge des Verf. Untersuchungen ĂĽber den Raumbegriff
Th. Lippe: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc. 437
angehend noch hinzu, dass ich auch die erkenntnisstheoretische
Erörterung einiger dem mathematischen Räume angehöriger
Specialbegriffe, so des Begriffes der Geraden und der endlosen
Theilbarkeit ungern vermisse. Dagegen wĂĽsste ich zmn Er-
gebnisse der Besprechung des objectiven Raumes kaum etwas
hinzuzufügen. Sucht man „den Begriff des Raumes von allen
Elementen zu befreien, deren subjectiver Ursprung nachge-
wiesen ist, so bleibt als Rest die regelmässige Ordnimg eines
Manchfachen, das aus einzelnen selbstständig gegebenen rea-
len Objecten besteht." Die Frage nach der Objectivität der
Zeit findet sich vorher schon in analogem Sinne beantwortet.
Ich citirte oben schon des Verf. Erklärung, der eigent-
liche Träger des Einheitsbegriffes sei der einzelne Denkakt.
Die Erklärung findet sich in der Erörterung des Begriffes der
Zahl. Sie gibt dem Verf. das, wie ich denke, einzig richtige
Fundament fär diese Erörterung. „Die Function des Zählens
besteht, worauf sie sich auch beziehen möge, immer in einer
Verbindung einzelner Denkakte zu zusammengesetzten Ein-
heiten." Dem Verf. ist darnach das Zählen, wofür ich alles
Denken angesehen wissen möchte, ein Verhalten zum Gege-
benen oder Vorgestellten, aus welchem diesem selbst keinerlei
Zuwachs entsteht. Die Discussion der arithmetischen Opera-
tionen verlässt diesen Standpunkt nicht.
Das vierte Kapitel des Abschnitts V bringt die nähere
Erörterung des Substanzbegriffes, die wir bereits theilweise
vorausgenommen haben. Die Ergänzung der Erfahrung durch
die Annahme von Substanzen, die die Eigenschaften der Ein-
fachheit, Beharrlichkeit, Äctivität an sich tragen, besteht nur
zu Recht, sofern die Uebertragung dieser Qualitäten der Ap-
perception auf die objective Welt durch die wissenschaftliche
Pflicht, den Zusammenhang der Erfahrungen herzustellen, er-
fordert wird. Trotzdem nehmen die drei Axiome des Sub-
stanzbegriffes — der Verf. meint die Sätze, die dem Wirk-
lieben, das aller Erscheinung zu Grunde liegt, jene drei Qua-
Ktäten vindiciren, — schon vor jeder Bestätigung durch Er-
fahrung eine gewisse Evidenz in Anspruch. Dies erklärt ^ich
einerseits daraus, dass die psychologische Neigung zu jener
Uebertragung nicht auf das wissenschaftliche BedĂĽrfniss
438 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc.
wartet, es erklärt sich andererseits aus der Natur der An-
schauung. Die Grundeigenschaften des Raumes nämlich wer-
den auf die im Räume gegebenen realen Substanzen über-
tragen, der Art, dass aus der Einfachheit des Punktes, der
in der Raumanschauung das Letzte ist, der Gedanke des ein-
fachen Elements des Realen entsteht, die Art der Raumgebildc
sich gegenseitig ihre Lage zu bestimmen die Forderung der
Wirksamkeit physischer Raiunobjecte erzeugt, die Gleichartig-
keit und Unveränderlichkeit des Raumes in die Unveränder-
lichkeit des Realen im Räume sich umwandelt. Es mass
aber festgehalten werden, dass auch die letztere Uebertra-
gung den Axiomen ohne empirische Feststellung keine GĂĽltig-
keit gewährt, so sehr sie zur Erklärung ihrer ursprüng-
lichen Evidenz beitragen mag.
Was die Anwendung des Substanzbegrififes auf innere
Erfahrung angeht, so macht der Verf. einen Unterschied zwi-
schen dem Gebiet des willkĂĽrlichen Denkens der activen Ap-
perception und dem des sonstigen psychologisdien Mechanis-
mus. Auf jenem Gebiete erscheint ihm jeder Substanzbegriff
unanwendbar. Der Gedanke, dass das Denken „an die Stelle
der unmittelbaren Gewissheit seines eigenen Thatbestandes
ein hypothetisches Object setze", ist ihm „ein völlig unvoll-
ziehbarer". Ich habe schon gesagt, dass mir die Gewissheit
vom Subject keine andere ist, als die wir auch vom Object
besitzen. Fordert der Zusammenhang der inneren Erfahrung
eine über das Gegebene hinausgehende Ergänzung, dann muss
sie ihm werden; fordert er zu seiner Erklärung eine Substanz,
dann besteht diese eben so zu Recht, wie die materiellen
Substanzen, die wir der äusseren Erfahrung zu Grunde l^n.
Wie kommt aber der Verf. dazu, das willkĂĽrliche Denken als
ein besonders geartetes psychisches Geschehen von dem son-
stigen Vorstellungsleben zu trennen? Ich gestehe, dass ich
dafĂĽr keinen Grund zu finden im Stande bin. Indessen, die
nicht vom Willen ausgehende psychische Thätigkeit erlaubt
die Anwendung des Substanzbegriffes auch nur in gewissem
Sinne. „Da das Substrat unserer Vorstellungen zugleich als
das Substrat begleitender physischer Vorgänge anzusehen ist,
so kann die Aufgabe nur in einer Ergänzung des materiellen
Hl. Upp«: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc. 439
Substanzbegriffes bestehen, welche denselben tauglich macht,
zugleich als Grundlage psychischer Vorgänge zu dienen/^ Aber
steht jener Satz von der Identität des materiellen und psy-
chischen Substrats so unzweifelhaft fest, dass keine andere
Meinung möglich wäre? Doch lassen wir die Frage, hinsicht-
lich deren ich mich dem Psychologen, der zugleich Physiologe
vom Fache ist, allzu wenig gewachsen fĂĽhle. Es scheint mir
darum immerhin die Psychologie als Wissenschaft fĂĽr sich,
die dn eigenes von keiner anderen entlehntes Thatsachen-
gebiet besitzt, nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet,
diese ihre Thatsachen zunächst für sich zu betrachten und
ihnen die Ergänzung widerfahren zu lassen und den Sub-
stanzbegriff zu Grunde zu legen, der ihrem Zusammenhange
genügen kann. Räumliche Eigenschaften — der Einfachheit
oder Äusgedehntheit, des Hier- oder Dortseins — wird diese
Psychologie ihrer Substanz freilich nicht beilegen können, ein-
fach darum, weil die innere Erfahrung auf keine räumlichen
Bestimmungen hinweist, dafĂĽr werden ihr manchfache son-
stige Qualitäten zukonunen, die der materiellen Substanz feh-
len. Sie wird auch nie im Stande sein zu behaupten, dass
die Substanz eine letzte und absolute sei, so wenig wie die
Naturwissenschaft dies von den Substanzen, die sie statuirt,
zu sagen weiss. Sie wird schUesslich, wenn eine Psychologie
und Phyfflologie in sich vereinigende Wissenschaft die Iden-
tität der seelischen Substanz mit irgend welcher materiellen
unzweifelhaft nachweist, sich diesem Entscheid ohne Weiteres
unterwerfen mĂĽssen, ebenso wie die Naturwissenschaft nichts
emzuwenden haben wĂĽrde, wenn irgend welche Metaphysik
den Nachweis lieferte, dass die materiellen Substanzen auf
geistige zurĂĽckzufĂĽhren oder mit geistigen Wesen, Monaden
oder sonstwie genannt, identisch zu setzen seien. Es gab
eine Zeit, da die Philosophie geneigt war, andere Wissen-
schaften als gar nicht eigentlich existirend zu betrachten.
Jetzt droht ihr die andere Gefahr allzugrosser Bescheidenheit,
hn Gegensatz zu Beidem scheint sie mir ihre Aufgabe dann
richtig zu verstehen, wenn sie zunächst auf ihrem Gebiete
das Ihrige thut, und dann erst Hülfe oder Ergänzung suchend
uach fremden Gebieten hinĂĽberblickt* Man hat Unrecht, be-<
440 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntnisslehre etc.
scheiden zu sein, so lange man nicht alle seine Kräfte er-
probt hat.
Die Untersuchung ĂĽber die Substanz schliesst mit einem
Abschnitt ĂĽber die Substanz und das Ding an sich. Der
Zurückweisung einer objectiven Realität jenseits der den Ge-
setzen unseres Denkens unterworfenen, wird man zuzustim-
men nicht umhin können. Real ist uns das Wahrgenommene
oder Gedachte, das den Gesetzen unseres Wahmehmens und
Denkens zufolge dem Versuch der Wiederaufhebung sich wi-
dersetzt. Einen anderen Sinn hat das Wort Realität gar nicht
Es folgt der letzte Abschnitt des Werkes, von den Ge-
setzen des Erkennens. Man weiss, wie vielerlei Deutungen
der Satz der Identität und des Widerspruchs in der neueren
Logik ausgesetzt gewesen ist. Was dabei am Meisten ver-
wundert, ist die Pietät, mit der man für den alten Namen
nach einem neuen Inhalte suchte, statt von der Schultradition
absehend, den Thalsachen nachzugehen und dem Gewonnenen
dann kgend welche Namen zu geben. Auch der Verf. behält
den Namen bei, obgleich, was er ihm unterlegt, sichtlich
wenig mehr mit dem alten Satze oder Gesetze der Identität
und des Widerspruchs zu thun hat. Das A ^s A bezeichnet
ihm die „Stetigkeit des logischen Denkens^S „brir^ die in
jedem Urtheil vorhandene Begriffseinheit zum Ausdruck", ist
im Grunde nichts Anderes, als eine allgemeine Formel zur
Veranschaulichung dessen, was wir thun, wenn wir positive
Urtheile fällen. Entsprechend wird A nicht = non A als
die allgemeine Formel der Verneinung bezeichnet. Ja dieser
Satz scheint sogar zum blossen Ausdruck einer Sprachregel
herabgedrückt werden zu sollen. Er sagt nämlich, „dass das
Prädikat dann in verneinender Form mit dem Subject ver-
bunden werden mĂĽsse, wenn eine Verbindung der Begriffe
fĂĽr unser Denken nicht vorhanden sei". Die Formel A ist
entweder B oder non B schliesslich ist das Ideal einer logi-
schen Disjunction, der „allgemeinste Ausdruck" des disjimc-
tiven Gesetzes, wonach bei jeder Eintheilung eines Begriffes
die Glieder desselben sich ausschliessen und vollständig zum
ganzen Begriff ergänzen müssen. — Dass man die in Rede
stehenden Formeln so fassen könne, will ich nicht leugnen,
Th. Lippe: Die Aufgabe der Erkenntnissl^re etc. 441
obgleich ich meine, dass es beispielsweise zur Bezeichnung
der EigenthĂĽmlichkeit des positiven Urtheils bessere Mittel
gebe, als die geheimnissvoll klingende, alles oder nichts be*
deutende Formel A = A. Aber die Bedeutung von Denk-
gesetzen im gewöhnlichen Sinne des Wortes haben die
Formeln damit verloren. Soll A = A ein wirkliches Gesetz
bezeichnen, so kann dies nur etwa so lauten: die Natur un-
seres Denkens zwingt uns, wenn wir an irgend welcher —
räumlich und zeitlich bestimmten — Stelle der objectiven
Welt irgend welchen Vorstellungsinhalt bejahen, bei dieser
Bejahung zu verbleiben, so lange wir eben diesen Vorstel-
lungsinhalt und eben jene bestimmte Stelle im Auge haben;
sie verbietet uns, damit geht der Satz der Identität in den
des Widerspruchs ĂĽber, unter denselben Voraussetzungen den
Inhalt auch zu verneinen oder irgend welches sonstige Ur-
theil zu fällen, das die Verneinung mit sich führte. Formu-
liren wir aber so, dann sind die beiden in Rede stehenden
Sätze offenbar nichts Anderes, als Specialßüle des von uns
ohne Zusatz so genannten Denkgesetzes. In seiner Allgemein-
heit fordert dies Gleichheit der Bejahung (und Verneinung)
unter gleichen Bedingungen, als Satz der Identität und des
Widerspruchs verlangt es dieselbe Gleichheit unter identischen
Bedingungen.
Mit eben diesem Denkgesetz f&llt mir der Satz vom Grunde
zusammen. Dass mit dem Grunde die Folge gegeben, mit
der Folge der Grund aufgehoben sei, diese vom Verf. gege-
bene Formulirung des Satzes kann ich nur fĂĽr tautologisch
halten. Denn der Grund eines Urtheils ist eben derjenige
Denkinhalt, mit dem dies Urtheil nothwendig, d. h. der Art
gegeben ist, dass es nicht aufgehoben werden kann, ohne
dass zugleich jener Denkinhalt mit aufgehoben wird. Dagegen
gibt es ein Gesetz in uns, das sagt, der Uebergang von Be-
jahung zu Vernemung (und umgekehrt) desselben Geistes-
inhalts setze eine Veränderung in den Bedingungen der ur-
sprunglichen Bejahung (bezw. Verneinung) voraus. Dies Ge-
setz, das anders ausgedrückt jede grundlose Veränderung in
unseren Urtheilen verbietet, kann als Satz des Grundes be-
zeichnet werden. Dass es gar nichts ist, als eben „das Denk-
443 Th. LippB: Die Auliifabe der Erkenntiusriehre etc.
gesetz*' in etwas veränderter Gestalt, leuchtet ein. Zugldcfa
repräsentirt es den eigentlichen Sinn der Behauptung, keine
Veränderung in der objectiven Welt geschehe ohne Ursache;
so dass allerdings, was der Verf. leugnet, das Gausalitäts-
gesetz auf den Satz vom Grunde ohne Rest zurĂĽckfuhrbar
ist. Dass der Satz vom Grunde die Abhängigkeit unserer
Denkakte von einander repräsentirt, bleibt dabei bestehen.
Er repräsentirt sie aber nicht nur, sondern sagt auch, worin
sie bestehe.
Das Gausalgesetz folgt beim Verf. erst auf die Erörterung
der Anwendung logischer Axiome auf die Anschauungsformen.
Derartige Anwendungen sind die mathematischen Axiome, auf
die sich die mathematischen Operationen stĂĽtzen. Sie wer*
den im Einzelnen durchgesprochen. Als Ursache im eigent-
lichen Sinne gilt dem Verf. das den eintretenden Erfolg be-
dingende Geschehen. Die bleibenden Ursachen weist er
dem Eraftbegriffe zu. Auf Grund hiervon entscheidet er die
Frage, ob die Wirkung der Ursache folge oder mit ihr gleich-
zeitig sei, zu Gunsten der ersteren Fassung. Ohne Zweifel
kann man gegen jene Bestimmung des Begriffes der Ursache
nichts Sachhches einwenden. Erkenntnisstheoretisch zweck-
massiger erscheint es mir immerhin, nur dasjenige, was zur
Hervorbringung des Erfolges hinreicht, die Gesammtheit der
nothwendigen Bedmgungen also, als Ursache zu bezeichnen.
Das zeitliche Verhältniss von Ursache und Wirkung erlddet
damit keine Veränderung. Die Wirkung folgt unmittelbar der
vollendeten Ursache. Vollendet aber ist die Ursache mit dem
Hinzutritt des verursachenden Geschehens. Das Verhältniss
des Gausalgesetzes zum Satz vom Grunde wird so bestimmt,
dass das Gausalgesetz bezeichnet wird als die Anwendung
des Satzes vom Grunde auf den Inhalt der Erfahrung, m
Satz, mit dem ich, so wie er da steht, völlig übereinstimme.
Der Verf. versteht aber unter der Anwendung eine durch die
Regehnässigkeit des Geschehens veranlasste Uebert ragung
der Gesetzmässigkeit des Denkens auf Objecte, er kennt eine
objective, d. h. in die Objecte hineingedachte Gausalität und
Gesetzmässigkeit, während ich diese Begriffe für völlig un-
vollziehbar halte. Uebrigens, ich muss hier die MögUcbkeit
Th. Lipj»: Die Aul^abe der Erkenntnünlehre ete. 448
zugel>en, dass ich mich mit meiner Auffassung der Anschauung
des Verf. nicht äberall im Rechte befinde.
Ein weiterer Abschnitt fiber „Causalität und Substanz^*
behandelt zunächst den physikalischen Eraftbegriff, weiter die
phyakalischen Axiome, schliesslich den psychologischen Kraft-
begriff. Der Substanzbegriff entwickelt sich wissenschaftlich
„aus den empirischen Anwendungen des Causalbegriffs^^ Kraft
ist die „an die Substanz gebundene CausaUtät". Was die
Anwendung des Kraftbegriffs, also des Causalgesetzes , auf
innnere Erfahrung angeht, so macht der Verf. wiederum den
uns schon bekannten Unterschied zwischen dem an Gehirn-
vorgänge gebundenen Vorstellungsverlauf und dem Gebiet der
freien Denkthätigkeit. Während dort das Causalgesetz in der
Form, in welcher es die objective Erfahrung beherrscht, an*
wendbar ist, greift hier eine andere, „die logische Gausalität
in ihrer ursprĂĽnglichen Gestalt Platz, das Gesetz vom Grunde
selbst, nach welchem unser Denken aus gegebenen Vorstel-
lungensverbindungen andere entwickelt. Das unterscheidende
Kennzeichen dieser logischen Gausalität liegt aber darin, dass
bei ihr aus gegebenen Bedingungen eine Folge nicht noth-
wendig gezogen werden muss, sondern dass es unserm Denken
freisteht, ob es thätig sein will oder nicht.^* Ich meine da-
gegen, das Causalitätsgesetz müsse von uns auf Alles ange-
wandt werden, also auch auf innere Erfahrung, oder es be-
stehe nicht. Die Thätigkeit des Willens kann Ausnahmen von
der gewöhnlichen Gausalität nicht begründen. Sie stellt nur
die Aufgabe, auch den Willen als ein Element des psycholo-
gischen Mechanismus — ich bitte, den Ausdruck so harmlos
zu nehmen, wie er gemeint ist — zu begreifen. So vermag
auch die Thatsache, dass Körper die ihnen mitgetheilte Ge-
schwindigkeit nur insoweit behalten, als es das Medium, in
dem sie sich bewegen, erlaubt, das Trägheitsgesetz nur zu
bestätigen, nicht aufzuheben. Mit der Willensfreiheit steht
jene Ausnahmslosigkeit der psychologischen Gausalität nicht
im Widerstreit.
Der letzte Gegenstand, den des Verf. Werk bespricht, ist
der Zweckbegriff. Der Zweck, dessen subjective Bedeutung
deutlich ans licht gestellt wird, bat objective Bedeutung nur
444 Th. Lipps: Die Aufgabe der Erkenntniaelebre etc.
dann, wenn er weit entfernt der Gausalität als ein fremdes
Wesen gegenüberzustehen, vielmehr selbst — als vorgestellter
— ein Element in der Kette der Ursachen und Wirkungen
bildet, d. h. auf dem Gebiet der bewussten Willenstbätigkeit.
'Ich schliesse hier meine Kritik und meine daran anschlies-
senden und davon abschweifenden Bemerkungen. Dass, was
ich auf kurzem Räume vorbrachte in keiner Weise genügen
kann, liegt einerseits in der Natur der Sache, andererseits
muss ich dafdr dem Verf. selbst die Schuld aufbĂĽrden. Sein
Werk ist nun einmal nicht der Art, dass auch nur die Be-
sprechung der Hauptpunkte mit Wenigem abgemacht werden
könnte. Dem Werk auch positiv gerecht zu werden, darauf
habe ich ja von vom herein verzichtet. Es muss dafür —
freilich gilt dies am Ende nicht minder von dem, was ich
besprach — auf das Werk selbst verwiesen werden. Eine
nochmalige Zusammenfassung des Wesentlichen bitte ich unter-
lassen zu dĂĽrfen. Alles scheint mir am Ende aus den schon
im einleitenden Aufsatze ausgesprochenen Forderungen zu
iliesseh, dass man die Logik dem störenden Einfluss der
Sprache möglichst energisch entziehe, und dass man in der
Analyse der erkenntnisstheoretischen Thatsachen möglichst
bis zum Einfachsten und Elementarsten gehe. Im Grunde
sind diese beiden Forderungen nur eine einzige. Keinem fĂĽr
unsere Erkenntniss in Betracht kommenden Begriffe, auch
nicht dem unscheinbarsten und harmlosesten, darf die Existenz-
berechtigung zuerkannt werden, ehe er sich ĂĽber sein Ver-
hältniss zu den einfachen greifbaren Vorstellungsinhalten ge-
nügend ausgewiesen hat. Nur auf einen Punkt möchte ich
noch speciell hinweisen. Unser meistes Denken verläuft in
stellvertretenden Zeichen; um so sicherer und nothwendiger,
je allgemeiner und abstracter es ist. Es besteht in einem
beständigen Uebergehen von gemeinten Geistesinhalten zu
Zeichen, von Zeichen zu Zeichen, von Zeichen wiederum zu
wirklichen Geistesinhalten; vergleichbar dem Umtausch der
materiellen Werthe in Werthzeichen oder Werthscheine und
umgekehrt. Wie der Mechanismus jene$ geistigen Umtausches
sich vollziehe, wie er Trl^er der Erkenntniss und des Irrthums
sei, ist eine erkenntnisstheoretisch sehr wesentlich in Betracht
E. Pfleiderer: Eud&monismus und Egoismos. 445
kommende Frage. Leider hat der Verf. darauf verzichtet, sie
zum Gegenstand eingehenderer Untersuchung zu machen.
Die Erkenntnisslehre des Verf. stellt uns eine darauf fol-
gende Wissenschaflslehre in Aussicht. Dass ihr baldiges Er-
scheinen dem Verf. grossen Dank erwerben wird, ist sicher
Keinem, der den vorliegenden ersten Band des Werkes kennt,
zweifelhaft. Ich wenigstens bekenne mich diesem in viel
höherem Grade zum Dank verpflichtet, als aus meiner Be-
sprechung ersichtlich sein kann.
Bonn. Th. Lipps.
Eudämonismus und Egoismus, eine Ehrenrettung des Wohlprincips.
Von Edmund Pfleiderer in TĂĽbingen. (Aus den JahrbĂĽchern
fĂĽr protestantische Theologie.) Leipzig, 1880. (112 S.) 8^
Die Ehrenrettung des Wohlprincips, welche der Titel der
vorliegenden, durch Klarheit der Gedanken, durch Wärme
und Lebendigkeit des ethischen Interesses sowie durch Beredt-
samkeit und Gewandtheit der Darstellung ausgezeichneten
Schrift verspricht, richtet sich gegen die von Kant herrĂĽh-
rende Verunglimpfung desselben, dass dem Willen, der sich
durch Vorstellungen von Wohl und Wehe Anderer leiten lasse,
es doch, wenn man der Sache auf den Grund gehe, nur um
das eigene Wohl und die Befreiung vom eigenen Wehe zu
thun sei, dass also der Eudämonismus identisch sei mit Egois-
mus. Der Verfasser hat sich aber nicht mit der ZurĂĽckwei-
sung dieses ehrenrĂĽhrigen Vorwurfs begnĂĽgt; er nimmt fĂĽr
das Wohlprincip des Universalismus (so nennt er gelegentlich
die dem Egoismus entgegengesetzte Art des Eudämonismus)
auch die Ehre in Anspruch, das oberste und alleinige Princip
des sittlichen Wollens zu sein. Er nimmt also den Grund-
gedanken der Ethik Schopenhauer's wieder auf (der freilich
so wenig wie die ĂĽbrigen Elemente der Lehre Schopenhauer's
dessen eigene Entdeckung ist), aber, wie gleich hinzugefĂĽgt
werden möge, auch nur den Grundgedanken. Denn nicht
blos im Mitleid, sondern in der Liebe, im Wohlwollen, welches
sich ebenso sehr in der Mitfreude als un Mitleiden äussert,
446 E. Pfleiderer: Eodämonismus und Egoismus.
erblickt er die gute Gesinnung, und die Liebe plt ihm keines-
wegs fĂĽr das Durchgangsstadium zwischen den Standpunkten
der Bejahung und der Verneinung des Willens ziun Leben,
noch auch fĂĽr die Wirkung einer Erkenntniss, vor welcher
der Schleier der Maja sich lüftet und die Identität aller
Menschen und Thiere sich enthüllt. Auf einen höheren Stand-
punkt als Schopenhauer stellt er sich auch durch die Forde-
rung, dass der Mensch die Liebe, die er als natĂĽrlichen
Zug in sich finde, zur zweiten höheren Natur erhebe, näm-
lich zum freien Erwerb und fruchtbringenden Besitz der sitt-
lich an sich arbeitenden Persönlichkeit (S. 47).
Den Eudämonismus im Allgemeinen (als das genus, dem
die species Egoismus angehört) begründet Pfleiderer durch
folgende Betrachtung. Wohl und Wehe, oder nach dem cor-
relaten Empfindungsreflex genauer ausgedrĂĽckt Lust und Un-
lust, präsentiren sich alsbald als dasjenige, um was sich alles
Wollen seinem Wesen nach dreht. Und zwar kann die Schaf-
fung sowohl von Wohl oder Lust, als auch von Wehe oder
Unlust das Object, den nach vorne liegenden Zielpunkt des
Wollens bilden. Aber Unlust und Wehe kann niemals das
nach rückwärts liegende Motiv, d. i. dasjenige, warum das
Object gewollt wird, sein. DafĂĽr spricht klar die Erfahrung.
Auch wäre die Schaffung von Wehe als Endzweck etwas
mnerlich ganz Undenkbares. Denn der positive wie der nega-
tive Wille sind die eigentlichsten Lebensäusserungen. Anderer-
seits ist Lust erhöhtes Lebensgefühl, wie Unlust ein relatives
Todesgefübl. Nun kann der Wille unmöglich in letzter b-
stanz so sehr von sich selbst abfallen, dass er definitiv das
reine Gegentheil seiner selbst oder des Lebens will. Ein Wol-
len und Handeln mit dem endgĂĽltigen Zweck, Wehe und nur
Wehe zum letzten Erfolg zu haben, wäre hiemach complet
verrĂĽckt oder satanisch, was schliesslich auf ISns heraus-
kommt. Somit ergibt sich fĂĽr das Motiv und den innersten
Kern des Willens das Resultat, dass er geradezu mit Wohl-
wollen identisch ist. Zu demselben Resultate fĂĽhrt die von
dem Begriffe des Werthes ausgehende Betrachtung. Alles
Wollen geht auf ein wirklich oder vermeintlich WerthvoUes.
Werth aber ist ein Relationsbegriff. Kein Werth ohne ein
E. Pfleiderer: Eudftmonismus und EgoitmuB. 447
Bewusstsein von ihm, und zwar gehört zu diesem Bewusst-
sein unabtrennbar das Nebenmoment irgend eines warmen
Reflexes in der niederen oder höheren Empfindung. Also
hängt der wahre Begriff des Werthes deutlich an dem Letz-
teren. Die Empfindung oder besser das GefĂĽhl als Reflex
zweiten Grades ist erst der definitive Ort, wo ĂĽberhaupt
Werthe geprägt werden. Wohl und Wehe sind demnach
ĂĽberall das wahrhaft letzte tHog (das Wohl fĂĽr das positive,
das Wehe fĂĽr das negative Wollen), ĂĽber welches es ebenso
unmöglich als uunöthig ist, mit teleologischem Warum noch
hinauszufragen (S. 8—14).
Nach der Begründung des Eudämonismus im Allgemeinen
wendet sich der Verf. der Frage zu, welche Differenz in dem-
selben den cardinalen Gegensatz des Guten und Bösen con*
stituire. Er findet, dass dieser Gegensatz seinen Grund nicht
in den Objecten haben könne, auf welche sich der werth-
suchende Wille richte. Mögen die verschiedenen Stufen von
Lustobjecten und Befriedigungsweisen in anderer Hinsicht be-
trachtlich differiren, mögen sie z. B. vom ästhetischen oder
namentlich vom Elugheitsstandspunkt aus betrachtet ganz er-
hebliche Werthdistanzen aufweisen, vor dem ethischen Richter-
stuhl genüge keine emzige, denn Begriffe wie „wahrhaft er-
spriesslich, vernünftig oder schön^^ seien noch immer keine
sittlichen Kategorien. So bleibe nur ĂĽbrig, die Differenz im
subjectiven Gebiete des GlĂĽckstrebens zu suchen, d.h. sie
zu suchen nicht in dem, was fĂĽr ein Wohl der Wille suche,
sondern fĂĽr wen er es erstrebe. Hier finde sich aber der
Gegensatz des egoistischen und des universalistischen Wohl-
wollens. Und hiermit sei in der That das punctum saliens
erreicht: jenes sei das Böse und dieses das Gute (S. 16 — 22).
Die Möglichkeit eines völlig selbstlosen Wohlwollens scheint
Pfleiderer durch die Erfahrung verbĂĽrgt. Es gebe im wirk-
lichen Leben glĂĽcklicherweise eine hinreichende Zahl von Bei-
spielen, wo keinerlei eigener Nutzen bei einer guten That
abzusehen sei, Fälle, in welchem auch factisch nach dem
klaren Bewusstsein und nach dem unbestochenen Gewissens-
zeugniss des Handelnden Fördenmg des fremden Wohls oder
Hebung des fremden Wehes das einzige Motiv sei (S. 27).
448 E. Pfleiderer: Eudämonismus und Egoismus.
Dem Wortlaute dieser Ausfuhrungen nach hält Pfleiderer
jeden Willensakt, welcher das eigene Wohl des Wollenden
zum Motive hat, fär böse. ]n Uebereiastimmung damit er-
klärt er an einer spätem Stelle (S. 90), sich auf das englisch-
constitutionelle Halbpartsystem von E^goismus und Nicbtegois-
mus nicht einlassen zu können, ob man nun des Näheren
fär beide Glieder Goordination oder Subordination ansetze;
das sei principlos und eine Verletzung des auch in der Ethik
tiefwahren Satzes: Niemand kani^ zwei Herren dienen. SoOte
er in der That den Begriff des Erlaubten gänzlich beseitigen
wollen? Sollte er fordern, dass man keinen Bissen zum
Munde fĂĽhre, ohne zuvor das Motiv der Befriedigung des
Hungers, der Esslust, als ein egoistisches beseitigt und durch
die Erwägung ersetzt zu haben, dass man essen müsse, um
sich zu erhalten und sich erhalten mĂĽsse, um Andern Gutes
zu thun? Sollte er glauben, dass man einer musikalischen
AuffĂĽhrung nur dann ohne SĂĽnde beiwohne, wenn man sich
zuvor versichert habe, dass es einem nicht um den eigenen
ästhetischen Genuss zu thun sei? Jedenfalls wäre ein solcher
Rigorismus, der mit seiner Forderung, auf jede natĂĽrliche aus
den BedĂĽrfnissen unseres Leibes oder Geistes entspringende
Regung, und handelte es sich um die Biegung eines Fingers
oder den Gebrauch eines Taschentuches, zu fahnden, das
Leben unerträglich machen müsste, keine nothwendige Gon-
Sequenz der Argumentation, ĂĽber welche eben berichtet wurde.
Aus dieser folgt, dass kein aus dem Motive des eigenen Wohls
hervorgegangener Willensakt sittlichen Werth hat; aber was
keinen Anspruch auf sittlichen Werth hat, ist darum noch
nicht böse. Vielleicht hat jedoch der Verf. auch nur das
Erstere gemeint, nur sagen wollen, dass auch nicht das kleinste
Maass egoistischen Handelns sittlich geboten sein könne, wie
es z. B. der Fall wäre, wenn das Gute in der ShaftesburT"-
sehen Harmonie der selbstischen und geselligen Neigungen
bestände.
Soweit die Ehrenrettung des Wohlprincips bloss die
Identiflcurung des genus Eudämonismus mit der species Egois-
mus abweist, scheint sie dem Ref. gelungen zu sein. Auch
darin, dass die Nächstenliebe zur Güte des Willens gehöre,
E. Pfleiderer: Eadftmonismus und Egoismus. 449
stimmt derselbe dem Verf. gern bei. Aber die Erhebung der
Nächstenliebe zum alleinigen ethischen Principe hat ihn (auch
abgesehen von dem eben erwähnten zweifelhaften Punkte)
nicht zu ĂĽberzeugen vermocht; dem Versuche, durch Modifi-
cation und Fortbildung Schopenhauer'scher oder, wenn man
weiter zurĂĽckgehen will, Cumberland'scher Gedanken, die Ethik
zu begrĂĽnden,- vermag er sich nicht anzuschliessen.
Um den Grund meines Dissensus wenigstens anzudeuten,
muss ich mit einem Satze beginnen, der direkt zum Egoismus
zu fĂĽhren scheint. Es ist der Satz, dass, wie alles Bewusst-
sein, welches auch sonst sein Gegenstand sein mag, sich
selbst als jenen Gegenstand habendes zum Gegenstande hat
und somit Selbstbewusstsein, wenn auch im allgemeinen Selbst-
bewusstsein im Bewusstsein von einem Anderen ist, so auch
jedes Wollen, worauf es auch ausser sich ziele, auf sich selbst
gerichtet ist und zwar, wenn es positives Wollen ist, auf sich
selbst als befriedigtes. Das befriedigte Wollen aber, welches
keineswegs in seiner Befriedigung erlischt, sondern als ein
Gem-Haben des Erreichten fortbesteht, ist Lust. Z. B. der
Wille des Durstigen, zu trinken, besteht im Trinken fort, auch
abgesehen davon, dass der Durstige, so lange er nicht ge-
sättigt ist, zu trinken fortfahren will, und dieser in seiner
Befriedigung noch bestehende Wille ist die Lust des Trinkens;
Oder die Lust am Anblicke eines schönen Gegenstandes ist
der in seiner Befriedigung thätige Wille, den schönen Gegen-
stand zu sehen, und dieser Wille braucht gar nicht einmal
als unbefriedigter, erst Befriedigung suchender dem Anblicke
vorhergegangen zu sein, sondem er kann durch den sich zu-
fällig darbietenden Anblick erst erregt, die Befriedigung
kann die Erregung selbst sein. So will also nothwendig
Jeder in allem Wollen sich selbst, die Lust, die in der Be-
friedigung seines Willens liegt. Diese Ansicht scheint der
crasseste Egoismus zu sein, allein sie scheint es nur. Denn
nach der Lehre des Egoismus ist die eigene Lust das Ziel,
der Endzweck alles Wollens, in der Weise, dass die Vorstel-
lung der eigenen Lust das Erste ist imd der auf sie gerichtete
Wille das Zweite, erregt und bestimmt durch das Erste. Der
Endzweck aber des Wollens, welches sich selbst als befrie-
Philoaoph. MonaUhefte 1881. VH u. VHI. 29
460 E. Pfleiderer: Eudflmonismus und Egoismus.
digtes zum Gegenstande hat, ist nicht nothwendig diese Be-
friedigung, sondern dasjenige, durch dessen Erreichung die
Befriedigung herbeigefĂĽhrt wird. Wer z. B. Erkenntniss sucht,
will zwar die Befriedigung seines Willens, der auf den Besitz
der Erkenntniss gerichtet ist, aber der Endzweck seines Wil-
lens und das Motiv desselben liegt ursprĂĽnglich nicht in der
Befriedigung seines Willens, nicht in der aus dem Besitze der
Erkenntniss deshalb, weil er gewollt wurde, resultirenden
Lust, sondern in dem Besitze der Erkenntniss selbst, der
wenigstens einmal gewollt sein musste, ohne als Lust vorge-
stellt zu werden. Bei der Fortsetzung des Erkenntnissstre-
bens kann sich die Erinnerung an die bereits genossene Lust
des Erkenntnissbesitzes als Motiv einmischen, und inwiefern
dies der Fall ist, ist das Erkenntnissstreben egoistisch, aber
dabei muss doch der Wille nach Erkenntniss als solcher (un-
abhängig von der Reflexion auf die aus seiner Befriedigung
entspringende Lust) fortdauern, indem ohne ihn der Besitz
der Erkenntniss keine Lust gewähren könnte.
Ich glaube fĂĽr diese Bemerkung auf ein gewisses Ent-
gegenkommen bei Pfleiderer hoffen zu dĂĽrfen. Denn eine
absolute Entselbstung im Wollen erklärt auch er für unmög-
lich. Nachdem er die Liebe in ihrer reinsten Gestalt dai^-
stellt hat, fahrt er fort: „Eine noch stärkere Entselbstung als
das geschilderte Leben -im -Anderen ist einfach unvollziehbar
und wĂĽrde in das Sinnleere ĂĽberfliegen, so lange das Selbst
ĂĽberhaupt noch existirt und handelt, was ja begreiflicher-
maassei> die erste Voraussetzimg fĂĽr eine sittliche Beurthei-
lungsmöglichkeit bildet. Fällt es mir doch nicht ein, die
ethische Bekämpfung des Egoismus in der Art manches
subjectiv-idealistischen Monismus zu einer metaphysischen
Anfechtung der Egoität und concreten Einzelheit zu übertrei-
ben, während ich überall gerade mngekehrt für das gute
Recht der lebendig empfindenden Individualitäten gegenüber
von allgemeinen todten Abstractionen kämpfe" (S. 57).
Ob ein Wollen egoistisch sei oder nicht, hängt nach dem
eben Bemerkten nicht davon ab, ob es die Lust, die in seiner
Befriedigung liegt, zum Gegenstande habe oder nicht (stet?
ist das erstere der Fall), sondern davon, worin es, welches
E. Pfleiderer: Eudfimonismus und Egoismus. 461
seine eigene Befriedigung zum Gegenstande hat, diese seine
Befriedigung findet. Es ist egoistisch dann und nur dann,
wenn der Stoflf seiner Befriedigung wiederum eigene Lust
oder Fernhaltung oder Beseitigung eigener Unlust ist. Ob in
diesem Falle die erstrebte eigene Lust mit derjenigen, welche
die Befriedigung des Strebens bietet, identisch ist, so dass
auf die Frage, worin das betreffende Streben seine Befriedi-
gung finde,, geantwortet werden muss: in seiner Befriedigung,
und also das egoistische Streben einem in sich zurĂĽcklaufen-
den Strome gleicht, oder ob sie als ein von der Befriedigung
des Strebens verschiedener Zustand gefasst werden muss,
kann hier dahin gestellt bleiben. Um mich nun dem Eudä-
monismus Pfleiderer's anzuschliessen, mĂĽsste ich fortfahren:
dasjenige, worin irgend ein sich selbst als befriedigtes zum
Gegenstande habendes Wollen seine Befriedigung finde, sei
entweder eigene oder fremde Lust, bez. eigene oder fremde
Freiheit von Unlust. Allein ich meine, der Zusammengehörig-
keit von Wollen und Lust sei bereits in dem Zugeständnisse
an den Egoismus gebĂĽhrend Rechnung getragen, dass alles
Wollen, inwiefern es Selbst-Wollen sei, die eigene Lust zum
Gegenstande (obwohl nicht zum Zwecke und Motive) habe.
Ich sehe nicht ein, warum es nicht Endzwecke geben soll,
die an sich weder Lust noch Unlust sind und nur dadurch,
dass in ihnen ein Wollen seine Befriedigung findet, Lust ge-
währen, und zwar ohne dieser Lust wegen Endzwecke ge-
wesen zu sein.
Als Beispiel eines solchen durch keine Vorstellung von
Lust bestimmten Wollens ist schon oben das auf Erkenntniss
gerichtete angeführt. Die Erkenntniss gewährt Lust nur dem-
jenigen, der Erkenntniss trieb besitzt, d. i. der Erkenntniss
will; der auf Erkenntniss gerichtete Wille kann mithin ur-
sprĂĽnglich nicht durch die Vorstellung der Lust, welche die
Erkenntniss gewährt, bestinunt sein; er muss ja schon da
gewesen sein, bevor das Subject von jener Lust etwas er-
fahren hatte. Nachdem man die Lust des Erkennens kennen
gelernt hat, ist es zwar denkbar, dass die Vorstellung der-
selben als Motiv des Forschens auftrete, aber das ursprĂĽng-
liche Verhältniss muss dabei fortbestehen, denn wäre der
452 E. Pfleiderer: EudAmonismuH und Egoismufi.
Trieb erloschen, so wĂĽrde sich wohl kaum der Wunsch regen,
nochmals die Lust des Erkennens zu geniessen, und sicherlich
nicht zur Arbeit veranlassen. Auch die sinnlichen Triebe
sind als solche nicht auf Lust gerichtet, sondern auf Verrich-
tungen, welche zur Lust erst dadurch werden, dass sie die
Triebe befriedigen, wenn sie auch vielfach, wie z. B. das
Essen, von Lustempfindimgen, die in gewissem Maasse Yon
den betreffenden Trieben unabhängig sind, begleitet werden.
Es mag noch desjenigen Wollens gedacht werden, dessen Ziel
die Gate des Willens, die Moralität ist. Auch dieses ist zu-
nächst als Trieb vorhanden, imd nicht entsteht dieser Trieb
aus der Lust, welche das Bewusstsein der eigenen TĂĽchtigkeit
gewährt, sondern umgekehrt gewährt nur deshalb dieses Be-
wusstsein Lust, weil es einen Trieb befriedigt Es mag sein,
dass die Vorstellung von der Lust, welche mit der Befriedi-
gung des moralischen Triebes zusammenfallt, Motiv des Stre-
bens nach moralischer Vervollkommnung werden kann, aber
ursprĂĽnglich muss dieses Streben von diesem Motive unab-
hängig sein und auch, wenn letzteres sich einmischt, kann
das ursprĂĽngliche Streben doch nicht dadurch ersetzt werden.
Ich will die hiermit skizzirte Auffassung noch mit der-
jenigen Beweisführung Pfleiderer's, welche sich auf d«i Be-
griff des Werthes stützt, vergleichen. „Alles Wollen, beginnt
dieselbe, geht auf ein wirklich oder vermeintlich Werthvolles."
In der That, alles, was man will, ist eben dadurch, dass
man es will, ein wirklich oder vermeintlich Werthvolles, —
ein wirklich Werthvolles, wenn in dem darauf gerichteten
Wollen der Wille völlig mit sich selbst einig ist, wenn es,
mit anderen Worten, als ein Mittel oder als ein Theil zu
demjenigen gehört, was das unveränderliche, weil durch seine
Natur bestimmte Endziel des Willens bildet, zu dem höchsten
Gute, — ein vermeintlich Werthvolles, wenn der darauf ge-
hende Wille sich selbst widerspricht oder, was dasselbe heisst,
wenn es nicht wirklich, sondern vermeintlich gewollt wird.
Und umgekehrt wird alles WerthvoUe gewollt, indem es werth-
voll nur durch sein Gewolltwerden ist. Werth und Wille
sind völlig correlative Begriffe. Weiter behauptet Pfleiderer,
auch zwischen den Begriffen des Werthes und des LustgefĂĽhls
E. Pfleiderer: Eadämonismuff und Egoismus. 453
bestehe dieses Verhältniss. Auch dieses scheint mir richtig.
Während er aber lehrt, dass allgemein und nothwendig die
Vorstellung eines im GefĂĽhle realisirten Werthes den Willen
bestimme, gibt es nach meiner AufTassung Fälle, in welchen
die beiden Relationen, die dem Werthbegriffe anhängen, so
vereinigt sind, dass der Werth zuerst durch sein Gewollt-
werden Werth ist und die Lust in der Befriedigung dieses
WoUens, also in der Aneignung oder Realisirung des Werthes
durch das dem Wollen entsprechende Handebi besteht. In
diesen Fällen geht der Wille auf Werthvolles nicht in dem
Sinne, dass er durch die Vorstellung des realisirten, im Lust-
gefĂĽhl zum AbschlĂĽsse gekommenen Werthes bestimmt wird,
sondern so, dass er durch die Wahl seines Zieles dieses erst
zu einem Werthe, der als solcher gefĂĽhlt werden kann, macht.
So gebe ich (um die vorstehenden Erörterungen zusam-
menzufassen) Pfleiderer zu, dass es ein Wollen gibt, dessen
einziges Motiv das Wohl Anderer sei, also, wenn man eudä-
monistisch das Wollen nennt, sofern es ĂĽberhaupt Wohl oder
Beseitigung von Wehe zum Motive hat, und universalistisch
oder egoistisch, je nachdem das erstrebte Wohl das der Mit-
menschen oder das eigene ist, dass es ein universalistisch-
eudämouistisches Wollen gibt. Aber ich kann dem Eudämo-
nismus als der Lehre, dass es kein anderes Motiv des Wol-
fens als die Vorstellung von Wohl oder von Wehelosigkeit
geben könne, und dass auch das sittliche Wollen unter dieser
Nothwendigkeit stehe, nicht zustimmen. Zwar muss auch
das sittliche Wollen zur GlĂĽckseligkeit fĂĽhren, weil alle Be-
friedigung des WoUens GlĂĽckseligkeit ist, scheinbare oder
wahre GlĂĽckseligkeit, je nachdem sie scheinbare oder wahre
Befriedigung ist. Auch gehört die Gluckseligkeit zum Ob-
jectedes sittlichen Willens, und zwar die eigene, denn wie
alles Wollen ist auch das sittliche ein Selbstwollen. Aber
die Vorstellung der GlĂĽckseligkeit ist nicht sein Motiv.
Selbstverständlich bin ich auch mit Pfleiderer der Ansicht,
dass die Richtung des Wollens auf das Wohl der Mitmen-
schen ein Erfordemiss seiner GĂĽte sei, aber ich kann dieses
Erforderniss nicht fĂĽr das einzige halten. Welches die ĂĽbri-
gen seien, habe ich hier nicht zu untersuchen; nur muss ich
454 E. Pfleiderer: Eudämoniamus und Egoismus.
zur Verhütung eines Missverständnisses bemerken, dass ich
zwar keinem egoistischen Wollen sittlichen Werth beimessen
kann, aber auch nicht allem nicht -egoistischen. Dies ei^t
sich schon aus dem oben ĂĽber die sinnlichen Triebe Be-
merkten.
Ich kehre zu meinem Berichte zurĂĽck. Auf die BegrĂĽn-
dung des universalistischen Eudämonismus lässt Pfleiderer
eine ausfĂĽhrliche Auseinandersetzung mit Kant folgen, welche
reich an treffenden Gedanken ist.
Zunächst handelt es sich hierbei um die Apriorität des
ethischen Princips, aus welcher Kant folgerte, dass alle ma-
terialen und somit eudämonistischen Bestimmungsgründe des
Wollens aus dem Gebiete der Moralitat ausgeschlossen seien.
An der Apriorität hält auch Pfleiderer fest. Sie besteht nach
ihm darin, dass der Wille ein universelles Moment hat, wel-
ches über der persönlichen Differenz der Einzelnen liegt, dass
mit anderen Worten in dem persönlichen Willen ein Grund-
wille, ein überpersönlicher Vernunft- oder vorsichtiger aus-
gedrĂĽckt Menschheitswille enthalten ist, der (ich glaube dies
im Sinne des Verfassers hinzufĂĽgen zu dĂĽrfen) an sich nicht
leer ist, sondern einen reinen Inhalt, ein apriorisches, durch
sein eigenes Wesen gesetztes Ziel hat. Dieser Wille gibt das
Sittengesetz, indem er sein apriorisches Ziel dem persönlichen
Willen vorhält, er ist der gebietende, von ihm ergeht an den
persönlichen Willen das Sollen. Die formalistische Folgerung
Kant's aber bestreitet Pfleiderer. Der Inhalt jenes Grundwil-
lens ist keine blosse Form, sondern ein wirkliches Ziel, nicht
ein blosses Wie, sondern ein Was. Nämlich auch das Grund-
wollen muss wie alles richtige und rationale Wollen im Un-
terschiede von einer sinnlosen psychologischen Expansion als
ein motivirtes oder als ein Wohl-Wollen gefasst werden; aber
als erhaben über der persönlichen Differenzirung will es Wohl
ohne Ansehen der Person und stellt sich so als universales
Wohlwollen dar. Der Grundwille spricht zu dem persönlichen:
Wolle allezeit — und zwar natürlich Wohl — sub specie uni-
versi seu humanitatis. Das bestimmte und concrete Was des
universalen Wohls, die nähere Detailirung und Speciflcirung
des generellen Wohlprincips muss freilich durch successive
£. Pfleiderer: Eudämonismus und Egoismus. 455
allmälige Erfahrung bestimmt werden, aber dieser Beihülfe
der Erfahrmig kann kein A priori, auch Kant's kategorischer
Imperativ nicht entbehren. Das Bedenken gegen die Möglich-
keit einer concreten StofferfĂĽllung des allgemeinen Princips,
dass der Eine dies, der Andere jenes je nach Individualität
und Geschmack fĂĽr Wohl oder Wehe halte, weist der Ver-
fasser zurĂĽck, indem er das Vertrauen, welches Kant der
Sinnlichkeit oder Receptivität auf theoretischem Gebiete schenkt,
dass sie nicht lediglich der Sphäre der individuellen Differen-
zen angehöre, auch für das praktische in Anspruch ninmit.
Es liege kein zwingender Grund vor, warum die Identität der
Menschen sich ausschliesslich auf die sogenannte Vernunft-
seite, oder richtiger ausgedrückt, auf die Seite der Activität
beschränken sollte, statt sich ebenso in die Sinnlichkeit, in
die Passivität oder Gefühls- und Empfanglichkeitsseite, wel-
dier allerdings alle Wohlempfindung angehöre, hineinzuer-
sirecken (S. 29—42).
Es ist ein platonischer Gedanke, dass der gesetzgebende
Wille unser eigener Wille ist, dass man also sittlich handelt,
wenn man das thut, was man will, nämhch eigentlich will,
in allem Wollen (freilich vielfach mit sich selbst in Wider-
spruch) will. Kant dagegen machte die Vernunft, das Ver-
mögen, das Unbedingte zu denken, also ein theoretisches Ver-
mögen, zum sittlichen Gesetzgeber ; seine praktische Vernunft
ist keine andere, als die theoretische; die theoretische Ver-
nunft hat nach ihm die Fähigkeit, durch den Gedanken des
Unbedingten den Willen zu bestimmen, und so ist sie prak-
tisch. Den eigentlichen Willen, das strebende Ich, das Ich
als Triebwesen, setzte er so in ein Verhältniss absoluter Ab-
hängigkeit zu einer ihm äusserlichen Macht. Darin liegt der
letzte Grund des Kantischen Formalismus, denn das theore-
tische Vermögen kann aus sich dem Willen keine Materie
geben, keinen Zweck vorschreiben; alle Zwecke stammen ja
aus dem Willen, und das theoretische Vermögen kann sich
auf Zwecke nur dadurch beziehen, dass es dieselben vom
Willen erfahrt und im Dienste des Willens die zu ihrer Er-
reichung geeigneten Mittel und Wege sucht. Den platoni-
schen Gedanken erneuerte Fichte, indem er die Ethik auf den
456 E. Pfleiderer: Eudftmonismus und Egoismus.
Begriff des sittlichen Triebes grĂĽndete, aus einem sittlichen
Triebe (der nur indirekt ein Trieb zum Handehi, direkt ein
Trieb zur Selbstbestimmung sei) das Sittengesetz ableitete.
Sein Wiedererscheinen in Pfleiderer's Ethik begrĂĽsse ich mit
lebhafter Zustimmung. Dass ich es freilich nicht fĂĽr ausrei-
chend halten kann, als das Ziel des Grundwillens das Wohl
der Mitmenschen zu bestimmen, den sittlichen Trieb mit der
Liebe zu identiĂźciren, folgt aus meinen Bemerkungen zu dem
ersten Theile des vorliegenden Buches. Aber noch in einem
anderen Punkte sehe ich mich zu einer Abweichung genö-
thigt: ich kann mich der Auffassung des Grundwillens als
eines über der persönlichen Differenz der Einzelnen liegenden,
als eines überpersönlichen Willens, eines Menschheitswillens
nicht anschliessen, sofern mit diesen AusdrĂĽcken nicht bloss
gesagt sein soll, dass der reine Inhalt des Willens, der aprio-
rische Zweck, in allen Personen derselbe sei, sondern die Ein-
heit eines allgemeinen Willens, der in dem individuellen Wollen
aller Personen zur Erscheinung (sei es im Hegerschen, sei
es im Schopenhauer'schen Sinne des Wortes) gelange, be-
hauptet werden soll. Ein Anfang dieser Auffassung liegt
schon bei Fichte, inwiefern derselbe den sittlichen Trieb ent-
stehen lässt durch Verschmelzung des Naturtriebes, der dem
Individuum als solchem eignet, mit dem reinen Triebe des
absoluten, des alle endlichen Ichs als seine Einschränkungen
in sich fassenden allgemeinen Ich. Fortgebildet ist sie in dem
Schelling-HegeFschen Pantheismus. Der Grundwille, in dessen
Befriedigung die Sittlichkeit besteht, ist hier der Weltgeist-
Wille, der in den menschlichen Individuen zum Bewusstsein
gekommen und so zum Menschheits- Willen geworden ist. Aus
dem Schelling - Hegerschen Pantheismus ist sodann der Ge-
danke des allgemeinen Willens in den Atheismus Schopen-
hauer's ĂĽbergegangen, und es darf wohl die Vermuthung aus-
gesprochen werden, dass er von hier aus Einfluss auf die
Ansichten Pfleiderer*s gewonnen hat (den ich ĂĽbrigens weit
entfernt bin, über historische Zusammenhänge belehren zu
wollen). Beiläufig bemerkt, entsteht Pfleiderer aus der Un-
terscheidung des Grundwillens als überpersönlichen allgemei-
nen Menschheitswillens und des persönlichen Willens dasselbe
E. Pfleiderer: Eudämonismus und Egoismus. 457
Problem, welches sich fĂĽr Kant aus dem Gegensatze von Ver-
nunft und natĂĽrlichem Willen ergab, das Problem der Trieb-
feder des sittlichen Willens. Einer solchen Triebfeder bedĂĽrfe
es, um das unmittelbare Ueberschlagen des Gesetzeswillens
in den persönlichen zu erklären. Er findet diese Triebfeder
in der Dankbarkeit. Der Mensch verdanke die materiellen,
socialen und geistigen GĂĽter, in welche er mit seiner Geburt
geniessend eintrete, seinem Zusammenhang mit dem solidari-
schen Organismus der Menschheit und der zusammenhängen-
den Arbeit von Jahrhunderten. Die Liebe erstatte den Dank,
welchen er der Vor- und Mitwelt schulde, der Mit- und Nach-
welt (S. 80). FĂĽr die Ansicht, welche den gesetzgebenden
Willen mit dem persönlichen identificirt, sofern diesem durch
sein unveränderliches Wesen ein Endzweck gesetzt ist, fallt
mit der Nothwendigkeit, ein Ueberschlagen des gesetzgeben-
den Willens in den persönlichen anzunehmen, das Problem
der Triebfeder fort.
Ich ĂĽbergehe, um nicht zu ausfĂĽhrlich zu werden, die
Vertheidigung des Verf. gegen diejenigen Kantischen EinwĂĽrfe
gegen den Eudämonismus, welche er die psychologisch-meta-
physischen nennt: dass nämlich die Liebe eine Sache der
Empfindung sei, die Empfindung aber als etwas Passives an
und ĂĽber den Menschen ohne sein Wissen und Wollen komme
und daher nicht geboten werden könne (S. 42—48), femer
dass sie doch am Ende die feinste Maskirung der Selbstsucht
sei (S. 48 — 62); desgleichen seine Zurückführung der Abnei-
gung Kant's gegen das Princip der Liebe auf den solipsisti-
schen Zug der Geistesanschauung jener Zeit (S. 62-— 69) und
den Nachweis von drohendem feinen Egoismus gerade bei
Kant's formalen Principien (S. 69—82).
In dem letzten Theile seiner Arbeit, als dessen Aufgabe
das Inhaltsverzeichniss die systematische Hebung von Neben-
bedenken gegen das Wohlprincip angibt, deducirt der Verf.
zunächst aus diesem Principe die Pflicht der Arbeit an frem-
der ethischer Vervollkommnung, dann die der Selbstvervoll-
kommnung (S. 83 — 91). An fremder ethischer Vervollkomm-
nung haben wir zu arbeiten, weil das Gut-sein des Anderen
sein höchstes eudämonologisches Gutbefinden ist, an der
458 E. Pfleiderer: Eudämonismus und Egoismus.
eigenen, weil der Mensch sich mit allen seinen Gaben und
Kräften zu einem möglichst tüchtigen Organ für das Ganze
ausbilden und ein brauchbares Mitglied der Gesammtheit aus
sich machen soll. Es sei daher auch Pflicht, nach einer er-
spriesslichen Lebensstellung und dabei etwa auch nach einer
gesicherten pecuniären Situirung zu trachten, denn Derartiges
sei die Basis der ungehemmten freudigen Wirksamkeit Dass
sich alle Pflichten, welche Pflichten des Menschen gegen sich
selbst zu sein scheinen, in Wahrheit auf die Mitmenschen
beziehen, wird an dem Beispiele eines Menschen illustrirt, da*
auf einer einsamen Insel mit ausreichenden Subsistenzmitteb
ohne allen genealogisch-historischen Zusammenhang mit ana-
logen Wesen und nebenbei auch ohne Beziehung auf eine
Gottheit die completeste Privatexistenz fĂĽhre, welche sich
denken lasse. Es sei völlig gleichgültig, wie ein solcher Mensch
lebe; er könne thun, was er möge.
Die Consequenz Pfleiderer's ist anzuerkennen. Aber dieses
Resultat derselben wĂĽrde mir zu der Ueberzeugung genĂĽgen,
dass in den Prämissen ein Fehler stecken müsse. Worin auch
der sittliche Zweck bestehen mag, so kann sich die TĂĽchtig-
keit des Willens, ihn auszufĂĽhren, nicht bloss als Mittel zu
ihm verhalten, sondern muss zugleich ein Bestandtheil des-
selben, und zwar der centrale Bestandtheil sein. BezĂĽglich
anderer Tüchtigkeiten und Thätigkeiten meiner selbst, z. B.
der das Erkenntnissvermögen betreffenden, würde mir mein
sittliches Bewusstsein zunächst den Zweifel gestatten, ob sie
durch sich selbst oder durch ihre Folgen gut seien; dagegen
dass die GĂĽte des Willens an sich gut sei und nicht bloss als
Mittel für den Zweck des Wohles meiner Mitmenschen, —
dass mein Ginindwille auf meine moralische Vervollkommnung
um ihrer selbst willen gerichtet sei: dass ist eine Ueberzeu-
gung, die ich nur zugleich mit der der Verbindlichkeit des
Sittengesetzes aufzugeben vermöchte. Die Güte des Willens
kann freilich nicht der einzige Zweck sein, dem nachzutrach-
ten das Sittengesetz gebietet, denn sie besteht eben darin,
dass der Wille sich dem sittlichen Zwecke nach allen seinen
Momenten widme, aber sie muss zum sittlichen Zweck ge-
hören, gleichsam das Herz in dem Organismus desselben bil*
E. Pfleiderer: Eudftmonismus und Egoismus. 459
den. Wenn, wie Pfleiderer lehrt (S. 47), das universelle
Wohlwollen das Gute ist, so ist es nicht bloss dadurch das
Gute, dass das Wohl das Gute ist, sondern durch sich selbst;
wenn die Liebe, die er mit so schönen und warmen Worten
preist, geboten wird, wie er zugibt, so wird sie nicht bloss
um ihrer schönen Wirkungen, sondern um ihrer eigenen
Schönheit willen geboten.
Das Beispiel von dem Manne auf einsamer Insel ist gerade
geeignet, die Unzulänglichkeit des universalistischen Wohl-
princips deutlich zu machen. Ich stelle in demselben zunächst
die Beziehung auf eine Gottheit wieder her, denn nur die
Beziehung zu anderen Menschen abzuschneiden hatte Pfleiderer
das Becht, er mĂĽsste denn, was ich nicht glaube, annehmen,
Gott gehöre zu den Wesen, denen der Mensch wohl zu thun
habe. Nun fallt für den Einsamen zwar jede Möglichkeit,
Wohlwollen zu bethätigen, Nächstenliebe zu üben, fort, aber
es bleibe für ihn „das vornehmste und höchste Gebot": Du
sollst lieben Gott u. s. w. Und auch dieses Gebot ist ein
sittliches; auch die Religiosität ist eine Tendenz des Grund-
willens im Menschen. Aber auch abgesehen hiervon braucht
man seine Phantasie nicht zu sehr anzustrengen, um jenem
Einsamen mögliche Handlungen zu finden, deretwegen er,
wenn sie gesehen wurden, wĂĽrde verachtet werden und um
deretwegen er sich in seiner Einsamkeit selbst wĂĽrde ver-
achten mĂĽssen. Unser Robinson werde etwa durch einen
Schiffbruch in den Besitz eines Rumfasses gebracht und bringe
nim, so lange der Vorrath hält, seine Tage in sinnloser Trun-
kenheit zu, — sollte ihn, wenn er mit einem allseitig ent-
wickelten sittlichen Bewusstsein auf seine Insel verschlagen
wurde, nicht nachher Scham und Reue befallen, zum Beweise,
dass auch jetzt noch das Sittengesetz Bedeutung fĂĽr ihn hatte?
Nein, es ist nicht gleichgültig, wie der völlig isohrte Mensch lebe.
Die weiteren, zur systematischen Hebung von Neben-
bedenken gegen das Wohlprincip bestimmten AusfĂĽhrungen
der vorliegenden Schrift betreffen den Kampf gegen das Böse
nnd das Strafrecht, Bedenken gegen die Sentimentalität des
modernen Humanitätsbegriffs, die Beziehung auch des wissen-
schaftlichen Strebens auf das Wohlprincip tmd den Zusammen«^
460 Karl Uphues: Das Wesen des Denkens.
hang der Liebe mit dem moralischen Ernst der PĂźicht oder
der sittlichen Disciplin. Der Schluss des Ganzen empfiehlt
den eudämonistischen Grundgedanken um seines Werthes für
das dringende Zeitbedürfniss einer dem Leben näheren Ethik
und um seiner Tauglichkeit zur Combination der Eantischen
und Schleiermacher'schen Leistungen in der philosophischen
Moral willen. Den Schluss dieser Besprechung aber möge
der wiederholte Ausdruck der Anerkennung des edlen Stre-
bens, das sich in dieser Ehrenrettung des Wohlprincips aus-
spricht, sowie der mannichfachen wissenschaftlichen Verdienste
derselben bilden.
Marburg. J. Bergmann.
Das Wesen des Denkens. Nach Piaton. Von Dr. Karl Uphues,
Professor am Gymnasium zu Aarau. Landsberg a. W. 1881.
8^ S. 139.
Dem Verfasser ist die Sprache „Wegweiserin und Fahrerin
(auch) des wissenschaftlichen, philosophischen Denkens" (S. 14).
Er will in Folge dessen „das Wesen des Denkens aus dem
Sprachbau herleiten und den Sprachbau als die Norm der
Philosophie erweisen" (S. 3). Noch von einer andern Seite
lässt sich das Ziel, welches der Verf. sich gesteckt, deutlich
machen. Im AnschlĂĽsse an Eduard von Hartmann wird be-
hauptet, dass „man zu den Bestandtheilen des Urtheils, zu
Subject und Prädikat, als reales Gegenstück die Kategorien
Substanz und Accidenz gefunden habe", wohingegen „zum Sub.
stantivum und Verbum, den Hauptredetheilen und den
unumgänglich nothwendigen .... Bestandtheilen eines jeden
Urtheils ein reales GegenstĂĽck zu finden, bis heute ein
noch ungelöstes, vielleicht sehr fruchtbares philosophisches
Problem sei". Und eben an der Lösung dieses Problems will
U. sich versuchen (S. 5 und 6.). Zu diesem Zwecke gehl
er mit Schleicher und Plato davon aus, dass „Sprechen" iden-
tisch sei mit „lautem Denken" und umgekehrt „Denken" mit
„lautlosem Sprechen". Demzufolge „weist ihn der Begriff der
Sprache auf den Begriff des Denkens hin; wir können, meint
er, das Wesen der Sprache nicht erfassen, wenn wir nicht in
Karl Uphues: Das Wesen des Denkens. 461
das Wesen des Denkens einzudringen suchen. Was ist denn
nun Denken?" (S. 6 u. 7. Vergl. S. 15 fg., 29 fg., 47.)
Die auf die Beantwortung dieser Frage bezĂĽglichen Untersuch-
ungen bilden die erkenntnisstheoretische Grundlage
der ganzen Schrift, mit deren Haltbarkeit oder ĂĽnhaltbarkeit
die in dem Buche ebenfalls niedergelegte metaphysische
Weltansicht des Verfassers steht und fallt. Es ist unsere
Absicht, nur die erstere zum Gegenstande der Besprechung zu
machen, weil der Leser auch nur in ihr den wissenschaft-
lichen Kern des Buches vor sich hat und weil sich von
ihrer kritischen Behandlung ein Gewinn für die höhere Er-
kenntniss mit Sicherheit erwarten lässt.
„Das Wort Denken, schreibt U., bezeichnet jene Thä-
tigkeit des Geistes, welche in einer bestimmten Erkenntniss
ihr Ziel hat und ihren Abschluss findet.** „Die ursprüng-
lichste Form des Erkennens'* aber ist das „Wahrnehmen** und
es fragt sich daher vor allem , welches sind die in diesem
vorkommenden Momente? „In der Wahrnehmung als be-
wusster auf die Erfassung eines Gegenstandes gerichteter See-
lenthätigkeit , heisst es , unterscheiden wir nothwendig drei
StĂĽcke: das Bewusstsein, den Inhalt des Bewusstseins
und den Gegenstand.*' (S. 19 u. 20.) U. ist in erster
Linie bemüht, den „Inhalt des Bewusstseins** seiner Beschaf-
fenheit nach zu ermitteln. „Da die Wahrnehmung , schreibt
er, ihren Gegenstand nicht umfassen und umspannen, son-
dern nur erfassen soll, da ihr Gegenstand immer ausser-
halb ihrer selbst bleibt, so muss innerhalb der Wahr-
nehmung ein irgendwie bestimmter Inhalt gegeben sein, der
dem Bewusstsein als Mittel zur Erfassung des Gegenstandes
.dient** Gut; aber worin besteht denn die Bestimmtheit
dieses Inhaltes? Sie besteht, meint U., darin, dass der wahr-
genommene Gegenstand ganz so wie er ausser dem wahr-
nehmenden Subjecte sein soll , auch in seinem Bewusstsein,
seiner Wahrnehmung ist, wiewohl diese Auffassung dem Un-
gebildeten ohne allen Zweifel verrĂĽckt erscheinen wĂĽrde.
„Wenn man, lesen wir, einem ungebildeten Manne sagte, das
Haus, das er vor sich sehe, sei ganz so, wie er es vor sich
sehe, mit allen ThĂĽren, Fenstern, Fassungen, Mauern in sei-
4M Karl Uphues: Du Wesen des Denket».
nem Kopfe, so wĂĽrde man von ihm unzweifelhaft fĂĽr vorrĂĽckt
gehalten werden^' (S. 20). Unseres Erachtens wäre in diesem
Falle „der Ungebildete" dem Gelehrten gegenüber auch im Tollen
Rechte, wofern nur das „ganz so" in eigentlichem Sinne ge-
nommen wird. Doch lassen wir das vorläufig und entwickeln
wir des Verfassers Ansichten weiter. Was wird denn nun
nach U. in der Wahrnehmung wahrgenonunen? welches ist
das Object der Wahrnehmung? „Nicht der äussere Gegai-
stand, schreibt er, kann das sein, was erfasst wird bei der
Wahrnehmung, er kann nicht Object der Wahrnehmimg sein.
Das, was bei der Wahrnehmung erfasst wird, kann nur der
Wahmehmungsinhalt sein, der Wahmehmungsinhalt ist nicht
blosses Mittel, wodurch der Gegenstand erfasst wird, er
ist das Object der Erfassung selbst. Wir nehmen bei der
Wahrnehmung nicht ausser uns seiende Gegenstände, nicht
wirkliche Häuser, sondern nur Bewusstseinsinhalte, Häuser in
unserm Bewusstsein, wahr. . . . Das einzige und ausschliess-
liche Object des Wahmehmungsaktes ist der Wahmehmungs-
inhalt und die Wahrnehmung selbst besteht in der Objectivation
des Wahmehmungsinhaltes" (S. 20—22).
Die vorstehende Auffassung der Wahrnehmung ist indess,
nach der Darstellung des Verfassers , eine noch „unvollstän-
dige und der Ergänzung bedürftig." Wie so? „Schon dann,
heisst es , wenn wir uns einen frĂĽher gesehenen Gegenstand
vorstellen, objectiviren wir einen Bewusstseinsinhalt, ja gerade
die Vorstellung scheint in der Objectivation eines Bewusst-
seinsinhaltes zu bestehen. Dass die Wahrnehmung aber ganz
etwas anderes ist als die Vorstellung , dessen sind wir uns
aufs deutlichste bewusst. Die Wahrnehmung bezieht sich auf
einen als wirklich und als gegenwärtig angenommenen Gegen-
stand, die Vorstellung bezieht sich auf frĂĽlier gesehene Gegen-
stände, aber sie macht über die Wirklichkeit und Gegenwart
derselben nichts aus. In der Wahrnehmung ist in der That
mehr vorhanden als eine blosse Objectivation eines Bewusst-
Seinsinhaltes. In der Wahrnehmung behaupten wir, dass
der Gegenstand wirklich vorhanden, da sei, dass er so und
so beschaffen sei und eben nur durch diese Behauptung er-
hebt sich die Wahrnehmung ĂĽber die Vorstellung." Richtig;
Karl Uphues: Das Wesen des Denkens. 463
aber da wirft sich denn auch die Frage auf: Wie kommt das
Mehr in die Wahrnehmung gegenĂĽber der Vorstellung
hinein? Auch der Verfasser umgeht diese Frage nicht, aber
seine Beantwortung derselben ist unseres Erachtens eine höchst
unglückliche. Er schreibt: „In der Wahrnehmung werden
immer mindestens zwei Bewusstseinsinhalte objectivirt: der
als Gegenstand gedachte Bewusstseinsinhalt und das Sein
oder die Beschaffenheit desselben — denn dieses Sein oder
die Beschaffenheit desselben ist ja auch nur ein Gedanke,
ein Bewusstseinsinhalt in uns — und die Wahrnehmung kommt
nur dadurch zu Stande, dass der zweite Bewusstseinsinhalt
vom ersten ausgesagt oder behauptet wird. Jede Wahr-
nehmung ist somit nothwendiger Weise ihrer Natur nach
eine Behauptung, eine Aussage, einĂĽrtheil" (S. 22u. 23).
Ehe wir in unserm Referate weiter gehen, wollen wir
das vorher mitgetheilte einer kurzen aber bĂĽndigen Kritik
unterziehen.
Jede (äussere) Wahrnehmung ist offenbar das Product
zweier Factoren, eines auf das Subject einwirkenden Gegen-
standes und des wahrnehmenden Subjects. Von dem Gegen-
stande empfangt das Subject mittelst Einwirkung gewisse Ein-
drĂĽcke, Nervenreize, Gehirnaffectionen. Diese EindrĂĽcke, Reize
oder Affectionen sind das Einzige, wodurch das Subject mit
der Aussenwelt ĂĽberhaupt in BerĂĽhi-ung steht , sie sind es
daher auch und sie ganz allem, welche zur Bildung von
Wahrnehmungen veranlassen. Wie geschieht das? Das Wie
dieses Vorgangs, wie jedes andere eigentliche Wie, ist schlecht-
hin unerforschbar, ist daher kein Object der Wissenschaft;
aber Thatsache ist, dass das Subject auf Veranlassung empfan-
gener EindrĂĽcke gewisse Vorstellungen (ĂĽ. wĂĽrde sagen:
„Bewusstseinsinhalte^*) erzeugt, die als solche selbstverständ-
lich einen lediglich subjectiven Character haben, nur in dem
Subjecte, nicht ausser ihm sind. Eine weitere Thatsache
ist, dass die Bestimmtheit der Vorstellung nach Form und
hihalt durch die Beschaffenheit der EindrĂĽcke bedingt wird,
an welche die Vorstellung sich anschliesst. Die EindrĂĽcke,
welche ein Tisch auf mich macht, veranlassen nicht zur
Bildung der Vorstellung eines Elephanten, sondern zu der
464 Karl Uphuea: Das Wesen des Denkens.
eines Tisches. Ist nun die Vorstellung in der Thal auf Veran-
lassung empfangener EindrĂĽcke gebildet, so wird ihr von
dem Subjecte auch eine Beziehung nach aussen, auf einen
äusseren gegenwärtigen ihr entsprechenden Gregenstand gege-
ben und eben hierdurch steigert sich die blosse Vorstellung
zur Wahrnehmung. Eine sorgfältige Analyse der Wahrneh-
mung ergibt daher in ihr nicht mehr und nicht weniger als
drei Momente; diese aber sind nicht, wieĂĽ. will, dasBewusst-
sein, der Inhalt des Bewusstseins und der Gegenstand, son-
dern es sind 1) die EindrĂĽcke des Subjects 2) die Vorstel-
lung und 3) die Beziehung der Vorstellung auf den (äussern)
Gegenstand. Isl nun das wahrnehmende Subject zugleich
seiner selbst bevnisst, ist es ein Ich, was aber nicht noth-
wendig und auch keineswegs immer und ĂĽberall z. B. bei
den Thieren, der FaU ist, so behauptet oder urtheilt es auch
von dem wahrgenommenen Gegenstande, dass er „wirklich
vorhanden, da sei" und zwar da sei nicht „ganz so", wie er
in seinem Kopfe ist d. i. als Vorstellung, sondern als (objec-
tive) Realität. Spricht doch auch selbst ü. von „einer ding-
lichen Natur" des Gegenstandes, die nicht in das Bewusst-
sein hineinkönne (S. 21). Was ist diese dingliche Natur
und wie kommt das seiner selbst bewusste wahrnehmende
Subject zur Erkenntniss derselben?
Wir wissen bereits, dass auch ĂĽ. die Beantwortung die-
ser schwerwiegenden Frage zwar versucht, aber die
richtige auch nicht getrofifen hat. Wahrnehmung ist ihm
zunächst ,Objectivation des Wahmehmungsinhaltes'^ nach unse-
rer Ausdrucksweise : Beziehung der Vorstellung nach Aussen.
Durch die Objectivation des Wahmehmungsinhaltes wu*d letz-
terer nach U. als (äusserer) Gegenstand gedacht. Zur
vollendeten Wahrnehmung soll nun zwar noch ein Zweites
gehören, nämlich dieses: Dass von dem als Gegenstand gedach-
ten Wahmehmungsinhalte das Sein ausgesagt wird,
allein dieses Sein ist nach U. wieder „nur ein Gredanke, ein
Bewusstseinsinhalt in uns." Hieraus leuchtet klar ein, dass
das wahrnehmende (und seiner selbst bewusste) Subject mit
seiner Wahrnehmung nie und nimmer aus sich heraus und
zur Erkenntniss eines ausser ihm und unabhängig von ihm
Karl Uphues: Das Wesen des Denkens. 465
existirenden realen Gegenstandes hinĂĽber kommt. U. behauptet
in der That ganz consequent: „Das Haus, das er vor sich
sehe, sei ganz so, wie er es vor sich sehe, mit allen ThĂĽren,
Fenstern, Fassungen, Mauern in seinem Kopfe'*, denn das
Haus, das er vor sich sieht, ist in der That schlechterdings
nichts als die nach aussen bezogene und als seiend prädicirte
Vorstellung des Hauses in seinem Kopfe, ohne dass dieser
Vorstellung ausser seinem Kopfe ein realer Gegenstand,
auf welchen jene sich bezieht, correspondirt. Aber wo bleibt
da „die dingliche Natur'* des Hauses ausserhalb seines
Kopfes, die doch in das Bewusstsein nicht hineinkann.'* Mit
a. W.: Die äusseren Gegenstände sind nichts als die objec-
tivirten d. i. nach aussen bezogenen Vorstellungen der die-
selben wahrnehmenden Subjecte, — ein subjectiver Idealismus,
der, so oft er auch von Philosophen mag geltend gemacht
werden, doch dem Ungebildeten und das heisst in diesem
FaUe: der Erfahrung und dem Leben für „verrückt** gelten
wird. Und wie ist U. zu diesem Idealismus gekommen?
Auch darüber lässt seine Schrift den aufmerksamen Leser
nicht im Zweifel.
In einiger Inconsequenz gegen den aus seiner Auffassung
der Wahrnehmung sich ergebenden subjectiven Idealismus
lässt U. das wahrnehmende Subject doch auch wieder mit
(äusseren) Gegenständen in Beziehung und Wechselwirkung
treten. Das, was die Gegenstände durch ihre Einwirkung
auf das Subject in diesem bewirken, nennt ü. „Empfin-
dung** und „aus der Zusammenfassung der verschiedenen
von einem und demselben Ding in uns hervorgerufenen . . .
Empfindungen** entsteht das Vorstellungsbild eines Gegen-
standes (S. 23.) Hier ist „Vorstellung** offenbar in dem-
selben Sinne genommen, in welchem auch wir das Wort
vorher gebraucht haben, während U. unter „Empfindung**
dasjenige versteht, was von uns „Eindruck, Reiz, Affection**
des Subjectes genaimt wird. „Vorstellungen nun in diesem
Sinne, also objectivirte Empfindungen sind die objectivirten
Bewusstseinsinhalte, welche in den Wahrnehmungen und Vor-
stellungen höherer Ordnung, (ja welche, setzen wir hinzu,
nach U. in allem Denken) zu ĂĽrtheilen verbunden werden**
Philosoph. MonaUhefte 1881, VU u. VIII. 30
466 Karl Uphues: Das Wesen des Denkens.
(S. 24.) Was heisst das aber anders als: alles Vorstellen,
Wahrnehmen, Denken erhebt sich ĂĽber den Empfindungen
oder den Eindräcken, welche das wahrnehmende und denkende
Subject von den mit ihm in Wechselwirkung stehenden
Gegenständen empf≯ diese Empfindungen oder EindrĂĽcke
sind der einzige Inhalt, die alleinige „Materie" oder Realität
alles Vorstellens und Denkens, — ein neu aufgewärmter
Eantianismus , der dem in der Vemunftkritik des Meisters
niedergelegten so ähnlich sieht wie ein Ei dem andern. Zu
diesen Empfindungen gehören nun auch nach U. ganz con-
sequent „die Bewusstseinsinhalte (wir würden mit Günther
sagen : die Ideen) vom Dasein (Sein) und von den verschie-
denen Beschaffenheiten des Gegenstandes", denn „Gedan-
ken oder Begriffe" können diese Bewusstseinsinhalte nicht
sein. Und warum nicht? Weil wir die Empfindungen
einzeln oder mehrere zusammen vorstellen, die Begriffe
aber nicht vorstellen, sondern nur d e f i n i r e n können. Jeder
Gedanke oder Begriff besteht zwar aus Empfindungen, diese
bilden seinen Inhalt, aber die letzteren erhalten doch nur
dadurch die Form des Begriffes, dass mehrere derselben zu
Aussagen und Urtheilen miteinander verbunden werden.
Aber sind die Bewusstseinsinlialte (Ideen) des Seins u. s. w.
auch keine Begriffe, sind sie dann schon ohne weiteres und
nothwendigerweise Empfindungen? Auch U. macht sich diesen
unseres Erachtens wohlbegrĂĽndeten und beachtenswerthen Ein-
wurf, und seine Antwort ? Hier ist sie: „Empfindungen und
Gedanken (Begriffe) machen den ganzen Bestand
unseres Bewusstseins aus, auch die sorgsamste Selbst-
erforschung findet keinen anderen. Sind darum die fĂĽr sieb
allein objectivirten Bewusstseinsinhalte keine Gedanken (Begriffe)
so sind sie nothwendiger Weise nichts anderes als „Empfin-
dungen, objectivirte Empfindungen oder Vorstellungen" (S. 24.)
Zu diesen ob zwar beherzten Versicherungen können wir
nicht Ja und Amen sagen, da eine wirklich sorgsame Selbst-
erforschung unseres Erachtens das Gegentheil derselben als
Wahrheit darthut. Wie so?
Die Erkenntnisstheorie des Verfassers wurzelt ebenso
wie die Kant*s in der Annahme, dass aller Inhalt, alle Rea-
JLbltI Uphues: Das Wesen des Denkens. 467
lit&t unseres Erkennens einzig und allein in den sog. Empfin-
dungen d. i. in den von aussen auf uns eindringenden Ein-
drucken, also a posteriori gegeben sei. Allein da fragt es
sich denn doch gar sehr, ob diese Kantische Voraussetzung
nicht endlich einmal aufzugeben sei und ob man nicht besser
zum Ziele komme, wenn angenommen werde, dass die pri-
mitivste und Hauptrealität, welche erkannt werde und um
welche alles ĂĽbrige Erkennen wie um seinen Mittelpunkt sich
herumbewege, gerade umgekehrt a priori im Besitze des den-
kenden und erkennenden Subjects sich befinde. Um ĂĽber
die Berechtigung oder Nicht -Berechtigung einer solchen An-
nahme entscheiden zu können, ist einzugehen auf eine Unter-
suchung des Selbstbewusstseins, des Ich-Gedankens, der, neben-
bei gesagt, erfahrungsgemäss unter allen Erdenwesen nur im
Menschen, nicht auch in den Thieren vorkonomt, so sehr auch
manche Neuere geneigt sind, denselben den letzteren eben-
falls zu vindiciren. (Vergl. z. B. Verhandlungen der philoso-
phischen Gesellschaft zu Berlin. 18. Heft. Leipzig 1880.
S. 2, 18 u. 19.)
U. behauptet ganz richtig: „So wenig wir an der Wirk-
lichkeit unserer (uns bewussten) Denkacte zweifeln können,
ebensowenig können wir an der Wirklichkeit unseres
Ich zweifeln. Ein solcher Zweifel wäre ja wieder ein
Denkact und wĂĽrde als solcher das Ich als sein innerstes Wesen-
constitutiv nothwendig fordern. Das Ich ist darum fĂĽr uns
von allem Wirklichen das aUergewisseste*' (S. 71 u. 72). Sind
diese AussprĂĽche richtig, wie ohne alle Umschweife zugegeben
werden muss, so verlohnt es sich doch auch wohl der MĂĽhe,
nach dem Grunde dieser Gewissheit des Ich und nach der
Beschaffenheit des Ich als der fĂĽr uns allergewissesten
Wirklichkeit zu forschen. Auch U. beschäftigt sich mit die-
sen gewichtigen Gegenständen, aber leider kann den Resul-
taten seines Nachdenkens ĂĽber dieselben die Siegespalme nicht
zuerkannt werden. „Das Ich, schreibt er, ist nicht eine Rea-
lität ausserhalb unseres Bewusstseins, die wir erst zu su-
chen und festzustellen hätten, es ist vielmehr das Bewusst-
sein selbst'' (S. 72). Je bereitwilliger wir anerkennen, dass
in der ersten Hälfte dieses Satzes der Grund, um dessent-
468 Karl Uphues: Das Wesen des Denkens.
willen dem Ich unbezweifelbare Gewissheit zukommt, wenig-
stens durchklingt, um so mehr Veranlassung haben wir aber,
die Richtigkeit der zweiten Hälfte, die Identificirung des Ich
mit dem Bewusstsein desselben, zu beanstanden. U. fallt
hier wieder ohne Weiteres in Kant*s Auffassung des Ich zu-
rĂĽck. Und es ist ihm mit der Identificirung von Ich und
Bewusstsein so sehr Ernst, dass dieselbe in seinem Buche bei
jeder sich darbietenden Gelegenheit wiederholt wird (vergl.
S. 8, 26, 29, 71 — 73). Aber schon aus seiner eigenen Dar-
stellung hätte U. von der Unrichtigkeit, ja gänzlichen Ver-
kehrtheit dieser Auffassung sich überzeugen können. Zwar
behauptet er u. E. sehr fälschlich: „Das Bewusstsein
verbindet wie die Vorstellungen so die Worte ... zu Sätzen"
(S. 72), aber er behauptet auch in diametralem Gegensatze
hierzu: „Ich selbst bin es, der mit seinem Bewusstsein
die . . . Gedanken erfasst, bezieht, verbindet'^ (S. 8). Er
unterscheidet ferner in Uebereinstimmung hiermit „das Ich"
von „seinen Thätigkeiten, Leidenheiten und Zuständen*^ (S. 56),
er nennt das Ich „das denkende Princip in uns"
(S. 71). Ist aber das Ich in der That das Princip des
(selbstbewussten) Denkens in uns, so kaim es auch nicht
mehr als mit dem Denken und Bewusstsein schlechthin iden-
tisch behandelt werden. Und nun erhebt sich die Frage
nach der richtigen Verhältnissbestimmung des Ich zum Den-
ken und Bewusstsein desselben. Wir können hier nur auf
einige Punkte aufmerksam machen, die für die Lösung des
Problems von massgebender Bedeutung sind.
Der Verfasser bespricht S. 87 fg. das Verhaltniss von
„Wesen*' (Substanz oder Sein) und „Erscheinung"' der Dinge.
Er schreibt: „Wir unterscheiden in jedem Ding sein Wesen
(besser: das Ding als solches) von seinen Aeusserungen, Be-
wegungen, Thätigkeiten.'' Ja! und ist diese Unterscheidung
etwa nicht richtig? Können wir jemals von ihr loskommen?
Wir sagen: Ich denke, ich will, ich fĂĽhle. Denken, Wollen,
Fühlen sind Aeusserungen, Thätigkeiten, das Ich das in die-
sen Thätigkeiten sich Bethätigende, das sich bethätigende Ding
(Princip). Ebenso ist es in der Körperwelt. Das Wasser gefriert,
dampft, fluthet. Gefrieren, dampfen, fluthen sind wieder
Karl Uphues: Das Wesen des Denkens. 469
Aeusserungen, Bewegungen des Wassers als des sich bewe-
genden Dinges. Können etwa die Aeusserungen, sei es ein-
zeln oder in ihrer Gesammtheit, mit dem (sich äussernden)
Dinge als solchem identisch gesetzt werden? AberĂĽ. alterirt
sofort schon das Verhältniss des Dinges zu seinen Aeusse-
rungen, denn er fahrt fort: „Wir nennen die Aeusserungen,
Bewegungen und Thätigkeiten die Erscheinung des Din-
ges. Das Wesen ist uns das Innere des Dinges, die Er-
scheinung sein Aeusseres, das Wesen soll hinter der Er-
scheinung verborgen sein und sich nicht unmittelbar selbst,
sondern mittelbar durch die Erscheinung zu erkennen
geben." Richtig ist hier, dass sich das Ding als solches nicht
unmittelbar, sondern nur mittelbar durch seine Aeusserungen,
Thätigkeiten, mit einem Worte: Erscheinungen uns zu erken-
nen gibt. Oder wissen wir von dem Ich anders als durch
Vermittelung seiner Erscheinungen und durch RĂĽckschluss
aus diesen auf es selbst als das in diesen sich offenbarende Prin-
cip? Und wĂĽrden wir wohl von irgend einem Dinge der
Aussenwelt irgend eine Kenntniss haben, wenn dasselbe nicht
direct oder indirect auf uns einwirkte, wenn es sich also
durch seine Thätigkeiten, Erscheinungen uns nicht zu erken-
nen gäbe ? Aber so gewiss das Alles ist, so ist es doch ver-
kehrt, wenn ü. versichert: „Das Wesen (das Ding als sol-
ches) ist uns das Innere des Dinges, die Erscheinung sein
Aeusseres" oder „die Erscheinung ist die Aussenseite des
Dinges, das, mit dem das Ding aufhört." Nein! Das Ding
als solches ist nicht das Innere seiner selbst und seine Er-
scheinung sein Aeusseres, so dass da, wo die Erscheinung
anfangt, das Ding selbst aufhört, sondern das Ding und seine
Erscheinung sind die beiden Seiten einer Einheit, von
denen jede von. der anderen aber in sehr verschiedener Weise
bedingt und abhängig ist. Die Erscheinung ist von dem Dinge
abhängig insofern, als jene nicht im leeren Nichts schwe-
ben kann, sondern in und an dem Dinge wurzelt und
entweder von ihm allein oder von ihm in Wechselwirkung
mit anderen Dingen verursacht ist. Aber das Ding ist
auch von seiner Erscheinung abhängig insofern, als jenes in
und durch diese seine Bestimmtheit erreicht, das wird
470 Karl Uphues: Das Wesen des Denkens.
oder zu dem sich entwickelt, was es werden kann. Und
eben diese beiderseitige, wenn auch ganz verschieden geartete
Abhängigkeit von Ding und Erscheinung offenbart dem scharf-
sinnigen Beobachter zur GenĂĽge, dass beide, jenes ak be-
stimmtes, diese als Bestimmtheit von jenem nichts ur-
sprĂĽngliches, primitives sind, sondern einer gemeinsamen,
tiefer liegenden Wurzel entstammen, nämlich dem unbe-
stimmten Sein, welches eben dadurch, dass es in die Er-
scheinung eingegangen, zu einem bestimmten Sein, d. i. zu
einem Dinge geworden ist. Es ist daher auch nicht wahr,
was U. behauptet, wenigstens in dem Sinne nicht, wie er es
behauptet, dass die Unterscheidung von Ding und Erscheinung
„in den Dingen einen unveränderlichen Seinskem" voraus-
setze, viehnehr ist zuzugeben, dass „alle Veränderungen, die
das Ding durchläuft, Veränderungen des Dinges (selbst) sind",
dass „sie nicht bloss sein Aeusseres, sondern das Ding
innerlichst treffen*', dass die Dinge „sich beständig ver-
ändern und entwickeln". Aber folgt daraus auch schon,
wie U. will, dass die Dinge schlechterdings nichts sind als
„Erscheinung, nach innen und aussen Bewegung" und dass
somit „die Jagd der Philosophen nach dem geheinrnissvoUen,
tief verborgenen, räthselhaften Wesen der Dinge (d. i. nach
den Dingen als solchen im Unterschiede von ihren Erschei-
nungen und Bewegungen) eine Jagd nach Phantomen ist"?
Oder hat U. in der That bewiesen, dass „wir den philoso-
phischen Begriff der Substanz imd des Accidenz so wenig
wie den populären des Wesens (des Dinges) und der Erschei-
nung gebrauchen können", da „der erstere ja nur eine Con-
sequenz des letzteren ist"? Wir wissen zwar sehr gut, dass
die neueren Philosophen in dem in Rede stehenden Gegen-
stände fast ausnahmslos auf der Seite des Verfassers stehen
und dass derjenige, welcher nach wie vor die von uns vor-
getragene gegentheilige Auffassung in Schutz nimmt, das Wort
des Wandsbecker zu beherzigen hat:
Greif nicht leicht in ein Wespennest,
Doch, wenn du greifst, so stehe fest.
Aber emen solch' festen Standpunkt fĂĽr die Kritik seiner An-
sicht bietet uns U. selbst dar durch das, was er ĂĽber den
Karl Uphues: Das Wesen des Denkens. 471
Grund unserer Unterscheidung der Dinge nach Substanz und
Accidenz, Sein und Erscheinen zum Besten gibt. Er schreibt
(S. 91 u. 92):
„Der Wesensbegriff (d. i. der Begriff des Dinges als sol-
chen im Unterschied von seinen Erscheinungen) hat seinen
Grund in der falschen Annahme, dass wir ein Ding durch
einen einzigen Begriff zu denken vermögen, zu der uns
der unser Denken beherrschende Substantivs atz oder das
Urtheil verfĂĽhrt. Im Subject des ĂĽrtheils suchen wir
nämlich einem Einzelding seinen Ausdruck zu* geben und von
diesem sich gleichbleibenden Subject sagen wir die Verände-
rungen des Einzeldinges als seine Prädikate aus. Das Sub-
ject wird uns so zum Ausdruck für das unveränderliche
Wesen des Dinges, die Prädikate drücken die wechseln-
den Veränderungen des Dinges aus. Natürlich, setzt'
U. hinzu, reden wir nur von ĂĽrtheilen, welche sowohl im
Subject als Prädikat eine Wirklichkeit zum Ausdruck brin-
gen, nicht von solchen, die einen Begriff in seine Merk-
male zerlegen. Es handelt sich ja eben um das Wesen,
welches den Kern der wirklichen Dinge ausmachen soU.^^
Wir fragen: Kann die uns unvermeidliche Unterschei-
dung der Dinge nach Sein und Erscheinung, Substanz und
Accidenz in der That, wie ü. will, in „der falschen Annahme"
begründet sein, dass „wir ein Ding durch einen einzigen
Begriff zu denken vermögen"? Ja könnte jene Unterschei-
dung ĂĽberhaupt nur in unserm Denken auftreten, wofern die
Erkenntnisstheorie des Verfassers eine vollständige und rich-
tige wäre? Gewiss nicht. Und warum nicht? Aus dem ein-
fachen Grunde, weil U. (mit Kant) den Inhalt, die Materie
oder Realität unseres Denkens und Erkennens einzig und
allein auf die Eindrücke oder Empfindungen beschränkt,
welche die Dinge durch Einwirkung auf uns in uns hervor-
rufen. Diese EindrĂĽcke oder sogen. Empfindungen sind in
letzter Instanz das Object und zwar das einzige Object, wel-
ches von dem Subject in die Formen der Vorstellung, der
Wahrnehmung und des Begriffs, d. i. in die dem Subjecte
eigenthĂĽmlichen Gedankenformen erhoben wird. Allein fallen
denn die erwähnten Eindrücke oder Empfindungen nicht offen-
472 Karl Uphues: Das Wesen des Denkens.
bar sammt und sonders in die Klasse der blossen Erschei-
nung? Sind sie nicht alle ohne Ausnahme eben nichts als
so oder so modificirle Affectionen des Subjects? Ist aber
dieses ganz unläugbar der Fall, wie sollen dieselben dann,
wofern sie in der That das einzige Object des Denkens
sind, dem denkenden Subjecte die Veranlassung bieten kön-
nen, die Dinge, auf welche jene zu Vorstellungen, Wahrneh-
mungen oder Begriffen verarbeiteten Affectionen bezogen wer-
den, nach Sein und Erscheinung, Substanz und Acddenz
zu unterscheiden? Die UnmögUchkeit hierzu liegt doch son-
nenklar zu Tage. Aber das eben ist der gewaltige Irr-
thum der Kant*schen und ebenso der ĂĽphues'schen Erkennt-
nisstheorie, dass alle Realität oder aller Inhalt unseres Den-
kens lediglich aus den Empfindungen oder empfangenen
'EindrĂĽcken herfliesse, also a posteriori gegeben werde, denn
die Empfindungen oder EindrĂĽcke sind doch nur EindrĂĽcke
des sie zu Vorstellungen, Wahrnehmungen oder Begriffen ver-
arbeitenden Subjects. Gibt es nun aber Subjecte, welche
ihre Empfindungen nicht bloss in die erwähnten Gedanken-
formen umsetzen, sondern welche aus diesen inneren Vor-
gängen zugleich sich selbst als Subject im Gedanken gewin-
nen, was bei jedem zum Selbstbewusstsein oder Ich-Gedanken
erwachenden Menschen der Fall ist, — liegt dann die Ver-
muthung so gar weit, dass ein derartiges Subject doch auch
an sich selbst als solchem im Unterschiede von seinen
Empfindungen ein Object, einen Inhalt und eine' Realität des
Denkens und Erkennens habe, welche ihm nicht a posteriori
könne zugeströmt sein, da es selber diese Realität ist und
es sich selber doch (wenn auch primitiv noch nicht in der
Form des selbstbewussten Subjects), a priori gegeben
sein muss? Und was hindert nun dem Gedanken Raum zu
geben, dass ein derartiges Subject, welches die Sprache mit
dem Worte „Ich" oder „Geist" bezeichnet, gerade durch
die Unterscheidung, die es an sich selbst zwischen ihm als
solchem und seinen Empfindungen macht, die gegensätzlichen
Gedanken des Seins und der Erscheinung, der Substanz und
des Accidenzes gewinne und dass jenes aus keinem anderen
Grunde auch genöthigt sei, jeden m sein Bewusstsein eintre-
Karl Uphues: Das Wesen des Denkens. 473
tenden Gegenstand unter denselben Bestimmungen (Katego-
rien) zu denken, als weil es dieselben zuvor in und an sich
selbst gefunden und festgestellt hat? Will man daher der
Genesis der Kategorien, d. i. der Gedanken des Seins und
der Erscheinung, der Substanz und des Accidenzes u. s. w.
endlich einmal auf den Grund sehen und dadurch in die Lage
kommen, etwas Stich- und Probehaitigeres als seither ĂĽber
den Inhalt und die Realität dieser Gedanken vorzulegen,
— eine Aufgabe, mit der das Schicksal der Philosophie als
Wissenschaft fĂĽr die Gegenwart und Zukunft im allerengsten
Zusammenhange steht, - so ist der Weg, den man hierzu
einzuschlagen und zu wandeln hat, jedem Einsichtigen von
selber gewiesen. Es genĂĽgt nicht darzuthun, in welcher Art
der Mensch seine Empfindungen, d. i. die von aussen em-
pfangenen EindrĂĽcke zu Vorstellungen, Wahrnehmungen und
Begriffen verarbeite, um dann diese Gedankenformen als
die einzig möglichen auszugeben und in ihnen nach Herzens-
lust sich herumzutummeln, sondern von grösserem und
entscheidendem Gewichte ist einzig und allein der
Nachweis, auf welchen inneren Vorgängen es beruht, dass
der Mensch nicht nur die erwähnten Denkformen ausprägt,
sondern zu denselben zugleich auch als Subject im Gedanken
sich gewinnt, d.i. seiner selbst bewusst, ein Ich wird,
da er als solches offenbar nicht schlechthin gegeben, sondern
das Resultat eines in ihm sich vollziehenden Processes ist.
Diese Untersuchung hat der Verfasser der von uns kritisirten
Arbeit mit keiner Silbe berĂĽhrt, und eben daher ist es ge-
kommen, dass er den verhängnissvollen Fehler vieler seiner
Vorgänger, den Geist des Menschen mit dem Bewusstsein
desselben schlechthin zu identificiren, abermals begangen hat.
So bereitwillig wir demnach auch anerkennen, dass die Schrift
des Verfassers vor vielen anderen der Gegenwart durch Klar-
heit, Scharfsinn und Gründlichkeit sich auszeichne, so können
wir zu unserem Bedauern in derselben eine Lösung des gros-
sen Problems, welches dem Philosophen in der Frage nach
dem „Wesen des Denkens** sich entgegenwirft, doch nicht
erblicken. Aber der Verfasser setze sich noch einmal an die
Aufgabe, er schärfe sein Auge statt mit den Gedanken eines
474 William Wallace: Chief aneient philosophies.
Kant und Plato mit denen, welche der Wiener PhOosoph
Anton GĂĽnther ĂĽber den doppelten im Menschen sich
vollziehenden Denkprocess, den des Begriffs und der Idee,
zu Tage gefördert, und er wird gewiss die Mängel seiner
bisherigen Auffassungen entdecken und Leistungen hervor-
bringen, die ein bleibender Gewinn fĂĽr die Wissenschaft und
ihre hohen Interessen sein werden.
Breslau. Weber.
Chief aneient philesophies. Epicureanism. By Wäliam Waäace
M. A. fellow and tutor of Merton College, Oxford. London,
Society for promoting Christian knowledge. 1880. (VIII,
270 S.) 80.
Dies Werk gibt ein ĂĽbersichtliches Bild des Epicureismus
auf Grund eingehenden Quellenstudiums, jedoch mit steter
Bezugnahme auf und AnknĂĽpfung an diejenige moderne Denk-
weise, welche gegenwärtig in England unter dem Einfluss Stuart
MilVs, Bain's und anderer Empiristen gang und gäbe ist. Der
Verfasser hat dabei mit grossem Geschick die richtige Mitte
zu halten gewusst zwischen einer rein gelehrten und einer
bloss populären Darstellung, so dass sein Buch eine ebenso
anmuthende als unterrichtende Leetüre gewährt. Anhebend
mit einer Einleitung, worin die Stellung des epicureischen
Systemes zu den übrigen Hauptlehrgebäuden der hellenischen
Philosophie bezeichnet und namentlich dessen Gegensatz zum
Stoicismus scharf hervorgehoben wird, geht der Verfasser
im zweiten und dritten Kapitel zur äusseren Geschichte des
Epicureismus fort, indem er zuerst Epicur's Leben und cultur-
historische Stellung in sehr interessanter Weise schildert, so-
dann von dem Wesen und Bestand der epicureischen Bruder-
schaft handelt. Im vierten Kapitel ĂĽber die QueUen der epi-
cureischen Lehre und die Schriften Epicurs hat der Verfasser
den letzteren Punkt etwas zu summarisch behandelt, insofern
er zwischen den verschiedenen Klassen dieser Schriften und
den darin gebrauchten Stilarten keinen Unterschied macht
Freilich liegt der Text dieser Schriften bisher durchweg im
Argen und ist auch durch die GobeVsche Diogenes-Ausgabe
William Wallace: Chief andent philosophies. 475
nicht eben verbessert worden, indessen weisen doch deutliche
Spuren darauf hin, dass Epicur's Stil nicht immer so lottrig
war, wie in den grossen, als blosse Hypomnemata zu betrach-
tenden Schriften, die zur Herausgabe nicht bestimmt gewesen
zu sein scheinen. Nachdem im fĂĽnften Kapitel eine allge-
meine kurze Uebersicht des Systems gegeben wordeh ist,
beschäftigt sich das sechste mit der naturwissenschaftlichen,
das siebente mit der ethischen Seite desselben, jenes wesent-
lich im Anschluss an Lucretius, dieses an Epicurs dem Me-
noeceus geschriebenen Brief. Im achten Kapitel geht der
Verfasser auf die epicureische Atomentheorie näher ein, er-
örtert ihr Verhältniss zur entsprechenden democritischen so-
wie leibnizischen Lehre und fĂĽgt weitere Bemerkungen hinzu,
welche bei aller Anerkennung der Schwächen der epicurei-
schen Naturlehre ĂĽberwiegend gunstig ausfallen. Im neun-
ten Kapitel wird die Kosmologie und Theologie Epicurs be-
sprochen, im zehnten die Logik und Psychologie der Schule
skizzirt; das elfte und letzte gibt eine historische Uebersicht
und schliesst mit einer GesammtwĂĽrdigung des Systems, ĂĽber
welches zuletzt der Verfasser sich folgendermassen auslässt:
„(des Epicureismus) ernste Einfachheit steht zu der Verfeine-
rung (modemei') ästhetischer Empfindung im Gegensatz, seine
nüchterne Humanität beschämt die selbstsüchtige Lust, seine
ungekĂĽnstelte Sprache bedarf nicht des Aussenwerks utilitari-
scher Systeme ; was der Epicureismus lehrte, war die Einheit
und Harmonie des menschlichen Wesens, und sein Ziel war,
das Leben in sich vollgenügend zu machen und unabhängig
von jedweder äusseren Gewalt. Heiter und ernst zugleich
fasste der Epicureer diese gegenwärtige Welt als sein Alles
auf und hoffte in ihr mittels der Vernunft sich einen Hinunel
zu schaffen. An gar Manchem ist der Epicureismus achtlos
vorüber gegangen, aber in seiner fröhlichen Hinnahme der
Thatsächlichkeit unseres menschlichen Lebens und der allge-
meinen Naturgesetze, in dem Gewicht, das er auf die Freun-
desliebe als das grosse HĂĽlfsmittel moralischen Fortschritts
legte, und in seiner Verwerfung des die Busse als Zucht miss-
verstehenden Ascetenthums verkĂĽndete der Epicureismus Ele-
mente der Wahrheit, welche die Welt nicht wieder verlieren
476 William Wallace: Chief ancient philosophies.
darf." Ist Ref. auch nicht geneigt, in diese emphatische Lob-
rede mit einzustinmien , bei der die grossen und bekannten
Schattenseiten des geschilderten Systems ganz in den Hinter-
grund treten, so muss er Herrn Wallace doch darin Recht
geben, dass die epicureische Denkweise als Widerhalt gegen
den beim Sinken der klassisch-antiken Welt gewaltig um sich
greifenden Aberglauben und Götzendienst eine nicht abzu-
leugnende Rerechtigung und nicht zu unterschätzende Wich-
tigkeit hatte, auch in der That dem BedĂĽrfhiss weiter Kreise
als eine leichtverständliche und recht bequeme Lebensweis-
heit tröstlich entgegenkam. Aber nicht minder gewiss scheint
es ihm zu sein, dass der Epicureismus in weniger edel und
fein organisirten Naturen, als die seines Stifters war, zumal unter
den Römern, in jene Abwege führen musste, in welche er
thatsächlich geführt hat und wodurch die Bekenner der Lehre
in ähnliche Wesen wie die Gefährten des Odysseus beim
Tranke der Ch'ce verwandelt wurden, daher schon Horaz,
der selbst eine Art Epicureer ist, die „Epicuri de grege por-
cos^^ anfĂĽhrt. Wissenschaftlich angesehen hat der Epicureis-
mus uls ein Mischmasch von WidersprĂĽchen sehr geringen
Werth (von denen ich einige im vorigen Jahre bei Gelegen-
heit der Besprechung des Guyau'schen Werkes „La morale
d'Epicure" [vgl. PhĂĽos. Monatshefte Bd. XV p. 417 folgg.]
schon einmal angedeutet habe), und auch das Lob, dass diese
Lehre die Atomentheorie wesentlich gefördert und die aus-
nahmslose Geltung der Naturgesetzlichkeit aufgestellt habe,
verlangt bei näherem Zusehen sehr eingeschränkt zu werden.
Die wissenschaftliche Atomentheorie der Gegenwart hat mit der
der Alten nicht mehr als den Namen' gemein, und datirt, wenn
sie einmal in genealogischen Zusammenhang mit den antiken
Lehren gebracht wird, schon von denPythagoreern und Leukipp.
Was aber die Ausnahmslosigkeit der Naturgesetze angeht, so
ist diese ein moderner Begriff der mechanistischen Weltan-
schauung, welcher mit dem Satze ^ta tuxI ovh expfim gar
nicht stimmt, jenem Satze, der zwar auf Aristipp zurĂĽck-
gefĂĽhrt wird, aber auch dem Individualismus Epicurs durch-
aus entspricht. C. S.
Hartmaim: Die Krisis des Ghristenthums in d. modernen Theologie. 477
Die Krisis des Christenthums in der modernen Theologie. Von
Eduard v. Hartmann. Berlin, Carl Duncker's Verlag (C.
Heymann). 1880. (XVI, 115 S.) %\
In dem 1874 erschienenen kleinen Werke: „die Selbst-
zersetzung des Christenthums und die Religion der Zukunft^^
suchte Herr v. Hartmann den Beweis zu fuhren, dass der
liberale Protestantismus weder auf dem Boden des eigent-
lichen Christenthums zu stehen behaupten dĂĽrfe, noch im
Stande sei, dem religiösen Bedürfniss eine wahre Befriedigung
zu bieten. Das vorliegende Buch geht nun in derselben Rich-
tung noch einen Schritt weiter, indem es zeigen will, „dass
auch der speculative Protestantismus im engem und im
weitem Sinne nur noch theils durch gewaltsame Fictionen,
theils durch Inconsequenzen gegen seine eigenen Principien
den Schein einer innern Zusammengehörigkeit vorzuspiegeln
vermag, dass er aber nicht wie der vulgäre liberale Proter
stantismus der Irreligiosität oder der Werthlosigkeit für das
religiöse Bewusstsein geziehen werden kann." „In ihm", so
fahrt V. Hartmann fort, „vollzieht sich die geschichtliche Krisis
des Christenthums, d. h. in ihm gelangt dasselbe an den
Wendepunkt, wo ein neues, dem christlichen entgegengesetztes
religiöses Princip in scheinbar noch christlichen Formen ins
Leben tritt, wo die letzte Stufe der Selbstzersetzung des
Christenthums sich zugleich als die Geburtsstätte einer neuen
Zukunftsreligion erweist, welche wesentlich dieselben ZĂĽge
trägt, die ich der Zukunftsreligion pro^osticirt hatte."
Diesem Programm gemäss handelt von Hartmann in
einem ersten Abschnitt seines Buches von der unheilbaren
Auflösung dessen, was er als das christliche Centraldogma
betrachtet, der Lehre von der Erlösung durch das Blut Christi,
indem er zeigt, dass die moderne protestantische Theologie
von Schleiermacher an sich von der Christologie der alten Dog-
matik mehr oder weniger abgewandt habe. Die drei folgen-
den Abschnitte aber, „der speculative Protestantismus", „der
theologische Neukantianismus", „neuhegelsche und neukan-
tische Dogmatik" sind kritische Auseinandersetzungen mit
Otto Pfleiderer als Religionsphilosophen, R. A. Lipsius und
AI. Em, Biedermann als Dogmatikera, welche von Hartmann als
478 Hartmann: Die Krisis des Christen thums' in d. modernen Theologie.
die maassgebenden Repräsentanten des „speculativen^^ Pro-
testantismus ansieht, und der letzte, fĂĽnfte Abschnitt han-
delt von dem religiösen Grundphänomen als Quellpunkt
der Zukunftsreligion sowie im Umriss von dieser selbst,
wobei V. Hartmann sie, die Zukunftsreligion, als in der Spe-
culation jener seiner Vorgänger schon wirksam, aber darin
als nur noch nicht recht zum Durchbruch gekommen be-
trachtet
Sonach kann der leitende Gesichtspunkt des Werkes wohl
so gefasst werden: Nachdem sich an den drei Hauptreprä-
sentanten des speculativen Protestantismus die Unmöglichkeit
gezeigt hat, bei der specifisch christlichen Lehre länger zu
verharren, muss zu einer neuen Religion (dem sog. concreten
Monismus) ĂĽbergegangen werden, dessen erste Spuren oder
embryonale Formen sich in den Werken jener drei Männer
allerdings schon zeigen, der aber erst in der Hartmann'schen
Lehre zum vollen Durchbruch und Ausdruck gelangt.
Gesetzt nun, v. Hartmann hätte Recht und jene drei
Männer wären nicht sowohl Repräsentanten des Christenthoms
als — wenn auch unbewusster Weise — Vertreter seiner
Zukunftsreligion — was würde daraus folgen ? Offenbar doch
nicht die Krisis, soll heissen „das Ende des Ghristenthums'',
sondern nur die Krisis, d. h. Unhaltbarkeit derjenigen Art von
Speculation, welche jene Männer vertreten. Das wäre schon
möglich. Allein aus der Unhaltbarkeit jener Art von Specu-
lation das Ende des Ghristenthums selbst zu folgern, wäre
nur dann richtig, wenn nachgewiesen wĂĽrde, dass das Ghri-
stenthum keine andere Art der Betrachtung zuliesse, als
welche jene drei Männer angestellt haben. Das hat v. Hart-
mann jedoch nicht gethan und kann er nicht thun. Wie es
heisst : multi f uerunt ante Agamemnona fortes, so mögen auch
noch andere wissenschaftliche Vertheidiger des Ghristenthums
vorhanden sein oder in Zukunft auferstehen, welche dessen
Geist besser aufgefasst haben und reiner vertreten, als jene
drei. Wäre nun dies der Fall — und wie könnte man es
ohne ausdrücklichen Gegenbeweis leugnen? — so würde sich die
Sache anders steUen, als v. Hartmann sie darlegt. Auch das
wäre noch zu bedenken, ob nicht das Stehen oder Fallen desGhri-
Uartmann: Die Krisis des Ghristenthams in d. modernen Theologie. 479
stentbums von den Resultaten der Speculation ĂĽberhaupt ganz
unabhängig sei. Aus dem Umstände, dass drei Repräsentanten
dieser letzteren, welche v. Hartmann sich aus vielen Anderen
herausgreift, nicht sowohl auf dem specifisch christlichen, als
auf dem Boden seiner, der Hartmann'schen Religionsansicht
zu stehen scheinen, lässt sich also wahrlieh nicht sogleich
das Ende des Christenthums folgern.
Ref. will sich jedoch hier nicht auf die Frage einlassen,
wie es mit der Haltbarkeit oder Nichthaltbarkeit der christ-
lichen Religion gegenĂĽber den wahren oder vermeintlichen
Resultaten der modernen Wissenschaft stehe, auch nicht ein-
mal untersuchen, wie es sich mit der specifischen Christlich-
keit oder Nichtchristlichkeit der drei Gewährsmänner v. Hart-
mann's verhalte, vielmehr, was der Zweck dieser kurzen Be-
sprechung ist, sich zu diesem selbst wenden und die von
ihm selbst aufgestellte Religionsanschauung ins Auge fassen,
mit welcher er das Christenthum ĂĽberholt haben und die
er an dessen SteUe setzen will, von Hartmann bezeichnet
also den neuen Standpunkt seiner Zukunftsreligion als concreten
Monismus. Dieser betont im Gegensatz zu der „abstract mo-
nistischen Identification von Gott und Mensch, welche die
Verwischung ihres realen Unterschiedes ist", die „Verschieden-
heit dieses identischen Subjects in seiner göttlichen Absolut-
heit und in seiner menschlichen Eingeschränktheit'' (p. 105).
Schon vorher (p. 90) hatte v. Hartmann erklärt, „er trete als
concreter Monist jeder Verwischung der Grenze zwischen gött-
lichem und menschlichem Wirken, sowie jeder VerflĂĽchtigung
des Unterschiedes zwischen Gott und Mensch, absolutem und
individuellem Geist, schroif entgegen" ; er sei eben so fern von
jeder naturalistischen Identification des raumzeitlichen Uni-
versums mit Gott wie von einer Erniedrigung des absoluten
Geistes zur Gesammtheit der endlichen (bewussten) Geistes-
processe." Man sollte somit denken, dass v. Hartmann sich
gerade nicht weit von der Basis des Christenthums entferne, viel-
mehr näher getreten wäre, als seine drei Gewährsmänner. Denn
ist nicht dem Chi-istenthum Gott der absolute, weltfreie Geist,
der sich vom Menschen toto genere unterscheidet, da das Wesen
des Letzteren, um v. Hartmann's AusdrĂĽcke zu wiederholen,
480 Hartmann: Die Krisis des Ghristenthums in d. modernen Theologie.
den Charakter der Endlichkeit und Eingeschränktheit trägt?
Aber wenn wir näher zusehen, werden wir freilich bald eines
Anderen belehrt. Um das religiöse Verhältniss, sagt v. Hart-
mann weiter, vor der Auflösung in psychologische Illusionen
zu schützen, müssen wir „ein und dieselbe religiöse Thäüg-
keit, trotzdem sie psychologisch gesetzmässige Bethätigung
des Menschengeistes ist, gleichzeitig auch in vollem Umfange
als Actlvität des göttlichen Geistes" verstehen. „Soll also
das religiöse Grundphänomen keine Illusion, sondern Wahr-
heit sein, so muss die religiöse Geistesthätigkeit nicht bloss
einheitliche (durcli keine Cooperation verschiedener Acteure
zusammengeschweisste) Action sein, sondern sie muss aach
in demselben unmittelbaren Sinne ganz und gar Thätigkeit
Gottes wie Thätigkeit des Menschen, oder Gott muss eben-
sowohl wie der Mensch Subject dieser einheitlichen Thätigkeit
sein" (p. 104. 105). Nun ist es aber ein offenbarer Wider-
spruch, fahrt V. Hartmann gleich darauf fort, dass eine und
dieselbe Thätigkeit ganz und ungetheilt Thätigkeit zweier
Subjecte sein soll — es gibt dafür nur eine einzige Lösung,
„dass Gott und Mensch nicht zwei Subjecte, sondern Ein
Subject sind, wenn auch ein Subject von verschiedenem Um-
fange als Gott und als Mensch. Nur wenn das individuelle
Subject des Menschen nichts Anderes ist als eine individuelle
Einschränkung Gottes, wenn also das Subject im Menschen
das absolute Subject, obschon als eingeschränktes Subject
ist, nur dann kann die religiöse Geistesbethätigung im Men-
schen ebenso sehr göttliche wie menschliche Action genannt
werden."
Nach diesen Erklärungen muss angenommen werden, dass
V. Hartmann, trotz seiner Behauptung, dass er zwischen Gott
und Menschen einen realen Unterschied setze, die Religion
nicht ansehe als Verhältniss des Menschen zu einem von ihm
verschiedenen göttlichen Wesen, sondern zu sich selbst, denn
es soll ja dabei nicht von zwei „zusammengeschweissten*^
Subjecten, sondern nur von einem, dem unsern, die Rede
sein. Einmal also soll der Mensch eine individuelle Ein-
schränkung Gottes sein, dann wieder nicht, und auf diesen
inneren Dualismus, der aber in ein und dasselbe menschliche
Hartmann: Die Krisis des Christenthums in d. modernen Theologie. 481
Subject fallt, gründet sich nach v. Hartmann das Phänomen
der Religion. Denn anders, als ich es hier gethan habe,
kann man doch wohl die „identische Action" eines und des
nämlichen Subjectes nicht verstehen. Wem wird nun, wenn
er sich zur Orientirung über eine solche befremdende Erklä-
rung umsieht, nicht alsbald L. Feuerbach einfallen, dessen
Standpunkt mit dem Hartmann'schen eine unverkennbare Ver-
wandtschaft bemerken lässt. Der Unterschied besteht zwi-
schen diesem und v. Hartmann nur darin, dass L. Feuerbach
durch die Identificirung des Göttlichen mit dem Menschlichen
die Religion wegerklären und aufheben, v. Hartmann sie des-
sen ungeachtet erhalten will. Denn der Letztere erklärt Gott,
trotzdem er mit dem Menschen dasselbe Subject ausmacht,
fĂĽr ein absolutes, freilich ein unbewusstes absolutes Subject
(p. 107). Mag nun damit gemeint sein, was da wolle, so muss
man sich doch immer an die ausdrückliche Erklärung des
Verf. halten, dass in der Religion Gott und Mensch ein und
dasselbe Subject ausmachen sollen, und dass dennoch, ja
eben deswegen, ein religiöses Verhältniss zwischen Beiden
stattfinden soll. Ist dies nun möglich? Ist da nicht, muss
man fragen, das Verfahren Feuerbach's richtiger, der die Re-
ligion lieber ganz aufgibt, indem er Gott und Mensch identi-
ficirt? Denn wer erkannt zu haben glaubt, dass Gott und
sein eigenes Ich nicht mehr zwei von einander verschiedene
Subjecte sind, sondern ein und dasselbe, das einmal als gött-
liches, dann wieder als menschliches fungirt, in der Religion
aber diese beiden Momente zur Identität verknüpft, kann*
sich doch nicht länger als zu Gott, welches er ja selbst ist
oder werden kann, als im religiösen Verhältnisse stehend
betrachten, sofern der Grundton aller Religion nach allgemei-
nem Zugeständniss das Bewusstsein der Abhängigkeit des
Menschen von einer höheren — überweltlichen und darum
übermenschlichen — Macht ist, von der man sich getragen
weiss, die man fĂĽrchtet, aber auch verehrt und liebt. Wie
kann ein solches wahrhaft religiöses Verhältniss, frage ich,
stattfinden, wenn man nach v. Hartmann mit Gott in der
Art Eins sein soll, dass man mit ihm em und dasselbe Sub-
ject ausmacht? Muss nicht damit alles religiöse Verhalten
Pliilu^ph. MonaUhefte 1881, VII u. VIU. 31
483 Hartmann: Die Krisis des Ghristenthums in d. modernen Theologie.
ein Ende finden? Oder soll man etwa, nachdem man, wie
V. Hartmann will, im religiösen Bewusstsein seine Identität
mit Gott erkannt hat, gegen sich selbst religiöse Verehrung
hegen? Ich gebe zu, dass die speculative Religionsphilosophie
besonders Biedermannes zu der durch v. Hartmann vertretenen
Ansicht insofern den Weg gebahnt hat, als jener in Nach-
folge Hegel's die Wesensgleichheit des Menschen mit Gott
behauptet, aber diese Wesensgleichheit, welche jedoch bei
ihm noch keineswegs im Sinne einer Identität gefasst wird,
entfernt sich in der That so weit von der Wahrheit, als sie
sich der Hartmann'schen Ansicht nähert. Will man die Re-
ligion als solche aufrecht erhalten, so muss doch nicht nur
die reale Trennung, sondern auch die Wesensverschiedenheit
Gottes vom Menschen aufrecht erhalten werden als die Basis
des ganzen Verhältnisses; wer sich dagegen als ein wenn
auch nur in beschränktem Maasse mit Gott zu demselben
Subject gewordenes oder ihm gleiches Wesen betrachtet, kann
wohl göttliches Selbstbewusstsein zu haben behaupten, aber
nicht religiöses Bewusstsein und Religion haben. Wie übri-
gens V. Hartmann trotz seiner Versicherung, dass er nicht
dem abstracten, sondern einem concreten Monismus huldige, allen
den ĂĽblen Consequenzen des Pantheismus entgehen will, auf den
seine Ansicht, wie er auch selber zugibt, hinauskommt, gestehe
ich nicht einzusehen. Und wenn ihm selber nach dem „Eritis
sicut deus" nicht bange werden sollte bei seiner Gottähnlich-
keit, so möchte es doch mit der Propaganda für seine Zu-
kunftsreligion schlecht aussehen. Denn um das Christenthum
zu stĂĽrzen und dessen Gott zu ĂĽbertrumpfen, mĂĽsste er einen
besseren Gott als diesen, einen stärkeren und lebendigeren,
einen heiligeren und liebevolleren Gott zu predigen verstehen.
Das ist aber mit Nichten der Fall: sein ursprĂĽngliches abso-
lutes Subject ist eigentlich gar kein Gott, sondern nur ein
Phantom, bei dem man sich nichts Rechtes denken kann,
und die „eigene Geistesthätigkeit unmittelbar als Thätigkeit
des Absoluten in uns zu e(npfinden*S eine Zumuthung, die
wohl gestellt, aber nicht erfĂĽllt werden kann. Das Christen-
thum lehrt dagegen einen absoluten Geist als Gott, dem man
im Geist und in der Wahrheit dienen soll; es lehrt ferner
Hartmaim: Die Krisis des Christen thums in d. modernen Theologie. 483
ein ewiges Reich Gottes, nicht aber leugnet es, wie v. Hartmann
und theilweise auch seine „speculativen" Gewährsmänner, die
Unsterblichkeit — das Christenthum stellt mit anderen Worten
Ideale auf, Gott als absolutes Ideal, einen idealen Erlöser,
eine ideale Zukunft des Himmelreichs als die Liebesgemein-
schaft aller edlen Geister mit Gott sowie mit einander. Und
V, Hartmann? Er schlägt uns als religiöses Verhalten „Selbst-
erlösung auf pantheistischer Basis" (p. 99) vor, als ob die
pantheistische Basis eine Selbsterlösung zulasse und nicht
schon diese Definition dessen, was er für Religion erklärt,
mit einem unheilbaren Widerspruch behaftet wäre — ganz
abgesehen davon, dass wieder jeder der beiden seine Definition
bildenden Begriffe den allergewichtigsten Bedenken unterliegt.
Denn dass erstens der Pantheismus als solcher, wenn er
einigermassen zur Klarheit ĂĽber sich selbst gelangt, die Reli-
gion ausschliesst, mag er auch selbst aus religiösen Impulsen
entsprungen sein, darf wohl nach so vielen Verhandlungen
über diesen Gegenstand als längst nachgewiesen erachtet
werden: was aber die Selbsterlösung anbetriflFt, so klingt ein
solcher Terminus zwar recht schön, er birgt aber doch
näher betrachtet keinen haltbaren Sinn. Die Erlösungsbedürf-
tigkeit setzt immer nicht nur einen Mangel, sondern auch
eine Schuld voraus, deren Aufhebung oder Hinwegnahme
durch den Schuldigen selbst, wenigstens nach ihrer objectiven
Seite, den Folgen, hin, unmöglich erscheint. Denmach ist
„Selbsterlösung" eine contradictio in adjecto. Zweitens aber,
selbst die Möglichkeit einer „Selbsterlösung" zugegeben, so
ist eine solche auf pantheistischer Basis darum unmöglich,
weil bei einer solchen (die den stricten Determinismus, um
nicht zu sagen Fatalismus, voraussetzt) eine eigentliche Ver-
schuldung, zu deren Sühne die. Erlösung einzutreten hätte,
nicht vorkommen kann. Also ist „Selbsterlösung auf pan-
theistischer Basis" erst recht eine contradictio in adjecto; so-
mit wäre die Wendung, welche v. Hartmann der Religion
geben will, ebenso wenig metaphysisch zu rechtfertigen, als
praktisch denkbar. C. S.
484 Masaryk: Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung etc.
Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civi-
lisation von Thomas Garrigue Masaryk, Docent der Philo-
sophie a. d. Universität Wien. Wien, Carl Konegen. (XIV,
245 S.) 8<>.
Das stetige Anwachsen der Selbstmordsneigung unter
den Gulturvölkern ist eine Erscheinung, welche cüe ernsteste
Aufmerksamkeit wie der praktischen Politiker, so auch der
Psychologen und Philosophen ĂĽberhaupt in Anspruch neh-
men muss. Wenn man bedenkt, dass nach massiger Berech-
nung in Europa allein jährlich über 20,000 Menschen dem
Selbstmord zum Opfer fallen und aller Wahrscheinlichkeil
nach die vorhandenen statistischen Daten die wahre Höhe
des Unheils auch nicht einmal annähernd ausdrücken, dass
namentlich in den Gentren der modernen Civilisation, den
grossen Städten, ein ansehnlicher Prozentsatz der Einwohner-
schaft Hand an sich legt, und dass vor allen Dingen, wie
bemerkt, dies entsetzliche ĂĽebel sich in erschreckender Pro-
gression steigert, indem es sich, so weit man nachrechnen
kann, seit dem Beginn besserer statistischer Aufzeichnungen
mindestens verdreifacht hat — dann freilich haben wir dabei
mit einer „Massenerscheinung^^ der gefahrlichsten Art zu
thun, welche behufs der Diagnose und der sich etwa daran-
knüpfenden Möglichkeit einer Heilung die eingehendste Unter-
suchung erheischt. Li diesem Sinne muss das vorliegende Buch
des Dr. Masaryk sehr willkommen sein, weil darin nicht
allein mit grĂĽndlichem Studium hinsichtlich des in der stati-
stischen und sonstigen Literatur vorliegenden Materials von
Thatsachen zu Werke gegangen ist, sondern allerdings auch
die eigentliche Natur dieser erschrecklichsten Krankheit unse-
res Jahrhunderts richtig erkannt zu sein scheint Das Werk
zerfällt in sechs Kapitel, von denen das erste die nothigen
Begrififsbestimmungen trifft, das zweite, sehr umfängliche, die
Ursachen der Selbstmordsneigung untersucht, das dritte die
Arten und Formen des Selbstmords schildert, das vierte auf
die Geschichte des Uebels eingeht, das fĂĽnfte die innem
Beziehungen zwischen demselben und der Civilisation gene-
tisch erörtert, das sechste Andeutungen zur Therapeutik
jenes verbrecherischen Hanges gibt. Als die wichtigsten
Masaryk: Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung etc. ^ 485
Theile des Werkes mĂĽssen das zweite und das fĂĽnfte
Kapitel betrachtet werden. In dem ersteren dieser beiden
sehr grĂĽndlich gearbeiteten Abschnitte werden die Ein-
flĂĽsse der Natur ĂĽberhaupt, sodann die der physischen und
geistigen Organisation des Menschen auf die Selbstmords-
neigung besprochen, dann aber diese selbst vom psychologi-
schen Standpunkt aus in Betracht gezogen. Hier handelt es sich
ganz wesentlich um die Geisteskrankheiten, auch ein sociales
HauptĂĽbel, deren enge Beziehung zum Umsichgreifen der
Selbsttödtungen der Verfasser eingehend darlegt. Er kommt
dabei zu dem Resultat, dass Selbstmordsneigung und Psycho-
sen ganz denselben Ursachen entspringen, und daher „beide
Phänomene als sociale Massenerscheinungen der Gegenwart
ihrer Natur nach eigentlich Theilphänomene, zwei verschie-
dene Seiten eines und desselben Prozesses" bilden — indem
insbesondere „die Selbstmordsneigung der Gegenwart auf
Wahnideen der Givilisation beruht."
Diese furchtbare, aber unleugbare Wahrheit, dass unsere
vielgespriesene Givilisation selbst, sofern sie die Menschen in
Wahn und Täuschungen verwickelt, der eigentliche Krank-
heitsheerd fĂĽr die Psychosen und Selbstmordneigung der
Gegenwart ist, wird von dem Verfasser schlagend nachgewie-
sen; und im fĂĽnften Kapitel geht er dann zu einer geneti-
schen Begründung des thatsächlichen Befundes über, indem
er der historischen Entwicklung der näheren Bedingungen
nachspĂĽrt, unter denen der furchtbare Hang zur Selbstent-
leibung steht. Er erklärt die gegenwärtige sociale Massen-
haftigkeit desselben als die Folge des allmälig vollzogenen
und sich noch weiter vollziehenden Zusammenbruchs der
einheitlichen Weltanschauung, welche das Christenthum der
Culturwelt gegeben hatte, und die unter berechtigten wie
unberechtigten Freiheitskämpfen immer mehr verschwindet.
„Der Kampf*, so sagt er, „des freien Gedankens mit den
positiven Religionen führt zur Irreligiosität der Massen; diese
Irreligiosität aber bedeutet: intellectuelle und moralische An-
archie und — Tod." Aber der Verf. bleibt nicht bei der
blossen Diagnose der Krankheit stehen, sondern versucht im
letzten Abschnitte seines Buches auch das Mittel zur Heilung
486 Masaryk: Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung etc.
derselben anzugeben. Nicht von einer einfachen Umkehr auf
dem einmal beschrittenen Wege der Emancipation erwartet
er dieselbe; Dr. Masaryk ist nicht ein Mann des heulenden
Rückschritts, der religiösen Repristination, welche mitunter
auch von wohlgesinnten Männern zur Abwehr der gewaltigen
Schäden, an denen unsere Gultur krankt und denen sie unter-
liegen zu mĂĽssen scheint, wenn nicht eine Wendung eintritt,
gefordert und wohl auch gefördert wird ; er begreift, dass die
Freiheit des Denkens, einmal in Thätigkeit gesetzt, nicht wie-
der einfach aufgehoben werden könne, vielmehr fortbestehen
und nur zu einem guten Ende durchgefĂĽhrt werden mĂĽsse,
um das Uebel wieder gut zu machen, zu dessen HerbeifĂĽh-
rung sie so wesentlich beigetragen hat. Allein ebensowenig
wie von einer religiösen Reaction erwartet er die Hebung
der Schäden der modernen Gesellschaftt von wirthschafUichen
und politischen Reformbestrebungen, die ihm — nicht mit Un-
recht — vielfach kleinlich und unzweckmässig vorkommen, er
verlangt vielmehr eine Wiederbelebung der sittlichen
und religiösen Kraft der Menschen, damit sie befähigt
werden, ihrer Aufgabe zu genĂĽgen nnd den Anfechtungen,
Mängeln und Leiden irdischer Existenz erfolgreichen Widerstand
zu leisten. Dieses Neuaufleben einer wahren Lebensenergie
kann aber seiner^ Meinung nach nicht durch das Wissen und
die äussere Erziehung herbeigeführt werden, sondern durch
die Religion allein. Er fordert zu diesem Ende ein gereinig-
tes, ein so zu jsagen neues Ghristenthum, das er mit Lichten-
berg für das vollkommenste System hält, Ruhe und Glück-
seligkeit in der Welt am schnellsten, kräftigsten, sichersten
und allgemeinsten zu befördern. „Unsere Zeit, so drückt er
sich aus, ist fĂĽr eine neue Religion wie geschaffen. Grade
wie zur römischen Kaiserzeit ist die Gesellschaft in ihren
Grundfesten erschĂĽttert: dieJMenschen fĂĽhlen sich unglĂĽcklich,
die Unzufriedenheit und der Wunsch nach einem Erlöser ist
allgemein." lf»»Da die Religion, obwohl sie in wahrhaft
protestantischer Weise Sache des Individuuums sein muss,
trotzdem zugleich eine Volksreligion sein soll, durch welche
die Herzen aller Menschen ohne Ausnahme gereinigt wĂĽrden,
so dĂĽrfte sie in ihrem theoretischen Theile kaum auf der
Masaryk: Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung etc. 487
Höhe der intellectuellen Bildung stehen; vielmehr denke ich
mir die Sache so, dass sie, gerade so wie der mittelalterliche
Katholicismus , ein neues besseres Mittelalter inauguriren
könnte, — bis — schliesslich „Eine Heerde und Ein Hirte
werden wird."
Ref. schliesst sidi dem Gedanken des Verfassers, dass nicht
von der Wissenschaft und sog. Bildung, sondern von der
Religion allein eine grĂĽndlich heilende Reform der kranken-
den Culturwelt ausgehen könne, mit vollem Herzen an.
Durch die Wissenschaft ist die Menschheit auf ihrem Wege frei-
lich um so mehr gefördert worden, als sich an die grossen Ent-
deckungen auf dem Felde der Naturkunde eine Reihe glän-
zender technischer Erfindungen angereiht haben; aber andrer-
seits darf doch nicht verkannt werden, dass damit ein mehr
oder weniger durchgreifender Naturalismus der Weltanschau-
ung herbeigefĂĽhrt worden ist, der sich bald als grober Mate-
rialismus, bald als noch absurderer Positivismus geltend
macht, als RĂĽckschlag den Pessimismus und Nihilismus zur
Folge hat, und die Menschen um den Glauben an die ideale
Welt, an Gott und ihre ewige Bestimmung bringt, ohne
welchen Glauben sie nun einmal nicht gedeihen können,
vielmehr nach dem Grundsatz: Optimi corruptio pessima,
noch unter die Thierheit sinken. Heutzutage muss denn
allerdings wohl auch blöden Augen klar geworden sein, dass
von dieser in so grosse Einseitigkeit verrannten wissenschaftlichen
Richtung, zu deren hervorragendsten Leistungen der Atheismus
und die Orsinibomben gezählt werden müssen, das Heil schlech-
terdings nicht erwartet werden darf. Vielmehr muss, wenn
grundlich geholfen werden soll, aus der Tiefe des GemĂĽths
der Menschheit ein belebender Strom frischen geistigen Lebens
ausgehen, der um eben allgemein wirksam zu sein, nur als
die Erregung eines religiösen, die Seelen der Menschen voU
und innigst ergreifenden Glaubens gedacht werden kann, fähig,
sowohl die innere Hohlheit des Katholicismus als die Zerfahren-
heit des Protestantismus zu ĂĽberwinden. Das ist es wohl
auch, was Dr. Masaryk sagen will; und es ist tröstlich, in
ihm einem Schriftsteller zu begegnen, welcher sich nicht, wie
gar mancher unter den jĂĽngeren Vertretern der Philosophie,
488 W. V. Maltzahn u. R. Boxberger: Gotthold Ephraim Lessing.
Über die wahre Lage der Dinge täuscht, vielmehr diese
sieht, wie sie ist, und es auch auszusprechen den Muth hat.
Sein Buch sei als ein Mene Tekel Upharsin allen denjenigen
empfohlen, welche, wie Ref., der Meinung sind, dass die
Philosophie ihre Aufgabe, die Besonnenheit des Zeitalters zu
sein, nur dann erfüllen könne, wenn sie sich nicht begnügt,
theoretisch Lehrgebäude zu stiften und zu revidiren, son-
dern sich auch nach den praktischen Consequenzen umsieht,
welche die zu Weltanschauungen und Lebensprinzipien er-
hobenen wissenschaftlichen (oder sich als wissenschaftlich
geberdenden) Theorien nach sich ziehn. C. S.
Gotthold Ephraim Lessing. Sein Leben und seine Werke. Von
TA. W. Danzd und G. E. Guhratier. Zweite berichtigte
und vermehrte Auflage. Herausg. von W, von MaĂśzahn
und B. Boxherger. Bd. L IL Berlin, Theod. Hofmann.
1880—1881. (VII, 520; 699 S.) 8^
DanzeVs treffliches, von Guhrauer mit HĂĽlfe des von
jenem hinterlassenen Materials abgeschlossenes Werk ĂĽber
Lessing, eine der vorzĂĽglichsten Leistungen dieses ganzen Ge-
bietes unserer Literatur, erscheint hier in einer neuen Aus-
gabe, welche die beiden Bearbeiter, wie sie sich ausdrĂĽcken,
auf dem heutigen Standpunkt der Lessing-Forschung zu hal-
ten bemüht gewesen sind, ohne irgendwie die Pietät gegen
die dahingeschiedenen Verfasser aus den Augen zu setzen.
In der That haben sie den Text mit möglichst schonender
Hand behandelt, auch da, wo nach ihrem Geschmack, wie
sie sagen, die GrĂĽndlichkeit bisweilen allzu grĂĽndlich, die phi-
losophische Speculation bisweilen allzu speculativ wird -
und sie haben wohl daran gethan. Das eingeschlagene Ver-
fahren ist also so, dass sehr wenig aus dem Text weggefal-
len, auch nicht viel daran zugesetzt worden ist, dagegen durch
eine grosse Anzahl inhaltsreicher Noten und fordersamer Ver-
weisungen der Zweck, den Anfordenmgen der Gegenwart mit
dieser neuen Bearbeitung des Werkes gerecht zu werden, fast
durchaus erreicht worden ist. Dabei versteht es sich , dass
die dem Danzerschen Text bei seinem ersten Erschemen bei-
Ktmo Fischer: 6. E. Lessing als Refonnator der deutschen Literatur. 489
gegebenen Anhänge, welche seitdem sowohl in die von Herrn
V. Maltzahn bearbeitete zweite Lachmann'sche Ausgabe, als
auch in die als Theil der Hemperschen Nationalbibliothek
publicirte Sammlung von Lessing's Schriften Aufnahme ge-
funden hatten, jetzt von den Herausgebern der vorliegenden
zweiten Ausgabe des Werkes nicht wiederholt worden sind,
vielmehr ist an deren Stelle eine Reihe neu aufgefundener,
bisher noch unbekannter Lessingiana getreten, so wie auch,
schon in Folge der mannigfachen Zusätze, das Namenregister
am Schluss des zweiten Bandes viel vollständiger geworden
ist. Ref. theilt die Hoffnung der Herausgeber, dass die neue
Ausgabe Anklang finden und sich dem Studium des einzigen
Mannes, dem das Werk gewidmet ist, als forderlich erweisen
werde. Denn wenn es wahr ist, dass Lessings Schriften dem
deutschen Volke den treuesten und unvergänglichen Spiegel
seiner edelsten nationalen EigenthĂĽmlichkeiten vorhalten, so darf
man auch erwarten, dass diese höchst dankenswerthe, mit
ebenso viel Fleiss als Geschick ausgefĂĽhrte &neuerung der
vorzĂĽglichen Arbeit DanzeFs und Guhrauer's, welche uns in
Lessing's Werden und Wachsen, Wirken und Schaffen ein-
fĂĽhrt, ja recht eigentlich einweiht, zu geisteswacher frucht-
barer Thätigkeit einen frischen Sporn bieten werde. C. S.
6. E. Lessing als Reformator der deutschen Literatur, dargestellt
von Kuno- Fischer. Tbl. I. Lessing's reformatorische Be-
deutung. Minna von Barnhelm. Faust. Emilia Galotti.
Tbl. IL Nathan der Weise. 3. neu bearbeitete Auflage.
Stuttgart, J. G. Cotta. 1881. (VI, 261 ; VI, 193.) 8^
Da am 15. Febr. d. J. ein Saeculum verflossen war, seit-
dem Lessing starb, so benutzt der Verfasser oben genannter
Schrift diesen Umstand, um die reformatorischen Leistungen
des ausserordentlichen Mannes, insbesondere in Hinsicht des
deutschen Drama's, in das rechte Licht zu setzen. Will man
recht ermessen, was Lessing fĂĽr unsere nationale Literatur
und damit fĂĽr unser ganzes Geistesleben gewirkt hat, so thut
man am besten, sich daran zu erinnern, wie jene vor Lessing
beschaffen war und dann zuzusehen, auf welchen Standpunkt
490 Kuno Fischer: G.E. Lessing als Reformator der deutschen Literatur.
er sie erhoben hat. Diesen Weg schlägt denn auch Fischer
ein, indem er in der einleitenden Abhandlung (dem ersten
Abschnitt) seines Buches zuerst auf die Anfange unserer
neueren Nationalliteratur von der Reformation an zurĂĽckgrei-
fend die Bewegungen und Bestrebungen in derselben bis auf
Lessing schildert, sodann aber zeigt, welche Ausgänge und
welchen Entwicklungsgang dieser im Anschluss an jene ge-
nommen hat. Daran schliesst sich die Darstellung des refor-
matorischen Characters, der Lessing's Wirksamkeit nach den
verschiedensten Seiten hin auszeichnet. In den folgenden Ab-
schnitten geht der Verfasser auf Lessing's Thätigkeit für die
Bühne näher ein, indem er im zweiten und vierten die beiden
bahnbrechenden Dramen „Minna von Barnhelm*' und „Erailia
Galotti" einer eingehenden und geistreichen Analyse unter-
wirft, die Handlung beider StĂĽcke genau exponirt und die
darin auftretenden Personen scharf charakterisirt. Im dritten
Abschnitt handelt er von den Faustentwürfen Lessing's. —
Der zweite Theil des Fischer'schen Werkes, welcher sich mit
der letzten dramatischen Arbeit unseres Dichters, „Nathan
dem Weisen" beschäftigt, erscheint der früheren Darstellung
in den ersten Auflagen gegenĂĽber durch einen ersten ein-
leitenden Abschnitt vermehrt, in welchem von der „Entstehung
und Grundidee" des Drama's die Rede ist. Darin lässt der
Verfasser sich besonders angelegen sein, die von Lessing vor-
genommene Umbildung der zuerst in den Gesta Romanorum
auftauchenden und unter Andern auch durch Bocaccio be-
nutzten Parabel von den drei Ringen, welche den Mittelpunkt
des Lessing'schen StĂĽckes bildet und die ihm zu Grunde lie-
gende Idee am deutlichsten ausdrĂĽckt, eingehend zu beleuchten.
Ref. muss freilich bekennen, dass ihm weder diese Fischer'sche
Erklärung der Parabel, noch dessen Interpretation der Figur
des Nathan einleuchten will. Was das erstere anbetrifft, so
ist in der That die Schwierigkeit gross, wie man auch die
Sache angreift, und die gewaltige Discrepanz der Erklärer
darum sehr erklärlich. Was aber die Titelrolle des Nathan
angeht, so scheint Fischer's Auslegung doch eine sehr ge-
zwungene zu sein, wenn er meint, Lessing habe gerade des-
wegen einen Juden zum Mustermenschen gemacht, weil das
Euno Fischer : 6. ÂŁ. Lessing als Reformator der deutschen Literatur. 491
Judenlhum die unduldsamste, von dem Ideal der toleranten
Vernunflreligion entfernteste der positiven Religionen sei.
Dem Ref. scheint die Erklärung näher zu liegen. Indem
Lessing die Mohamedaner in seinem Drama viel edler er-
scheinen Hess, als die darin auftretenden Christen, und einen
Juden als idealen Helden in die Mitte stellte, wollte er die
Theologen ärgern, die ihn so viel geärgert hatten, und zwar
um so mehr ärgern, als sie ihm in diesem Falle nicht kritisch
tadelnd beikommen konnten. Das hat er selbst erklärt, in-
dem er seinem Bruder schrieb: „die Theologen aller geoflfen-
barten Religionen (natĂĽrlich meint er die christlichen) werden
freilich innerlich darauf schimpfen, doch dawider sich öffent-
lich erklären, werden sie wohl bleiben lassen.'* Eine Ver-
herrlichung des Judenthums hat Lessing allerdings nicht beab-
sichtigt, aber wahr ist es, dass das Ghristenthum im „Nathan'*
schlecht wegkommt, wenngleich der Dichter durch das bekannte
Wort des Klosterbruders an Nathan (Nathan, Ihr seyd ein
Christ, bei Gott, Ihr seyd ein Christ ! Ein besserer Christ war
nie!) hinlänglich zu verstehen gibt, dass seiner Ansicht nach
nur auf dem Boden des Christenthums die höchste, reinste
Tugend erwachsen könne, und gerade deswegen die Theologen
ausser Stande gesetzt werden, gegen ihn anzukämpfen, son-
dern ihren Aerger, dass ein Jude zum Idealmenschen erhoben
wird, hinunterschlucken mĂĽssen. Dabei kann man aber nicht
leugnen, dass im Grossen und Ganzen das StĂĽck doch den Ein-
druck einer Verherrlichung des Judenthums und einer Herab-
setzung des Christenthums macht, wodurch es zwar insofern
Zeugniss von der individuell edlen Gesinnung Lessing's ablegt,
als er sich hier, wie von jeher, des lange verfolgten jĂĽdischen
Stammes annimmt, ĂĽbrigens aber der welthistorischen Stellung
des Christenthums nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lässt.
— Fischer's Buch, nach Form und Inhalt gleich fesselnd, muss
als ein wichtiger Beitrag zur Lessing - Literatur betrachtet
werden. C. S.
492 Litteraturbericht.
t
litteratnrberieht.
Die Schopenhaner- Literatur. Versuch einer chronologischen Ueber-
sicht derselben von Friedrich Laban. Leipzig. F. A. Brockhaus. 1880.
(123 S.) 8^
Die seit nunmehr fast einem Menschen alter der Schopenhauer'scfaen
Philosophie zugewandte Aufmerksamkeit und die in der That greise
Wichtigkeit, welche jene Lehre fĂĽr die Literatur wie die Denkungsart der
Gegenwart erlangt hat, Hess es dem Verfasser vorliegender Schrift,
Herrn F. Laban, wĂĽnschenswerth erscheinen, eine chronologisch-geordnete
bibliographische Uebersicht der auf Schopenhauer bezĂĽglichen Schriften
zu veröffentlichen, nachdem er von einem viel grösseren Plane, .die Schick-
sale der Philosophie desselben in einem umfassenden Gemälde zu ent-
rollen'^v abzustehen sich gezwungen gesehen hatte. Nicht ĂĽbel bezeichnet
der Verfasser seinen vorliegenden Grundriss als eine Art Skelett der gei-
stigen Bewegung, die Schopenhauer hervorgerufen hat, und er hat mit seiner
Publikation dem Studium der Geschichte der zeitgenössischen Philosophie
einen anzuerkennenden Dienst geleistet. Nachdem er in einem ersten
Abschnitt die Schriften Schopenhauers mit bibliographischer Genauigkät
verzeichnet, theilt er im zweiten . Biographisches* ĂĽberschriebenen alle
Schriften mit, welche entweder ausdrĂĽcklich von Schopenhauers Leben
handeln, wie die Arbeiten Gwinners und Frauenstädt*s, oder doch sich in
irgend einer Weise darauf beziehen. Der dritte Abschnitt aber, .Kritik,
Erläuterung und Weiterbildung' überschrieben, gibt, mit dem Jahr 1814
beginnend und chronologisch von da an weiterschreitend, in je drei Unter-
abtheilungen alles auf Schopenhauer's Lehre BezĂĽgliche, was, soweit die
Kunde des Verfassers reicht, Jahr fĂĽr Jahr erschienen ist. Unter der
Abtheilung A dieses dritten Abschnittes hat er diejenigen Werke genannt,
.die sich im Ganzen mit Schopenhauer befassen, seine Lehre entweder
anerkennend und verbreitend, oder dieselbe kritisirend und verwerfend,
oder aber auch auf derselben fussend und sie weiter bildend*". Unter B
stehen sodann die BĂĽcher und Journalartikel, in denen sich Stellen ĂĽber
Schopenhauer finden, .welche sich ĂĽber mehrere Seiten erstrecken*.
Unter G kommen schliesslich .die Seitencitate aus den verschiedensten
Schriftwerken, in welchen ĂĽber Schopenhauer nur nebenbei gesprochen
wird**. Allerdings hat — auch bei Ausschluss solcher Bücher ode^Büche^
stellen, welche den Einfluss Schopenhauer 's bekunden, ohne ihn zu nen-
nen — besonders in der dritten Abtheilung nicht Vollständigkeit erreicht
werden können, indessen ist doch das, was der Verfasser bietet, zur
Orientining in der eigentlichen Schopenhauerliteratur äusserst nützlich
und zeugt von grossem Sammelfleiss. Schade nur, dass H. Laban ein
Namensregister seinem Buche beizufügen versäumt hat, was bei einer
etwaigen zweiten Auflage nachzuholen nicht vergessen werden darf, da es
eine wesentliche Erleichterung bei der Benutzung bilden wĂĽrde. Im Einzelnen
will Ref. nur noch bemerken, dass die von dem Verf. richtig aufgefon-
Litteraturbericht. 493
dene älteste Darstellung des Schopenhauer'schen Systems von J. G. Ratze
(die sich dadurch von allen Schriften ihrer 2^t unterscheidet, dass sie
dieses System ab eines der interessantesten und ausgedehntesten seit
Kant bezeichnet) nicht in das Jahr 1819 hätte gesetzt werden sollen, da
sie die Jahreszahl 1820 trägt; und dass der Verfasser unter dem Jahr
1851 Gumposch's Buch (die philosophische Literatur der Deutschen u. s. w.
Regensburg, £. J. Manz) hätte erwähnen können, der pag. 473, von Schopen-
hauer sprechend und dessen Werke u. s. w. aufzählend, Amter Anderm
sagt: ,,Er ist Fremdling in der Heimath mid wird es bleiben*. Denn
schon zwei Jahre darauf erfolgte jener Trompetenstoss von England her,
welcher Frauenstädt veranlasste, seine .Briefe über die Schopenhauer'sche
Philosophie" herauszugeben und die neue Aera des Schopenhauerthums
in Gang zu bringen.
Die Vorrede der Laban'schen Schrift macht noch eine besondere Be-
merkung nöthig, weil darin nicht ohne eine gewisse Prätension als neu
und allein richtig ein Standpunkt geltend gemacht wird, welcher nicht
nur der .Universitätsphilosophie" (auf diese sieht H. Laban als Verehrer
Schopenhauer's selbstverständlich mit der tiefsten Verachtung herab), son-
dern der Schopenbauer^schen Lehre selbst, fĂĽr welche doch der Verfasser
mit grosser Bewunderung erfüllt ist, zuwiderlaufend, als ein äusserstes Re-
sultat abwendiger Geistesströmung der Gregenwart wohl Beachtung ver-
dient. Die stärkste Scheidewand, so ungefähr drückt sich der Verfasser
aus, zwischen unserem Jahrhundert und den frĂĽheren ist die .wissenschaft-
liche Erkenntniss von dem natĂĽrlichen UrsprĂĽnge der moralischen Empfin-
dungen und ethischen Phänomene" und er bezeichnet an einer andern
Stelle diese jüngste Entwicklungsphase als die «völlig überzeugende wissen-
schaftliche Einsicht in die gänzliche Unverantwortlichkeit des menschlichen
Handelns", so dass man, wie er behauptet, .gegenwärtig endlich an^gt
und ernstlich Miene macht, die Dinge und das Leben seiner wahren Be-
schaffenheit nach zu taxiren. Kein Wunder, wenn sich dabei auch die
Menschen unverhflllter und ihrer wahren Beschaffenheit nach zeigen,
also sagen wir es nur grade heraus — thierischer". Wenn Schopenhauer
es als das Problem der Philosophie bezeichnet hat, die das Weltphänomen
hervorbringende Ki*aft mit der Moralität der Gesinnung in Verbindung zu
setzen und dadurch eine moralische Weltordnung als Grundlage der phy-
sischen nachzuweisen, so hat Herr Laban mit seinem FĂĽhrer Nietzsche
diesen Standpunkt also gänzlich überschritten; er stellt in seiner Lehre
die Vereinigung des Positivismus mit dem Schopenhauer*schen Pessimis-
mus insofern dar, als er zwar alle .irrthĂĽmlichen Werthbestimmungen"
(er meint die moralischen) .aus der Lebensbetrachtung eliminirt", d. h.
den Menschen als ein blosses Naturphänomen betrachtet wissen will, zu-,
gleich aber den Schmerz als das eigentliche Positive ansieht, kurz, wie
er sich selbst ausspricht, bei jener pessimistischen Lebensanschauung an-
gelangt ist, .vor welcher auch das Ethische sich in das allgemeine bedeu-
tungslose Nichts verflĂĽchtigt hat". Dim sind alle .lUusionen", die auf
eine Befriedigung des metaphysischen BedĂĽrfnisses abzielten, zusammen-
494 Litteraturbericht.
gebrochen; ihm bleibt ,als letzter unlösbarer Rest nur noch das Brflten
Aber die Fatalität des Daseins übrig". Das Grunddogma des Verf., das
er als einen sich von selbst verstehenden Glaubensartikel behandelt, ist
also der Determinismus: diesen handhabt er selbst gegen Schopeahauer,
um die Moralität und das eng damit verbundene Metaphysische los zu
werden. Er will demgemäss nur Physisches anerkennen, und rückt dies
gänzlich in den Bereich der Nothwendigkeit und Unverantwortlichkeii.
Mit diesen naturalistischen oder positivistischen Grundsätzen verbinde er
aber ferner die Schopenhauer'sche Behauptung von dem Positiven des
Schmerzes und demgemäss von der Trostlosigkeit des Daseins als letztes
Dogma. Das ist der wesentliche Inhalt der Laban*schen Lehre, welche er als
die Frucht einer ganz besondern Liebe zur Wahrheit angesehen wissen will
und als das höchste Resultat des philosophischen Denkens betrachtet. —
Es braucht wohl nur mit einem Wort darauf hingewiesen zu werden, dass
da weder der Determinismus, noch der empiristische Positivismus, noch
der absolute Pessimismus sich wissenschaftlich rechtfertigen lassen, die
Prätension des Verfassers, dass sein Standpunkt die alleinige Vertretung
begi*ĂĽndeter Wahrheit ausmache, einfach zu Boden ĂźUlt. Aber der kĂĽnf-
tige Geschichtsschreiber der Pathologie des philosophischen Geistes unserer
Zeit wird auch an dieser Erscheinung nicht achtlos vorĂĽbergehen dĂĽrfen,
deren Träger offenbar demselben Nihilismus zutreibt, bei welchem schon so
manche seiner Gesinnungsgenossen angelangt sind und dessen in unaus-
bleiblicher Gonsequenz bereits zum Vorschein gekommene graunvoUe
FrĂĽchte nachgerade auch den Stumpfsinnigsten ĂĽber das eigentliche Wesen
dieser Richtung aufklären können.
Untersnchiiiigeii ĂĽber den Pamenides des Plato von Dr. Otto A^
Weimar, 1879. (56 S.) %\
Das nachgerade unheimlich gewordene Geschäft einer Vertheidigung
der Echtheit des unter Plato*s Schriften stehenden Parmenidesdialogs
unternimmt der Verf. obiger Abhandlung so, dass er mit der PrĂĽfung des
zweiten Theiles der genannten Schrift einsetzt. Eine eingehende Unter-
suchung der logischen Gestaltung dieses zweiten Theils zeigt ihm nun,
dass wir es darin mit einem Gewebe nichtsnutziger Sophismen und Ab-
surditäten zu thun haben, weiche von , Plato '^ als Verfasser des Dialoges
nicht ernst gemeint sein können. Wie sind sie denn gemeint? Der Ve^
fasser geräth auf folgende Hypothese: Plato war seiner Ideenlehre wegen
von den Megarikem angegriffen worden, er musste sich mit dieser streit-
fertigen Schule, die übrigens durch ihr specifisches Verhältniss zum Eiea-
tismus mit ihm einen gemeinsamen Ausgangspunkt der Speculation hatte,
auseinandersetzen und er that dies vermittelst des Dialogs Pannenides so,
dass er in dessen erstem Theile die EinwĂĽrfe der Megariker, welche er
freilich nicht widerlegen konnte, die ihn aber doch auch nicht zum Auf-
geben seiner Ideenlehre veranlassten, hinstellte, im zweiten TheiJe alier
Litteraturbericht. 495
mit den eigenen Waffen der zenonisch-ro^^rischen Oialectik die UnhalU
barkeit des eleatisch - megarischen EiitheitsbegrifTs darlegte. .Alle Ein-
wflrTe* — das will Plato nach Dr. Apelt's Meinung mit und in dem Par-
menides sagen — .die ihr (Hegartker) mir macht, kann ich euch in ver-
etärktem Maosse und mit neuen vermehrt zurückgeben*. ,Uass Plato
dies nun in sophistischer Weise that, wQrde sich aus dem polemischen
Zweck dea Ganzen, so lange wir an Plato als dem Verfasser festhalten, auf
<]as Beste nicht nur begreifen lassen, sondern als um so wirksamer aner-
kannt werden mOssen, als darin zugleich eine meisterhafte Persiflage der
eleatisch-megarischen Dialeclik liegt u. s. w.* Am Schluss glaubt der Verf.
dem Dialog Parmenides eine so frQhe Abfassungszeit zuweisen zu mĂĽssen,
dass er ihn noch vor Sophista und Theaelet setzt, die doch seiner Hej-
DDng nach auch schon frĂĽh anzusetzen sind, und glaubt aus diesem Um-
stände das befremdende Stillschweigen des Aristoteles Ober denselben er-
\&na zu kSnnen. Was den Ref. anbetrifft, so ist dessen seit vielen
Jihren gewonnene und festgehaltene Ansicht von der Uiiechtheit des Par-
menidesdiali^ durch Dr. Apelt nicht im Geringsten erschSttert worden.
Et freut sich zwar, anerkennen zu können, dass der Haupttheil der Apelt'-
achen Schrift, die sehr eingehende Untersuchung des zweiten Theiles
te Dialogs (p. 3— 31) einen wichtigen Fortschritt in der Analyse und
richtigen Schätzung des wunderlichen Opus bildet, und findet auch das,
was Dr. Ă„pelt gegen Zeller's allerdings schon hinreichend widerlegte An-
sicht ĂĽber das von Plato angeblich angenommene VerhSItniss der Ideen
ni den Erscheinungen pag. 33—40 beibringt, durchaus sacbgemtlss. Aber
der von Dr. Apelt selbst versuchten Verwerlhung jener Argumentationen
Vi Gunsten eines abschliessenden Urtbeils ĂĽber den gesammten Dialog als
ein Werk Flato's kann er sich nicht anschliessen. Ref. glaubt im Hin-
blick auf die Einleitung des Theaetet nicht an derartige .Auseinander-
setzungen* zwischen Plato und der megarischen Schule, am allerwenigsten
zu einer so fHlben Zeit, wo es noch keine megarische Schule gab; er
glaubt aber auch nicht, dass wenn Plato sich mit den Hegarikern hatte
.auseinandersetzen" wollen, er es so angefangen hätte, wie Dr. Apelt auf
Grnnd sdner Auslegung des Parmenides annimmt. Was wflre wohl un-
g«chiiiier gewesen, als die Einwürfe, weiche er nicht widerlegen konnte,
•dbat mit wichtiger Miene als unwiderleglich vorzubringen und daran eine
meht enute, sondern nur scheinbare, dm'ch und durch sophistische und
ungereimte Widerlegung des m^arischen Grundprincips zu knĂĽpfen? Das
Bne wie da« Andere bt Ptatos durchaus unwürdig. Freilich ersehen wir
- {Rep. X, Theaelet, Phaedo), dass der Ideenlehre
'en gewichtige EinwĂĽrfe gemacht wor-
im unbequem genug waren, aber wir
rwehren sucht, so gut er es kann. Im
t: da wird die Idecnlebre ganz ernst-
jehalten. Wenn Dr. Apelt mit Recht
;.) Plato's immer gleiches Festhallen
er uns dann glauben machen wollen,
496 Litteraturbericht.
dass Plato den ersten Theil des Parmenides hätte schreiben können? Da
wäre ja Plato mit sich selbst in offenen Widerspruch gerathenl Und
wenn Dr. Apelt die erbärmliche Sophistik des in beständiger Nachahmung
des Zenonisches Buches, wie gradezu angedeutet wird, abgefassten zweiten
Theiles als solche erkannt hat, ja dies in dankenswerther Art nachwdst,
wie kann er dann noch meinen, dass ein grosser Denker, wie Plato, auf
diese Manier die Megariker habe können widerlegen oder auch nur ver-
spotten wollen? Dass der Parmenidesdialog zum Megarismus in irgend
einem Yerhältniss steht, ist sicherlich anzunehmen, aber weder kann er
einfach denselben zu widerlegen bestimmt gewesen sein, weil sonst der
erste Theil all' und jeden Sinn verliert, noch kann er Plato zum Ver-
fasser haben, weil man diesem (von allen anderen formellen GrĂĽnden ab-
gesehen) nicht die Albernheit zutrauen darf, durch den von ihm boch-
geschätzten Parmenides schwer wiegende und auch als solche ausdrücklich
bezeichnete GrĂĽnde gegen seine eigne Ideenlehre vortragen zu lassen, ohne
dass auch nur ein Versuch gemacht wird, dieselben zurĂĽckzuweisen. Aber
wenn man an die entscheidendsten Stellen des Dialogs denkt (p. 135folgg.),
so scheint es auch gar nicht so, als ob der Verfasser mehr als ein obe^
flächlicher Nachahmer und zugleich Bewunderer der zenonischen Dialectik
war, womit nicht streitet, dass er die in den philosophischen Schulen
umlaufende Polemik gegen Plato's Ideenlehre kannte, welche er curioser
Weise unter der Maske des Parmenides zu Markte gebracht hat.
ErlEnternngen zu des Sextus Emplricng Pyrrhonelseheu Omndcfigeii.
Von Ettgen Pappenheim, Leipzig, E. Koschny (L. Heimann's Verlag)
1881. (VI., 290 S.) S\ (Philos. Bibliothek Bd. 86).
Prof. E. Pappenheim hatte bereits im Jahre 1877 seine Uebersetzung
der wichtigsten Schrift des Sextus, der Pyrrhoneischen GrundzĂĽge, in der
Philos. Bibliothek (Bd. 74) veröffentlicht, deren Verdienst um so grösser
war, als fĂĽr jenen skeptischen Philosophen ausser dem Gommentar des
alten J. A. Fabricius ein nennenswerthes HĂĽlfsmittel kaum bestand. Jetzt
lässt er nun seine Erläuterungen zu jener Schrift folgen, die als ein fort-
laufender Gommentar dazu zu betrachten sind und sich der erstgenannten
Publication durchaus würdig anschliessen. Zu den vorliegenden Erläuterun-
gen erfreute sich Prof. Pappenheim noch einer UnterstĂĽtzung durch die
nachgelassenen Papiere des im Januar 1877 ĂĽi Erlangen verstorbenen
Prof. D. Zimmermann, der sich nahezu fĂĽnfzig Jahre vorzugsweise mit
Sextus Empiricus beschäftigte und besonders der Vorbereitung einer kri-
tischen mit lateinischer Uebersetzung und Erklärung zu begleitenden Aus-
gabe der Pyrrhoneischen GrundzĂĽge bis in die letzten Lebensjahre hinein
seinen andauernden Fleiss gewidmet hatte. Diesen auf Sextus bezĂĽglichen
litterarischen Nachlass Zimmermanns hat also Prof. Pappenheim benutzen
dürfen, wie denn auch seine Erläuterungen an vielen Stellen bezeugen,
wo er seine Uebereinstimmung mit oder seine Abweichung von Jenes
Litteraturbericht. 497
Ansichten vorträgt. Auch Pappenheim hat dem Sextus mehrjährige, sehr
eingehende Studien zugewandt und erweist sich in seinem Gommentar
als ebenso tĂĽchtigen Kenner der alten Philosophie und der auf sie bezĂĽg-
lichen Litteratur, wie als geschickten Interpreten des durch Bekkers Aus-
gabe dem Yerständniss allerdings viel näher gebrachten Textes seines
Schriftstellers. Man wird fortan bei der LeetĂĽre des Letzteren des Pappen-
heim'schen Commentars nicht entrathen dĂĽrfen. Als besonders werthvoU
sei daraus nur die Abhandlung ĂĽber die zehn Tropen hervorgehoben (zu
§ 35 p. 21 — 46; man vergl. auch die Anmerkung zu § 164 p. 63—65)
welche fĂĽr jeden der Geschichte der Philosophie Beflissenen von grossem
Interesse sein wird, so wie auch die Erörterung zu § 226—235 p. 82—86
über das Verhältniss der Skepsis zur späteren Akademie. Da Sextus £m-
piricus nicht bloss fĂĽr die Geschichte der Philosophie Wichtigkeit hat,
sondern auch durch seine Skepsis selbst noch directere Beziehungen zur
modernen Behandlungsweise wissenschaftlicher Probleme bietet, so bilden
Pappenheim's beide Arbeiten über denselben einen höchst schätzens-
wertben Beitrag zur philosophischen Bibliothek.
ülatorwisseiischaftliche Thatsachen und Probleme. Populäre Vor-
träge von W, Preyer, Prof. d. Physiol. und Director des physiol. In-
stituts d. U. Jena. Berlin, Gebr. Paetel. (VIII, 340 S.) 8^
An den in diesem Bande vereinigten Vorträgen, welche bereits in
Zeitschriften oder in der Form von Broschüren veröffentlicht worden
waren, hat der Verf., indem er sie jetzt zusammen herausgibt, hier und da
sachliche und formelle Verbesserungen vorgenommen und Excurse hinzu-
gefügt. Die beiden ersten Vorträge beschäftigen sich mit den aUgemeinen
Bedingungen und den verschiedenen Ansichten von der Entstehung des
Lebens; der dritte handelt von der Goncurrenz in der Natur; der vierte
von den Empfindungs- und Bewegungsnerven, der fĂĽnfte von den Grenzen
dei' sinnlichen Wahrnehmung, der sechste vom thierischen Magnetismus,
der siebente ist „Psychogenesis'^ überschrieben, und der achte verbreitet
sich ĂĽber die Aufgabe der Naturwissenschaft. Der vierte und fĂĽnfte die-
ser Vorträge haben am meisten positiv wissenschaftlichen Gehalt und
erscheinen auch am abgerundetsten, während die ersten sich mehr mit
Hypothesen und Allgemeinheiten beschäftigen; von ganz besonderem
Werthe dĂĽrfte aber der sechste sein ĂĽber den sog. thierischen Magnetismus,
der mit seiner Beigabe von litterarischen Notizen allgemeiner Beachtung
empfohlen zu werden verdient. In den beiden letzten Vorträgen hat sich
der Verfasser an Themata gewagt, die vor einem grösseren Publikum zu
verbandeln kaum zulässig erscheint. Es sind darin zwar recht hübsche,
theilweise recht geistreiche Reflexionen gegeben, aber ein befriedigender
Abschluss wird nicht erreicht. Die beigegebenen Excurse enthalten viel
des Interessanten und Unterrichtenden.
Philosoph. Monatshefte 18^1, VII u. VIII. 32
496 LĂśteraturbericht.
Zur Religiontphilosophie.
Die Religion des Gewisgens als Zuknnftsideal. Von Dr. Alea:. Wtr-
niehe. Berlin, C. Duncker, 1880. XIV und 127 S.
Diese Schrift tritt fĂĽr das Zukunftsideal einer Religion ein, die nur
im Gewissen, wie dasselbe sich im Menschen allmählich entwickelt hat
und seinen Ausdruck findet in dem kategorischen Imperativ: , Suche die
Gesammt- Willens -Befriedigung zu vermehren/ ihre Quelle hat und keinen
anderen Gottesdienst kennt als den einer thatkräftigen Menschenliebe. Das
Ghristenthum hat sich nach der Meinung des Verfassers ĂĽberlebt Die
Kritik hat erwiesen, dass die Urkunden des Ghristenthums die in sich
widersprechendsten Lehren und Auffassungen der Person Christi enthalten.
Christus selbst ist zwar eine durchaus edle Gestalt, aber wie er selbst
eigentlich nur der Messias der Juden sein wollte, so ist auch die von ihm
gelehrte Moral nicht f^ei von Lohnsucht. Zwar kommt in der Trinitäts-
lehre die Versöhnung des transcendenten Gottes mit dem immanenten
zum Ausdruck, allein im Allgemeinen hat der Protestantismus seine cultur-
historische Aufgabe, das Christenthum zu vernichten, bereits vollendet.
Es kommt nun darauf an, die Idee einer Religion des Gewissens philo-
sophisch zu begrĂĽnden. Der Verfasser geht dabei von dem Kantischen
Freiheitsbegriff aus und versucht dessen Unhaltbarkeit darzuthun. Es ist
Kant nicht gelungen, die Gottesidee mit der Idee der individuellen Frei-
heit in Einklang zu setzen. Kant sage, die Schöpfung beziehe sich nicht
auf Erscheinungen, sondern auf Dinge an sich; sowie nun die Freiheit
unbeschadet des Naturmechanismus der Handlungen behauptet werden
könne, so könne auch durch den Umstand, dass die handelnden Wesen
Geschöpfe seien, die Freiheit nicht angefochten werden, weil die Schöpfung
ihre intelligible, nicht ihre sensible Existenz betreffe und also nicht als
Bestinmiungsgrund der Erscheinungen angesehen werden könne. Kant
durfte aber nicht von einem Reiche der Dinge an sich sprechen, sondern
nur von einem Noumenon, weil die Zahl nur in der Sinnenwelt Bedeu-
tung hat. Dieses Noumenon ist Gott, die Welt aber seine Erscheinung.
Von Freiheit kann nur in dem Sinne die Rede sein, dass Gott sich in
dreier Wahl die Gesetze seines Wirkens vorgeschrieben hat, von denoi er
jedoch nun nicht mehr abweichen kann. So gelangt der Verf. zum Pan-
theismus, dem auch Kant einmal sehr nahe gewesen sein soll (S. 59). In
der Art, wie nun der Verf. die durchgängige Abhängigkeit des Willens
«als gesetzmässiger Reaction*' darstellt, vernimmt man mehrfach Anklänge
an Schopenhauer. Die Tugend ist insoweit lehrbar, als die Vorstellung
des Sittengesetzes in ausreichender Stärke erzeugt werden kann, um die
entgegengesetzten Motive zu ĂĽberwinden. Der Zweck der Strafe kann nur
sein, das Individuum zu bessern und die Gesellschaft zu schĂĽtzen. Der
sittliche Maassstab ist der höchste, weil im sittlichen Leben sieh der
immanente Crott vorzugsweise offenbart.
Litteraturbericht. 499 ,
Der Verf. meint sehr richtig: «Die Religion darf nicht wissen, wo
die Dichtung beginnt* (S. 112). Femer: ,die Idee der Gottheit ist zu
jeder Zeit in eine bestimmte Anschauungsform gekleidet worden" (S. 107).
Dieses scheint uns nur im Widerspruch damit zu stehen, dass der Grott.es-
dienst in Zukunft nur ein praktischer, auf Menschenliebe gerichteter sein
soll. Auch ist es uns unfasslich, wie man Kant's Unterscheidung von
Noumenon und Erscheinung zu adoptiren und dabei sich zum Pantheis-
mus zu bekennen vermag.
Pigtlelsmiis und 8ii1»8taiiiialiBiiiiis. Von Eduard Jankowski, Königl.
Gymnasiallehrer a. D. G6then, P. Schettler, 1880. VIII und 172 S.
Der Verf. bezeichnet als ein Haupterforderniss der Wissenschaftlich-
keit, sich bei jedem ausgesprochenen Satze bewusst zu sein, welchen Grad
Ton Gewissheit derselbe hat. Daher muss die Methode den Stoff nach
den Gebieten des Wissens, Glaubens und Vermuthens sondern. Insofern
das Wissen ein sehr beschränktes ist, muss dem Glauben die allerhöchste
Wichtigkeit fĂĽr unser theoretisches wie praktisches Verhalten beigemessen
werden. Die innere NOthigung des Glaubens unterscheidet den Pisticis-
mus von dem Skepticismus. Die Gewissheit, welche die Denkgesetze gewähren,
ist keineswegs eine absolute. Die vielgerĂĽhmte Induction unserer Tage
darf doch nie von absolutem Wissen sprechen. „Wenn nämlich in den
Experimenten X immer durch die Factoren A, 6, G erzielt worden ist, so
ist es doch immerhin möglich, dass noch ein Factor D stets mitgewirkt
habe, ohne dass wir eine Kenntniss davon hatten, so dass A, B, G fĂĽr
sich kein X geben wĂĽrden. '^ Da aber die Begriffe, Urtheile und SchlĂĽsse
auf den Denkgesetzen beruhen, so wird von jenen dasselbe gelten wie
von diesen. Denn etwas Apriorisches giebt es ĂĽberhaupt nicht in unserer
Erkenntniss; alle Erkenntniss stammt der Form und dem Inhalte nach
aus der Erfahrung. Die Erfahrung wird nur durch die Erfahrung begriffen.
Der Raum ist nicht eine reine Anschauung. Als Bewegungsmöglichkeit
nehmen wir vielmehr einen realen Raum an; er ist daher etwas Intelli-
gibles. Der Raum muss als unendlich gedacht werden. Als solcher ist
er eine äussere Wesenheit Gottes. Wäre er etwas Apriorisches, so müss-
ten alle Menschen dieselbe Vorstellung von ihm haben. Sogar die geo-
metrischen Axiome werden nur, wie die Naturgesetze, a posteriori durch
Induction gewonnen. Aebnliches gilt von der Zeit; auch sie ist eine
äussere Wesenheit Gottes. Dadurch, dass Raum und Zeit als äussere
Wesenheiten Gottes gedacht werden, wird Gott keineswegs versinnlicht ;
denn wir nehmen Raum und Zeit in ihrer Realität und abgesehen von
den räuiplichen und zeitlichen Dingen durchaus nicht mit den fünf Sinnen
wahr. Die geheime Quelle alles metaphysischen Nihilismus liegt darin,
dass man sich das Absolute ausser Raum und Zeit dachte. Die neuere
Philosophie hat ein gewisses Bestreben, den Unendlichkeitsbegriff als Miss-
gebilde zu beseitigen; damit hängt zusammen die Auffassung des Raumes
500 Litteraturbericht.
und der Zeit als bloss in uns liegender und daher mit uns und der Well
verschwindender Anschauungen, und doch erhält durch die RSumlicbkeit
und Zeitlichkeit die rein geistige Substanz sozusagen erst Fleisch und
Bein.
Wie Raum und Zeit etwas Wesentliches sind, so sind auch die An-
schauungsbilder in uns nicht nur subjektive Zeichen von VorgäDgen in
der realen Welt, sondern wirkliche Bilder der Dinge. Wir werden also
unseren Sinnen trauen. Auch das ist Pisticismus. — Auch die geistigen
Vermögen des Menschen sind nichts apriorisches. Sie sind nur etwas
Intellectuelles; wir abstrahiren sie aus der Erfahrung. Real sind nur die
göttlichen Willenseffekte.
Das Nichts kann nicht sein. Daraus folgert der Verf. den Begriff des
Absoluten, und zwar ist dieses schon deshalb, weil Raum und Zeit seine
äusseren Wesenheiten sind, ein all = eines; es ist ferner ein persönliches,
da das Nichtwissen von sich eine Negation in dem Absoluten wäre, wäh-
rend es doch schlechthin Position ist. — In der Wahrnehmung sind Sub-
stanz und Accidenz eben so wenig zu trennen, wie sie Oberhaupt nicht
anders als in abstracto getrennt werden können. Wir nehmen also die
Substanz nackt und bloss in ihren Zuständen wahr. Das ist Substanzia-
lismus. Indem die Welt durchaus abhängig von dem Absoluten gedacht
werden muss, erscheint die Willensfreiheit allerdings unerklärlich; doch
ist dieses kein Grund, sie zu leugnen. — Alle unmittelbare Wahrnehmung
ist Intusperception. Der menschliche Greist ist mit seinem Körper «gleich-
zeitortig." Darauf beruht die Sicherheit alles Wahmehmens. Wir inQssen
annehmen, dass die Dinge so sind, wie sie uns erscheinen. Sonst wäre
Alles Täuschung. —
Im letzten Abschnitt sucht der Veri. auf genetischem Wege darzuthun,
wie wir zur Erkenntniss einer räumlich ausgedehnten Welt und eines
realen Raumes gelangen. Er stellt sich zu diesem Zweck ein denkendes,
fĂĽhlendes und wollendes Ich vor, dem jedoch immer nur ein Sinn, dann
zwei und mehrere Sinne ohne Bewegung, endlich sämmtliche Sinne in
Verbindung mit der Bewegung beigelegt werden. Hieraus ergeben sich
dann die spezifischen Welten und Räume der einzelnen wie der kombi-
nirten Sinne, und es zeigt sich endlich, welchen erstaunlichen Einfluss die
Bewegung auf das Zustandekommen der normalen Ansicht von der Welt hat
(Auf S. 130 ff. wird eine treffliche Polemik gegen die Annahme von mehr als
drei räumlichen Dimensionen durchgeführt.) Das bewegungslose Ich würde
im wachen Zustande umgekehrt träumen d. h. es würde die Spiegelbilder des
Gesichtssinnes, die wir in Folge der Bewegungserfahrung auch träiunend
nach aussen hin reflektiren und demgemäss perspektivisch schauen, nur
flächenhaft auffassen. So ist die Bewegung auch der Schlüssel zum Ver-
ständniss des Traumlebens; der Unterschied zwischen dem Traumleben
und dem wirklichen Leben beruht nur auf dem in dem ersteren von
Aussendingen völlig unabhängigen Entstehen der Sinnesbilder. Auch der
Somnambulismus und alle visionären Zustände, in denen die unabhängigen
Litteraturbericht. 501
Sinnesbilder eine so merkwürdige Rolle spielen, sind nur möglich unter
Voraussetzung der Bewegungserfahrung, daher jene Zustände bei dem
bewegungslosen Ich nicht eintreten können.
Diese interessante und mit musterhafter Klarheit abgefasste Schrift
ist ein lebhafter Protest gegen den transcendentalen Idealismus Kant's.
Der Versuch, die sinnliche und die Obersinnliche Welt zu OberbrĂĽcken,
wird freilich an der von Kant dagegen errichteten Veste scheitern. Den
Gläubigen lässt die inbrünstige Gluth, mit der er sich im Grebet seines
Gottes dadurch zu versichern meint, dass er ihn unter den verschiedensten
bildlichen Bezeichnungen anruft, nicht zur Erkenntniss des Widerspruches
kommen, der darin liegt, das Uebersinnliche auf diesem Wege zu erfassen,
allein Kant sollte denen, fĂĽr die es gilt, doch nicht vergebens sein quos
ego! zugerufen haben.
Der Streit wider den nnbewnssten Athelsmns dieser Zelt auf Veran-
lassung von 0. Pfleiderers neuester Religionsphilosophie und Vortrag
ĂĽber Christen thum und Naturwissenschaft fortgesetzt von ĂĽ. R. Schmid,
zweite vermehrte Ausgabe. MĂĽnchen. Ackermann. 1879. 34 S.
Darstellniig der christlichen Bellgrlon fOr alle Gebildete insonderheit
Lehrer und Geistliche von U. R, Schmid. p. em. MĂĽnchen, Ackermann.
1880. 183 S.
Ein Mahnmf an unsere Zelt auf Grund des tiefsten Zusammenhangs
ihrer Verirrungen nebst Andeutungen fĂĽr den wahren Fortschritt, von
U. R, Schmid. Zweite verb. und verm. Auflage. MĂĽnchen, Ackermann.
1880. 148 S.
In der ersten der genannten Schriften sucht der Verf. zu zeigen, dass
eine Vereinigung der verschiedenen Weltansichten durch den Verstand
unmöglich ist. Die mechanische Nothwendigkeit schliesst die Freiheit
aus, und diese widerspricht wieder der Allmacht Gottes. So sind denn
einerseits vor dem „strengen Denken** die materielle, die geistige
und die gläubige Weltansicht miteinander unvereinbar; andererseits
freilich gelangt erst das strengste Denken zu einer einheitlichen Welt-
anschauung. Das Organ derselben ist unter FĂĽhrerschaft der Vernunft
als des , Vermögens der Ideen* der Mensch in der Vereinigung aller seiner
Geisteskräfte. Von diesem Standpunkt aus deutet nun der Verf. eine Fort-
bildung der Friesischen Philosophie an. Der Glaube geht allem Wissen
vorher: der Glaube an Gott ist die relativ vollkommene Art und Weise
der Erkenntniss. Unser persönliches Verhältniss zu Grott beruht auf der
Allgemeinheit und Nothwendigkeit sowohl der Vernunftideen als auch des
Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern. Allerdings wird das unerforsch-
liche Wesen Gottes dadurch nicht erschöpft; Idee Gottes und Verhältniss
zu Gott mĂĽssen daher immer in Wechselwirkung stehen. Aus dieser
Wechselwirkung folgt dann die Vereinigung der verschiedenen widerstrei-
tenden Weltansichten durch die religiöse Weltanschauung. Der Pantheis-
mus bat nur poetische Bedeutung, indem er fĂĽr das GefĂĽhl ein bildliches
502 Litieraturbehcbt.
«
Einssein Gottes mit der Welt ausspricht. Indem der Pantheismus 0. Pflei-
derer's dem Verstände genug thun will, verwickelt er sich in die gröbsten
Widerspruche; er wird dadurch zum Atheismus, dass er das ĂĽberwelt-
liche Wesen Gottes verkennt. Damit trägt er die Signatur unserer Zeit;
denn der Atheismus dieser Zeit geht aus dem Wahn «einer durch den
Verstand zu erreichenden und den Verstand befriedigenden einheitlichen
Weltansicht '^ hervor. — Wir begnügen uns, die beiden anderen Schriften
des Verf. an dieser Stelle nur anzuzeigen, nachdem wir seinen Standpunkt
auf Grund der zuerst genannten Schrift dargetban haben.
Arthur Jung.
Das Soll nnd Haben der Menschlieit. Kritische Einleitung in die Phi-
losophie der Geschichte von Dr. Robert Binde, Erste erweiterte Abthei-
lung einer von der phil. Facultät zu Göttingen belobigten Preisbewer-
bungsschrift. Berlin, 1880. DĂĽmmler. 120 S.
Die Philosophie der Geschichte hat zu ihrem Gegenstande die Ent-
wicklung des menschlichen Geistes, wie er im Zusammenhang mit der
Natur und im Verkehr der Menschen in drei grossen Perioden fortschreitet
Auf der ersten Stufe ist vorherrschend die Gebundenheit in den gegebenen
Natur- und Gesellschaftsverhältnissen, auf der zweiten wird die Kritik zum
Hebel des Fortschritts, auf der dritten vollzieht sich die Selbstbefreiung
des Geistes. Es sind die Factoren, welche diese Entwicklung bestimmen,
und das Gesetz der Wirkung festzustellen; das letztere lässt sieb aus-
sprechen als Antagonismus der Bewegung. Die sich bekämpfenden Gegen-
sätze erzeugen in ihrer Ausgleichung den geschichtlichen Fortschritt. Der
Mensch hat sich nach dem übereinstimmenden Zeugniss der Paläontologie,
der vergleichenden Sprachwissenschaft und der Zoologie aus einem Zu-
stande der UnvoUkommenheit allmählig erhoben. Obgleich die weisse Race
als eine bevorzugte erscheint, so kann doch an einer geistigen Einheit
und Entwicklungsfähigkeit des Menschengeschlechts nicht gezweifelt wer-
den. Die Geschichtsphilosophie hat die Ergebnisse sämmtlicher anthropo-
logischer Wissenschaften zusammenzufassen, um einer monistischen Welt-
ansicht Eingang zu verschaffen, in welcher Natur und Geist, Materie und
Idee, Aeusseres und Inneres, Sein und Denken zur Einheit verknĂĽpft wer-
den und als Ein Lebensprozess erscheinen, der nur fĂĽr die Abstraction
in zwei sich scheinbar auschliessende Momente auseinandertritt. Jede
Bewegung muss in jedem Moment mit einer relativen Hemmung behaftet
sein, die bis zu einem gewissen Grade in jedem Moment ĂĽberwunden
wird. Dieser Satz gilt ebensowohl fĂĽr das Wesen alles VorsteUens und
Denkens selbst, wie das Vorstellen und Denken einer solchen Hemmuug
von aussen bedarf, welche die reale Objectivität der Dinge verbürgt. Aber
eben dieses Gesetz zeigt sich auch in allen Kämpfen und daraus hervor-
gehenden Siegen der geschichtlichen Bewegung. Als subjective Triebfeder
der Geschichte muss der Freiheitstrieb angesehen werden; dieser zielt
auf Uebereinstimmung des Denkens und Wollens mit sich selber und mit
Litteraturbericht. 503
der äusseren Welt. Es gibt einen Fortschritt in der Geschichte, und zwar
nicht blos in technischer, sondern auch in moralischer Beziehung. Der
Mensch begreift immer mehr seine Stellung und Aufgabe in der Welt:
wie sollte diese Erkenn tniss nicht zur Erreichung des Weltzwecks in dem-
selben Grade fĂĽhren, als die Thatsachen der Gegenwart auf allen Gebieten
eine Verfeinerung des äusseren, eine Vertiefung und Bereicherung des
inneren Lebens darthun, und als das politisch-ethische, das religiös-meta»
physische und das wissenschaflliche Problem mit immer wachsendem Er-
folge gelöst werden? Den Begriff der Freiheit des Willens bestimmt der
Verf. im Wesentlichen nach Hegel: Der Geist ist frei, weil er sich selbst
bestimmt, wenn auch die Ideen Anfangs nur mittelst des Instincts wirken.
Die Herrschaft der Vernunft ist das Endziel der Geschichte. Da der
menschliche Geist von Anfang an, ohne sich dessen gleich bewusst zu
sein, auf dieses Ziel hingearbeitet hat, da sich in dem Siege des Allge-
meinen ĂĽber das wiederstrebende Einzelne eine sittliche Weltordnung noch
immer wiederhergestellt hat, da ĂĽberhaupt der Verlauf der Greschichte
einen Plan aufweist, vermöge dessen auch die Selbstsucht der grossen
Männer dem höchsten Zwecke dienen muss, und der weit über den be-
schränkten Blick des Individuums hinausliegt, so gelangt die Geschichts-
philosophie am Ende zu der Annahme einer göttlichen Vorsehung.
Der unbedingte Optimismus des Verfassers wird mit Recht Wider-
spruch hervorrufen. Gerade die Geschichte legt uns wieder recht das
ignoramus der Weisen aller Zeiten nahe. Auf einem modernen Schlacht-
felde lassen sich bekanntlich die Chancen des Verherens und Gewinnens
schlechterdings nicht übersehen — sollte auf dem Schlachtfelde der Ge-
schichte diese Uebersicht etwa leichter sein?
Arthur Jung.
Meine Forschnngen Im Gebiete des Geistes« Zwei empirisch-philoso-
phische Untersuchungen von Joh, Arbes. Pilsen, G. Maasch. 1880. 97 S.
In der ersten der beiden Untersuchungen handelt der Verfasser von
«unbestimmten Gefühlen oder Denkgefühlen '^. Die unbestimmten Gefühle
sind entweder unbewusste oder bewusste; die letzteren treten wieder ent-
weder nicht sofort oder sofort in's Bewusstsein. Bei den bewussten un-
bestimmten GefĂĽhlen hat man diejenigen, deren eigentliches Wesen wir
trotz des Bewusstseins ihrer Existenz nicht kennen, zu unterscheiden von
denjenigen, deren Natur wir erkennen. FĂĽr die Forschung haben die
bewussten, unbestimmten GefĂĽhle, die aus den unbewussten hervorgehen
können, die höchste Bedeutung; denn sie geben den Antrieb zum Nach-
denken, ja, es entwickeln sich aus einer relativen Klarheit wieder unbe-
stimmte Gefühle höherer Ordnung. So schreiten wir von einer Klarheit
zur andern fort, und wie die Gase die Weltkörper mit höheren Regionen
verbinden, so vermitteln die DenkgefĂĽhle Geist mit Geist.
In der zweiten Untersuchung wird der Begriff der Freiheit erörtert.
Der Verfasser geht von dem Begriff eines ideellen Geistes aus, indem er
504 Neu eingegangene Schriften.
Yon den Mängeln des aus der Erfahrung erkannten menschlichen Geistes
abstrahirt: Die Freiheit des ideellen Geistes besteht im Freisein von Hinder-
nissen bei dem bewussten Vorwärtsschreiten auf ein bestimmtes Ziel hin.
Der menschliche Geist besitzt nur ein Freiheitsvermögen ; er bethätigt sich
auch in Bezug auf seine Freiheit nach verschiedenen Richtungen verschie-
den und ist nur frei auf dem Gebiete, das er beherrscht. Die moralische
Freiheit ist die vollkommene Erkenntniss der moralischen Sdte einer
freien Handlung. Man sieht, dass der Freiheitsbegriff des Verfassers ein
empirischer bleibt und darum schliesslich von dem der Nothwendigkeit
aufgesogen werden muss, wie er denn, allerdings skeptisch, mit dem
Satze schliesst: Wenn wir die Erfahrung zu Grunde legen, so erscheint
unser Leben und Streben mathematisch bestimmbar.
Besonders durch viele treffliche Beispiele regen die beiden Aufsätze
an; indessen vermisst man doch zu sehr die Berücksichtigung der Lösun-
gen, welche die betreffenden Fragen bisher gefunden haben.
Arthur Jung.
Das Wesen der Form* Stunden des Nachdenkens ĂĽber die Erscheinun-
gen des Erdenlebens von Moritz Tower, Leipzig. Ed. Wartigs Verlag
(E. Hoppe). 1880. (116 S.) 8*.
Das BĂĽchelchen, welches sich durch elegante Ausstattung und leichten
angenehmen Styl empfiehlt, zerfällt in drei Theile. Im ersten sucht der
Verf. darzuthun, dass Alles in der Welt aus dem Licht als seiner Quelle
stamme, eine nicht gerade neue Ansicht, die sich aber um so weniger als
richtig nachweisen lässt, als bis jetzt kein Mensch eigentlich weiss, was das
Wesen des Lichtes ist. luden beiden letzten Abschnitten, , Lebensformen'
und «Gulturformen'' überschrieben bekundet der Verfasser eine durchaus
edle und wahrhaft humane Lebensanschauung, ohne sie indessen anders als
in der Form leichter Reflexion geltend zu machen.
Nen eingegangene Schriften.
Land, J. P. N., Over de uitgaven en den Text der Ethica van Spinoza.
Nolen, D., Leibniz,ria monadologie. Nouvelle Edition annot^.
Sigwart, Christoph, Kleine Schriften. 1. 2. Reihe.
Eucken, R., Zur Erinnerung an R. Gb. F. Krause.
Hoff mann, L., Thier-Psychologie.
TeichmĂĽller, G., Literarische Fehden im 4. Jahrh. v. Chr.
Althaus, K., Von der Ueberzeugung insbesondere der religiösen.
Pietscher, A., Entstehung und Inhalt des Rechts.
Ders., Jurist und Dichter.
Hauschild, G. R., Die rationale Psychologie und Erkenntnisstheorie
Tertullian's.
Koeber, R., Schopenhauer's Erlösungslehre.
Grapengiesser, G., SprĂĽche aus dem Leben und fĂĽr das Leben.
The Students Dream.
Schmitz-Dumont, 0., Die Einheit der Naturkräfte.
Bloch, Thit., Vom Glauben und Wissen. Saadiah's Emunoth we Deolh.
Ders., Die Willensfreiheit von Ghasdai Kreskas.
Biblio^aphie. 505
Vaibinger, H.. Gommentar zu Kant's Kritik der reinen Vernunft. Bd. 1.
Erste Hälfte.
RuDze, Max, KanVs Bedeutung auf Grund der Entwicklungsgeschichte
seiner Philosophie.
Ghiapelli, Aless., Kant e la psicolögia contemporanea.
Grassmann, Roh., Das Weltleben oder die Metaphysik.
Reicke, Job., Kant's Rede ,,De Medicina corporis quae philosopborum est".
Dembowski, Job., Quaestiones Aristotelicae duae.
Cunha Seixas, J. M. da, Galeria de sciencias contemporaneas.
Ders., Principios geraes de pbilosophia da historia.
FlĂĽgel, 0, Die speculative Theologie der Gegenwart kritisch beleuchtet.
Zirngiebl, Eh., Jobannes Huber.
Adamson, Robert, Fichte.
Bibliographie
von
Dr. F. Ascherson.
I. Gesammelte Schriften. Zeitschriften. Hoffmann, F., philosophische
Schriften. 7. Bd. 8. Erlangen, Deichert n. 6 M. [S. ob. Bd. XV, S.
507.] — RGmelin, G., Reden und Aufsätze. Neue Folge. 8. Freiburg
i. B., Mohr. n. 2 M. — Zeitschrift für Völkerpsychologie u. Sprach-
wissenschaft. Herausgegeben von M. Lazarus u. H. Steinthal. 13. Bd.
1. u. 1 Heft. 8. Berlin, DĂĽmmler^s Verlagsbuchhdlg. n. 4 M. 80 Pf.
II. Zttr Geschichte der Philosophie und der Wissenschaft Seh wegler, A.,
Geschichte der Philosophie im Umriss. 11. Aufl., ergänzt durch eine
Darstellung der Schopenhauer'schen Lehre von R. Koeber. 8. Stuttgart,
Conradi. n. 3 M. 60 Pf. — Seh weg 1er, A., Geschichte der griechischen
Philosophie. Herausgegeben von K. Köstlin. 3. Aufl. 1. Hälfte. Frei-
burg i. B., Mohr. n. 3M. — Kunert, R.. quae inter Glitophontem dia-
logum et Piatonis rempublicam intercedat necessitudo. 8. Berlin, Mayer
u. Müller, n. 1 M. — Aristote, Morale ä Nicomaque [8. Li vre]. Texte
grec avec des notes par L. Levy. 16. Paris. Hachette. Gart. 80 Pf. —
Frohschammer, J., Ueber die Principien der Aristotelischen Philoso-
phie und die Bedeutung der Phantasie in derselben. 8. Manchen, A.
xVckermann. n. 3 M. — Bernays, J. , Phokion u. seine neueren Beur-
Iheiler. Ein Beitrag zur Geschichte der griechischen Philosophie und
Politik. 8. Berlin, Besser 'sehe Buchhandlung, n. 4 M. — Koffmane,
6., die Gnosis nach ihrer Tendenz und Organisation. 8. Breslau, Köhler,
n. 60 Pf. — Minucius Felix, M., Octavius. Ein Dialog. Uebersetzt
T. Dombart. 2. Ausg. 8. Erlangen, Deichert. n. 2 M. 40 Pf. - Schneid,
M., Die Philosophie des hl. Thomas von Aquin und ihre Bedeutung fĂĽr
die Gegenwart. 8. Würzburg, Woerl. IM. 40 Pf. — v. Reichen au, W.,
Die monistische Philosophie von Spinoza bis auf unsere Tage. 8. Göln,
Mayer, n. 7 M. — Palm, R., Wie begründet Locke die Realität der
Erkenntniss? 8. Jena, Neuenhahn. n. 80 Pf. — Leibniz, la mona-
dologie. Publiee par H. Lacbelier. 16. Paris, Hachette. 16. Gart. 80 Pf. —
Pabst, G. R., Vorlesungen ĂĽber G. E. Lessing's Nathan. Herausgegeben
von F. Edinger. 8. Bern, Haller. n. 4M. — Vaihingen H., Gommen-
tar zu Kant's Kritik der reinen Vernunft. 1. Bd. 1. Hälfte. 8. Stuttgart,
Spemann. n. 4M. 50 Pf. — Fichte, J. G., Reden an die deutsche Na-
tion. Mit einer Einleitung von J. H. Fichte. Wohlfeile [Titel-] Ausgabe
12. Freiburg i. B., Mohr. n. 35 Pf. — Eucken, R., zur Erinnerung
an R. Cb. F. Krause. Festrede. 8. Leipzig, Veit u. Go. n. 1 M. 20 Pf.
— Schopenhauer, A, Die beiden Grundprobleme der Ethik. 3. Aufl.
506 Bibliographie.
8. Leipzig, Brockhaus. n. 4M. 50 Pf. geb. n. 5M. 50 Pf. — Kletschke,
H., Gharakterzuge aus dem Leben Arthur Schopenhauers. Vortrag. 8.
Quedlinburg, Huch. 30 Pf. — do. Zeitz, Huch. 30 Pf. — Koeber, R.,
Schopenhauer's Erlösungslehre. 8. Berlin, G. Dunckers Verlag, n. 1 M.
— Voigt, 6., Friedrich Rflckert's Gedankenlyrik nach ihrem philoso-
phischen Inhalte dargIstelU. 8. Annaberg, Graser. n. 1. M. 80 Pf. ~
de Magelhaes, J. J. L., Silvestre Pinheiro Ferreira, Sein Leben und
seine Philosophie. Mit einer Einleitung ĂĽber die wichtigsten portugiesi-
schen Philosophen vor ihm. 8. Bonn, Behrendt, n. 1 M. — v. GhrisU
W., Gedächtnissrede auf Leonhard ?. Spengel. 4. München, Franz'sche
Buchhandlung, haar 1 M. 50 Pf.
III. Zur philosophischen Weltanschauung. Reiff, F., Giebt es einen Welt-
zweck? (Zeitfragen des christlichen Volkslebens. Herausgegeben von
E. Frbr. v. Ungern -Sternberg und G. Schlosser. Heft 38.) 8. Heilbronn,
Gebr. Henninger. n. 1 M. — Du hoc, J., Der Optimismus als Weltan-
schauung und seine religiös ethische Bedeutung für die Gegenwart 8.
Bonn, Strauss Verlag, n. 7 M. — Gätschenberger , S., Nihilismus,
Pessimismus u. Weltschmerz. (Deutsche Zeit- und Streitfragen. Flog-
Schriften zur Kenntniss der Gegenwart. Herausgeg. von F. v. Holtzen-
dorfT. Heft 152.) 8. Berlin, Habel. Subscriptionspreis n. 75 Pf. Einzel-
preis n. 1 M. — Soury, J., de Hylozoismo apud recentiores. 8. Paris,
Ollendorff. haar 4 M. — Seh reit er, E., Die Versöhnung von Natur u.
Kultur. (Vorträge über unsere Zeit und naturgemässe Philosophie. 8.
Leipzig, Hohn. n. 2 M. 80 Pf.
IV. Zur Logik. Kirchner, F., Katechismus der Logik (Weber*s illustrirte
Katechismen Nr. 100). 8. Leipzig , Weber. Geb. n. 2 M. 50 Pf. -
Scheffler, H., Die Naturgesetze und ihr Zusammenhang mit denPrin-
cipien der abstrakten Wissenschaften. 4. (Schluss-)Theil. Die Theorie
des Bewusstseins oder die philosophischen Gesetze. 8. Leipzig, Förster,
n. 9 M. [S. ob. Bd. XVI, S. 378.] -
V. Zur Metaphysik. Grassmann, R., das Weltleben oder die Metaphysik.
8. Stettin, Grassmann. 6 M.
VI. Zur Naturphilosophie. Darwin*s, Gh., Gesammelte Werke. Auswahl in
6 Bänden. Lief. 27, 28. 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36. 8. Stutt|^
Schweizerbart'sche Verlagshandlung, ä n. 1 M. [S. ob. S. 377.] — Haeckel,
E., Ueber die Entstehung und den Stammbaum des Menschengeschlechts.
Zwei Vorträge. (Sammlung gemeinverständlicher wissenschafthcher Vor-
träge, herausgegeben von R. Virchow und F. v. Holtzendorff. Heft 52
und 53). 4. Aufl. 8. Berlin, Habel. n. 1 M. 60 Pf. — Weber, H.,
Ueber Gausalität in den Naturwissenschaften. Rede. 8. Leipzig, En-
gelmann, n. 60 Pf. — Schmitz-Dumont, 0., Die Einheit der Natur-
kräfte und die Deutung ihrer gemeinsamen Formel. 8. Berlin, G.
Duncker's Verlag, n. 4M. — Grundlehren, die, der wahren Natur-
religion nach Darwin u. Haeckel. Moderne Dogmen fĂĽr Kirche u. Haus.
8. Berlin, Staude, n. 1 M.
VII. Zur Ethik, Culturgeschichte und Rechtsphilosophie. Zahn, D., Die na-
tĂĽrliche Moral chrisUich beurtheilt und angewandt auf die Gegenwart in
Kirche, Schule und innere Mission. 8. Gotha, Schlossmann. n. 3 M.
60 Pf. — Sittenlehre, die katholische. Zum Gebrauche für die Zög-
linge des k. Schullehrer-Seminars in Freising. 8. Freising, Datterer^s
Verlag, n. 60 Pf. — Du bring, E. , Der Werth des Lebens, populär
dargestellt. 3. Aufl. 8. Leipzig, Fues' Verlag, n. 6 M. — S top ei, F.,
Die freie Gesellschaft. Versuch einer Schlichtung des Streites zvrischen
Individualismus u. Socialismus. 8. Chemnitz, Schmeitzner. n. 6 M. 60 Pf.
VIII. Zur Anthropologie und Psychologie. Gless, A., Das Ideal der Mensch-
heit. Nach G. Chr. Fr. Krause's Schrift „Das Urbild der Menschheit*
8. Stuttgart, Krabbe, n. 2 M. geb. haar 2 M. 50 Pf. — Mittheilungen
Bibliographie. 507
der anthropologischen Gesellschaft in Wien. Red. v. F.Ritter v. Hauer,
C. Langer, M. Mach etc. 10. u. 11. Bd. 8. Wien, G. Gerolds Sohn ä n.
12 M. — Sammlungen, die anthropologischen, Deutschlands. Berlin.
1. Theil. Zusammengestellt von G. Broesche. 4. Braunschweig, Vieweg
u, Sohn. n. 7 M. 20 Pf. — Zell er, E., üeber die Messung psychischer
Vorgänge. 4. Berlin, Dümmlers Yerlagsbuchh. in Gomm. n. 80 Pf. —
Preyer, W., Ueber den Farben- und Temperatur- Sinn, mit besonderer
Rücksicht auf Farbenblindheit. 8. Bonn, Strauss' Verlag, n. 2 M. —
Schallberg, J., Unsterblichkeit oder die persönliche Fortdauer der
Seele nach dem Tode. 4. Aufl. 8. Naumburg, RegePs Verlag, n. 1 M.
IX. Zur Religionsphliosophie. Strauss, D. F., Der alte und neue Glaube.
Ein Bekenntniss. 11. Aufl. 1. Liefg. 8. Bonn, Strauss Verlag, n. 1 M.
— Robert, F., Neue Gedanken über Gott. Gott das einzig unbegreif-
bare Wesen in der Natur. 8. Hamburg, Grflning. n. 50 Pf.
X. Zur Philosophie der Geechichte. Bergmann, J., Das Ziel der Geschichte.
Rede. 8. Marburg, Elwert'sche Verlagsbuchhandlung. 75 Pf.
XI. Zur Aeethetiit Seemann, Th., Grundriss der Poetik, oder die Lehre
von den Dichtungsarten. 8. Berlin, Bohne, n. 3 M.
XII. Zur Pädagogik. E ncy kl opädie des gesammtenErziehungs-u. Unter-
richtswesens. Herausgegeben von K. A. Schmid. 4. Bd. 3. Abth. 2. Aufl.
8. Gotha, Besser, n. 6 M. [S. ob. S. 307.] — Klassiker, pädagogische
Auswahl der besten pädagogischen Schriftsteller. Mit Erläuterungen.
Herausgeg. von G.A. Lindner. 8. u. 9. Bd. 8. Wien, Pichler's Witwe u.
Sohn. 5 M. 50 Pf. Inhalt: 8. M. F. Quintilianus. Rednerische
Unterweisungen. Bearbeitet von G. Lindner. Plutarch's Abhand-
lung Ober die Erziehung der Kinder. Uebersetzt von H. Deinhardt.
3 M. 50 Pf. 9. R. Ascham's Schulmeister mit einer Einleitung von
R. Ascham's Leben u. Wirken. Einleitung, Uebersetzung u. Gommentar
von J. Holzamer. 2 M. [S. ob. Bd. XV. S. 633.] — Schütze, H., Aus-
lese aus den Werken berühmter Lehrer u. Pädagogen des Mittelalters.
b. Heft, Karl der Grosse: Verordnungen und Briefe. 8. GĂĽtersloh, Ber-
telsmann, n. 40 Pf. [S. ob. Bd. XVI, S. 187.] — Vives, J. L., ausge-
wählte pädagogische Schriften. Uebersetzt v. R. Heine. Heft 1. 2. (K.
Richters pädagogische BibUothek Heft 92. 93). 8. Leipzig, M. Herx's
Verlag an. 50 Pf. — Rundschan, allgemeine, auf dem Gebiete des
Unterrichtswesens aller Länder. Herausgegeben von F. Körner. Jahrg.
1881. 1. Heft. 8. Berlin, Issleib. Vierteljährlich 3 M. — Kellner, L.,
Kurze Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, mit vorwaltender
RĂĽcksicht auf das Volksschulwesen. 6. Aufl. 8. Freiburg i. B., Herder*-
sche Verlagshandlung, n. 2 M. — Kruse, K., Die pädagogischen Mei-
nungen des Michel Montaigne nach den Begriffen und Grundsätzen der
philosophischen Pädagogik dargestellt u. beurtheilt. 8. Jena, Neuenhahn,
n. IM. 35 Pf. — Locke, John, Einige Gedanken über Erziehung. Ueber-
setzt von M. Schuster. 2. Aufl. Geb. n. 3 M. 50 Pf. (K. Richter's päda-
gogische Bibliothek. Heft 26-30.) 8. Leipzig, M. Hessens Verlag, ä Heft
n. 50 Pf. geb. cplt. n. 3 M. 50 Pf. — Gitschmann, W., Die Pädago-
gik des John Locke historisch und psychologisch beleuchtet. 8. Göthen,
Schettler's Verlag, n. 1 M. 20 Pf. dito n. 1 M. 70 Pf. — Eiselen, F.,
Goethe's Pädagogik. Vortrag. 8. Frankfurt a. M., Diesterweg. n. 50 Pf.
— Hagemann, A., Was ist Charakter und wie kann er durch die Er-
ziehung gebildet werden? 2. Aufl. Dorpat, KrĂĽger, n. 75 Pf. dito 3.
Aufl. Ebda. 75 Pf. — Auer, L., Volksbildung, Schulfrage, Schulstreit,
Gedanken und Vorschläge. 8. Donauwörth, Buchhandlung des katholi-
schen Erziehungsvereins, n. 60 Pf. — Cornelia, Zeitschrift für häus-
liche Erziehung. Herausgegeben von C. Pilz. 36. Bd. (5 Hefte.) 1. Heft.
8. Leipzig, Kempe. pro cplt. 2 M. 25 Pf. — Chronik, allgemeine, des
Volksschulwesens. Herausgegeben von L. W. Seyffarth. 1880. Neue Folge.
508 Recensionen -Verzeichniss.
3. Jahrgang. 8. Breslau, Morgenstern, n. 6M. — Böhm, F., Vorschläge
zur Bekämpfung des Materialismus seiteps der Volksschule. 8. Berlin,
Haack. n. 50 Pf. — Sehr ad er, W., Die Verfassung der höheren Schu-
len. Pädagogische Bedenken. 2. Aufl. 2. Ausg. 8. Berlin, Hempel. n.
6 M. — V. Tiling, W., Von dem Rechte und dem Werthe der Gyni-
nasialbildung. 8. Riga, Stieda's Verlag, n. 1 M. 40 Pf. — Stöckl, A.,
Der moderne Religionsunterricht an den deutschen Gymnasien. 8. Mainz,
Kirchheim. 75 Pf. — v. Tiling, Der gymnasiale Religionsmitemeht. 8.
Riga, Stieda^s Verlag, n. 1 M. 40 Pf.
Becensionen - Yerzelchniss.
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Herbert Richards.)
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Bahn seh, des Epikureers Philodemus Schrift tibqI atifjtsitoy xai ffiifjieuSastĂĽv.
(Jahresber. ĂĽb. d. Fortschritt d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v.
M. Heinze.)
Bauer, Christus u. die Gitesaren. (Jahresher. ĂĽber den Fortschr. d. class.
Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Biedermann, G., Philosophie als Begriffswissenschaft. (Dtsche. Literatur-
Ztg. 26 V. E. Laas.)
Bilharz und Dannegger, metaphysische AnfangsgrĂĽnde der mathema-
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Braitmaier, die poetische Theorie Gottscheds u. der Schweizer. (Archiv
f. d. Stud. d. neueren Sprachen 65, 2. 3.)
Braune, Mark Aurel's Meditationen. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class.
Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Busse, de praesidiis Aristotelis Politica emendandi. (Dtsche. Literaturztg.
22 V. F. Susemihl.)
Cicero de legibus ed. Boirac. (Revue crit. 22 v. E. Benoist.)
Danzei u. Gubrauer, G. E. Lessing. 2. Aufl. (L. C. 23.)
Deisenberg, Theismus u. Pantheismus. (Deutsche Literaturztg. 22 v. H.
Cohen.)
Dich], Zur Ethik des Stoikers Levin von Kittron. (Jahresber. ĂĽb. d. Fort-
schr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Doxographi graeci v. Diels. (Jahresber. ĂĽber Fortschr. der class. Alter-
thumswiss. 1880, 4. 5 V. M. Heinze.)
Du hoc, der Optimismus als V^eltanschauung. (Gegenwart 28 v.W. Bolin.)
Edgeworth, Mathematical Psychics, an Essay on the App^cation of Ha-
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Ehren hau SS, die neuere Philosophie und der christliche Glaube. (Dtsche.
Literaturztg. 24 v. 0. Pfleiderer.)
Falckenberg, GrundzĂĽge der Philosophie des Nicolaus Cusanus. (Z. f.
Philos. u. philos. Kritik. N. F, 77, 2.)
Fischer, K., Geschichte der neueren Philosophie. 1. Thl. 3. Aufl. (Gegen-
wart 29 V. Hugo Göring.)
Fischer, K., G. E. Lessing als Reformator der deutschen Literatur da^
gestellt. (Dtsche. Literaturztg. 28 v. E. Schmidt.)
Fowler, Bacon (Academy 474 v. Franklin T. Richards.)
Franke, Stoicismus u. Christenthum. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. cJass,
Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Recensionen - Verzeicbniss. 509
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H. Spatzier.)
Girard, ia philosopbie scientifique (Gott. geb. Anz. 23, 24 v. Baumann.)
Gizycki, P. v., ĂĽb. d. Leben u. die Moralphilosophie des ÂŁpikur. (Jahres-
ber. Ob. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Glöckner, quaestiones Annaeanae. (Jahresber. üb. d. Fortschr. d. class.
Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Glogau, G., Ziel u. Wesen der humanistischen Bildung. (Dtsche. Litera-
turztg. 28.)
Gomperz, neue BruchstĂĽcke Epikur 's, insbesondere ĂĽber die Willensfrage.
(Jahresber. ĂĽber d. Fortschr. der class. Alterthumswiss. 1880. 4. 5 v.
M. Heinze.)
Guy au. la morale d*Epicure. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alter-
thumswiss. 1880, 4. 5 V. M. Heinze.)
Haas, J., de L. Annaei Senecae philosophi monitis. (Jahresber. ĂĽber den
Fortschr. d. dass. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Harms, Geschichte der Logik. (L. G. 27).
Hartmann, E. v., die Krisis des Christenthunis in der modernen Theo-
logie. (Dtsche. Literaturztg. 22, v. H. Holtzmann.)
Hauck, Staat u. Gesellschaft (Im neuen Reich 26.)
Heinze, die Erkenntnisslehre der Stoiker. (Jahresber. ĂĽber den Fortschr.
d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5.)
Hellenbach, die Vorurtheile der Menschheit. (L. G. 24.)
Hellenbach, aus dem Tagebuche eines Philosophen. (Literar. Merkur 18,
V. Dr. H. Spatzier.)
Henne-am Rhyn, Kulturgeschichte des Judenthums. (Dtsche. Literatur-
ztg. 24 y. Wellhausen.)
Jankowski, Pisticismus und Substanzialismus. (L. C. 24.)
Kant, von der Macht des GemĂĽthes seiner krankhaften GefĂĽhle Meister
zu sein. (Frauenanwalt 6.)
Kern, F., Untersuchung ĂĽber die Quellen der Philosophie des Xenophanes.
(PhĂĽoL Anz. 4. 5.)
Kern, G., Bemerkimgen zum zehnten Buch d. Laertius Diogenes. (Jahres-
ber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze).
Krause, populäre Darstellung von Kant's Kritik der reinen Vernunft. (Im
neuen Reich 27.)
Leibniz, philosophische Schriften, herausg. v. Gerhardt. (L. G. 27.)
Marcus Aurelius Selbstbetrachtungen. Uebersetzt von A. Wittstock.
(Jahresber. ĂĽber d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1881, 4. 5. v.
M. Heinze.)
Marx, Anordnung der die Medicin betreffenden AussprĂĽche des Philosophen
Seneca. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4.
5. V. M. Heinze.)
Matinee, Piaton et Plotin. (Dtsche. Literaturztg. 24. v. H. F. MĂĽller.)
Mendelssöhn's, M., Schriften zur Philosophie. (Dtsche. Literaturztg. 28.
V. J. B. Meyer.)
Michelet, System der Philosophie. Bd. 4, 1. ( Viertel jschr. f. Volkswirth-
sch. u. Gulturgesch. Bd. 70.)
MĂĽnz, die Keime der Erkenntnisstheorie in der vorsophistischen Periode
d, griech. Philosophie. (Philol. Anz. 3 v. H. v. Kleist.)
Mullach, Fragmenta philosophorum graecorum. Vol. III. (L. G. 28.) v.
M. W(o)'hlr(a)b.
Nägelsbach, v., Gymnasial-Pädagogik. (Z. f. Gymnasialwesen 5.)
Noble, die Staatslehre Plato's (Jahrb. f. Nationalökon. u. Statistik. N. F.
3, 1. V. A. Krohn.)
Papiro Ercolanese inedito, v. D. Comparetti. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr.
d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
610 Recensioiien - Veneichniss.
Pesch, institutiones phĂĽosophiae naturalis sec. principia S. Thomae Aqui-
natis. (Natur u. Offenbarung 27, 6.)
Piatonis opera ed. H. Schanz. (Dtsche. Literaturztg. Nr. S5 y. Susemihl.)
Plotin Enneaden ĂĽbersetzt von H. F. MĂĽller. (L. G. 26.)
Plotini Enneades rec. H. F. MĂĽller. Vol. II. (L. G. 26.)
Probst, E., L. Annaeus Seneca aus seinen Schriften. (Jahresber. ĂĽber d.
Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Rieger. Goethe's Faust nach seinem religiösen Gehalte. (L. G. 24.)
Schaefer, F., quid Graeci de origine phĂĽosophiae a harharis duoenda
ezistimayerint. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. AlterthuiDswiss.
1880, 4. 5. y. M. Heinze.)
Schlegel, J. H., ĂĽber den BegrifT d. Romanischen. (Archiv f. d. Stud. d.
neuer. Spr. 65, 2. 3.)
Schmid, Encyklopädie des gesammten Erziehungs- u. Unterrichtswesens.
(Z. f. Gyronasialwesen 5 v. Klix.)
Schneemann, die Entstehung der thomistisch-molinistischen Gontroverse.
(Katholik N. F. 23, Mai v. Höhler.)
Schneider, K., Rousseau u. Pestalozzi. (Dtsche. Schulztg. 24, Beilage.)
Schneider, 0., ein Lehrplan f. d. deutschen Unterricht. (L. G. 25. Zeit-
sehr. f. Gymnasialwesen 6. v. Wilmanns.)
Schumann, Geschichte der Pädagogik im Umriss. 2. Aufl. (Dtsche. Schul-
ztg. 24, Beilage.)
Schuster, ĂĽber die erhaltenen Portraits der griechischen Philosophen.
(Jahresber. ĂĽb. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Senecae Dialogorum libri XII rec. Koch et Vahlen (Jahresber. Ober die
Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Senecae epistulae aliquot ex Bambergensi et Argentoratensi codicibus ed.
BĂĽcheier. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880,
4. 5. y. M. Heinze.)
Senecae libri de beneficiis et de dementia rec. Gertz. (Jahresber. Ober
d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Senecae monita et eiusdem morientis extremae voces ex codd. Paris, pri-
mus ed. WölfiElin. (Jahresber. üb. d. Fortschr. der class. Alterthums-
wiss. 1880, 4. 5. V. M. Heinze.)
Seoane, elliptische Philosophie d. verborg. Wirkenden. Th. 2. (L. G. 26.)
Siedler, de L. Annaei Senecae philosophia morali. (Jahresber. ĂĽber die
Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Strümpell, psychologische Pädagogik. (Jahrb. f. Philol. u. Pädagogik. 5.
V. M. Jahn.)
Symbolae Joachimicae. Th. 2. (Ztschr. f. Gymnasialwesen. 7. 8. v. Paulsen.)
Tylor, Anthropology (Academy 471. v. F. W. Rudier.)
Vignoli, Mythus u. Wissenschaft. (Dtsche. Litztg. 27. v. H. Usener.)
Vischer, Altes u. Neues. (Literar. Merkur 16 u. 17 v. Dr. G. Rennert.)
Vogel, systematische Encyklopädie der Pädagogik. (L. G. 25.)
Win ekler, der Stoicismus eine Wurzel des Ghristenthums. (Jahresber. Qb.
d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Wunder, L. Annaeus Seneca quid de diis senserit. (Jahresber. ĂĽber d.
Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5. v. M. Heinze.)
Ziemer, das psychologische Moment in der Bildung syntaktischer Sprach-
formen. (Philol. Anz. 4. 5.)
Ziller, allgem. philosophische Ethik. (Gott. gel. Anz. 23.24. v. Baumann.)
Aus Zeitschriften. 611
A118 Zeitsehriften.
ZatttchrHt fOr Philosophie und philosophische Krliil(. GegrĂĽndet von J. H.
V. Pichte, redigirt von Herrn. Ulrici. Halle. Bd. 79. Heft 1. Dr. G.
Runze, Kritische Darstellung der Geschichte des ontologischen Beweis-
verfahrens seit Anselm (2. Art.). •— Prof. Dr. Joh. Volkelt, Die Farben
und die Seele. — Dr. J. L. A. Koch, Ueber das Unterscheidungsver-
mögen. — Dr. Th. Achelis, Kritische Darstellung der Platonischen
Ideenlehre. — Recensionen: H. Ulrici, F. Kirchner, Ethik, Katechismus
der Sittenlehre. — H. Ulrici, Prof. Dr. Gaspari, Das Erkenntnisspro-
blem.* — Ders., M. Heinze, Zur Erkenntnisslehre der Stoiker. — Ders.,
Ernst Plalner als Gegner Kant's. — Ders., P. Knoodt, Anton Günther. —
F. Hoff mann, L. B. Hellenbach, Die Vorurtheile der Menschheit. —
Dr. B. T. St räter, Dr. Joh. H. Witte, Die Philosophie unserer Dichter-
Heroen. — Prof. Dr. Rabus, Dr. Julius Bahnsen, Der Widerspruch im
Wissen und Wesen der Welt. — Prof. Dr. A. Richter, G. Liebmann,
Zur Analysis der Wirklichkeit. — Ders., Gustav F. Pfisterer, Pädago-
gische Psychologie. — Ders., Stefan Fellner, Gompendium der Natur-
wissenschaften aus der Schule zu Fulda im IX. Jahrhundert. — G. J.
Gerhard, Leibnizen's und Huygen's Briefwechsel mit Papin. — Prof.
Dr. Gottschick, Die ,. LĂĽcke* in Kant's Beweis fĂĽr die transscendentale
Idealität von Raum und Zeit. — Bibliographie.
Viorteljahrsschrift fOr wissensohaftliche Philosophie, unter Mitwirkung von
M. Heinze und W. Wundt, herausg. von Th. Avenarius. Jahrg. V.
Heft 3. P. Harzer, Leibniz' dynamische Anschauungen. — E. Laas,
Vergeltung und Zurechnung. 2. Art. — E. Kraepelin. Ueber Tnigwar-
nehmungen. 2. Art. (Schluss.) J. Bergmann, Erwiderung. — G. Sig-
wart, Berichtigung. — Anzeigen: G. v. Gizycki, — Dr. H. Höffding,
Die Grundlage der humanen Ethik. — Selbstanzeigen: Bleuler, E. und
Lehmann, K. — Spitta, H. — Philosophische Zeitschriften. — Biblio-
graphische Mittheilungen. — Garl Görings literarischer Nachlass.
Mind. A quarterly review of psychology and philosophy. London,
Williams and Norgate. Nro. XXIU July 1881. Prof. J. Earle, The
History of the Word ,Mind'. — E. Montgomery, The Substantiality
of Life. — J. T. Punnett, Efficiency as a Proximate End in Morals. —
Prof, J. Royce, „Mindstuff" and Reality. — J. Sully, George Eliot's
Art. — Notes and Discussions. — Critical Notices. — New Books. —
Miscellaneous.
Tho Journal of speculatlve Philosophy. Ed. by W. T.Harris. 1881 Jan.
Vol. XV. Nr. 1. Schelling on medicine etc. tr. by E. S. Morgan. —
Hegel on the absolute religion tr. by F. L. Sold an. — The Science of
Education paraphr. by A. C. Brockett. — Analysis of Rosenkranz Peda-
gogics by the editor. — Kants Anthropology tr. by A. E. Kroeger. —
Notes and Discussions. — Book Notices. — Books received.
Rovuo phllosophique de la France et de Titrangor. Dir. par Th. Ribot.
Paris, G. Balliere et Go. 1881. Nr. 6. Georges Gu^rauJt, Du röle
du Mouvement dans les 4motions esth^tiques. — A. Fouill^e, Critique
de la morale de Kant (2. article). — Herbert Spencer, Des gouverne-
ments compos^. — Adrien Naville, L'amour-propre: ^tude psycholo-
gique. — Analyses et comptes rendus: Sergi, Elementi di psicologia. —
Ardigö, Lo studio della storia della filosofia. — Benno Erdmann,
Kant's Kritik der Urtheilskraft. — Franck, R^formateurs et publicistes
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512 MisceUe.
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ment dans les ämotions esth^tiques (iin). — Herbert Spencer, Lecorps
consultatif. — Analyses et comptes rendus: A. deRoberty, La socio-
logie. — W. Wallace, Epicureanism. — J. Veitch, The Method ofDes-
cartes with a new introductory Essay. — Notices bibliographiques: Leo-
pold Bresson., Id^es modernes: cosmologie, t^ociologie. — P. Knoodt,
Anton Günther, eme Biographie. — S. F. de Do mini eis, La pedagogia
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p^riodiques ^trangers: La Rassegna critica. — Rivista di filosofia scienü-
lica. — P. Jan et, Sur la valeur du syllogisme. — A. Espinas La Philo-
sophie ^cossaise au XVIIL sidcle et les origines de la philosophie anglaise
contemporaine (3. article). — P. Tannery, L*^ucation platonicienne
(3. article). — Analyses et comptes rendus: B. Perez, L'^ucation d^s
le berceau: essai de p^dagogie exp^rimentale. — Benno Er d manu,
Kant's Kriticismus: eine historische Untersuchung (1. article). — J. P.
Mahaffy, Descartes. — Notices bibliogrophiques : B. Gonta, Philosophie
mat^rialiste: introduction k la m^taphysique. — G. Piola, Forza e ma-
teria. — 0. Pfleiderer. Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grund-
lage. — Revue des p4riodiques ^trangers: Mind. — The Platonbt. —
The Princeton Review.
La fiio8ofia delle tcuole Italiane, rivista bimestrale. Roma Vol. XXIU.
2a. Franc. Bonatelli, Filosofia della Storia. — La Storia come fattore
della Goltura umana. — G. Jandelli, Sociologia. 11 Precursore di Mal-
thus. — Bibliografia: 1) Seb. Turbiglio. — 2) Ad. Franck. — 3)B.Pera.
— 4) G. M. Bertini. — 5) G. Barzellotti. — 6) A. BrogiaJdi. — 7) S.
Prato. — 8) P. E. Tuletti. — P. D. Ercole, Sülle Idee, risposta al prof.
Ferri. — Corsi filosofici nelle üniversitä Italiane. — II corso di EsLetica
del prof. Tari. — Recenti publicazioni.
Mlscelle.
Auf eine an mich ergangene Anfrage will ich hiermit öiTentlich, da
die Sache, obwohl eine Kleinigkeit, doch nicht ohne allgemeineres Interesse
ist, bemerken, dass der heut zu Tage viel gebrauchte Ausdruck «Nihilis-
mus** allerdings nicht, wie vielfach behauptet wird, von dem russischen
Novellisten Turgenieff zuerst gebraucht worden, sondern dass er älteren
Datums ist. Ich kenne ihn namentlich aus Job. Heinr. Jacobi's Schriften,
wo er z. B. im dritten Bande der Werke p.44 und p. 291 vorkommt Ob
aber Jacobi Erfinder des Terminus «Nihilismus*^ sei, wie man aas der
ersteren der beiden angeführten Stellen schliessen möchte , vermag ich
nicht zu sagen. G. S.
Der Nekrolog, welcher dem am 2. Juli zu Berlin verstorbenen Pro-
fessor Herrn. Lotze zugedacht ist, kann, da das Manuscript dazu sich noch
nicht im Besitz der Redaction befindet, erst im nächsten Heft erscheinen.
Druck von P. Neuaser in Bonn.
Die Aofgibe ond die Fundamentilsehwierigleit der ErleautnisH-
th«orie als «iaer foraossetniDgslosen Wissensehaft.
I.
Jede Wissenschaft — mit alleiniger Ausnahme derjenigen,
die sich eben dm-ch diese Erörtermigen als nothwendig er-
weisen soll — macht eine gewisse Voraussetzung über die
Möglichkeit des Erkennens. Entweder setzt das wissenschaft-
liche Denken stillschweigend voraus, dass der Gegenstand
seiner Wissenschaft, sei es in erschöpfender Weise, sei es
bis zu einem gewissen Umfange und Grade, dem Erkennen
zugänglich sei, oder es wird doch wenigstens stillschweigend
angenommen, dass es ĂĽberhaupt ein objectives, d. h. ein
in allgemeingĂĽltiger Weise Gesetze feststellendes Erkennen
gebe. Zuweilen nämlich sind die Wissenschaften so vorsich-
tig, bevor sie in die Untersuchung ihres Gegenstandes ein-
treten, sich die Frage nach den Grenzen, die sich auf ihrem
Gebiete vielleicht dem menschlichen Erkennen entgegenstellen,
vorzulegen. Allein indem sie an die Beantwortung dieser
Frage gehen, konmit es ihnen nicht in den Sinn, die Mög-
lichkeit des Erkennens ĂĽberhaupt zu bezweifeln und zu
prĂĽfen. Und es ist dies auch ganz in der Ordnung; denn
wollte jede Wissenschaft ab ovo, mit der Beantwortung der
Frage nach der Möglichkeit des Erkennens überhaupt anfan-
gen, so wĂĽrde sie sich Untersuchimgen aufbĂĽrden, die so-
wohl dem Gegenstande als der Methode nach einen von dem,
was sie eigentlich betreiben will, grundverschiedenen Cha-
rakter haben. Auch mĂĽsste dann jede Wissenschaft mit
genau denselben und zudem höchst weitläufigen ^und ver-
wickelten Erörterungen beginnen. Es wird daher — wenn
Philosoph. Monalshefte 1881, IX u. X. 33
514 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie.
solche Erörterungen überhaupt nöthig sind — das Amt einer
besonderen Wissenschaft sein, sie zu fĂĽhren.
Das Entscheidende in der Beantwortung der Frage, ob
und in welchem Sinne eine besondere Wissenschaft vom Er-
. kennen gefordert sei, liegt darin, dass das objective Erkennen
nicht absolut selbstverständlich, nicht absolut un-
bezwei feibar ist. Diese Einsicht ergibt sich einfach aus
der unbestreitbaren Erwägung, dass alle die Akte, die darauf
Anspruch erheben, ein Erkennen zu sein, unabtrennbar an
das Individuum gebunden sind, sich zunächst und unmittelbar
nirgends anderswo als im Bewusstsein des Individuums voll-
ziehen. Es mag sein, dass diese Akte mehr sind als bloss
individuelle Bewusstseinsphänomene ; es mag vielleicht sogar
die Ansicht, welche ihnen kein weiteres Sein und Gelten zu-
schreibt, unglaublich flach und absurd sein; allein zunächst,
vor aller Reflexion, Untersuchung und BegrĂĽndung, steht es
keineswegs fest, dass das, was wir fĂĽr einen Erkenntnissakt
halten, mehr sei als ein ganz individueller Vorgang, der weder
auf die Zustinmiung der anderen Individuen rechnen, noch
für eine gesetzmässig verknüpfte Wirklichkeit Geltung bean-
spruchen dĂĽrfe, fasse man das Wirkliche nun als Ding an
sich oder rein phänomenalistisch auf. Wodurch sollte uns
in einer Weise, die alle Untersuchung ĂĽberflĂĽssig machte, ver-
bürgt werden können, dass das Erkennen eine vom Riechen,
Schmecken u. dgl. qualitativ verschiedene Geltung habe ? Das
Erkennen ist wie das Riechen ein individueller Bewusstseins-
vorgang und hat die Wirklichkeit eines solchen. Soviel ist
unbestreitbar. Darüber hinaus aber hört die Unbezweifeibar-
keit auf.
Es wäre ein ganz naiver Einwand, dass das Erkennen sich
durch die Zusammenstimmung mit der Wirklichkeit, der Er-
scheinung oder der Erfahrung rechtfertige. Denn Wirklichkeit,
Erscheinung, Erfahrung — dies Alles existirt für mein Er-
kennen ja selbst nur als ein Erkanntes, gehört zur Erkennt-
niss selber und unterliegt daher, so lange nicht die Sicher-
heit des Erkermens anderswie festgestellt ist, gleichfalls dem
Zweifel, ob es mehr sei als mein individuelles Bewusstseins-
bild. Es ist ganz unmöglich, den Inhalt meiner auf ein ob-
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 515
jectives Erkennen Anspruch erhebenden psychischen Akte mit
dem Gegenstande selbst, der erkannt werden soll, zu ver-
gleichen. Was das Erkennen in seine Hand bekommt, ist ja
zunächst und unmittelbar immer schon wieder in die Form
eines individuellen Bewusstseinsaktes eingegangen. Und ebenso
naiv wäre es, einzuwenden, dass es ja doch so viele heute
allgemein oder fast allgemein anerkannte wissenschaftliche
Sätze gebe; warum solle die Theorie des Erkennens sich
nicht auf diese stĂĽtzen dĂĽrfen? Ich will hier zugeben, dass unsere
Zeit eine grosse Anzahl von nahezu allgemein anerkannten Wahr-
heiten aufzuweisen habe; ja ich will dem Einwurfe sogar mit
der weiteren Annalune entgegenkommen, dass sich diese
Wahrheiten fĂĽr die so eigenthĂĽmlichen erkenntnisstheoretischen
Fragen mit grossem Erfolge verwerthen lassen. Allein es
fragt sich, ob die Thatsache, dass eine Wahrheit von der bei
Weitem grössten Zahl der denkfahigen, gebildeten Menschen
einer Zeit anerkannt wird, das Erkennen zu dem Rang eines
unbezweifelbaren Factums erheben könne. Und da kann die
Antwort nicht zweifelhaft sein, wenn man erwägt, dass die
Thatsache der allgemeinen Anerkennung doch selbst zunächst
nur als eine Vorstellung meines individuellen Bewusstseins
existirt, und dass die allgemeine Verbreitung einer täuschen-
den Einbildung, die man sich vielleicht aus einem gewissen
allgemeinen psychischen Zwange entsprungen denken könnte,
keineswegs zu den Unmöglichkeiten gehört. — Es bleibt also
dabei: die Wissenschaft hat allen Grund, sich mit der Frage
nach der Möglichkeit des Erkennens aufs Ernsteste zu be-
schäftigen.
Es lässt sich die Aufgabe der Philosophie geradezu da-
hin bestimmen, die Selbstverständlichkeit möglichst einzu-
schränken, üeberhaupt würde es ja niemals zu Fortschritten
im Erkennen gekommen sein, wenn nicht dasjenige, was sich
bisher dem Menschen als problemlos, als frei von allen
Schwierigkeiten und ünerklärlichkeiten darstellte, in immer
steigendem Maasse fĂĽr ihn diesen Charakter des Selbstver-
ständlichen verloren hätte und so immer mehr an die Stelle
eines einfachen, ruhigen Hinnehmens die scharfe Unruhe des
Fragens getreten wäre. So lag auch für die Philosophie eine
516 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der firkenntnisstheorie.
Hauptbedingung ihres Fortschreitens darin, dass diejenigen
allgemeinen Weltverhältnisse, bei denen sich der Geist bisher
als bei einem einfachen So- und Nichtanderssein beruhigt
hatte, immer mehr Anstösse zu Fragen, Alternativen und ver-
schiedenen Lösungsmöglichkeiten darboten. Da nun über die
Philosophie hinaus keine Wissenschaft mehr liegt, welche die
von ihr nicht gestellten Probleme übernähme, so darf von
ihr erwartet werden, dass sie nur vor dem absolut Selbst-
verständlichen mit ihrem Fragen Halt mache und nament-
lich scharf darauf Acht habe, dass sie nicht Manches unwill-
kĂĽrlich, und ohne es ausdrĂĽcklich fĂĽr etwas absolut Selbst-
verständliches zu erklären, doch so behandle, als verstände
es sich ohne Weiteres von selbst. Die ganze &kenntniss-
theorie im modernen Sinne des Wortes ist aus einer solchen
Verschärfung des philosophischen Bewusstseins entsprungen.
Man sah immer deutlicher ein, dass das Erkennen keines-
wegs in den Bereich des absolut Selbstverständlichen gehöre,
und dass sich daher die Philosophie seine Möglichkeit zum
Probleme machen mĂĽsse. Nur besass man in den bei Weitem
meisten Fällen nicht genug Muth und Gonsequenz des Den-
kens, um das Erkennen in seinem vollen Umfange, d.h.
soweit es irgend auf AllgemeingĂĽltigkeit und auf ein Fest-
stellen von Regeln, Gesetzen, causalen Beziehungen u, dg).
Anspruch erhebt, als etwas Fragliches hinzustellen.
Werm man sich auf solche Weise das Erkeimen in sei-
nem vollen Umfange und aus dem Grunde, weil ihm die
Selbstverständlichkeit oder Unbezweifelbarkeit mangelt, zum
Probleme macht, so kann es nicht zweifelhaft sein, welche
Stelle der Erkermtnisstheorie als der sich mit diesem Pro-
bleme befassenden Wissenschaft im Organismus der Wissen-
schaften gebĂĽhre. Die Erkenntnisstheorie hat allen anderen
Wissenschaften voranzugehen; sie darf sich in keiner Weise
Sätze aus anderen Wissenschaften zur Grundlage geben; sie
hat in ihren grundlegenden Erörterungen alle anderen Wis-
senschaften als nicht vorhanden anzusehen; sie ist die im
strengsten Sinne voraussetzungslose Wissenschaft. Wer
das Erkennen dieses oder jenes Gebietes, ohne zuerst
unser Problem erledigt zu haben, ohne Weiteres ver-
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntuisstheorie. 517
sucht und ausĂĽbt, der kann wohl an irgend einer Stelle sei-
ner Erkenntnissunternehmungen, etwa irgendwo in der Psy-
chologie oder Logik oder Metaphysik, auch den Fragen, in-
wieweit ein Erkennen möglich sei, worin es seine Bedin-
gungen und Schranken habe u. dgl., eine eingehende Beant-
wortung widmen. Und es wird dies, ohne Frage fĂĽr den
lĂĽckenlosen Ausbau und die Befestigung seines Standpunktes
nĂĽtzlich sein; ja es kann sich aus einer solchen, auf Grund-
lage mannigfacher Erkenntnissresultate aufgebauten, also dog-
matischen Erkenntnisstheorie als weiterer Gewinn die werth-
volle Einsicht ergeben, dass in einer Welt, die so eingerichtet
ist, wie es die vorangegangenen Wissenssätze ausdrücklich
oder implicite festgesetzt haben, ein Erkennen von gewissem
Charakter in der That möglich oder gar nothwendig sei.
Allein ganz unausgemacht bleibt es, ob ein solches Erkennen
überhaupt möglich sei. Denn worauf beruht für eine
solche dogmatische Erkenntnisstheorie die Erkenntniss, dass
die Wirklichkeit jene vorausgesetzte Beschaffenheit habe, aus
der sich ein gewisses Erkennen als möglich oder nothwendig
ergibt? Offenbar doch selbst schon auf der Voraussetzung,
dass diesem in bestimmter Weise gearteten Erkennen GĂĽltig-
keit zukomme. Wie will ich aber ein Object rechtfertigen,
wenn sämmtliche oder auch nur einige Sätze, auf Grund
deren diese Rechtfertigung geschieht, selbst schon ihre GĂĽltig-
keit nur der Voraussetzung, dass dies Object bereits gerecht-
fertigt da stehe, verdanken? Eine Erkenntnisstheorie also, die
logische, psychologische, metaphysische Annahmen voraussetzt,
wĂĽrde gerade das BedĂĽrfniss unbefriedigt lassen, das uns ziu*
Forderung einer Erkenntnisstheorie imwiderstehlich hintrieb.
Wir wollten, weil dem Erkennen die absolute Unbezweifel-
barkeit mangelt, uns darĂĽber Rechenschaft geben, ob und in-
wieweit ein Erkennen überhaupt möglich sei; wir wollten
verhindern, dass das Erkennen auf gut GlĂĽck gewagt werde
und ihm das principielle Bewusstsein ĂĽber seine letzten Kri-
terien, ĂĽber seinen Umfang und seine Grenzen und Grade
fehle; wir wollten die Gefahr beseitigen, die allen Wissen-
schaften von dem Einwurfe droht, dass vielleicht alles Wissen
nichts sei, als eine in sich zusammenstimmende Fiction, als
518 J. Voikelt: Die Aufgabe u. s. vv. der Erkenntnisstheorie.
eine bedeutungslose Seifenblase, ein individuelles Product,
das, wie Riechen und Schmecken, neben allen etwa vorhan-
denen ähnlichen individuellen Producten unvergleichbar und
verbindungslos dastehe. Gerade zu einem solchen Ziele kann
aber jene dogmatische Erkenntnisstheorie nimmermehr fĂĽhren.
Mache ich mir das Erkennen nicht vor allem wirklichen Er-
kennen, sondern erst im weiteren Verlaufe desselben zum
Probleme, so schweben nach wie vor alle Wissenschaften in
der Luft, indem ihr Bestand an einer Voraussetzung hängt,
die wie etwas Selbstverständliches angenommen wird, allein
dies nimmermehr ist.
Ich will hier die Aufgabe der Erkenntnisstheorie nicht
zergliedern, sondern nur den allerwichtigsten Theil derselben
hervorheben. Wer sich über die Möglichkeit des Erkennens,
ĂĽber seine allgemeinsten Leistungsweisen und ihre Schranken
und Grade klar werden will, wird sich vor Allem darĂĽber
Rechenschaft zu geben haben, worin die letzten, primitivsten
Principien des Erkennens bestehen, d. h. diejenigen Principien,
die nicht selbst schon auf der Voraussetzung eines Erkennens
beruhen und sich daher nicht weiter zerlegen, zurĂĽckfĂĽhren
und begrĂĽnden lassen. Wenn irgendwo in der Philosophie,
so herrscht in dieser Frage die allergrösste Verwirrung. So
begnügt man sich sehr häufig und sogar in erkenntnisstheo-
retischen Untersuchungen mit dem Ausdrucke, dass in der
Uebereinstimmung mit der Erfahrung das Kriterium des
Erkennens liege. Worauf es vor Allem ankäme, dies wäre
eine scharfe Abgrenzung dessen, was wirklich erfahren wer-
den kann, gegen alles dasjenige, was, wiewohl an sich
absolut unerfahrbar, doch als Ergänzung, Zusammen-
fĂĽgung und WeiterfĂĽhrung der durch die Erfahrung gegebenen
BruchstĂĽcke der Erscheinungswelt unwillkĂĽrlich zu der Erfah-
rung selbst hinzugeschlagen zu werden pflegt. Und docli
wird diese Aufgabe meistentheils kaum gestellt, geschweige
denn gelöst, sondern es wird mit dem uncontrolirten, tausend-
fache ĂĽnerfahrbarkeiten stillschweigend in sich bergenden Aus-
drucke „Erfahrung" sorglos und unter dem Ansprüche auf
grosse Exactheit weiter operirt. Damit hängt zusammen,
dass man sich mit dem dunkeln GefĂĽhle begnĂĽgt, es werde
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 519
wohl, wenn man sich nicht allzuweit ĂĽber die unmittelbare
Erfahrung hinauswage, diese Erfahrung selbst eine sichere
Gontrole fĂĽr solche Ueberschreitungen ihrer selbst abgeben.
Als ob es nicht ein ganz unkritisches, vermischendes Ver-
fahren wäre, in den puren Thatsachen der Erfahrung
GrĂĽnde dafĂĽr zu sehen, dass es sich jenseits der Erfah-
rungsgrenze, wenn auch in der nächsten Nähe derselben,
ebenso verhalten werde!
Einen ganz ähnlichen Mangel an scharfen Untersuchungen
und Begrenzungen findet ein kritisches Auge fast ĂĽberall da,
wo die unbezweifelbare Selbstgewissheit des Vorstel-
len s als Kriterium des Erkennens in den Vordergrund gestellt
wird. Kaum ist dieses Kriterium ausgesprochen, so hat es
sich auch schon in etwas ganz anderes verwandelt: das
Sichselbstgegenwärtigsein der Vorstellungen erhebt sich un-
willkĂĽrlich allenthalben zu dem AnsprĂĽche, dass die Vorstel-
lungen ĂĽber ihre unmittelbare Gegenwart im Bewusstsein
hinaus irgendwie Geltung haben sollen. Und nicht geringer
ist meistentheils die Unklarheit dort, wo der gesunde Verstand,
das klare und deutliche Vorstellen, die reine Vernunft, die
Bearbeitung der Begriffe, die innere Uebereinstimmung der
Erkenntnissresultate oder etwa ein gewisses unmittelbares Ge-
fĂĽhl fĂĽr das Abgeschmackte und Verkehrte u. dgl. als Erkennt-
nissprincipien entweder stillschweigend vorausgesetzt oder aus-
drücklich genannt werden. Alle diese Massstäbe der Erkennt-
niss sind sowohl eng mit einander verwandt, als auch wieder
vielfach von einander verschieden, und doch wird bald der
eine, bald der andere — und zwar oft bei demselben Denker
— als wahrhaftes Erkenntnissprincip proclamirt oder noch
öfters stillschweigend und beiläufig vorausgesetzt. Ausserdem
sind die genannten Mittel der Erkenntniss nicht letzte, ein-
fache, jede weitere BegrĂĽndung und ZurĂĽckfĂĽhrung verbietende
Erkenntnissprincipien, wiewohl sie zu solchen in engerer oder
fernerer Beziehung stehen. Auf die Frage, woher ihnen denn
das Ansehen von Quellen und PrĂĽfsteinen der objectiven Er-
kenntniss komme, weisen sie uns sämmtlich nach rückwärts
auf einfachere Principien hin.
Dies Alles muss dringend dazu auffordera, der Frage
520 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie.
scharf ins Gesicht zu sehen, auf welche einfachste, nicht weiter
zerlegbare und zurĂĽctfĂĽhrbare Principien wir unser Vertrauen
auf die Erreichbarkeit einer wenigstens relativen V^ahrheit
grĂĽnden. Der entscheidende Grund jedoch, die Beantwortung
dieser Frage als eine höchst wichtige Angelegenheit in der
Philosophie zu behandeln, liegt darin, dass es sich nur durch
die Beantwortung derselben erreichen lässt, das Problem der
Möglichkeit der Erkenntniss, diese Gardinalfrage der Erkennt-
nisstheorie, einer gründlichen Lösung entgegenzuführen. Wie
soll darĂĽber entschieden werden, ob und inwieweit das Er-
kennen zu den berechtigten AnsprĂĽchen des menschlichen
Geistes gehöre, wenn die Frage vernachlässigt wird, wie die
einfachsten Principien heissen, auf deren Grundlage wir das
Erkennen aufbauen? Ich muss wissen, welchen Charakter
die letzten einfachen Potenzen besitzen, durch welche, ohne
dass sie selbst schon ein Erkennen voraussetzen, unsere Vor-
stellungen sich zum Werthe des Erkennens erheben ; ich muss
wissen, welche Leistungsfähigkeit den letzten Wurzeto und
Quellen zukommt, aus denen ich ĂĽberhaupt das Bewusstsein
schöpfe, ein Erkennen zu besitzen und dazu berechtigt zu
sein. Und es muss möglich sein, diese letzten Principien an-
zugeben. Denn es handelt sich dabei um etwas, was durch-
aus im Lichte des Bewusstseins vorgeht. Ich soll nicht etwa
die metaphysischen oder psychologischen Factoren angeben,
aus denen das Erkennen entspringt. Dies hat in der Meta-
physik und Psychologie zu geschehen, wo, wie so viele andere
Thatsachen, so auch das Erkennen unter Voraussetzung der
mannichfachen vorangegangenen Erkenntnissresultate in seinen
Bedingungen und Ursachen zu untersuchen sein wird. Hier
dagegen richtet sich die Frage auf die Principien, die ich,
indem mein Bewusstsein Erkenntniss hervorzubringen sich
anschickt, in bewusster Weise zum Kriterium alles &kennens
mache, also auf etwas, was sich vor dem nach innen gewen-
deten Blicke in keiner Weise verbergen kann.
Wir fanden vorhin den principiellen sachlichen Grund
für die Aufstellung einer sich mit der Möglichkeit des Erken-
nens beschäftigenden Wissenschaft in dem Umstände, dass
dem Erkennen die absolute Selbstverständlichkeit mangelt
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 521
Allein selbst wenn man sich diesem prineipiellen Grunde als
einer blossen Spitzfindigkeit verschliessen wollte, so liegen
doch so viele und so dringende historische, der geschicht-
lichen Entwickelung des Wissens zu entnehmende GrĂĽnde fĂĽr
die Nothwendigkeit einer Erkenntnisstheorie in unserem Sinne
vor, dass nur eingewurzeltes Vorurtheil sich gegen diese Noth-
wendigkeit sträuben kann. Ich habe ganz allgemein bekannte
und auf der Oberfläche liegende Thatsachen vor Augen, die
man jedoch viel zu wenig beherzigt: die trotz des grĂĽnd-
lichsten, angestrengtesten und gewissenhaftesten Denkens un-
vermeidlichen, zahlreichen prineipiellen Meinungsunterschiede
auf allen Gebieten des Wissens, den rastlosen Wechsel in
dem, was mit fortschreitender Zeit selbst den strengsten,
freiesten Denkern fĂĽr ausgemacht und bleibend gilt, die Un-
möglichkeit, sich selbst beim besten, entgegenkommendsten
Willen von so Vielem, wenn nicht von dem Meisten, was wir
bei ernsten, fähigen Forschern als bewiesen hingestellt finden,
zu ĂĽberzeugen. Sieht man von dem Constatiren des That-
sächlichen ab, wiewohl auch hierin Unsicherheit und Wechsel
der Ansichten in Menge anzutrefifen ist, so gibt es sicherlich
unter dem, was Jeder von seinem Standpunkte als ausgemacht
ansieht, nur äusserst Weniges, was nicht allen Ernstes und
von ganz vernünftigen Denkern bezweifelt worden wäre; wie
sich andererseits — mit einiger Uebertreibung ausgedrückt —
kaum etwas so absurd Scheinendes findet, dass es nicht von
Denkern, denen man sonst Urtheil, Schärfe und Tiefe nicht
absprechen kann, ernstlich als höchste Weisheit gepriesen
worden wäre. Angesichts eines solchen Widerstreites der
Resultate des Erkennens, angesichts dieser Unsicherheit lind
Vergänglichkeit derselben muss man sich doch wohl fragen,
wie sich einst Locke, als er seine disputirenden Freunde der
Lösung der Zweifel nicht näher kommen sah, gefragt hat:
ob das Erkennen nicht am Ende gar ĂĽberhaupt auf einem
eingebildeten AnsprĂĽche beruhe, und ob es daher nicht ge-
boten sei, sich vor allem facĂĽschen Erkennen die Frage nach
der Möglichkeit desselben vorzulegen. Und noch dringender
erscheint diese Frage, wenn man bedenkt, dass in der Sophi-
stik und Skepsis des griechischen Alterthums in der That die
52!2 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenninisstheorie.
radicale Verneinung der Möglichkeit jedweder Erkenntniss
eine gewichtvollo, imponirende historische Wirklichkeit erhal-
ten hat.
Stände mir mehr Raum zu Gebote, so würde ich hier
auf eine nähere Vergleichung der beiden Erkenntnisstheorien,
welche Locke, der BegrĂĽnder dieser Wissenschaft in England,
und Kant, ihr BegrĂĽnder in Deutschland, geschaffen haben,
mit Beziehung auf die Fassung der Hauptfrage eingehen.
Hier will ich nur erwähnen, dass Locke in dieser Beziehung
einen gewissen Vorzug vor Kant hat. Ei* fordert mit der-
selben Schärfe wie Kant, dass man vor allen anderen Unter-
suchungen die Fähigkeiten des Verstandes prüfen, die Grenzen
des Erkennens ermitteln, den Maassstab fĂĽr die Gewissheit
unseres Erkennens finden und das Erkennbare vom Nichl-
erkennbaren scheiden solle. Dabei jedoch schränkt er diese
Frage nach der Möglichkeit des Erkennens nicht, wie Kant,
auf das aus der reinen Vernunft entspringende, d. h. im
strengsten Sinne nothwendige und allgemeine Erkennen ein,
sondern sie gilt ihm, wie seine späteren Ausführungen dar-
thun, ebenso sehr für das wahrscheinliche, zu bloss „com-
parativer Allgemeinheit" fĂĽhrende empirische Wissen. Und
ferner geht er nicht, wie Kant, von der ausdrĂĽcklichen Vor-
aussetzung aus, dass es thatsächlich ein allgemeines und noth-
wendiges Wissen gebe ^). Diese von Kant nie ausdrĂĽcklich
in PrĂĽfung gezogene Voraussetzung ist mit dem, was wir
von jede;r wahren Erkenntnisstheorie fordern mĂĽssen, derart
in Widerspruch, dass man sich ernstlich die Frage vorlegen
muss, ob seine „Kritik der reinen Vernunft" als kritische Er-
kenntnisstheorie in unserem Sume gelten dĂĽrfe. Ist nun auch
diese Frage aus GrĂĽnden, die ich hier nicht auseinandersetzen
kann, mit Ja zu beantworten, so ist doch durch jene dog-
matische Voraussetzung die kritische Haltung der Kantischen
Erkenntnisstheorie in durchgreifender Weise gestört. Mögen
nun auch bei Locke im Laufe der Darstellung sich alle mög-
1) In meinem Buche i^ber Kant's Erkenntnisstheorie (Leipzig 1879,
S. 193 ff.) findet man ausfflhriich nachgewiesen, dass Kant in der That
diese Voraussetzung ĂĽberall an die Spitze stellt.
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 523
liehen ungeprĂĽften Voraussetzungen einschleichen und zum
grossen Theile psychologische Untersuchungen an die Stelle
der erkenntnisstheoretischen treten, so lastet doch auf seinen
Entwickelungen nicht das eingehende, starre Dogma, dass an
der thatsächlichen Existenz und Geltung eines allgemeinen
und nothwendigen (und noch dazu als recht umfassend ge-
dachten) Wissens ein fĂĽr alle Mal nicht gezweifelt werden
dĂĽrfe. Er will ĂĽberhaupt die Gewissheit des menschlichen
Wissens untersuchen, einen Maassstab fĂĽr sie auffinden und
so sehen, „ob es überhaupt so etwas in Wahrheit gebe, und
ob die Menschheit die genĂĽgenden Mittel zur Erlangung einer
sicheren Kenntniss derselben besitze" (An essay concerning
human understandifig I, 1, § 2).
Diese freiere, weitere Fassung der Aufgabe erleichtert es
dann auch Locke, auf die Frage nach den letzten, nicht
weiter ableitbaren Principien und Quellen des Wissens ein-
zugehen, den Erkenntnisswerth derselben genau zu bestimmen
und demgemäss den Bereich des Erkennens zu ordnen und
den verschiedenen Weisen und Zweigen des Erkennens ihre
berechtigten AnsprĂĽche und eigenthĂĽmlichen Schranken zu-
zuweisen. Ohne Frage ist das vierte Buch seines Essay, wie-
wohl man es gegen die beiden ersten BĂĽcher meist in den
Hintergrund zu stellen pflegt, in erkenntnisstheoretischer Be-
ziehung das unvergleichlich wichtigste. In diesem Buche nun
eben findet man in eingehendster Weise diese echt erkennt-
nisstheoretischen Untersuchungen ĂĽber die Principien, Grade
und Grenzen der Gewissheit gefĂĽhrt, wenn auch Eintheilung
und Fortschritt derselben sich nicht unmittelbar aus diesen
principiellen Gesichtspunkten ergeben und das vierte Buch
dem ersten Blick ein ziemlich zerstreutes Vielerlei darbietet.
Auch m dieser Beziehung ist der klare, wiewohl oft ziemlich
oberflächliche Engländer dem weit tiefer dringenden, aber im
Auseinandernehmen der Fragen weniger beweglichen Deut-
schen voraus. Nirgends bei Kant richtet sich die Erörterung
ausdrĂĽcklich darauf, die letzten Principien der Gewissheit zu
ordnen, gegen einander abzugrenzen, ihre Leistungsfähigkeit
zu bestimmen u. dgl. Ueberall wirken in seinem Denken die ,
letzten Erkenntnissprincipien in Form von mehr oder weniger
524 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie.
dunkel bewussten Triebfedern. Man denke nur z. B. daran,
dass er sich die Frage, welches berechtigte Erkenntnissprincip
ihm ermögliche, zu den zahlreichen Bestimmungen des Dinges
an sich zu kommen, nirgends auch nur vorlegt, trotzdem es
sich hier doch um Behauptungen handelt, die in ein Gebiet
hinĂĽbergreifen, das in Folge gewisser von ihm in den Vorder-
grund gestellter Principien dem Erkennen absolut verschlossen
bleiben mĂĽsste, und die daher ganz besonders der erkennl-
nisstheoretischen Rechtfertigung bedĂĽrften.
IL
Mit so unabweisbarer Nothwendigkeit sich uns auch die
Forderung einer voraussetzungslosen Erkenntnisstheorie auf-
gedrängt hat, so dürfen wir uns doch nicht verhehlen, dass
in dieser Forderung eine principielle Schwierigkeit von grösster
Tragweite enthalten ist. Es lässt sich diese Schwierigkeit in
der Form eines scheinbar unauflöslichen Widerspruches dar-
stellen, der die ganze Erkenntnisstheorie im allerersten Keime
zu vernichten droht. Die Erkenntnisstheorie soll die Frage
nach der Möglichkeit des Erkennens in einer nicht selbst
schon das Factum des Erkennens voraussetzenden Weise be-
antworten. Dies eben scheint ganz unmöglich zu sein. Der
Erkenntnisstheoretiker muss schon bei seinem ersten Schritte
ein Erkennen ausüben; die Sätze, mit denen er seine Unter-
suchungen beginnt, hätten keinen Sinn, wenn sie nicht mit
dem Ansprüche aufträten, als Erkennen zu gelten. Er hat
also da, wo er die Frage nach der Möglichkeit des Erkennens
eben erst untersuchen soll, den festen Glauben, dass sich ein
solches gewinnen lasse, und ĂĽbt, zum Mindesten bei den
ersten Schritten, die er thut, auf Grund dieses völlig unge-
prĂĽften Glaubens faktisch ein Erkennen aus. Damit ist aber
seinen Untersuchungen eine dogmatische Grundlage gege-
ben, und Alles, was er ĂĽber die Erreichbarkeit des Erkennens
festsetzt, ist principiell gerade so viel werth, als wenn er
dies Problem erst irgendwo in der Metaphysik oder Psycho-
logie abhandelte. Seine BemĂĽhungen sollen den Zweck haben,
zu verhindern, dass das Erkennen ohne ein sicheres und ge-
gründetes Bewusstsein über die Leistungsfähigkeit der letzten,
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 525
einfachsten Erkenntnissprincipien ausgeĂĽbt werde. Und nun
gibt er selbst seinen Untersuchungen eine Grundlage, welche
die GĂĽltigkeit gewisser Denkgesetze ĂĽber das individuelle Be-
wusstsein hinaus als etwas Selbstverständliches voraussetzt,
also ein Erkenntnissprincip, das sich durchaus nicht von selbst
versteht, ganz ungeprĂĽft aufnimmt. Es scheint sonach nichts
Anderes ĂĽbrig zu bleiben, als die Idee einer voraussetzungs-
losen Erkenntnisstheorie als eine widerspruchsvolle Forderung
fahren zu lassen und so das Erkennen entweder auf gut
GlĂĽck auszuĂĽben oder sich bei einer sich im Zirkel bewegen-
den, gerade in der Hauptsache leistungsunfahigen Erkennt-
nisstheorie zu begnĂĽgen oder gar, eben wegen des Mangels
an begrĂĽndeten Erkenntnissprincipien, zur Partei des abso-
luten Skepticismus ĂĽberzugehen.
Dieser Einwand ist schon oft gegen die kritische Erkennt-
nisstheorie erhoben worden. Am Bekanntesten ist die Art,
wie ihn Hegel vorbringt (Encyklopädie § 10 und Geschichte
der Philosophie 3. Bd. 2. Aufl. S. 504). Er erkennt an, dass
es ein grosser und wichtiger Schritt Kant's gewesen sei, das
Erkennen der Betrachtung unterworfen zu haben. Das Ver-
kehrte aber findet er darin, dass Kant verlangt habe, vor
dem Erkennen das Erkenntnissvermögen zu untersuchen. Das
Erkennen werde dabei vorgestellt wie ein Instrument, wo-
durch man sich der Wahrheit bemächtigen wolle, und das
daher, ehe man damit die Arbeit unternehme, nach seiner
Fähigkeit, den Gegenstand zu packen, untersucht werden
mĂĽsse. Sehe dies nicht so aus, als ob man nĂĽt Spiessen
und Stangen auf die Wahrheit losgehen könnte? „Ferner ist
dabei die Forderung diese : man soll das Erkenntnissvermögen
erkennen, ehe man erkennt. Wie man erkennen will, ohne
zu erkennen, vor der Wahrheit das Wahre erfassen will, ist
nicht zu sagen. Es ist die Geschichte, die vom Scholasticus
erzählt wird, der nicht eher in's Wasser gehen wollte, als
bis er schwimmen könne." Kant übe fortwährend das Er-
kennen aus und meine doch immer, erst zum Erkennen kom-
men zu müssen. „Es geht ihm wie den Juden: der Geist
geht mitten hindurch, und sie merken es nicht." — In der
That, man kann die Fundamentalschwierigkeit der kritischen
526 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie.
Erkenntnisstheorie nicht treffender und drastischer zum Aus-
druck bringen, wenn vielleicht auch Kant hierdurch nicht
ganz getroffen wird. Indessen passt der Einwurf nur darum
nicht völlig auf Kant, weil dieser nicht genügend voraus-
setzungslos, d. h. nicht genĂĽgend kritisch in seiner Erkennt-
nisstheorie verfährt *). Hegel liess sich übrigens durch jene
Schwierigkeit nur in seiner Ueberzeugung bestärken, dass das
Denken, indem es sich ohne Weiteres mit Zusammenfassung
aller seiner Energie und Innerlichkeit in AusĂĽbung bringe,
eben an den Resultaten dieses muthigen Fortschreitens seine
alldurchdringende Erkenntnissmacht beweise. Auch bei den
alten Skeptikern begegnen wir jenem Einwände, nur Hessen
sich diese, da bei ihnen nicht, wie bei Hegel, die kritische
Gewissenhaftigkeit des Verstandes durch das siegesgewisse
Pathos eines gewaltigen Denkens ĂĽberwogen wurde, durch
jenen scheinbar unĂĽberwindlichen Widerspruch zu der vom
Standpunkte jenes Widerspruchs unanfechtbaren Consequenz
forttreiben, dass, da es keine begrĂĽndeten Kriterien des Er-
kennens gebe, ĂĽberhaupt alles Erkennen durch und durch
relativer und subjectiver Natur sei^).
1) Mit HegePs Auseinandersetzung hat man sich vielfach beschäftigt:
z.B. Kuno Fischer, Geschichte der neueren Philosophie III. Bd.lAufl.
S. 24, Karl Göring, System der kritischen Philosophie 1. Bd. S. 16 ff.
u. A. Beide indessen werden Hegel nicht gerecht, weil sie ĂĽbersehen,
dass dieser seinen Einwand gegen die voraussetzuugslose Erkennt-
nisstheorie erhebt, gegen eine Art Erkenntnisstheorie also, wie die Kan-
tische zwar faktisch nicht ist, wie sie aber sein sollte, wenn sie ihre
Aufgabe vollständig erkannt hätte.
2) So fĂĽhrte schon Karneades unter den GrĂĽnden, warum es kein
sicheres Wissen gebe, auch den Gedanken an, dass dann die Möglichkeit
der BeweisfĂĽhrung erst selbst bewiesen werden mĂĽsse, dies aber eben
unmöglich sei (vergl. Zeller, Philosophie der Griechen III. Bd. 1. Theil,
3. Aufl., S. 504). Besonders aber kam der Scharfsinn der späteren Skep-
tiker darauf, der stolzen Erkenntnisssicherheit des menschlichen Gdstes
jenen Zirkel entgegenzuhalten, wie das Erkennen, wenn es, wie es doch
unabweislich gefordert sei, die PrĂĽfung und BegrĂĽndung seiner selbst vor-
nehmen woUe, doch schon immer sich selbst voraussetzen mĂĽsse. Es ge-
schah dies beiAenesidemus, Agrippa und ihren Nachfolgern besonders
in der Form, dass das Kriterium des Erkennens selbst wieder fraglich sei
und daher eines neuen Kriteriums bedĂĽrfe, von dem aber wiederum genau
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 527
Wir stehen sonach einer eigentliĂĽmlichen Sachlage gegen-
ĂĽber: einerseits haben wir als eine wissenschaftliche Noth-
*
wendigkeit erkannt, allem Erkennen eine voraussetzungslose
Untersuchung der Möglichkeit desErkennens voranzuschicken;
andererseits steht uns ebenso -unwiderleglich fest, dass jede
solche Untersuchung schon in ihren ersten Schritten, durch
welche die Möglichkeit des Erkennens doch erst geprüft und
gesichert werden soll, in nichts Anderem als in der faktischen
Ausübung des Erkennens selber bestehen könne. Wie sollen
wir uns dieser Antinomie gegenĂĽber helfen? Sollen wir mit
den alten Skeptikern auf alles Erkennen verzichten, oder
werden wir lieber den unwissenschaftlichen Entschluss fassen,
das Erkennen in dogmatischem Vertrauen auf unsere Erkennt-
nisskraft auszuĂĽben und uns gegen die Mahnungen des kri-
tischen Gewissens ein fĂĽr alle Mal taub zu stellen? In der
That, diese Alternative wäre unvermeidlich, wenn nicht ein
gewisser Umstand vorläge, den ich bis jetzt absichtlich über-
sehen habe.
Wir sagten: die Möglichkeit des Erkennens bedürfe darum
einer Untersuchung, weil dasselbe nichts absolut Selbstver-
ständliches sei, und wir meinten hiermit das Erkennen im
strengen Sinne, das Erkennen mit dem Charakter der objec-
tiven Geltung, der (sei es relativen, sei es absoluten) Allge-
daaselbe gelte; und so gehe es in's Unendliche weiter (vergl. Zeller a. a. 0.
III. Bd., 2. Theil, 2. Aufl., S. 18; 27; 30; 32). Auch als man, von der
Zeit Montaigne's angefangen, sich wieder, vor Allem in Frankreich, der
Argumente der alten Skeptiker zu erinnern begann, tauchte jener princi-
piellste Einwurf gegen die Möglichkeit des Erkennens wieder auf, wenn er
auch immer auf gleichem Fusse mit vielen anderen, weit weniger wich-
tigen Einwänden behandelt wurde. Besonders Huet in seinem Trait^ phi-
losophique de la faiblesse de Tesprit humain kommt hierauf zu sprechen.
Vor allen philosophischen Untersuchungen mĂĽsse man die unbekannte
und zweifelhafte Natur des menschlichen Verstandes feststellen; dies aber
könnte wiederum nur durch den menschlichen Verstand geschehen; wie
aber solle eine zweifelhafte Sache durch diese zweifelhafte Sache selbst
entschieden werden (a. a. 0. Amsterdam, 1723; S. 51)? Wahres und Fal-
sches sei ĂĽberall vermischt, man bedĂĽrfe daher eines Kriteriums der Wahr-
heit; die Feststellung dieses Kriteriums aber, das Fernhalten falscher Merk-
male von demselben, setze selbst schon den Besitz der Wahrheit voraus
(S. 69 ff.).
528 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie.
meinheit Allein gibt es nicht auch ein absolut selbst-
verständliches Erkennen? Falls es ein solches gäbe,
so könnte mit ihm die Erkenntnisstheorie getrost ihren An-
fang machen, ohne in jenen verbotenen Zirkel zu gerathen.
Nun lehrt uns aber der einfachste Blick auf das eigene Be-
wusstsein, dass wir nicht wenig in solch absolut selbstver-
ständlicher und daher absolut unbezweifelbarer Weise zu er-
kennen im Stande sind. Sobald ich nämlich auf das, was
in meinem eigenen Bewusstsein geschieht, meine Aufmerksam-
keit lenke, so habe ich eben damit mit vollkommener Selbst-
verständlichkeit „erkannt", dass gewisse Thatsachen in mei-
nem Bewusstsein einander folgten (oder vielleicht theilweise
zugleich stattfanden). Ich bin unzWeifelhaft im Stande, von
dem, was in meinem Bewusstsein von Augenblick zu Augen-
blick vorgeht, eine unbestimmt grosse Menge mit Aufmerk-
samkeit zu betrachten und dies so Betrachtete als ein in
meinem Bewusstsein Geschehenes auszusprechen. So erstreckt
sich also das absolut selbstverständliche Erkennen auf einen
sehr grossen Theil meiner eigenen Bewusstseinsvorgänge. Nur
der Verrückte könnte bezweifeln, ob es, wenn er eben die
Empfindung des SĂĽssen oder die Anschauung eines WĂĽrfels
hat, eine richtige Erkenntniss sei, wenn er den Satz aus-
spreche, dass in seinem Bewusstsein soeben die Empfindung
des SĂĽssen oder die Vorstellung eines WĂĽrfels vorhanden
sei. Es ist hier nicht meine Aufgabe, festzustellen, unter
welchen Bedingungen und Einschränkungen die Fähigkeit des
aufmerksamen Betrachtens der eigenen Bewusstseinszustände
entspringe, und in welcher Weise sie sich entwickele, Ueber-
haupt kommt es hier nicht darauf an, auszumachen inwie-
weit in meinem Bewusstsein etwas vorgehen könne, was sich
meiner Aufmerksamkeit zu entziehen im Stande sei. FĂĽr uns
ist das Eine wichtig, dass, sobald ich meine Bewusstseins-
vorgänge mit Aufmerksamkeit auffassen und aussprechen kann,
eine absolut unbezweifelbare Erkenntniss vorliegt. Die absofute
Unbezweifelbarkeit desErkennens gibt sich in unzweideutiger
Weise kund. Dies ist zunächst genug.
Nur unter einer Bedingung sonach lässt sich die For-
derung einer wirklich kritischen Erkenntnisstheorie erfĂĽDen:
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 539
es muss mit dem Aussprechen der sieh mit absoluter Selbst-
verständlichkeit dem Erkennen darbietenden Bewusstseinsvor-
gänge begonnen werden. Dabei ist klar^ dass der so begin-
nende Erkenntnisstheoretiker zunächst immer nur in der ersten
Person der Einzahl sprechen darf („ich finde in meinem eige-
nen Bewusstsein dies und das^^ u. dgl.). Denn wenn er sagte,
dass Alien oder den Meisten ihr Bewusstsein gewisse
Thatsachen zeige, so wĂĽrde er damit zum Mintlesten voraus-
setzen, dass es ausser der seinigen noch andere Bewusst-
seinssphären, und zwar von mehr oder weniger übereinstim-
mender Beschaffenheit, gebe; er wĂĽrde sonach einen objec-
tiven, keineswegs absolut selbstverständlichen Wissenssatz zu
Grunde legen, während doch erst die Möglichkeit alles objec-
tiven Erkennens geprĂĽft werden soll.
Soll denn also allen Ernstes die Erkenntnisstheorie in
ihrem Beginnen uns nichts Anderes geben, als ein Bild von
dem bunten, regellosen Gewoge der Bewusstseinsthatsachen,
die der jeweilige Erkenntnisstheoretiker in sich vorfindet?
Einem solchen Bezeichnen und Aufzählen des eigenen Be-
wusstseinskrames wĂĽrde aber doch, Avenn durchaus keine
allgemeinen, principiellen Sätze vorausgesetzt werden dürfen,
jedwedes richtunggebende, fördernde Ziel fehlen. Es würde
also der Erkenntnisstheorie zugemuthet werden, sich blind
und auf gut GlĂĽck in den ganz individuellen Bewusstseins-
vorgängen herumzutreiben. Wohin soll dies aber führen?
Welches Interesse kann es haben, zu erfahren, was in diesem
oder jenem einzelnen Bewusstsein von Moment zu Moment
auftaucht?
In der That wĂĽrde fĂĽr den Erkenntnisstheoretiker mit
dem Betreten des absolut selbstverständlichen Bodens nichts
gewonnen sein, wenn er sich beim Aussprechen seiner unbe-
zweifelbar vorliegenden Bewusstseinsvorgänge nicht von Ge-
sichtspunkten leiten lassen dĂĽrfte, die sich aus dem absolut
Selbstverständlichen nicht gewinnen lassen. Was uns fest-
steht, ist dies, dass die Erkenntnisstheorie zu Beginn nichts,
was sich nicht absolut von selbst verstĂĽnde, behaupten
darf. Damit ist ihr aber keineswegs verboten, sich in der
Auswahl des absolut selbstverständlichen Inhalts, den sie aus-
Philoaoph. MonaUhefle 1881, IX u. X. 34
530 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie.
sprechen und behaupten will, von irgend welchen vieĂĽeichi
sehr complicirlen, auf verwickelten Voraussetzungen beruhen-
den Principien leiten zu lassen. Mögen sich auch die leitenden
Gesichtspunkte keineswegs von selbst verstehen, so thul dies
doch der absoluten Selbstverständlichkeit der unter dieser
Leitung zu Stande gekommenen Behauptungen nicht den min-
desten Eintrag, vorausgesetzt natĂĽrlich, dass diese Behauptun-
gen nichts enthalten, als das Aufzeigen und Aussprechen eines
mit absoluter Unbezweifelbarkeit sich darbietenden Bewusst-
seinsinhaltes. Für den Charakter der absoluten Selbstverständ-
lichkeit irgend eines Erkenntnissinhaltes ist es ganz gleich-
gĂĽltig, ob ich bei der Wahl und Zusammenstellung desselben
einer närrischen Laune oder einem wohlerwogenen Principe
folge. Wenn ich constatire, dass ich eben das Bild des
blauen Himmels in meiner Anschauung hatte und • zugleich
den Druck des zu engen Rockes spĂĽrte, so hat dies an ab-
soluter Selbstverständlichkeit nichts voraus vor der Erkeniit-
niss, die ich mir vielleicht in Folge eines lange Zeit erwogenen
Princips zum Bewusstsein gebracht habe: es sei nirgends in
meinen Bewusstseinsvorgängen, sobald nichts zu ihnen hinzu-
gedacht werde, auch nur eine Spur von Gesetzmässigkeit zu
entdecken. Jene Erkenntniss ist fĂĽr die Erkenntnisstheorie
höchst gleichgültig, diese dagegen von entscheidender Wich-
tigkeit; beide jedoch sind von derselben Selbstverständlichkeit
und Unbezweifelbarkeit; denn beide enthalten nichts als ein
Aussprechen des in meinem Bewusstsein unmittelbar Vorlie-
genden. Stehen einmal die absolut selbstverständlichen Be-
hauptungen da, so ist es für sie durchaus zufällig, ob
sie aus diesen oder jenen Motiven hingestellt wurden. Die
Erkenntnisstheorie darf also ganz wohl mit allerhand metho-
dischen Erwägungen beginnen, nur muss sie dieselben aus-
schliesslich zu dem Zwecke benutzen, unter dem bereit lie-
genden absolut selbstverständlichen hihalte eine gewisse Aus-
wahl zu treffen. Ist diese Auswahl erfolgt, dann ist es ebenso,
als ob jene Erwägungen nicht vorangegangen wären.
So wird z. B. der Erkenntnisstheoretiker an seine Auf-
gabe mit dem Bewusstsein herantreten, dass es in erster
Linie darauf ankommen werde, die primitivsten, nicht weiter
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 531
ableitbaren Erkenntnissprincipien scharf auseinanderzuhalten.
Dieser methodische Gesichtspunkt wird ihn dahin brin-
gen, den Satz aufzustellen, dass das aufmerksame AuflFassen
und Aussprechen der eigenen Bewusstseinsvorgänge eo ipso
eine absolut unbezweifelbare Erkenntniss sei, dass hierin das
allererste Erkenntnissprincip liege, und dass, was sonst auch
für Erkenntnissprincipien dazu kommen mögen, durch keines
absolute Unbezweifelbarkeit geleistet werden könne. Der In-
halt dieses Satzes ist ohne Weiteres selbstverständlich, d. h.
er ergibt sich aus dem einfachen Sichbesinnen auf das, was ich
in den eigenen Bewusstseinsvorgängen erfahre; doch würde
der Erkenntnisstheoretiker nicht gerade mit ihm den Anfang
machen, wenn er nicht jenen methodischen, auf vielfachen
Voraussetzungen beruhenden Gesichtspunkt hinzubrächte.
Ein anderer Gesichtspunkt der beginnenden Erkenntniss-
theorie wird darin bestehen, dass es ĂĽberaus wichtig sei, die
Frage zu beantworten, ob es durch jenes absolut unbezweifel-
bare Erkennen zu dem Aufstellen irgend welcher Regeln, Ge-
setze, causaler Beziehungen u. dgl. kommen könne. Diese
Frage entspringt nur dann, wenn man weiss, welch eminente
Bedeutung diese Begriffe fĂĽr die Wissenschaft haben. Wie-
wohl nun dieses jene Frage hervorrufende Wissen natĂĽrlich
nicht aus meinem selbstverständlichen Bewusstseinsinhalte
herfliesst, so hat doch die Antwort, die hierauf zu ertheilen
ist, einen absolut selbstverständlichen Inhalt. Sie kann
nämlich nicht anders lauten als so, dass sich auch durch die
geschärfteste Aufmerksamkeit innerhalb des eigenen Bewusst-
seins absolut nichts von Regelmässigkeit, Gesetz, Zusammen-
hang entdecken lässt, und dass, wenn es überhaupt etwas
Derartiges geben soll, ein ĂĽber das Bewusstsein hinauslie-
gendes, absolut unerfahrbares Reich, ein Reich der Dinge an
sich, angenommen werden muss. Der Inhalt dieser Ant-
wort ist fĂĽr denjenigen, der sich nur die MĂĽhe nimmt, auf
seine eigenen Bewusstseinsvorgänge aufmerksam und unbe-
fangen zu achten und sie durch nichts Hinzugedachtes still-
schweigend zu ergänzen, gleichfalls von einer Selbstverständ-
lichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt.
Diese beiden Beispiele werden gezeigt haben, wie ich es
532 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der CrkenntniuBtheorie.
mir als möglich denke, dass der Erkemitnisstheoretiker, un-
beschadet der vollen Selbstverständlichkeit des von ihm im
Anfange seines Unternehmens behaupteten Inhalts, sich den-
noch von wohlerwogenen, keineswegs sich von selbst ver-
stehenden methodischen Gesichtspunkten leiten lasse.
Wie ich mir diese die Erkenntnisstheorie eröflfnenden Ausfüh-
rungen näher denke, kann ich hier nicht erörtern. Andeu-
tungen darĂĽber habe ich in meinem Buche ĂĽber Kant zu
geben versucht.
Noch eine Frage drängt sich hier auf. Wie wird es
denn dem Erkenntnisstheoretiker möglich, nachdem er mit
lauter absolut selbstverständlichen Sätzen glücklich den An-
fang gemacht, aus der Sphäre der absoluten Selbstverständ-
lichkeit, d. h. aus der Sphäre der eigenen Bewusstseinsvor-
gänge, herauszukommen? Dieses Bedürfniss muss sich ihm
aufdrängen, da er im Bereiche des eigenen Bewusstseins nir-
gends auch nur eine Spur von Gesetzmässigkeit zu entdecken
vermag, die Wissenschaft aber eben in dem Erkennen der
Gesetzmässigkeit besteht. Also auch hier wird der Erkenntniss-
theoretiker durch ein Motiv weitergetrieben, das nicht aus dem
Inhalte des absolut selbstverständlich Erkannten folgt. Viel-
mehr muss er von ganz anderswoher die Begriffe des Gesetzes,
der Causalität u. s.w. kennen und den Werth dieser Begriffe
wĂĽrdigen gelernt haben. Doch wird auch durch dieses Motiv
kein unerlaubter Factor in die Erkenntnisstheorie hereingetra-
gen, vorausgesetzt, dass die Behauptungen, zu denen dies
Motiv hintreibt, sich vollständig aus den vorangehenden, ab-
solut selbstverständlichen Behauptungen rechtfertigen. Der
Erdenntnisstheoretiker wird daher auch an diesem Punkte,
wo er, von jenem BedĂĽrfhisse getrieben, sich umsieht, ob er
irgendwie das Eingeschlossensein in seinen individuellen, un-
zusammenhängenden Bewusstseinsvorgängen durchbrechen und
zu einer allgemeingĂĽltigen, sich auf causalen Zusammenhang
beziehenden Erkenntniss konunen könne, nichts Anderes thun
dĂĽrfen, als Umschau halten unter seinen sich ihm
mit voller Unbezweifelbarkeit darbietenden Be-
wusstseinserscheinungen. Es wäre ein verkehrtes Ver-
fahren, von irgend welchen Gesichtspunkten aus im Voraus
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 533
ZU bestimmen, welche BeschalBfenhelt denjenigen Bewusstseins-
acten zukommen mĂĽsse, die im Stande sein sollen, uns ein
Erkennen von dem transsubjectiven Gebiete zu ermöglichen,
und nun dann gemäss dieser vorher entworfenen
Bestimmung zu entscheiden, ob diesen oder jenen Arten
von Vorstellungen transsubjective Geltung zuzusprechen sei.
Vielmehr wird man sich mit voller Unbefangenheit dem Laufe
der eigenen Vorstellungen einfach hinzugeben und nun zuzu-
sehen haben, ob uns durch das eigene innere Erfahren
und Erleben in irgend einer Art von Vorstellungen ein
Mehreres verbĂĽrgt werde, als bloss die individuell - subjec-
live Existenz dieser Vorstellungen, und mit welcher Art von
Zwang nnd mit welchem Grade von Gewissheit sich unserer
unmittelbaren Erfahrung dies Plus, dies transsubjective Gelten,
kund thut. Meiner ĂĽeberzeugung nach werden sich bei dieser
Umschau dem Erkenntnisstheoretiker vor Allem diejenigen
Vorstellungen aufdrängen, die jene eigenthümliche sachliche
Nothwendigkeit mit sich fĂĽhren, die man als logische Noth-
wendigkeit zu bezeichnen pflegt. Der logische Charakter der
Vorstellungen wird sich mit unwiderstehlicher, unmittelbarer
Gewalt als dasjenige Expediens erweisen, das uns in erster
Linie und mit relativ grösster Sicherheit über die individuelle
Bewusstseinssphäre hinausgreifen lässt.
Es ist hier nicht meine Aufgabe, darzuthun, welche Leistungs-
fähigkeit dem logischen, begrifflichen Denken, diesem objec-
tiven Erkenntnissprincipe, zukomme, und welchen Einfluss die
individualistisch - suljjective Herkunft dieses Princips auf die
Ansicht von der Bedeutung desselben haben mĂĽsse. Hier
kommt es mir nur darauf an, zweierlei hervorzuheben.
Erstlich ist aus allem Vorangegangenen klar, dass, wenn
es ĂĽberhaupt ein Princip objectiver, ĂĽber das Einzelbewusst-
sein hinausfĂĽhrender Erkenntniss oder mehrere solcher Prin-
cipien gibt, dieselben sich in keiner Weise, weder aus Erfah-
rung noch sonst woher, beweisen lassen, sondern dass sie
ihren Ursprung einzig und allein in dem haben mĂĽssen, was
das Einzelbewusstsein mit absoluter Selbstverständlichkeit und
Unbezweifelbarkeit unmittelbar in sich erfährt. Es müssen
sich also, wenn es ein objectives Erkennen geben soll, unter
534 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie.
meinen bewussten und daher mit vollkommener Unbezweifel-
barkeit zu erkennenden Vorstellungen auch solche finden, die
zu mir sprechen : du musst uns ansehen als Stimme aus dem
Reiche des Transsubjectiven , als eine nicht allein fĂĽr dein
Bewusstsein massgebende, sondern objectiv geltende Macht!
Und der Erkenntnisstheoretiker kann nichts Anderes thun,
als einfach aussprechen und verkĂĽnden, was er bei dem
Haben dieser Vorstellungen innerlich erfahrt, und die Anderen
auffordern, in sich zu gehen und dieselbe Erfahrung nachzu-
' erleben. VerfĂĽhre er anders, so wĂĽrde er nicht mehr voraus-
setzungslos vorgehen, sondern das, was Erkenntnissprincip,
Kriterium der Wahrheit sein soll, auf ein uncontrolirtes, ohne
Kriterium zu Stande gekommenes Erkennen grĂĽnden. Es ist
nun weiter klai*, dass die objectiven Erkenntnissprincipien,
eben weil sie sich mir lediglich in der Form der unmittel-
baren Erfahrung des Bewusstseins , d. d. in der Form des
absolut Selbstverständlichen kundthun können, keine unbe-
zweifelbare Gewissheit zu gewähren im Stande sind. Was
ich auf Grund dieser Principien erkenne, beruht sonach aller-
dings auf einem objectiven Gelten gewisser Vorstellungen;
allein dies objective Gelten wieder findet doch nur darum
Statt, weil ich mich entschlossen habe, dem unwider-
stehlichen, sich unmittelbar als sachlich bezeugenden Zwange,
der mit gewissen Vorstellungen verknĂĽpft ist, Glauben zu
schenken. Das objective Gelten kann sich nie von dem sub-
jectivistischen Boden losreissen und daher auch nie völlige
Gewissheit, sondern nur besten Falls hojje Wahrscheinlichkeil
geben.
Zweitens will ich hier darauf hinweisen, dass sich die
Erkenntnisstheorie von dem Augenblicke an, wo sie ein ob-
jectives Erkenntnissprincip anzuerkennen sich gedrungen sieht,
weit freier bewegen kann. Jetzt hat sie sich nicht mehr
ängstlich vor dem Ueberschreiten des absolut Selbstverständ-
lichen zu hĂĽten, sie ist jetzt nicht mehr an das blosse Aus-
sprechen dessen, was das Einzelbewusstsein unmittelbar in
sich erfahrt, gebunden, sondern sie darf nun die Principien
der objectiven Erkenntniss, soweit sie sich durch ihre eigene,
unmittelbar erfahrbare Stimme als unwiderstehlich erwiesen
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 535
haben, getrost anwenden und sich durch ihre Anwendung
auf ihrem Wege weiter bestimmen lassen. Ja, es wird so-
gar möglich sein, nachdem ein objectives Erkenntnissprincip
im Allgemeinen festgestellt und so ein nicht mehr rĂĽck-
gängig zu machendes Mittel der Weiterbeförderung gewonnen
ist, die besonderen Fragen, die sich an dieses Princip
knĂĽpfen (also z. B. die Fragen nach seinen Bedingungen,
nach der in ihm implicite mitgesetzten objectiven Beschaffen-
heit des Weltzusammenhanges u. dgl.) vermittelst des in
seiner Allgemeinheit schon feststehenden Princips
zu beantworten. Doch dies kann erst an den betreffenden
Stellen im V^erlaufe der erkenntnisstlieoretischen Darstellung
deutlich werden.
III.
Ich verhehle mir nicht, dass den Meisten die voranste-
henden Erörterungen als zu breit, wenn nicht gar als über-
flĂĽssig erscheinen werden. Indessen meine ich, dass man es
mit der Frage nach den primitiven Grundlagen unseres Er-
kennens nicht ernst genug nehmen könne. Mit der so oft
gehörten Forderung, dass sich die Erkenntnisstheorie von
allen metaphysischen Voraussetzungen befreien und an die
Spitze der Philosophie treten mĂĽsse, ist es nicht gethan; sie
muss sich zugleich alle Gonsequenzen ihres Anspruches auf
die Stellung einer Fundamentaldisciplin klar machen und sich
daher von allen Voraussetzungen, auch von denen des ge-
sunden Verstandes und des wissenschaftlichen Denkens ĂĽber-
haupt, frei halten. So lange sie dies nicht thut, wird sie
ĂĽber den Umfang des Erkennens, die Grade der Gewissheit
u. s. w. im Dunkeln tappen und in Bezug auf die Methoden
der Erkenntniss in die verschiedensten Ueber- und ĂĽnter-
schätzungen hineingerathen. Eben darum nun, weil diese hoch-
wichtige Forderung der Voraussetzungslosigkeit der Erkennt-
nisstheorie noch lange nicht genĂĽgend scharf und ernst ge-
nommen wird, hielt ich es nicht fĂĽr ĂĽberflĂĽssig, die Noth-
wendigkeit des Preisgebens aller Voraussetzungen, die damit
verknĂĽpfte Fundamentalschwierigkeit und die aus der Ueber-
windung derselben hci-vorgehende eigenthĂĽmliche Beschaffen-
536 J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnissiheorie.
heit der Erkenntnisstheorie mit aller Schärfe und unzweideu-
tigen Genauigkeit, deren ich fähig war, zu behandeln. In dem
Nachdruck aber, mit dem ich meine Ansichten hinstellte, war
ich darum eher etwas zu verschwenderisch, als zu sparsam,
weil ich gerne den einen oder den anderen der Denker, die
jetzt auf dem erkenntnisstheoretischen Gebiete arbeiten, ver-
anlassen möchte, den von mir hervorgehobenen Punkten ein-
gehende Aufmerksamkeit zuzuwenden und in ruhig sachliche
Discussion mit mh* hierĂĽber zu treten.
Schliesslich will ich beispielsweise auf einige der neue-
sten Ansichten ĂĽber Stellung und Aufgabe der Erkenntniss-
theorie hinweisen, um so zu zeigen, wie sehr die neuesten
erkenntnisstheoretischen Bestrebungen, trotzdem sie in vielen
Beziehungen sich nach dem Ziele der Voraussetzungslosigkeil
hin bewegen, mir doch noch vielfach auf halbem Wege stehen
zu bleiben scheinen.
So verlangt Carl Göring, dass die Erkenntnisstheorie
an die Spitze des philosophischen Systems zu stellen und so
zur philosophischen Propädeutik zu erheben sei. Und er
stellt diese Forderung, weil er ganz richtig einsieht, dass die
Philosophie zuerst die Aufgabe habe, zu entscheiden, welche
Vorstellungen und wieviel an ihnen als mit dem Gedanken
des Seins verknĂĽpft, d. h. als durch existirende Gegenstande
verursacht, angesehen werden mĂĽsse. Andererseits jedoch
hält er es in jeder Beziehung für unmöglich, die Erkenntniss-
weise der Philosophie vor dem Eintritt in dieselbe zu recht-
fertigen; das einzige Kriterium fĂĽr die Richtigkeit einer Me-
thode sei, dass durch sie eine Wissenschaft geschaffen wor-
den ist. So könne auch die Philosophie die Weise ihres
Erkennens einzig dadurch in ihrer GĂĽltigkeit darthun, dass
sie auf ihren eigenen erfolgreichen Bestand, auf die durch
sie faktisch zu Stande gekommenen Erkenntnisse hinweise.
Mit den ĂĽbrigen Wissenschaften verhalte es sich anders. Sie
haben „nachweislich viele genügend bewährte Erkenntnisse
aufzuweisen" ; eben darum mĂĽsse ihnen der Philosoph schon
beim Eintritt in die Philosophie, also auch da, wo er die
Erkenntnisstheorie beginne, „ohne nähere Prüfung Glauben
schenken" (System der kritischen Philosophie, I. Bd., S. 12 f.,
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 537
24 f., 32 ff.)- Göring meint, dass die Resultate des Erkennens
einfach schon durch ihr faktisches Vorhandensein die GĂĽltig-
keit der Principien und Weisen der Erkenntniss, durch welche
sie gewonnen wurden, zu bezeugen im Stande sind. Allein
wodurch garantiren uns denn die Resultate der wissenschaft-
lichen Erkenntniss, die diese bezeugende Kraft nach rückwärts
ausĂĽben sollen, ihre objective GĂĽltigkeit? Da wir der Wahr-
heit nicht in's unverschleierte Antlitz schauen können, so sind
es selbst wieder nur gewisse Principien, Weisen, Me-
thoden der Erkenntniss (z. B. das Princip eines gewissen
Werthes der inductiven Methode oder des logischen Denkens
u. dgl.), unter deren stillschweigender Voraussetzung jenen
Resultaten objective Gültigkeit zugesprochen wird. Göring
inuss daher consequenter Weise diese Erkenntnissprincipien
für absolut selbstverständlich halten, was ^ie aber nach un-
serer frĂĽheren Darlegung durchaus nicht sind. Ausserdem
fragt es sich dann, wozu er es noch nöthig findet, die Prin-
cipien der Erkenntniss rückwärts durch die Resultate bestä-
tigen zu lassen, und wie die Erkenntnisstheorie, wenn sie sich
doch mit den Principien, Weisen und Methoden der Erkennt-
niss nicht beschäftigen dürfe, es anfangen solle, die ihr von
Göring zur Lösung gegebene Grundfrage, inwieweit sich
die objective GĂĽltigkeit der Vorstellungen erstrecke, zu be-
antworten.
Benno Erdmann stellt in seinem beachtenswerthen
Aufsatze über „die Gliederung der Wissenschaften" (Viertel-
jahrsschrift fĂĽr wissenschaftliche Philosophie, IL Jahrg., 1 . Heft,
S. 72 ff.) die Erkenntnisstheorie zwar nicht an die Spitze der
Wissenschaften, doch aber will er sie von allen metaphysi-
schen Voraussetzungen frei gehallen wissen. Alle ĂĽbrigen
Wissenschaften haben es mit dem Erkenntniss in halte unserer
Vorstellungen zu thun, nur die Lehre vom Erkennen (Erkennt-
nisstheorie und Logik) mit dem Erkenntniss w e r t h e derselben.
Die Wissenschaft hat zu ermitteln, welches Recht der psy-
chische Vorgang des Erkennens zu dem AnsprĂĽche auf Gel-
tung habe. Im Besonderen hat die Erkenntnisstheorie „das
Verhältniss des Dinges zu unserem eigenen Erkennen", „die
Gesetze, welche die Beziehungen des Erkennens zu den Din-
538 J. Volkelt: Die Aufgabe u» s. w. der Erkennlnisstheorie.
gen regeln", zu erörtern. Soweit werden wir vollkommen
beistimmen dĂĽrfen. Andererseits jedoch stellt Erdmann die
Sache so dar, als ob die Erkenntnisstheorie, wie jede andere
Wissenschaft, gewisse thatsäch liehe Beziehungen vor sich
liegen und nun zu untersuchen hätte. Nur bestehe hier das
thatsächlich Vorliegende in den mit dem Ansprüche auf
Geltung auftretenden psychischen Vorgängen des Denkens,
näher in den unserem Denken zur inhaltlichen Voraussetzung
dienenden, in jedem Urtheile jeder Wissenschaft enthymema-
tisch enthaltenen Prämissen. Nur dadurch werden die Ge-
setze des Erkennens normativ, dass sie thatsächlich
sind (vgl. besonders S. 96 ff.; 102). Ich weiss in der Thai
nicht, wie Erdmann's Erkenntnisstheorie ĂĽber eine Psycho-
logie der Denkfunctionen hinauskommen solle. Wenn ich die
„Gruppe thatsächlicher Beziehungen unseres Vorstellens", die
man Erkemien nennt, in derselben Weise untersuche, wie
dies die anderen Wissenschaften mit ihren empirisch vorlie-
genden Gebieten thun, so werde ich mich eben fortwährend
in dem Elemente der empii'ischen Thatsächlichkeit bewegen,
nie aber etwas darüber ausmachen können, mit welchem
Rechte oder Unrechte diese thatsächlichen psychologi-
schen Vorgänge den Anspruch auf objective Geltung erheben.
Freilich muss sich die Erkenntnisstheorie, wie ich zeigte, an
das durch die innere Erfahrung unmittelbar Gegebene halten,
allein sie thut dies in der Absicht, um zuzusehen, wie sich
uns innerhalb dieser absolut selbstverständlichen Thatsäch-
lichkeit in primitiver, nicht weiter zurückfährbarer Weise die
Gewissheit des über diese Thatsächlichkeit hinausführenden
Erkennens aufdränge. Sie lässt also das Erkennen vor
unseren Augen entstehen, jedoch nicht in psychologischer
Weise, sondern lediglich mit RĂĽcksicht auf seine Geltung oder
— was dasselbe ist — mit Rücksicht auf die Formen der
Gewissheit, in denen es uns zu Theil wird.
R i e h 1 bestimmt in der Einleitung zu dem zweiten Bande
seines Werkes „Der philosophische Kriticismus" die allgemeine
Aufgabe der Erkenntnisstheorie. Mit vollem Recht dringt er
auf die Trennung von Erkenntnisstheorie und Psychologie;
jene habe sich mit der Frage nach der Entstehung oder indi-
J. Volke)!: Die Aufgabe u. s. w. der ErkenntnissĂśieorie. 539
viduellen Erwerbung der Erkenntniss nicht zu befassen; ihre
Aufgabe beziehe sich vielmehr auf das Problem, wie der Er-
kenntniss ungeachtet ihrer Subjectivität objectiv- gültige Be-
deutung zukommen könne *). Doch auch Riehl verfährt nicht
voraussetzungslos genug. Er bezeichnet die Erkenntnisstheorie
als „Theorie der allgemeinen Erfahrung** und will mit diesem
1) Der Unterschied zwischen Erkenntnisslheorie und Psychologie
kann nicht genug eingeschärft werden. Die erkenntnisstheoretische Lite-
ratur ist voll von der Vermischung beider Gebiete. Ein besonders auf-
fallendes* Beispiel bietet Horwicz dar (Analyse des Denkens. Grund-
linien der Erkenntnisstheorie. Halle, 1875. Zweiter Theil der , Psycholo-
gischen Analysen auf physiologischer Grundlage"). Er macht es sich zur
Aufgabe, das theoretische Erkennen aus der praktischen GefĂĽhlsreaction,
aus der einheitlichen Zusammenfassung subjectiver Gefühlszustände im
Wege der Entwicklung hervorgehen zu lassen; er will zeigen, wie das
objective Erkennen aus den elementarsten psychischen Processen schritt-
weise entspringe. Sicherlich ist das eine wichtige Aufgabe der Philosophie,
und Horwicz' Art, sie zu lösen, enthält viel Verdienstvolles. Nur ist dies
eben eine psychologische, nicht eine erkennluisstheoretische Untersuchung.
Diesen Unterschied hat sich nun aber Horwicz nicht klar gemacht. Er
stellt sich ausdrucklich die Aufgabe, eine „wirkliche Erkenntnisstheorie " zu
liefern, und setzt die seinige der Kantischen gegenĂĽber, die auf den Namen
, Erkenntnisstheorie '^ eigentlich keinen Anspruch habe. Durchweg fĂĽhrt
er seine Untersuchungen in dem Sinne, dass durch sie die Frage, wie das
Erkennen, dieser subjective Geisteszustand, den Anspruch auf objective
Bedeutung erheben könne, beantwortet und so «die Kluft zwischen Denken
und Wirklichkeit ** ĂĽberbrĂĽckt werden solle. Hierdurch kommt es, dass
weder die psychologische, noch die erkenntnisstheoretische Art bei ihm
rein durchgefĂĽhrt erscheint. Er meint es mit der Rechtfertigung der ob-
jectiven Geltung des zunächst subjectiven Erkennens zu thun zu haben,
und kommt doch nirgends auf die springenden Punkte dieser Aufgabe zu
sprechen; denn ĂĽberall setzt er bei sehien Untersuchungen, bald unter
dieser, bald unter jener Verhüllung, die Thatsächlichkeit eines die Dinge
selbst abspiegelnden Erkennens wie etwas Selbstverständliches voraus und
weiss die ungeheure Schwierigkeit nicht zu wĂĽrdigen, die fĂĽr das Erkennen
durch den Gegensatz von Bewusstsein und Ding an sich entsteht. Dies
gilt auch insbesondere von seiner „Theorie der Coincidenz* (S. 128 f.)--
Nach meinen obigen Auseinandersetzungen ĂĽber die Aufgabe der Erkennt-
nisstheorie wird Horwicz vielleicht einsehen, dass ich von den polemischen
Bemerkungen, die ich vor mehreren Jahren in der „Jenaer Literatur-
Zeitung" (1876, Nr. 3) gegen seine Erkenntnisstheorie machte, und die er
als „vollständig unbegreiflich* zurückweisen zu müssen glaubte (Philos.
Monatshefte, XII. Bd., 2. Heft, S. 79 ff.), nichts Wesentliches zurĂĽckneh-
men kann.
540 J. Volkell: Die Aufgabe u. s. w. der Erkeimtnisgtbeorie.
Ausdrucke die „apriorischen Erfahrungsbegriffe^^ die aUge-
meinen Gesetze oder Bedingungen des Bewusstseins als ihren
näheren Gegenstand bestimmt wissen. Er nimmt also Ton
vornherein eine durchgängige Verknüpfung aller Vorstellungen
nach allgemeinsten Bewusstseinsgesetzen an. Noch mehr fällt es
auf, dass er seine erkenntnisstheoretischen Untersuchungen von
der „realistischen Hypothese aus" fuhren wül. „Ich nehme an,
dass etwas vom Bewusstsein Verschiedenes und Unabhängiges
existire, unter welcher Annahme das eigentliche Problem der
Erkenntnisstheorie erst seine eigentliche Bedeutung und Trag-
weite erhält." Sollte es nicht umgekehrt richtig sein, dass
die Frage nach der Möglichkeit der Erkenntniss viel dringen-
der werden mĂĽsse, wenn auch die Existenz realer Dinge zu-
nächst als durchaus bezweifelbar angesehen und sonach ver-
langt werde, dass auch die Entscheidung ĂĽber diese Frage
erst auf Grundlage der Entscheidungen der Erkenntnisstheorie
gegeben werden solle? Und femer: wie will denn Riehl das
Erkenntnissprincip, auf Grundlage dessen er seine „realistische
Hypothese" gewinnt, unparteiisch prĂĽfen, wenn es doch schon
diese Hypothese selbst ist, von der aus er die objective Be-
deutung der Erkenntniss der PrĂĽfung unterwerfen wiU?
Schliesslich will ich noch Wundt's gedenken (vgl. be-
sonders Logik, Bd. I, S. 2 ff.). Er hat durchaus Recht, wenn
er Logik und Erkenntnisstheorie nicht von einander trennen,
sondern die logischen Normen des Denkens im Zusammen-
hange mit der Frage nach den Grundlagen und Grenzen des
Wissens behandeln will. So widmet er denn in der Logik
vor Allem auch der Frage nach den Kriterien der Gewissheit
eine höchst beachtenswerthe principielle Erörterung. Nach
meiner Ueberzeugung allerdings muss die Erkenntnisstheorie
nicht in die Logik hereingezogen, sondern umgekehrt die Logik
zu einem Theil der Erkenntnisstheorie herabgesetzt werden.
Die Erkenntnisstheorie ist die allgemeinere, ĂĽbergreifende
Wissenschaft. Sie stösst im Verlaufe ihrer Erörterungen un-
vermeidlich auf das logische Denken und hat dasselbe nach
seinem objectiven Werthe zu prüfen. Diese Aufgabe lässt
sich nicht vollziehen ohne ein Eingehen auf die allgemeinsten
Formen und Gesetze des Denkens, welche in der Logik dar-
J. Volkelt: Die Aufgabe u. s. w. der Erkenntnisstheorie. 541
gestellt zu werden pflegen. Sollen diese Formen und Gesetze
nach ihrer Leistungsfähigkeit für das objective Erkennen un-
tersucht werden, so muss nothwendiger Weise eine einfache
Darstellung derselben vorangehen. So wird also die Erkennt-
nisstheorie durch den eigenen Gang ihrer Aufgaben zur Un-
tersuchung und Erledigung der specifisch logischen Fragen
geführt. Die Logik hat sich sonach vollständig in die Er-
kenntnisstheorie aufzulösen. Doch die Bestimmung des Ver-
hältnisses beider Wissenschaften ist es nicht, was mich hier
zu beschäftigen hat. Ich habe hier erstlich darauf hinzu-
weisen, dass Wundt seinen erkenntnisstheoretischen Unterr
suchungen die Lehre von den Begriffen, Urtheilen und SchlĂĽs-
sen voranschickt. So tritt er also in die Erkenntnisstheorie
mit der Voraussetzung ein, dass es allgemeingĂĽltige For-
men des Denkens gebe, — eine Voraussetzung, die sich
keineswegs völlig von selbst versteht, und die, da auf
ihrer Grundlage die Erkenntnisstheorie erst an die PrĂĽ-
fung des objectiven Werthes der Erkenntnissvoi^änge geht,
auch fĂĽr allen weiteren Verlauf der Wissenschaft ein unge-
prĂĽfter, dogmatischer Bestandtheil derselben bleiben muss.
Wundt sagt geradezu, dass die Logik — diese Grundlage der
Erkenntnisstheorie — unter der Voraussetzung steht, „dass
das Denken ein zur Erkenntniss geeignetes Werkzeug und
hierdurch befähigt sei, schliesslich eine Uebereinstimmung
unserer Begriffe mit den Erkenntnissobjecten zu erreichen.''
Zweitens lässt er den logischen und den erkenntnisstheore-
tischen Untersuchungen eine „psychologische Entwicklungs-
geschichte des Denkens" vorangehen. So wird bei Wundt
die Erkenntnisstheorie auch von der Psychologie abhängig.
Dazu kommt dann noch, dass er, ähnlich wie Benno Erd-
mann, behauptet, die Logik müsse „aus den thatsächlich
geĂĽbten Verfahrungsweisen des Denkens und der Forschung
ihre allgemeinen Resultate abstrahiren."
Durch diese den neuesten erkenntnisstheoretischen Be-
strebungen entnommenen Beispiele wird es sich, hoffe ich,
gerechtfertigt haben, wenn ich in der AusfĂĽhrlichkeit, womit
ich meine Ansichten ĂĽber Erkenntnisstheorie begrĂĽndete, lieber
zu viel als zu wenig that. Johannes Volkelt.
542 6. Knauer: Was ist Begriff?
Was ist Begriff?
Der zu Anfang des 3. Heftes des XVII. Bandes dieser
Hefte veröflfentlichte Aufsatz von Prof. Volkelt in Jena:
„lieber die logischen Schwierigkeiten in der einfachsten Form
der Begriflfsbildung" geht von der „einfachen, weiten und
allbekannten Bestimmung" aus, „dass der BegriflF etwas vielem
Einzelnen Gemeinsames zusammenfasse" (S. 129), bleibt
dabei stehen, dass dieses Zusammengefasste nur die gemein-
samen Merkmale der unter den Begriff zu befassenden
Gegenstände sein können, und kommt nicht über die Einsicht
hinaus, dass diese logische Forderung, die gemeinsamen Merk-
male zusammenzufassen, zugleich aber auch die „unterschei-
denden Merkmale in der Form der Möglichkeit mitzudenken"
(S. 142), eigentlich das menschliche Vermögen übersteigt.
„Nur ein intuitiver (»von den Formen der Endlichkeit und
Zeitlichkeit losgelöster« S. 142) Verstand also kann die im
Begriffe liegende logische Forderung erfĂĽllen" (S. 136). Eigent-
lich ist, da wir solchen intuitiven Verstand nicht besitzen,
jeder Begriff nur eine „Abbreviatur", die in unserem Vor-
stellen auf das ,Jdeal des Begriffes" bezogen wird (S. 146).
„Der menschliche Verstand ist ausser Stande, das, was der
Begriff uns zu denken aufgibt, wirklich zu denken. Der Be-
griff ist fĂĽr uns ein logisches Ideal, das wir nur andeu-
tungsweise zu erfüllen vermögen" (S. 137).
Dieser Aufsatz ist äusserst lehrreich, es kann wirklich
das Ergebniss der Untersuchung nicht anders ausfallen, wenn
man von jener Bestimmung ausgeht, die Verf. „einfach, weit
und allbekannt" nennt. Aber eben deshalb fragt es sich, ob
jene allbekannte Bestimmung wirklich dem Sachverhalte ent-
spricht, oder ob sie trotz ihrer allerdings weiten Verbreitung
am Ende doch nur eine irrthĂĽmliche ist. Und dieses Letztere
glaube ich mit aller Bestimmtheit behaupten und verfechten
zu können, wandele dabei aber nur in den Fussstapfen meines
Jenenser Lehrers Apelt. Das waren etwa nach meiner Erinne-
rung die Worte, mit welchen Prof. Apelt uns seine SchĂĽler
auf das Irrige jener Bestimmung hinwies:
6. Knauer: Was ist Begriff? 543
In der Geschichte der Philosophie treten zwei grund-
verschiedene Auffassungen und Erklärungen dessen,
was Begriff sei, hervor. Die eine, von der grossen Mehrzahl,
ja von fast allen Philosophirenden adoptirt, lautet: „Begriff
ist die Zusammenfassung der verschiedenen Merk-
male eines Gegenstandes." Die andere, nur von Weni-
gen angenommen, aber unter sie gehört unser Kant, lautet:
„Begriff ist die Auffassung eines verschiedenen Gegen-
ständen gemeinsamen Merkmals,'* wohlzumerken : eines
einzigen, nur eines einzigen Merkmals, das eben den Begriff
bildet, so viel Sondermerkmale diesem einen etwa nachher
auch beigelegt werden mĂĽssen. Die erste, die unkritische
Auffassung ist irrig und wird zur Quelle weiterer folgen-
schwerer IrrthĂĽmer ; die zweite, die der kritischen Philosophie,
ist die allein und unbedingt richtige.
Weitere AusfĂĽhrungen aus dem mĂĽndlichen Vortrage
meines Lehrers vermag ich jetzt nicht mehr sicher beizufĂĽgen,
es dĂĽrfte leicht meine eigene weitere FortfĂĽhrung der bezĂĽg-
lichen Erwägungen unwillkürlich hereinspielen. Ob mein
Lehrer nicht auch in seinen Schriftwerken, die mir gerade
nicht vollständig zur Hand sind, sich irgendwo über diesen
Punkt ausgesprochen hat, weiss ich zur Zeit nicht zu sagen;
das Ergebniss des mĂĽndlichen Vortrags aber ist fĂĽr mich
eine der sichersten Errungenschaften aus meiner Studienzeit
geblieben.
Auch darauf kann ich mich nicht besinnen, ob Apelt
uns bestimmte Belagsstellen aus Kant nachgewiesen hat.
Aber ich selbst habe später solche gesucht und gefunden,
so dass ich an der Richtigkeit der Apelt'schen Behauptung
bezĂĽglich Kant's nicht zweifeln kann, wenn auch Stellen der
von Jäsche herausgegebenen „Logik" irre machen könnten
(z. B. dass daselbst in § 6 beim Begriffsbilden die Reflexion
mitten zwischen Comparation und Abstraction gesetzt und so
erklärt wird: „Überlegung, wie verschiedene Vorstellungen
in Einem Bewusstsein begriffen sein können."). Als von mir
selbst bemerkte Hauptstellen aus Kant fĂĽhre ich an: Kr. d.
reinen V. 2. Aufl. S. 376/77: Erkenntniss „ist entweder An-
schauung oder Begriff (intuitus vel conceptus). Jene bezieht
544 Q. Knauer: Was ist Begriff?
sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln: dieser
mittelbar, vermittelst eines Merkmals, was mehreren Din-
gen gemein sein kann" — also nicht vermittelst der Zusammen-
fassung der mehreren Dingen gemeinsamen Merkmale. Sodann
S. 39/40 der 2. Aufl. und zwar nur in dieser: „Nun muss
man zwar einen jeden Begriff als eine Vorstellung den-
ken, die in einer unendlichen Menge von verschiedenen mög-
lichen Vorstellungen (als ihr gemeinschaftliches Merk-
mal) enthalten ist, mithin diese unter sich enthält" u. s. w.
— also nicht als eine Vorstellung, in der eine Menge von
Vorstellungen als gemeinsame Merkmale der zugehörigen Gegen-
stände enthalten sind. — Und auch in der ,.Logik" heisst
es gleich § 1 Anm. 1: „Der Begriff ist der Anschauung ent-
gegengesetzt; denn er ist eine allgemeine Vorstellung oder
eine Vorstellung dessen, was mehreren Objecten gemein
ist, also eine Vorstellung, so fern sie in verschiedenen ent-
halten sein kann" — also nicht eine Vereinigung und Zusammen-
fassung von Vorstellungen. Und § 5 Anm. 1 : Die allgemeine
Logik kann „den Begriff nur in Rücksicht seiner Form, d. h.
nur subjectivisch erwägen; nicht wie er durch ein Merk-
mal ein Object bestimmt, sondern nur wie er auf mehrere
Objecte kann bezogen werden" — also der Begriff bestinrait
ein Object durch ein, durch ein einziges Merkmal, nicht durch
verschiedene zusammengefasste Merkmale. Ich meine, diese
Stellen genĂĽgen, um die Berufung Apelts auf Kant als richtig
zu bestätigen.
Die Ausführungen von Fries in seiner „Neuen Kr. d.
V." 2. Aufl. 1. Band sind nicht so bestimmt und deutlich,
wie die Apelt'sche Darlegung, besonders da er mit Vorliebe
den Ausdruck „Theüvorstellungen" verwendet, und da er in
etwaigen Definitionen von Begriffen zu schnell vollständige
Angaben ihres Inhalts sieht; doch sagt auch Fries: der Begriff
„ist ein allgemeiner gleicher Theil aller jener Vorstellungen
[die in seinem Umfang stehen] und ist in ihnen als Merk-
mal enthalten, daher hat jeder Begriff eine Sphäre von Vor-
stellungen, denen er als Merkmal zukommt, und einen
bestimmten Inhalt, welcher ihm selbst zukommt" (S. 208) —
also keineswegs kommt er den in seinem Umfang stehenden
6. Knauer: Was ist Begriff? 545
Vorstellungen als ein Sammelsurium von Merkmalen zu. Und
S. 209: „Wir stellen uns daher einen BegriflF gewöhnlich gar
nicht durch seine Definition, sondern nur durch ein Schema
der Einbildungskraft vor/^ Sonach ist auch Fries auf unserer
Seite.
Man gestatte mir nun, unsere Auffassung kurz als die
kritische, die gegentheilige als die unkritische zu bezeichnen,
wie schon Apelt das that.
Das Verfängliche der unkritischen Auflassung liegt in der
Behauptung, dass im Begrifl'e etwas zusammengefasst werde
(wie denn dieser Ausdruck „zusammenfassen" sich wieder-
holt auch in der Volkelt'schen Abhandlung findet), und ich
habe mir längst gesagt, es wird wohl der lateinische Aus-
druck conceptus fĂĽr Begriff viel dazu beigetragen haben,
dass obige Behauptung unbesehen als selbstverständlich hin-
genommen worden ist. Aber die lateinische Vorsilbe con
ĂĽberhaupt und insonderheit im Verbum concipio hat gar
nicht eine unserem deutschen „zusammen, zusammen-fassen"
gleiche Kraft imd Bedeutung. Es sei nur daran erinnert,
dass concipere auch das Empfangen beim Zeugungsakt bedeutet,
und dass es in den verschiedensten Verbindungen fĂĽr das
blosse Aufiiehmen, Auffassen gebraucht wird. Nichts hindert
uns bei unserer kritischen Explication^ wonach im Begriff
nicht Mancherlei zusammengefasst, wohl aber Einerlei auf-
gefasst wird, den lateinischen Ausdruck conceptus beizu-
behalten.
Substantive, Adjective und Verba sind in den Sprachen
HüUen für Begriffe, sie sind Begriffswörter, wie man sie
wohl genannt hat, während in Conjunctionen, Präpositionen
u. s. w., auch in den Pronominibus keine Begriffe sich bergen.
Nehme man nun irgend welche Eigenschaften von Dingen,
die ja bald adjectivisch, bald substantivisch ausgedrĂĽckt wer-
den können, und frage sich, was in dem entsprechenden
Begriff, dem das Wort zur HĂĽlle dient, zusanunengefasst sein
soll. Wie steht es z. B. mit den Farbebegriffen? Welche
gemeinsamen Merkmale sollen denn im Begriffe „roth** zu-
sammengefasst sein? Keine; sondern roth, Röthe ist nur die
Auffassung eines einzigen Merkmals, das verschiedenen Gegen-
Philosoph. Monatshefte 1881. IX u. X. .35
546 6. Knauer: Was ist Begriff?
ständen in der Beobachtung zukommt, ja das ich willkürlich
durch j Anstreichen und Malen irgend welchen (Jegenständen
beibringen kann, so dass es dann von anderen Beobachtern
auch an ihnen wahrgenommen wird. — Oder welche unter-
schiedlichen Merkmale sollen in den Begriffen Essen und
Trinken zusammengefasst sein? Keine; in diesen B^riffen
ist nur je Ein Merkmal des Handelns thierischer Wesen auf-
gefasst. — Oder nehmen wir Wechselwirkungs- Begriffe, die
auch nur accidentelle Bedeutung haben, z. B. Krieg und
Friede. Welches Sammelsurium gemeinsamer Merkmale
mĂĽsste wohl zusammengefasst werden, ehe man diese Begriffe
fest gewinnen könnte, falls die Forderung „zusammenzufassen'^
wirklich richtig wäre? Aber sie ist es nicht. Im B^iff
„Krieg" ist eben nur Ein Merkmal aufgefasst, sicher auf-
gefasst von Wilden wie von Culturvölkern, ebenso im Begriff
„Friede" ; und so mannichfaltig die Einzel-Merkmale im hihalt
des Begriffes Krieg auch sein mögen, und eine wie unerschöpf-
liche FĂĽlle von Merkmalen auch zur Beschreibung der Seg-
nungen des Friedens sich bieten mag, Krieg wie Friede sind
so bestimmte und so deutlich zu unterscheidende Erschei-
nungen, dass ĂĽber die Bedeutung der bezĂĽglichen Begriffe
nie ein prinzipieller Streit entstehen kann, werm auch hie und
da ihre Anwendung auf Zustände, die der Beurtheilung vor-
liegen, fraglich bleiben mag.
Das waren nun freilich his jetzt nur Accidenz-Begriffe,
auf die wir mit diesen Beispielen hingewiesen haben. Aber
es hat wahrhaftig auch mit unseren Substanz-Begriffen
keine andere Bewandtniss. Welche unterschiedlichen gemein-
samen Merkmale sind denn im Begriffe Katze oder Hund
zusammengefasst? Keine; sondern ein einziges Merkmal, das
allen Exemplaren der betreffenden Thiergattungen zukoramt,
das eben die Katze zur Katze und den Hund zum Hunde
macht, jist darin aufgefasst, soviel Sonder -Merkmale dann auch
im Inhalt der beiden Begriffe sich bergen mögen; verwenden
doch Kinder schon im frĂĽhesten Alter, sobald sie die ersten
Worte sprechen körmen, diese beiden Begriffe mit ziemlicher,
freilich nicht unumstösslicher Sicherheit, ohne dass sie ein
deutliches Bewusstsein vom Unterschied des Katzen- und des
6. Knauer: Was ist Begriff? 547
Hunde-Kopfes, der verschiedenen Construction des Gebisses
u. s. w. u. s. w. haben.
Die Markomannen einst hielten die von Kaiser Marc
AureFs Leuten ihnen über die Donau zugesendeten Löwen
fĂĽr grosse Hunde und schlugen sie als solche mit ihren Keu-
len todt. Sie hatten sich bei der Anwendung des Hunde-
Begriffs auf diese grossen Raubthiere geirrt, aber den Hunde-
Begriff als solchen hatten sie sicher, sie hatten darin ein
Merkmal aufgefasst, das sie (hier allerdings irrthĂĽmlich) auch
an den Löwen wiederzufinden meinten. Richtiger urtheilte
jener Kreuzfahrer, der dem gegen sein Ross anspringenden
Löwen mit dem Ausruf: ei du verfluchte Katze! den Kopf
spaltete, das Fell abzog und auf sein Thier hing, und der
nachher erst zu seiner Verwunderung erfuhr, dass er den
König der Thiere erschlagen. Er hatte im Begriff „Katze"
ein Merkmal aufgefasst, bei dessen Verwendung auf das
anspringende Raubthier er sich auch nicht, wie jene Marko-
mannen bei der Verwendung des Begriffes „Hund", tauschte.
In meiner Schrift „Seele und Geist" (Leipzig 1880) habe
ich schon S. 68 auf diesen Streit um das, was Begriff sei,
hingewiesen und habe dort als ein, wie ich glaube, schlagen-
des Beispiel fĂĽr die Richtigkeit der kritischen Explication an
die Begriffe Vater und Mutter erinnert, die das kleine
Kind schon sicher besitzt und verwendet, ohne doch irgend-
wie die wesentlichen Merkmale des Vater- und Mutter -Seins
zu kennen und sie etwa „zusammenfassen" zu können. So
lange das Kind nur seinen eigenen Vater kennt und etwa
Papa nennt, so lange wird bei ihm nur eine anschauliche
Vorstellung vorhanden sein; so bald ihm aber ein anderer
Mann gezeigt und von diesem etwa gesagt wird; „Das ist
Fritzchens Papa", und das Kind acceptirt diese Bezeichnung:
dann hat es den Papa- oder Vater -Begriff gewonnen, die
Einzelanschauung ist zum Begriffe geworden; und das tritt
in der That bei den meisten Kindern schon sehr frĂĽh ein.
Was haben die Kleinen denn in diesem Begriff fĂĽr Merkmale
zusammengefasst ? Gar keine, sondern sie haben ein einziges
Merkmal, eben das des Vater-Seins, aufgefasst, instinctiv auf-
gefasst — und so bekommen auch wir Grossen die Mehrzahl
548 6. Knauer: Was ist Begriff?
unserer neuen Begriffe nach und nach durch immer neue
instinctive Auffassung von Merkmalen. Wenn nun so ein
Kindchen, vielleicht dadurch veranlasst, dass sein und Fritz-
chens Vater beide Vollbarte tragen, einen dritten vollbär-
tigen aber noch unverheiratheten Mann, der in das Zinuner
tritt, auch als einen Papa bezeichnet, so hat es sich aller-
dings geirrt, ebenso wie nach obigem Beispiel einst die Mar-
komannen sich geirrt hatten, aber der hrrthum haftet nicht
dem Begriffe selbst an (wiewohl in dessen Inhalt das acci-
dentelle Merkmal der Vollbärtigkeit fälschlich versetzt worden
war), sondern er liegt nur in einer unberechtigten Verwen-
dung des Begriffs.
Doch wie viele Begriffe werden Tag fĂĽr Tag falschlich
verwendet, nicht bloss von Kindern, nicht bloss von Leuten
aus den unteren Schichten des Volkes, sondern selbst unter
Umstanden von den in ihrem Specialfach Gelehrtesten, von
denen, wo sie sich auf fremde Gebiete begeben, ein SprĂĽch-
wort mitunter nicht mit Unrecht behauptet: Die Gelehrtesten
sind oft die verkehrtesten! Werden die Begriffe aber falsch-
lich angewendet, so ist doch damit nicht gesagt, dass diese
Begriffe selbst nicht vorhanden seien; und selbst in sich und
an sich irrige Begriffe sind und bleiben doch Begriffe, sowie
irrige Nachrichten und GerĂĽchte doch Nachrichten und Ge-
rĂĽchte bleiben, mag man denselben dann auch noch die
Ehrenbezeichnung als „Enten*^ oder welche sonst beilegen.
Was verwechselt die unkritische Explication? Sie ver-
wechselt den Begriff mit seinem Inhalt; aber der
Begriff ist nicht gleich seinem Inhalt, so wenig er gleich sei-
nem Umfange ist. Die unterschiedlichen Merkmale, die nach
der unkritischen Darstellung zusammengefasst sein soUen,
damit der Begriff gewoimen werden konnte, coastituiren
nicht den Begriff, sondern seinen Inhalt, man kann sie aus
seinem Inhalt herauslösen, aber das geschieht oft erst, nach-
dem der Begriff selbst schon lange mit Sicherheit verwendet
worden ist, ohne dass man sie kannte. Der Begriff selbst
ist nur einer Schale vergleichbar; was alles in solch einer
Schale verborgen ist, weiss man zum voraus nicht, das erfahrt
man erst mit der Zeit, vielleicht auch nie. Wer weiss, welche
6. Knauer: Was ist Begriff? 549
Merkmale man noch einmal aus dem Inhalt des Begriffes
Phosphor herausholen wird; schon ist der Begriff fĂĽr unsere
Chemiker ein inhaltreicher geworden, inhaltreicher, als er fĂĽr
die ersten Darsteller des Stoffes war; aber hat die chemische
Wissenschaft schon seinen ganzen Inhalt ausgeschöpft? Nie-
mand kann das behaupten.
Die von Volkelt aufgewiesenen Schwierigkeiten betreffen
nicht, wie er es darstellt, die Begriffe selbst oder die Bildung
der Begriffe, sondern sie betreffen den Inhalt derselben und
die Versuche, diesen Inhalt zu ermitteln. Die Nuss
ist immer schon da, aber wer knackt .sie und zeigt, was
darin ist? Viele Begriffe sind und bleiben ungeknackte
NĂĽsse; und sind sie geknackt, so kann man immer noch
nicht behaupten, dass man alles, was sich aus dem Kerne
wĂĽrde herausnehmen lassen, wirklich schon herausgenommen
habe. Der Begriff „Wasser*' ist ein der Menschheit von den
Urzeiten her geläufiger, aber wie lange hat es gedauert, ehe
man Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen lernte
und so einen frĂĽher ungeahnten Inhalt des Begriffes gewann.
Haben wir nun heute den Begriff Wasser etwa sicherer, als
unsere Vorfahren, die das Wasser fĂĽr eines von den vier
Elementen hielten? Waren diese etwa mehr in Versuchung,
Wasser mit Ă–el oder mit Wein zu verwechseln, als wir?
Nein, durchaus nicht; den Begriff selbst haben wir nicht
sicherer, aber wir wissen mehr vom Inhalt dieses Begriffes,
als imsere Altvordern davon wussten. Und nennt der Wilde
von seinem Standpunkt aus den Branntwein „Feuerwasser",
so darf man ihm auch diese Bezeichnung keineswegs abstreiten,
nur muss Geschmack und Wirkung bald ihn ĂĽberzeugen,
dass Feuerwasser ein ganz neuer Begriff ist, den er gewonnen,
in dem nur gleichnissweise die fĂĽr den Begriff Wasser selbst
dienende sprachliche Bezeichnung mit verwendet ist. Der
Wilde, der das Feuerwasser noch nicht geschmeckt hat, mag
meinen, seinen Wasserbegriff als solchen auch auf diese farb-
lose Flüssigkeit sicher anwenden zu können, er muss sich
nachher ĂĽberzeugen, dass diese Meinung irrig war.
Wie ich schon in „Seele und Geist** a. a. O. es ausge-
sprochen: Ungelehrte oder doch Unerfahrene haben mitunter
550 6. Knauer: Was ist Begriff?
nahezu inhaltlose oder doch meist inhaltarme Begriffe, Erfah-
rene und Gelehrte werden meist inhaltreichere Begriffe haben,
aber dabei können Gelehrte wie Ungelehrte ganz dieselben
Begriffe besitzen und verwenden, und ganz mit derselben
Sicherheit. Nehmen wir das Volkelt'sche Beispiel vom Begriffe
„Kameel" (S. 144), so können wir sagen: Der Knabe, der
auf einem roh gearbeiteten Bilderbogen Kameele abgebildet
findet und ihre Gestalten als solche kennen lernt ; der Besucher
des zoologischen Gartens; der Afrika-Reisende und der Kameele
zĂĽchtende Beduine, sie haben alle denselben Begriff Kameel;
alle werden Kameele nicht mit Elephanten, Rindern, Pferden
u. s. w. verwechseln; aber freilich jener Knabe hat in seinem
Begriff nur wenig Inhalt, und wieder fĂĽr den Beduinen dĂĽrfte
der Begriff doch noch inhaltreicher sein, als fĂĽr den wissen-
schaftlich gebildeten Reisenden.
Der Begriff als solcher ist nicht ein Postulat, wie
Volkelt S. 145 im Anschluss an Wundt meint. Aber ein
Postulat ist es, den Inhalt eines gewonnenen Begriffs zu
ermitteln, und diesem Postulat kann oft auch der Gelehrteste
nicht gerecht werden. „Das ist ein Nordlicht" ist bald
gesagt, wenn die allgemein so bezeichnete Erscheinung am
Himmel sich zeigt, aber fĂĽr den gelehrten Geographen und
Astronomen ist der Inhalt dieses Begriffes bis jetzt noch fast
so verschlossen und verborgen, wie fĂĽr den schlichten Bauers-
mann, und doch sind beide im Stande, den Begriff selbst
nahezu mit gleicher Sicherheit zu verwenden. Der Begriff
selbst ist auch nie eine „Abbreviatur", aber was wir von
seinem Inhalt wissen, könnte wohl mitunter so bezeichnet
werden.
Wenn es mit unseren Begriffen als solchen so stände,
wie Volkelt infolge der von ihm aufgewiesenen logischen
Schwierigkeiten meint annehmen zu mĂĽssen, wenn die Begriffe
selbst so unsicher wären, nur so annähernd, wie es in der
That meist mit ihrem von uns erforschten Inhalte ist, wie
wäre dann eine sichere Mittheilung der Gedanken unter den
Menschen möglich? Dann müsste ja alles wanken und unge-
wiss bleiben; es gäbe keine Wissenschaft, die sich sicher
G. Knauer: Was ist Begriff? 551
lehren liesse; es könnten die Nachkommen nicht auf dem
von den Vorfahren Ermittelten weiter bauen; es Hessen sich
keine Erfahrungen machen, die unsere Kenntnisse dauernd
bereicherten; die Bedeutung des Experimentes und der Induc-
tion überhaupt wärde hinfallig werden; ja es wärden die
einfachsten Wahrnehmungen, von verschiedenen Beobachtern
gemacht, zu den heillosesten Missverständnissen und Streitig*
keiten ausschlagen; ja, da die Sprache sich dem Denken
accomodirt, es wĂĽrde eine babylonische Sprachverwirrung
ohne Gleichen herrschen mĂĽssen.
Aber thatsächlich steht es so schlimm unter uns vielfach
irrenden Menschenkindern doch wahrhaftig nicht. Mag auch
ĂĽber die Berechtigung und Verwendung mancher Begriffe
Streit und Irrung unter den denkenden Menschen sich zeigen;
mögen namentlich auch die sprachlichen Hüllen, mit denen
man instinctiv gewonnene Begriffe zu umkleiden sucht, ihr
Verfängliches haben und zu den verschiedensten Missver-
standnissen Veranlassung geben: die empirischen Begriffe
sinnesanschaulicher Gegenstände stehen im allgemeinen fest,
nicht allein die empirischen Substanz-, sondern auch die
bezĂĽglichen Accidenz- Begriffe; auch Begriffe von bloss Ge-
dachtem aus dem Bereiche der Erfahrung werden zu einem
grossen Theile mit unumstösslicher Sicherheit gebraucht,
wenn auch einzelne zweifelhaft bleiben und Schwierigkeiten
bereiten; apriorische Begriffe werden benutzt und mit Sicher-
heit verwendet, während die Gelehrten vielleicht noch sich
bemĂĽhen, sie als solche aufzufinden und in ihrer Eigenart
darzustellen, sie drängen eben a priori sich auf und steigen
durch das Fenster des Instinctes in das Haus, ohne erst im
Vorsaal ihre Visitenkarten abzugeben; a priori anschauliche
Begriffe, die der Zahlen und mathematischen Zeichen, geome-
trische und stereometrische Form- und Gestalt-Begriffe bringen
auch bald ihren ganzen hihalt mit, der eben darum auch
nicht zweifelhaft bleibt. Bei den letzteren allein lassen aus
dem im Begriff selbst aufgefassten anschaulichen Merkmal
auch die Merkmale des Inhalts sich ohne weiteres analysiren;
sie allein könnten den Schein erwecken, als ob die unkritische
Explication vom Wesen der Begriffe die richtige sei, und doch
552 6. Knauer: Was ist Be^iff?
ist auch hier nicht ein Mancherlei zusammengefasst, sondern
immer Einerlei, Ein Item aufgefasst, aus dem nur durch die
hier mögliche strenge Definition sofort der ganze Inhalt sich
ausschöpfen lässt.
Ich behaupte also, der Thatbestand, dass wir Menschen
im allgemeinen unsere Begriffe sicher verwenden, dass mit
ihrer Hülfe einer dem anderen sich leicht verständlich machen
kann, der Fortschritt der Wissenschaften und Fertigkeiten
des Lebens — das alles beweist, dass es mit unseren Be-
griffen und mit unserem Begriflfebilden nicht so stehen kann,
wie nach der unkritischen Explication, wenn sie recht hätte,
es stehen mĂĽsste. Begriffe sind im allgemeinen nicht Postu-
late, sondern vorliegende feste Krystallisationen des Denkens,
nicht Abbreviaturen, sondern vollständig ausgeschriebene Ge-
danken. Ein Ideal des Begriffes, das neben der unvollkommenen
Wirklichkeit herläuft, gibt es in den meisten Fällen nicht:
Begriffe sind in der Regel vollständig erreichbare und wirk-
lich gewonnene Denk -Realien, dass ich mich so ausdrĂĽcke.
Auch reine Begriffe, die nichts Anschauliches an sich und in
sich haben, sind eben als Begriffe nicht Ideale, sondern durch
und durch real, mag auch in ihnen (d. h. in ihrem Inhalt)
Ideales enthalten sein; auch Begriffe von Gegenständen, die
man noch nie hat wirklich auffinden oder darstellen können,
selbst der leere Begriff des viereckigen Kreises oder der
causa sui, sind Denk -Realien.
Vielleicht möchte da Jemand einwerfen : Diese Darstellung
macht alle Vorstellungen sofort zu Begriffen, während wir
entschieden behaupten, dass nicht jede Vorstellung sofort
auch Begriff ist. Und ganz richtig, das gestehe und bekenne
ich: Nur mit solchen Vorstellungen, die bereits zu Begriffen
geworden sind, lässt sich sicher operiren, nur mit Hülfe
solcher können Menschen sich unter einander verständigen,
nur Begriffe constituiren wirkliche ĂĽrtheile; mit blossen an-
schaulichen Vorstellungen kann man wohl Fragen stellen und
Ausrufe-Sätze bilden (Was ist das? — Das ist nun einmal
so, so!), aber urtheilen kann man nicht, ĂĽrtheile verlangen,
wenn auch nicht durchaus in das Subject, so doch in das
Prädicat, feste Begriffe. Und es hat darum auch unser Ver-
G. Knauer: Was ist Begriff? 563
stand, unsere Denkkraft das Bestreben, alle Anschauungen
in feste und bleibende Begriffe zu verwandeln. Trotzdem
aber gibt es noch genug Anschauungsmaterial, das noch
nicht Begriff geworden ist tmd vielleicht auch nie Begriff
werden kann. „Was ist das dort, ein Mensch oder ein
Baum?" fragt ein Wandrer den anderen. Mensch und Baum
sind Begriffe, über die kein Streit möglich ist, feste, sichere
Begriffe, die in abstracto in das Prädicat des Fragesatzes
gestellt werden. Aber was ist das Subject „das dort"?. Das
ist eine blosse Anschauung, die der Anschauende eben gern
auf einen Begriff bringen möchte. Sowie ihm das gelungen,
wird er sich nicht mehr an die Anschauung halten, sondern
den Begriff (sei*s Mensch, sei's Baum) in concreto verwenden;
er wird fortfahren und sagen: Der Mensch dort oder der
Baum dort; und nun kann er des weiteren urtheilen. — Oder
es wird gefragt bei schlechter Schrift: „Soll das ein a oder
ein o sein?" Die Buchstaben a und o haben hier auch
Bedeutung und Geltung von Begriffen (es sind Laut-Begriffe),
„das" aber, das auf dem Papier stehende schlecht ausge-
schriebene Zeichen, ist bloss Anschauung. Ist die Antwort,
meinetwegen des SchĂĽlers dem Lehrer gegenĂĽber, erfolgt:
„es soll ein a sein", so wird der Lehrer nicht mehr fort-
fahren und sagen: „das da ist falsch", sondern er wird an
den Begriff in concreto sich halten: „Dieses a ist falsch"
oder „es ist richtig." — Bei Verwendung von Präpositionen
in der Rede bleibt man meist bei einer blossen Anschauung
stehen, die nicht in Begriffe sich umsetzen lässt, und so
spielen ĂĽberhaupt Anschauungen zwischen den Begriffs-
wörtem, zur Verbindung derselben in der Rede, eine grosse
Rolle.
Es bleibt auch dabei, dass die Hauptanschauungen, die
apriorischen Anschauungen Raum und Zeit („absolut"
genommen) stets nur Anschauungen sind und nie zu Begriffen
werden, denn es wird mit ihnen keineswegs ein verschiedenen
Gegenstanden gemeinsames Merkmal aufgefasst (um noch bei
der Apelt'schen Fassung der kritischen Explication stehen zu
bleiben, nach meiner eigenen weiter unten vorzutragenden
Fassung wird die Sache noch deutlicher). Dagegen alle Raum-
554 G. Knauer: Was ist Begnff?
und Zeit- Ab- und Ausschnitte, die wir machen, oder alle
angeschauten relativen Räume und Zeiten führen zur Bil-
dung a priori anschaulicher Begriffe. Quadrat und Kubus
sind Auffassungen eines verschiedenen Gegenstanden gemein-
samen Merkmals, denn ich kann Quadrate und Kuben, gleiche
und ungleiche, nach Belieben construiren und sie neben ein-
ander stellen; ebenso kami ich aus der ZeiĂśinie nach Belieben
herausschneiden Stunden, Tage, Jahre, Jahrhunderte; hier
sind also Begriffe gewonnen, die auch so bestinunt sind, als
nur irgend sich verlangen lässt. Aber ich kann nicht neben
den Einen absoluten Raum noch einen anderen, neben die
Eine absolute Zeit noch eine zweite stellen, es ist also mit
Raum und Zeit kein verschiedenen Gegenständen gemeinsames
Merkmal aufgefasst. Und das war's, was Kant in seiner
„transscendentalen Aesthetik" als kritisches Ergebniss aufweisen
wollte und aufgewiesen hat, wenn er dabei auch noch die
Schwachheit sich zu Schulden kommen liess, in den Ueber-
Schriften seiner Darlegungen den ĂĽblichen unkritischen Aus-
druck „Begriff* beizubehalten.
Raum und Zeit als solche sind und bleiben Anschauungen
ohne Begriff'e, und Anschauungen ohne Begriffe sind blind
(Kr. d. reinen V. 2. Aufl. S. 75); wahrhaftig Raum und Zeit,
als Anschauungen a priori sicher unser Eigenthmn und Erb-
theil, so sehr dass wir gar nicht im Stande sind uns von
ihnen zu trennen, von ihnen zu abstrahiren, bleiben blinde
Anschauungen, daher die ungeheueren Schwierigkeiten, die
sie unserem Verstände bereiten und die gar nicht zu besei-
tigen sind. Aber die Farben, um noch einmal auf sie zu
kommen, die vielleicht Mancher auch nicht fĂĽr Begriffe, son-
dern nur für Anschauungen erklären möchte, sind wirklich
Begriffe, denn sie sind nicht „blind"; dass in den Farbe-
Unterscheidungen wirklich Anschauungen in Begriffe verwandelt
sind, wird auch dadurch bewiesen, dass die NĂĽancirungen
oder verschiedenen Schattirungen subsumirt werden: hoch-
roth, neuroth, blassroth, dunkelroth, rosenroth u. s. w. aUe-
sammt werden sie unter den Begriff „roth*' subsumirt „Das
dort" aber in dem oben angefĂĽhrten Beispiel war auch, weil
ohne Begriff, nur blinde Anschauung. Begriffe ohne An-
6. Knauer: Was ist Begriff? 555
schauung dagegen (so ist richtiger zu sagen statt mit Kant
selbst: „Gedanken ohne Inhalt" a. a. 0.) auf dem Gebiete,
wo doch Anschauung möglich ist und wo nur durch An-
schauung der Gegenstand geliefert werden kann, sind leer,
d. h. es befindet sich nichts innerhalb der Umfangs-Sphäre,
die sie beschreiben könnten, wenn sie auch im Denken einen
Inhalt haben, keineswegs inhaltlos sind. Centaur und Ein-
horn z. B. sind feste, auch keineswegs inhaltlose, aber doch
leere Begriffe, ebensogut wie etwa Zweieck oder die berĂĽhmte
vierte Dimension des Raumes; dort fehlt die Anschauung
a posteriori oder die Erfahrung; hier fehlt die Anschauung
a priori.
Eine eigenthĂĽmliche Stellung nehmen noch die Ideen
ein, wie wir JĂĽnger der kritischen Philosophie sie nennen.
Es gibt selbst einen Begriff der Idee, mit „Idee" wird ein
verschiedenen Gegenständen (welches hier Gedanken sind)
gemeinsames Merkmal aufgefasst; aber die Ideen selbst sind
keine Begriffe, sondern nur Gedanken; nicht aufgefasste Merk-
male, sondern bloss mit Nothwendigkeit hervortretende, aber
in gewisser Beziehung unfassbare Gedanken. Niemand, Nichts
nöthigt uns, die Begriffe Centaur und Einhorn zu verwenden,
auf wirkliche Naturgegenstände anzuwenden; es liegt keine
Nöthigung vor, ein Zweieck oder eine vierte Dimension des
Raumes zu setzen, anzunehmen. Daher handelt es sich dort
nur um leere Begriffe. Aber die Ideen werden mit Noth-
wendigkeit producirt; das „Atom" schon ist ein Gedanke,
auf den die Menschen von je her gestossen sind, ohne doch
je den Begriff davon wirklich gewinnen zu können; ebenso
haben sich die Vernunft -Ideen, wie ich sie nenne, von je
her den Menschen aufgedrängt. Hier liegen Gedanken vor,
die weder anschauliche Vorstellungen noch auch Begriffe
sind. Die Ideen sind etwas ganz Besonderes.
Bisher haben wir uns einfach an die Apelt'sche Fassung
der kritischen Explication dessen, was Begriff sei, gehalten,
doch habe ich mich im Laufe meiner Forschungen genöthigt
gesehen, diese Explication noch bestimmter zu fassen, wenn
sie nun auch bei mir den Anschein des Schleppenden bekommt.
556 G. Knauer: Was ist Begriff?
Ich drücke mich jetzt so aus (vergl „Seele und Geist" S.
27. 68):
Begriff ist die Auffassung eines Gegen-
stände unterscheidenden und möglicher
Weise wieder andere Gegenstände ver-
bindenden Merkmals.
Der Ausdruck „Gegenstände^^ ist hier ganz allgemein zu
fassen, diese Gegenstände, die durch das Merkmal zunächst
unterschieden werden, können auch bloss psychische Gebilde
sein, blosse Gedanken oder Vorstellungen; die in dnem
Begriffe aufgefassten Merkmale werden nach stattgehabter
Auffassung sofort selbst wieder zu Gegenständen in psy-
chischem Besitz. Bei der blossen Anschauung wird noch
kein solches unterscheidendes Merkmal „aufgefasst^\ d. h.
als deutliche und sichere Errungenschaft den psychischen
Gebilden einverleibt; sowie ein solches dem im Bewusstsein
sich aufspeichernden Vorstellungs- Schatze hinzugefĂĽgt wird,
ist allemal der Vorgang der Begriffsbildung zu constatiren.
Entschieden haben mir aber meine Untersuchungen gezeigt,
dass das Unterscheiden der Gegenstände bei der Bildung
der Begriffe das Erste ist. Das kleine Kind schon, nach dem
oben angegebenen Beispiel, fasst das Merkmal Vater auf,
indem es ztmächst Mutter und Vater unterscheidet. Sobald
die Bildung des Begriffs im Gange ist (wenn ich so sagen
darf), wird es dem Kinde nicht mehr beikommen, ein Wesen
in weiblicher Kleidung fĂĽr einen Papa zu halten, wenn es
auch bei der Verwendung des sich bildenden Begriffs auf
Männer leicht noch sich täuschen kann. Sowie aber die
Unterscheidung gewonnen ist, das Merkmal als ein unter-
scheidendes aufgefasst ist, entsteht sofort auch das Streben,
das Verlangen, es zur Vereinigung von Gegenständen im Denken
(eben Vereinigung durch Unterstellen unter den Begriff) zu
benutzen, wobei freilich brrthĂĽmer nicht ausgeschlossen sind,
und so mag das Kind nach obigem Beispiel vollbärtige Männer
ohne weiteres unter den gewonnenen Papa -Begriff zu sub-
sumiren trachten. Wir alle, sowie wir einen neuen B^priff
durch Unterscheidung gewonnen haben; werden auch suchen,
unter ihn Gegenstand an Gegenstand zu reihen.
G. Knauer: Was ist Begriff? 567
Dabei entsteht nun die Frage: Kann man auch dann
von einem Begriffe reden, wenn das aufgefasste Merkmal nur
an einem einzigen Gegenstand hervortritt und nur diesen
einen Gegenstand von anderen andersgearteten Gegenständen
unterscheidet? Z. B.: Gibt es auch einen Begriff „Sonne^^
wie einen Begriff „Planet"? oder bleibt „Sonne" nur eine
anschauliche Vorstellung? So lange ich unter dem Banne der
Ă„pelt'schen Fassung der Explication stand, schwankte ich.
Aber nachgerade musste ich entschieden auch einen Begriff
Sonne zugestehen, konnte man doch, als man ĂĽber die Fix-
sterne einigermassen zur Klarheit gekommen war, diese sofort
auch als Sonnen bezeichnen, diesen Begriff, den man also
schon besitzen musste, auf sie anwenden; war es doch vor
den Galileischen Entdeckungen auch so, dass man nur Einen
Mond hatte, als aber Galilei die Trabanten des Jupiter
im Femrohr fand, war man sofort im Stande sie Monde zu
nennen, man besass also bereits einen Begriff Mond, den
man auf diese Trabanten anzuwenden vermochte. Es gibt
ja, wie schon oben angedeutet, auch Begriffe von Gegenstän-
den, die noch nie hergestellt oder dargestellt worden sind;
wir haben einen Begriff von der Quadratur des Kreises,
einen Begriff vom perpetuum mobile. Auch in solchen Be-
griffen ist zunächst ein Unterscheidendes aufgefasst.
Diese Erwägungen nun haben mich bestimmt, in der
Explication das Unterscheidende des Merkmals an erster
Stelle zu betonen und derselben die obige von der ApelV-
schen abweichende Fassung zu geben, indem ich doch wesent-
lich bei der durch meinen Lehrer mir gewordenen Aufklärung
beharre.
Es könnte so scheinen, als wäre der Unterschied der
kritischen und unkritischen Auffassung nicht eben von beson-
derem Belange; es könnte ein der Sache ferner Stehender
vielleicht den ganzen Streit fĂĽr ein unnĂĽtzes Kramen mit
Worten halten; aber dem ist nicht so. Das beweist gerade
schlagend der Volkelt'sche Aufsatz. Der Verf. hat sich, der
unkritischen Auffassung als der richtigen unbedingt ver-
trauend, mit Scharfsinn in das fragliche Problem vertieft,
und da haben sich Schwierigkeiten ĂĽber Schwierigkeiten vor
558 Baumann: Wundfs Lehre vom Willen etc.
seinem Forschen aufgethĂĽrmt. Und doch, wo sind in der
Wirklichkeit diese Schwierigkeiten? „Rosen auf den Weg
gestreut und des Harms vergessen!" könnte der blosse Empi-
riker dem sich bedrängt fühlenden Logiker zurufen: „Wir
haben unsere Begriffe fest und zweifellos, wir handiren mit
ihnen in Sicherheit nach BeKeben, also, ihr Logiker, ihr
scheint den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen." Und
in der That gilt hier wieder einmal, dass die Theorie, wenn
sie von falschen Voraussetzungen ausgeht, grau ist, während
der Lebensbaum lustig im goldenen Sonnenlichte weiter grĂĽnt.
Es ist mein Wunsch und meine Bitte, Herr Professor
Volkelt wolle doch diese meine Entgegnung ernstlich prĂĽfen
und die Erörterung, falls er glaubt auf dem traditionellen
Standpunkt beharren zu mĂĽssen, weiter fĂĽhren, damit es uns
wo möglich gelinge, das von ihm angeregte logische Problem
seiner definitiven Lösung näher zu bringen.
Liebenwerda. Dr. Gustav Knauer.
Wudt's Lehre vom Willen ud sein aumistiselier iMisiiL
In meinem „Handbuch der MoraP' (Leipzig 1879) bin
ich davon ausgegangen, dass im Begriff des Willens die
hauptsächlichen Merkmale seien 1) ein vorgestellter Inhalt,
2) ein Werthurtheil bezĂĽglich dieses Inhalts, 3) dass auf
diese Vorstellung und Werthschätzung innere oder zugleich
auch äussere Bethätigung zur Realisirung jenes Inhalts ein-
trete. Diese Begriffsbestimmung des Willens war aus dem
gebildeten Leben abstrahirt und ausdrĂĽcklich darauf hinge-
wiesen, dass sie sich ĂĽber die ganze Erde nachweisen lasse,
sofern man eben nur die innere oder zugleich auch äussere
Bethätigung Wille nenne, welche auf Vorstellung und Werth-
schätzung hm eintrete. So gut ich mich für diese Haupt-
merkmale im Begriff des Willens auf die allgemeine Meinung
der gebildeten Menschheit und der Menschheit ĂĽberhaupt
berufen konnte, ebenso gut hätte ich mich etwa auf Kant
und auf Herbart berufen können. Kant hat den Willen
definirt als ein Vermögen den Vorstellungen entsprechende
Banmann: Wundt*s Lehre vom Willen etc. 559
Gegenstande entweder hervorzubringen oder doch sich selbst
zur Bewirkung derselben zu bestimmen, das physische Ver-
mögen mag nun hinreichend sein oder nicht '). Freilich passt
diese Erklärung eigentlich nur auf Handlungen des Willens
in der Aussenwelt; den Willen, seine Gedanken innerlich zu
sammeln u. ä., würde man nur mit einer gewissen Künst-
lichkeit darunter bringen können, aber das ist deutlich aus-
gedrĂĽckt, dass von Wille nur die Rede sei, wo Vorstellung
eines Gegenstandes, eines Inhaltes, der zu verwirklichen sei,
vorauf gehe. Das Werthurtheil fehlt, aber thatsächlich hat
es Kant nachgebracht, denn in der Kritik der Urtheilskraft *)
gibt er dem Angenehmen und Guten eine Beziehung auf das
Begehrungsvermögen, und erklärt das Angenehme als das,
was den Sinnen in der Empfindung gefällt, das Gute
als das, was vermittelst der Vernunft durch den
blossen Begriff gefällt, und unter das Gute rechnet er
ausdrĂĽcklich auch das absolut Werthvolle, d. i. das Mora-
lische, und stellt dann eine Vergleichung der drei specifischen
Arten des Wohlgefallens (des Angenehmen, Schönen, Guten)
an, von welchen eben das Angenehme und Gute eine Be-
ziehung zum Begehrungsvermögen haben. Nach Her hart
ist beim Willen wesentlich, dass man die Erreichbarkeit seines
Inhalts bestimmt voraussetzt®). Beim Willen hat nach ihm
die sog. praktische Vernunft ihre Stelle, theils als Erwägung,
wie weit unsere Kräfte reichen, theils als ein sich Geltend-
machen der verschiedenen Maximen, der Maximen der Leiden-
schaften, der GlĂĽckseligkeit, der Moral*). Also Vorstellung
wird beim Willen vorausgesetzt und irgend ein Werthurtheil,
sei es auch nur, wie bei den Leidenschaften („bleibenden
Dispositionen zu Begierden*') so, dass es Ueberwindung kostet
sich von dem betreffenden Streben, wenn es auftaucht, zu
trennen*). Bis auf Baumgarten hätte ich zurückgehen
1) W. W. V. Hartenstein V S. 15.
2) Ibid. V S. 209 flf.
3J W. W. V. Hartenstein VI S. 361: „was man tpill, dessen
Erreichung setzt man bestimmt voraus*.
4) Ibid. S. 362, 3, 4.
5) Ibid. S. 355.
560 Baumann: Wundes Lehre vom Willen etc.
können. Baumgarten spricht sich in der „Metaphysik'^ (Deutsch,
1 783) § 490 so aus : „Was ich begehre, von dem l ) sehe ich vor-
her, dass es in den zukĂĽnftigen Reihen meiner ganzen Vor-
stellungen enthalten sein werde, 2) erwarte ich, dass es wirk-
lich sein werde, wenn ich meine Kraft bestimmt haben
werde, um es zu wirken, und 3) es gefallt mir". Der Wille
ist ihm dann § 510 das Begehrungsvermögen, insofern es
dem oberen Erkenntnissvermögen folgt, d. h. nach § 462
dem Verstau d oder dem Vermögen der deutlichen Erkenntniss.
Ich habe mich auf alle diese Männer nicht berufen, we3
sie zwar alle beim Willen Vorstellung, Werthurtheil und da-
rauf bezügUche Bethätigung statuiren, aber doch mit allerlei
besonderen NĂĽancirungen, welche mit den EigenthĂĽmlichkeiten
ihrer sonstigen Philosophie zusammenhängen. Es handelte
sich aber darum, einen Ausgangspunkt im allgemein herr-
schenden Sprachgebrauch zu gewinnen, um nähere Erwä-
gungen erst daran anzuknĂĽpfen. Es gereicht mir zur Befrie-
digung, aus SigwarVs Kleinen Schriften 2. Reihe 1881
zu constatiren, dass meine Ăźegriffsbestinmiung des Wollens
principiell zusammentrifft mit einem Aufsätze desselben, der
1879 als Osterprogramm der philosophischen Facultät zu
Tübingen erschienen ist, mir aber jetzt erst zugänglich wurde.
Nach Sigwart meint die Sprache des gewöhnlichen Lebens
unter Wille einen Prozess, dessen Momente sind: die Vor-
stellung eines kĂĽnftigen Zustandes, welche begleitet ist von
dem Gedanken, es stehe in meiner Macht, sie zu verwirk-
lichen, und welche irgend einen Reiz für mich enthält, mein
Interesse erweckt, mir von irgend einer Seite Befriedigung
verspricht, mich (nach dem alten Ausdruck) sollicitirl.
Das Soll ich? und das Kann ich? werden dann noch aus-
fĂĽhrlicher von Sigwart erwogen, imd daran schliesst sich die
Willensentscheidung, das Bejahen oder Verneinen, dass
der vorgestellte kĂĽnftige Zustand mein Zweck sei. Auf
die Erwägung der Mittel im Einzelnen, falls es eine Hand-
lung nach aussen gilt, folgt dann der Willensimpuls zu einer
bestimmten Bewegung. Es ist klar, dass auch bei Sig-
wart die Hauptmomente sind Vorstellung eines Inhalts, Werth-
schätzung, und mit beiden zusammenhängende innere oder
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 561
zugleich auch äussere Bethatigung ; die weiteren Ausführungen
des Soll, des Kann, die förmliche Entscheidung sanunt der
ĂĽeberlegung der Mittel und dem sich daran anschliessenden
Beginn der äusseren Bethatigung kommen in dieser Stufen-
folge bei wichtigen und complicirteren Handlungen vor, aber
sie sind in dieser AusfĂĽhrlichkeit nicht die Regel, sondern
gewöhnlich verläuft auch der eflfective Wille schneller.
Von jener Begriffsbestimmung des Willens, fĂĽr die somit
der herrschende Sprachgebrauch aller Zeiten und Völker
zeugt und mit der sich der wissenschaftliche Sprachgebrauch
in ĂĽberwiegender FĂĽhlung gehalten, habe ich dann Anlass
genommen zu gewissen Fragen ĂĽber die Genesis des WoUens
und speciell des effectiven, die uns aber zur Zeit hier nicht
beschäftigen sollen. Vielmehr möchte ich zunächst feststellen,
dass nicht alle Philosophen geneigt scheinen, jenen Sprach-
gebrauch von WiUe zu befolgen, und ich meine damit nicht
Schopenhauer und v. Hartmann, von denen es ja be-
kannt ist, dass sie Wille in einem blos analogen Sinne mit
dem gebrauchen, was der herrschende Sprachgebrauch da-
runter versteht, sondern ich meine die Lehre vom Willen,
wie sie W. Wundt in seiner „physiologischen Psychologie
2. Auflage" (Leipzig 1880) Band II vorgetragen hat.
Die GrundzĂĽge dieser ganz anderen Begriffsbestimmung
des Willens sind : „Neben dem Gehen und Kommen der
Vorstellungen nehmen wir in uns nicht selten mehr oder
weniger deutlich eine innere Thätigkeit wahr, welche wir als
Aufmerksamkeit bezeichnen. In der unmittelbaren Selbst-
auffassung gibt sie sich dadurch zu erkennen, dass das Be-
wusstsein den Zusammenhang der Vorstellungen, auf den es
sich bezieht, keineswegs zu jeder Zeit in gleicher Weise gegen-
wärtig hat, sondern dass es bestimmten Vorstellungen in
höherem Grade zugewandt ist als anderen 0*" nSagen wir von
den in einem gegebenen Moment gegenwärtigen Vorstellungen,
sie befanden sich im Blickfeld des Bewusstseins, so kann
man denjenigen Theil des letztern, welchem die Aufmerk-
samkeit zugekehrt ist, als den inneren Blickpunkt be-
1) Bd. II S. 905.
Philosoph. Monatshefte 1881. IX u. X. 36
562 Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc.
zeichnen. Den Eintritt einer Vorstellung in das innere Blick-
feld wollen wir die Perception, ihren Eintritt in den Blick-
punkt die Appereeption nennen*)". Nachdem S. 206—9
Beispiele der Aufmerksamkeit gegeben sind, wird das Facit
so gezogen: „Die bei der Elrweckung der Auftnerksamkeit
stattfindenden physiologischen Vorgänge sind demnach im
Allgemeinen folgendermassen zu denken. Der erste Anstoss
erfolgt immer entweder durch eine äussere oder durch eine
innere Reizung. Eine solche Reizung hat zunächst eine Vor-
stellung zur Folge, ein Anschauungs- oder ein Phantasie-
bild, welches vorläufig noch ausserhalb des inneren Blick-
punktes liegt. Die sensorische Reizung wird nun aber zu-
gleich auf das Centralgebiet der Appereeption ĂĽbertragen,
von dem aus sie auf doppeltem Wege weiter geleitet werden
kann: erstens nach den sensorischen Gebieten zurĂĽck, indem
sieh dadurch die Vorstellung verstärkt; und zweitens auf das
Gebiet der willkĂĽrlichen Muskulatur, wodurch jene Muskel-
spannungen auftreten, die das GefĂĽhl der Aufmerksamkeit
bilden helfen und ihrerseits auf die letztere verstärkend zu-
rückwirken, gemäss dem Gesetz, dass associirte Gefühle sich
unterstützen *)*'. Dann heisst es sofort weiter : „Nach allen
Erscheinungen, welche bei der Thätigkeit der Appereeption
sich darbieten, fallt dieselbe durchaus mit jener Function des
Bewusstseins zusammen, welche wir mit RĂĽcksicht auf die
äusseren Handlungen als Willen bezeichnen *)". — „Gewöhn-
lich hat man nur in jenen Fällen, wo sich die Willens-
anstrengung entweder in auffallend hohem Grade geltend
macht, oder wo deutlich eine Wahl zwischen verschiedenen
disponiblen Vorstellungen stattfindet, eine innere Wirksamkeit
des Willens angenommen. Die Aufmerksamkeit selbst wurde
demnach in eine willkĂĽrliche und unwillkĂĽrliche unter-
schieden. Man verkennt aber dabei völlig, dass auch bei
der äusseren Willenshandlung ein Schwanken zwischen ver-
schiedenen Motiven durchaus nicht nothwendig vorhanden
sein muss. Der Wille kann eindeutig bestimmt sein*)." —
1) Ibid. S. 206. 2) S. 209—10.
3) S. 210. 4) S. 210-1.
Baumann: WundVa Lehre' vom Willen etc. 563
„Es znuss sogar die Apperception als der primitive Willens-
akt angesehen werden, der bei der äusseren willkürlichen
Handlung stets vorausgesetzt wird *)".
Nach diesem Ansatz werden wir also sagen können: bei
Wundt ist Wille die innere Thätigkeit, welche sich sowohl
bei inneren geistigen Prozessen als auch bei solchen, mit
welchen äussere Bewegungen sich verbinden, diese Processe
verstärkend, fühlbar macht. Der Unterschied gegen die
andere Auffassung ist gross genug. Nach dieser ist Wille
die innere oder zugleich auch äussere Bethätigung, welche
auf Vorstellung und Werthschätzung eintritt, nach Wundt
ist Wille innere, besonders verstärkende Thätigkeit überhaupt.
Dort also ist Wille eine specielle Art der Gattung innerer
oder zugleich auch äusserer Bethätigung, bei Wundt deckt
sich Wille mit dem ganzen Umfang innerer, besonders ver-
stärkender Thätigkeit überhaupt. Dass nämlich die innere
Thätigkeit, welche == Wille stets eine verstärkende sein
mĂĽsse, tritt oft bei Wundt zurĂĽck hinter dem Gedanken, dass
Wille innere Thätigkeit überhaupt sei. So heisst es: „Die
Apperception, welche wir unmittelbar als eine innere
Thätigkeit empfinden, und von welcher aus wir dann den
Charakter innerer Thätigkeit auch auf den Inhalt der Apper-
ception übertragen *)". Dass Wille = spontaner Thätigkeit
überhaupt, lehrt die Stelle über Herbart : „Die entscheidende
Wichtigkeit, welche der spontanen Thätigkeit des Vorstellen-
den bei der Apperception zukommt, ist hier ganz und gar
übersehen')". An anderen Stellen schreibt er: „In dem
Willen erfasst das Subject unmittelbar sein eigenes inneres
Handetafi *)" „ — muss unmittelbar jenes Gefühl innerer Thätig-
keit entstehen, welches wir als charakteristisch fĂĽr jeden
Apperceptionsakt kennen *)". Im ersten Band war diese Auf-
fassung schon anticipirt: „Die Apperception empfinden wir
femer unmittelbar als eine innere Thätigkeit. — Diese innere
1)
S.
211.
2)
S.
304.
3)
S.
316.
4)
s.
388.
5)
s.
392.
564 Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc.
Thätigkeit ist endlich durchaus identisch zu setzen mit der
Wirksamkeit unseres Willens*)." Wo daher Wundt innere,
besonders innere verstärkende Thätigkeit erkennt, sieht er
gemäss seiner Begriffsbestimmung Wille. So in den Trieben.
Trieb ist ihm eine Gemüthsbewegung, die sich in äussere
Körperbewegungen von solcher Beschaffenheit umzusetzen
strebt, dass durch den Erfolg der Bewegung entweder ein
vorhandenes Lustgefühl vergrössert oder ein vorhandenes ün-
lustgefühl beseitigt wird*). Später heisst es dann: „Jede
Spannung der Apperception, wodurch sich diese einer zu er-
fassenden Vorstellung zuwendet, ist eine elementare Trieb-
äusserung, die sich als Begehrung oder Widerstrebung ge-
staltet, wenn der Inhalt der Vorstellung Anlass gibt zu
GefĂĽhlen der Lust oder Unlust. Li diesem weiteren Sinne
könnte man also die ganze Bewegung der Aufmerksamkeit,
welche den Verlauf der Vorstellungen durch den Blickpunkt
des Bewusstseins bestimmt, eine Triebäusserung nennen')."
In den zuerst oben angefĂĽhrten Stellen war von Wundt
nicht ex professo vom Willen gehandelt, sondern von der
Apperception, und diese hatte nur auf den Willen gefĂĽhrt.
S. 383 ff. folgt der besondere Abschnitt von dem Willen
und den äusseren Willenshandlungen. Die B[aupt-
punkte der Begriffsfestsetzung sind hier diese: „Definiren
lässt sich der Wille ebensowenig wie das Bewusstsein. Wenn
wir denselben als eine im Bewusstsein wahrnehmbare Thätig-
keit bezeichnen, welche theils in den Verlauf unserer inneren
Zustände bestimmend eingreift, theils äussere Bewegungen,
die jenen Zuständen entsprechen, hervorbringt, so ist diese
Umschreibung um so weniger eine eigentliche Begriffsbestim-
mung zu nennen, als uns die Vorstellung einer Thätigkeit
zunächst überhaupt nur aus unseren eigenen Willenshand-
lungen bekannt ist und erst von ihnen auf äussere bewegte
Gegenstände übertragen wurde*)." „Unter diesen (den psy-
sichchen) Phänomenen sind es die Gefühle und Gemüthsbe-
1) Bd. I S. 492.
2) Bd. U S. 333.
3) Ibid. S. 341.
4) S. 383.
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 565
wegungen, zu denen der Wille in nächster Beziehung steht.
— — Insbesondere sind es die Triebe, in denen diese Be-
ziehung zum Willen deutlich hervortritt*).** „In der bis-
herigen Darstellung der Apperception zeigte sich diese als
eine den Vorstellungen gegenübertretende Thätigkeit, welche
bald von einem vorherrschenden Reiz passiv bestimmt wird,
bald zwischen verschiedenen EindrĂĽcken activ eine Wahl
trifft, und welche in beiden Fällen im Stande zu sein scheint,
die centrale Sinneserregung zu verstärken*)**. — — „Der
Unterschied (der passiven und der activen Apperception)
stellte sich als gradweiser und als ein Unterschied der Ent-
wicklung dar ^)**. „Dass die Apperception * eine bewusste
Thätigkeit sei, kann nicht wohl bezweifelt werden. Was wir
bei einer einfachen passiven Apperception in uns wahrnehmen,
ist einerseits eine Vorstellung, andererseits ein GefĂĽhl innerer
Thätigkeit, mit dessen Anwachsen zugleich die Intensität der
Vorstellung zunimmt*).** „Die active Apperception unter-
scheidet sich von jenem einfachen Vorgang nur durch das
begleitende Bewusstsein einer Mehrheit disponibler Vorstel-
lungen, wobei das Gefühl innerer Thätigkeit in seiner quali-
tativen Färbung wechselt, je nachdem im Gefolge desselben
die eine oder andere Vorstellung an Intensität zunimmt^)**.
„Die innere Willensthätigkeit ist von Anfang an mit dem
Bewusstsein gegeben, da es ein Bewusstsein ohne Apper-
ception für uns nicht gibt, und die äussere Handlung er-
scheint als eine Bethätigung des Willens, deren Folgen zwar
verschieden sind von denjenigen der inneren Handlung der
Apperception, daher sie auch zu abweichenden Entwicklungen
Anlass bieten, welche aber in ihrer unmittelbaren psycho-
logischen Beschaffenheit durchaus mit derselben ĂĽberein-
stimmt*)**. „So werden wir dadurch nothwendig zu der
Annahme gedrängt, dass die äussere Willenshandlung
1)
S.
384.
2)
S.
385.
3)
s.
385.
4)
s.
386.
5)
s.
386-7.
6)
s.
390.
566 Baumann: Wundt*8 Lehre vom Willen etc.
ihrem ursprĂĽnglichen Wesen nach nichts anderes ist
als eine specielle Form der Apperception, indem sie
einen untrennbaren Bestandtheil jener Appereep-
tionen bildet, die sich auf den eigenen Körper des
handelnden Wesens beziehen*)". Also Wille ist innere,
besonders innere verstärkende Thätigkeit, welche theils im
Gedankenlauf allein sich geltend macht, theils auch in äusseren
Bewegungen sich zeigt. Die Triebbewegungen werden aus-
drücklich unter den Willen subsumirt: „Sie (die Triebbewe-
gung) unterscheidet sich von den eigentlichen Reflexen da-
durch, dass sie von Bewusstseinsvorgängen begleitet wird,
und dass sie vom Standpunkt der letzteren aus betrachtet
eine Handlung ist, welche in einem den Willen ein-
deutig determinirenden Motiv ihren Ursprung hat
Schon die einfachste Triebhandlung ist eine Willenshandr
lung. Den Ausdruck willkĂĽrliche Handlung werden wir
dagegen speciell fĂĽr eine solche Willenshandlung beibehalten
können, bei der eine Wahl zwischen verschiedenen Motiven
stattfindet «)."
Wundt ist sich dabei sehr wohl bewusst, dass seine
Auffassung des Willens zu der anderen in dem allgemeinen
Sprachgebrauch von Leben und Wissenschaft vorherrschenden
in schärfstem Gegensatz steht. Er lässt sich darüber so aus:
„Die Willenshandlungen erscheinen hier als die letzte Stufe
in der Entwicklung psychischer Lebensäusserungen, während
sie an den Anfang derselben zu stellen sind®)", „Im Gegen-
satz zu jener Anschauung, welche den Willen aus GefĂĽhlen
und Trieben entstehen lässt, müssen wir darum vielmehr den
Willen als die fundamentale Thatsache bezeichnen, von der
zunächst die Gefühlszustände des Bewusstseins bedingt sind,
unter deren Einfluss dann weiterhin aus diesen sich Triebe
entwickeln, und die Triebe in immer verwickeitere Formen
äusserer Willenshandlungen sich umsetzen. Gefühle und Triebe
erscheinen nun nicht mehr als Vorstufen fĂĽr die Entwicklung
des Willens, sondern als Vorgänge, die dieser Entwicklung
1) S. 391.
2) S. 412-13.
3) S. 389.
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 567
selbst angehören, und bei denen die Wirksamkeit der inneren
Willensthätigkeit als constante Bedingung erforderlich ist*)."
Nach alle dem ist also Wille fĂĽr Wundt innere, beson-
sonders innere verstärkende Thätigkeit, und da diese un-
zweifelhaft in der Aufmerksamkeit im weitesten Sinne da ist,
in den Trieben aller Art da ist, bei vielen körperlichen Be-
wegungen den Anstoss gibt, so ist ihm Wille eine fundamen-
tale Thatsache geistigen Lebens ĂĽberhaupt, nicht eine psy-
chische Erscheinung, welche andere fundamentale Thatsachen
zur Vorraussetzung hat. Ich kann also obige Formulirung
des Gegensatzes nur wiederholen. Nach dem vorherrschenden
Sprachgebrauch ist WiUe die besondere Art innerer oder
zugleich auch äusserer Bethätigung, welche auf Vorstellung
und Werthschätzung hin eintritt, nach Wundt istWiDe psy-
chisches Thätigkeitsgefühl überhaupt, wie es im Gedankenlauf
und in Bewegung nach aussen zum Bewusstsein kommt.
Man könnte zunächst die Frage aufwerfen, war es nicht
vielleicht nöthig, einen solchen zusammenfassenden Namen
für das psychische Thätigkeitsgefühl zu haben, und bot sich
dafür nicht das Wort Wille am nächsten dar? Nöthig war
das darum nicht, weil die andere Ansicht vom Willen dies
innere Thätigkeitsgefühl stets anerkannt hat und anerkennen
kann. Man hat für die innere Thätigkeit längst den Namen
Spontaneität. Kant, an dessen transcendentale Analytik^ die
Wundt'sche Lehre von der Apperception vielfach erinnert —
das eigentliche Denken ist Wundt active Apperception und die
Association blos ein Reflex derselben*) — hat darum von
einer Spontaneität des Verstandes gesprochen gegenüber der
Receptivität der Eindrücke. Nach Baumgarten (Metaphysik,
Deutsch, 1783, § 521) ist eine Handlung, welche von einer
zureichenden Quelle, die innerlich in dem handelnden Dinge
angetroffen wird, abhängt, eine selbstthätige (actio spontanea)
luid er schreibt daher allen Monaden, d. h. allen Elementen
der Welt nach Leibniz'scher Auffassimg, Selbstthätigkeit zu.
Der Ausdruck ist Wundt nicht unbekannt, er sagt z. B.:
1) S. 385.
2) S. 309 u. S. 305.
568 Baumana: Wundt*s Lehre vom Willen etc.
sobald spontane, d. h. nicht aus äusseren Reizen, sondern
aus reproducirten Vorstellungen entspringende Bewegungen
auftreten ^)". Demgemäss wird die andere Auffassung des
Willens jeder inneren Thätigkeit und dem Willen, sofern er
eine solche ist, gerecht, indem sie dieselbe als Spontaneität
bezeichnet, und dann verschiedene Arten von Spontaneität
unterscheidet, deren eine, nämlich die, wo auf VorsteDung
und Werthschätzung innere oder zugleich auch äussere Be-
thätigung eintritt, als Wille bezeichnet wird. Wenn wir
einmal annähmen, es walte ein bioser Unterschied des Sprach-
gebrauchs ob zwischen Wundt und der gewöhnlichen Fassung
des Willens, so wĂĽrde sich doch nicht leugnen lassen, dass
der Genius der Sprache gegen Wundt stände. Denn dass
wir innere Thätigkeit eben als innere Thätigkeit bezeichnen
können, und wenn wir gelehrt sein wollen, Spontaneität oder
Selbstthätigkeit dafür sagen mögen, dem steht nichts im
Wege, und also sollen wir das Wort Wille nicht aus seiner
speciellen Bedeutung ohne Noth in eine generelle zwingen.
Und wohin kommen wir mit dem Wundt'schen Sprachgebrauch
z.B. bei der Phantasie ? Bei Wundt lesen wir: „Wir können
eine doppelte Wirksamkeit der Phantasie unterscheiden, eine
passive und eine active. Im wesentlichen entspricht diese
GegenĂĽberstellung derjenigen der passiven und activen Apper-
ception. Passiv ist unsere Phantasie, wenn wir uns dem
Spiel der Vorstellungen ĂĽberlassen, die von irgend einer 6e-
sanMntvorstellimg in uns angeregt werden ; activ ist sie, wenn
unser Wille zwischen den bei einer solchen Zerlegung sich
darbietenden Vorstellungen auswählt und auf diese Weise
planmässig das Einzelne zu einem Ganzen zusammenfügt.
Auch diese beiden Richtungen der Phantasie bilden aber
keineswegs Gegensätze ; vielmehr bietet die passive der activen
Phantasie das Material dar, aus welchem diese ihre Erzeug-
nisse formt. Die passive Phantasie ist fast fortwährend in
uns wirksam. Insbesondere ist eine bevorstehende Handlung
oder die Zukunft überhaupt ein sehr häufiges Object der
Phantasiethätigkeit etc. Die active Phantasiethätigkeit
1) S. 411.
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 569
liegt jeder Art künstlerischer Schöpfung zu Grunde, und in
gewissem Grade ist sie an allen anderen schöpferischen Er-
zeugnissen des menschlichen Geistes betheiligt, an den Erfin-
dungen der Technik so gut wie an den Entdeckungen der
Wissenschaft ^)." Ich habe nichts gegen die Art, wie inhalt-
lich hier die Phantasie beschrieben wird, aber ich muss
daran erinnern, dass Wundt alle Phantasie, die active und
die passive, sofern er sie ausdrĂĽcklich mit unter die apper-
ceptiven Verbindungen rechnet*), sammt und sonders als
Willenshandlungen auffassen muss. Der träumerischste
Gedankenlauf in uns ist also Willenshandlung, die aus der
Tiefe seines Wesens mit ursprĂĽnglicher Gewalt hervor-
brechende, ihm selbst vielleicht ĂĽberraschende Gonception
des Dichters, des KĂĽnstlers ist danach Willenshandlung. Was
hilft es, wenn die Dichter versichern, ihr Talent stehe wenig
unter der Herrschaft des Willens, auch die sogenannte active
Phantasiethätigkeit nicht, sondern ihr Wille vermöge blos als
Vorstellung und Werthschätzung und sich daran anschliessende
BemĂĽhung anregend auf ihr Talent zu wirken, aber es sei
nicht immer sicher, dass dieser Wille in einem gegebenen
Moment sich wirksam erweise? Der Psychologe decretirt
ihnen zu, dass passive und active Phantasie Willenshandlung
sei, weil sie eben innere Thätigkeit ist. In dieselbe Misslich-
keit kommen wir bei Wundt mit dem Verstand. Nach ihm
„bezeichnen wir als Verstandesanlage schliesslich die Dispo-
sition des Bewusstseins hinsichtlich der Processc des logischen
Denkens oder jener apperceptiven Verbindungen, bei denen
die Vorstellungen die Bedeutung von Begriffen besitzen. Wie
wir die Phantasiethätigkeit ein Denken in Bildern genannt
haben, so könnte man die Verstandesthätigkeit füglich auch
als ein Phantasiren in Begriffen bezeichnen ^)." Ich habe
wieder gar nichts gegen die inhaltliche Ansetzung des Ver-
1) S. 321—2.
2) S. 321: ,In der Phantasiethätigkeit etc. Diese Verbindung trägt
durchaus den Charakter der apperceptiven Verbindungen in sich.
Die Phantasiethätigkeit ist also, kurz gesagt, ein Denken in
Bildern."
3) S. 323.
570 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
Standes, aber viel dagegen, dass der Verstand, weil er innere
Thätigkeit ist, darum sammt und sonders zur Willenshand-
lung gemacht wird. Dann mĂĽssen wir das Genie sowohl als
die Beschränktheit für Willenshandlungen erklären; dag^n
werden sowohl die höchste intellectuelle Begabung wie die
sich selbst bescheidende Beschränktheit Verwahrung einlegea
Diese wird erklären, dass sie trotz ihrer Willensanstrengung
den angeborenen Defect nicht ganz habe heilen können, etwa
mangelhafte Befähigung für das und das; das Genie, sofern
es nicht in allem Genie war, hat oft genug bekannt, dass
eine analoge üebertragung seiner Befähigung für ein Fach
auf ein anderes selbst bei der höchsten Willensanstrengung
nur massigen oder gar keinen Erfolg gehabt habe. Selbst
das Gedächtniss mussWundt für eine Willenshandlung sammt
und sonders erklären; denn er zählt es unter die bestinunten
Richtungen geistiger Thätigkeit *), also wenn jemand von
Natur schwer behält oder leicht, oder dies schwer behält
und jenes leicht, so muss nach Wundt jede dieser Weisen
WiUenshandlui^ sein von Anfang an. Das sind, meine ich,
arge Misslichkeiten, welche sich an den Wundt'schen Sprach-
gebrauch anschliessen, innere Thätigkeit überhaupt = WiDe
zu setzen. Ja, man könnte noch viel weiter gehen. Wenn
wir den Reiz zu niesen oder zu gähnen verspüren, so ver-
spüren wir sehr oft dabei das Gefühl einer inneren Verstär-
kung des Reizes so, dass schliesslich auch die bezĂĽgliche
äussere Handlung hervorbricht. Diesen Prozess müsste nun
Wundt Wille nennen, in Wirklichkeit läuft er sehr oft ohne
unseren Willen und selbst gegen denselben ab, d. h. gegen
das, was eben der herrschende Sprachgebrauch von Leben
und Wissenschaft Wille nennt. Es kann nicht fehlen, dass
Wundt selbst gegen seinen eigenen Sprachgebrauch unwill-
kĂĽrlich Zeugniss ablegt. Da nach ihm schon die einfachste
Triebhandlung eine Willenshandlung ist, so soll der Aus-
druck willkĂĽrliche Handlung speciell fĂĽr eine solche
Willenshandlung beibehalten werden, bei der eine Wahl
zwischen verschiedenen Motiven stattfindet^). Aber es ge-
1) S. 318. 2) S. 413.
Baumiuin: Wundt's Lehre vom Willen etc. 571
lingt ihm nicht das zu thun. Denn danach durfte er nicht
schreiben: „Activ ist sie (die Phantasie), wenn unser Wille
zwischen den bei einer solchen Zerlegung sich darbietenden
Vorstellungen auswählt und auf diese Weise planmässig das
Einzelne zum Ganzen zusammenfĂĽgt ^y\ Denn hier mĂĽsste
es statt Wille heissen die willkĂĽrliche Handlung oder
kurzweg die WillkĂĽr. Danach durfte nicht geschrieben
werden : „Auch hier (bei der geistigen Störung) verliert der
Wille mehr und mehr die Herrschaft ĂĽber die durch die
jeweiligen Aflfecte entstehenden Triebhandlungen*);" denn
Wille ist noch da nach Wundt, sofern ja jeder Trieb selbst
ihm zufolge eine Willenshandlung ist. Ebensowenig durfte
Wundt schreiben: „Dieser Einfluss des Willens (auf die
Afifecle) wird aber in der Regel ohnmächtig, wenn die Ge-
müthsbewegung zu hohem Grade anwächst. Auch gelingt
es ihm meistens nur das Innere zu verschleiem, selten es
ganz zu verhĂĽllen")." Denn Wille ist nach ihm auch die
übermächtig ausbrechende Gemüthsbewegung, auch das durch-
scheinende Innere. Dass es also Wundt nicht gelingt, den
Ausdruck Wille so festzuhalten, wie er seinen Begriff be-
schrieben hat, mag ein Beweis mehr sein, wenn es eines
solchen ijoch bedurfte,, dass das Wort Wille im vorheiTschen-
den Sprachgebrauch von Leben und Wissenschaft nicht mehr
ein jimgfräuliches ist, welches mit irgend einem Begriff noch
erst vermählt werden könnte, sondern dies Wort hat längst
eine Ehe eingegangen, an der es trotz des Versuchs, es da-
raus loszureissen, festhält; es bezeichnet nicht jede innere
Thätigkeit, auch nicht jede verstärkende, sondern eine ganz
besonders circumstanciirte.
Nach dem Bisherigen könnte die gewöhnliche Ansicht
vom Willen und die von Wundt vertretene als eine blosse
Differenz des Sprachgebrauchs erscheinen, wobei allerdings
der Wundt*sche Sprachgebrauch als Veranlassung zur Ver-
wirrung gdten mĂĽsste, weil er ein in einem engeren Sinn
feststehendes Wort zu einem viel allgemeineren Sinn erweitert.
1) S. 321.
2) S. 381.
3) S. 419.
572 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
Allein es ist nicht eine blosse Differenz des Sprachgebrauchs,
die hier obwaltet; das erhellt schon aus dem Eifer, mit
welchem Wundt seine Fassmig des Willens durch sachliche
Argumente zu stĂĽtzen bemĂĽht ist. Wir gehen daher auf die
sachlichen GrĂĽnde Wundt's fĂĽr seine Ansicht und seine Ge-
gengründe gegen die gewöhnliche Ansicht jetzt ausführlich
ein. Nach Wundt ist es eine längst gemachte Bemerkung,
„dass der Wille auf den Verlauf unserer Vorstellungen ein-
wirken könne", aber „trotzdem hat man gewöhnlich nur in
jenen Fällen, wo sich die Willensanstrengung entweder in
auffallend hohem Grade geltend macht, oder wo deutlich
eine Wahl zwischen verschiedenen disponiblen Vorstellungen
stattfindet, eine innere Wirksamkeit des Willens angenommen 0".
Dabei verkenne man völlig, dass auch bei der äusseren Willens-
handlung ein Schwanken zwischen verschiedenen Motiven
durchaus nicht nothwendig vorhanden sein mĂĽsse. Der Wille
könne eindeutig bestimmt sein, und sei dies auch beun
Menschen in der weitaus ĂĽberwiegenden Anzahl der Willens-
handlungen. Es mĂĽsse aber sogar die Apperception als der
primitive Willensact angesehen werden, der bei den äusse-
ren willkĂĽrlichen Handlungen stets vorausgesetzt werde. Be-
dingung fĂĽr die AusfĂĽhrung einer willkĂĽrlichen Bewegung sei
die Apperception der Vorstellung dieser Bewegung. Im all-
gemeinen, namentlich aber bei complicirteren und nicht zuvor
eingeübten Bewegungen gehe die innere der äusseren WiUens-
handlung auch der Zeit noch voraus. In Folge der EinĂĽbung
könne aber diese Zwischenzeit verkürzt werden imd endlich
ganz verschwinden*). In dieser ganzen AusfĂĽhrung vermag
ich keinen Grund zu erkennen, von der gewöhnlichen Ansicht
vom Willen abzugehen. Nach dieser ist Wille derjenige
geistige Zustand, wo auf Vorstellung und Werthschätzung
innere oder zugleich auch äussere Bethätigung eintritt, diese
Bethätigung ms^ nun schwach (conatus) oder stark und er-
folgreich sein (eflfectiver Wille, Wille mit Realisirung des vor-
gestellten Inhalts). Eine Wahl zwischen verschiedenen Mo-
1) S. 210 u. 211.
S. 211.
Baumann: Wandt*8 Lehre vom Willen etc. 573
tiven kann dabei statthaben, ist aber nicht nothwendig; es
gibt auch bei der gewöhnlichen Willensfassung eindeutigen
Willen. Dass zur willkürlichen äusseren Bewegung Vorstel-
lung und Werthschätzung als voraufgehend mindestens ordine
rationis gehört, ist gewiss, also auch Apperception, d. h. dass
diese Vorstellung und Werthschätzung im Wundt'schen Blick-
punkt des Bewusstseins steht. Aus alle dem folgt aber nicht
im Mindesten, dass Wille erweitert werden mĂĽsse zu innerer
Thätigkeit überhaupt, denn von der inneren oder zugleich
auch äusseren Bethätigung, welche auf Vorstellung und Werth-
schätzung eintritt und zusammen mit diesen Wille genannt
wird, ist eben sehr unterschieden die innere Bethätigung,
welche nicht zu ihrem Eintritt Vorstellung und Werthschätzung
erfordert. Dahin gehören also alle an sich unwillkürlichen
Thätigkeiten, z. B. Gedächtniss, Phantasie, Verstand, auch
Vernunft, die Triebe, als GefĂĽhle, welche sofort in gewisse
Bewegungen (Lotze) oder, allgemein, in eine Tendenz zum
inneren (Wissenstrieb z. B.) oder auch äusseren Thun über-
gehen u. s. w. Alle diese inneren Thätigkeiten, welche somit
vom Willen sehr verschieden sind, können natürlich und
werden sehr bald vielfach vom Willen als Vorstellung und
Werthschätzung und darauf folgender innerer oder zugleich
auch äusserer Bethätigung durchzogen, aber in den verschie-
denen Menschen in sehr verschiedenem Grade, und es fehlt
sehr viel, dass alles das auch im höchst durchgebildeten
Menschen Wille geworden sei.
Neue Argumente bringt Wundt in dem Abschnitt: „Von
demWillen und den äusseren Willenshandlungen"
S. 383 flf. Dort wird die Ansicht bekämpft, welche den
Willen aus GefĂĽhlen und Trieben entstehen lasse; citirt wird
S. 384 Lotze, Medicinische Psychologie S. 298. Gemeint
ist die Lehre, welche Herbart zuerst angeregt hat in Bezug
auf die willkürlichen äusseren Bewegungen, und die Lotze
etwa so ausgeführt hat. „Die Seele weiss nicht von sich aus,
wie es gelingt, einzelne Glieder in Bewegung zu setzen. Sie
musste das alles lernen, und dabei dient ihr der Umstand,
dass die Bewegungen selbst solcher Muskeln, die sonst ge-
wöhnlich vom Willen beherrscht werden, doch nicht immer
574 Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc.
von Zustanden der Seele ausgehen, sondern wie z. B. in
Krämpfen oft ohne Zuthun der Seele auf Veranlassung phy-
sischer innerer Reize geschehen. In der ersten Jugend findet
dies in sehr ausgedehntem Masse statt; indem dann der
Körper sich von selbst bewegt, macht die Seele die Erfah-
rung, dass eine gewisse anschauliche Bewegung a irgend
eines Gliedes mit einer Veränderung a ihres Gemeingeföhls
verbunden ist; will sie später die Bewegung a wieder er-
zeugen, so reproducirt sie in sich den Zustand a ihres Ge-
meingeföhls, d. h. die Art, wie ihr zu Muthe war, als die
Bewegung a geschah, und dies ist der innere Zustand der
Seele, auf dessen Wiedererinnerung die wirkliche Bewegung
erfolgt. Der Wille ist demnach ein ziemlich accesso-
risches Element in der Hervorbringung auch der willkĂĽrlichen
Bewegungen, seine Wirksamkeit erschöpft sich in der Her-
stellung einer Vorstellung oder eines Gemuthszustandes, mit
welchem weiter das Entstehen der Bewegung als automatische
Folge verbunden ist, und erklärlich wird dies auch nur, wenn
man annimmt, dass weder Vorstellung noch GemĂĽthsaffect
unmittelbar als psychische Elemente diese Folge erzeugen,
sondern dass sie zunächst auf die sensiblen Gentralorgane
rückwärts wirken und in ihnen dieselben Zustände erwecken,
die sie erfahren wĂĽrden, wenn der Inhalt der VorsteDung
von neuem als Sinnesreiz auf uns einwirkte, mit anderen
Worten, es wird durch die Vorstellung blos die Disposition
zur Bewegung, welche in dem Centralorgan und weiterhin
von sich und zum Theil mit Ausbildung von frĂĽher liegt, er-
weckt; wo also keine ursprĂĽngliche Bewegung und keine
ursprüngliche Disposition zur Bewegui^ unabhängig vom blos
psychischen Wollen im Körper liegt, bringt alles Wollen keine
Bewegung, also auch kein (äusseres) VoDbringen hervor."
Das alles wird gesagt von den willkürlichen äusseren Be-
wegungen, also von denen, welche auf Vorstellung und Werth-
schätzung und die sich daran anschliessende innere Be-
thätigung (Impuls) eintreten. In der „Metaphysik" (System
der Philosophie 2. Thl.) S. 586 f. hat Lotze diese Anschau-
ung nochmals prägnant gegeben. Er war damit nicht ge-
meint zu läugnen, dass die Seele vielleicht Thätigkeiten auch
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 575
ausübe zum ursprünglichen Aufbau des Körpers selbst, er
läugnet nur, dass diese Thätigkeit Wille genannt werden
könne. Man vergleiche die recapitulirende Betrachtung im
Mikrokosmus 2. Aufl. Bd. I S. 322: „Als wir die Vorstel-
lungen prüften, welche über den Grund der zweckmässigen
Bildung des lebendigen Körpers nach und nach hervorgetreten
sind, haben wir bereits jener Ansicht gedacht, welche seine
Harmonie nur aus der thätigen Mitwirkung eines geistigen
Wesens ableitbar glaubte. Wir haben damals gesehen, dass
diese Meinung ihr Ziel verfehlte, wenn sie durch die HĂĽlfe
der Seele die Entwicklung des Körpers dem Gebiete des
mechanischen Geschehens zu entziehen suchte. Denn das,
wodurch allein die Seele mehr ist, als der blinde Mechanis-
mus, die verständige Ueberlegung und die willkürliche Wahl
der Zwecke und Mittel, konnte nach Allem, was die Erfah-
rung uns lehrte, nicht als mitwirkend bei dem allmäligen
Aufbau der körperlichen Gestalt, betrachtet werden. Die
Formen des Leibes werden in einem Zeitraum endgĂĽltig fest-
gestellt oder vorbereitet, in welchem alle diese Thätigkeiten
der Seele ihrer Ausbildung noch entgegensehen; Alles, was
sie selbst daher zur Begründung des körperlichen Lebens bei-
tragen konnte, vermochte sie nur, sofern sie als ein Element
neben anderen in den Zusammenhang der mechanischen
Wechselwirkungen mit verflochten war, aus deren zusammen-
stimmender Thätigkeit mit blinder Nothwendigkeit die vorher-
bestimmte Form des Organismus hervorging."
Was setzt nun Wundt dieser Ansicht entgegen, dass die
willkĂĽrliche Bewegung, d. h. Bewegung auf Vorstellung und
Werthschätzung hin ursprünglich unwillkürUche Bewegung zu
ihrer Erklärung erfordere, d. h. spontane Bewegung, welche
ohne voraufgehende Vorstellung und Werthschätzung, also
ohne das Moment, welches nach der gewöhnlichen Ansicht
zum Willen unerlässlich ist, aus äusseren oder inneren Reizen
eingetreten ist, bei welchen die Seele, d. h. das Psychische
in uns immerhin mitwirken mochte, nur nicht als Vorstellung
und Werthschätzung ? Er setzt dem zunächst nichts entgegen,
als dass er eben die Sache anders bestimme, d. h. innere,
besonders innere verstärkende Thätigkeit überhaupt Wille
576 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
nenne. Er schreibt : „Es ist leicht zu sehen, dass man hier-
bei die Entstehung äusserer und noch dazu zweckbewusster
Willenshandlungen mit der Entstehung des Willens selber
verwechselt. Nun ist die äussere Willenshandlung, wie schon
frĂĽher bemerkt wurde, ein unter mannichfaltigen Vermittlungen
entstandenes Folgeproduct der inneren Willensthätigkeit, der
Apperception. Bei dieser lässt sich aber von einer Entste-
hung ĂĽberhaupt nicht reden, sondern es lassen sich nur die
Entwicklungen aufzeigen, zu denen sie unter Hinzutritt weiterer
bedingender Momente den Anlass bietet. So kann denn auch
davon keine Rede sein, dass jene primitive innere Willens-
thätigkeit sich erst aus Gefühlen und Trieben entwickelt
hätte. — — Gefühle und Triebe erscheinen nun nicht
mehr als Vorstufen fĂĽr die Entwicklung des WiUens, sondern
als Vorgänge, die dieser Entwicklung selbst angehören, und
bei denen die Wirksamkeit der inneren Willensthätigkeit als
constante Bedingung erforderlich ist ^)". Man erinnere sich,
dass für Wundt innere Willensthätigkeit = Apperception,
d. h. Aufmerksamkeit ist. Bei dieser hat er den Unterschied
von unwillkĂĽrlicher und willkĂĽrlicher aufgehoben, weil alle
Aufmerksamkeit, selbst die passive, d. h. durch einen Ein-
druck eindeutig bestimmte, innere Thätigkeit sei und innere
Thätigkeit eben Wille sei. Danach ist es natürlich selbst-
verständlich, dass Wille bei allen geistigen Zuständen dabei
ist und sogar der wesentliche Factor ist; sowie die Seele
einem GefĂĽhl, einem Trieb, einer Vorstellung zugewendet ist,
sowie sie nach aussen gerichtet ist, ist sie ja aufmerksam,
thätig, also Wille. Man könnte kurz sagen: für Wundt ist
psychische Regsamkeit ĂĽberhaupt = Wille.
S. 389 bestreitet Wundt mit neuen Argumenten die oben
nach Lotze vorgetragene Lehre, dass die willkĂĽrliche Bewe-
gung aus ursprĂĽnglich unwillkĂĽrliche]^ entstanden zu denken
sei, welche Lehre wohl unabhängig von Lotze in England
Bain sehr ausfĂĽhrlich vertreten hat. Ich glaube, Wundt
misst beiden Männern und überhaupt der gewöhnlichen An-
sicht vom Willen dabei mit Unrecht die Meinung zu, dass
1) S. 384 u. 85.
Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc. 577
der Wille zunächst gewisse körperliche Bewegungen seiner
Herrschaft unterwerfe, um dann erst einen gelegentlichen
Einfluäs auf den Vorstellungsverlauf zu gewinnen. Denn dass
Gedächtnlss, Einbildungskraft, Verstand etc. nicht ursprüng-
lich Willenshandlungen sind, stand lange fest, ehe man die
Frage aufwarf, wie es eigentlich näher zu denken sei, dass
die Seele viele körperliche Bewegungen willkürlich hervor-
rufen könne, während sie bei anderen das nicht könne. Alle
jene geistigen Zustände sind allerdings geistige Thätigkeiten,
aber darum sind sie noch nicht Wille. Jene geistigen Thätig-
keiten entstehen zuerst unwillkĂĽrlich, und erst darauf hin
werden sie auch gewollt, d. h. wird auf Vorstellung und
Werthschätzung derselben hin innere oder zugleich auch äussere
Realisirungsbethätigung angewendet. Wundt fragt nun in
Bezug auf jene Herleitung der willkĂĽrlichen Bewegungen aus
ursprünglich unwillkürlichen: „Wie kommt dann aber der
Wille zu der Entdeckung, dass gewisse Bewegungsvorstellun-
gen seinem Befehl gehorchen? Wie ist dies denkbar, wenn
er nicht von Anfang an einen Einfluss auf Bewegungen des
eigenen Körpers besitzt? *)". Ich sehe nicht ab, wo da eine
Schwierigkeit liegt. Stattgefunden haben unwillkĂĽrliche Be-
wegungen mit daran sich knĂĽpfenden Vorstellungen und Werth-
schätzungen; sobald nun diese Vorstellungen und Werth-
schätzungen aus irgend welchen psychologischen Gründen
sich reproduciren, entsteht auch wieder eine Tendenz zu der
Körperbewegung, welche früher und vielleicht recht oft damit
verbunden war. Es liegt da nichts vor, als was wir lOOOfaltig
in uns erleben, eine umgekehrte Association, aus der sich
zugleich erklärt, warum der (effective) Wille auch in dieser
Hinsicht sich nur langsam und schwer ausbildet, eben weil
dabei eine umgekehrte Association statt hat. Dieser ganze
Vorgang, dass auf Vorstellung und Werthschätzung innere
oder zugleich auch äussere Bethätigung eintritt, ist der Wille;
nicht der Wille merkt, dass gewisse Bewegungsvorstellungen
seinem Befehl gehorchen, sondern unsere Seele, womit zu-
nächst nicht mehr gemeint zu sein braucht als unser psy-
1) S. 389.
Philosoph. MonaUheae, 1881. iX u. X. 37
578 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
chisches bewusstes Wesen, merkt das, gerade wie es merkt,
dass eine Menge unwillkĂĽrlicher Zustande in ihm sieh finden,
d. h. solche, die ohne voraufgehende Vorstellung imd Werth-
schätzung und selbst gegen vorhandene VorsteUung und
Werthschätzung in ihm auftreten. Wundt fahrt fort: „Auch
spricht die Beobachtung in keiner Weise fĂĽr eine solche zu-
fällig gemachte Entdeckung des Willenseinflusses auf die
Muskeln. Niemand, der die Bewegungserscheinungen in der
niederen Thierwelt kennt, wird zugeben, dass hier alle Körper-
bewegungen automatischer und reflectorischer Natur seien,
oder dass auch nur diese unwillkĂĽrlichen Bewegungen bei
der Entwicklung der Lebensäusserungen eines einzelnen Thier-
individuums den Bewegungen von willkĂĽrlichem Charakter
vorausgehen mĂĽssen. Gerade bei den niedersten Wesen,
z. B. den Protozoen, Gölenteraten, Würmern, treten die
Körperbewegungen von automatischem und reflectorisehem
Charakter durchaus zurĂĽck gegenĂĽber solchen Handlungen,
die auf eine vomngegangene Empfindung oder Vorstellung
und einen daraus entstandenen Trieb hinweisen, und denen
wir darnach den Charakter emfacher Willenshandlungen bei-
legen müssen *)." Vorweg möchte ich hierzu bemerken, dass
von einer zufällig gemachten Entdeckung des Willensein-
flusses auf die Muskeln bei jener Theorie durchaus nicht die
Rede ist; diese Entdeckung zu machen gehört nach ihr ebenso
zur Naturbeschaffenheit des Menschen, wie Farben, Töne und
die sonstigen Empfindungen zu erleben. Eine metaphysisch
letzte Erklärung hat jene Ansicht mit ihrer nächsten Behaup-
tung auch nicht geben wollen, sie behauptet nur, dass die
willkĂĽrlichen Bewegungen in der eigenthĂĽmlichen Beschaffen-
heit und Begrenztheit, wie sie beobachtet werden, zu ihrer
Erklärung unwillkürliche Bewegungen voraussetzen. Was
dann den Einwand mit den niederen Thieren betrifft, so
wäre man methodologisch wohl befugt ihn abzuweisen; denn
alles, was wir von dem Seelenleben der Thiere wissen, be-
ruht lediglich, und Wundt selbst wird das zuerst zugestehen,
der sich wiederholt sehr massvoll ĂĽber Thierpsychologie ge-
1) S. 389.
Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc. 579
äussert hat, — es beruht das alles auf Analogieschlüssen
vom Menschen aus, die um so unsicherer werden, je mehr
man sich der niederen Thierwelt nähert. Aber geben wir
Wandt seine Behauptung ĂĽber diese Thiere zu, lassen wir
bei ihnen „die Körperbewegungen von automatischem und
reflectorischem Charakter durchaus zurĂĽcktreten gegenĂĽber
solchen Handlungen, die auf eine vorangegangene Empfin-
dung oder Vorstellung und einen daraus entstandenen Trieb
hinweisen", so wird das gegen unsere Ansicht nur sprechen,
wenn Wundt erweisen kann, dass auch bei den ersten Be-
wegungen, welche diese Thiere vollfĂĽhrten, Vorstellung und
Werthschätzung als Bedingung derselben voraufgingen. Wenn
er das nicht beweisen kann, wie er es denn nicht kann, so
werden wir nach aller Analogie annehmen, dass auch bei
ihnen Wille, soweit er vorhanden ist, d. h. innere oder zu-
gleich auch äussere Bethätigung auf Vorstellung und Werth-
schätzung hin, erst aus unwillkürlichen Bethätigungen hervor-
ging. Wir werden aber vielleicht gut thun, ihnen Wille nicht
in höherem Grade beizulegen, als wir es bei kleineren Kindern
auch thun, in deren geistige Art sich ja gewiss frĂĽh manches
WĂĽlenselement einmischt, die aber doch ĂĽberwiegend nach
Trieben handeln und nicht nach Wille. Wundt fahrt fort:
„Dagegen ist allerdings anzuerkennen, dass bei den höheren
Organismen, z. B. beim Menschen, zwar ebenfalls von Anfang
an Willensreactionen nicht fehlen, dass aber neben ihnen
zugleich zahlreiche automatische und reflectorische Bewegungen
vorkommen, für deren allmälige Beherrschung durch den
Willen dann zum Theil die Schilderung zutrifft, welche man
von der Entwicklung des Willens ĂĽberhaupt zu entwerfen
pflegt *)". Also WiDensreactionen fehlen beim Menschen von
Anfang an nicht ganz. Es ist wohl nicht zufällig, dass Wundt
schreibt „Willensreactionen" und nicht „WiUensactionen", er
meint wohl damit, z. B. dass ein Reiz, der von aussen auf
den Säugling wirkt, als unangenehm empfunden wird und
Bewegungen zu seiner Abwehr hervorruft. Aber die Frage
ist gerade: darf man das schon Wille nennen? Die gewöhn-
1) S. 389.
580 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
liehe Ansicht wird das nicht thun, so wenig sie es WiUe
nennt, wenn der Schlafende sich im Bett umdreht, weil ihm
seine Lage ohne helles Bewusstsein darum unangenehm war,
oder wir im Wachen es Wille nennen, wenn wir uns ĂĽber
das Gesicht streichen, ohne Bewusstsein von dem Dass und
Warum zu haben. Seine eigene Ansicht ĂĽber die vorliegende
Frage formulirt Wundt dahin: „Dass die äussere Willens-
handlung ihrem urspränglichen Wesen nach nichts
anderes ist als eine specielle Form der Apperception,
indem sie einen untrennbaren Bestandtheil jener Ap-
perceptionen bildet, die sich auf den eigenen Körper
des handelnden Wesens beziehen*)". Vorher fĂĽhrt er
dafür besonders an: „Noch das Kind und der Natunnensch,
ebenso wie sie die wahrgenommene Handlung leicht zur
Nachahmung fortreisst, sind nicht im Stande, die lebhafte
Vorstellung einer eigenen Bewegung zu vollziehen, ohne dass
diese auch wirklich eintrete. Wir haben also allen Grund
anzunehmen, dass hier innere Apperception und äussere
Handlung nicht ursprüi^lich geschiedene Vorgänge sind, son-
dern dass umgekehrt ihre Trennung auf der späteren Ent-
wicklung des Bewusstseins beruht, welche Wettstreitphäno-
mene zwischen den Willensimpulsen und damit Willenshem-
mungen möglich macht')." Also äussere Bewegung und
innere Apperception sind ursprĂĽnglich im Menschen nicht
getrennt, die äussere Willenshandlung ist ursprünglich ein
untrennbarer Bestandtheil jener Apperceptionen, die sich auf
den eigenen Körper des handekiden Wesens beziehen. Das
sind lauter Sätze, welche die von Wundt bekämpfte Theorie
auch hat; denn nach ihr löst sich der Wille, d. h. die auf
Vorstellung und Weilhschätzung folgende innere oder zugleich
auch äussere Bethätigung, erst allmälig heraus aus der ganzen
Menge von geistig - sinnlichen Zuständen, welche die Seele
durchmacht, unter diesen Zuständen finden sich auch Apper-
ceptionen, d. h. bewusste Auffassungen des eigenen Leibes
und der darauf bezĂĽglichen passiven und activen GefĂĽhle.
Aber damit ist gar nichts darĂĽber entschieden, ob die activen
1) S. 391.
2) S. 391.
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 581
GefĂĽhle in Bezug auf die leiblichen Bewegungen ursprĂĽng-
lich von der Seele, sofern sie vorstellend und fĂĽhlend ist,
ausgehen, was ja doch der Gegenstand der Controverse ist.
Die von Wundt bekämpfte Theorie sagt: da man das nicht
annehmen kann, sintemal die Seele des Menschen unzweifel-
haft erst die Herrschaft ĂĽber ihren Organismus, soweit sie
dieselbe ĂĽberhaupt gewinnt, langsam und mĂĽhsam durch
ĂĽebung erlernt, so muss unwillkĂĽrliche Bewegung vorher-
gehen, bei welcher die Seele vielleicht mitwirkt, aber nicht
durch Vorstellung und GefĂĽhl, sondern in der Weise eines
blos organischen Elementes. Wundt nennt 1) alle geistige
Thätigkeit Wille und möchte 2) speciell die directe locomo-
torische Wirksamkeit der Seele erhalten wissen, und glaubt
das durch die Apperception bewiesen, als welche bei allen
unseren geistigen Zustanden unentbehrlich sei und als Thätig-
keit eben Wille sei. Die gegenüberstehende Ansicht läugnet,
dass innere Thätigkeit überhaupt Wille sei, sondern ihr ist
Wille ein besonderer Fall der inneren oder zugleich auch
äusseren Bethätigung, sie erkennt daher dem Argument aus
der Apperception für die äusseren Körperbewegungen keine
Kraft zu. Was speciell den Hinweis auf das Kind und den
Naturmenschen betriffl, so ist dagegen zu erinnern, 1) dass
eine wahrgenommene Handlung sie nur dann leicht zur Nach-
ahmung fortreisst, wenn die in der Handlung vorkommenden
Bewegungselemente schon vorher in ihnen entwickelt waren,
und selbst ihre Combination einigermassen vorbereitet; wo
das gar nicht ist oder nur wenig ist, tritt keine Nachahmung
ein oder der Versuch wird bald aufgegeben. 2) Dass Kind
und Naturmensch aber nicht im Stande sind eine lebhafte
Vorstellung einer eigenen Bewegung zu vollziehen, ohne dass
diese auch wirklich eintrete, ist wahr mit der Beschränkung,
dass jene lebhafte Vorstellung einer eigenen Bewegung keine
ursprĂĽngliche That, sondern eine reproducirte Vorstellung ist,
also die Bewegung als voraufgegangen voraussetzt, was
alles mit der von Wimdt bekämpften Theorie vortrefflich
stimmt
Wenn man nach all diesen AusfĂĽhrungen Wundt's seinen
schliesslichen Ansatz der Entstehung willkürlicher äusserer
582 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
•
Bewegungen liest, so sollte man glauben, es handle sich
eigentlich doch nur um einen Wortstreit. Er lehrt nämlich:
„Angeboren ist nur die in der Organisation begründete Eigen-
schaft, auf gewisse äussere Eindrücke Bewegungen von be-
stimmter Form auszufĂĽhren; die Vorstellung dieser Bewe-
gungen entsteht aber in Folge ihres wirklichen Vollzugs. Dem-
nach haben wir uns die erste Entstehung einer Willenshand-
lung so zu denken, dass ein äusserer Eindruck und mit ihm
gleichzeitig die ^on ihm ausgelöste Bewegung appercipirt
wurde. Wir bezeichnen aber eine solche Bewegung, obgleich
sie nach ihrer physischen Seite durchaus den mechanischen
Bedingungen des Reflexes entspricht, doch schon als eine
einfache Triebbewegung, weil der Eindruck im Bewusst-
sein von einer mehr oder minder gefĂĽhlsstarken Empfindung
begleitet wird, welcher letzteren dann auch die ausgefĂĽhrte
Bewegung entspricht, insofern dieselbe entweder ein Streben
nach dem einwirkenden Reiz oder ein ZurĂĽckziehen von dem-
selben herbeifĂĽhrt. Indem nun eine solche Bewegung bei
ihrer AusfĂĽhrung sofort appercipirt wird, muss unmittelbar
jenes Gefühl innerer Thätigkeit entstehen, welches wir als
charakteristisch fĂĽr jeden Apperceptionsact kennen. Dieses
Gefühl erhält aber hier dadurch eine charakteristische Färbung,
dass es mit der Bewegungsempfindung zu einem untrenn-
baren Complexe verschmilzt. So bildet denn die Entstehung
dieser Verschmelzung die Grundlage fĂĽr die Unterscheidung
der äusseren von den inneren Willenshandlungen ; erst secun-
där greifen in diese Unterscheidung die Vorstellungen des
eigenen Körpers und seiner Theile ein, im Zusanaraen-
hang mit der Bedeutung, welche das sich entwickehide
Selbstbewusstsein ihnen anweist *)." Wundt lässt also gleich-
falls die Vorstellung der Bewegung erst aus der auf Empfin-
dung reflexartig eingetretenen Bewegung hervorgehen, das
GefĂĽhl, welches sich zugleich dabei einstellt, dass die ent-
stehende Bewegung entweder den einwirkenden Reiz festhält
oder flieht, verschmilzt mit der Bewegung und wohl auch
mit der Empfindung. Aus alle dem bildet sich dann in der
1) S. 392. YergL dazu S. 413-4.
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 583
Seele das Bewusstsein heraus, dass auf gewisse reproducirte
Vorstellungen und Gefühle äussere Bewegungen eintreten oder
das, was wir äussere Willenshandlungen nennen. Ich sehe
nicht ab, wie sich eigentlich dieser Ansatz von der bekämpften
Theorie unterscheidet, es mĂĽsste denn sein, dass Wundt
ganz besonderen Werth auf das Gefühl innerer Thätigkeit
legt, welches ihm chai'akterjstisch fĂĽr den AppercepĂĽonsact
ist, und etwa meinte, dass nur, wo eine gefĂĽhlsstarke
Vorstellung die Bewegung hervorruft, von Wille die Rede
sein könne. Wille wäre ihm dann innere Anstrengung,
ein gewisser Aufwand geistiger Kraft, zeige er sich nun blos
innerlich oder zugleich auch in äusseren Bewegungen. Allein
so oft sich dies thatsächlich so verhält, dass der Wille An-
strengtmg ist, fĂĽr nothwendig zu seinem Begriflf wird man
es nicht erachten können ; der Wille besteht immer in innerer
oder zugleich auch äusserer Bethätigung, welche auf Vorstel-
lung und Werthschätzung eintritt, aber diese Bethätigung
selbst kann stark, schwach, leicht, mĂĽhselig etc. sein, das
gibt Nuancirungen des Willens. Oft ist es das einemal so,
das anderemal so, wir suchen sogar die dabei mitwirkenden
Factoren so auszubilden, dass Vorstellung, Werthschätzung
und die der Realisirung dienende innere oder zugleich auch
äussere Bethätigung möglichst zusammenfallen, dass firma
facultas statt habe. Auch eine andere Aeusserung Wundt's
stimmt ganz mit der Tendenz der von ihm bekämpften
Theorie überein, nämlich die, „dass, wer nicht den Willen
als einen deus ex machina ansieht, der plötzlich, ohne dass
über seine Herkunft Rechenschaft zu geben erlaubt wäre,
durch einen ihm innewohnenden räthselhaften Instinct die
Maschine des eigenen Leibes zu beherrschen vermag, auf
eine derartige Entwicklung der complicirteren Willenshand-
lungen aus einfacheren psychischen Acten zurĂĽckgefĂĽhrt wer-
den muss *)". Mit Recht wendet Wundt denselben Satz
auch auf das höhere Geistesleben an. Er sagt: „Begehren
und Widerstreben bilden die Grundlagen aller Willenshand-
lungen. Die geistige Entwicklung des Menschen macht in
1) S. 392.
584 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
dieser Hinsicht keinen Unterschied. Sie hebt nicht die Triebe
auf oder lehrt sie unterdrĂĽcken, sondern sie erweckt nur
neue und höhere Formen des Begehrens, welche über die in
dem Thier und in dem Naturmenschen wirksamen Triebe
immer mehr die Herrschaft erlangen ')."
Dass aber doch kein Wortstreit vorliegt, sieht man wie-
der aus den Sätzen, in welchen Wundt seine Ansicht schliess-
lieh so formulirt: „dass willkürliche Bewegungen,
Triebbewegungen und Reflexe gemeinsam sich
aus einer Form der Bewegung entwickeln, welche
in gewissem Sinne die Merkmale der Willenshand-
lungen und des Reflexes gleichzeitig an sich trägt"*).
„Nach ihrer physischen Seite gleicht also die (Trieb-) Bewe-
gung vollständig einer Reflexbewegung. Aber sie unterschei-
det sich von den eigentlichen Reflexen dadurch, dass sie von
Bewusstseinsvorgängen begleitet wird, und dass sie vom Stand-
punkt der letzteren aus betrachtet eine Handlung ist,
welche in einem den Wollen eindeutig determini-
renden Motiv ihren Ursprung hat. Schon die ein-
fachste Triebhandlung ist also Willenshandlung"*). Unter
den (rein) automatischen und reflectorischen Bewegungen da-
gegen versteht er nur solche, die ausschliesslich als mecha-
nische Erfolge der Verbindungen der Nervenelemente und der
Einwirkung physischer Reize auf dieselben entstehen, ohne
dass begleitende Empfindungen und GefĂĽhle nachweisbar sind*).
Endlich fĂĽhrt er seinen Gegensatz zu der von Lotze vertre-
tenen oben ausgefĂĽhrten Ansicht ĂĽber die Entstehung will-
kĂĽrlicher Bewegungen mit kurzer Wiederholung seiner frĂĽ-
heren Argumente so aus: „Alles spricht also dafür, dass nicht
die Willenshandlungen aus den Reflexen hervorgegangen sind,
sondern dass die Reflexe mechanisch gewordene
Willenshandlungen sind, entstanden durch die Wir-
kungen, welche die eingeĂĽbten Willensbewegungen auf die
bleibende Organisation des Nervensystems hervorbrachten"*).
1) 8^334.
2) S. 393.
3) S. 412.
4) S. 402.
5) S. 410—11.
Baumann: Wundes Lehre vom Willen etc. 585
Er setzt hinzu: „Empirische Beweise für diese Folgerung aus
der individuellen Entwicklung werden wir unten bei der Be-
trachtung der willkürlichen Bewegung noch näher kennen
lernen.*' Die von Wundt gemeinten Betrachtungen sind diese.
S. 414 wird auf die Erfahrung verwiesen, dass Bewegungen,
denen ursprĂĽnglich eine bewusste Absicht zu Grunde lag,
nach häufiger Wiederholung auch ohne solche vollkommen
unbewusst ausgeführt werden. Wundt fahrt dann fort: „Ver-
gleichen wir mit den Erfolgen der individuellen Uebung die
complicirteren Instincthandlungen der Thiere, so können sicht-
lich die letzteren nur erklärt werden, wenn man annimmt,
dass ein ursprünglicher Trieb allmälig willkürliche Handlungen
in seine Dienste genommen hat, die dann, auf die Organisa-
tion zurĂĽckwirkend, zu mechanisch eingeĂĽbten Triebhandlun-
gen geworden sind. Ebenso werden wir in allen jenen oft
höchst zweckmässigen und zusammengesetzten Reflexen, die
man bei Thieren beobachtet, welchen die zu den Functionen
des Bewusstscins unerlässlichen Centraltheile mangeln, die
Residuen eingeĂĽbter WillkĂĽrbewegungen sehen dĂĽrfen. Die
individuelle Entwicklung unterstĂĽtzt so die aus der gene-
rellen geschöpfte Annahme, dass sich nicht die W^illenshand-
lungen aus Reflexen entwickelt haben, sondern dass im Gegen-
theil die zweckmässigen Reflexbewegungen stabil und mecha-
nisch gewordene Willenshandlungen sind" *). Die Nothwen-
digkeit dieses Schlusses ist nicht einzusehen. Was den zwei-
ten der erwähnten Fälle betrifft, so hat Lotze die von Wundt
vertretene Deutung zuerst gegeben, er, der doch die willkĂĽr-
lichen Bewegungen aus ursprĂĽnglich unwillkĂĽrlichen Bewe-
gungen sich herausbilden lässt. Was den ersten Fall betrifft,
so ist es ja gewiss denkbar, dass complicirtere Instincthand-
lungen so entstanden sein können, aber dieselben sind ja
nach Wundt von einem ursprĂĽnglichen Trieb ausgegangen.
Da fragt sich wieder: ist der Trieb schon Willenshandlung,
was Wundt bejaht, die gewöhnliche Ansicht vom Willen ver-
neint, und zwar, wie wir glauben gezeigt zu haben, mit gutem
Recht verneint.
1) S. 415.
586 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
Je mehr sich so immer wieder hervordrängt, dass der
Streit zwischen der gewöhnlichen Ansicht vom Willen und der
Wundt'schen im Grunde darauf zurĂĽckgeht, dass Wundt alle
innere, besonders innere verstärkende Thätigkeit schon Wille
nennt, die gewöhnliche Ansicht nur eine viel mehr circum-
stantiirte Art innerer Bethätigung als Wille gelten lässt, desto
mehr drängt sich auch immer wieder die Erwägung auf, was
mag Wundt zu dieser seiner Fassung gebracht haben? was
mag er für einen geheimen Anstoss an der gewöhnlichen An-
sicht vom Willen genommen haben ? Ich glaube, dieser ge-
heime Anstoss lag in Folgendem : Wundt betont beim \Villen
besonders das Gefühl innerer Thätigkeit, innerer verstärkender
Thätigkeit, welches dann ein Streben nach dem einwirkenden
Reiz oder ein ZurĂĽckziehen von demselben herbeifĂĽhrt. Nun
ist zuzugestehen, dass darin ein wesentliches Moment des
Willens erfasst ist, es ist eben die innere oder zugleich
auch äussere Bethätigung, welche sich an Vorstellung und
Werthschätzung anschliesst. Diese innere Bethätigung als
Steigerung des Festhaltens oder Fliehens ist in der That auch
beim Trieb schon da; sofern die Triebe als GefĂĽhle, welche
sofort in Bewegung oder Tendenz zur Bethätigung übergehen
— diese Definition passt auf körperliche und geistige Triebe
gleich sehr — durch die mit ihnen verbundenen Bethätigun-
gen Befriedigung herbeifĂĽhren oder nicht, steigert oder min-
dert sich auch die Tendenz selber. Muss man dies Moment
im Trieb, das ja als Gefühl Bewusstsein und oft auch nähere,
wenngleich nur verworrene Vorstellung ist, schon Wille nennen,
so wĂĽrde Wundt Recht haben. Aber ich glaube, er selbst
nennt das im concreten Falle nicht so, wie er es nach seiner
Theorie mĂĽsste. Wundt hat ĂĽberaus trefiflich von einigen
Trieben gehandelt S. 202. Dort nennt er den Geschlechts-
trieb den einzigen Fall, wo uns ĂĽber die Entwicklung eines
Triebes aus eigener Erfahrung ein ürtheil zustehen könne.
Und schreibt dann: „So sicher nun derselbe zu den ange-
borenen Instincten gehört, ebenso gewiss ist es, dass die
sämmtlichen Vorstellungen, welche im Verlauf seiner Ent-
wicklung zur Geltung kommen, aus der Erfahrung herstam-
men. Selbst die extremsten Anhänger der angehörten Ideen
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 587
werden nicht geneigt sein, dem Menschen eine angeborene
Kenntniss der GeschlechtsdiflFerenz zuzuschreiben, und den-
noch wĂĽrde diese Annahme ebenso nothwendig sein, wie die
angeborene Vorstellung der Mutterbrust beim Säugling. Wo-
rin bestehen denn aber diejenigen Elemente, die wir bei allen
diesen Instincten wirklich als die angeborenen anzusehen
haben? Zunächst und unmittelbar nur in der in unserer Or-
ganisation gegebenen Anlage zur Entstehung bestimmter Ge-
meinempfindungen und zur Association bestimmter Bewegun-
gen mit diesen Gemeinempfindungen : Angeboren ist dem neu-
geborenen Kinde wie dem neugeborenen HĂĽhnchen nur die
Fähigkeit, Hunger zu empfinden und die Verbindung dieser
Gemeinempfindung mit bestimmten Bewegungen — — —
(S. 203); aber von der Mutterbrust besitzt der Säugling
ebensowenig eine angeborene Vorstellung, wie das HĂĽhnchen
von den Körnern, die es fressen wird. Bei beiden ist daher
in der That die AusĂĽbung des Nahrungstriebes das gemein-
same Erzeugniss ursprĂĽnglicher Anlagen der Organisation und
frĂĽhester Lebenserfahrung." Aber muss man dann nicht fort-
fahren: und eben darum sprechen wir Anfangs bloss von
einem Trieb zur Nahrung bei dem Säugling, und von einem
Willen zur Nahrung erst dann, wenn durch wiederholte Be-
friedigung des Triebes in Folge äusserer oder innerer Reize,
die aber als solche gar nicht zum Bewusstsein zu kommen
brauchen, die Vorstellung nicht nur der Nahrung, sondern
auch das GefĂĽhl der dadurch zu gewinnenden Befriedigung
entsteht und darauf hin Bethätigung zur Realisirung dieses
ganzen bihaltes eintritt ? Freilich der Volkssprachgebrauch sagt
auch vom schreienden Säugling, der kaum zur Welt gekom-
men, er will trinken; aber er sagt auch von Pflanzen, die
nur an feucht -schattigen Stellen leben, sie suchten dieselben
auf, und vom zurechtgemachten Ofen, wenn das Feuer aus
irgend einem Grunde nicht angeht, er wolle nicht brennen.
Diesen Sprachgebrauch hat Wundt nicht etwa aufnehmen
wollen, sondern ihm schwebt immer vor, dass bei der Trieb-
bewegung das LustgefĂĽhl die Bewegung steigert, und diese
so steigernde innere Bethätigung ist ihm dann Wille. Das
ist allerdings ein Element des Willens und zwar ein sehr
588 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
wesentliches, aber trotzdem werden wir doch von Wille erst
reden, wenn nicht bloss thatsächlich ein Lustgefühl mit dieser
Steigerungswirkung da ist, sondern aus dem ganzen Erlebniss
sich die bezĂĽgliche Vorstellung mit ihrem LustgefĂĽhl heraus-
gebildet hat und nun die entsprechende Bethätigung selbst
wachruft; denn nur dieser Sinn von Wille entspricht dem
herrschenden Sprachgebrauch des gebildeten Lebens und der
Wissenschaft. Das kann man Wundt zugeben, dass jdas er-
innerte Lustgefühl mit daraus entspringender Bethätigung
sehr frĂĽh im Leben der Menschen und Thiere eine Rolle
spielt, selbst wo die Vorstellung noch sehr schwach und ver-
worren ist, etwa bloss im Anblick der Amme, der Mutter-
brust, der Flasche, bei Thieren im Geruch einer Speise be-
steht; aber dass der Wille sehr frĂĽh in noch elementarer
Fassung wirksam ist, macht ihn darum nicht zu dem Ur-
sprĂĽnglichen gegenĂĽber den Trieben, sondern diese elemen-
taren Formen sind eben die Stufen, wie sich der Wille aus
den Trieben entwickelt, und werden gerade bei der gewöhn-
lichen Ansicht vom Willen gefordert.
Zum Schlu.ss muss ich noch, und zwar sehr eingehend,
auf einen Punkt kommen, von dem ich fĂĽrchte, dass er auf
Wundt's Willenslehre stark eingewirkt hat, und der etwa so
ausgedrĂĽckt werden kann, dass der Metaphysiker Wundt dem
physiologischen Psychologen Wundt Gedanken und Feder etwas
geleitet hat. Wo Wundt S. 410 von der Lotze'schen Herlei-
tung der willkĂĽrlichen Bewegungen aus ursprĂĽnglich unwill-
kürlichen spricht, macht er die Bemerkung: „Die Vorstellung,
dass fertige Reflexapparate von verwickelter Einrichtung der
Seele zur VerfĂĽgung gestellt werden, ist nur auf Grund einer
Anschauung vollziehbar, welche in Gartesianischer Weise die
Verbindung von Seele und Körper als eine äussere und me-
chanische ansieht, die jeden Augenblick ohne wesentlichen
Nachtheil fĂĽr beide hergestellt und getrennt werden kann."
Ich glaube zunächst, dass Wundt hier ohne Noth die Meta-
physik hineinzieht; denn z. B. Bain, der die gleiche Lehre
und am ausfĂĽhrlichsten vertreten hat, wird kaum einer sol-
chen Denkweise huldigen. Aber die Stelle deutet doch an,
dass Wundt die Vorstellung auch darum nicht will, weil sie
Baumann: Wandt*s Lehre vom Willen etc. 589
ihm Leib und Seele nicht eng genug zusammenfasst. In der
Thal glaubt Wundt gerade seine Willenslehre auch metaphy-
sisch verwerthen zq können. Er meint: „Schon die Verglei-
chung der psychischen Lebensäusserungen in der Thierwelt
fährt zu der Annahme einer Entwicklungsreihe individueller
Bewusstseinsformen, welche von einfachsten Triebhandlungen
übereinstimmender Art ausgeht. '— Diejenige psychische
Function aber, fĂĽr deren Aeusserungen das genetische Princip
seine umfassendste Geltung gewinnt, ist der Wille. Von den
einfachsten zu den verwickeltsten Willenshandlungen fĂĽhrt
eine stetige Entwicklungsreihe, in deren Glieder alle anderen
psychischen Entwiekelungen wirkungsvoll eingreifen" *). Er
argumentirt nun so: „Als das wirkliche Element aller geisti-
gen Functionen wird diejenige Thätigkeit anzuerkennen sein,
bei welcher Empfindung und Wille in ursprĂĽnglicher Verbin-
dung wirksam sind. Diese ursprungliche Thätigkeit ist aber
— — der Trieb"*). „Der Trieb als psychisches Grundphä-
nomen enthält die Bewegung zunächst nur als Bewegungs-
empfindung, dann in Folge der in der Vorstellungsbildung
sich vollziehenden Triebentwickelung als Vorstellung der Be-
wegung. Nun ist aber die Unterscheidung zwischen der wirk-
lichen Bewegung und ihrer Vorstellung erst ein spät voll-
zogener Unterscheidungsact des Bewusstseins: die Macht des
WiDens über die Bewegungen des Körpers bildet daher von
Anfang an einen integrirenden Bestandtheil der inneren Er-
fahrung"^). „Durch die Bewegung, die er herbeiführt, wirkt
der Trieb zurĂĽck auf die physische Organisation, und er hin-
terlässt an dieser jene bleibenden Spiu*en, welche zunächst
die Erneuerung der Triebbewegung erleichtem, dann aber,
indem sich die RĂĽckwirkungen anderer Triebhandlungen hin-
zugeseUen, die Entstehung verwickelterer Triebäusserungen
gestatten. BegĂĽnstigt wird ausserdem diese Ent Wickelung
durch den früher geschilderten allmäliehen Uebergang von
Triebbewegungen in rein mechanische Reflexe und Mitbewe-
gungen, welche nun eine mehr und mehr sich vervoUkomm-
1) S. 441.
ä) S. 455.
3) S. 456-7.
590 Baumann: Wundt*8 Lehre Toro Willen etc.
nende Verwerthung der körperlichen Bewegungsmittel gestat-
ten. So werden wir zu der Auffassung gedrängt, dass die
physische Entwicklung nicht die Ursache, sondern vielmehr
die Wirkung der psychischen Entwicklung ist. Die
körperliche Organisation liefert die durch die psychische Ent-
wicklung der frĂĽheren Geschlechter, zu einem kleinen TheQ
auch durch die individuelle Bewusstseinsentwicklung erwor-
benen Anlagen. Jene uralte animistische Auffassung, welche
zuerst Aristoteles in die berĂĽhmte wissenschaftliche Definition
der Seele als der „ersten Entelechie des lebenden
Körpers" zusammenfasste, erweist sich, in freilich verän-
derter Gestalt, als die einzige, die das Problem der geistigen
und der körperlichen Entwicklung gleichzeitig zu erleuchten
verspricht. Nur die Voraussetzung, dass die psychische Ent-
wicklung den Körper geschaffen hat, macht die trotz aller
antiteleologischen Neigungen der heutigen Biologie nicht abzu-
weisende Thatsache der Zweckmässigkeit aller Lebens-
erscheinungen begreiflich. Diese Zweckmässigkeit hat eben
darin ihren Grund, dass ein Theil der Lebenserscheinungen,
die bewussten Willenshandlungen, unmittelbar aus Zweck-
motiven entspringen, der andere grössere Theil derselben
aber gleichsam aus versteinerten ĂĽeberresten vormaliger Zweck-
handlungen besteht. Dies schliesst nicht aus, dass auch noch
durch das Zusammenwirken äusserer Verhältnisse Resultate
herbeigeführt werden können, die wir eben mit Rücksicht
auf diese Verhältnisse als zweckmässige betrachten müssen,
wie wir ja schon in der unorganischen Natur von einer der-
artigen Anwendung des Zweckprincips Gebrauch machen kön-
nen. In der That gehört ein grosser Theil der von Darwin
hervorgehobenen Anpassungen vorzugsweise hierher. Doch
dürften solche Verhältnisse in der organischen Natur immer-
hin eine relativ untergeordnete Rolle spielen gegenĂĽber den
aus der psychischen Entwicklung der organischen Wesen her-
vorgehenden Zweckmotiven"*). „Nur in einer Beziehung
scheint fĂĽr die ZurĂĽckfĂĽhrung der physischen auf die psy-
chische Entwicklung eine LĂĽcke zu bleiben, welche die psy-
1) S. 457 und 8.
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 591
chologische Beobachtung niemals hoffen darf auszufĂĽllen. Nir-
gends lässt die £rfalu*ung mit zureichender Sicherheit den
Schluss zu, dass Triebe — sofern wir diesem Begriff über-
haupt die Bedeutung lassen, in der er fĂĽr die Psychologie
verwerthbar ist — auf die Entwicklung der Pflanzen Ein-
fluss gewinnen. (Doch) scheinen manche Erscheinungen
des Pflanzenlebens darauf hinzuweisen, dass sie einer psy-
chischen Grundlage nicht ganz entbehren. Abgesehen von
denjenigen Lebenserscheinungen, die, wie die Geschlechtsfunc-
üonen, in Formen auftreten, die äusserhch den entsprechen-
den Triebäusserungen der Thiere durchaus verwandt sind,
ist hier besonders auf die Thatsache hinzuweisen, dass jene
niedersten Wesen, mit denen die Entwicklung der Pflanzen
wie der Thiere beginnt, in ihren Lebensäusserungen den Thieren
verwandter sind, so dass, wie solches auch mit RĂĽcksicht
auf die Stoffwechselvorgänge schon betont worden ist (Pflü-
ger, in seinem Archiv X, S. 305), die Pflanzen als ein-
seitig entwickelte Thiere erscheinen. Die psychische
Entwicklung kömite bei ihnen in einer frühen Lebensperiode
stillgestanden sein und zu fest bleibenden Residuen ursprĂĽng-
licher Triebhandlungen gefĂĽhrt haben, worauf die weitere
Ausbildung der Organisation der Einwirkung äusserer Lebens-
bedingungen anheimfieP^ ^). Zu diesen Betrachtungen hat nun
abschliessend nach Wundt noch der psychophysische Stand-
punkt hinzuzutreten, d. h. die Betrachtung, dass laut der Er-
fahrung sich nichts in unserem Bewusstsein ereignet, was
nicht in bestimmten physischen Vorgängen seine sinnliche
Grundlage fände"). „Wie der physikalische Standpunkt als
elementare Eigenschaft der Substanz die Bewegung ver-
langt, je nach Umständen oder der besonderen Richtung der
Theorien die Bewegung selbst oder die Fähigkeit, Bewegung
hervorzubringen, so verlangt der psychophysische Standpunkt,
dass die bewegte Substanz zugleich Trägerin sei
des psychischen Elementarphänomens, des Trie-
bes. In diesem liegt aber an und fĂĽr sich schon die Bezie-
1) S. 468.
2) S. 459.
592 Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc.
hung zu der physischen Elementarerscheinung, zur Bewegung.
Jede Bewegung wird daher vom psychophysischen Standpunkte
aus aufgefasst werden können als Triebäusserung, denmach
als ein Vorgang, der in seiner äusseren Erscheinung einer
Empfindung entspricht, die ihn begleitet und die in ihrer Be-
schaflfenheit mit der Bewegung veränderlich ist"*). „Da wir
zu den Lebensäusserungen, welche die complexen Substanzen
der organischen Natur entwickeln, inunerhin in den einfacheren
Gestaltungen der leblosen Natur die Vorbedingungen voraus-
setzen mĂĽssen, so wird auch ,die Annahme nicht zu umgehen
sein, dass in dem einfachsten Substanzelement, dem Atom,
elementarste Triebformen bereits vorgebildet seien.
Angemessener vielleicht wäre es, bei ihnen nur von einer
Triebanlage zu reden, von einem inneren Zustand, der
unter hinzutretenden gĂĽnstigen Bedingungen zum Triebe wer-
den kann, und bei dem vorläufig nur der äussere Bestand-
theil des letzteren, die Bewegung, uns erfassbar ist. Was
aber jenen Zuständen der Substanzelemente fehlt, um als
Triebe im psychologischen Sinne gelten zu können, das ist
ihr innerer Zusammenhang, die Continuität und Ver-
bindung der Zustände, die uns als Bedingung des Bewusst-
seins gilt"*). In der That bietet hierfĂĽr (fĂĽr das
letztere) schon die einfache Thatsache, dass Bewusstseins-
erscheinungen nur an den complicirtesten Verbindungen der
organischen Natur hervortreten, einen augenfälligen Beleg. Da-
durch wird aber auch die psychophysische Erklärung genö-
tUgt, das Auftreten der psychischen Lebensäusserungen mit
der Natur jener organischen Substanzverbindungen, an denen
sie hervortreten, in Zusammenhang zu bringen. Gerade dies
hat die monadologische Hypothese versäumt. Indem sie einem
einzelnen Substanzelement, einem psychischen Atom, BewĂĽsst-
sein in jeder möglichen Entwicklungsform zuschreibt, lässt
sie die Gebundenheit der psychischen Lebensäusserungen an
bestimmte organische Lebensformen als zufalliges Ereigniss
oder imerklärliches Wunder erscheinen, und wird sie gleich
IJ S. 460-1.
2) S. 461.
Baumann: Wundt^s Lehre vom Willen etc. 593
unfähig, die psychische wie die physische Entwicklung be-
greiflich zu machen" *). „Das Bewusstsein mit seinen man-
nichfaltigen und doch in durchgängiger Verbindung stehenden
Zuständen ist für unsere innere Auffassung eine ähnliche
Einheit wie für die äussere der leibliche Organismus, und die
durchgängige Wechselbeziehung zwischen Physischem und Psy-
chischem fĂĽhrt zu der Annahme, dass, was wir Seele
nennen, das innere Sein der nämlichen Einheit ist,
die wir äusserlich als den zu ihr gehörigen Leib an-
schauen"*). „Diese Auffassung des Problems der Wechsel-
beziehung fĂĽhrt aber weiterhin unvermeidlich zu der Voraus-
setzung, dass das geistige Sein die Wirklichkeit der Dinge,
und dass die wesentlichste Eigenschaft derselben die Ent-
wicklung ist. Das menschliche Bewusstsein ist fĂĽr uns die
Spitze dieser Entwicklung: es bildet den Knotenpunkt im
Naturlauf, in welchem die Welt sich auf sich selber be-
sinnt" «).
Der allgemeine Sinn dieser Darlegungen Wundt's ist nicht
misszuverstehen; anknĂĽpfend an seine Lehre vom Willen sieht
er als eine Urthatsache an, dass Empfindung und Bewegung
in jedem Weltelement zusammen sind, so zwar, dass Empfin-
dung zugleich Bewegung ist und Bewegung Empfindung, aber
doch auch wieder so, dass das Psychische gleichsam das
Primäre und eigentlich Wesentliche ist. Denjenigen, welche
von der Seele bewusste Bewegung nur indirect ausgehen
lassen (monadologische Hypothese), wird entgegengehalten,
dass sie die durchgängige Gebundenheit des geistigen Lebens
an organische Substanzverbindungen nicht genĂĽgend berĂĽck-
sichtigen.
Es ist schwer, sich mit einer Metaphysik auseinander-
zusetzen, die mehr gelegentlich und, man kann wohl sagen,
plötzlich vorgetragen wird und nothwendig darum in Thesen
und Begründung nur prägnante Andeutungen gibt. Das An-
gemessene wird daher sein, die Einwendungen und Gegen-
aufstellungen gleichfalls mit prägnanter Kürze zu geben.
1) S. 461-2.
2} S. 463.
3) S. 464.
Philosoph. MonatBhefle 1881« IX u. X. 38
594 Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc.
Ich behaupte nun erstens: der Gedanke, von welchem
Wundt dabei ausgeht, dass Wille eine Urthatsache des geisti-
gen Lebens sei, ist nicht von ihm erwiesen laut allen unseren
früheren Ausführungen. Damit fällt die Basis für seine ganze
Deduction. Aber auch andere Annahmen, die er macht,
erleiden starke Einwendungen. Nämlich
2) Die Herleitung der Zweckmässigkeit des Körpers von
der Seele kann einen doppelten Sinn haben. Der eigentliche
Sinn von Zweck ist: Vorstellung eines ZukĂĽnftigen oder
noch nicht Seienden, welche um ihres Werthes willen Grund
wird zu Bethätigungen, ihren Inhalt zu verwirklichen. In diesem
eigentlichen Sinne kann Wundt die Seele nicht die Ursache
der Zweckmässigkeit ihres Leibes nennen; denn dann müsste
sie von Anfang an nach bewussten Zwecken handeln, wie
wir es in der Erfahrung nicht kennen. • Wundt muss also
eine unbewusste und unwillkürliche zweckmässige Thätigkeit
in ihr annehmen; dann wirkt sie aber nicht anders, als wie
andere Elemente vielfach auch wirken, sie wirkt dann nicht
als psychisches Wesen, sondern bloss als organisches oder
physisches, und die ganze Frage, wie sie dazu kommt, zweck-
mässig zu wirken, bleibt offen.
3) Wundt sieht es als erwiesen an, dass sich nichts in
unserem Bewusstsein ereigne, was nicht in bestimmten phy-
sischen Vorgängen seine sinnliche Grundlage habe. Ich glaube,
man hat allen Grund, den Satz in dieser Ausdehnung zu
leugnen. Unser ganzes geistiges Leben, dass wir ĂĽberhaupt
denken, fühlen und wollen, ist fort und fort körperlich be-
dingt, aber trotzdem kommen in unserem geistigen Leben
eine Menge Erscheinungen vor, welche zwar inmierhin eine
Veranlassung, Gelegenheit u. s. w. in unserer sinnlichen, d. h.
körperlichen Seite haben mögen, aber nimmermehr die bloss
psychische Innenseite einer körperlichen Aussenseite sein
können. Dahin gehören z. B. die Begriffe: Möglich, Noth-
wendig, der strenge Begriff der Ursache, der Formalbegriff
und ĂĽberhaupt die Voraussetzung von Substanzen, um nur
solche Beispiele zu nennen, bei denen die Sache unzweifelhaft
gemacht werden kann. Wundt selbst hat von dem Substanz-
begriff bemerkt : „Da ein diesem Begriff entsprechendes Objed
Baumann: Wundt's Lehre vom Willen etc. 69Si
nicht von uns unmittelbar wahrgenommen werden kann und
da fortwährend weitere Berichtigungen durch vollkommene
Erfahrungen denkbar sind, so ist der Begriff der Substanz
gleichzeitig metaphysisch und hypothetisch^).
4) Wenn nicht behauptet werden kann, dass alle unsere
geistigen Zustande Innenseiten unserer körperlichen Vorgänge
seien, so fallt die Basis fĂĽr Wundt's Monismus weg, der
Empfindung und Bewegung ursprĂĽnglich zusammenfasst. Wundt
stĂĽtzt denselben gegen die monadologische Hypothese von der
Seele damit, dass nur im Zusammenhang mit körperlichen
Substanzverbindungen seelische Zustände vorkämen. Daraus
mag man immerhin schliessen, — dass unsere Seele nie
anders sich bethätigen kann, auch nach den Seiten ihrer
Natur, wo sie nicht bloss receptiv ist (Farbenempfindungen
u. s. w.), sondern spontan (wie in den oben genannten Be-
griffen), als auf Anregung durch andere geeignete Elemente;
mehr folgt daraus nicht. Dass Geist nicht anders wirklich
sein könne als in dieser Verbindung, und unsere Seele der
Knotenpunkt der Welt sei, in welchem sie sich auf sich selbst
besinne, das sind Verabsolutirungen der Wirklichkeit, wie sie
ja ein ErbĂĽbel vieler Philosophien zu sein scheinen, die das
Wirkliche zum allein Möglichen und Nothwendigen machen,
wo das Wirkliche sich nur als Wirkliches präsentirt und jene
geistigen Reflexionen der Möglichkeit und Nothwendigkeit uns
gar nicht zwingen, etwas Anderes dai*aus zu machen.
5) Wundt hat in der Einleitung zu seinen abschliessen-
den Gesichtspunkten Materialismus und Spiritualismus kritisirt.
Er verwirft den Materialismus. Derselbe Verkenne, „dass der
inneren Erfahrung vor aller äusseren die Priorität zukonunt,
dass die Objecte der Aussenwelt Vorstellungen sind, die sich
nach psychologischen Gesetzen in uns entwickelt habend und
dass vor Allem der Begriff der Materie ein gänzlich hypothe-
tischer Begriff ist, welchen wir den Erscheinungen der Aussen-
welt unterlegen, um uns das wechselnde Spiel derselben er-
klärlich zu machen ')". Dem dualistischen Spiritualismus stellt
1) n. S. 453.
2) S. 444.
596 Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc.
Wundt die Schwierigkeit der Wechselwirkung entgegen *), dem
monistischen Spiritualismus, der nur geistige Substanzen kennt '),
in seiner monadologischen Form, die er allein fĂĽr berĂĽck-
sichtigenswerth hält, stellt er entgegen, wie leicht solche An-
schauungen wieder dem vulgären Dualismus mit allen seinen
Widersprächen anheimfallen, sobald der Versuch gemacht
werde, für das Problem der Wechselwirkung eine Erklärung zu
finden'); die monadologische Vorstellung mĂĽsste zu der Annahme
fĂĽhren, dass ein und dieselbe Seele sich gleichzeitig an ver-
schiedenen Punkten des Gehirns befinde. Denn bei jeder ein-
zelnen Vorstellung wirken zahllose elementare Empfindungen
zusammen, denen Erregungen verschiedener, zum Theil weit
auseinander liegender Punkte des Gentralorgans entsprechen *).
Auf die Frage, warum das intuitive Vermögen der Seele (das
Vermögen, innerlich die Zustande der Monaden des Leibes
zu empfinden, ohne dass es fĂĽr sie emes realen oder
gar räumlichen Zusammenseins mit denselben bedürfe), auf
die Monaden des eigehen Körpers beschränkt sei, bleibt
auch bei der letzten Wendimg des monadologischen Gedan-
kens (Lotze) das Wunder einer ursprĂĽnglichen FĂĽgung die
einzige Ausflucht^). Der Grundfehler des monadologischen
Spiritualismus ist, dass er aus der Einheit der Seele eine
Einfachheit ihres Wesens macht, aber wenn der Organis-
mus eine Einheit ist, welche im Zusammenhang der Theile
besteht, so treffen wir auch in dem Bewusstsein sowohl suc-
cessiv wie gleichzeitig eine Mannichfaltigkeit an, die auf eine
Vielheit seiner Grundlage hinweist •). Zum Schluss wird noch
einmal gegen den monistischen Spiritualismus besonders auf
seme Unfähigkeit bezüglich des Problems der Wechselwirkung
hingewiesen^).
Das ist die Kritik, durch welche Wundt sich Bahn zu
seinen positiven metaphysischen Aufstellungen gemacht hat
1) s.
445.
2) S.
445.
3) S.
446.
4) S.
446—7.
5) S.
447.
6) S.
447.
7) S.
44o.
Bauroann: Wundt*s Lehre vom WiUen etc. 597
In Bezug auf die Kritik des Materialismus sehKesse ich mich
ihm ganz an. Was die Kritik des Spiritualismus betrifft, so
gestehe ich meine Verwunderung ĂĽber die Bedeutung, welche
Wundt nocli immer der Frage nach der Wechselwirkung bei-
legt. Schon von Kant wird es als eine bekannte Sache be-
trachtet, dass wir das Wie? der gegenseitigen Einwirkungen
von Substanzen ĂĽberhaupt nicht einsehen. Diese Erkenntniss
erweckt zu haben ist ein Verdienst von Hume, sofern er
darauf hinwies, dass wir das Wie? d. h. das innere Band
der Einwirkung weder zwischen Körper und Körper, noch
zwischen Körper und Geist, noch zwischen den geistigen Vor-
gangen in uns einsehen. Auf diese Einsicht mĂĽssen wir also
ĂĽberhaupt verzichten, auch der Wundt'sche Animismus kann
nur statuiren, dass die Seele als ursprĂĽnglich Empfindung und
Bewegung zugleich, den Körper gestaltet etc., ohne eine Ein-
sicht in das Wie? dieses Vorgangs zu eröffnen. Also das
Hauptbedenken Wundt's gegen den Spiritualismus ĂĽberhaupt,
weil eine Schwierigkeit fĂĽr jede Ansicht von der Seele, muss
wegfallen. Die Frage nach dem Sitz der Seele, als eine be-
sondere Schwierigkeit, kommt damit gleichfalls in Wegfall;
denn Sitz der Seele sollte doch so viel sein wie Ansatzpunkt
der Wechselwirkung der Seele, und dass die Seele als be-
wusstes Vorstellen und Wollen in besonderer Weise an das
Gehirn und vielleicht bestimmte Theile desselben gebunden
ist, bleibt auch bei Wundt stehen. Dass der Spiritualismus
aus der Einheit der Seele eine Einfachheit gemacht habe, ist
insofern richtig, als er damit Theilung und Theilbarkeit aus-
schliessen wollte; eine substanzielle Einheit in dem Sinne,
dass eine Verbindung und Durchdringung der Vorstellungen
möglich, gar nicht immer wirklich ist, wird man zugeben
mĂĽssen, die Argumente dafĂĽr gehen ihrem Grundgedanken
nach bis auf Aristoteles zurĂĽck^). Das wirkliche geistige
Leben zeigt allerdings eine Mannichfaltigkeit und Vielfältigkeit,
1) Aristoteles de anima rll, 11: ovre «fij xs^m^iof^vois Mix^tn
xgivsiy oxi ixBQOp ro yXvxv rov Xevxov, dXXd Sei ivl ti^i afupat (f^Aa
ecyfti. ovTtü fiky yuQ xay ei rov f^u iyta rov &h üv uXa&oiOf dtfkoy äy eZti ou
irega dXXij^y det Si ro iy Xiyety Sri irsffoy iriQoy yaq ro yXvxv rov
Xivxov' XiyH a^ ro 1x^x6* wne wc ^y^h ovrw xai yoei xai nh^^Ayerm,
598 Baumaun: Wundt^s Lehre vom Willen etc.
welche auf eine Mannichfaltigkeit seiner Grundlagen hinweist,
aber das Ich ist nicht immer bloss formale Einheit, und selbst
soweit es das ist, wird die Deutung auf eine centrale, wenn
auch darum noch gar nicht übermächtige Monade nicht ver-
mieden werden können. Wenn nun aber auch der Spiritua-
lismus in seiner herrschenden Form nicht von Schwierigkeiten
frei sein sollte, folgt daraus, dass der Animismus Wundts
nicht noch mehr solche Schwierigkeiten bietet? Das Eigen-
thĂĽniliche desselben ist, dass er Empfindung und Bewegung,
Geistiges und Körperliches in Eins zusammenfasst, so dass
im Menschen „das, was wir Seele nennen, das innere
Sein der nämlichen Einheit ist, die wir äusserlich
als den zu ihr gehörigen Leib anschauen.'^ Es ist ein
altes Verfahren in der Philosophie und ĂĽberhaupt der Mensch-
heit, zu glauben, dass man Gegensätze dadurch los werde,
dass man sie als Eins fasst; da nun dem reinen Materialis-
mus sich Schwierigkeiten entgegenstellen und dem reinen Spi-
ritualismus und auch der Verbindung beider sich Schwierig-
keiten entgegenzustellen scheinen, so greift man zum Monis-
mus in jenem Sinne. Aber es kann sich psychologisch sehr
Vieles als eine Idee, als eine rettende Aussicht u. s. w. dar-
bieten, was man bei streng logischer Reflexion, die doch der
oberste PrĂĽfstein aller metaphysischen Hypothesen bleiben
muss, zu verwerfen sich gezwungen findet. Und da stehe
ich denn zu jenen Hypothesen so. Falsch ist der Materialis-
mus; denn aus Materie als Grösse und Bewegung kann man
Denken nicht logisch ableiten. Logisch ableiten heisst zeigen,
dass die Inhalte ĂĽbereinstimmen, diese dififeriren aber bei
Materie und Denken offenbar. Den monistischen Spiritualis-
mus, dem alles Geist ist, halte ich an sich für logisch mög-
lich. Nach ihm erscheinen rein intensive Kräfte, solche, die
unserm Denken, Fühlen, Wollen ähnlich sind, und bloss in-
tensiv auf unsern Geist wirken, als Raumgrösse und Be-
wegung. Nun schliesst es keinen Widerspruch ein, dass
einem betrachtenden Geist nach dessen besonderer Einrich-
tung etwas anderes erscheint, als es in sich ist. Aber dass
der spiritualistisclie Monismus eine nothwendige oder auch
nur eine der Wirklichkeit entsprechende Annahme sei, kann
Baumann: Wundt*s Lehre vom Willen etc. 599
nicht gezeigt werden. Wir können nicht einsehen, dass ein
so und so beschaffener geistiger Eindruck sich nothwendig in
eine Grössen- und Bewegungsvorstellung umsetzen müsse, und
selbst die blosse Thatsächlichkeit dieser Umsetzung vermögen
wir nicht nachzuweisen; denn dazu mĂĽssten wir erst consta-
tiren können, dass das Object an sich geistig sei und uns
doch, auf das Subject wirkend, einen materiellen Eindruck
erzeuge. Ganz anders Hegt der Fall mit der Subjectivität
von Farben, Tönen etc. ; denn da können wir aus der Wahr-
nehmung selbst Indicien erbringen, dass es genĂĽgt, als ihre
objective Ursache Bewegungen feiner Materie anzusetzen.
Dass wir uns aber Sein nicht anders denken könnten bei
tieferer Analyse denn als FĂĽr-sich-sein, halte ich darum fĂĽr
keinen geeigneten Anhaltspunkt dieses Monismus, weil wir
durch jene Behauptung doch keine Vorstellimg bekommen,
wie es in den niederen Thieren, in den Pflanzen, in den un-
organischen Elementen innerlich aussieht; ja unser eigenes
FĂĽr-sich-sein kennen wir doch nur als bewusstes, nun ist
aber stets nur ein kleiner Theil miseres Seins uns bevnisst
und es gibt grosse Zeiten unseres Lebens, in denen wir
keinerlei bewusstes Sein haben, keinerlei FĂĽr-uns-sein, und
doch können wir ohne Willkür nicht behaupten, dass unser
Sein in jenen Zeiten oder nach jenen Seiten aufgehoben sei.
Logisch unhaltbar ist der Monismus, nach welchem Natur
und Geist, Denken und mechanische Bewegung dasselbe sind,
sich bloss wie zwei Seiten des Nämlichen verhalten sollen.
Denn das ist entweder soviel wie: Denken ist zugleich Nicht-
denken, und mechanische Bewegung ist zugleich Nicht-
bewegung, also ein formeller logischer Widerspruch in sich
selber, — oder der Ausdruck zwei Seiten des Nämlichen
hat den Sinn, dass man eine Substanz mit zwei Kräften
statuirt, mechanischer Bewegung und Denken. Dann sind
aber diese Kräfte nicht dasselbe, sondern in sich von
einander verschieden, und wir haben einen willkĂĽrlich zu-
sammengeschweissten universellen Dualismus, darum willkĂĽr-
lich, weil die Natur uns keineswegs ĂĽberall auch eine geistige
Seite zeigt ähnlich wie bei den Thieren. Das sind die Gründe,
warum ich bei einem gemässigten Dualismus verbleibe, der
600 Baumann: WundVs Lehre vom Willen etc.
die Körper nicht Descartisch denkt, sondern ihnen eine innere
Natur zugesteht, die aber darum nicht nothwendig geistig
anzusetzen ist; ausdrĂĽcklich bekenne ich, dass ich recht ne\e
Schwierigkeiten dabei nicht zu lösen im Stande bin, mich
tröstend, dass dieser Zug aller Philosophie und Wissenschaft
bis jetzt eigen war und von recht respectabeln Philosophen
auch eingestanden worden ist, und mich besonders darauf
stĂĽtzend, dass ich die Logik auf meiner Seite habe und keine
willkĂĽrlichen Voraussetzungen mache. Verbitten wĂĽrde ich
mir bei Einwendungen gegen diesen Standpunkt nur die jetzt
wieder um sich greifende Postulatenphilosophie , welche ar-
gumentirt: wenn Wissen, das wir doch als möglich denken,
möglich sein soll, so muss man die und die Annahmen
machen, also z. B. die monistische oder sonst eine. Solchen
Argumenten würde ich erwidern : möglich, d. h. ohne Wider-
spruch denkbar, mag ja Wissen sein, obwohl, was recht
wenig bekannt ist, selbst sein FormalbegriflF gar nicht bei
allen Philosophen derselbe war und ist; aber aus der logi-
schen Möglichkeit, d. h. Widerspruchslosigkeit eines Begriffs,
folgt noch nicht die reale MögKchkeit für uns, d. h. dass wir
jenen logischen Begriflf vom Wissen auch in allen Thoilen
realisiren könnten, sondern diese reale Möglichkeit kann sich
nur erweisen in den wissenschaftlichen und philosophischen
Versuchen selber. Dass es da noch an vielen Punkten hapert,
ist gewiss, deshalb werden wir unverdrossen weiter arbeiten,
aber eben Wissen nur durch Leistungen, welche seinem Be-
griflf entsprechen, fĂĽr erbracht halten, und nicht durch
blosse Postulate, deren Gedankengang nur zu oft erinnert
an das: „reim dich, oder ich fress dich." Wenn mir aber
Jemand sagte: der unvertilgbare Trieb nach Wissen in uns
bürgt für dieses Triebes höheren Ursprung, und also auch für
die Berechtigung jener Postulate, so mĂĽsste ich ihm sagen:
Freund, du kennst noch nicht die Elemente des Philosophi-
rens; denn du fängst mit Voraussetzungen an zu philosophi-
ren, welche selbst schon eine ganze fertige Philosophie in
sich enthalten. Ich bemerke ausdrĂĽcklich, dass Wundt selbst
solche Einred. n ferne liegen vnirden, aber man kann heut-
zutage wieder allerlei zu hören bekommen. Aber Wundt
Baumann: WundVs Lehre vom WĂĽlen etc. 601
wĂĽrde vielleicht einwenden, so sei sein Monismus gar nicht
gedacht, wie ich ihn verstanden hätte; denn er nähme ja
die Zusammenkoppelung von Empfindung und Bewegung wie-
der zurĂĽck und lasse das Geistige das Wesen der Dinge sein.
Indess im Sinne des monistischen Spiritualismus hat dies
Wundt nicht gemeint, denn den bekämpft er ja als unzu-
länglich. Seine Absicht ist eine monistische In - Einsfassung
von Körperlichem und Geistigem, aber allerdings so, dass
das Geistige, die Innenseite, gewissermassen das Wesentliche
ist, weil das unmittelbar von jeder Substanz erfasst wird,
aber zugleich soll doch von ihr auch unmittelbar erfasst wer-
den, dass Bewegung von ihr ausgehe, und zwar als ursprĂĽng-
lich mit der Empfindung eins. Es ist das also, wie Wundt
es selbst charakterisirt hat, ein animistischer Monismus, und
von der logischen Kritik dieser Grundansicht habe ich nichts
zurĂĽckzunehmen.
Das Ergebniss ist: Nach dem vorherrschenden Sprach-
gebrauch des gebildeten Lebens und der Wissenschaft ist
Wille der geistige Zustand, wo mit Vorstellung und Werth-
schätzung innere oder zugleich auch äussere Bethätigung zur
Realisirung des werthgeschätzten Inhalts oder zur Nichtreali-
sirung des in der Schätzung Verworfenen eintritt. Nach
Wimdt ist Wille innere Thätigkeit überhaupt, besonders aber
die Steigerung innerer Thätigkeit, welche bei Lust- oder Un-
lustgefühlen eintritt. Nach der gewöhnlichen Ansicht ist so-
mit Wille eine besondere Art der inneren Thätigkeit, nach
Wundt ist Wille innere, besonders verstärkende Thätigkeit
ĂĽberhaupt. Soweit die Differenz ein blosser Unterschied im
Sprachgebrauch war, lag kein BedĂĽrfniss fĂĽr den Wundt'schen
Sprachgebrauch vor. Denn dass es innere und innere verstär-
kende Thätigkeit gäbe, hat die gewöhnliche Ansicht vom
Willen nicht geläugnet, sie hat sie nur eben innere Thätig-
keit oder Spontaneität genannt. Aber es ist keine blosse
Wortdiflferenz ; denn die gewöhnliche Ansicht vom Willen wird
dazu gefĂĽhrt, den Willen ĂĽberhaupt, nicht bloss die willkĂĽr-
lichen Bewegungen, aus ursprünglich unwillkürlichen Bethäti-
gungen (leiblichen und geistigen Trieben u. ä.) sich heraus-
bilden zu lassen. Erst sind ihr die logischen, ästhetischen,
602 J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensätze etc.
sittlichen Elemente etc. spontan da, wenn auch zum Theil
unter Anregung von aussen, dann entwickelt sich daraus erst
der Wille, logisch, ästhetisch, sittlich u. s. w. zu denken und
zu handeln. Besonders ausgefĂĽhrt war diese Entwicklung
des Willens an den willkĂĽrlichen Bewegungen, weil der Fall
am complicirtesten liegt. Wundt bestreitet diese Herleitung
des Willens aus unwillkĂĽrlichen geistigen und leiblichen Be-
thätigungen mit aus dem Grunde, weil ihm besonders die
Herleitung der willkürlichen Körperbewegungen aus unwill-
kĂĽrlichen zum Dualismus oder zur monadologischen' Seelen-
ansicht zu fĂĽhren scheint, die nach ihm fĂĽr eine abschlies-
sende Auffassung des seelischen Lebens unĂĽberwindliche Schwie-
rigkeiten bietet. Wille ist ihm eine ĂĽrthatsache der letzten
Elemente ĂĽberhaupt, diese haben Empfindung und Bewegung
zugleich, mindestens der Anlage nach, und zwar verhalten
sich beide wie Innen- und Aussenseite. Dieser metaphysischen
Wendung seiner Willenslehre stellten wir entgegen die logische
Undenkbarkeit dieses animistischen Monismus, wenn er streng
gemeint ist, und seine WillkĂĽrlichkeit, wenn er laxer ge-
fasst wird.
Göttingen. Baumann.
Die Temittling der prineipiellen fiegensttie direh lut's
Kritik der reinen Temnnft nnd der virtnelle Apri«rinn
der letiteren.
Es ist, zumal für die Anhänger der Grundtendenz des
Kriticismus, ĂĽberaus erfreulich zu sehen, welche FrĂĽchte die
seit etwa zwanzig Jahren auf das Regste und Eifrigste be-
triebene Eantforschung gezeitigt hat.
Von allen Seiten her werden Stimmen laut, die es sogar
den weitesten Kreisen zum Verständniss bringen wollen, was
es heisst, dass wir in diesem Jahre die Säcularfeier des Er-
scheinens von Immanuel Kant's „Kritik der reinen Vernunft**
begehen, des ersten kritischen Hauptwerkes, durch welches
J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensätze etc. 603
der VerkĂĽnder des kategorischen Imperativs unsterblichen
Ruhm erworben hat.
Von den grossen Zeitungen in Deutschland brachte die
jJJIational-Zeitung" einen Feuilleton -Artikel aus der bewähr-
ten Feder Ed. Zeller's, und die „Kölnische Zeitung" zog den-
selben zum Theil aus. In P. Lindau's „Gegenwai-t" schrieb
Prof. Johann Volkelt in Jena ein paar Aufsätze über Kant's
Kritik der reinen Vernunft; von anderen periodischen Zeit-
schriften wird, wie ich höre, „Nord und Süd" entsprechende
£ssays von Kuno Fischer bringen, während die „Grenzboten"
(in II, 1881) bereits einen solchen von C. Gerhard in Bonn
unter der üeberschrift „Zum Jubiläum eines Buches" ent-
halten.
Eines der bedeutsamsten Denkmale wird aber Kant als
dem Verfasser der Kritik der reinen Vernunft in diesem Jubel-
jahre derselben durch Dr. H. Vaihinger in Strassburg gesetzt,
indem er einen wissenschaftlichen, auf vier Bände angelegten
Commentar zu diesem für die ganze europäische Philosophie
epochemachenden Werke herausgibt, von dessen erstem Band
die erste Hälfte bereits erschienen ist. —
Und worin stimmen alle diese Männer überein, die, durch-
weg mit dem trefflichsten wissenschaftlichen RĂĽstzeuge aus-
gestattet, fĂĽr die von Kant hervorgerufene Revolution der
Denkungsart und insonderheit fĂĽr Bewahrung und Ausnutzung
ihrer methodischen Errungenschaften in die Schranken treten?
Sie sind einig darin, dass wir in Kant's Lehre eine Philoso-
phie zu erblicken haben, welche die bis dahin in ihr vor-
handenen fundamentalen Gegensätze innerlich* vermittelt und
aussöhnt, sowie auf Grund eines solchen Erfolges zugleich
den unvergänglichen Werth der von jeher der gebildeten
Menschheit theuren sittlichen und religiösen Ideale sicher
stellt und die Wirklichkeit eines vernĂĽnftigen Reiches der
Zwecke verbĂĽrgt.
Es erscheint daher als die nächste Forderung, welche
an die Fortbildner der Philosophie ergeht, bevor sie irgend
einen Schritt weiter thun, sich mit dem Wesen jener Ver-
mittlung und Aussöhnung innigst vertraut zu machen, um
den Segen der in ihr gewonnenen wissenschaftlichen Errun-
604 J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensätze etc.
genschaft nicht leichtfertig Preis zu geben. Welches aber
sind die GrĂĽnde fĂĽr die Behauptung, dass in der Kantischen
Philosophie ein solcher Segen enthalten sei? Sie bestehen
im Wesentlichen in der Thatsache, dass erstlich die berech-
tigten Elemente des Dogmatismus und Skepticismus, zweitens
die des Rationalismus und Empirismus, gleichviel ob dieser
intellectualistisch oder sensualistisch gefärbt sei, endlich drit-
tens auch diejenigen des Spiritualismus und Materialismus
durch Kant's Philosophie als Glieder eines organischen Ganzen
verwerthet wurden. Verloren doch dadurch jene frĂĽheren
Grundrichtungen philosophischer Systeme den Charakter ein-
seitiger Auffassung in der neuen Welt- und Lebensanschauung
Kant's. —
Im Recht nämlich befand sich zuvörderst der Dogmatis-
mus, wenn er Zutrauen hatte zu der Befähigung des mensch-
Hchen Geistes, die Dinge zu erkennen; er irrte jedoch, wenn
er in naiver Weise den menschlichen Geist unmittelbar fĂĽr
einen Spiegel derselben hielt. Dem gegenĂĽber ist vielmehr
der Skeptiker wohl befugt, auf die Täuschung der Sinne und
die Vorurtheile des Verstandes, sowie auf die Relativität der
menschlichen Erkenntniss hinzuweisen.
Gewiss erkennen wir die Dinge, jedoch, sofern sie nicht
von unserer Vernunft hervorgebracht und selbst geistig sind,
nicht unmittelbar, sondern wir bemächtigen uns ihrer nur
im Rahmen der ursprĂĽnglichen Bedingungen unseres Geistes
und nur, sofern wir durch Nachweisung der aus ihnen her-
vorgehenden objectiven und gesetzmässigen Natur unserer
Auffassung derselben die letztere ihrer individuellen und zu-
falligen Beschaffenheit in kritischer Selbstbesinnung entklddet
haben. Dem Dogmatismus und Skepticismus gegenĂĽber er-
scheint darum der Kriticismus im Rechte.
Diese drei Arten speculativer Anschauung bezeichnen
ebenso viele Unterschiede der Methode. Aber nicht bloss
diese letztere, auch die Differenz ĂĽber den Ursprung unserer
Erkenntniss, sowie die andere ĂĽber den qualitativen Ge-
halt des in ihr erfassten fundamentalsten Seins begrĂĽnden
einen weiteren principiellen Gegensatz .der philosophischen
Systeme.
J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensätze etc. 605
Was zuvörderst die Abweichung über die Quellen un-
serer ÂŁrkenntniss anlangt, so stammt nach dem Rationalisnms
alles Wissen aus der Vernunft, insonderheit aus dem Ver-
stände und seinen reinen und in sich noth wendigen Begriffen.
Die schärfste Zuspitzung erhält diese Theorie, indem sie nach
mathematischer Exactheit strebend, eine von jeder zufalligen
Anregung und jedem besonderen Vorkommen unabhängige
GĂĽltigkeit der Erkenntnisse lediglich in angeborenen Wahrhei-
ten und Vorstellungen erblicken zu können glaubt. Ganz
anders urtheilt der Empirismus. Im contradictorischen Gegen-
satze zu diesem nativistischen Rationalismus lässt er alle un-
sere Einsichten auf erworbenen, im Laufe der Erfahrung ge-
wonnenen Vorstellungen beruhen. FreiĂĽch kann diese Erfah-
rung eine doppelte sein, indem diese Vorstellungen entweder
auf den Eindrücken der Sinne oder auf den Thätigkeiten des
Verstandes beruhen. Wer beide Wege als gleich wichtig an-
erkennt, ist schlechthin Empiriker, wer jedoch nur den ersteren
als ursprünglichen Vorstellungsquell gelten lässt, Sensualist,
während der, welcher diese Ansicht vom Verstände hat, In-
tellectualist genannt werden kann. Indess erscheint nur der
Sensualist als reiner Empiriker, wie denn auch geschichtlich
Locke's Anschauung, die Verstand und Sinne als gleichwer-
thige Grundlagen der Erfahrung ansah, zum Sensualismus in
folgerechter Entwicklung gefĂĽhrt hat. Der Empiriker schlecht-
hin aber, und vollends der Intellectualist, halten mit ihrer
Spontaneität des Verstandes an einem so starken Reste ur-
sprĂĽnglicher Seelenkraft fest, dass sie nolens volens doch
wieder dem Rationalismus verfallen. Kant ĂĽberwand nicht
bloss die Einseitigkeiten des Sensualismus und Intellectualis-
mus, sondern vor Allem auch den schärfsten und umfassend-
sten Gegensatz, welchen er in den Ansichten ĂĽber den Ur-
sprung der Erkenntnisse vorfand, nämlich den Gegensatz
zwischen jenem nativistischen Rationalismus und dem so zu
sagen psycho - historischen Empirismus, indem er ihn durch
semen virtuellen Apriorismus beseitigte. Er bewerk-
stelligte dies dadurch, dass er zuvörderst zugab, dass ohne
Erfahrung keine streng wissenschaftliche und im eigentlichen
Sinne theoretische Erkenntniss möglich sei. Ja er ging in
606 J. Witte: Die VermittluDg der principieUen Gegensätze etc.
diesem Zugestandnisse sogar noch weiter ; denn da der Inhalt
solcher Erkenntniss stets auf Wahrnehmungen beruhe, die
der Empfindung und sinnlichen Auffassung bedĂĽrfen, so ist
er erstlich der Ueberzeugung, dass die Sinne ein unentbehr-
licher Quell jedweder theoretischen Einsicht sind. Indess wir
wĂĽrden diese SinneseindrĂĽcke nicht zu ordnen im Stande sein,
noch sie als constanten Besitz dem Geiste einverleiben kön-
nen, ohne dass in unserem Gemuthe gewisse Formen der
reinen inneren Anschauung bereit lägen, und wir würden sie
überdies nicht auf Gegenstände zu beziehen und in Urtheilen
zu verwerthen vermögen, welche Aussagen über deren be-
ständiges Wesen und gesetzmässigen Zusammenhang enthiel-
ten, falls es nicht ursprĂĽngliche Bedingungen des Verstandes
gäbe, die so etwas möglich machten. Darum ist auch femer dem
InteUectualismus zuzugestehen, dass der Verstand und die Refle-
xion eine unveräusserliche Grundlage der Erkenntniss ausmache.
Es gibt also freilich sowohl Functionen der Sinne als
auch solche des Verstandes, ohne die kein Wissen möglich
ist. Darin haben InteUectualismus und Sensualismus, darin
eben deshalb auch der Empirismus Recht. Aber nicht in diesen
Leistungen der Sinne und des Verstandes und, da letztere in
der Hauptsache auch die Erfahrung bewirken, auch nicht in
dieser ist der Schatz eines wahrhaften Wissens erschöpft. Denn
weder die Sinne noch der Verstand könnten so functioniren,
besässe der Geist nicht ursprüngliche Vermögen, die ihn dazu
geschickt machten, den Erfahrungsstoff in so normaler Weise
aufzunehmen und des Weiteren zu einem eigenthĂĽmlichen Be-
sitze auf dieselbe Art zu verarbeiten. Dem Geiste wohnen
daher zwar nicht durch die Geburt, aber doch mit der Ge-
burt verliehene ursprüngliche Kräfte bei, d. h. Fähigkeiten,
stets auf ganz dieselbe Weise sein beständiges ewiges Wesen
in bestimmter Richtung auf besondere Anlässe zu bethätigen.
Solche Fähigkeit zu constanten Veränderungen oder zur Er-
regbarkeit in bestimmter Richtung ist eine Grundkraft oder
ein Vermögen. Der Nativismus ist im Unrecht, wenn er an-
geborene Ideen, Urtheile oder gar Erkenntnisse, die sänunt-
lich, worin dem Empirismus beizupflichten ist, der Vermitt-
lung der Erfahrung bedĂĽrfen, annimmt; aber er ist im Recht,
J. Witte: Die VermittluDg der principiellen Gegensätze etc. 607
wenn er die Seele nicht als tabula rasa, die (man weiss nicht
von wem) mit SinneseindrĂĽcken oder Verstandesbegriflfen be-
schrieben werden soll, gelten lässt, sondern darauf besteht,
einen von jedweder Erfahrimg und ihren Zufälligkeiten un-
abhängigen und bestandigen Kern des Geistes anzunehmen.
Nur „angeboren^' darf derselbe nicht sein, wenigstens nicht,
was Kant sogar wörtlich abweist, als eine Art von subjecti-
ver, „uns mit unserer Existenz zugleich eingepflanzter An-
lage^\ Nicht eine fertige Anlage, sondern eine ursprĂĽng-
liche, unerschöpfliche und wahrhaft schöpferische Grundkraft,
ein geistiges Urvermögen ist in allem zu sehen, was Kant
a priori nennt und als etwas, das dem Wesen und Quell
nach von Erfahrung unabhängig ist, angesehen wissen will.
Jene subjective fertige Anlage wäre ein individuell beschränk-
ter und in bestimmten Zeitpunkten, hier in dem der Geburt,
abgeschlossener Besitz; dieses apriorische Vermögen jedoch
bedeutet ein geistiges Eigenthum, welches ein ewiges Sein
und Werden darstellt, das mit nie versiegender Substanz und
Kraft sich stets aus seinem unergrĂĽndlichen Quell selbst er-
neut und dieses Wesen gegenüber Anderem bewährt. Nur
weil solche Vermögen aus einem ewigen Sein und Leben
stammen, können sie auch das Beständige im Dasein imd in
dem Wandel der Erscheinungen erfassen und in sie einbilden.
Subjective Anlagen könnten nicht objective Bedeutung gewin-
nen, denn ihr Ursprung liegt in der Erfahrung; apriorische
Vermögen können dies, denn ihr Ursprung liegt in der Ewig-
keit; sie stammen von Ewigkeit her, wie sie wirksam sind
in Ewigkeit hin. Sie sind „angeboren* \ insofern durch sie
zugleich mit der Geburt sich das ewige Wesen des Geistes
in eine besondere, einen Leib durchdringende seelische Indi-
vidualität hineingesenkt hat. Aber auch solche nunmehr in
der Seele enthaltene geistige Vermögen sind keine fertigen
Anlagen und kein ruhender Besitz, sondern in unermĂĽdlicher
Lebendigkeit sprudekide Quellen der Wahrheit. Kein Inhalt
einer Erkenntniss ist also als ein vollendeter Besitz, derjenige
der tiefsten und allgemeinsten Wahrheiten sogar am Wenig-
sten, von Haus aus in der Seele enthalten; nicht actuell,
nur virtuell ist diese Träger ewiger Wahrheiten.
60ß J. Wille: Die Vennillluiig der principiellen Gegensätze etc.
Von Platon's Ideen, von den mittelalterlichen Universalia
ante rem, von des Cartesius' und der frĂĽheren Rationalisten
ideae innatae, von des Leibniz' id^es innres seines Systems
praeformirter Begriffe gilt es in gleicher Weise, dass sie sämmt-
lich ein nativistisches und als solches actuelles Apriori dar-
stellen; im Gegensatze zu allen diesen ist Kant's Apriori eine
ursprĂĽngliche Erwerbung oder ein virtuelles Apriori. In
dieser Eigenschaft liegt seine specifische Differenz.
Gerade an diesem Punkte zeigt es sich aber, wie fruchtbar
die Weite von Kant's philosophischem ĂĽmblick, die seltene
Ausdehnung seines speculativen Horizontes werden sollte. Oder
hätte er solche Versöhnung zwischen den Gegensätzen in Rück-
sicht der Anschauungen ĂĽber den Ursprung der Erkenntniss
herbeiführen können, wenn ihm nicht zu gleicher Zeit die
Unterschiede derselben rĂĽcksichtlich der Methode und die
Beziehung jener zu diesen deutlich vor Augen gestanden
hätten? Beide Gesichtspunkte vereinigte er in seinem energi-
schen Denken. Der Kriticismus konnte nur deshalb mit der
Behauptung eines Rahmens fĂĽr die Dinge, der sich in ur-
sprĂĽnglichen Bedingungen des Geistes darstelle, hervortreten
und auf solche als auf die Mittel zur Scheidung des Wesent-
lichen und Zufalligen in unserem Bewusstsein hinweisen, wenn
er ĂĽberdies durch PrĂĽfui^ des Ursprungs der Erkenntnisse
die Ueberzeugung eines aller Erfahrung vorausliegenden We-
sens des Geistes gewonnen hatte, das doch nicht denselben
Bedenken, wie der nativistische Rationalismus ausgesetzt war.
Eben einen solchen Geistesbesitz entdeckte Kant in den aprio-
rischen Vermögen und in den mit ihnen zu behauptenden ur-
sprĂĽnglichen Vernunftformen und Thatsachen des Bewusstseins.
Unser Geist enthält ihnen zufolge ursprüngliche Bedin-
gungen des Bewusstseins, die jedoch nicht ein schlummernder
und todter Besitz sind, sondern ein solcher, der erst im Be-
sonderen zu Inhalt, Klarheit und Bestimmtheit gelangt, wenn
er mit der Erfahrung ringt und auf Anlass derselben die Ge-
setze und Formen ausbildet, von denen beherrscht das an
sich zerstreute und bei Absehen von dem geistigen Antheile
in ihm zusammenhangslose Dasein der Erscheinungen sich zu
dem Ganzen eines organischen Wissens stets mehr und rei-
J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensatze etc. 609
eher entwickelt. Unser Geist ist mithin kern Spiegel der
Dinge, sondern er ist der Schöpfer derselben, und noch dazu
ist er dies sogar als Urheber eines solchen Rahmens fĂĽr die-
selben, der geeignet ist, auf Grund ursprĂĽnglicher und ewig
gültiger Vernunflformen, die wir mittels apriorischer Vermögen
erzeugen, ein Bild der objectiven und aller zufalligen Beschaf-
fenheit entrĂĽckten Natur der Gegenstande einzuschliessen. Nicht
nur der Inhalt des Verstandes und seines im Anschluss an
die SinneseindrĂĽcke gebildeten Materials wird durch solche
Arbeit des Geistes zu einem Besitze von objectivem Werthe
erhoben; nein, die gleiche Arbeit muss auch an dem Inhalte
der Sinnlichkeit geschehen. Auch dies hat Kant gezeigt und
darum die Energie des Geistes und seine Macht bis auf die
Materie erstreckt, ohne freilich sie zu ignoriren oder gar weg
zu decretiren. Allerdings ist bei ihm der Geist der letzteren
noch nicht in genĂĽgender Weise Herr geworden. Denn Kant
gebot der ursprĂĽnglichen Kraft seines Geistes Halt vor dem
Inhalte der Sinnlichkeit. Nur die reinen Formen derselben
sollte der Geist erzeugen, nicht den Inhalt. Nach dieser
Seite hin fĂĽhrte die neuere Physiologie, indem sie auch an
dem Inhalte der Empfindungen den geistigen Antheil nach-
wies, Kant's Unternehmen weiter.
Allein gerade hier zeigte es sich, wie sehr eine bisher
noch nicht hervorgehobene weitere Forderung, die nach Kant
an objective Erkenntniss zu stellen ist, ĂĽbersehen und seine
Lehre darum missverstanden wurde. Mit dem blossen Nach-
weise des geistigen Antheils, der ja an sich auch individuell
und subjectiv sein kann, ist dem Apriorismus nicht genĂĽgt.
Dieser erheischt, dass solcher Antheil unbedingten und allge-
mein gĂĽltigen Werth habe. Solchen erlangt derselbe erst,
sofern sein Dasein zugleich als ein Fall und Beispiel erscheint,
in welchem die Gesetzmässigkeit der nach den reinen Formen
der Sinne und des Verstandes aufgefassten und auf rem ver-
nünftige Weise streng zusammenhängenden Welt zum Aus-
drucke kommt. Mit einem Worte: Die apriorische Geistes-
arbeit ist mannigfaltig, aber nicht isolirt. Der Geist gewinnt
objective Ergebnisse nur alsdann, wenn die apriorischen Be-
dingungen der Sinne, des Verstandes und der Vernunft, um
Philosoph. Monatshefte, 1881. IX u. X. 39
610 J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensfttze etc.
nur die wichtigsten zu nennen, in Bezug auf ein bestimmtes
Object oder einen Kreis solcher Objecte zugleich oder doch
auf sich ergänzende Weise functioniren und in klarer Selbst-
besinnung das ewig gĂĽltige Wesen der Erscheinungen und
ihren ebenso gĂĽltigen Zusammenhang mit Anderem zimi Be-
wusstsein bringen.
In der neueren Philosophie untersuchte Baco zuerst die
Erkenntniss. Sie war ihm ein Hebel, der von allem ange-
setzten Staube durch Befreiung von Vorurtheilen und durch
innige, mittels inductiver Methode zu bewirkende Hingabe an
die Natur der Dinge gereinigt werden müsse, während Car-
tesius dasselbe durch den Hinweis auf die Selbstgewissheit
des reinen Denkens zu erreichen hoffte. Locke steigerte diese
Tendenz zur erkenntnisstheoretischen Betrachtung, indem er
den Hebel nicht mehr als ein fertiges Werkzeug gelten liess,
sondern seine Entstehung untersuchte, um durch Darlegung
seines Ursprungs das innere Wesen desselben zu enthĂĽllen
imd nach diesem seine Leistungsfähigkeit zu bestimmen. Allein
weder des fertigen, noch des entstehenden Hebels Natur
zu ergrĂĽnden, genĂĽgte Kant; dieser erforscht vielmehr die
Grundkraft, welche die Entstehung und Erzeugung eines sol-
chen Hebels der Gewissheit, wie wir ihn an der echten, un-
bedingt allgemeinen und streng nothwendigen Erkenntniss
besitzen, ermöglicht. Baco lehrt den Hebel der letzteren sau-
ber und gescliickt anzusetzen. Locke beschreibt die besonde-
ren Thatsachen des Seelenlebens, aus denen jener sich zu-
sammensetzt, Kant allein die VernunftgrĂĽnde, die letzteres
erklären. Schon Baco und Locke und nicht minder Carte-
sius, sowie Leibniz, der in dieser Hinsicht die letzteren beiden
zu vermittebi sucht, wollen erkenntnisstheoretisch verfahren,
jedoch erst bei Kant tritt mit jenem fundamental - kritischen
Gesichtspunkte die positive und in sich selbst ruhende Me-
thode solchen Verfahrens rein und voll hervor. Bei Baco und
Cartesius herrscht Methodologie, welche bei jenem empiri-
stisch, bei diesem rationalistisch erscheint, bei Locke empirische,
bei Leibniz rationale Psychologie in den erkenntnisstheoreti-
schen Forschungen, bei Kant eine alle diese Momente um-
fassende positive Kritik und echte Erkenntnisstheorie.
J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensätze etc. 611
Es erĂĽbrigt, Eant's Stellung zu der Auffassung des qua-
litativen Gehaltes des fundamentalen Seins zu bezeichnen.
Spiritualismus und Materialismus waren in dieser Hin-
sicht die schärfsten Gegensätze vor ihm. Dem ersteren zu-
folge ist das wahre Sein lediglich von ĂĽbersinnlicher Beschaf-
fenheit, nach letzterem ist es nur sinnlich. Nach Kant jedoch
wissen wir auf streng theoretischem Wege von keinem Sein,
das nicht zugleich vorgestellt und darum wenigstens mit einem
Antheile des Geistigen ausgestattet wäre, ebensowenig jedoch
von einem Inhalte, der nicht sinnlich aufgefasst werden mĂĽsste.
So combinirt sich hier wiederum der Gesichtspunkt der Me-
thode und des Ursprungs mit dem der Stellung zum
qualitativen Gehalte. Das Ergebniss davon ist der
transseendentale Idealismus. Durch ihn wird vor
Allem Spiritualismus und Materialismus versöhnt. Denn alles
gewusste Sein ist als solches stets geistig, wie jener mit Recht
behauptet, aber darum noch nicht nur geistig, worin eben
derselbe sich täuscht. Vielmehr, da alles theoretische und
strenge Wissen an den doppelten Quell der sinnlichen An-
schauung und des begreifenden Verstandes gewiesen ist, so
kann der Inhalt desselben im Hinblick auf den ersteren nie-
mals anders als zugleich von materieller Beschaffenheit ge-
dacht werden. Wer blosse Vorstellungen und die rein gei-
stigen Bedingungen derselben als seiend setzen wollte, wĂĽrde
in den absoluten oder transscendenten Idealismus verfallen.
Wer umgekehrt glauben sollte, die Dinge, auch wenn sie als
blosse Sinnengegenstände aufgefasst würden, für ein von uns
unabhängiges materielles Sein ansehen zu können, würde sich
des Fehlers des crassesten Realismus oder Materialismus schul-
dig machen. Der transseendentale Idealismus hingegen hält
die rechte Mitte zwischen beiden Extremen. Er hält fest an
der Idealität alles von uns mit theoretischer Gewissheit auf-
gefassten Seins, sofern er von ihm, als einem solchen, so wenig
im Stande ist, den geistigen Antheil auszuscheiden, dass viel-
mehr lediglich von dieser Seite her ihm der Zugang zu deni
unbedingten und objectiven Werthe seiner Einsichten gesichert
erscheint ; indessen hĂĽtet sich dieser Idealismus, irgendwo ĂĽber
die Grenzen unseres Bewusstseins hinauszugehen und irgend einen
612 J. Witte: Die Vermittlung der principiellen Gegensätze etc.
für den wissenschaftlichen Gebrauch desselben unerlässlichen
Bestandtheil ausser Acht zu lassen. Darum muss jeder in sol-
chem gewonnene Inhalt eine Beziehung zur Erfahrung und
Sinnlichkeit haben. Dieser Idealismus bleibt zwar nicht bei
der Erfahrung stehen, sondern erhebt sich ĂĽber sie, jedoch
nur so, dass er die bestandigen, dem Wesen nach von Uir
unabhängigen und doch ihr selbst zu Grunde liegenden Ver-
nunftbedingungen feststellt. Sein Verfahren ist nur trans-
scendental, d. h. ĂĽber die zufallige mid individuelle Er-
fahrimg nach Art eines ĂĽber sie hinausstrebenden Wissens
sich erhebend, aber nicht transscendent oder die Erfah-
rung ĂĽberfliegend. Das Complement dieses transscendentalen
Idealismus ist daher ein empirischer Realismus, ein
Realismus, der die objective GĂĽltigkeit der idealen Vemunft-
formen durch Bewährung derselben in der Erfahrung mittels
Einschränkung und Beziehung der apriorischen Vernunftthat-
sachen auf den Inhalt derselben fordert. Wie daher dieser
Idealismus mit empirischem Realismus vereinbar ist, so er-
scheint er insonderheit ganz unverträglich mit dem empiri-
schen und noch mehr mit dem mystischen Idealismus. Jener
irrt, weil er, wie bei Gartesius, einen einseitig aufgefassteii
Erfahnmgsinhalt, den des reinen Denkens zum absoluten Sein
erhebt, dieser, weil er (wie bei Berkeley) eben denselben mit
letzterem auf wunderbare Weise verschmilzt. Auch diesen
vor Kant dagewesenen Formen des Idealismus tritt die kri-
tische Lehre als eine neue, von höherem Gesichtspunkte aus
gewonnene Weltanschauung gegenüber. —
Es ist hiernach nicht nur eine leere Redensart, sondern
eine begrĂĽndete ĂĽeberzeugung, wenn man in Kant's Lehre
eine üeberwindung und Versöhnung der früheren principiellen
Gegensätze philosophischer Systeme erblickt. Und dass die-
selbe nicht bloss die Folge eines seichten Eklecticismus war,
der willkĂĽrlich das ihm Zusagende aus anderen Lehren sich
aneignet, sondern das Ergebniss einer tiefer gehenden Me-
thode, m welcher innerlich jene Gegensätze ausgesöhnt und
zu sich ergänzenden Momenten eines umfassenderen Ganzen
herabgestimmt sind, das beweist vor Allem der Umstand,
dass noch niemals vorher in gleicher Weise und mit klarem
Baumann: Zum Gedächtniss H. Lotze's. 613
Bewusstsein auf die Methode, den Ursprung und den quali-
tativen Fundamentalgehalt der Erkenntniss zugleich RĂĽcksicht
genommen war.
Eben dies ist auch der Grund, weshalb durch Kant's
Lehre eine weitere Verständigung über die Anforderungen
des praktischen und ästhetischen Vermögens herbeigeführt
wurde. Kant wurde auch in dieser Beziehung der Urheber
und Verkünder neuer und versöhnender Gesichtspunkte; in-
dess den Nachweis davon im Besonderen zu fĂĽhren, muss ich
mir fĂĽr eine andere Gelegenheit aufsparen^ da er ĂĽber den
Zweck dieses Aufsatzes hinausgeht.
Bonn. J. Witte.
Znm OedSchtniss H. Lotze's.
Der Forscher und Denker, dessen Gedächtniss diese Zeilen gewidmel
sind, pflegte im mtlndlichen Verkehr, in welchem fiber 11 Jahre als Col-
lege und Fachgenosse mit ihm zu stehen der Unterzeichnete das GlĂĽck
hatte, öfter zu äussern: ^Wenn ich Jemandes Lob annehme, so gestehe
ich ihm damit eigentlich auch die Berechtigung zu, mich zu tadeln.*
Durch diese Wendung wollte er Beides ablehnen. Ich glaube daher
am ehesten noch im Geiste des Verewigten zu verfahren, wenn ich
mich bei dem, was ich über ihn sagen möchte, auf den formalen
Standpunkt stelle, den er selber sich wählte, so oft er in Sachen philoso-
phischer Berufungen um seinen Beirath angegangen wurde. Da argumen-
tirte er: ,Eine inhaltlich anerkannte Philosophie, zu welcher zu gehören
man von Jedem, der auf den Namen eines Philosophen Anspruch macht,
von Rechtswegen fordern könnte, gibt es noch nicht; es kann sich also
blos darum handeln, mit welchem Vorrath von Kenntnissen, mit wie viel
Talent und wie viel Fleiss hat sich Jemand der Bearbeitung derjenigen
Aufgaben gewidmet, welche mit ziemlicher Uebereinstimmung zu allen
Zeiten als philosophische sind angesehen worden.* Femer werde ich mich
möglichst der Kürze befleissigen ; ich darf von den Lesern der Monatshefte
voraussetzen, dass sie nicht nur mit der Philosophie Lotze's vertraut, son-
dern dass sie auch mit den Umständen seines Lebensganges bekannt sind,
soweit sie für seine Philosophie von Belang sein mögen. Dagegen sei es
verstattet, von meiner persönlichen Bekanntschaft aus hier und da Züge
einzuflechten, welche geeignet sind, eine Beleuchtung auf die philosophische
Art des Mannes zu werfen.
Melanchthon soll gegen sein Lebensende geäussert haben : ,Ich hinter-
lasse diese Welt über einige Punkte aufgeklärter, als ich sie gefunden
614 Baumann: Zum Gedächtniss H. Lotze's.
habe.* So bescheiden diese Worte sind, so enthalten sie doch das Höchste,
was ein grosser theoretisch wirkender Geist der Mit- und Nachwelt zu
leisten im Stande ist. Ich trage kein Bedenken, Lotze unter diese grossen
Geister zu zählen, durch die und nach denen manches anders ist, als es
vor ihnen war. Zwar auf den Inhalt der Philosophie bezieht sich diese
Neuerung nicht, wie er selbst ausgesprochen, wohl aber hat er fĂĽr immer
zum Bewusstsein gebracht, dass aller Idealismus, fĂĽr so wahr und hoch
er sich halten mag, in der Wissenschaft leer und unfruchtbar ist, wenn
er nicht vermag sich damit zu durchdringen, dass es in der Welt ein
Reich allgemeiner Gesetze gibt und dass diese selbst ihre Träger an einem
Reich concreter Einzelrealitäten haben. Allgemeine Gesetze, wirkende ür-
Sachen, höchste Zwecke, — diese drei Gedanken müssen nach ihm in
einer idealistischen Philosophie sich so durchdringen, dass zwar die Zwecke
das Leitende und das Ziel des Weltlaufs sind, aber die Mittel ihrer Ver-
wirklichung, und zwar die sehr genau zu erforschenden Mittel, jene beiden
ersten bilden. Es ist nicht so, dass Lotze diese Forderungen blos aufge-
stellt hätte, sondern er hat sie zu verwirklichen versucht, besonders für
das Gebiet, welches ihm solcher AusfĂĽhrungen am bedĂĽrftigsten erschien,
das Gebiet des organischen Lebens. Das sind die Leistungen, wie sie vor-
liegen in der , Allgemeinen Pathologie und Therapie als mecha-
nische Naturwissenschaften, 1. Auflage 1842, 2. Auflage 1848, in
den Abhandlungen ĂĽber Leben, Lebenskraft 1843, Instinct 1844,
Seele und Seelenleben 1846, alle drei in dem Handwörterbuch der
Physiologie, herausgegeben von R. Wagner, in der Allgemeinen Phy-
siologie des körperlichen Lebens 1851, in der Medicinischen
Psychologie oder Physiologie der Seele 1852." Diese seine Leistun-
gen sind die beste Schulung, die es gibt und lange geben wird fĂĽr alle Die-
jenigen, welche sich zur Bearbeitung philosophischer Aufgaben verwandter
Art tĂĽchtig machen wollen, und studirt, wiederholt studiil mĂĽssen sie von
Allen werden, welche überhaupt Philosophie fachmässig zu treiben die
ernsthafte Neigung haben. Es ist ganz gleichgĂĽltig dabei, ob nach dem
Standpunkt der biologischen Wissenschaften von heute inhaltlich alles dort
Gelehrte noch so kann aufrecht erhalten werden, es handelt sich lediglich
um die formelle Art der wissenschaftlichen Tendenz und Bearbeitung;
diese wird stets ein Muster und zugleich eine weckende Kraft für ähnliche
Arbeiten bleiben. Dazu kommt hier noch ein Anderes, was Lotze selbst
stets hervorgehoben hat. So sehr ihm bei diesen Arbeiten auch seine
höchsten idealistischen Ueberzeugungen immer vorschwebten, so hat er
doch im Detail sie zurĂĽckgestellt, wo sich aus. ihnen Deductionen weder
zur Zeit, noch ĂĽberhaupt machen Hessen, und hat gleichsam mittlere An-
knüpfungspunkte der Forschung und Erklärung gesucht, welche für sich
oder selbst vorläufig könnten festgestellt werden, ohne sich sofort mit den
höchsten Principien zu befassen. Diese Methode, welche die philosophische
Detailforschung noch lange wird brauchen mĂĽssen, hat er zum lebhaftesten
Bewusstsein gebracht nicht nur durch die Beispiele, die er davon gegeben,
sondern auch durch ihre eifrige BefĂĽrwortung gegenĂĽber der Gering-
Baumann: Zum Gedächtniss H. Lotze's. 615
Schätzung, welcher dem Idealismus alter Art bezüglich solcher Arbeiten eigen
war. Meine Ansicht ist nicht, dass nun, da und nachdem diese herrlichen
Arbeiten Lotze's da sind, alle Welt, die ĂĽberhaupt philosophirt, die Me-
thode derselben bereits beherzigt hätte, im Gegentheil, man kann finden,
dass sie vielfach recht wenig beherzigt ist, ja dass diese Arbeiten mit Aus-
nähme etwa der Medicinischen Psychologie mehr als blos naturwissen-
schaftliche denn als philosophische gelten, wie es denn eine Zeit in Lotze's
Leben soll gegeben haben, wo die Philosophen von ihm sagten: ,er ist
ein grosser Physiologe", und die Naturforscher: ,er ist ein grosser Philo-
soph *". Dieses gegenseitige Zuschieben beweist eben, dass etwas Neues
und Eigenthümliches an dem Manne war, welches sich mit den angewöh-
ten Ganones gelehrter Beurtheilung nicht sofort vertrug. Aber diese
Arbeiten von Lotze sind einmal da und werden je länger desto mehr —
das woUen wir zum Heil der Philosophie mindestens hoffen — gerade bei
solchen, welche sich zum eigenen Philosophiren auszubilden Neigung haben,
die Grundlagen ihrer Studien über diese Gegenstände bilden. Aber auch
von solchen mĂĽssen diese Arbeiten gekannt werden, welche etwa Lust
hätten, das, was Lotze in jenen Arbeiten erstrebt hat, nunmehr als einen
sicheren Erwerb des allgemeinen wissenschaftlichen Bewusstseins zu be-
trachten und sich mehr des Mannes späteren Arbeiten mit ihrem Studium
zuzuwenden. Gerade für diese späteren Arbeiten enthalten aber auch jene
frĂĽheren, abgesehen von ihrer methodologischen Ausbildungskraft, sehr
interessante Beiträge. Nicht nur in mancherlei Wendungen und immer
neuen Ansätzen kommen die letzten metaphysischen Hauptgedanken Lotze's
darin vor, oft wo man es kaum suchen wĂĽrde, sondern ĂĽber GrefĂĽhle z. B.
und körperliche Grundlagen und Anregungen des Seelenlebens hat er zum
Theil ausführlicher darin gehandelt als später. Sehr erwünscht wäre es,
wenn die Verlagshandlung bald daran dächte, eine Gesammtausgabe der
Werke Lotze's zu beginnen. Jetzt steht gerade dem Studium jener älteren
Arbeiten vielfach die Schwierigkeit ihrer Beschaffung im Wege. In diese
Gesammtausgabe mĂĽssten aber auch die Recensionen Lotze's aufgenommen
werden; gerade in Recensionen drĂĽckt sich oft, hervorgerufen durch die
besondere Gelegenheit, sehr lebhaft aus, worauf ein Schriftsteller positiv
und negativ Bedeutung legt.
Wenn Lotze in seinen Schriften ĂĽber das organische und organisch-
seelische Leben seine letzten metaphysischen Ansichten mehr gelegentlich
und mehr hinweisend auf sie, als auf einen Abschluss und eine Forde-
rung der vollständigen Wissenschaft, hingestellt hat, so ist es auffallend,
dass er sich dabei so wenig auf seine Metaphysik vom Jahre 1841 und
die damit Innerlich verbundene Logik von 1843 berufen hat. Es hängt
das wohl damit zusammen, dass er nach mündlichen Erklärungen zwar
inhaltlich alle Hauptgedanken dieser Schriften nach wie vor festhielt, aber
die Form derselben, bei der er glaubte besonders in der Metaphysik noch
etwas unter Hegelschem Einfluss gestanden zu haben, preisgab. Es wäre
eine interessante Aufgabe, diese Erstlingsschriften mit der späteren Be-
arbeitung der Logik und Metaphysik im System der Philosophie nach
616 Baumann: Zum Gedächtniss H. Lotze*s.
Form und Inhalt zu vergleichen und die GrĂĽnde der Aeiidenmgen aufzu-
suchen, so weit sie angedeutet sind oder sich errathen lassen. Hier ist
ein sehr fruchtbarer und inhaltreicher Stoff fĂĽr mancherlei philosophische
Abhandlungen. Die metaphysische GrundĂĽberzeugung Lotze*s war von
Anfang an bekanntlich die, wie er sie, gleichsam ihre Genesis in ihm
selbst andeutend, Metaphysik von 1841, S. 6 ausgedrĂĽckt hat: ,In der
glorreichen innerlichen Welt jugendlicher Phantasien kommt es zum Be-
wusstsein, dass über den gewöhnlichen Gedankenlauf hinaus noch ein an-
derer wesenhafter Inhalt liegt, der als das einzig Werthvolle und wahrhaft
Wirkliche mit aller Kraft des Geistes erfasst wird. Ihm wird es zuge-
schrieben, weder selbst eine einzelne Erscheinung zu sein, noch der Be-
grenztheit und Vergänglichkeit des Endlichen zu unterliegen ; als das wahr-
haft Wirkliche, das, was in allem Erscheinenden das Seiende ist, kann es
nicht ein nur unwirklicher Gedanke des Geistes sein, sondern besitzt im
höchsten Maass jene übergreifende Gültigkeit, auch ausserhalb des den-
kenden Geistes das an und fĂĽr sich Seiende zu sein." Von da aus wird
die Aufgabe der Philosophie S. 8 so bezeichnet: «Den Inhalt jener Begei-
sterung können wir nicht aufgeben; und wenn vorher die Philosophie
als ein harmloses Spiel erschien, das als Möglichkeit in einem Verhältniss
des Geistes begrĂĽndet, der begĂĽnstigenden EinflĂĽsse zur Entfaltung war-
tete, so ist diese Pflicht, das, was wir für das Höchste halten, gegen die
Veränderlichkeit unseres eigenen Gemüthes zu schützen, die Nothwendig-
keit, wnlche gebietet, aus der Ahnung an eine Arbeit des Erkennens. aus
der individuellen Meinung in das allen Individuen gemeinsame Gebiet des
Denkens ĂĽberzugehen.** Das Gemeinsame im Begriff dieses wahrhaft Seien-
den ist nach S. 13 „das sittliche Gewicht, das auf ihn gelegt wird*. ,Die
Apodikticität des Daseins kann nur dem Guten zugestanden werden*
(S. 324). Das Verhältniss der Welt zu diesem Princip wird S. 335 so an-
gesetzt: ,ĂĽm die Begritfe der GrĂĽnde, der Ursache und des Zweckes grup-
pirt sich der Zusammenhang der Dinge, Materie. Kraft und sinnliche Er-
scheinung sind die Spitzen der kosmologischen Betrachtung ; lauter Begriffe,
welche den Zusammenhang der Bewegung aus dem noch unerfĂĽllten in
den erfĂĽllten Zweck festhalten. Dieses Ueber gehen aus dem vorausgesetzten
Wesen durch die Erscheinung zu dem erfĂĽllten Wesen ist die Seele der
Metaphysik, alles hängt daran, dass ein Sollendes da sei, das dieses Spiel
der Gedanken in Bewegung setze." Von derselben Eigen thĂĽmlichkeit sei-
nes Idealismus ist die Logik von 1843 durchzogen. ,So gewiss, heisst es
S. 7, als die letzte, faktische Nothwendigkeit nur dem mit Befriedigung
zugeschrieben werden kann, was um seines Werthes fĂĽr den moralischen
Geist willen eine unbedingte Bejahung fordert und zu ertragen fähig ist,
so gewiss muss als das letzte Ziel der Philosophie gelten, auch die For-
men der Logik und ihre Gesetze nicht als bloss thatsächlich vorhandene
Naturnothwendigkeiten des Geistes, sondern als Erscheinungen aufzufassen,
die von einer anderen höheren Wurzel ausgehen und wesentlich dieser
ihre Nothwendigkeit verdanken.* S. 9: ,So wie der Anfang der Meta-
physik, so liegt auch der der Logik in der Ethik, und zwar durch das
Baumann: Zum Ged&chtniss H. Lotze's. 617
Hittelglied der Metaphysik selber/ Diesen Standpunkt, dass das Gute das
eigentliche Erklärungs- und Bewirkungsprincip der Welt und aller ihrer
allgemeinen Gesetze und concreten Seinsweisen sei, hat Lotze stets fest-
gehalten. Schon aus der Art, wie er in den angefĂĽhrten Stellen der Meta-
physik von 1841 S. 6, 8, 13 den Ansatz von Inhalt und Aufgabe der Meta-
physik macht, tritt lebhaft entgegen, dass wir es hier nicht mit einem
kalten, schematisch - ruhigen Denken zu thun haben, sondern mit einem
persönlichen LebensgefQhl, welches weiss, dass man versucht sein könnte,
es auch anders zu deuten, an dessen Festhaltung und DurchfĂĽhrung in
einem System allgemeiner Gedanken aber alle Kraft des Geistes und Her-
zens soll gesetzt werden. Das ist der persönliche Reiz Lotze'scher Meta-
physik, welcher sich durch alle Schriften des Mannes hindurchzieht, ein
Zauber, den man vielleicht nur noch bei Plato so lebhaft empfindet. Wie
hat er auch in allen seinen naturphilosophischen Schriften sich bemĂĽht,
diesen Grundgedanken mindestens als Richtungs- und Zielpunkten der
Forschung immer neue und deutlichere Wendungen zu geben! was
hat er besonders auch unermĂĽdlich den Begriff der Sittlichkeit und des
Werthes immer wieder reicher bestimmt! Sehr charakteristische AusfĂĽh-
rungen hierüber enth< die Abhandlung über den Begriff der Schön-
heit in den ^ Göttinger Studien ** von 1845; Lotze hat ja überhaupt sich
stets bemĂĽht, die Aesthetik mit dem Begriff des Guten in innere Verbin-
dung zu setzen. Jedoch geben die Arbeiten nach der ersten Metaphysik
bis zum Mikrokosmus nur BruchstĂĽcke und kurze Aufweisungen seiner
idealistischen Ueberzeugungen. Der „Mikrokosmus" selbst ist beiden Grund-
tendenzen Lotze's gewidmet; er fusst in ihm ganz auf seinen frĂĽheren
Arbeiten, welche der mechanischen Auffassung auch der organischen Natur
und der allgemeinen Gesetzlichkeit alles Wirkens gewidmet sind, aber aus-
gefĂĽhrt soll nunmehr im Einzelnen werden, dass alles das den BedĂĽrf-
nissen des GemĂĽthes und der unbefangenen Auffassung keinen Eintrag
thue, wie sie in Religion und Poesie, überhaupt in den ästhetisch - ethi-
schen Momenten des Lebens sich stets Ausdruck gegeben. Das Neuhinzu-
gekommene im Mikrokosmus war nach Lotze's eigener Erklärung (Streit-
schriften S. 15) die Philosophie der Geschichte als die nothwendige Ergän-
zung der Psychologie. Dieser Versuch einer Anthropologie sollte „die ganze
Bedeutung des menschlichen Daseins aus der vereinigten Betrachtung des
individuellen Lebens und der Gulturgeschichte unseres Geschlechtes zu er-
forschen suchen.* Diese drei Bände haben Lotze's Ansichten ganz beson-
ders in weitere Kreise eingefĂĽhrt, sie haben ihm eine Gemeinde gewonnen
in Deutschland nicht nur, sondern in Europa und weit ĂĽber seine Grenzen
hinaus. Wenn dies Buch so schriftstellerisch sein Hauptwerk ist, so ist
es philosophisch, ganz nach dem formalen Maassstab beurtheilt, den wir
ĂĽberhaupt allein anlegen, nicht sein Hauptwerk und wollte es nicht sein.
In den naturwissenschaftlichen und psychologischen Partien beruht es zum
grossen Theil auf den frĂĽheren Schriften und gibt oft nur kurz wieder,
was dort in ausfĂĽhrlicher und eindringender Untersuchung zu finden ist.
Ueber die philosophische Behandlung hat er sich selbst im Eingang
618 Baumann: Zum Gedächtniss H. Lotze's.
des letzten neunten Buches so ausgesprochen, Bd. 3 S. 456(1. Aufl.): «Ueberall
habe ich mich bemĂĽht, den theils verscJiwiegenen, theils nur in einzefaien
Andeutungen hervorbrechenden Yorurtheilen nachzugehen, welche aus ästhe-
tischen Interessen des GefĂĽhls und anderen BedĂĽrfnissen des GemĂĽths
entsprungen, die wahren Wurzeln sind, mit denen die yerschiedensien
Meinungen in unserem Geiste haften. Nur geringer Gebrauch konnte des-
halb von philosophischen Begriffen und Grundsätzen gemacht werden,
welche grossentheils erst zu späterer dialektischer Begründung, Vertheidi-
gung oder Widerlegung solcher Vorurtheile zugeschärft, den eigentlichen
lebendigen Werth derselben fĂĽr das menschliche Herz wenig mehr erken-
nen lassen." Damit nun der Zusammenhang seiner Ansichten herrortrete,
hat er das neunte Buch hinzugefügt, welches eine möglichst gedrängte
und doch für gebildete und philosophisch interessirte Kreise verständliche
Metaphysik geben sollte. Gerade über die Schwerverständlichkeit dieses
letzten Buches habe ich indess vielfach von Männern klagen hören, wdche
ganz im Gedankenkreis des Mikrokosmus lebten. Dieselben haben auch
geäussert: daLotze in diesem Werk fast nie citire, auch sich selbst ni<^t,
so fehlten ihnen oft die genauen Beziehungspunkte mancher kritisirten
oder überhaupt herbeigezogenen Ansichten. Es wäre darum Vielen dankois-
werth, wenn eine kundige Hand kurze Erläuterungen zu dem Werk liefern
wollte, welche etwa die Stellen der eigenen frĂĽheren Schriften Lotze*s be-
zeichneten, auf denen die Darstellung ruht, die Männer nennten, welche
an bestimmten Stellen bekämpft oder benutzt werden, und deren Lehren,
so wie sie sie selbst vorgetragen haben, kurz hinstellten. Gerade das
letzte Buch, welches so vielfach an Herbart polemisch abläuft — ein Ver-
fahren, das, wie ich glaube, aus naheliegenden inneren GrĂĽnden Lotze
früh hier gehabt hat — , würde dadurch ein Licht gewinnen, das sich
selbst anzuzĂĽnden eine sehr ausgebreitete Vertrautheit mit Philosophie
erfordert. Selbst der Versuch einer schulmässig kurzen Formulirung der
Lotze'schen Thesen und GrĂĽnde fĂĽr dieselben durch den ganzen Mikro-
kosmus wĂĽrde mindestens das sehr EigenthĂĽmliche der Denkw^se des
Mannes in ein helles Licht zu stellen geeignet sein. Durch einen solchen
Gommentar würde sich auch hervorheben, was völlig neu hinzugekommen
ist in dem Buche. Nach Lotze selbst sind es die geschichtsphilosophischen
Ansichten, — sehr interessant, aber etwas kurz dafür, dass man sich
bei ihnen nicht auf so durchgearbeitete Voruntersuchungen zurĂĽckbeziehen
kann, wie bei den naturphilosophischen, psychologischen, logischen und
metaphysischen Partien. Selbst in grosse, d. h. durch grosse Zahlen und
grosse EigenthĂĽmlichkeiten getragene Gruppen der Menschheit hat hierbei
Lotze sich weniger zu versetzen gewusst. Er deutet das mehrfach an.
S. 136 Bd. 3 heisst es: „Manches Gut der Erkenntniss, der Ordnung und
der Lebensschönheit haben gewiss schon die grossen Gulturkreise Asiens
entwickelt, aber mit jenem hellen frischen köstlichen Wachen des ganzen
Geistes, das wir nachempfinden können, hat die Menschheit doch erst im
griechischen Volke die Augen voll gegen die Welt und gegen den Himmel
aufgeschlagen,* und S. 147: «Unter den theokratisch geordneten Völkern
Baumann: Zum Gedftchtniss H. Loize's. 619
deB Orients erscheinen uns die Hebräer wie Nüchterne unter Trunkenen; dem
Alierthum freilich dĂĽnkten sie die Trftumer unter den Wachenden zu sein.*
Es ist ein grosses Zeichen davon, wie hoch und ernst Lotze seine
philosophischen Ziele sich selbst stets gesteckt hat, dass er durch den Er-
folg des Mikrokosmus nicht dahin gefĂĽhrt wurde, sich bei ihm zu beruhi-
gen, sondern mit jugendlichem Eifer mitten unter den neuen Auflagen
desselben sich daran begab, ein ganzes System der Philosophie, freilich in
einem gemässigteren Sinne, als man dies Wort einst verstanden hatte,
mit aller Strenge und in nöthiger AusfQhrlichkeit zu geben. So lebhaft
er daran arbeitete, so ging es nach ihm selbst langsam damit vorwärts.
Er äusserte in der Zeit öfter: «Man müsse recht viel Bücher vor dem
fĂĽnfzigsten Jahre schreiben, denn dann sehe man Manches noch als einen
wohl zu ĂĽberspringenden Graben an, was Einem mit zunehmendem Alter
sich zu einer Kluft erweitere, ĂĽber die man ein HinĂĽberkommen nicht
absehe.* Erschienen sind von diesem , System der Philosophie" die
«Logik, drei Bücher vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen,
die Metaphysik, drei BĂĽcher der Ontologie, Kosmologie und Psychologie** ;
die Logik bereits in zweiter Auflage, welche erweitert ist durch einen Ab-
schnitt ĂĽber den logischen GalcĂĽl. Es sind das Werke, die wieder von
rein formalem Standpunkt aus und gleichgĂĽltig, ob man ihnen inhaltlich
viel oder wenig oder gar nicht zustimmt, ein Hauptstudium aller sein
werden, welche sich mit irgend einer der obigen Wissenschaften selbst-
ständig abgeben oder abzugeben gedenken; unzweifelhaft aber hat ihnen
der Mikrokosmus auch in den gelehrten Kreisen ĂĽberhaupt Bahn gemacht.
Eine FĂĽUe der Kenntnisse, des Scharfsinns und der EigenthĂĽmlichkeit ist
in ihnen, wie sie in der Geschichte der Philosophie selbst bei ihren Heroen
selten vereinigt gewesen ist. Um so bedauerlicher wäre es, wenn das
Werk unvollendet bliebe, wie es zur Zeit noch ist. Es fehlt der dritte
Band, welcher die Hauptpunkte der praktischen Philosophie, der Aesthetik
und der Religionsphilosophie enthalten sollte mit Eingehen nur auf ein-
zelnes wichtigere Detail, etwa in der Art, wie es der zweite Band bei der
Psychologie gemacht hatte. Das gänzliche Ausfallen dieses Theils wäre
darum so bedauerlich, weil gewisse Grundgedanken, von denen Lotze in
den beiden ersten Theilen bereits grossen Gebrauch gemacht hat, erst
dort ihre principielle AusfĂĽhrung finden sollten: so die teleologische Vor-
aussetzung, so die Lehre, dass der Eine Weltgrund, welchen die Meta-
physik wegen der Wechselwirkung als denknothwendig forderte, persön-
licher Geist sei. Ich weiss nicht, ob sich vorbereitende Ausarbeitungen
zu dem letzten Band im Nachlass gefunden haben, und muss es eher be-
zweifeln. Sollte es nicht der Fall sein, so wĂĽrde es sich fragen: kann
man nicht die LĂĽcke irgendwie ausfĂĽllen? Aus dem Mikrokosmus kann
man das nicht. Man vergleiche nur die jetzige Metaphysik und Natur-
philosophie mit den entsprechenden AusfĂĽhrungen des Mikrokosmus, es ist
der Unterschied einer schulmässigen Behandlung von einer gleichsam
mehr freien und sich, wo es nur geht, an das gewöhnliche Bewusstsein
anlehnenden Erörterung. Lotze wollte gerade, was im Mikrokosmus viel-
620 Baamaim: Zum Gedächtiiiss H. Lotze's.
fach mehr als freie Annahme erschien, auch möglichst als Denknoihwen-
digkeit aufzeigen, d. h. als eine Annahme jedes Denkens, sobald es nur
sich Qber sich selbst genügend zu verständigen versucht. Am ehesten
möchte noch der ausfallende Abschnitt über Aesthetik aus der , Geschichte
^ der Aesthetik in Deutschland", München 1868, zu ergänzen sein und aus
den zwei Abhandlungen in den Göttinger Studien von 1845 und ISi?.
Das Hauptinteresse jener .Geschichte der Aesthetik* ist ja gerade, dass
man Lotze*s eigene ästhetische Ansichten daraus kennen lernt. Dagegen
mĂĽsste man meines Erachtens fĂĽr die Moral, mindestens in den funda-
' mentalen Fragen, — das Detail und die Ueberführung der sittlichen Ideen
ins Leben wollte Lotze nach Aeusserungen an Andere. der Kirche und den
Geistlichen überlassen — , und für die Religionsphilosophie auf die gehal-
tenen Vorlesungen zurĂĽckgehen. Es wĂĽrde nicht genĂĽgen, die resomiren-
den- Dictate der Hauptgedanken drucken zu lassen , welche Lotze nach
voraufgegangener mündlicher Erörterung jedesmal zu geben pflegte, son-
dern man mĂĽsste sich umsehen, eventuell durch Aufrufe in den Zeitungen,
ob nicht in dem letzten Jahrzehnt ein oder der andere Zuhörer die ganzen
Vorlesungen stenographirt hat. Aus verschiedenen Semestern könnte man
dann ein Buch zusammenstellen, welches zwar ähnlich aussehen würde,
wie manche Bände von Hegel und Schleiermacher, aber wahrscheinlidi
einen guten Einblick in die letzte Fassung verschaffte, wie sie Lotze selbst
etwa inhaltlich wĂĽrde gegeben haben. Warum aber bei ihm gerade auf
Moral und Religionsphilosophie soviel ankommt, Hegt von Anfang an aus
seiner ganzen Tendenz zu Tage. Das ist ja eben das EigenthĂĽmlichste
an ihm, dass ihm die Welt der Werthe, insbesondere der sittlichen, das
Bestimmende fĂĽr die Welt der allgemeinen Gesetze und ihrer concreten
Beziehungspunkte war, und dass ihm die Welt der Werthe selbst galt als
der Inhalt eines persönlichen Geistes, der alle andere Realität in sich ent-
hält als seine lebendigen modi oder wie man es ausdrücken mag. Sollte
es gar nicht mögUch sein, direct oder indirect letzte Ausarbeitungen
Lotze*s hierĂĽber als einen dritten Band des Systems der Philosophie zu
erhalten, so wĂĽrde ich vorschlagen, mindestens alle Stellen der frĂĽheren
Werke zu sammeln, wo er oft mehr gelegentlich und selbst blos in An-
deutungen hinweisend oder abschliessend Werthbestimmungen bespricht
und seine religiösen, d. h. philosophisch - religiösen Ansichten bekennt.
Mindestens hat man dann alle seine hierher gehörigen Aeusserungen zu-
sammen, und ich glaube, man wird ĂĽberrascht sein ĂĽber das Interessante
und Anregende schon dieser blossen Zusammenstellung. Das gehört ja
mit zu Lotze*s EigenthĂĽmlichkeit, dass das, was sonst Religion und Poesie
Besonderes an sich haben, das Gefühl geistiger persönlicher Lebendigkeit
zum Eins und Alles der Welt zu machen, Lotze zum Ausgangs- und Ziel-
punkt aller Philosophie macht. Dadurch unterscheidet er sich von den
Standpunkten, welche Poesie und Religion zwar schätzen als das Höchste
in sich tragend, aber in einer inadäquaten Form, während das Wissen,
das sie selbst vom Höchsten geben, gerade die Lebendigkeit und Persön-
lichkeit entbehrt, welche Lotze dem Höchsten zueignen möchte. Es tritt
Baumann: Zum Gedftchtniss H. Lotze*s. 621
aber in jenen AusfĂĽhrungen auch die formelle EigenthQmlichkeit hervor,
um derenwillen er so bildend ist fĂĽr das eigene Denken, so anregend bleibt
für Jeden, der selbst untersucht, dass er nämlich keine verschwiegenen
und versteckten Voraussetzungen macht, sondern sie alle heraussagt, auch
wo er sich nicht mehr getraut, sie denen, die sie etwa nicht anerkennen
möchten, mindestens indirect plausibel zu machen. Es ist ja in aller Phi-
losophie nicht die logische VerknĂĽpfung die Hauptsache, soqdern die
letzten Wahrheiten, welche bei der systematischen VerknĂĽpfung benutzt
werden. Diese letzten, nicht mehr beweisbaren, d. h. nicht mehr aus
anderen Urtheilen ableitbaren, Wahrheiten sind es und ihre GĂĽltigkeit oder
Nichtgültigkeit, auf die es ankommt. Während nun diese letzten Voraus-
setzungen bei manchen Philosophen so tief verborgen liegen, dass es oft
eine förmliche Nachgrabung erfordert sie blosszulegen, rückt sie Lotze stets
in das hellste Licht mindestens des persönlichen Bekenntnisses, und wo
er sie nicht stets anerkannt findet, sucht er die eventuellen Hindernisse,
die ihrem Hervortreten im GemĂĽthe des Einzelnen entgegenzustehen schei-
nen, zu beseitigen. MerkwĂĽrdig war, dass er eine Besprechung von Prin-
cipien im mĂĽndlichen Verkehr gern abgelehnt hat und zwar, wie mir ver-
sichert worden ist, von frĂĽh an. Vielleicht war der Grund derselbe, aus
dem wir ja Alle vermeiden, unsere religiösen und ethischen innersten
Empfindungen zum Gegenstand mĂĽndlicher Unterhaltung zu machen; bei
ihm fielen eben seine letzten metaphysischen Principien und sein religiöses
und ethisch -ästhetisches Empfinden unmittelbar zusammen. Dieser so
irgendwie zu Stande gebrachte dritte Band des Systems der Philosophie
mĂĽsste endlich noch einen Anhang zum ganzen Werk erhalten. Das sind
die Vorlesungen ĂĽber Geschichte der neueren Philosophie, welche Lotze
öfter, zuletzt noch wenige Semester vor seinem Abscheiden gehalten hat.
Stenographische Nachschriften derselben sind gewiss zu beschaffen. Es
hat ein hohes Interesse, zu sehen, wie ein grosser Denker seine Vorgänger
aufgefasst hat.
Man hat seit Langem die Frage aufgeworfen, warum ein Mann wie
Lotze keine Schule gebildet habe. Was man damit meinen kann, hängt
mit einem der grossartigsten Züge seiner Persönlichkeit zusammen, wie
sie sich auch im Leben darstellte. So lebhaft Lotze von der Ueberzeu-
gung durchdrungen war, dass die Grundgedanken seiner Weltansicht die
richtigen und zutreffenden seien, ebenso rĂĽckhaltlos hat er stets bekannt,
dass diese Grundgedanken mehr eine Richtung der Forschung und der
philosophischen Arbeit böten, dass er aber selbst weit davon entfernt sei
und es sogar für menschenunmöglich halte, ein eigentliches geschlossenes
System im frĂĽheren Sinne damit zu gestalten. Was sich mit jenen Grund-
gedanken thun liess nach ihm, hat er gethan, er hat sein Leben lang an
einer immer kräftigeren und packenderen Ausgestaltung derselben gear-
beitet und zugleich immer von Neuem darzulegen versucht, dass diese
Grundgedanken durch die Fortschritte der naturwissenschaftlichen und der
historischen Wissenschaften theils bestätigt würden, theils mit ihnen, so
weit sie selber sicher seien, vereinbar blieben, ohne doch je zu verhehlen,
622 Baumann: Zum GMftchtniss H. Lotze*s.
dass er Vieles, was er in Bezug auf seine GrundĂĽberzeugung wĂĽnsche lei-
sten zu können, nach unserer Kenntniss der Welt nicht im Stande sei,
wirklich zu leisten. Theilnehmer an solcher stetigen Arbeit hat er sehr
gerne gehabt, aber eine Schule im herkömrohchen Sinne, welche immer
etwas des jurare in verba magistri bedarf, konnte er bei dieser Art nicht
haben, denn eben die dazu erforderlichen Formulirungen und Schematisi-
rangen und das ganze Thun, als ob nun alle Hauptsachen fertig wären,
verschmähte er. Er konnte Leute haben, welche sich dankbar von seiner
Gesammtart erheben und erbauen Hessen, — eine solche stille Gemeinde
hat er seit dem Mikrokosmus in grosser Ausdehnung gehabt — , er konnte
Leute haben, welche in irgend einer Weise von ihm angeregt waren zu
eigener Forschung, solche Schule im weiteren Smne hat er gehabt mit
oder ohne pers^ynliche Einwirkung. Er liebte aber auch da die Selbst-
ständigkeit, er hatte gar nichts dagegen, wenn die Betreffenden nicht alle
seine Ansichten theilten. So sehr war ihm dies Verlangen f^emd, dass er
Männer, die sich ganz und gar ihm in all seinen Worten und Wendungen
anschlössen, sich zunächst mit einer gewissen beobachtenden Verwunde-
rang ansah. Jüngere Männer auf -gut Glück, d. h. ehe sie besonderes
Talent gezeigt, durch absichtliche persönliche Anregung seinerseits zu Phi-
losophen heranzuziehen, hat er stets vermieden; dass ein Studirender im
siebenten oder achten Semester unter fortwährender Anregung und etwa
vielfach unter den Augen des Lehrers eine Doctordissertation im Sinne
und Geiste dieses Lehrers zu Stande brächte, hat er für keine Bürgschaft
der Befähigung und erreichten Tüchtigkeit zum selbstständigen künftigen
Phüosophiren gehalten. Selbst wenn sich Jemand ihm näherte mit dem
Wunsche, Philosoph zu werden, hat er ihm gerathen, dieses Bestreben
mit einem Fachstudium zu verknĂĽpfen, wie er denn theoretisches Philoso-
phiren ohne die Grundlage einer soliden mathematisch -naturwissenschaft-
lichen Bildung für wenig fhichtverheissend erachtete, und es höchlich bil-
ligte, wenn man etwa Jemand, der sich zur Beschäftigung mit praktischer
Philosophie vorbereiten wollte, auf römische Rechtsgeschichte mit Institu-
tionen, auf Nationalökonomie und Statistik sammt Gulturgeschichte als
unerlässliche Fundamentirungen hinwies. Sobald sich aber ein junger
Mann, und wenn er noch Student war, etwa mit einer Arbeit ihm nahte,
an der er Kenntnisse und Talent zum Philosophiren wahrnahm, da hat
er sich dessen mit allem Interesse angenommen und ihn nicht aus den
Augen gelassen, immer aber ängstlich bemüht, die selbstständige EntwidL-
lung desselben, selbst wenn er ihre Richtung nicht ganz billigte, seiner-
seits nicht zu stören. Ein solcher Mann bildet keine Schule im gewöhn-
lichen Sinne, denn eine solche braucht nicht bloss einen anregenden Geist,
sondern noch mehr feststehende Formeln, die sich leicht anwenden lassen,
und eine Manier der Arbeit, die sich nicht allzuschwer absehen lässt. Ein
solcher Mann leistet aber viel mehr sowohl fĂĽr eigentliches Philosophiren,
als fĂĽr blosse philosophische Bildung; er gibt der letzteren, was sie braucht,
und hält ihr doch das Gefühl wach, dass sie noch nicht selbst Philosophie
ist, der ersteren aber stellt er Richtungen und Ziele der Forschung in
Litteraturbericht. 623
musterhaften AusfAhrungen vor und weckt doch stets dabei das Bewusst-
sein, dass alles das noch immer fortgesetzte neue Arbeit verlange. Und
so mag es denn ausdrĂĽcklich gesagt sein, was die Zeit immer mehr er-
härten wird: an Vielseitigkeit und Beweglichkeit des Denkens und an gei-
stig weckender Kraft — selbst seine kühnsten Paradoxien sind voll Scharf-
sinn und voller Poesie — erinnert von den deutschen Philosophen Lotze
am Meisten an Leibniz, der von sich aus auch nicht Schule gemacht hat.
Ob ich darum Lotze einen WolfiT wĂĽnschen soll, weiss ich nicht; ich
giaube, er wird ohne einen solchen eine reinere und tiefere Nachwir-
kung haben.
Göttingen. Baumann.
Littentnrberieht.
Philoftophisohe Schriften von Dr. Frcmz Hofftmmn, o. Professor an
der Universität Würzburg u. s. w. Siebenter Band. Erlangen, A.
Deichert. 1881. XVI u. .464 S. 8^
Auf eine denkwĂĽrdige kulturgeschichtliche Erscheinung beziehen sich
die vorliegenden Abhandlungen. „SpirituaUstische Studien** sind es, welche
in diesem siebenten lehrreichen Bande «einer gesammelten Schriften der
unermĂĽdete Verfasser bietet. Seine kritische Forschung richtet er somit
auf das Geisterreich und auf dessen Manifestationen ; äusseren Anlass gibt
ihm die spiritistische und antispiritistische Literatur. Zur WĂĽrdigung der
Dinge aber findet er den geeigneten Standpunkt in einer Philosophie, wie
sie vor anderen von Baader vertreten worden ist: des letzteren Lehre
von der inneren Leiblichkeit, dann dessen Auffassung des Verhältnisses
von Geistigem und Materiellem sowie des Verhältnisses von Geist zu Geist
zeigt sich dabei von besonderer Tragweite.
Der Spiritualismus im allgemeinen Sinne ist dem V. eine Weltan-
schauung, welche Gott als den absoluten Geist erkennt und anerkennt;
besondere Erfahrungsbeweise aber fĂĽr solche Weltanschauung sieht er in
den Ergebnissen spiritistischer Experimente. Eben durch diese scheint
ihm ermittelt „dass eine für unsere Sinne unsichtbare Region abgeschie-
dener Geister, die nicht jeder Art von Leibhchkeit entkleidet sind, exis-
tirt.** Er weiss, dass der SpirituaUsmus nur relativen Werth haben kann
für den gläubigen Christen und für den theistiscben Philosophen; er be-
rĂĽcksichtigt auch, was die Gegner vorzubringen haben ; er verschliesst das
Auge nicht vor Ausschreitungen der ganzen Bewegung. Aber er dringt
auf wissenschaftliche Untersuchung der spiritistichen Phänomene und auf
das Experiment, ohne welches die Wissenschaft nicht vorwärts komme.
Am schärfsten hat er seine bezügliche Ansicht dargelegt bei Besprechung
von Owen*s Werk ĂĽber das streitige Land, S. S70 ff, von Perty*s Buch
ĂĽber den jetzigen Spiritualismus, S. 278 ff., von Fechner's Tagesansicht
gegenĂĽber der Nachtansicht, S. 341 ff.
624 Bibliographie.
lu der That sind die spiritistischen Vorkommnisse, seitdem herror-
ragende Männer der Wissenschaft sich ihnen zugewendet haben, mehr
und mehr zur wissenschaftlichen Angelegenheit und zu einer harten Probe
für die Zulänglichkeit insbesondere der neueren Philosophie geworden.
Doch unabweisbare Bedenken erheben sich gegen des Verfassers Aufmunte-
rung zum spiritistischen Experimentiren (cf. S. 373 n. 0.): nicht die Be-
denken jener, welche von selbstsĂĽchtiger Scheu, aus ihrem bisherigen
Goncept zu kommen, zurĂĽckgehalten werden; auch nicht jener, welclien
die kirchUche Autorität verbietend in den Weg tritt (cf. S. 338), sondern
Bedenken anderer Art. Denn wer immer in Christus den Weg, die Wahr-
heit und das Leben gefunden hat und hierdurch persönlich mit Gott und
dem Jenseits bereits verbunden ist, dĂĽrfte geringe Lust haben, sich erst
durch andere Medien vom Dasein eines Geisterreiches zu ĂĽberzeugen, imd
möchte wenig Verlangen tragen nach einem Verkehr mit Geistern dunkler
Herkunft, welche nicht minder als ein irdischer Priester und Prophet den
Glauben fĂĽr ihre Mittheilungen in Anspruch nehmen; die Theorie selbst
aber, welche die spiritistischen Vorkommnisse zu erklären im Stande wäre,
kann nicht lediglich aus den zu erklärenden Experimenten erwachsen,
sondern muss darĂĽber hinaus eines breiteren Fundamentes sich zu rĂĽhmen
haben und eines umfassenderen Princips, das nothwendig durch andere
und höhere Thatsachen und Erfahrungen gewonnen ist: das vergällt die
Freude am und zum spiritistischen Experimente und stärkt die Meinung,
dass seine eigene DĂĽrftigkeit den modernen Spiritismus so wie allen frĂĽ-
heren epidemischen Geisterspuk wieder verschwinden lässt vor der Morgen-
röthe eines neuen Tages, dessen Anbruch der Spiritismus an seinem Theüe
vielleicht vorbedeutet hat.
Erlangen. Rabus.
Ueber Kant'B Prineipien der Ethik und Sohopenhaner's BenrthelluB^
derselben* Eine kritische Studie von Dr. Otto Lehmann, Berlin, Theod.
Grieben. 1880. (107 S.) 8*.
Eine mit Klarheit und Scharfsinn verfasste Monographie, deren Stu-
dium Allen, die sich mit Kantus Philosophie befassen, dringend empfohlen
zu werden verdient. Nachdem der Verfasser im ersten Kapitel den er-
kenntniss-theoretischen Grundgedanken des Kantischen Kriticismus darge-
stellt, insbesondere den Gegensatz von Erkenntnisslehre und Psychologie,
sowie den von innerer Erfahrung und apriorischer Erkenntniss bei
Kant hervorgehoben, sodann die Auffassung Schopenhauer's hinsichtlich
dieses kritischen Grundgedankens aufgezeigt, geht er im zweiten Ka-
pitel dazu ĂĽber, das rationalistische Fundament der Kantischen Ethik
und Schopenhauer's Beurtheilung desselben darzulegen. Im dritten Kapitel
bespricht er alsdann das gegenseitige Verhältniss der beiden ethiscJien
Hauptschriften Kant's, der , Grundlegung zur Metaphysik der Sitten' und
der «Kritik der praktischen Vernunft*, welches er anders bestimmt als
Schopenhauer, E. Erdmann, K. Fischer und H. Cohen es gethan haben.
Litteraturbericht. 625
Den Hauptunterschied findet er nämlich darin, dass in der «Grundlegung**,
Yon der Freiheit als der ratio essendi des moralischen Gresetzes ausge-
gangen, während in der .Kritik der pr. Vem/ von dem Bewusstsein des
moralischen Gesetzes als der ratio cognoscendi der transscendentalen Frei-
heit aus auf diese geschlossen werde. Der Verfasser findet die letztere
Auffassung, welche im Allgemeinen allein als die Kant*sche gelte, dem
Geiste des Systems angemessener, weil in der Kritik der reinen Vernunft
wohl die Möglichkeit, nicht aber die Wirklichkeit der transscendentalen
Freiheit erwiesen worden sei. Immerhin erscheinen als die beiden Grund-
pfeiler der Kantischen Ethik einmal der kategorische Imperativ, d. h. der
Begriff der blossen gesetzgebenden Form, sodann die transscendentale Frei-
heit, vermöge deren der Wille durch jene gesetzgebende Form bestimmt werden
kann. «Beide Begriffe*, sagt der Verf., «sind durchaus gleich nothwen-
dig fflr das Bestehen der Kant*schen Ethik. Ist auch nur einer von ihnen
nichtig, so fällt die ganze ethische Theorie.' Indem er sich nun zur Kritik
dieser beiden Grundbegriffe wendet, gelingt es ihm hinsichtlich des kate-
gorischen Imperativs, die Unzulänglichkeit desselben als ethischen Princips
nachzuweisen, da es als unmöglich erscheinen muss, aus dem blossen
Begriff der Form allgemeiner Gesetzmässigkeit zu einem Inhalte dieser
Form zu gelangen. Was ferner die transscendentale Freiheit betrifft, so
glaubt der Verf. dieselbe deswegen aufgeben zu mĂĽssen, weil sie auf der
Voraussetzung des Begriffs vom Dinge an sich beruhe, dieser aber unhalt-
bar sei. Was nun der Verf. gegen das «Ding an sich' sagt^ trifft nach
des Ref. Ansicht nicht den Kern der Sache; der Begriff des «Dinges an
sich* richtig verstanden, ist keineswegs so hinfällig, wie der Verf. meint,
und somit auch dem Begriff der transscendentalen Freiheit nicht der Boden
entzogen. Unter dem Ding an sich versteht Kant im Gegensatz zur Er-
scheinung die Wirklichkeit als solche, wie sie abgesehen von unserer sub-
jectiv bestimmten Auffassung als deren Voraussetzung angenommen wer-
den muss, aber freilich nicht erfahren werden kann. Der Begriff eines
Seienden, das zwar nicht erfahren, aber doch anerkannt wird, ist keines-
wegs widersprechend. Die transscendentale Freiheit nun ist nicht Gegen-
stand der Erfahrung, sondern ein intelligibles Factum ; sie ist unser eignes
Wesen und also freilich als «Ding an sich', d. h. ein aller Erfahrung vor-
ausgehendes Wirkliche zu betrachten. Es scheint darum dem Referenten
der Begriff der transscendentalen Freiheit, mit dem der des intelligiblen
Charakters (ohne welchen als zu realisirendes Lebensideal es gar keine
Ethik gibt) aufs Engste zusammenhängt, durchaus haltbar zu sein. Wenn
übrigens der Verf. erklärt, dass er mit seiner Kritik den eigentlichen
Grundgedanken der Kant*schen Ethik vollkommen unangetastet bestehen
lassen wolle, den Gedanken nämlich, «dass die sittliche Werthschätzung
aus dem Begriffe der Vernunft oder des Bewusstseins selbst, als in ihm
unvermeidlich enthalten, mĂĽsse begrĂĽndet werden,' so nimmt er doch
eben damit die gesetzgebende praktische Vernunft in ihrer Autonomie als
ethisches Princip an und es ist nicht abzusehen, wie er ohne intelligible
Freiheit diesen Standpunkt durchfĂĽhren will. Freilich soll dabei auch von
PhiloMph. Monatshefte 1881, IX a. X. 40
626 Litteraturbericht.
dem Ref. nicht geleugnet werden, dass die Lehren ĂĽber die Wirkungs-
weise der Freiheit und über ihr Verhältniss zum Menschen als Sinnen-
wesen bei Kant ,an Dunkelheiten leiden, die ganz aufzuhellen auch die
günstigste Interpretation schwerlich im Stande sein dürfte'* — Die beiden
letzten Kapitel («das Factum des Sittengesetzes als Ausgangspunkt der
ethischen Betrachtung" und ,der Begriff des absoluten Sollens odor der
Pflicht als in dem Factum des absoluten Sittengesetzes enthalten*) sind
wesentlich gegen Schopenhauer gerichtet. Der Verf. zeigt, was der Sinn
der Facticität des Sittengesetzes bei Kant sei und dass Schopenhauer diesen
missverstehe, wenn er behaupte, dass Kant das Moralgesetz nicht als
eine Thatsache des Bewusstseins betrachte. Kant sieht den kategorischen
Imperativ allerdings nicht als ein empirisches Factum an, sondern im
Sinne einer Thatsache, die mit der Vernunft selbst gegeben, von dem Be-
grifft des vernĂĽnftigen Bewusstseins untrennbar ist. Was endlich Schopen-
hauer's Einwände gegen die Form des Sollens in der Ethik oder den abso-
luten Pflichtbegriff betrifft, hergenommen von dem vermeintlichen Wider-
streit einmal des Sittengesetzes mit dem Gausalgesetze der Motivation, dann
zwischen der unbedingten Nothwendigkeit der sittlichen Gesetze und der
doch geschehenden Uebertretung derselben, so weist der Verf. nicht nur
beide Instanzen zurĂĽck, sondern legt auch dar, dass Schopenhauer den
Begriff der Pflicht zu eng gefasst und dass seine Polemik gegen die Form
des Sollens in der Ethik ĂĽberhaupt verfehlt sei. In der That kann Scho-
penhauer sich selbst nicht enthalten, das Sollen auch in seine Ethik heim-
lich wieder einzufĂĽhren, indem er von dem Werthe und Unwerthe der
Handlungen redet, womit implicite auch der Begriff des Sollens zugestan-
den ist. „Denn in dem Begriff der Werthschätzung*, sagt der Verfasser,
«liegt unmittelbar enthalten ein Streben nach Erreicl^ung des WerthvoUen,
also ein Wollen, und damit weiterhin ein Sollen, sofern in diesem der
Wille in der Gonsequenz seines Wollens sich selbst ein bestimmtes Ver-
halten vorschreibt. Jede Werthschätzung hat so unvermeidlich &n Sollen
zur Folge, wie umgekehrt jedes Sollen eine Werthschätzung voraussetzt
Das Letztere zu verkennen und ein Sollen zu statuiren unter Abstraction
von aller Werthschätzung, war der Fehler Kant's. Schopenhauer aber ist
in dem entgegengesetzten Irrthum befangen, dass es eine Werthschätzung
geben könne, ohne dass dabei von einem Sollen die Rede sei.* Ueber diese
beiden letzten gegen Kant und Schopenhauer gerichteten Bemerkungen
liesse sich freilich nach des Ref. Ansicht noch Manches einwenden. G. S.
Neu eingegangene Scbriften.
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Gaspari, O., Der Zusammenhang der Dinge. Ges. philos. Aufsätze.
Spitta, Heinr., Die Willensbestimmungen und ihr Verhältniss zu den
impulsiven Handlungen.
V. Kirchmann, Die besondere Natur des öffentlichen Rechts. (Vörhandl.
der philos. Gesellschaft zu Berlin. Heft XIX.)
Ludewig, J., Geist und Stoff.
Steudel, A., Philosophie im Umriss. 9. Tbl. Praktische Fragen, 2. Abth.
Kritik der Religion, insb. d. christlichen. Buch 1. 2.
Ribot, Th., Die experimentelle Psychologie der Gegenwart in Deutsch-
land. Autor, deutsche Ausgabe.
Walter, J., Zum Gedächtniss Kant's. Festrede.
Rivista di filosofia scientifica. A. L n. 1. Dir. da E. Morselli.
Hoppe, J. S„ Psychologisch-physiologische Optik.
Koch, B. M. W., Ueber die rechte Gestalt des individuellen Daseins.
Kr ei 88, Theosophie. Vereinigung der Theologie und Philosophie.
Zart, Einfiuss der englischen Philosophen seit Bacon auf die deutsche
Philos. des 18. Jahrb.
Plumacher, 0., Der Kampf um's Unbewusste.
Busse, Ad.. De praesidiis Aristotelis poetica emendandi.
S i m m e 1 , G e o., Das Wesen der Materie nach Kant's physischer Monadologie.
Bib liographie
von
Dr. F. Ascherson.
I. Zur Encyclopadie. Gesammelte Schriften. Zeitschriften. Bibliographie.
Steudel, A., Philosophie im Umriss. 2. Theil. Practische Fragen.
2. Abtb. Kritik der Religion, insbesondere der christlichen. 1. u. 2.
Buch. 8. Stuttgart, Bonz & Co. n. 14 M. — Brodbeck, A., Einlei-
tung in die Philosophie. 8. Tübingen, Fues. n. 1 M. 20 Pf . — - Dross-
bach, M., ĂĽber den Ausgangspunkt und die Grundlage der Philosophie.
8. Frankfurt (Leipzig, Brockhaus' Sortiment), n. 2 M. 50 Pf. — Jo-
nas, R., Grundzüge der philosophischen Propädeutik. 8. Berlin, Gaert-
ner's Verlag. Gart. n. 40 Pf. — Pirmez, 0., Heures de philosophie.
12. 5 fr. — Müller, F. M., selected essays on language, mythology,
and religion. 2 vols. 8. 16 s. — Gaspari, 0., der Zusammenhang
der Dinge. Gesammelte philosophische Aufsätze. 8. Breslau, Trewendt.
n. 8 M. — V. Kirch mann, J. H., Zeitfragen und Abenteuer. 8. Leip-
zig, Weber, n. 2 M., geb. n. 3 M. — Zeitschrift für Völkerpsycho-
logie und Sprachwissenschaft. Herausgegeben von M. Lazarus und H.
Steinthal. 13. Bd. 3. Heft. 8. Berlin, DĂĽmmler's Verlagsbuchhandl.
n. 2 M. 40 Pf. — Sprechsaal, der. Wochenblatt für Wissenschaft,
Philosophie und Religion mit besonderer Berücksichtigung der Phäno«
6S8 Bibliographie.
mene and Lehren des modernen Spiritualismus. Red. v. B. Gyriax.
1. Jahrg. 1881/82. (52 Nrn.) Nr. 1. Fol. Leipzig, Besser. Vierteljährl.
n. 1 M. 50 Pf. — Vierteljahrs- Gatalog aller in Deutschland er-
schienenen Werke aus dem Gebiete der Pädagogik. Jahrg. 1881. 2. Heft
April bis Juni. 8. Leipzig, Hinrichs^sche Buchh., Yerlags-Gonto. pro
10 Exemplare n. 1 M. 50 Pf.
II. Zur Geschichte der Philosophie. BĂĽdinger, H., Zeit und Raum bei
dem indogermanischen Volke. 8. Wien, G. Gerolds Sohn in €k>mm.
n. 40 Pf. — Zeller, E., A history of Greek Philosopby. Translated
by S. F. Alleyne. 2 vols. 8. 1 1. 10 s. — Mayor, J. B., a sketch of
ancient philosopby from Thaies to Gicero. 8. Gambridge. (Leipzig,
Brockhaus' Sort.) Geb. haar 3 M. 60 Pf. — Spitzer, H., über Ur-
sprung und Bedeutung des Hylozoismus. Eine philosophische Studie. 8.
Graz, Leuschner & Lubensky. n. 2 M. 40 Pf. — Piatonis opera qaae
feruntur omnia. Ad Codices denuo coliatos ed. M. Schanz. Vol. V.
Fase. 1. Symposion. 8. Leipzig, B. Tauchnitz. n. 2M. [S. ob. S. 305.]
— Plato's Werke. 38. u. 39. Heft. Gharmides und Menon. Deutsch
von W. Gaupp. 8. Stuttgart, Werther. ä n. 35 Pf. — Platon's
Staat. Griechisch und deutsch mit Anmerkungen. 2 Bde. 8. Leipzig,
Engelmann, k n. 4 M. — Xenophon's Gastmahl. Griechisch und
deutsch, herausgegeben von G. F. Rettig. 8. Leipzig, Engelmann.
2 M. 25 Pf. — Aristotle's Nicomacbean Ethics. Translated by F. IL
Peters. 8. • 6 s. — Aristotle's Metaphysics. Book L Translated
into Englishprose, with marginal analysis etc. 8. 5 s. — v. Haupt, J.,
von dem Verhältnisse der Dichtung und Geschichte nach Aristoteles.
Vortrag. 8. Wien, C. Gerolds Sohn in Gomm. haar 30 Pf. — Gice-
ro nis Tusculanarum disputationum libri V. FĂĽr den Schulgebrauch
erklärt von 0. Heine. 1. u. 2. Heft. 3. Aufl. 8. Leipzig, Teubner.
2 M. 70 Pf. (Heft 1 1 M. 20 Pf.. Heft 2 1 M. 50 Pf.) — Reville. J.,
la doctrine de Logos dans le quatri^me ^vangile et dans les oeuvres de
Philon. 8. 3 fr. 50. — Kanakis, J., Dionysius der Areopagite nach
seinem Charakter als Philosopl^ dargestellt. 8. Leipzig, Lorentz. n. 1 H.
— Justini pbilosophi et martyris opera Tomi 3. pars 2. Ed. 3. (Cor-
pus scriptorum christianorum saecuU secundi. Ed. J. C. Th. eques de
Otto. Vol. 5.) 8. Jena, Fischer, n. 8 M. — Bach, J., des Albertus
Magnus Verhältniss zu der Erkenntnisslehre der Griechen, Lateiner,
Araber und Juden. 8. Wien, Braumüller, n. 5 M. — Bach, J., Fest-
rede zum 600jährigen Jubiläum Albertus des Grossen. 4. Augsburg,
Literarisches Institut von Dr. M. Huttier, n, 1 M. — v. Brentano, C,
Albertus magnus, Ordensmann, Bischof und Gelehrter. 12. MĂĽnchen,
Kellner's Verlag, n. 1 M. — Pfeifer, F. X., harmonische Beziehun-
gen zwischen Scholastik- und moderner Naturwissenschaft mit specieller
RĂĽcksicht auf Albertus Magnus, St. Thomas von Aquin etc. 8. Augs-
burg, Schmid'sche Verlagsbuchh. n. 1 M. 20 Pf. — Thomae Aqui-
natis sermones et opuscula concionatioria. Ed. A. J. B. Raulx. 4 Tomi.
8. Luxemburg, BrĂĽck, n. 9 M. 60 Pf. dasselbe. Ausg. in gr. 8.
2 Tomi. 8. n. 9 M. 60 Pf. -- SchĂĽtz. L., Thomas-Lexikon, das ist
Sammlung, Uebersetzung und Erklärung der in den Werken des h. Tho-
mas von Aquin, insbesondere in dessen beiden Summen vorkommenden
termini technici. 8. Paderborn, F. Schöningh. n. 3 M. 80 Pf. —
Werner, K., der Averroismus in der christlich-peripatetischen Psycho-
logie des späteren Mittelalters. 8. Wien, G. Gerolds Sohn in Comm.
haar 45 Pf. — Bertini,'^3toria della filosofia modema: lezioni Parte la,
dal 1596 ad 1690. 12. Torino. L. 2. — L^vy, A., morceaux cboisis
de philosophe allemandsSmodernes, pour la classe de philosophie. 12.
2 fr. 50. — V. Griegern, H. F., Johann Arnos Gomenius als Theolog.
QEin Beitrag zur Gomenius -Literatur. 8. Leipzig, C. F. Winter*s Ver-
Bibliographie. 629
lagsbuchh. n. 6 M. — Pfailosophical Glassics for English Readers.
Edited by W. Knight. Butler. By W. Lucas Gollios. Fcp. 3 s. 6 d.
Berkeley. By A. G. Fräser. Fcp. 8 s. 6 d. — Philosophers, Eng-
lish, Sir William Hamilton. By W. H. S. Monck. 8. 3 s. 6 d. —
Leibniz, la Monadologie, publik par Emile Bontroux; suivie d'une
note sor les prindpes de k mdcanique dans Descartes et dans Leibniz,
par Henri Poincar^. 12. 2 fr. 50. — Krakauer, M., zur Geschichte des
Spinozismus in Deutschland während der I. Hälfte des 18. Jahrb. 8.
Breslau, Köhler, n. 1 M. — Zart, 6., Einfluss der engUschen Philo-
sophen seit Bacon auf die deutsche Philosophie des 18. Jahrhunderts.
8. BerHn, Dflmmler's Verlagsbuchh. n. 4M. — Gropp, J., Lessing's
Streit mit Hauptpastor Goeze. (Deutsche Zeit- und Streitfragen. Heraus-
gegeben von F. V. Holtzendorff. Heft 154.) 8. Berlin, Habel. Sub-
scriptionspreis n. 75 Pf., Einzelpreis n. 80 Pf. — Findel, J. G., Les-
sing's Ansichten ĂĽber die Freimaurerei. Eine Studie ĂĽber , Ernst und
Falk*. 2. Aufl. 8. Leipzig, Findel. n. 1 M. — KanTs Kritik der
reinen Vernunft. Nachträge. Aus seinem Nachlass herausgegeben von
B. Erdmann. 8. Kiel, Lipsius & Fischer, n. 1 M. — Kant's Rede
„de medicina corporis quae philosopborum est* (Ineditum). Mitgetheilt
von J. Reicke. 8. Königsberg, Beyer's Buchh. n. 1 M. — Kant,
Essai philosophique sur la paix perpi§tuelle, avec une pr^face de Gh. Le-
monnier. 8. 1 fr. — Walter, J., zum Gredächtniss Kant's. Festrede.
8. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 90 Pf. — Runze, M., KanVs Bedeu-
tung auf Grund der Entwicklungsgeschichte seiner Philosophie. Fest-
Vortrag. 8. Berlin, G. Duncker's Verlag, n. 1 M. — Zirngiebl, E.,
Johannes Huber. 8. Gotha, F. A. Perthes, n. 6 M. — Planck, K. Gh.,
Testament eines Deutschen. Philosophie der Natur und der Menscliheit.
Herausgegeben von K. Köstlin. 8. Tübingen, Fues. n. 10 M. — Um-
fried, 0. L., Karl Planck, dessen Werke und Wirken. 8. TĂĽbingen,
Fues. n. 1 M. 50 Pf.
III. Zur philotopMtchen Weltanschauung. Schnitze, F., die Grundgedanken
des Materialismus und die Kritik derselben. Ein Vortrag. 8. Leipzig,
E. Günther's Verlag, n. 2 M. — Materialism: ancient and modern.
By a late fellow of Trinity GoUege Gambridge. 8. 2 s. — Wain-
wright's, S., scientific sophisms a review of current theories concer-
ning atoms etc. 8. 6 s. 6 d. — Plumacher, 0., der Kampf um*s
Unbewusste. 8. Berhn, G. Duncker*s Verlag, n. 3 M. — Schmid,
U. R., BlĂĽthen einer Weltanschauung. 3. Ausg. 16. MĂĽnchen, Th.
Ackermann, n. 2 M. — Landsberg, J., volksthümliche Philosophie.
3. Heft. Die Liebe. 8. BerUn, Issleib. n. 50 Pf. [S. ob. S. 377.] —
Bonafede, G. 0., la veritä sulla filosofia empirica modema. Verona.
8. L. 5.
IV. Zur Erkennfnlsslehre. Dec^s, J. B. L., Science et v^rit^. 8. 7 tt. 50.
— Ghiringhello, 6., la critica scientifica ed il sovrannaturale. To-
rino. 4. L. 8. — Bertrand, A., L'Aperception du corps humain par
la conscience. 8. 5 fr. -— Gharaux, Gh., de la pens^. 12. 3 fr. 50.
— Evelin, F., Infini et quantitä. Etüde sur le concept de Hnfini en
Philosophie et dans les sciences. 8. 5 fr. — Klein, M., die Genesis
der Kategorien im Processe des Selbstbewusstseins. 8. Breslau, Go-
sohorsky's Buchh. n. 1 M. — Schramm, G., Leitfaden der Logik und
der empirischen Psychologie. 1. Heft. Logik. 8. Bamberg, Schmidt*sche
Buchh. n. 1 M. — Kohn, B., Untersuchungen über das Gausalproblem
auf dem Boden einer Kritik der einschlägigen Lehren J. St. MilKs. 8.
Wien, G. Gerold's Sohn in Gomm. n. 3 M. — Zimmermann, R.,
Henry More und die vier Dimensionen des Raumes, 8, Wien, G. Gre*
rolds Sohn in Gomm.
630 Bibliographie.
V. Zur Malaphytik. Harper, T., the Hetaphysics of the school. Vol. 2.
8. 18 s.
VI. Zur Naturphilosophie. Schul tze, F., Philosophie der Naturwissen-
schaft. 1. Theil. 8. Leipzig, E. GQnlher's Verlag, n. 8 M. — Dar-
win's, Gh., gesammelte Werke. Auswahl in 6 Bänden. Lief. 37. 38.
39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 8. Stuttgart, Schweizerbart^sche Ver-
lagsbuchh. k n. 1 M. [S. ob. S. 506.] — Wekerle, L., Urentstehung
und Leben der Organismen. 8. Leipzig, Schlicke, n. 3 M. — Allen,
Grant, the evolutionist at large. 8. 6 s — Lud ewig, J., Geist und
Stoff. Erörterungen und Betrachtungen über die Souveränetät der Materie.
8. Iserlohn, Bädeker. n. 5 M. — Schüler, W. F., das Priscip der
Erhaltung der Kraft und die Planetenbahnen als involutorische Punkt-
reihen. 8. Freising, Datterer^s Verlag, haar 1 M. — Zöckler, O.,
Gottes Zeugen im Reich der Natur. Biographien und Bekenntnisse
grosser Naturforscher aus alter und neuer Zeit. 1. Theil. 8. GĂĽierslob,
Bertelsmann, n. 4 M. 50 Pf.
VII. Zur Ethik, Culturgetchlchte und Rechttphilotophle. Morlais, M., EtĂĽde
sur le trait4 du llbre arbitre du Vauvenargues. 8. 4t tr, — Morselli,H^
der Selbstmord. Ein Kapitel aus der Moralstatistik. (Internationale
wissenschaftliche Bibliothek Bd. 50.) 8. Leipzig, Brockhaus. n. 6 M.,
geb. n. 7 M. — Nietzsche, F., Morgenröthe. Gedanken über die mo-
ralischen Vorurtheile. 8. Chemnitz, Schmeitzner. n. 10 M. — Spen-
cer, H., the study of sociology lOth edition. Gr. 8. 5 s. (Interna-
tional scientific series.) — Bommel, F., die semitischen Völker und
Sprachen. I. Die Semiten u. ihre Bedeutung fĂĽr die Gulturgeschichte. 8.
Leipzig, 0. Schulze. n.2M^ — Buckle, H. Th., Geschichte d. GiTÜisation
in England. Deutsch v. A. RĂĽge. 6. Aufl. 2 Bde. in 3 Abtheilungen.
8. Leipzig, G. F. Winter, n. 13 M. 50 Pf. — Byk, S. A., Rechtsphi-
losophie. Der letzte Grund des Rechts und seine praktischen Gonse-
quenzen bearbeitet unter Berücksichtigung der Möglichkeit ihrer Ver-
wirklichung. 8. Leipzig, Schäfer, n. 5 M. — Minghetti, M., Staat
und Kirche. 8. Gotha, F. A. Perthes, n. 6M. — v. Hartman n, E.,
die politischen Aufgaben und Zustände des Deutschen Reiches. 8. Ber-
lin, G. Duncker's Verlag, n. 1 M.
VIII. Zur Anihropologle und Psychologie. Tylor, E. B., Anthropologie: an
introduction to the study of man and civilisation. Illustrated. 8. 7 s.
6 d. — Ribot, Th., die experimentelle Psychologie der Gegenwart in
Deutschland. 8. Braunschweig, Vieweg und Sohn. n. 6M. — Spen-
cer, H., the principles of psych ology. 2 yoIs. 3rd. edition. 8. 1 1.
16 s. — Edgeworth, F. T., mathematical psychics: an essay on the
application of mathematics to moral science. 8. 7 s. 6 d. — Hoppe,
J. I., psychologisch -physiologische Optik in experimentell psycho -physi-
scher Darstellung. 8. Leipzig, 0. Wigand. 6 M. — Du Bois-Rey-
mond, E., ĂĽber die Uebung. Rede. 8. Berlin, A. Hirschwald. n.lM.
^ Pf. — Spitta, H., die Willensbestimmungen und ihr Verhältniss zu
den impulsiven Handlungen. 8. Tübingen, Fues. n. 2 M. 80 Pf. —
Ribot, Th., les maladies de la memoire. 12. 2 fr. 50.
IX. Zur Reliolonsphilosophie. Löschhorn, K., religionsphilosophische Stu-
dien. 8. Wittenberg, Zimmermann 'sehe Buchh. n. 50 Pf. — Kreiss,
Theophilosophie, Vereinigung der Theologie und Philosophie. 1. Bd. 8.
Berlin, Mrose. n. 6 M. — Flügel, 0., die speculative Theologie der
Gegenwart kritisch beleuchtet. 8. Göthen, Schulze, n. 6 M. — Flü-
gel, 0., die hebräische Theologie der Gegenwart kritisch beleuchtet
8. Göthen, Schulze, n. 6 M. — Steude, E., ein Problem der allge-
meinen Religionswissenschaft und ein Versuch seiner Lösung. 8. Ldp>
zig, J. Naumann, n. 2 M. — Haupt, E., die Kirche und die theolo-
gische Lehrfreiheit. Kiel, Horoann. n. 1 M. 20 Pf. — Küchler, F^
Bibliographie. 631
zur Freiheit des Gewissens. Eine religionsphilosophisch-kirchenpolitische
Studie. 8. Leipzig, Lehmann, n. 5 M. — Holsten, C, die prote-
stantische Kirche und die theologische Wissenschaft. 54 Thesen. 8.
Berlin, Haack. n. 50 Pf.
X. Zir Spnichphllotoplile. Abel, C, ĂĽber den Ursprung der Sprache. 2.
Ausg. 8. Berlin, .Liepmannssohn. n. 1 M. 50 Pf.
XI. Znr AetĂśietik. Forbes, A. W. H., the science of beauty: an .analy-
tical inquiry into the laws of Aestbetics. 8. 6 s. — Schasler, M.,
das System der Künste, ß. Leipzig, Friedrich. n.6M. — Hanslick, E.,
▼om Musikalisch -Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Aesthetik der
Tonkunst. 6. Aufl. 8. Leipzig, Barth, n. 3 M. ~ Liszt F., gesam-
melte Schriften. 3. Bd. Dramaturgische Blätter. LAbth. Essays über
musikalische BĂĽhnenwerke und BĂĽhnenfragen, Gomponisten und Dar-
steller. In das Deutsche ĂĽbertragen voo L. Ramann. 8. Leipzig, Breit-
kopf und Härtel. n. 4 M. geb. n. 5 M. 50 Pf.
XII. Zur Pädagogik. Vierteljahrs-Katalog aller in Deutschland erschie-
nenen Werke aus dem Grebiete der Pädagogik. Jahrg. 1881. 2. Heft
April bis Juni. 8. Leipzig, Hinrichs*sche Buchh., Verlags-Gonto. pro
10 Exemplare n. 3 M. — Sammelmappe, pädagogische. Heft 49. 8.
Leipzig, Siegismund«und Volkening. n. 1 M. 20 Pf. Inhalt: Rollin als
Pädagoge. Ein Beitrag zur Geschichte der Pädagogik von 6. Yülcker.
[S. ob. S. 186.] — Zehr, C, pädagogische Reden und Abhandlungen
ĂĽber Volkserziehung und Lehrerbildung. 8. Gotha, Thienemann. n.
3 M. — Vires, J. L., ausgewählte pädagogische Schriften. Uebersetzt
von R. Heine. Heft 4—6. (K. Richter's pädagogische Bibliothek. Heft
94—%). 8. Leipzig, M. Heise's Verlag, ä n. 50 Pf. — Bibliothek,
pädagogische. Bd. 1. 8. Hannover, Meyer, n. 4 M. 40 Pf. Inhalt:
Lehrbuch der Pädagogik von J. Gh. G. Schumann. 1. Tbl. 6. Aufl.
— Hattler, F., Kinderschutz. Sechs Schriften über Erziehung vom
Verfasser neu bearbeitet. 12. Freiburg i. B., Herder'sche Verlagshdig.,
n. IM. 60 Pf. — Dictionnairede p^dagogie et d'instruction primaire.
publik sous la direction de F. Buisson. 13 S^rie. 2. Partie. 8. Paris,
Hachette. n. 2 M. — Rundschau über das Unterrichtswesen aller
Länder. Herausgegeben von M. Ueberschaer. Jahrg. 1881. Heftlu.2.
8. Hildburghausen, Gudon und Sohn. Vierteljährlich 1 M. 50 Pf. —
Müller, B., kurzer Abriss der Geschichte der Pädagogik. 8. Cottbus,
Schauenburg. n. 60 Pf. — Bloch-Gudensberg, das Pädagogische
im Talmud. Vortrag. 8. Halberstadt, Meyer*s Verlag. — Fön^lon,
de rWucation des filles. 8. Paris, Hachette. n. 80 Pf. — Völcker, G.,
Rollin als Pädagoge. 8. Leipzig, Siegismund und Volkening. n. 1 M.
20 Pf. — Pro hie, H., Friedrich Ludwig Jahn*8 Leben. Neu bearbeitet
von C. Euler. Lief. 11. 12. 13. (Schluss.) 8. Stuttgart, Krabbe, k n.
50 Pf. [S. ob. S. 379.] — Euler, C., Friedrich Ludwig Jahn. Sein
Leben und Wirken. 8. Stuttgart, Krabbe, n. 6 M. 50 M. geb. haar
n. 7 M. — Lazarus, M., Erziehung und Geschichte. Ein Vortrag. 8.
Breslau, Schottlaender. n. 75Pf. - Bode, A., Erziehungsaufgaben der
Gegenwart. Ein Vortrag. 2. Ausg. 8. Neuwied, Heuser'sche Verlags-
buchh. n. 60 Pf. — Kares, 0., die erziehende Aufgabe des Unter-
richts, mit besonderer Beziehung auf die weibliche Jugend. 8. Essen,
Bädeker. 75 Pf. — Fr icke, F. W., Erziehungs- und UnterrichUlehre.
Lief. 2 u. 3. 8. Mannheim, Bensheimer's Verlag, an. IM. — Wolf f,
H., ĂĽber das Seelische im Kinde und die dadurch begrĂĽndete Nothwen-
digkeit einer grĂĽndlichen logisch-psychologischen Durchbildung des Leh-
rers [Erziehers]. Vortrag. 8. Prag, Tempsky. n.60Pf. — Planta, P.C.,
Pädagogik u. Schablone. 2. Aufl. 8. Chur, Kellenberger^sche Buchh. n,
80 Pf.
63S Recensionen-Veneichniss.
Becensloiien - Terzeiclmlss.
Althaus, von der UeberzeuguDg. (Dtsch. Literaturbl. IV, 10 y. Kfibel.)
Apulei Madaurensis opuscula de philosopbia rec. Goldbadier. (Jahredier.
Qb. d. Fortschr. d. class. AlterthumswiBs. 1880, 4. 5 v. M. Ueinze.)
Aristoteles' Ethica Nicomachea recogn. Susemihl. (Dtsche. Litoratur-
Ztg. 32 V. E. Heitz.)
Aub6, histoire des pers^utions de T^Iise. Fronton, Luden, Gelse et
Philostrate. (Jahresber. Ob. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880,
4. 5 V. M. Heinze.)
Bahnsen, Aphorismen zur Sprachphilosophie. (L. G. 43.)
Bahnsen, der Widerspruch im Wissen und Wesen der Welt. Band 1.
(L. G. 34.)
Baur, die Weltanschauung des Ghristenthums. (L. G. 37.)
Bernays, Lucian und die Kyniker. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class.
Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Bernays, Phokion. (Philol. Wochenschr. 1 v. Holm.)
Besser, L., was ist Empfindung? (Dtsche. Literaturztg. 35 â–Ľ. Preyer.)
Bestmann, qua ratione Augustinus notiones philosophiae graecae ad
dogmata anthropologica describenda adhibuerit. (Jahresber. fib. d.
Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 y. M. Heinze.)
Boetius comm. in Aristotel. negi iQ/juirsia^ rec. Meiser. (Jahresber. ĂĽb.
d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 y. M. Heinze.)
Bresson, id^es modernes, cosmologie, sociologie. (La philosophie posi-
tive. Sept. Oct.)
Bullinger, Aristoteles und Professor Zeller. (L. G. 33.)
Gaspari, das Erkenntnissproblem. (L. G. 31.)
Gas pari, der Zusammenhang der Dinge. (Literar. Merkur 11^ 1 v. Dr.
H. Spatzier.)
G.ellarius, a new analogy between revealed religion and the cause and
Constitution of nature. (Academy 492 v. 6. A. Simcox.)
Gotterill, Peregrinus Proteus. (Jahresber. Ob. d. Fortschr. d. class. AI-
terthumsvnss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Dinter's ausgewählte pädagogische Schriften. (Dtsche. Literaturztg. 32
V, Bertram.)
Dupuis, )e nombre g^ometrique de Piaton. (Revue crit. 28 v. J. L. Hdberg.)
V. Engel bar dt, M., das Ghristenthum Justin des Märtyrers. (Jahresber.
Ob. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Er d mann, Nachträge zu Kant's Kritik der reinen Vernunft. (Literar.
Merkur 2, 2 v. Dr. H. Spatzier.)
Ewald, P., der Einfluss der stoisch -ciceronischen Moral auf die Darstel-
lung der Ethik bei Ambrosius. (L. G. 34.)
Flegel, A., GĂĽnther's Dualismus von Geist und Natur. (L. G. 35.)
Fischer, E., Learing als Reformator der deutschen Literatur. 1. 1
(L. G. 32.)
Fragmenta philosophorum Graecorum. Ed. Mullach. Vol. HL (Dtsche.
Literaturztg. 36 v. E. Heitz.)
Francke, die Psychologie und Erkenntnisslehre des Amobius. (Jahres-
ber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heime.)
Frantz, G., Schelling^s positive Philosophie. (L. G. 32.)
Fritschel, Methodius von Olympia und seine Philosophie. (Jahresber.
ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Fr enden thal, hellenistische Studien. 3. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d.
class. Alterthumswiss. 1880, 4. 5 v. M. Heinze.)
Frohschammer, ĂĽber die Principien der Aristotelischen Philosophie u.
die Bedeutung der Phantasie in derselben. (Voss. Ztg. 397.)
Recemdonen-Veneiehiiifls. 633
Gaertner, Neopythagoreorum de beata Tita etc. (Jahresber. d. class.
Alterthumswiss. 1880, 6. 7 v. M. Heinze.)
Gaufrös, Claude Baduel et la reforme des ^tudes au Beize si^e. (Dtsch.
Literaturztg. 138 v. E. Laas; La philosophie positive. Sept. bis Oct.)
Girard, philosophie scientifique. (Ausland 35. 36 v. ÂŁ. Oelsner.)
Goebel, BegrĂĽndung der Skepsis des Aenesidemus. (Jahresber. ĂĽb. d.
Fortschr. d. class. Alterthumswiss. 1880, 6. 7 v. M. Heinze.)
Grasberger, Erziehung und Unterricht im classischen Alterthmn. Bd. 3.
(Revue crit. 34 v. R. Lallier.)
Gtttberlet, die Psychologie. (Dtsche. Literaturztg. 31 v. H. Spitta.)
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Ritter, B., Philo und die Halacha. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class.
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Rohdich, de Maxime Tyrio theologo. (Jsihresber. ĂĽb. d. Fortschr. d.
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V. E. Heitz.)
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Turmairs, Kleinere historische u. phil. Schriften. (L. G. 13 u. 35.)
Aus Zeitschriften. 635
Yaihinger, Gommentar zu Kant*s Kritik der reinen Vernunft. (Alt-
preuss. Monatsschr. N. F. 18, 5. 6 y. Bahnsen.)
Vignoli, Mythus und Wissenschaft. (Gegen w. 35. v. Garns Sterne.)
Vi scher. Altes und Neues. 2. Heft. (Im neuen Reich 35 I. Dtsche.
Literaturztg. 38 â–Ľ. ÂŁ. Zeller.)
B. A. Wagner, Lessing- Forschungen. (Dtsche. Literaturztg. 35 v. Er.
Schmidt«)
Waldeck, Grundzüge der wissenschaftlichen Pädagogik und das akade-
mische Seminar. (Dtsche. Literaturztg. 33 v. Bertram.)
Weidmann, Studies in the theory of Descent. (Academy 487 v. Grant
Allen.)
Westerhurg, Der Ursprung der Sage, dass Seneca Christ gewesen sei.
(Revue crit. 29.)
Windelband, Geschichte der neueren Philosophie. Bd. 2. (L. G. 33.)
St. Wolf, Hypatia. (Jahresber. ĂĽb. d. Fortschr. d. class. Alterthumswiss.
1880, 4, 5 V. Th. Heinze.)
Xenophontis q. f. de republica Atheniensium ed. Kirchhoff ed. altera.
(Revue crit. 40.)
Xenophon, La r^publique d' Ă„thanes ed. ÂŁ. Belot. (Revue crit. 40.)
Ans Zeitschriften.
Zeitschrift fOr Plillotoplilo und piiiiotopfiisclie Kritik. GegrĂĽndet von
J. H. V. Fichte, redigirt von Herrn, ĂĽlrici. Halle. Bd. 79. Heft 2.
Dr. Th. Weber, Zur Kritik der Kantischen Erkenntnisstheorie. — Dr.
Wilhelm Wieg and, Aehrenlese der Kritik und Erklärung der drei
BĂĽcher Gicero*s de natura deorum, nebst einem Nachwort ĂĽber dessen
Verdienste um die Philosophie überhaupt. — Dr. E. Dreher, Freiheit
und Nothwendigkeit. — Dr. P. Natorp, Ueber das Verhfiltniss des theo-
retischen und praktischen Erkennens zur BegrĂĽndung einer nichtempi-
rischen Realität u. s. w. — Prof. Dr. G. Caspar i, Ueber Nothwendigkeit
im Sein gegenüber der Denknothwendigkeit. — H. Ulrici, Nachschrift. —
Recensionen: Dr. Th. Achelis, Idealistische Differenzen. — A. Wernicke,
Die Religion des Gewissens als Zukunftsideal. — H. Ulrici, Dr. F. W.
Harnisch, Das Leiden, beurtheilt vom theistischen Standpunkt. — Dr.
V. Knauer, Dr. A. Borschke, Lehrbuch der empirischen Psychologie. —
Dr. A. Borschke, Dr. A. Koch, Die Psychologie Descartes. — Dr. M.
Runze, Kant's Bedeutung auf Grund der Entwickelungsgeschichte seiner
Philosophie. — Notiz. — Bibliographie.
Vierteljalirschrlft ffDr wlttentcliaftliclie Pliilotopliie. Herausg. v. R. Ave-
narius. Jahrg. V. Heft 4. Schmitz- Dumont, Die Kategorien des
Begriffs und das Gongruenzenaxiom. 1. Art. — H. Jäger. Das Princip
des kleinsten Kraftmasses in der Aesthetik. — E. Laas, Vergeltung und
Zurechnung. 3. Art. — Anzeigen: H. Guy au, 1. Les Utilitaires. 2. La
MoraleAnglaise contemporainevonG.v. Gizycki. — J. Stuart Mill, Ges.
Werke. Bd. 12 von F. Paulsen. — P. Radestock, Schlaf und Traum
von £. Kraepelin. Selbstanzeigen. — Philosophische Zeitschriften. —
Bibliographische BCittheilungen.
Mind. A quarterly review of psychology and philosophy. London.
Williams and Norgate. Nro. XXIV October 1881. Grant Allen, Sight
and Smell in Vertebrates. — C. F. Keary, The Homerik Words for Soul.
— Carveth Read, C. H. Lewes's Postumous Volumes. — T. Whit-
taker, ,Mind-stuff* from the Historical Point of View. — Andrew
Seth, Hegel: an Exposition and Griticism. — Notes and Discussions. —
Gritical Notices. ~ New Books. — Miscellaneous.
696 AuB Zettaduriften.
The lOHrnal of tpeculatlve Pbllotopliy. Ed. by W. T. Harris. 1881.
April. Vol. XV. Nro. 2. The Editor, Thou^hs on the Basis of Agnos-
ticism. — A. Arnold, The Unification of Science. — F. Louis Soldan,
Hegel on the Absolute Religion (Tr.). — Ella S. Morgan, ScheUing on
the Science of the Fine Art (Tr.). — Marion Talbot, Dr. Preyer on
Psychogenesis (Tr.). — Notes and Discussions. — Book Notioes.
Revue phllotopMqiie ile la Fran€e et de TEtranger. Dir. par Th. Ribot
Paris, 6. Bailliöre et Co. 1881. Nro. 9. Herbert Spencer, Les corps
repr^sentatifs. — 6. Tarde. La Psychologie en äconomie politiqne. —
B^nard, La throne du comiqne dans Testh^tique allemande. — Analyses
et comptes rendus: P. Miloslawski, Tipy sovremenoi filosofskoi mysli
T Germanyi. — Benno Erdmann, Kant's Kriticismus: eine historische
Untersuchung (fin). — J. Tissot, Essai de Philosophie naturelle. — Revue
des p^riodiques ^trangers: Zeitschrift fĂĽr Philosophie und philosophische
Kritik. — Nr. 10. E. Rehnisch , Hermann Lotze, sa vie et ses ^rits. — A. Fon-
ill^e, Gritique de la morale de Kant (fin). — Herbert Spencer, La
soci^t^ militaire. — 6. Tarde, La psychoIogie en ^conomie politique (fin).
— Notes et discussions: Sur la nature du syllogisme, par L. Arr^at. —
Analyses et comptes rendus: Alexis Bertrand, L'aperception du corps
humain par la conscience. — Dr. Gustave Le Bon, L*homme et les
soci^t^s, leurs origines et leur histoire. — - James Sully, On iUusions, a
psychological study. — Revue des p^riodiques ^trangers: Philosophische
Monatshefte. — Nr. 11. V. Brochard, La Logique de J. Stuart Mill. — Her-
bert Spencer, La soci6t§ industrielle (demier article). — Notes et dis-
cussions: J. Delboeuf, Le sentiment de refiort, d'apr^ W. James. —
Analyses et comptes rendus: Dr. Paul Jacoby, ÂŁtudes sur la s^lection
dans ses rapports avec Th^r^itö chez Thomme. — Enrico Ferri, I nuovi
orizzonti del diritto e della procedura penale. — F. L. Edgeworth, Ma-
thematical psychics. — Notices bibliographiques: Roisel, La substance.
— Jules Rig, La Philosophie positive d'Auguste Gomte. -~ L*abb^ M.
Morlais, Etüde sur le Trait6 du libre arbitre de Vauvenargues. — Dr.
Dec^s, Science et v^ritö. — Gh. Henry, Galil^, Torriceili, Cavalieri,
Gastelli. — Gh. Guissard, Documents in^ts sur Ab^lard. — Dr. Fer-
dinand Weber, System des altsynagogalen Theologie. — Enrique Jose
Varona: Gonferencias filosoficas. — Valenti y Vivo, La biologia en
la Legislacion. — Revue des p^riodiques: Brain, A Journal of neurologj,
— L*Enc^phale. — Archives de Physiologie normale et pathologique. —
La Gritique philosophique. — La Gritique religieuse. — La phOosophie
positive. — Revue de T histoire des religions, etc. etc.
La liloeolla. delle scuole Italiane, rivista bimestrale diretta da E. Mia-
miani e. L. Ferri. Roma. Vol. XXHI, 3a. Terenzio Mamiani, Intomo
alla Sintesi ultima del Sapere e dell 'Essere, seconda lettera al prof. Ber-
tinaria. — T. Tocco, Filosofia di Kant, Fenomeni eNoumeni. — 6. Zac-
cante, Del metodo di filosofare di Socrate. — Bibliografia: 1) 6. Garle.
— 2) R. Adamson. — 3) Th. Ribot. — 4) F. Masci. — 5) £. Bonatelli.
— 6) Domenico Berti. — 7) G. B. Borco. — Notizie. — Periodid di
Filosofia. — Recenti pubblicazioni. — Indice del volume.
Druck vod P. Nensser in BoniL
Anzeigen. 687
Soeben erschien:
• •
der
HISTORISCHEN ENTWICKLUNG
aus den ĂĽbereinstimmenden
Prinoipien der Philosophie A. Sohopenhauer's und der
naturwissensohaftliohen Empirie
abgeleitet ron
Theodor Stieglitz.
gr. 80. 8 Bogen. — Preis fl. l.— .= Mark 2.—
Der Verfasser dieser geschichts - philosophischen Abhandlung yersncht
anf einem bisher noch nicht eingeschlagenen Wege das Problem der Noth-
wendigkeit der geschichtlichen Entwicklang zu lösen nnd deren Ursachen,
Verlauf und Ziel zu bestimmen. An der Hand der von ihm zunächst nach-
gewiesenen übereinstimmenden Grundsätze der naturwissenschaftlichen Empirie
und der Philosophie Schopenhauer's und auf Grund der aus denselben hervor-
gehenden Ursachen der historischen Bewegung zeigt er den cansalen Zusanmien-
hang zwischen den einzelnen Stadien der Culturentwicklung und der Bildung
immer höherer gesellschaftlicher Sphaeren, entwickelt die Principien der
letzteren und leitet schliesslich daraus das Ziel der Entwicklung ab.
Ferner:
PER ASPEBA AD ASTBA
von
gr. 8^ 11 Bogen. — Preis fl. 1.— = Mark 2.—.
Der Verfasser, der seine philosophische Dissertation mit BruchstĂĽcken
aus dem Tao-te-King Laotse's einleitet, stellt sich zur Aufgabe, zu unter-
suchen, ob jeder Mensch die Freiheit hat ,|Frei zu sein von Zweifeln und
von Jammer **. Nach einer geistvollen Resnmirnng der hervorragendsten
philosophischen Systeme aller Zeiten, gelangt der Verfasser zum Schlnss-
resnltate, dass nicht nur die Moral, die Methaphysik und die Ethik, sondern
auch die Philosophie bei Beantwortung gewisser Fragen den Glauben zu
HĂĽlfe nehmen muss.
Verlag von Friedrich Beck in Wien.
Akademische Verlagsbuclihandllang von J. G. B. Hohr (Paal Siebeck)
in Freibarg i/B. und TĂĽbingen.
Soeben erschien — zu beziehen durch jede Buchhandlung:
G^esehiehte der griechischen Philosophie von
Dr. A. SCH WEGLER, herausgegeben von Dr. Karl Kösilin, Pro-
fessor in TĂĽbingen. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage.
Gr. 8. (IV. 462 Seiten.) br. 6 M.